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Dieses Buch ist ein Transkript aus einer Original-Vortragsserie auf Hindi, die Osho vor einer internationalen Zuhörerschaft gehalten hat. Alle Diskurse Oshos sind als vollständige Bücher publiziert worden und auch als Audios und / oder Videos erhältlich. Audios und das vollständige Text-Archiv finden Sie unter der Online-Bibliothek „Osho Library“ bei: www.osho.com

Titel der Originalausgabe:

1. Ebook-Auflage 2019

Copyright ©1974 by Osho International Foundation, Schweiz

OSHO® ist eine registrierte Handelsmarke der Osho International Foundation, Schweiz, lizensiert durch diese. www.osho.com/trademarks

eISBN 978-3-947508-23-5

OSHO

DAS yoga BUCH

Die Geburt des Individuums

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Inhalt

Vorwort

1. Einführung in den Weg des Yoga

2. Richtiger und falscher Gebrauch des Verstandes

3. Nicht-Anhaften und beharrliche innere Übung

4. Vollkommenes Bemühen und Hingabe

5. Der Ton des Universums

6. Das Verfeinern der inneren Haltungen

7. Die spontane Meisterschaft über den Verstand

8. Das reine Sehen

9. Samadhi, die Freiheit vom Kreislauf der Wiedergeburt

10. Der Mangel an Bewusstheit – die Angst vor dem Tod

11. Das Feuer, das die Vergangenheit verbrennt

12. Die acht Stufen des Yoga

13. Disziplin und Tod

Über Osho

Vorwort

Yoga ist heute weltweit eine kulturelle Selbstverständlichkeit in nahezu allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Seine Präsenz ist überwältigend und unüberschaubar. In den unterschiedlichsten Angeboten für Entspannung, Therapie, Spiritualität und auch als Forschung in der interdisziplinären Humanwissenschaft, Yoga ist dabei. Diese wie auch immer vorhandene Vielfalt des Yoga trägt dazu bei, unsere meist vernachlässigte, existenzielle Sehnsucht in die Mitte unseres Lebens zurückzuholen.

Es sind existenzielle Fragen, die an unserem logischen Verstand vorbei, immer mehr Menschen auf die Angebote der unterschiedlichsten spirituellen Richtungen zurückgreifen lassen. Genau besehen geht es dabei um die eine Frage: „Wer bin ich denn, nach all dem, was ich gesehen und erlebt habe?“

Es ist das Markenzeichen des modernen Geistes, im Grunde zu wissen, dass jede Antwort von außen einer Art Unterhaltung, ja Zeitvertreib gleichkommt. Sie mag vorübergehend trösten, beruhigen und unserem Verstand ein Gefühl des Zusammenhanges all seiner Fragmente ermöglichen – aber weil die Antwort von außen kommt, wird sie die Vorläufigkeit und Unsicherheiten nicht ausräumen. Die Verführung, trotzdem immer wieder den Weg der Unterhaltung zu gehen, ist uns in die Knochen geschrieben.

„Man hat uns beigebracht, nahezu überall auf der Welt, in jedem Kulturkreis, in jedem Land, jeder Klimazone, unsere Ziele irgendwo außerhalb von uns selbst zu suchen. Das Ziel mag Geld sein, das Ziel mag Macht sein, das Ziel mag Ansehen sein, ja das Ziel mag Gott sein, das Paradies – es macht keinen Unterschied: All diese Ziele liegen außerhalb von dir. Dabei besteht das wirkliche Ziel darin, zur Quelle zurückzukehren, von der du kommst.“ (Osho)

Um mit dieser Situation intelligent umzugehen, ist es hilfreich, sich bewusst zu machen, dass die Quelle der spirituellen Wissenschaft nicht Schriften, sondern die Erfahrung ist. Wir sind nicht die Ersten, die fähig und bereit sind, das Leben existenziell zu hinterfragen. Ob es uns bewusst geworden ist oder nicht, wir bewegen uns seit Jahrtausenden im Lichte der Vision von Menschen, in denen sich jenseits von Lehrsystemen und Traditionen die Möglichkeit der vollendeten Freiheit und Liebe manifestiert hat. Sie werden Buddhas, Mystiker und Meister genannt.

In unserer Zeit eines umfassenden und immer differenzierteren Dialoges zwischen allen Kulturen ist mit Osho eine Vision präsent, die jeden von uns über alle halbherzigen Veränderungen und neuen Anpassungen hinaus, mit der radikalen Freiheit menschlicher Existenz konfrontiert: die unfassbare Schönheit und Kreativität menschlichen Bewusstseins. Es gibt nahezu keinen spirituellen Weg, keinen Meister der großen Traditionen, den uns Osho nicht als Spiegel vorgehalten hätte, um uns darin wiederzuerkennen. Und so spricht Osho auch über die Yoga-Sutren des großen Yogi Patanjali. Er bezeichnet ihn als den größten Wissenschaftler des Innen. In seinen Diskursen dazu wird eine Wissenschaft sichtbar, die uns mitten auf den unüberschaubaren Wegen und Richtungen existentiell entspannen lässt: Ja, so ist es möglich, Schritt für Schritt der eigenen Existenz zu vertrauen.

Aber es ist nicht nur das. Im Lichte der Meditationswissenschaft – und Yoga ist dabei ein Königsweg (raja-yoga, raja bedeutet im Sanskrit König) – ist der traditionelle Gegensatz zwischen Wissenschaft und Glauben hinfällig geworden. Meditationspraxis und die umfassende wissenschaftliche Meditationsliteratur unterschiedlichster Richtungen machen deutlich, dass existenzielle Fragen keines Glaubens und keiner Gelehrten-Hierarchie und schon gar keiner Organisation bedürfen, im Gegenteil!

Es wird klar: Wissenschaft und Spiritualität sind zwei Seiten der einen großen Kreativität menschlichen Bewusstseins: die bedingungslose Erforschung der Wirklichkeit in all ihren Dimensionen. Die quantentheoretische und gehirntheoretische Befreiung von der Illusion einer gegenständlichen, objektiven Wirklichkeit und eines substanziellen Ich ist für die Yoga-Wissenschaft kein Dilemma, sondern ein wesentlicher Aspekt der Disziplin selbst. Yoga ist eine Erforschung des Innen, bei der wir praktisch entdecken, wie wir schrittweise jede Annahme, jede Erwartung, jede Vorstellung, jede Theorie und damit das Ich, hinter uns lassen und in eine sehende Anwesenheit hineinfinden – undefinierbar, grenzenlos und jenseits aller Dualität. Hier sind die Yoga-Diskurse Oshos von zentraler Bedeutung: „Jetzt die Disziplin des Yoga“ – das erste Sutra von Patanjali.

Mit Yoga lernen wir Schritt für Schritt, der Existenz zu vertrauen, die forschende Sehnsucht nach der Wirklichkeit individueller Existenz nicht mehr zu überhören, nicht mehr zu überspringen – jetzt und nicht morgen und nicht im nächsten Leben! Im Vordergrund steht die Erfahrung des Lesers und nicht die Priorität eines Textes oder die Ziele von Übungsprogrammen.

Aber wie sich auf Erfahrung einlassen, was ist mit Erfahrung gemeint? Deswegen jetzt die Praxis der Yoga-Wissenschaft. Leidenschaftliche Ehrlichkeit und Intensität – zwei Qualitäten, die in der Wissenschaft des Patanjali eine große Rolle spielen – führen dazu, ein grundlegendes und tiefsitzendes Muster unseres gewöhnlichen Bewusstseins zu verlassen: das alles durchziehende Muster ‚für etwas‘ oder ‚von etwas‘ zu leben.

Man könnte dies auch so umschreiben, dass mit Yoga in uns eine Situation entsteht, in der wir nach unserem vorsprachlichen Kindsein vielleicht zum ersten Mal die Qualität zeitloser Existenz erfahren: zeitlos, weil außerhalb aller Vorstellungen; Erfahrung, weil wir zum ersten Mal wirklich sind – ohne Abgrenzung und ohne Selbstverlust, ein Individuum, ungeteilte Existenz, die Ahnung unserer zweiten Geburt. Das System des Yoga mit all seinen Facetten, Stufen und Übungen ist die Hebamme dieser zweiten Geburt.

Hindernisse gibt es viele. Erkennen und Fühlen auf den Rahmen festzulegen, den unser Verstand für vernünftig hält, ist in Wirklichkeit eine ständige Abwehr von Erkennen und Fühlen. Im Yoga geht es weder um eine neue Weltanschauung, noch um eine neue Selbstinterpretation. Es geht auch nicht darum, dem Verstand in seiner Verwirrung zu helfen, ihn zu trösten oder zu stärken. Deswegen die acht Stufen und deswegen die Ausführungen Oshos zu den Sutren von Patanjali. Das tiefe und immer wieder neue Verstehen dieser Diskurse verleiht unseren Yoga-Übungen eine Seele.

Eine perfekte Ausführung der vielfältigen Yoga-Übungen entspannt sicherlich unseren unruhigen Körper und rastlosen Verstand. Aber uns selbst erreichen sie so nicht. Wir bleiben uns trotzdem fremd. Die Disziplin des Yoga beginnt dort, wo wir bereit sind, auch diese subtile und vielleicht letzte Illusion unseres Fremdseins in uns selbst zu verstehen.

Noch ein Hinweis zur Lektüre. „Der Mensch ist fähig, sich Vergnügen zu organisieren, aber er vermag nicht, Glück herzustellen“, sagt Osho. Dies gilt auch für die Lektüre dieser Yoga-Diskurse. Wir können ohne Zweifel mit Gewinn durch die einzelnen Kapitel wandern, dieses und jenes auf uns wirken lassen, diesem und jenem zustimmen oder es ablehnen, oder im einen oder anderen einen guten Hinweis für unsere Yoga-Praxis finden. Aber Verstehen ist etwas anderes – wir können es nicht machen.

Wenn wir die Lektüre selbst als Yoga verstehen, als eine asana, in der wir ohne Ziel und ohne Besserwisserei einfach innehalten, wird es immer wieder auf’s Neue geschehen, dass wir verstehen – und dies kommt dann in die Nähe dessen, was Patanjali in einem seiner Sutren so beschreibt: „Es beginnt ein spirituelles Licht zu erscheinen.“

Dr. phil. Peter Palla und Edith Palla

* Die ausgewählten Patanjali-Sutren sind im Text kursiv hervorgehoben.

Anmerkung zur Übersetzung

Für den englischsprachigen Ausdruck „Mind“ gibt es im Deutschen kein Äquivalent. Wörter wie Verstand, Geist oder Denken beziehen sich jeweils auf Aspekte dessen, was mit dem englischen Wort Mind bezeichnet wird. Gefühle, das Irrationale, die Träume, die Verbindung zwischen Bewusstsein und Körper, Wollen, Wünschen, Erinnerungen und Begehren, all dies, jede Form unserer Identifikationen ist mit dem für die Yoga- und Meditationswissenschaft so zentralen englischen Wort Mind angesprochen. Es sind alle mentalen und emotionalen Vorgänge gemeint, alle Formen unseres Ego-Systems, das Reich des Unbewussten genauso wie der Denkprozess im Allgemeinen bis hin zu seiner wissenschaftlichen Form.

Mangels eines geeigneten deutschen Wortes, das dieser Komplexität entsprechen würde, wird in der vorliegenden Übersetzung der Ausdruck Mind immer dann übernommen, wenn eine Übersetzung das im englischen Text Angesprochene verkürzen und eingrenzen würde.

1. Kapitel

Einführung in den Weg des Yoga

Wir leben in einer tiefen Illusion – in der Illusion der Hoffnung, der Zukunft, des Morgen. Der Mensch kann, so wie er ist, nicht ohne Selbsttäuschungen leben, nicht in der Wahrheit existieren.

Das muss ganz klar verstanden werden, weil es ohne dies Verständnis keinen Zugang zu dem geben kann, was Yoga genannt wird. Man muss den Mind gründlich begreifen – den Mind, der Lügen und Illusionen braucht, den Mind, der dem Wirklichen ausweicht und von seinen Träumen lebt. Du träumst nicht nur nachts, du träumst sogar, wenn du wach bist.

Wir projizieren unsere Hoffnungen auf die Zukunft. Die Gegenwart ist fast immer eine Hölle. Du kannst es mit ihr nur aufgrund einer in die Zukunft gerichteten Hoffnung aushalten. Du kannst heute leben, weil es ein Morgen gibt. Du hoffst, dass morgen etwas passieren wird, dass sich morgen einige Türen zum Paradies öffnen werden. Sie öffnen sich nie heute, aber wenn morgen kommt, kommt es nicht als morgen. Es kommt als heute, aber wenn es so weit ist, ist dein Mind schon wieder weiter. Du läufst dir selbst voraus: genau das bedeutet Träumen. Du bist mit der Wirklichkeit nicht eins: mit dem, was vorhanden ist, mit dem, was hier und jetzt ist. Du bist irgendwo anders – du läufst voraus, springst voraus.

Diesem Morgen, dieser Zukunft wurden unendlich viele Namen gegeben. Die einen nennen es Himmel, die anderen nennen es moksha, aber es ist immer in der Zukunft. Der eine stellt sich die Zukunft als Reichtum vor, ein anderer denkt ans Paradies, aber dieses Paradies kommt erst nach dem Tod, weit weit weg, in der Zukunft. Du verfehlst deine Gegenwart für das, was nicht ist, genau das bedeutet Träumen.

Du bist unfähig, im Hier und Jetzt zu sein. Genau im Augenblick zu sein, scheint dir praktisch unmöglich zu sein. Du kannst in der Vergangenheit sein: auch dies ist Träumen – in Erinnerungen schwelgen, Dingen nachhängen, die nicht mehr sind. Oder du kannst in der Zukunft sein, aber diese Zukunft ist nichts anderes als die projizierte Vergangenheit – farbenprächtiger, schöner, angenehmer, aber sie ist nur eine aufgebesserte Vergangenheit. Die Zukunft ist nichts als die Vergangenheit, neu projiz-iert – und beide sind nicht. Die Gegenwart ist, aber du bist nie in der Gegenwart. Genau das ist Träumen.

Yoga ist eine Methode, ein nicht-träumendes Bewusstsein zu erlangen. Es ist die Wissenschaft vom Sein im Hier und Jetzt. Yoga bedeutet, dass du jetzt bereit bist, nicht mehr in die Zukunft abzuwandern. Es bedeutet, dass du jetzt bereit bist, die Wirklichkeit zu sehen, so wie sie ist.

Deswegen kannst du den Weg des Yoga nur dann betreten, wenn du von deinem eigenen Mind, so wie er ist, total enttäuscht bist. Wenn du immer noch hoffst, durch deinen Mind etwas zu erreichen, ist Yoga nichts für dich. Eine umfassende Enttäuschung ist nötig – die Einsicht, dass ein Mind, der projiziert, nutzlos, dass ein Mind, der hofft, unsinnig ist und nirgendwo hinführt. Er verschließt dir die Augen, er vergiftet dich, er ist eine Droge und schirmt dich von der Wirklichkeit ab.

Wenn ihr von eurem Mind, von eurer Art und Weise zu leben nicht total frustriert seid, wenn es euch unmöglich scheint, den Mind bedingungslos fallen zu lassen, könnt ihr den Weg des Yoga nicht betreten. Sehr viele fangen an, sich für Yoga zu interessieren, aber sehr wenige betreten seinen Weg, weil ihr Interesse aus dem Mind kommt. Man mag vielleicht hoffen, durch Yoga etwas erreichen zu können, ein Motiv ist da. Du glaubst vielleicht, durch Yoga den seligen Zustand eines perfekten Wesens erreichen zu können, vielleicht eins mit dem brahma zu werden, vielleicht satchidananda zu erreichen – Sein, Bewusstsein, Seligkeit.

Vielleicht interessierst du dich deshalb für Yoga; wenn dies der Grund ist, kann es zwischen dir und dem Weg des Yoga zu keiner Berührung kommen. Dann gehst du genau in eine entgegengesetzte Richtung. Yoga bedeutet, dass es jetzt keine Hoffnung gibt, keine Zukunft, keine Wünsche. Du bist bereit, das kennenzulernen, was ist. Du interessierst dich nicht dafür, was sein kann, was sein sollte, was sein müsste, du interessierst dich nur für das, was ist. Werde vollkommen hoffnungslos, keine Zukunft, keine Hoffnung. Es ist nicht leicht. Man braucht Mut, um der Wirklichkeit ins Gesicht zu schauen.

Es kommt für jeden Menschen der Augenblick, in dem er sich vollkommen hoffnungslos fühlt. Alles erscheint ihm absolut sinnlos. Sobald ihm bewusst wird, dass alles, was er tut, nutzlos ist, dass er, wohin er auch geht, nirgendwo ankommt, dass sein ganzes Leben bedeutungslos ist, fällt plötzlich alle Hoffnung von ihm ab. Die Zukunft verliert ihre Bedeutung und zum ersten Mal in seinem Leben ist er im Einklang mit der Gegenwart, zum ersten Mal steht er seiner Wirklichkeit von Angesicht zu Angesicht gegenüber.

Yoga ist eine innere Wende – eine totale Kehrtwendung. Wenn du dich weder in der Zukunft noch in der Vergangenheit verlierst, beginnst du damit, in dich selbst hineinzugehen – weil dein Sein hier und jetzt ist. Gegenwärtig hier und jetzt kannst du in die Wirklichkeit eintauchen. Aber dafür muss dein Bewusstsein hier sein. Genau auf dieses Jetzt verweist das erste Sutra von Patanjali.

Bevor wir über das erste Sutra sprechen, müssen ein paar andere Dinge geklärt werden. Yoga ist keine Religion. Yoga ist eine Wissenschaft, genau wie Mathematik, Physik oder Chemie. Physik ist weder christlich noch buddhistisch. Religionen brauchen Glaubenssätze. In Wirklichkeit gibt es keinen Unterschied zwischen der einen und der anderen Religion: der Unterschied besteht lediglich in den Glaubenssätzen. Ein Muslim hat ganz bestimmte Glaubenssätze, ein Hindu andere, ein Christ wieder andere. Was Glauben angeht, hat Yoga nichts zu sagen: er fordert nicht auf, an irgendetwas zu glauben.

Yoga sagt: Erfahre! So wie die Wissenschaft das Experiment fordert, fordert Yoga die Erfahrung. Nur die Richtung ist eine andere: Experiment bedeutet, dass du etwas im Außen, und Erfahrung bedeutet, dass du etwas im Inneren tust. Die Wissenschaft fordert dich nicht auf zu glauben, sondern so viel wie möglich zu zweifeln. Aber verliere dich auch nicht im Unglauben, denn der Unglaube ist wieder eine Art von Glaube. Du kannst an Gott glauben, oder du kannst an die Idee eines Nicht-Gottes glauben. Du kannst mit einer fanatischen Haltung behaupten, dass Gott ist, oder du kannst mit demselben Fanatismus genau das Gegenteil behaupten: Gott ist nicht. Atheisten und Theisten sind Gläubige.

Yoga gründet in der Existenz, in deinen Erfahrungen und im Experimentieren damit. Keine Überzeugung, keinerlei Glaube, nur der Mut, in die eigene Erfahrung zu gehen! Aber genau daran mangelt es. Zu glauben fällt euch leicht, weil ihr durch den Glauben nicht wirklich transformiert werdet. Der Glaube ist etwas, das euch stützt, er ist etwas Oberflächliches. Euer Sein verändert sich dadurch nicht; du machst keine Wandlung durch. Vielleicht bist du ein Hindu, aber du kannst einen Tag später ein Christ werden. Du wechselst einfach die Kleider: Statt der Gita nimmst du die Bibel oder du kannst stattdessen auch den Koran nehmen. Der Mensch aber, der vorher die Gita hielt und nun die Bibel oder den Koran in Händen hält, bleibt derselbe. Er hat nur seine Glaubenssätze gewechselt. Überzeugungen sind wie Kleider. Nichts Wesentliches wird verwandelt; du bleibst derselbe. An etwas zu glauben ist einfach, weil du nicht wirklich gefordert wirst. Nur eine oberflächliche Kleidung – eine Dekoration – etwas, das du jederzeit beiseite legen kannst.

Yoga hingegen ist kein Glaube. Deshalb ist er schwierig, mühsam und manchmal erscheint er unmöglich. Er ist ein Eindringen in deine Existenz. Du kommst nicht durch Glauben zur Wahrheit, sondern durch deine eigene Erfahrung, durch deine eigene Einsicht. Das bedeutet, du wirst dich total verändern müssen. Deine Ansichten, deine Lebensweise, dein Mind, deine Psyche werden, so wie sie sind, völlig erschüttert werden. Es entsteht etwas Neues.

So ist Yoga sowohl Tod als auch neues Leben. So wie du bist, wirst du sterben müssen und wenn du nicht stirbst, kann das Neue nicht geboren werden. Das Neue ist in dir verborgen. Du bist ein Saatkorn und das Saatkorn muss in die Erde fallen und von ihr aufgenommen werden. Es wird als Saatkorn sterben: nur dann wird das Neue in dir aufgehen. Dein Tod wird dein neues Leben werden. Yoga ist beides, ein Tod und eine neue Geburt. Wenn du nicht bereit bist zu sterben, kannst du nicht wiedergeboren werden. Yoga befasst sich mit deinem ganzen Sein, mit deinen Wurzeln. Deshalb werden wir mit Patanjali nicht denken und Vermutungen anstellen.

Mit Patanjali werden wir versuchen, die fundamentalen Gesetze des Lebens kennenzulernen: die Gesetze seiner Transformation, die Gesetze des Sterbens und Wiedergeborenwerdens, die Gesetze einer neuen Lebensordnung. Darum nenne ich Yoga eine Wissenschaft.

Nun zu den Sutren von Patanjali:

Jetzt die Disziplin des Yoga.

Jedes einzelne Wort muss verstanden werden, weil Patanjali kein einziges überflüssiges Wort benutzt. „Jetzt die Disziplin des Yoga.“ Versuche zuerst, das Wort „jetzt“ zu verstehen. Dieses „Jetzt“ verweist auf den Bewusstseinszustand, von dem ich gesprochen habe. Wenn dir deine Illusionen entgleiten und du ohne Hoffnungen bist, wenn dir die Nutzlosigkeit aller Wünsche bewusst geworden ist, wenn du dein Leben als sinnlos betrachtest, wenn sich einfach alles, was du bis jetzt getan hast, als schal erweist und nichts mehr für die Zukunft bleibt, wenn du in Verzweiflung bist, leidest und nicht mehr weißt, was du tun kannst, wohin du gehen sollst, wenn dein ganzer Lebensplan plötzlich unnütz geworden ist – wenn dieser Moment gekommen ist, sagt Patanjali: „Jetzt die Disziplin des Yoga.“ Erst jetzt bist du für die Wissenschaft und Disziplin des Yoga offen.

Wenn dieser Augenblick noch nicht gekommen ist, kannst du Yoga studieren, kannst du ein großartiger Schüler werden, aber du wirst kein Yogi sein. Du kannst Dissertationen darüber schreiben, du kannst Reden darüber halten, aber du wirst kein Yogi sein. Der Moment ist für dich noch nicht gekommen. Vielleicht bist du intellektuell interessiert, vielleicht bist du verstandesmäßig mit Yoga verbunden: aber Yoga ist nichts, wenn es keine Disziplin ist.

Yoga ist keine Heilige Schrift. Er ist eine Disziplin. Er ist etwas, was du tun musst, nicht aus Neugier, nicht aus philosophischer Spekulation. Er geht tiefer als das. Er ist eine Frage auf Leben oder Tod. Wenn der Moment kommt, wo du fühlst, dass dich alle Richtungen verwirrt haben und alle Wege verschwunden sind, dass die Zukunft dunkel und jeder Wunsch bitter geworden ist und du nur Enttäuschung kennengelernt hast, wenn jede Neigung zur Hoffnung und zum Träumen aufgehört hat: „Jetzt die Disziplin des Yoga“.

Bist du wirklich unzufrieden? Du wirst sagen „ja“; aber diese Unzufriedenheit ist nicht wirklich. Du magst mit diesem und mit jenem unzufrieden sein, aber du bist nicht total unzufrieden. Du hoffst immer noch. Du bist unzufrieden aufgrund deiner früheren Hoffnungen, aber du hoffst immer noch auf die Zukunft. Deine Unzufriedenheit ist nicht total. Du fühlst dich hoffnungslos, weil bestimmte Hoffnungen sich nicht verwirklicht haben, bestimmte Hoffnungen sich aufgelöst haben.

Aber das Hoffen ist immer noch da: das Hoffen hat nicht aufgehört. Du bist frustriert von dieser oder jener Hoffnung, aber du bist nicht frustriert von der Hoffnung an sich. Erst wenn du vom Hoffen als solchem frustriert bist, ist der Augenblick gekommen. Du kannst mit Yoga anfangen. Du gehst nicht in eine Welt spekulativer Gedanken, du gehst in eine Disziplin.

Was ist Disziplin? Disziplin bedeutet, dass du eine Ordnung in dir schaffst. So wie du bist, bist du ein Chaos. So wie du bist, bist du total in Unordnung.

Einmal kam ein Mann zu Buddha, der ein Gesellschaftsreformer gewesen sein muss – ein Revolutionär. Er sagte zu Buddha, „Die Welt ist im Elend. Ich bin ganz deiner Meinung“. Buddha hatte nie gesagt, dass die Welt im Elend sei. Buddha hatte gesagt, „Ihr seid das Elend“, nicht die Welt. „Das Leben ist das Elend“, nicht die Welt. „Der Mensch ist das Elend“, nicht die Welt. „Der Mind ist das Elend“, nicht die Welt.

Aber dieser Revolutionär sagte, „Die Welt ist im Elend. Ich bin ganz deiner Meinung. Nun sage mir, was kann ich tun? Ich habe tiefes Mitgefühl und ich möchte der Menschheit dienen.“ Dienen muss sein Wahlspruch gewesen sein. Buddha sah ihn an und blieb still.

Buddhas Schüler Ananda sagte: „Dieser Mann scheint es ernst zu meinen. Gib ihm einen Rat. Warum schweigst du?“

Darauf sagte Buddha zu dem Revolutionär: „Du willst der Welt dienen, aber wo bist du? Ich sehe innen niemanden. Ich schaue in dich hinein und da ist niemand.“

Du bist nicht in deinem Zentrum und wenn du nicht zentriert bist, wird alles, was auch immer du tust, nur Unheil anrichten. All diese Sozialreformer, Revolutionäre und Führer, sie sind in Wirklichkeit die großen Unheilstifter. Die Welt wäre besser, wenn es keine Führer gäbe. Sie glauben, etwas tun zu müssen, weil die Welt im Elend ist. Aber sie sind nicht in ihrer Mitte und erzeugen mit allem, was sie tun, noch mehr Unheil. Mitleid allein hilft nicht, Dienen allein hilft nicht. Das Mitgefühl eines zentrierten Wesens ist etwas vollkommen anderes.

Disziplin bedeutet „die Fähigkeit zu sein, die Fähigkeit zu wissen, die Fähigkeit zu lernen“. Wir müssen diese drei Dinge verstehen. Die Fähigkeit zu sein: Wenn du ein paar Stunden ruhig dasitzen kannst, ohne deinen Körper zu bewegen, wächst du in die Fähigkeit zu sein hinein. Warum bewegst du dich? Du kannst nicht einmal ein paar Sekunden sitzen, ohne dich zu bewegen. Dein Körper fängt an sich zu bewegen. Irgendwo juckt es dich; die Beine schlafen ein, vieles. Dies alles sind nur Vorwände, damit du dich bewegen kannst. Du bist nicht der Meister. Du bist unfähig, dem Körper zu sagen: „Jetzt werde ich mich eine Stunde lang nicht bewegen.“ Er wird sich sofort auflehnen. Sofort wird er dich zwingen, dich zu bewegen, etwas zu tun und er wird dir Gründe liefern — du bist Unruhe, eine ununterbrochene hektische Aktivität.

Patanjalis asanas befassen sich in Wirklichkeit nicht mit physiologischem Training, sondern damit, wie du sein kannst – ohne irgendetwas zu tun, ohne jede Bewegung, ohne jede Aktivität – dies hilft dir, in die Mitte zu kommen. Je mehr dir der Körper folgt, desto größer wird deine innere Erfahrung, desto stärker das innere Sein. Wenn du mit dem Körper innehältst, kommt auch dein Geist zur Ruhe, weil Geist und Körper nicht zweierlei sind. Sie sind zwei Pole eines Phänomens: Es ist nicht Körper und Geist, sondern Körper-Geist.

Der Geist ist die subtilste Seite deines Körpers. Oder man kann es auch umgekehrt sagen: Der Körper ist die grobstoffliche Seite des Geistes.

Patanjali beginnt beim Körper, weil wir im Körper verwurzelt sind und mit der Atmung, weil in der Atmung unser Leben ist. Es gibt viele Methoden, die direkt beim Mind ansetzen. Dies ist nicht so logisch und wissenschaftlich, da wir in einem Körper leben. Wenn sich dein Körper verändert, kann auch deine Atmung verändert werden. Wenn sich deine Atmung verändert, können deine Gedanken verändert werden. Und wenn sich deine Gedanken verändern, dann kannst du dich verändern. Das Grobstofflichste ist der Körper und das Feinstofflichste ist der Geist. Aber fang nicht beim Feinstofflichen an, weil das schwieriger ist. Es ist ungreifbar, du kannst es nicht fassen. Beginne beim Körper. Darum setzt Patanjali bei den asanas an.

Ihr habt vielleicht noch nicht beobachtet, dass ihr mit einer bestimmten psychischen Stimmung eine entsprechende Körperhaltung einnehmt. Wenn man wütend ist, verändert sich die Körperhaltung, ebenso wenn du aufmerksam oder schläfrig bist. Wenn du vollkommen ruhig bist, wirst du wie ein Buddha sitzen, du wirst wie ein Buddha gehen. Und wenn du wie ein Buddha gehst, wirst du spüren, wie sich in deinem Herzen Ruhe ausbreitet – setz dich unter einen Baum wie ein Buddha, lass den Körper einfach da sein. Plötzlich wirst du merken, dass sich deine Atmung verändert. Sie ist entspannter, sie wird harmonischer. Wenn die Atmung harmonisch und entspannt ist, wirst du spüren, dass auch dein Geist entspannt – weniger Gedanken, weniger Wolken, mehr Raum, mehr Himmel. Du wirst eine Stille ein- und ausströmen fühlen.

Darum sage ich, dass Patanjali wissenschaftlich vorgeht. Wenn du deine Körperhaltung verändern willst, wird Patanjali sagen, ändere deine Essgewohnheiten, denn jede Essgewohnheit erzeugt subtile Körperhaltungen. Wenn du ein Fleischesser bist, wird sich dies in deiner Körperhaltung zum Ausdruck bringen. Dein Körper ist kein Zufall. Was immer du in den Körper hinein gibst, der Körper wird es widerspiegeln.

Vegetarier zu sein ist darum für Patanjali kein moralischer Kult, sondern eine wissenschaftliche Methode. Wenn du Fleisch isst, nimmst du damit nicht nur Nahrung zu dir: Du erlaubst einem bestimmten Tier, von dem das Fleisch kommt, in dich einzugehen. Das Fleisch war Teil eines spezifischen Körpers, das Fleisch war Teil einer spezifischen Instinktstruktur. Das Fleisch eines ganz bestimmten Tieres enthält seine Eindrücke und Gewohnheiten. Wenn du Fleisch isst, werden alle deine Einstellungen davon betroffen sein. Wenn du feinfühlig genug bist, kann dir bewusst werden, dass mit einer jeden Diät ganz bestimmte körperliche Reaktionen verbunden sind. Jedes Mal, wenn du Alkohol zu dir nimmst, bist du nicht mehr derselbe, er verändert deine Körperchemie. Die Veränderung der Körperchemie verursacht eine subtile Strukturveränderung des Mindes und wenn der Mind seine Struktur verändert, ist eine neue Persönlichkeit entstanden.

Patanjali verfährt wissenschaftlich, weil er auf alles achtet: die Nahrung, die Haltung, die Art wie du schläfst, die Art wie und wann du morgens aufstehst, wann du schlafen gehst. Deswegen achtet er auch auf deine Atmung.

Wenn du traurig bist, hast du einen anderen Atemrhythmus. Versuche Folgendes: Immer wenn du traurig bist, beobachte deinen Atem. Wie viel Zeit brauche ich zum Einatmen, wie viel Zeit zum Ausatmen? Zähle im Stillen: eins, zwei, drei, vier, fünf usw. Du kommst vielleicht bis fünf und das Einatmen ist vorüber. Dann, wenn du von eins bis vielleicht zehn gezählt hast, ist das Ausatmen vorüber. Beobachte wirklich ganz genau, so dass du das Verhältnis erkennen kannst und probiere dann, sobald du dich glücklich fühlst, sofort das traurige Muster aus – fünf zu zehn, oder was auch immer. Das Glücksgefühl wird verschwinden.

Die Umkehrung stimmt auch. Wann immer du glücklich bist, achte genau darauf, wie du atmest. Dann probiere, wenn du traurig bist, den Rhythmus des „glücklichen“ Atmens aus. Sofort wird die Traurigkeit verschwinden, weil deine Befindlichkeit grundsätzlich in ein System eingebunden ist. Und die Atmung ist das grundlegende System für deine mentalemotionale Befindlichkeit. Kein Denken ohne Atmen. Wenn du aufhörst zu atmen, hören sofort die Gedanken auf. Versuch es eine Sekunde lang. Halte den Atem an. Sofort gibt es einen Bruch im Denkprozess: Der Prozess ist unterbrochen. Denken ist der unsichtbare Teil der sichtbaren Atmung.

Genau das meine ich, wenn ich sage, dass Patanjali wissenschaftlich arbeitet, er ist kein Poet. Wenn er sagt, „Esst kein Fleisch“, sagt er das nicht, weil Fleischessen Gewaltanwendung ist, nein. Er sagt es, weil Fleischessen selbstzerstörerisch ist. Es gibt Poeten, die sagen, dass es schön ist, gewaltlos zu sein. Aber Patanjali sagt, gewaltlos sein heißt, gesund zu sein; gewaltlos sein heißt, an sich selbst zu denken. Mit anderen Worten, du bist Vegetarier, nicht weil du Mitgefühl mit anderen, sondern Mitgefühl mit dir selbst hast. Patanjali befasst sich nur mit dir und mit deiner Transformation. Du änderst nichts, wenn du über Veränderung nur nachdenkst. Du musst die Voraussetzungen dafür schaffen. Überall auf der Welt wird Liebe gelehrt, aber nirgendwo existiert Liebe, es fehlt die Voraussetzung. Wie kannst du voller Liebe sein, wenn du Fleischesser bist? Wenn du Fleisch zu dir nimmst, ist Gewalt im Spiel. Wie kann man bei einer so tiefsitzenden Gewalttätigkeit liebevoll sein? Deine Liebe wird nur gespielt sein oder sie ist möglicherweise nur eine Form deines Hasses.

Patanjali würde nie sagen, sei liebevoll. Er möchte dir aber helfen, eine Situation herzustellen, in der Liebe blühen kann. Darum sage ich, er ist wissenschaftlich. Wenn du ihm Schritt für Schritt folgst, wirst du vieles in dir aufblühen sehen, was vorher undenkbar, unvorstellbar war, was dir nicht einmal im Traum eingefallen wäre. Wenn du deine Ernährung änderst, wenn du deine Körperhaltungen, deine Schlafmuster und deine sonstigen Gewohnheiten änderst, wirst du sehen, dass ein neuer Mensch in dir entsteht.

Was auch immer im Körper geschieht, geschieht im Mind und umgekehrt. Wenn Körper und Mind zur Ruhe kommen, bist du in der Mitte. Die asana ist nicht nur ein physiologisches Training: Es entsteht eine Situation, in der deine Zentrierung stattfinden kann. Erst wenn du bist, wenn du dein Zentrum erreicht hast, wenn du unmittelbar aus Erfahrung verstehst, was es heißt, zu sein, ist wirkliches Lernen möglich, weil du gänzlich offen bist. Jetzt kannst du dich hingeben. Sobald du in deinem Zentrum bist, weißt du, dass alle Egos illusionär sind. Jetzt kannst du dich verneigen, ein wahrer Schüler des Yoga ist geboren. Der Jünger ist ein Suchender, er geht den Weg der Zentrierung. Er versucht es zumindest und strengt sich an, ehrlich, um ein Individuum zu werden, sein Sein zu fühlen, sein eigener Meister zu werden. Die ganze Disziplin des Yoga ist ein Weg, dich zu einem Meister deiner selbst werden zu lassen, denn so wie du bist, bist du ein Sklave deiner Wünsche, in viele Richtungen gezerrt.

Yoga ist ein Zur-Ruhe-Kommen des Mindes.

Das Wort Mind umfasst alles – euer Ego, eure Wünsche, eure Hoffnungen, Philosophien, eure Religion und heiligen Schriften. Was immer ihr denkt, es ist der Mind. Alles, was bekannt ist, alles, was man wissen kann, alles, was wissbar ist, liegt innerhalb des Mindes. Ein zur Ruhe gekommener Mind bedeutet die Befreiung vom Bekannten. Yoga ist ein Sprung ins Unbekannte, aber es ist nicht ganz richtig, es „das Unbekannte“ zu nennen, wir sollten eher sagen: das Unerkennbare.

Was ist der Mind? Was tut er? Was ist er? Gewöhnlich glauben wir, dass der Mind etwas Substantielles sei. Patanjali stimmt dem nicht zu – und niemand, der jemals den Kern des Mindes erkannt hat, wird dem zustimmen; auch die moderne Wissenschaft ist da anderer Meinung. Der Mind ist nichts Dinghaftes, der Mind ist eine Funktion, eine Bewegung.

Du gehst und ich kann dann sagen: Du gehst gerade. Aber was ist Gehen? Wenn du anhältst, wohin ist das Gehen verschwunden? Wenn du dich hinsetzt, wo ist das Gehen geblieben? Gehen ist nichts Substanzielles, es ist eine Bewegung. Also kann, während du sitzt, niemand fragen, „Wo hast du dein Gehen gelassen? Eben noch bist du gegangen, wo ist also das Gehen geblieben?“ Du wirst lachen. Du wirst sagen: „Gehen ist nichts Substanzielles, es ist nur eine Aktivität. Ich kann gehen! Ich kann immer wieder gehen und ich kann aufhören zu gehen. Es ist nur eine Aktivität.“

Ich habe immer wieder von Bodhidharma erzählt. Er wanderte nach China und der Kaiser von China besuchte ihn.

Der Kaiser sagte: „Mein Geist ist sehr unruhig und durcheinander. Du bist ein großer Weiser und ich habe auf dich gewartet. Sage mir, was ich tun soll, um meinen Geist zur Ruhe zu bringen“.

Bodhidharma sagte: „Tue nichts. Bring mir zuerst deinen Geist.“

Der Kaiser konnte das nicht verstehen. Er sagte: „Was meinst du damit?“

Bodhidharma sagte: „Komm am frühen Morgen um vier Uhr, wenn niemand hier ist. Komm allein und denke daran, deinen Geist mitzubringen.“ Der Kaiser konnte die ganze Nacht nicht schlafen, er zweifelte sogar, ob er wirklich zu Bodhidharma gehen sollte.

Er dachte: „Dieser Mann scheint verrückt zu sein. Was meint er damit, wenn er sagt, ich soll mit meinem Geist kommen und ihn nicht vergessen!“ Aber dieser Mann war so faszinierend, so charismatisch, dass er die Verabredung nicht rückgängig machen konnte. Wie von einem Magnet angezogen, sprang er um vier Uhr aus dem Bett und sagte: „Was immer passiert, ich muss hingehen. Vielleicht ist etwas an diesem Mann, seine Augen sagen, dass etwas an ihm dran ist. Die Sache sieht ein bisschen verrückt aus, aber ich muss trotzdem gehen und sehen, was geschehen kann.“

So kam er dort an und Bodhidharma saß da mit seinem großen Stock. Er sagte: „Du bist also gekommen? Wo ist dein Geist? Hast du ihn mitgebracht oder nicht?“

Der Kaiser sagte: „Du redest Unsinn. Wenn ich hier bin, ist mein Geist hier und er ist nicht etwas, das ich irgendwo vergessen kann. Er ist in mir.“

Bodhidharma sagte: „Okay. Der erste Punkt ist also entschieden – der Geist ist in dir“.

Der Kaiser sagte: „Okay, der Geist ist in mir.“

Bodhidharma sagte: „Jetzt schließe deine Augen und finde heraus, wo er ist und wenn du ausfindig machen kannst, wo er ist, dann gib mir das sofort zu verstehen. Ich werde ihn zur Ruhe bringen.“

Der Kaiser schloss seine Augen und mühte und mühte sich und schaute und schaute. Je mehr er schaute, desto bewusster wurde ihm, dass da gar kein Geist ist, dass der Geist eine Bewegung ist. Es ist nichts, was man dingfest machen könnte. Aber in dem Moment, wo er dies bemerkte, wurde ihm die Absurdität seiner Suche klar. Wenn es nichts ist, dann kann auch nichts daran geändert werden. Wenn es etwas ist, das du tust, dann tu es einfach nicht – das ist alles. Wenn es wie Gehen ist, dann geh nicht. Er öffnete die Augen.

Er verbeugte sich vor Bodhidharma und sagte: „Es ist kein Geist da, den man finden könnte.“

Bodhidharma sagte: „Dann habe ich ihn zur Ruhe gebracht. Und immer wenn du fühlst, dass du unruhig bist, blicke einfach nach innen und schau dich um, wo diese Unruhe ist.“

Dieses Sehen ist jenseits des Mindes, dieses Sehen ist ein Nicht-Denken. Wenn du intensiv siehst, wird deine ganze Energie zum Sehen. Wenn du außerhalb der Mind-Bewegungen bist, bist du im Yoga; wenn du im Denkprozess bist, bist du nicht im Yoga. Du kannst also so viele asanas einnehmen, wie du willst, wenn du dabei weiterhin im Mind bleibst, ist dies nicht Yoga. Yoga ist jenseits des Mindes.

Wenn du ohne Yoga-Haltungen außerhalb des Mindes sein kannst, bist du im Yoga. Das ist vielen geschehen, ohne je in die asanas gegangen zu sein und vielen ist es nicht geschehen, obwohl sie sich seit vielen Leben mit Yoga-Haltungen abgemüht haben.

Patanjali sagt also: Schau einfach zu. Lass den Verstand laufen, lass den Geist tun, was immer er tut. Schau einfach hin. Misch dich nicht ein. Sei Zeuge, sei Zuschauer – nicht betroffen, so als gehörte dein Geist nicht zu dir, so als hätte er nichts mit dir zu tun, als wäre er nicht deine Sache. Sei unbeteiligt! Schau hin und lass den Verstand laufen. Er läuft aus einem vergangenen Antrieb heraus, weil du immer nachgeholfen hast. Diese Aktivität ist von selbst in Schwung gekommen und nun ist sie in Gang. Viele, viele Leben lang – eine Million Leben vielleicht – hast du mit Gedanken zusammengearbeitet, hast du ihnen geholfen, hast du ihnen deine Energie gegeben. Wenn du mit ihnen nicht mehr kooperierst, wenn du unbeteiligt zusiehst – Buddhas Wort dafür ist upeksha, Zusehen ohne jede Betroffenheit, einfach zusehen, in keiner Hinsicht etwas tun – dann werden die Gedanken eine Weile weiterströmen und schließlich von alleine anhalten.

Wenn der Antrieb verloren gegangen ist, wenn die Energie verflossen ist, werden die Gedanken anhalten. Und wenn die Gedanken anhalten, bist du im Yoga: deine Disziplin ist angekommen. Der Zeuge ist in sich selbst zu Hause.

2. Kapitel

Richtiger und falscher Gebrauch des Verstandes

Der Verstand kann entweder Quelle der Gefangenschaft oder Quelle der Freiheit sein. Es hängt ganz davon ab, wie er gebraucht wird. Die richtige Anwendung des Verstandes führt in die Meditation, sein falscher Gebrauch führt in den Wahnsinn.

Der Mind ist in jedem von uns vorhanden. Er beinhaltet die Möglichkeit von Dunkelheit wie auch von Licht; er ist weder Feind noch Freund, aber du kannst ihn dir zum Freund oder zum Feind machen. Wenn du den Mind zu deinem Werkzeug machst, kannst du das Höchste erreichen. Wenn du sein Sklave bleibst, wird er dich in die tiefste Qual und Dunkelheit führen.

Alle Methoden des Yoga befassen sich im Grunde nur mit der Frage, wie wir den Mind gebrauchen. Richtig eingesetzt, kommt er an den Punkt, wo er über sich hinaus führt. Falsch eingesetzt, wird er zu einem einzigen Chaos – lauter widersprüchliche Stimmen – konträr, verwirrend, verrückt.

Ein Verrückter in einer Irrenanstalt und Buddha unter seinem Bodhibaum – beide haben den Mind gebraucht, beide sind die Wege des Mindes gegangen. Buddha ist an einen Punkt gelangt, an dem sich der Mind auflöst. Richtig gebraucht, beginnt dessen Auflösungsprozess – es kommt der Augenblick, wo es ihn nicht mehr gibt.

Auch der Verrückte hat ihn eingesetzt. Falsch gebraucht, zersplittert der Mind in viele Fragmente, er wird zu einer Menge. Und schließlich ist nur noch ein verrückter Geist da – du selbst bist vollkommen abwesend. Auch Buddhas Mind ist verschwunden, aber Buddha ist in seiner Totalität anwesend. Der Mind eines Verrückten hat sich als Ganzes verselbstständigt, der Verrückte selbst hat sich verloren.

Es kommen immer wieder Leute zu mir und fragen, „Was geschieht mit dem Verstand eines Erleuchteten? Verschwindet er einfach? Kann er ihn nicht benutzen?“ Er verschwindet als Herr, aber er bleibt als Diener. Er bleibt als ein passives Werkzeug. Wenn ein Buddha ihn benutzen will, dann benutzt er ihn. Wenn Buddha zu euch spricht, wird er ihn benutzen müssen, weil Sprache ohne den Verstand nicht möglich ist. Der Verstand muss eingesetzt werden. Wenn du zu Buddha gehst und er dich erkennt – erkennt, dass du schon früher bei ihm gewesen bist – muss er seinen Verstand gebrauchen. Ohne Verstand kann es kein Erkennen geben: ohne Geist gibt es kein Gedächtnis. Aber er benutzt ihn, das ist der Unterschied. Ihr werdet vom Verstand benutzt.

Buddha bleibt wie ein Spiegel. Wenn du vor den Spiegel trittst, reflektiert dich der Spiegel. Wenn du weggegangen bist, ist auch das Spiegelbild verschwunden und der Spiegel ist leer. Du aber bist nicht wie ein Spiegel. Du siehst jemanden: der Mann geht weg, aber du denkst über ihn nach, die Reflexion geht weiter. Selbst wenn du aufhören möchtest, wird der Verstand nicht darauf hören. Buddha lebte nach seiner Erleuchtung noch vierzig Jahre lang in seinem Körper. Vierzig Jahre lang hielt er Reden, erklärte unermüdlich und machte den Leuten begreiflich, was ihm geschehen war und wie ihnen das Gleiche geschehen könnte. Er benutzte den Verstand; der Verstand hatte nicht aufgehört zu funktionieren. Und als er nach zwölf Jahren in seine Heimatstadt zurückkam, erkannte er seinen Vater, seine Frau und seinen Sohn.

Der Verstand war da, die Erinnerung war da, ein Wiedererkennen wäre sonst unmöglich gewesen.

Der Verstand stirbt nicht wirklich. Wenn wir sagen, dass das Denken aufhört, meinen wir damit, dass die Identifikation mit ihm gebrochen ist. Jetzt weißt du, dass jenes der Verstand ist und dieses du bist. Die Brücke ist durchbrochen. Jetzt ist der Verstand nicht mehr Herr im Haus. Er ist zum Hilfsmittel geworden.

Indem du Zeuge bist, verschwindet die Identifikation – nicht der Mind. Aber wenn die Identifikation verschwindet, bist du ein vollkommen neues Wesen. Zum ersten Mal erfährst du, wer du bist. Es ist genauso, als wärest du ein Pilot, der ein Flugzeug fliegt. Du gebrauchst viele Instrumente: Deine Augen arbeiten mit vielen Hilfsmitteln zusammen, sie sind ständig auf dieses oder jenes gerichtet. Aber du bist nicht die Hilfsmittel.

Dieser Mind, dieser Körper und all die Funktionen des Körper-bMindes bilden ein System um dich herum. In diesem System kannst du auf zweierlei Weise existieren: die eine Lebensweise besteht darin, dich selbst zu vergessen und das Gefühl zu haben, du wärest nichts als dieses System. Das ist Abhängigkeit, das ist Unglück, das ist Welt. Eine andere Art, damit umzugehen, besteht darin, dir bewusst zu werden, dass du getrennt davon bist, dass du etwas anderes bist. Dann kannst du das System weiter benutzen, aber es besteht ein wesentlicher Unterschied, du bist mit dem System nicht mehr identisch. Und wenn etwas nicht funktioniert, kannst du versuchen, es in Ordnung zu bringen, aber du selbst wirst dadurch nicht gestört sein.

Wenn Buddha stirbt und wenn du stirbst, sind das zwei völlig unterschiedliche Welten: Wenn Buddha stirbt, weiß er, dass nur der Körper stirbt. Er hat seinen Zweck erfüllt, er braucht ihn nicht mehr. Eine Last ist von ihm genommen: Er wird frei. Von nun an bewegt er sich ohne Form. Aber wenn du stirbst, ist das ganz anders: Du leidest, du weinst, weil du das Gefühl hast, dass du stirbst.

Dadurch, dass du Zeuge bist, verschwinden nicht die Funktionen deiner Gehirnzellen. Sie werden eher lebendiger, da jetzt weniger Konflikt und mehr Energie da ist. Sie werden ursprünglicher. Du wirst sie richtiger einsetzen können, genauer, aber du wirst nicht mit ihnen belastet sein und sie werden dich nicht zwingen, irgendetwas zu tun.

Dieses Wachsein wird dein Bewusstsein zu einem Höhepunkt bringen. Die Vergangenheit wird sich auflösen, die Zukunft wird verschwinden. Du wirst nirgendwo anders sein: du wirst genau hier und jetzt sein. Und in diesem Augenblick der Stille, da Denken nicht ist, wirst du in tiefer Verbindung mit deiner eigenen Quelle sein. Und diese Quelle ist Seligkeit, diese Quelle ist göttlich. Das einzige, was getan werden muss, ist also, in allem der Zeuge zu sein.

Die Meisterschaft über den Mind ist Yoga. Wenn er aufhört, dich zu beherrschen, wird er zu einem passiven Werkzeug. Du gibst ihm einen Auftrag und er führt ihn aus: Du gibst ihm keinen Auftrag und er bleibt still, er wartet; er hat seine Macht verloren. Wenn der gesamte Körper-Mind still geworden ist, dann beginnt das Zentrum des wahren Wissens zu arbeiten.

Wahres Wissen hat drei Quellen:

unmittelbare Erkenntnis, Schlussfolgerung

und die Worte der Buddhas.

Pratyaksha – unmittelbare Erkenntnis ist die erste Quelle wahren Wissens. Sie ist eine Begegnung ohne jeden Zwischenträger, ohne jedes Hilfsmittel, ohne jeden Vermittler. Wenn du etwas aus direkter Quelle weißt, steht der Wissende dem Gewussten unmittelbar gegenüber. Es ist keiner da, der die Verbindung herstellt, keine Brücke. Dies ist wahres Wissen – aber das ist nicht so einfach.

Pratyaksha ist meist falsch übersetzt, interpretiert und erklärt worden. Das Wort pratyaksha bedeutet „vor den Augen“ – „den Augen gegenüber“, aber Augen sind Vermittler, der Wissende selbst ist dahinter verborgen. Die Augen sind Medien. Du hörst mich, aber das ist nicht unmittelbar. Du hörst mich über die Ohren. Du siehst mich durch die Augen. Deine Augen, deine Ohren können dir etwas Falsches melden. Wenn deine Augen krank sind, wenn deine Augen unter Drogen stehen, werden sie etwas anderes melden, wenn deine Augen voller Erinnerung sind, werden sie etwas anderes melden. Verliebt siehst du mit anderen Augen. Eine gewöhnliche Frau wird zur schönsten Frau der Welt. Und derselbe Mensch kann hässlich erscheinen, sobald deine Augen voller Hass sind. Deine Augen sind nicht zuverlässig, sie sind nur Hilfsmittel.

Was also ist unmittelbare Erkenntnis? Unmittelbare Erkenntnis kann es nur geben, wenn kein Zwischenträger da ist, nicht einmal die Sinne. Dies nennt Patanjali wahres Wissen. Nur in tiefer Meditation gehst du über die Sinne hinaus. Dann wird unmittelbare Erkenntnis möglich.

Wenn Buddha sein innerstes Wesen erkennt, ist dies innerste Wesen pratyaksha