Musik im Vorspann

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FilmMusik
Herausgegeben von Guido Heldt, Tarek Krohn,
Peter Moormann und Willem Strank

Musik im Vorspann

Print ISBN 978-3-86916-717-6
E-ISBN 978-3-86916-719-0

Umschlaggestaltung: Thomas Scheer

Umschlagabbildung: Screenshot aus THE MAN WITH THE GOLDEN ARM (USA 1955, Regie: Otto Preminger), Quelle: DVD.

E-Book-Umsetzung: Datagroup int. SRL, Timisoara

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© edition text + kritik im Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG, München 2020

Levelingstraße 6a, 81673 München

www.etk-muenchen.de

Inhalt

Vorwort

Frank Lehman
Form und thematische Struktur in den Vorspannmusiken E. W. Korngolds

Wolfgang Thiel
Hanns Eislers Vorspannmusiken zu Spielfilmen aus drei Jahrzehnten

Felix Kirschbacher
Das Beste kommt zum Anfang
Episodenbeginn und Vorspann in THE GOOD WIFE

Andreas Wagenknecht
Immer wenn die Duduk spielt
Zur Wiederverwendung der Musik aus dem Vorspann des Films THE LAST TEMPTATION OF CHRIST in Fernsehdokumentationen und Dokumentarfilmen

Auswahlbibliografie

Autoren

Herausgeber

Register

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Cover

Vorwort

Wie die Ouvertüre in der Oper die Zuschauer im Saal auf das einstimmt, was bevorsteht, so haben auch die Vorspannmusiken in Film und Fernsehen über Jahrzehnte hinweg die Funktion eines Einstimmers übernommen. Dabei gab es im Film von der Stummfilmzeit bis in die 1960er Jahre hinein (und punktuell sogar darüber hinaus) gar eigene Ouvertüren, die unmittelbar vor der Filmvorführung live und später vom Band eingespielt wurden. Als die Ouvertüre allmählich vollständig verschwand, etablierte sich in den 1970er Jahren zudem die Praxis, dass der Großteil der Credits im Abspann statt im Vorspann aufgelistet wurde, wodurch die Klammerung durch Vor- und Abspann insbesondere im Mainstream-Film eine neue Dynamik erlangte, die bis heute Bestand hat. Welche Rolle jedoch die Musik in dieser ›zweiten‹ Ouvertüre oder – weitaus häufiger – im ersten auditiven Eindruck nach dem Erklingen der Produktionsfirmen-Jingles als Begleiterin der Film-Credits spielt, ist bislang nur selten in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses gelangt. Eine Konferenz zum Thema Trailers, Titles, and End Credits, deren Ergebnisse partiell in eine Sonderausgabe von Music, Sound, and the Moving Image einflossen1, rückt nicht nur Vorspann- und Abspannmusik zusammen, sondern stellt sie noch an die Seite einer anderen paratextuellen Form, des Trailers und seiner Musik. Dies ist durchaus auch symptomatisch für die Struktur des Vorspanns im mehrgliedrigen Gewebe des Films vom Paratext bis zur Kernerzählung: Wie stark seine Verbindung zum eigentlichen Filmgeschehen ist, unterscheidet sich von Fall zu Fall und von Zeit zu Zeit, was ebenso für seine Musik gilt.

Auch das Fernsehen arbeitet mit dem Vorspann, um Programmstrukturen zu unterstreichen, die Credits zu präsentieren und häufig auch, um in die erzählte Welt einzuführen. Ein Fernsehvorspann ohne ästhetischen oder inhaltlichen Bezug zur Diegese ist selten, und auch der Film tendiert immer stärker dazu, die Grenzen von Vorspann und Diegese und gar noch stärker als Paratexte markierten Entitäten wie der Präsentation des Produktionslogos zu vermischen. Reflexive Spiele mit der eigenen Form sind im Bereich des Vorspanns jedoch weder neu noch ausgestorben, wie die große historische Spannbreite des vorliegenden Bandes zeigt. In der Eingliederung in eine Vielzahl angelagerter Paratexte von Produktionslogos über Werbung, Trailer und Teaser haben Film- und Fernsehvorspann über die Jahre an Kontur gewonnen, und musikalisch fungieren sie häufig als Präsentationsfläche für das Hauptthema einer Filmmusik-Komposition oder das regelmäßig wiederkehrende Titelthema einer Fernsehserie oder -show. Zwar ist der Vorspann durch den Trend der immer ausgedehnteren pre-title sequence immer weiter nach hinten verschoben worden, doch signalisieren die opening titles häufig nach wie vor, dass es jetzt, in diesem Moment, losgeht, dass das temporäre Eintauchen in die Fiktion – wenn es noch nicht erfolgt sein sollte – unmittelbar bevorsteht.

Während Film und Fernsehen den Vorspann in seinen frühen Jahren oft zum reinen Paratext herabstuften, ihm keinen besonderen Schauwert zugestanden und ihn nicht einmal visuell an die folgende filmische Welt knüpften, wurde die Vorspannmusik schon früh zur Experimentierfläche von Komponisten, die sich durch die Erfordernisse der eigentlichen Filmmusik oft eingeschränkt fühlten. Max Steiner und Erich Wolfgang Korngold sind zwei der berühmteren Beispiele von Komponisten, die sich zu jener Zeit durch ihre Vorspannmusiken ausprobierten und den notwendigen Paratext somit zu einer Filmphase mit Hörwert machten, ehe Vorspanndesigner wie Saul Bass sich der Aufgabe widmeten, auch den visuellen Schauwert zu erhöhen. Frank Lehman beschäftigt sich im vorliegenden Band mit ebenjener ›klassischen‹ Zeit des Hollywood-Kinos und seinen Vorspannmusiken am Beispiel Korngolds, über dessen Main-Title-Œuvre er aus musiktheoretischer Sicht einen umfassenden Überblick gibt.

Aus einer musikhistorischen Perspektive widmet sich indessen Wolfgang Thiel in seinem Beitrag den Vorspannmusiken von Korngolds Zeitgenossen Hanns Eisler, dessen filmisches Werk vom europäischen Kino der 1920er und 1930er Jahre über seine Exilzeit beim Hollywood-Kino, dann im Sozialistischen Realismus des DEFA-Films der frühen DDR und schließlich Fernsehproduktionen stilistisch kontrastreiche Kollaborationen und Aufträge umfasst, die Eislers auch ansonsten abwechslungsreiche Karriere aus einer neuen Perspektive lesbar machen.

Das Fernsehen blieb lange konventionell in seiner Insistenz auf markenbildende audiovisuelle Vorspannkombinationen – wie der Jingle im Radio diente der Vorspann insbesondere als aufmerksamkeitsfordernde Markierung, wann das geliebte Format losging. Mit der selbstbewussten Entwicklung von Quality -Formaten seit dem Aufstieg von MTM Enterprises im Zuge des Erfolges ihrer Mary Tyler Moore Show (1970) wurden nach und nach nicht nur die Formate selbst häufiger und intensiver strukturellen Experimenten unterzogen, sondern gleichsam ihre Paratexte. Ein spätes, weil fast zeitgenössisches Beispiel für einen Vorspann, der auf die narrative Entwicklung in der Serie nicht nur Bezug oder Rücksicht nimmt, sondern diese gar reflektiert und auch in seiner musikalischen Praxis kommentiert, stellt The Good Wife dar. Die Serie und ihre wechselhaften Vorspannkonzeptionen stehen im Zentrum von Felix Kirschbachers Analyse in diesem Band.

Der Beitrag von Andreas Wagenknecht fügt der paratextuellen Ebene die intertextuelle hinzu. Musik im Filmvorspann ist oft besonders einprägsam, zum einen, weil Vorspänne der Musik Entfaltungsraum geben, und zum anderen, weil Titelmusiken leicht zum Pars pro toto der Musik ihres Films werden. Diese Einprägsamkeit macht Musik aus Filmvorspännen geeignet für die mediale Zweitverwertung. Als Beispiel dafür untersucht Andreas Wagenknecht die Verwendung eines Tracks aus Peter Gabriels Musik für Martin Scorseses THE LAST TEMPTATION OF CHRIST (USA/KA 1988) in Fernsehdokumentationen: sowohl in solchen, die eine zumindest vage thematische Verbindung zum Film haben, genau genommen in erster Linie politischen oder archäologischen Dokumentationen, die sich mit dem Nahen und Mittleren Osten beschäftigen, aber auch in TV-Produktionen über Natur- und Klimaphänomene, Delfine oder Spaniens Extremadura. Der Text folgt den Pfaden der De- und Rekontextualisierung von Elementen der Musik, die ihr in den letzten drei Jahrzehnten den Sprung von einem Thema zum nächsten erlaubt haben.

Wie immer versteht sich der vorliegende Band nicht als umfassendes Kompendium, sondern als abwechslungsreicher Querschnitt, als Auswahl von Zugängen zu einem Forschungsbereich, der noch in vielen Bereichen ausgiebiger Bearbeitung harrt.

 

Die Herausgeber

1 Music, Sound and the Moving Image 8, 2 (2014), hrsg. von Phil Powrie und Guido Heldt.