Liebe hat was Unanständiges, es geht den Beteiligten auf Teufel komm raus ums Umschlingen und Schleimen. Wir halten es mit der Verführung. Dabei werden Anstand und Sitte gewahrt, Umgangsformen spielen eine Rolle, Höf‌lichkeit, Sauberkeit, Disziplin werden nicht verachtet, sogar Talente können zum Einsatz kommen.

Grabbe verkasematükkelte sich einen, noch einen und immer wieder, bis zum Ende, weil die Mutter, die nicht geheure Gefängniswärterin in Detmold, ihm, um ihn ruhig zu halten und ihm das Daumenlutschen abzugewöhnen, schon als Säugling Klaren in die Aletekost gekippt hatte.

Ging mir ähnlich. Mutter stand an der Wohnungstür mit einem Löffel Wacholder. Den musste ich schlucken für den Schulweg. Kräftigung. Und es brannte, davon ich leichter rannte. Elend weit weg die Schule, Albersloher Weg hoch, durch Gremmendorf, und hinten im Feld Thürs im Busch, ein Ausflugslokal für radfahrende Münsteraner, heil geblieben, Schulen ja sonst kaputt. Bei Thürs im Busch war unsere Schule im gläsernen Saal, in dem sonst Kaffee und Kuchen serviert wurden. Wie ich den Lehrer bewunderte, der alle Klassen beschäftigen und beaufsichtigen musste. Mucksmäuschenstill saßen die Burschen, die mich sonst bei jeder Gelegenheit zu verkloppen drohten, Köppe eingezogen aus Angst vor dem Lehrer, einem kleinen Mann mit Holzbein und Rohrstock. Später, als ich in Münster auf die Realschule ging, kellnerte ich am Wochenende bei Thürs im Busch. Stunde fünfzig Pfennig, aber Trinkgelder reichlich. Getränke frei. Nüchtern kam ich da nie raus.

Jasein Neinsein Dochsein Frohsein Insein Hiersein Dortsein Großsein Schönsein Wohlsein Deinsein Sosein Dasein

Vorm Kölner Dom, Hausnummer 4 (Emailleschildchen am Hauptportal), ein Bettler in langem schwarzem Umhang, wie im Sturz …Theatralisches Meisterstück. Pilgerstock als letzte Stütze, eine Hand noch in seiner Mitte, als würde sie, sich nicht mehr haltend, abwärtsgleiten und der großartige Bettler ganz auf das Pflaster krachen. Im Jahr zuvor sah ich einen Bettler an gleicher Stelle am Boden hocken, traurig, hoffnungslos, verbeulten Hut auf, ein Schriftband drum: Humba humba täderetä.

1954. Die Ungarn wohnten in der Krone in Solothurn. Alle Solothurner von den Ungarn begeistert. Die Hotelfrau Wyss liebte sie, vor allem Puskás, so fein, elegant, charmant. Dagegen die Deutschen. Holzer, Beinwegtreter. So was hatte man noch nicht gesehen. Wie Krieg. Ekelhaft. Die Deutschen waren im Belvedere in Spiez. Der Geist von Spiez. Herberger immer bei seinen Jungs. Keine Frauen, keine Zigaretten, kein Alkohol. Und gegen die Türken, die Türken mussten leiden. Dann die Österreicher. Die Ungarn gewannen ziemlich hoch, ein hässliches Spiel. Einer säbelte Puskás weg, der war dann für einige Spiele nicht einsetzbar. Die Ungarn absolvieren noch schwierige Spiele gegen Brasilien und Uruguay. Ziemlich mitgenommen, die Ungarn. Dann feiern die Solothurner noch bis vier Uhr vor der Krone, am Vorabend des Spiels gegen die Deutschen. Guggenmusik. Hat die Wirtin organisiert. Und noch ein Gläschen, weil Puskás Geburtstag hat. Im Belvedere spritzt derweil der Mannschaftsarzt Vitamine. Später bekommen einige Spieler Gelbsucht. Einer stirbt, andere sterben auch erstaunlich früh. Andere fangen das Saufen an.

Die Deutschen feiern das als Wiedereintritt in die zivilisierte Welt. Wir sind wieder wer. Tor, Tor, Tor. Die Deutschen spielen nicht fein, nicht gut, technisch unterlegen.

Für den Trainer eine Katastrophe. Schreibt Entschuldigungsbriefe an die Parteiführung. Noch auf dem Todesbett: Wir haben verloren.

Das deutsche Quartier in Spiez. Der Hotelier musste vorher die Holländer, die gebucht hatten, rausschmeißen. Gästewechsel. Seitdem hat er die Deutschen am Hals. Vor der Krone in Solothurn an Puskás’ Geburtstag weiterhin Guggenmusik.

Wildpark in der Eifel. 1 mächtiger Rothirsch, 4 anmutige Rehe, 1 kristallklarer Bach, 1 reizvolles Wiesental, angeschlossen das Schmidt’sche Lokal, Spezialitäten: Wildgerichte. Hinweis: Unsere Tiere mögen am liebsten das am Kiosk erhältliche Original-Futter.

Hinter der schönen Frau, hinter dem Hintern der schönen Frau, hinter den Beinen der schönen Frau, hinter den schlanken Beinen der schönen Frau in den schwarzen Stiefelchen mit dem hohen Absatz, hinter dem schwarzen Faltenrock der schönen Frau, hinter dem schwingenden Faltenröckchen der schönen Frau, hinter den langen blonden Haaren der schönen Frau, hinter den bis auf den Po hängenden blonden Haaren der schönen Frau, hinter der langsam dahinschlendernden schönen Frau vor dem Marine-Museum, hinter der Schrittchen für Schrittchen stelzenden schönen Frau ging ich, hielt es nicht mehr aus und überholte sie langsam, langsam an der schönen Frau vorbei, nicht zu eng, nicht zu weit, vor dem Marine-Museum, das Gesicht wollte ich sehen, das Gesicht der schönen Frau, ich wollte nicht aufdringlich sein, ich guckte, als guckte ich auf die Fassade des Marine-Museums beim langsamen Überholen, das heißt, für einige Sekunden ging ich auf gleicher Höhe mit der schönen Frau und sah zum Marine-Museum, und sah ihr Gesicht, das schöne Gesicht der Frau, die schöne Frau hielt ein Handy ans Ohr, mutiger geworden, schaute ich von der Fassade des Marine-Museums voll in das Gesicht der schönen Frau, oh, sie telefonierte mit ihrem Gott.

Wie ein Hausbesitzer, der ohne Hausmeister auskommen muss, schiebe ich mit einem nicht dafür vorgesehenen Besen Schnee von der Treppe des Alten Dampfbads. Mein Altes Dampfbad, mein alter Besen, mein alter Arm. Dabei will ich ja nicht raus auf die Straße, ich bleibe, wo ich bin, es tut mir auch leid um den Schnee. Er tut mir nicht weh. Außerdem ist die Stadt, der das Alte Dampfbad gehört, bei der Badischen Gemeindeversicherung im Topf. Wer hier ausrutscht, ist versorgt. Ich fege und fege. Schließlich wohn ich hier, bin der einzige Bewohner. Sonst nur Ausstellungsräume und aus dem Keller die Dämpfe der Ursprungsquelle. Das Herzstück dieses seltsamen Ortes. Ich fege, was der Besen hergibt.

könner kotzen

kenner kennen

woller wollen

nicker nicken

knicker knickern

schleimer schleimen

ficker ficken

meister meistern

künstler künsteln

dichter dichten

mörder morden

lüstler lüstern

götter geifern

schieber schieben

päpste papsen

Im Laufe ihrer Beziehung entwickelte Hugo sonderbare sexuelle Praktiken. Lass uns das mal ausprobieren. Das ging ja noch. Schwieriger für sie wurde es, als er begann, seinen Orgasmus zu messen. Das störte echt. Er brachte seine Schachuhr mit ins Schlafzimmer, stellte sie auf den Nachttisch, und wenn er meinte, das Ejakulat ankündigende Kribbeln im Rückenmark zu spüren, haute er auf die Uhr, ein Geräusch, das sie, ihrerseits in präorgasmischer Lage, als äußerst desillusionierend empfand. Beim ersten Samenaustritt haute er dann noch mal drauf und las die Sekunden ab, sieben oder acht, manchmal vergaß er aber den letzten Schlag auf die Uhr und lag nach dem Erguss deprimiert da, als sei alles umsonst gewesen.

Ich glaube, sagte er dann, diesmal war es länger, zehn oder zwölf Sekunden, aber ich habe keinen Beweis.

Kunst ist erlernbar, Kunst ist eine Wissenschaft, die es zu begreifen gilt. Goethe ist in dieser Wissenschaft gern Schüler. Die Schönheit liegt in der Harmonie aufeinander abgestimmter Maße, a plus b gleich c, die Perspektive muss stimmen, die Farbe nach der Natur sein. Fleißig muss man üben, gute Lehrer soll man haben, und sich Zeit lassen.

In Neapel merkt er, die Rechnung geht nicht auf, er besorgt sich darum lieber eine Kodak: Kniep, den Maler. Goethes Kodak hieß Kniep, sagt Ossip Mandelstam. Kniep hat für ihn die Landschaften Siziliens abzubilden, knips, und Kniep knipst Sizilien, nach Goethes Blicken. Goethe wählt den Standort, und dann knipst Kniep, klick. Die Ergebnisse werden als Kartons bezeichnet. Später in Weimar, wenn Gäste mit am Tisch sind, bringt Goethe einen Stapel Kartons mit Knieps Zeichnungen und erklärt geduldig die Tempel, die Berge, die Flüsse. Goethe verwandelt sich dabei nachgerade in einen Sizilianer.

Interniert in Kaserne in Nagold. Ich habe Tabletten für drei Tage. Es ist nicht klar, warum wir und eine Hundertschaft mir Unbekannter da eingeschlossen sind. Soll ich meine Herzkrankheit nutzen und dem Direktor des Lagers sagen, rufen Sie meinen Hausarzt an, es geht um Leben und Tod, in drei Tagen sind meine Drogen alle. Dann überwiegt Sorge, sie könnten in meine Wohnung gehen, um die Tabletten zu holen, und alles durcheinanderbringen. Schlimmes Erwachen.

In Landau bei Schnee. Da gibt es einen großen viereckigen Platz mit einem Reiterdenkmal des Prinzregenten Luitpold. In Landau ist auch der Landauer erfunden oder zum ersten Mal vorgespannt oder gemacht worden, und der Onkel der Anne Frank hat dort gewohnt, wo heute eine Wirtschaft ist. Sonst wissen wir nichts über Landau. Amerikaner sollen viele da sein, Bundeswehr, vorher Wehrmacht, vorher Bayern. Immer Soldaten. Landau ist oder war Festung. Die Weine sind hier günstig. Pfälzer Riesling für nicht viel. Es schneite, und wir suchten die Kneipe am großen Platz, wo wir am Vorabend einen Schal liegengelassen hatten. Wir kamen an einer großen Kirche vorbei, in der gesungen wurde. Ein feste Burg ist unser Gott. Wir sangen erst leise, dann vernehmlich mit, ein feste Burg kennen wir, ein schönes Lied. Produkt einer Stimmung, in der man der realen Welt am liebsten den Hals umdrehen möchte. Treuherzig und gottinnig sangen wir es in Landau im Schnee, Sonntag bei Schluss der Veranstaltung in der Martin-Luther-Kirche. Die Landauer sangen drinnen, wir draußen. Wir nicht so laut.

Das Lächerliche und das Erhabene, das waren seine Erlebnisfelder, oft war er lächerlich, wenn er sich erhaben fühlte, manchmal strahlte er konfuzianische Ethik und Höf‌lichkeitskultur aus, wenn er sich lächerlich machte.

Spielten die Kinder, meinten sie, die Großmutter, die gesagt hatte, ich hab ein Auge auf euch, stände am Fenster und sähe ihnen zu. Der Vater war elegant und flattrig, Elke hat ihn kaum gesehn. Die Mutter war klein, arm und völlig überfordert, als sie schwanger wurde, mit 45. Das schaff ich nicht ohne dich, sagte sie zu Elke, als sie im fünf‌ten Monat war. Elke sollte bald begreifen, wie das gemeint war. Sie, die vierzehn war, wurde Mutter. Nährte und kleidete den Jungen, passte auf ihn auf. Mutter ging arbeiten. Elke lud ihre Freunde ein. Am Anfang fanden sie das Kind noch lustig, dann nicht mehr so. Keiner besuchte sie mehr. Sie saß allein mit dem Jungen und lernte, was sollte sie sonst tun.

Dann gab es noch die älteren Brüder. Der eine wollte Künstler werden. Wurde Schüler bei Beuys. Aber zweifelte nur, zweifelt noch heute. Rückte nie ein Bild raus, es sei noch nicht fertig. Schließlich bekam Schwager Horst, ihr Mann, mal eins, taugt aber nichts, sagte der Maler, ist noch nicht fertig, nur weil du unbedingt willst.

Der andere macht Fahrradkataloge als Graphiker, versteht aber nichts von Fahrrädern. Versager, alle beide. Heute versteht man sich wieder.

Mutter starb vor einigen Jahren. Normal? Immer Angst

Irgendwann musste Elke in psychiatrische Behandlung. Drei Monate in der Klinik. Dann wieder fleißig. Lehrerin.

Irgendwann Horst. Der fuhr immer aus Regensburg an. War da verheiratet, glaubte aber kirchlich-katholisch. Elke protestantisch, gläubig. Küsse nur nach langen Aussprachen.

Elke bekam ein Kind von Horst. Das starb bald. Elke wurde Trauernde im Arbeitskreis Trauer. Schrieb zwei Rose-Ausländer-Gedichte über Trauer ab. Täglich. In der Handtasche immer zur Verteilung dabei. Sie hätten ihr geholfen, hülfen ihr immer noch.

Wird’s jemals wieder schneien kälten eisen

Oder killt die Sonne kalt die weißen

Nächte die im Bett gern knackig heißen

Wir saßen am Tisch und blätterten in Telefonzeichnungen. Yeon Shin, Alfonso und ich. Alfonsos Telefonzeichnungen sind berühmt, wenn nicht berüchtigt. Alfonso ruft ja Leute an, und unter dem Vorwand, dass er mit ihnen plaudern wolle oder eine wichtige Angelegenheit zu besprechen habe, beginnt er zu zeichnen. Der Angerufene oder die Angerufene, die ja von der Hinterrücks-Zeichnerei nichts wissen, denken irgendwann, ja verflixt, eigentlich müsste das Gespräch doch mal endlich zu Ende sein, aber das Gespräch ist erst zu Ende, wenn Alfonso mit seiner Zeichnung fertig ist. Der Gesprächspartner wird von Alfonso wie ein Modell benutzt. Mittlerweile gibt es 4798 Telefonzeichnungen von Alfonso, sie waren alle im ZKM ausgestellt. Nun, wir sitzen also da am Tisch, schauen uns gut hundert Stück an, bewundern den Einfallsreichtum, die Formen, die Kunst der Linienführung und so weiter. Unten oder oben auf der Zeichnung steht immer die Telefonnummer. Wir wollen von Alfonso wissen, ob er die nicht einfach so hingeschrieben hat, ob er wirklich diese Nummer angerufen und die entstandene Zeichnung etwas mit diesem Anruf zu tun hat. Ruft doch an, sagt Alfonso. Yeon Shin holt das Telefon. Ich wähle eine Zeichnung aus, zeige auf die Nummer und frage Alfonso, ob er eine Vorstellung habe, wer das sein

Und, hat sie? Das kann ich ja aus der Zeichnung nicht entnehmen, sagt Alfonso, die Zeichnung ist ja nur eine momentane Über‌tragung aus dem damals geführten Gespräch.

Wir glauben ihm kein Wort.

Yeon Shin tippt die Nummer ein, wir warten. Ziemlich lange. Dann meldet sich eine französisch sprechende Frau. Yeon Shin fragt, kennen Sie Alfonso? Wen? Hüppi, Alfonso. Lange Pause. Nein, ich kenne den nicht, aber meine Schwester. Dann erzählt die Frau, unter der angewählten Nummer habe früher ihre Schwester gewohnt, die habe wohl Hüppi gekannt, zumindest habe sie zwei Bilder über eine Galerie gekauft, teure Bilder, ihr Mann habe sich darüber fürchterlich aufgeregt und sei aus der Wohnung ausgezogen, ihre Schwester habe daraufhin eine Weltumseglung angetreten, ihre Schwester sei nämlich eine begeisterte Seglerin – betreibe heute eine Segelschule in Nizza.

Wo bin ich? Im Netz. Was ich sehe, sieht mich auch. Wohin ich klicke, blickt es zurück. Auch im Auto: Wenn ich nicht weiß, wo ich bin, der Satellit weiß es. Alles, was ich beklicke, rundet das Bild ab, das das Netz von mir hat. Ich weiß noch nicht, was ich will, die Netzer schon. Ich lenke meine Klicks nach meinem Interesse, ich bringe mich meinem Interesse immer näher, ich bin mächtig nah dran, ich folge. Ich hänge am Faden.

Früher ging ich spazieren und ließ mir was einfallen.

Heute klick ich mich ein und bleib dran und komm nicht mehr raus. Und was ich erfahr, ist nicht für mich. Am Ende des verklickten Tages rät mir das Netz, geh spazieren, atme Luft, blick um dich.

Mit scharfen Augen hat die Polizei am 16. Dezember in Gültlingen bei winterlichen Temperaturen einen Mann entdeckt, der in einem See nackt badete.

Die Polizei stellte die Personalien des 39