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Nr. 3026

 

Atlan und die Kristallsklaven

 

Der Arkonide auf besonderer Mission – unterstützt vom TARA-Psi

 

Michael Marcus Thurner

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Letzter Spaziergang

2. Einige Tage früher die Varanz-Schnecken

3. Diplomatische Ränkespiele

4. Einige Tage früher der Handel

5. Annäherung

6. Einige Tage früher das Schmerzhaus

7. Gespräche

8. Einige Tage früher in den Kristallminen

9. Entscheidungen

10. Gerettet

11. Befreiung und Tod

12. Gespräche und Rückkehr

13. Die gestürzte Himmelsschnecke

Journal

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende von Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.

Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Die Rückkehr von seiner letzten Mission hat ihn rund 500 Jahre weiter in der Zeit katapultiert. Eine Datensintflut hat fast alle historischen Dokumente entwertet, sodass nur noch die Speicher der RAS TSCHUBAI gesichertes Wissen enthalten.

Während sich Perry Rhodan in die Heimat der geheimnisvollen Cairaner aufmacht, kümmert sich Atlan um die Lage in der Milchstraße. Ganz besonders interessiert ihn dabei das Territorium seines Volkes. Bald geht es um ATLAN UND DIE KRISTALLSKLAVEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Trubarg – Ein Mächtiger steigt ab.

Atlan – Ein alter Mann sieht eine neue Zeit.

TARA-Psi – Ein Roboter kann mehr als andere.

Gonk – Der Soldat ist in Waffen vernarrt.

1.

Letzter Spaziergang

 

Wir nahmen einen der vielen, schmalen Wege des Wildparks. Fichten, Tannen und Buchen wechselten einander ab, da und dort entdeckte ich eine Esche. Vereinzelt waren moosbedeckte Findlinge zu sehen, Gesteinsbrocken so groß wie Häuser.

Es ging bergauf und bergab. Weg von einem schmalen Flusslauf und dann wieder hin zum Wasser, dessen Rauschen uns seit einer Stunde begleitete.

Perry rutschte weg, nicht zum ersten Mal an diesem Tag. Er hatte Mühe, wieder auf die Beine zu kommen. Er zog sich an einer feuchten Wurzel hoch und schloss zu mir auf.

»Brauchst du Hilfe?« Ich schenkte ihm mein gemeinstes Lächeln.

»Nicht von einem ... Beuteterraner«, keuchte Perry.

»Ich sagte doch, dass du die falschen Schuhe anhättest.« Ich deutete auf meine Vario-Sandalettos, die je nach Bedarf Stoppel, Spikes oder Stollen ausfuhren, feste Zugbänder um die Knöchel wanden und ausgezeichneten Halt gaben. Sie legten Spritzschutzfolien bis zu den Knien hoch, warnten davor, wenn der Untergrund nachzugeben drohte, und boten viele weitere Feinheiten.

»Vario-Sandalettos tragen nur Weicheier«, sagte Rhodan.

»Als solches bin ich nur selten bezeichnet worden.«

»Die Jahrtausende haben dich nun mal schwach und hinfällig werden lassen. Sieh es endlich ein ...«

Perry rutschte erneut weg und kullerte den Abhang hinunter. So sehr er sich bemühte, Halt zu finden – er schaffte es nicht.

»Ich warte oben auf dich!«, rief ich meinem Freund zu, der in einer zentimetertiefen Lache zu liegen kam. In einem Bog, wie es die Rudyner nannten. »Du findest dich sicherlich allein zurecht, nicht wahr?«

Ich ignorierte das Fluchen Rhodans und setzte meinen Weg fort, ohne mich nochmals umzudrehen.

 

*

 

Der Gipfel war kaum dreihundert Meter hoch, und doch hatte er etwas Erhabenes an sich. Staunend sah ich mich um.

Im Süden gischtete stürmische See gegen die Küstenlandschaft Neu-Terranias. In der salzgetränkten Luft waren die schroffen Felsklippen gerade eben so zu erahnen. Östlich und westlich von uns breiteten sich die städtischen Konglomerate aus. Wir selbst standen auf der höchsten Erhebung eines breiten Keils aus Grün, der zwischen die Teilstädte gequetscht worden war.

Im Zentrum der großteils naturbelassenen Landschaft schwebte die Solare Residenz. Hinter uns, im Norden, falteten sich massive Gebirgszüge auf. Davor allerdings, etwas nordöstlich, zog das Terraneum alle Blicke auf sich.

Die blaue Sphäre hatte einen Durchmesser von mehr als einem Kilometer. Sie war der Erde bis ins kleinste Detail nachgebaut und wurde sogar von einem schemenhaft erkennbaren Mond umkreist. Das Terraneum war Mahnmal, Museum und Erinnerungsstück gleichermaßen. Die Terraner der Neuzeit benötigten dieses Holobauwerk, um nicht völlig zu vergessen, woher sie stammten.

Das Terraneum war in ein Lichtgeflecht eingebettet, das nacheinander besondere Flecken Terras betonte. In diesem Augenblick wurde der Nil hervorgehoben mit seinem Lauf wie eine weit verzweigte Wurzel. Er war Lebensader mehrerer Kulturen gewesen, wie ich nur zu gut wusste, und hatte über Jahrtausende hinweg große Bedeutung für das Vorwärtskommen der Menschheit gehabt.

Du verlierst dich wieder einmal viel zu tief in deinen Erinnerungen, mahnte der Extrasinn.

Ich schob die Gedanken an Nefer-Meryt beiseite. An eine meiner Gefährtinnen, die ich im Alten Ägyptens kennen- und lieben gelernt hatte.

»Zweiter!«, sagte Perry, als er neben mir ankam. Er stützte die Hände auf den Knien auf und atmete mehrmals tief durch.

»Du bist erschöpft? Das kommt davon, weil du früher mal geraucht hast.«

»Das kommt davon, weil deine verdammten Vario-Sandalettos die Schwerkraft um zwanzig Prozent reduzieren und ich Naivling der Meinung war, trotzdem mit dir mithalten zu können.«

»Was der Terraner nicht im Kopf hat, muss er in den Beinen haben.« Ich klopfte Perry auf die Schulter und grinste ihn an, er nahm es mit einem tiefen Seufzer zur Kenntnis.

Wir schwiegen nun, standen einfach nur da und genossen die Stille. Wir waren mutterseelenallein. Um diese frühe Uhrzeit war kaum etwas los im Residenzpark. Unter uns entdeckte ich zwei Jogger, die einen von Beerensträuchern gesäumten Weg entlangliefen, über uns schrie ein kreisender Raubvogel voll Verlangen nach einer Gefährtin.

»Morgen geht's also los«, sagte ich.

»Richtig.«

»Es ist verdammt weit bis zum Galaxien-Geviert. Selbst mit der RAS TSCHUBAI. Wer weiß, wann wir uns wiedersehen.«

»Es wäre nicht das erste Mal, dass wir uns für einige Zeit aus den Augen verlieren. Warst du nicht gerade eben noch am Ende der Zeit?«

»Am Ende einer Zeit«, verbesserte ich meinen Freund. »Und selbst das ist bereits einige Jahre her.«

Warum redeten wir bloß so albern herum? Warum gaben wir uns nicht einfach die Hand und verabschiedeten uns?

Weil ihr sentimentale alte Männer seid, meinte der Extrasinn. Weil ihr euch mögt, obwohl ihr in vielerlei Hinsicht unterschiedlich seid. Vermutlich habt ihr Angst davor, einander nicht wiederzusehen.

Der Extrasinn redete Unsinn, wie so oft.

»Da glauben die meisten, wir Unsterbliche hätten unendlich viele Tage und dass unsere Leben bedeutsamer als die anderer Lebewesen wären«, sagte Perry mit jener Bitternis in der Stimme, die ich nur zu gut von mir selbst kannte. »In Wirklichkeit aber rauschen die Jahre nur so an uns vorbei. Wir handeln. Wir tun unser Bestes, um den Völkern der Milchstraße zu helfen. Wir kämpfen mit Feinden aus ganz anderen Gewichtsklassen und hoffen, dass wir irgendwie über die Runden kommen und ein Unentschieden erreichen. – Aber was haben wir davon? Wie viele Tage wie den heutigen dürfen wir erleben? Wie oft können wir einfach nur wandern gehen, die Seele baumeln lassen und herumalbern?«

»Ich habe keine Antworten, Perry.« Ich starrte an meinem Freund vorbei ins Leere. »Ich will auch nicht drüber nachdenken. Es würde mich umbringen, würde ich mir bewusst machen, was ich alles in meinem Leben verpasst habe. So viele Kinder, denen ich nicht beim Großwerden zusehen konnte. So viele Gefährtinnen, die alt geworden und gestorben sind ...«

Ein Gong ertönte, gleich darauf blitzte ein Licht unmittelbar neben uns auf. Daraus erwuchs eine uns gut bekannte Gestalt: Reginald Bull, genauer: eine Holoprojektion des Residenten.

»Wetten«, sagte er statt einer Begrüßung, »dass ihr euch gerade gegenseitig vorjammert, wie traurig euer Leben ist?«

»Unsinn!«, sagte Perry.

»Völliger Nonsens!«, pflichtete ich ihm bei.

»Wenn ihr euch sehen könntet, ihr beiden! Wie zwei Kinder, die man beim Kaugummidiebstahl aus einem Straßenautomaten erwischt hat.«

»Was willst du, Reg?« Perry seufzte, tief und lange. »Wir haben darum gebeten, nur in dringenden Fällen bei unserer Wanderung gestört zu werden.«

»Natürlich, natürlich.« Er fixierte mich mit Blicken. »Ich dachte bloß, es würde Atlan interessieren, dass wir Neuigkeiten aus M 13 haben.«

Ich wurde hellhörig. »Ich dachte, dass so gut wie keine Nachrichten aus meiner ehemaligen Heimat nach draußen dringen?«

»So gut wie keine, Atlan. In diesem Fall haben wir allerdings vage, aber ernst zu nehmende Hinweise bekommen, dass die Dinge in Bewegung geraten.«

»Geht's ein wenig genauer, Reginald?«

Bully verzog das Gesicht. Er mochte es ganz und gar nicht, wenn man ihn Reginald nannte. Es war wie der Ordnungsruf seiner Mutter für ihn.

»Larsav da Ariga scheint Interesse an einer Neuverhandlung der arkonidischen Beziehungen zur Lemurischen Allianz zu haben.«

»Larsav da Ariga ist nicht Arkon«, warf ich ein.

»Aber er ist primus inter Pares im arkonidischen Kerngebiet. Der Thantur-Baron. Der Chef der Vereinigten Sternenbaronien.«

Chef ... was für ein despektierliches Wort! Von keinem anderen Terraner hätte ich eine derartige Herabsetzung geduldet. Doch Bully hatte alles Recht der Welt, den Mitgliedern meines Volkes mit Zweifel zu begegnen. Wie hätte er jemals vergessen können, dass Imperator Bostich ihn einst zu vielen Toden hatte foltern lassen?

»Warum sollte Larsav da Ariga seine Baronien auf einmal nach außen hin öffnen?«, fragte Perry.

»Die Baronien Girmomar und Tschirmayn, Larsavs Hausmacht also, geraten zunehmend unter Druck. Von zwei Seiten. Einerseits fallen die Naatschen Freischaren immer wieder über arkonidische Siedlungswelten her. Sie argumentieren, dass sie die eigentlichen Ureinwohner von M 13 wären.«

Perry und ich wussten seit dem Angriff auf HEPHAISTOS nur zu gut von den Aktivitäten der Naats. Sie hatten während der letzten Jahrhunderte mächtig aufgerüstet – und erhielten unter Umständen technologische Schützenhilfe von einer weiteren Gruppierung, die ich aber bislang nicht zu identifizieren vermochte.

Die Freischärler waren die Speerspitze des neu gefundenen naatschen Selbstbewusstseins, und sie agierten unkontrolliert. Sie taten Dinge, die die Naat-Föderation als Staatengebilde nicht gutheißen durfte, die sie unter der Hand aber vermutlich unterstützte.

»Andererseits?«, forderte ich Reg auf, weiterzureden.

»Andererseits treten die Ladhonen immer unverschämter auf. Sie greifen die Arkoniden offen an. Im Raumschiffsverkehr, im Orbit von Handelswelten und auf Handelsstationen, selbst in den Kerngebieten der Baronien. Sie sind eine immense Bedrohung, zumal ihre Stärke und vor allem ihre Absichten unbekannt sind.«

»Ich verstehe.« Naats und Ladhonen also. Ich dachte nach.

Piraten waren seit jeher ein Problem für den freien Warenhandel – aber innerhalb der Milchstraße zumindest während der Zeit des Galaktikums ein marginales. Eines von vielen. Weitaus mehr Sorgen bereiteten hyperenergetische Phänomene und strahlenbelastete Routen sowie schlecht gewartete Raumschiffe. In letzter Zeit war es die Energieknappheit, die Entwicklungen im Raumschiffsverkehr behinderten. Hyperkristalle wie Salkrit, Howalgonium und Khalumvatt wiesen längst nicht mehr jenen Wirkungsgrad auf, den sie früher gehabt hatten. Schuld daran war ein Phänomen, dessen Ursache wir nicht kannten, aber für das wir einen Namen hatten: Hyperkorrosion.

»Wie wirst du vorgehen?«, fragte Perry.

»Ich möchte einen offiziellen Unterhändler nach M 13 schicken«, fuhr Bully fort. »Keinen Spitzenmann, sondern einen in untergeordneter Position.«

Ah. Die hohe Schule der Diplomatie. Man zeigte dem Verhandlungspartner, dass man durchaus Interesse hatte, und gab gleichzeitig zu verstehen, dass man längst noch nicht bereit war, offene Gespräche zu führen. Für derartige Fälle wurden gerne Leute aus der zweiten oder dritten Reihe des Korps herangezogen. Leute, die oftmals sachlich kompetenter waren als Repräsentanten an der Spitze der Hierarchie.

»An wen hast du gedacht?«, fragte ich.

»Ich schicke einen Provisionsdiplomaten. Einen, der diversen Parteien seine Dienste anbietet. In diesem Fall Rudyn und damit der Lemurischen Allianz.«

»Ah, dann meinst du wahrscheinlich Tono-C4.«

»Ja.«

Überraschte ich Bully mit meinem Wissen über seine Leute? – Nein. Er hatte mir Unterlagen über eine Hundertschaft seiner wichtigsten Kräfte zur Verfügung gestellt. Der Barniter Tono-C4 war ein hervorragender Diplomat – und darüber hinaus ein Agent des Nachrichtendienstes Ephelegon, des Geheimdienstes der Liga.

»Ist er der richtige Mann?«, hakte ich nach.

»Unsere Beziehungen zu den Vereinigten Sternenbaronien sind schlecht wie selten zuvor. Tono-C4 kann mit derartigen Situationen bestens umgehen. Außerdem ...«

»Ja?«

»Zum Donnerwetter!«, polterte Bully los, »Du weißt ganz genau, dass ich dich an Bord des Diplomatenschiffs haben möchte!«

Ich verkniff mir ein Lächeln. »Das kommt jetzt einigermaßen überraschend für mich. Du betrachtest mich als jemanden aus der dritten Reihe?«

»Also los, sag schon: Würdest du die Mission begleiten? Inkognito und inoffiziell?«

Sag endlich ja!, forderte mich der Extrasinn auf. Du siehst doch, dass er vor Anspannung fast platzt.

Ich ignorierte meinen Logiksektor. »Welche Befugnisse bekomme ich?«

Bully raufte sich die Haare und seufzte tief. »Es bleibt dir überlassen, ob und wann du dich als der ehemalige Kristallprinz des arkonidischen Imperiums zu erkennen gibst. Du entscheidest.«

»Habe ich die völlige Befehlsgewalt über die Mission?«

»Verdammt noch mal – selbstverständlich! Nun?«

»Ich überlege es mir. Reden wir heute am Abend dar...«

»Das reicht, Arkonidenhäuptling«, unterbrach mich Perry und fuhr, an Bully gerichtet, fort: »Atlan sagt zu. Wir sind in etwa drei Stunden zurück, dann könnt ihr die Details besprechen. Einverstanden?«

»Einverstanden«, echote der untersetzte Terraner mit dem feurigen Temperament. Sein Gesicht war rot angelaufen, er atmete tief durch. Er richtete anklagend seine Rechte auf mich. »Sollte ich deinetwegen an einem Herzinfarkt sterben, übernimmst du die Begräbniskosten, Arkonide.«

Ich grinste ihn an. »Ich mache mir um dich keine Sorgen. Du überlebst uns alle.«

Bully winkte zum Abschied, das Holo erlosch. Gleich darauf gab mein Armbandkom einen leisen Ton von sich. Ich erhielt Dateien, die der Resident zusammengestellt hatte und die mich auf meine Mission vorbereiten sollten.

»Er wusste ganz genau, dass ich sein Angebot nie und nimmer ablehnen würde.« Ich betrachtete die Dateienübersicht auf dem kleinen Bildschirm, ließ einige Holos entstehen, blätterte durch Verzeichnisse. »All die Aufregung von ihm war bloß gespielt. Andernfalls hätte er diese Informationen niemals so schnell zusammenfassen können.«

»Du solltest Bullys Masche allmählich kennen.«

»Er überrascht mich immer wieder.«

»Wenn man lange genug mit dir zu tun hat, weiß man gewisse Zeichen zu deuten.«

»Was soll das heißen?«

»Solange du Emotionen zeigst, weiß man, dass du dich natürlich verhältst. Wenn du aber ruhig wirst und dir jedwedes Lächeln verbeißt, ist klar, dass du bluffst. Nennt sich umgekehrte Psychologie, Arkonide.«

»Ihr hab mich also immer schon durchschaut?«

»Nicht immer. Ich würde sagen, erst ab dem Jahr 2100 alter Zeitrechnung.«

Rhodan winkte mir, ihm zu folgen, als er sich an den Abstieg von der Bergkuppe machte. Ich ging ihm hinterdrein und wartete auf die richtige Gelegenheit, ihm einen sanften Stupser in den Rücken zu geben und ihm eine weitere Rutschpartie durch Erdreich und Schlamm zu ermöglichen.

 

*

 

M 13 galt als höchst sensible Zone. Sowohl die Liga Freier Galaktiker als auch die Lemurische Allianz beobachteten die Entwicklungen im Inneren des Kugelsternhaufens mit großer Besorgnis.

Das eigentliche Arkonsystem war verschlossen. Im System existierte vermutlich noch immer der Atopische Konduktor, der aus der Kriegswelt Arkon III hervorgegangen war. Falls er nicht aufgrund der Scherung verschwunden war – diese Möglichkeit durfte man nicht ausschließen. Dazu kamen die innere Verschlossenheit der Baronien, die Aktivitäten der Naats, die Angriffe der Ladhonen ...

»Ich will vermeiden, dass die Unruhen aus M 13 auf den Rest der Galaxis übergreifen«, sagte Bully. »Bei all den Problemen zwischen den Vereinigten Sternenbaronien und uns: Wir brauchen Stabilität und keinen weiteren militärisch-politischen Brennpunkt.«

Ich nickte. Bully fasste meine eigenen Befürchtungen zusammen.

Wir saßen im Penthouse eines sündhaft teuren Hotels des Stadtviertels Rudyn-Archelago im Südwesten Neu-Terranias. Bully hatte uns zur Besprechung an diesen Ort gebeten und nicht in die Solare Residenz, den Regierungssitz der Liga. Außer Bully und mir waren Perry und Opiter Quint anwesend, der ertrusische Geheimdienstchef der Liga. Quint stand etwas abseits am Panoramafenster, er hielt uns den breiten Rücken zugewandt.

»Ich reise also mit der TREU & GLAUBEN?«, fragte ich.

»Richtig«, bestätigte Bully. »Kondayk-A1 ist erfahren, er gilt als erfolgreicher barnitischer Händler. Bei ihm seid Tono-C4 und du in guten Händen.«

Ich rezitierte Namen, die mir in den Unterlagen zu den Besatzungsmitgliedern als wichtig erschienen waren. »Cyprian Okri, vermeintlicher Buchhalter von Kondayk-A1. In Wirklichkeit ein schlauer, alter Mann und ausgebuffter Nahkämpfer und der Vorgesetzte des Barniters. Spand, der auf dem Zusatz Doktor besteht und einer der besten Mediker des Jahrhunderts – aber so aufgeblasen und überheblich, dass er jegliches Vorurteil gegenüber Aras zu bestätigen scheint. Giuna Linh und Lanko Wor, ein Menschenpaar, das von den Cairanern gejagt wurde und vermutlich immer noch auf allen Fahndungslisten steht. Giuna hat ihren Mann aus einer Ausweglosen Straße befreit, aus einem cairanischen Gefängnis, in dem den Insassen auf grausame Weise Vitalenergie entzogen wird ...«

»Allesamt gute und motivierte Leute«, unterbrach mich Bully. »So wie jedes andere Besatzungsmitglied der TREU & GLAUBEN. Außerdem möchte ich dir jemand besonders ans Herz legen ...«

»Willst du mich überwachen lassen?«

Mein Misstrauen erwachte – und das des Extrasinns. Wir wissen immer noch nicht, welche Rolle der Zellaktivator bei Bulls Verhalten spielt. Schließlich wurde er vom monovalenten Petschaft der Chaotarchen neu geprägt. Was, wenn der Resident insgeheim gegen uns arbeitet? Was, wenn er dir jemanden zur Seite stellt, der dich gegebenenfalls ausschalten soll?

»Keine Überwachung«, sagte Bully, »sondern eine Verstärkung. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich möchte dir den TARA-Psi für die Dauer der Mission überlassen.«

Der TARA-Psi. Ein Roboter im TARA-Design, der über Fähigkeiten verfügte, die man eigentlich nur Mutanten zuschrieb. Er war – soweit ich wusste – ein Prototyp und damit der Erste und bisher Einzige seiner Art.

»Hast du ein Dossier für mich?«, fragte ich misstrauisch, auf Anraten meines Extrasinns.

»Brauchst du nicht«, antwortete Bully mit genervt klingender Stimme. »Sprich mit Perry, er hat ihn bereits im Einsatz kennengelernt.«

»Der TARA-Psi ist eine Unbekannte«, sagte Perry und unterstützte mich damit. »Warum verrätst du uns nicht alles, was du weißt?«

»Weil es verdammt wenig ist. Ich bin selbst nicht in alles eingeweiht, was die Posbis und eine Gruppe von rudynschen Robotikern da zusammengewürfelt haben.« Bully ließ sich schwer auf ein Sofa fallen. Er wirkte mit einem Mal müde. »Ich bin mir sicher, dass man ihm vertrauen kann, auch wenn seine beiden Betreuer mit Informationen zu seinem Innenleben sparsam umgehen.«

»Du meinst das Terraner-Posbi-Duo?«, fragte ich.

»Richtig: Zaka Obando und Gholam. Sie werden dich ebenfalls auf deiner Mission begleiten. Vielleicht sind sie dir gegenüber ein wenig aufgeschlossener.«

»Die beiden betreuen den TARA-Psi seit langer Zeit. Warum hast du sie nicht längst ins Gebet genommen und gefragt, wie sie mit ihm verfahren?«

Opiter Quint wandte sich uns zu. »Wir sind auf eine gedeihliche Zusammenarbeit mit den Posbis auf Rudyn angewiesen«, sagte er mit brummiger Stimme. »Der TARA-Psi ist eine Art Verbindungsglied zwischen ihnen und uns. Würden wir zu sehr drängen, bedeutete das Scherereien mit wichtigen Verbündeten.«

»Willst du mir etwa sagen, dass der Direktor des NDE keine Versuche unternommen hat, die Hintergründe des TARA-Psi auszuloten?«

Opiter Quint schwieg. Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken und drehte sich erneut dem Fenster zu. Regen peitschte dagegen, über den Horizont zuckten fein gemaserte Blitze.

»Ich sage dir alles, was wir über den TARA-Psi wissen«, meldete sich Bully zu Wort.

»Ich bitte darum.«

»Es stimmt, dass unser Wissen große Lücken aufweist. Wir sehen, dass er in Zusammenarbeit mit seinen beiden Betreuern nach wie vor dazulernt. Er wird Simulationsreizen ausgesetzt, wie es bei jedem TARA-Kampfroboter der Fall ist. Er wurde auf so viele Eventualitäten im Einsatz wie möglich vorbereitet, damit er keine Fehlentscheidungen trifft. Womöglich können seine besonderen Gaben durch das Training weiter gefördert werden.«

»Weiter!«

»Gholam und Obando sorgen auch dafür, dass er ausreichend gefüttert wird.«

»Futter für einen Roboter? Kein Heu, nehme ich an?«

»Hör auf mit dem Unsinn, Atlan!« Bully schüttelte den Kopf. »Er besitzt ein PEW-Gerüst, das sein Plasma-Neuronalgewebe durchzieht und trägt. Er benötigt eine gewisse Menge Salkrit, um seine Fähigkeiten als Telekinet und Teleporter beizubehalten.«

Das war neu. Ich erwiderte Perrys Blick. Warum gab Bully sein Wissen bloß in kleinen Dosen weiter?

»Wie steht es um die Abschirmung der höherdimensionalen Strahlung? Salkrit emittiert recht breit, unter anderem im UHF- und im SHF-Bereich. In Teilen des Hyperspektrums, die nach wie vor nicht ausreichend erforscht sind. Anders gesagt: Salkrit ist unberechenbar.«

»Richtig«, antwortete Bully. »Es ist für biologische Strukturen aller Art gefährlich, im äußersten Fall sogar tödlich. Allerdings ist die Reichweite der letalen Strahlung auf unter einen Millimeter beschränkt. Sie tötet in der Regel nicht nach außen. Es sei denn ...«

»Ja?«, hakte ich nach.

»Es sein denn, der TARA-Psi strahlt sie bewusst und fokussiert ab.«

»Er kann seinen eigenen Lebenssaft zum Töten verwenden?«

»Er wird durch das Salkrit nicht angetrieben. Es hilft ihm bei der Anwendung seiner Parakräfte.«

»Ich verstehe. – Das Ding ist eine Bombe, Bully.«

»Nur, wenn du mit ihm kuschelst, Weißhaupt. Nochmals: Ich bin davon überzeugt, dass der TARA-Psi loyal ist.«

Du musst also auf Bullys Einschätzungsvermögen vertrauen. Willst du das?, fragte der Extrasinn.

»Na schön«, sagte ich laut. »Sollen er und seine Betreuer mitkommen. Ich werde die Loyalität unseres Blechfreundes im Einsatz testen. Ich hätte allerdings nichts dagegen, wenn Gucky mich ebenfalls begleiten würde.«

»Er hat bereits abgelehnt«, sagte Bully rasch.

Ich blickte Perry an. »Reist er etwa mit dir zum Galaxien-Geviert? Ich dachte ...«

»Er bleibt bei mir, im Ephelegonsystem«, unterbrach mich der Resident.

»Weil?«

»Er und ich, wir haben einiges zu besprechen.«

Dabei beließ es Bully, ich drang nicht weiter in ihn. Ich hatte so meine Vorstellungen, worum es in den Unterhaltungen zwischen den beiden ging. Gucky galt seit Jahrtausenden als der Letzte seiner Art. Er war einsam und oftmals unglücklich, ohne dass er diese Trauer zur Schau trug.

Bully hatte vor einiger Zeit eine Entscheidung getroffen, die ihn von Zeit zu Zeit schwermütig machte: Er hatte seine Familie nicht begleitet, sondern war geblieben, um für das terranische Volk da zu sein. Sein Altruismus hatte ihn viel gekostet – womöglich wollte er sich von Gucky Rat holen.

Außerdem galten Bully und Gucky ohnedies seit den Tagen der Dritten Macht als beste Freunde. Es war gut, wenn sie die Gelegenheit hatten, sich gegenseitig zu stützen.

»Die TREU & GLAUBEN soll übrigens nicht allein auf große Fahrt gehen«, sagte Bully und riss mich erneut aus meinen Gedanken.

»Bekomme ich eine Flotte zur Verfügung gestellt?«