René Christen

LICHTER in der NACHT

Die Offenbarung des Johannes entdecken Teil 1

Vorwort

Alles begann im Urlaub bei meinen Großeltern, als ich zwischen zehn und fünfzehn Jahre alt war: Wir saßen zusammen vor dem eingeschalteten Radiogerät – mein Großvater, die Tagesnachrichten, die offene Bibel und ich. Verstanden habe ich von all dem Gehörten nur wenig. Aber ich erinnere mich gut, wie mir mein Großvater mit bewegenden Worten erklärte, dass «alles so kommen wird, wie von den Propheten der Bibel vorausgesagt». Sein vorgelebter christlicher Glaube und seine Worte weckten unter anderem mein Interesse an der Bibel und ich las sie immer gerne.

Später, während des Theologiestudiums, entwickelte ich vermehrt eine Vorliebe auch für die jenseitigen und zukünftigen Themen. Ich begriff immer mehr: Der Gott, den die Bibel beschreibt, der muss mehr wissen über «die Letzten Dinge». Diesem Wissen wollte ich im Laufe der Jahre und in sorgfältiger Facharbeit immer mehr auf die Spur kommen. Das Theologiestudium, eine Menge Bücher und persönliche Studienprojekte mehrten mein Fachwissen. Dazu kamen die vielen Aufenthalte in Israel mit Forschungszeiten und der Arbeit als Tourguide, welche mir die archäologischen, geografischen und geopolitischen Dimensionen der biblischen Prophetie immer vertrauter machten. Und so freundete ich mich nach den Jahren der Vorbereitung mit dem Auftrag an, ein Buch über die Offenbarung des Johannes zu schreiben. Dabei ist mir bewusst, dass auch für dieses Projekt meine Erkenntnis nur Stückwerk ist, wie in 1. Kor 13,9 beschrieben. Es ist mein Versuch, die vielen Bibeltexte – nicht nur jene der Offenbarung des Johannes – bezüglich «der Letzten Dinge» in ihren Gesamtaussagen zu einem für uns heute verständlichen Bild zu vereinigen. Dabei soll dieses Bild so markant wie möglich von den ursprünglichen Bibeltexten geprägt sein, egal, ob wir das Ergebnis für uns heute passend und angenehm empfinden oder auch gerade nicht mehr.

Das vorliegende Buch «Lichter in der Nacht» verstehe ich als einen auch für Laien zugänglichen theologischen Beitrag. In den Gottesdiensten in der Kirche im Prisma zeige ich aufbauend auf diesen Grundlagen mehr die seelsorgerlichen Juwelen der Offenbarung des Johannes. Diese Gottesdienste können unter dem folgenden Link angesehen werden: www.prisma.tv.

«Lichter in der Nacht» umfasst Analysen und Erklärungen zu Offenbarung Kapitel 1–13. In seinen Anhängen arbeite ich gelegentlich auch mit Texten aus den Kapiteln 14–22 der Offenbarung. Ob ich zu jenen Kapiteln 14–22 je ein zweites Buch schreiben werde, ist noch ganz offen und auch abhängig von der Resonanz auf dieses erste Buch.

Dass all dies möglich wurde, verdanke ich unter anderem der Hilfe und Unterstützung mehrerer Personen. Mein besonderer Dank gilt meiner Frau Gunda und meinen Kindern, da ich öfters auch in unserer Freizeit mit meinen geliebten Studien beschäftigt war. Das Teamteaching mit meinen Co-Pastoren in der Kirche im Prisma ermöglichte mir, nicht jeden Sonntag einen Gottesdienst zu erarbeiten und so den gewonnenen Freiraum für mein Buchprojekt zu nutzen. Danken möchte ich zudem Marion C. Ihde und Nina Felder, die Teile dieses Buches textlich optimierten, sowie Hansueli Kägi, der den gesamten Inhalt einem fachgerechten Korrektorat unterzog. Und dann sind da auch noch die künstlerischen Unterstützer: Christina Küng, Erwin Oberhänsli und Martin Christen mit ihren wunderschönen Illustrationen. Danke euch allen!

Juni 2019, René Christen

Inhaltsverzeichnis

Die Offenbarung des Johannes entdecken

Die inhaltliche Struktur der Offenbarung

Erklärungen zur Offenbarung

Offb 1,1–8 Die große Enthüllung

Offb 1,9–20 Durch Gott versorgt über die Zukunft nachdenken

Offb 2 und 3 Wenn Gott kirchliche Gemeinden analysiert

Offb 4,1–11 Der Himmel öffnet sich

Offb 5,1–14 Jesus Christus öffnet das Buch mit den sieben Siegeln

Offb 6,1–17 Die ersten sechs Siegel werden geöffnet

Offb 7,1–17 Gott bewahrt die Seinen

Offb 8,1–9,21 Die ersten sechs Posaunen werden geblasen

Offb 10,1–11 Johannes wird von Gott getröstet und ermutigt

Offb 11,1–2 Der Tempel in Jerusalem

Offb 11,3–14 Gottes letztes großes Reden durch zwei Zeugen

Offb 11,15–19 Die Zeit ist überreif

Offb 12,1–18 Die Frau, Jesus Christus und der Drache

Offb 13,1–18 Der Antichrist

Anhang A Die Vereinigung der Christen mit Jesus Christus am Ende der Zeit

Anhang B Die Zeitfenster der 7 Jahre und der 70 Jahrwochen

Anhang C Die Weltordnung der zehn Machtzentren und einer Weltregierung

Anhang D Unsere Zeit besser verstehen

Anhang E Lichter in der Nacht – letzte seelsorgerliche Hilfen

Anhang F Literaturverzeichnis

Die Offenbarung des Johannes entdecken

Die Offenbarung des Johannes zu entdecken, ist nur möglich, wenn wir sie auch besser verstehen. Das Gebet um Gottes Hilfe durch seinen Heiligen Geist ist dazu grundlegend. Er, der Geist Gottes, wurde uns u. a. gegeben, um uns zu «lehren»: Joh 14,26. Je mehr ich in der Offenbarung gelehrt bin und dadurch auch mehr entdecke und verstehe, umso mehr Sinn macht sie. Die «aufgebrochenen Siegel» öffnen uns dann einen reichhaltigen seelsorgerlichen Schatz.

Aber wir dürfen sie nicht bloß irgendwie verstehen, sondern so, dass die in der Offenbarung kommunizierten Wahrheiten uns das vermitteln, was deren Urabsicht war – soweit wir den Inhalt jetzt schon verstehen können, denn das hat auch seine vorläufigen Grenzen.

Gott benutzt in der Offenbarung des Johannes oft eine prophetische Symbol- und Bildersprache. Um, wie vorhin erwähnt, die Urabsichten der Offenbarung so gut wie nur möglich zu verstehen, müssen wir diese Sprache so weit wie möglich entschlüsseln. Dabei fragen wir uns: Was wollte Gott den Menschen damals zur Zeit des Johannes sagen? Was den Menschen in den Jahrhunderten danach? Was uns, die wir heute in diesem letzten Buch der Bibel lesen?

Die Offenbarung des Johannes trägt im griechischen Neuen Testament die Bezeichnung «apokalypsis Joannu», übersetzt: «Die Enthüllung des Johannes». Hier in der Offenbarung des Johannes wird vieles über das Jenseitige und Zukünftige enthüllt – aber nicht alles! Es bleiben Fragen und Teile offen, die man erst «danach» verstehen wird. Dann, wenn die Zeit dazu reif ist, oder sich die Erfüllung ereignet oder ereignet hat.

Es wäre jedoch einseitig, wenn wir in allen Aussagen der Offenbarung des Johannes nur Bilder- und Symbolsprache vermuten. Es gibt darin auch viele Aussagen, deren Erfüllung real und gegenständlich zu verstehen ist. Zum Beispiel Aussagen über entfesselte Naturgewalten, die sich zukünftig in realen, gegenständlichen Naturkatastrophen manifestieren: Hagel wird gegenständlicher Hagel sein. Feuer wird brennendes Feuer sein. Bäume und Gras, welche verbrennen, werden reale, gegenständliche Bäume und gegenständliches Gras sein, welche verbrennen.

Ob nun Aussagen als prophetische Symbol- und Bildersprache oder reale gegenständliche Sprache zu verstehen sind, gehört zur Aufgabe der biblisch-exegetischen Feinarbeit. Es ist mein Ziel, dass die vorliegende Ausarbeitung das Ergebnis einer solchen Feinarbeit ist.

Was ist das Typische einer biblisch-exegetischen Feinarbeit (Exegese = griechisch, übersetzt = Auslegung, Erläuterung)? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zumindest in vereinfachter Form etwas in die Geschichte der Bibelauslegung eintauchen. In dieser Geschichte, insbesondere der prophetisch-apokalyptischen Bibeltexte, konkurrieren primär drei Auslegungsmethoden:

• die allegorische,

• die entmythologisierende,

• die grammatikalisch-historische (auch «wörtliche» genannt).

Einige Erklärungen zu diesen drei Auslegungsmethoden:

• Die «allegorische» Auslegungsmethode. (Allegoria = griechisch, übersetzt = «andere Sprache» oder «verschleierte Sprache».) Diese Auslegungsmethode versteht viele Aussagen der Bibel mehrheitlich als reine Symbole und Bilder. Sie vergeistigt die Aussagen großzügig, variantenreich und von daher, je nach Bibelausleger, sehr individuell. Diese Methode wurde schwerpunktmäßig durch Origenes (185–254 n. Chr.) und Augustinus (354–430 n. Chr.) entwickelt und eingeführt. Augustinus prägt die christliche Allegorese über das Mittelalter hinaus bis in unsere Zeit. Die Offenbarung des Johannes wurde besonders ein Opfer dieser Auslegungsmethode. Reale Aussagen bleiben kaum übrig. Der Auslegungswillkür wird Tür und Tor geöffnet. Der eigentliche Wahrheitsinhalt eines Bibeltextes spielt dadurch eine untergeordnete Rolle.

• Die «entmythologisierende» Auslegungsmethode geht davon aus, dass die Bibel mehrheitlich als Mythos oder in mythischer Sprache geschrieben wurde und von diesen Mythen befreit werden muss, damit nur noch ihre reale Wirklichkeit übrig bleibt. Christlicher Glaube könne sich nur aus einer existenzialen (entmythologisierten) Interpretation der Bibel ergeben. Diese Methode wurde insbesondere von Rudolf Bultmann in seinem Aufsatz «Neues Testament und Mythologie» aus dem Jahr 1941 entwickelt und eingeführt und dient bis heute als Grundlage der verschiedenen liberalen Ansätze in der Theologie. Gerhard Maier kommentiert entsprechend zu Offb 6,12: «An dieser Stelle zeigen sich die negativen Folgen der existenziellen Interpretation, die die sogenannte kosmologische Eschatologie preisgab. Für viele wegweisend, hielt Rudolf Bultmann die kosmologische Eschatologie für eine ‹unhaltbar gewordene mythologische Vorstellung›. In der Tat konnte sich Bultmann ein Weltende nur ‹als das Ergebnis der natürlichen Entwicklung› vorstellen. Damit war die Frage nach dem Weltende praktisch an die Naturwissenschaft abgegeben. Es war dann nur konsequent, wenn Wolfgang Trillhaas im Gefolge Bultmanns einen Abschnitt seiner ‹Dogmatik› 1962 mit ‹Die Ausscheidung der kosmologischen Eschatologie› überschrieb. Unmissverständlich hält er darin fest: ‹Dauer der Welt und künftiges Schicksal der Erde sind naturwissenschaftliche Fragen und als solche aus der Zuständigkeit der Theologie zu entlassen› … Wer die kosmologische Eschatologie preisgibt, entlässt in Wirklichkeit Gott aus dem Weltregiment» (Gerhard Maier, Die Offenbarung des Johannes zu Offb 6,12, S. 337).

• Die «grammatikalisch-historische» Auslegungsmethode fragt und forscht sorgfältig nach der Grammatik des einzelnen Bibelwortes, des einzelnen Satzes, Abschnittes und des ganzen Buches. Sie erforscht diese Textelemente auf ihre sprachlichen, etymologischen und inhaltlichen Aussagen zur Zeit ihrer Niederschrift und damit ihre historischen Aussagen. Anders gesagt: Die grammatikalisch-historische Auslegungsmethode will jenen Inhalt herausarbeiten, den der damalige Schreiber den damaligen Lesern vermitteln wollte und den die damaligen Zuhörer verstanden haben. Auf dem Boden dieser grammatikalisch-historischen Ergebnisse stehend, schaut diese Methode weit nach vorne in unsere Zeit hinein und versucht den Textinhalt von damals in unserer Zeit optimal zu verstehen und zu interpretieren – soweit dies möglich ist.

Welche Auslegungsmethode passt nun zu einer biblisch-exegetischen Feinarbeit, welche die Bibel und damit Gottes Wort als oberste Autorität versteht? Anders gefragt: Welche Auslegungsmethode ist am besten geeignet, damit in unserem vorliegenden Fall die Botschaft der Offenbarung des Johannes wahrheitsgetreu und verständlich den heutigen Leser und Zuhörer erreicht? Meine Antworten:

• Die allegorische Methode ist nicht aus dem gründlichen Studium der Bibeltexte an sich hervorgegangen, sondern vielmehr aus dem Bestreben, die damalige griechische Philosophie mit der Bibel zu verbinden. Und so versucht auch heute eine allegorische Auslegungsmethode dem Bibeltext menschlich-philosophische Gedanken zu überstülpen, um eventuell Anstößiges zu kaschieren.

• Die entmythologisierende Methode ist nicht aus einem lernbereiten und vor Gott demütigen Studium der Bibeltexte und deren Inhalt an sich hervorgegangen, sondern vielmehr aus der Überzeugung, wir heutigen Menschen müssten die Bibel nach unseren Vorstellungen entmythologisieren, um eventuell Anstößiges zu entfernen.

• Die grammatikalisch-historische Methode ist sehr darum bemüht, uns den Bibeltext in seinem ursprünglichen, allgemein gebräuchlichen, verständlichen und damit wörtlichen Sinn zugänglich zu machen. Diese Methode will nichts wegnehmen oder hineininterpretieren. Auch dann nicht, wenn uns ein Bibeltext anstößig, fremd und (noch) rätselhaft erscheint. Sie will uns demütig und lernbereit Gottes Reden durch sein Wort im ursprünglichen Sinn aufschlüsseln. So und nur so stoßen wir zur Kernaussage und damit zur eigentlichen Absicht eines Bibelschreibers vor. So und nur so erleben wir Gott den Schöpfer durch die Bibel zu uns redend. Exakt das ist mein Anliegen mit dem vorliegenden Buch «Lichter in der Nacht». Unsere biblisch-exegetische Feinarbeit muss mit dem Studium der Bibeltexte an sich beginnen. Mit den einzelnen Wörtern, den Sätzen, dem Kontext eines Bibelabschnittes und der ganzen Bibel (inklusive Altes Testament), der Grammatik, den historischen Gegebenheiten.

Um die prophetische Symbol- und Bildersprache des Johannes und der apokalyptischen Texte der Bibel im Allgemeinen besser zu verstehen, definiere ich als Hilfe vier verschiedene Schlüssel. Diese werden uns helfen, die Bibeltexte besser aufzuschlüsseln. Ich sage bewusst nicht «um die Bibeltexte vollends aufzuschlüsseln», denn es ist (noch) nicht möglich, alles, immer, sofort und vollständig zu entschlüsseln und zu verstehen. Zu diesen Grenzen stehen, ist befreiend und bewahrend. Es befreit vor der Verkrampfung, alles erklären und verstehen zu müssen. Es bewahrt vor einer wilden Spekulation, die uns in Unwahrheiten manövriert.

1. Schlüssel: erklärende Sprache

Es gibt Symbole und Bilder in der Offenbarung des Johannes, welche direkt oder indirekt im Bibeltext selbst erklärt werden. Mit «direkt erklärt» meine ich, dass da explizit steht: «Dieses Symbol oder Bild bedeutet das und das.» Mit «indirekt» meine ich, dass ein Symbol oder ein Bild im größeren Zusammenhang der Offen- barung, evtl. auch in einem anderen Buch des Neuen Testamentes, erklärt wird. Beispiele:

• Offb 1,12: «Ich sah sieben goldene Leuchter.» Offb 1,20 erklärt dazu: «Die sieben Leuchter sind sieben Gemeinden.» Hier entschlüsselt der Bibeltext in Offb 1,20 direkt die Aussage in Offb 1,12.

• Offb 1,16: «Und er (Gott) hatte in seiner rechten Hand sieben Sterne.» Offb 1,20 erklärt: «Die sieben Sterne sind Engel der sieben Gemeinden.» Auch hier entschlüsselt ein anderer Bibeltext direkt.

• Offb 12,1: «Eine Frau, bekleidet mit der Sonne, und der Mond war unter ihren Füssen und auf ihrem Haupt ein Kranz von zwölf Sternen.» Dann folgt die indirekte Erklärung ab Vers 5, in welchem wir lesen, dass diese Frau einen Sohn zur Welt bringt, welcher alle Eigenschaften von Jesus Christus aufweist: Die Frau «gebar einen Sohn, ein männliches Kind, der alle Nationen hüten soll mit eisernem Stab; und ihr Kind wurde entrückt zu Gott und zu seinem Thron». Weitere indirekte Erklärungen zu dieser Frau und dem Kind: Matth 1,1 / Luk 2 / Ps 2,8 / Matth 28,18 / Luk 24,51 / Apg 1,9. Nun können wir Offb 12,1 umfassender entschlüsseln: Diese Frau ist zuerst Maria und damit auch Israel, da Maria in Israel lebte und ein Kind, Jesus Christus, zur Welt brachte. In den Detailerklärungen zu Offb 12 werden wir entdecken, dass dieser Kreis sogar über Maria und Israel hinaus erweitert werden muss.

2. Schlüssel: alttestamentliche Sprache

Die Symbol- und Bildersprache der Offenbarung bedient sich oft auch der Symbole und Bilder des Alten Testamentes (AT). Dieser erste Teil der Bibel war den damaligen Zuhörern sehr vertraut. Beispiele:

• Offb 7,3: «… bis wir die Knechte unseres Gottes an ihren Stirnen versiegelt haben». Alttestamentlicher Hintergrund ist z. B. Hes 9,4: «Geh mitten durch die Stadt, mitten durch Jerusalem, und zeichne ein Kennzeichen an die Stirnen der Männer … Geht durch die Stadt, und schlagt zu … aber niemandem, an dem das Kennzeichen ist.» Entschlüsselt: Eine Versiegelung ist eine Markierung an einer Person, damit diese Person im Gericht bewahrt wird.

• Offb 14,8: «Und ein anderer, zweiter Engel folgte und sprach: Gefallen, gefallen ist das große Babylon, das mit dem Wein seiner leidenschaftlichen Unzucht alle Nationen getränkt hat.» Alttestamentlicher Hintergrund ist 1. Mo 11,4–9: «Und sie sprachen: Wohlan, wir wollen uns eine Stadt und einen Turm bauen, und seine Spitze bis an den Himmel! So wollen wir uns einen Namen machen … Und der HERR zerstreute sie von dort über die ganze Erde; und sie hörten auf, die Stadt zu bauen. Darum gab man ihr den Namen Babel (hebräisch = verwirren); denn dort verwirrte der HERR die Sprache der ganzen Erde, und von dort zerstreute sie der HERR über die ganze Erde.» Entschlüsselt: Babylon ist im Alten Testament die Urform, das Urbild, einer verwirrten, gottlosen Gesellschaft. In der Offenbarung des Johannes wird folglich das verwirrte, gottlose und global gegen Gott sich erhebende menschlich-antichristliche Weltreich der letzten Zeit mit «Babylon» bezeichnet.

In der vorliegenden Ausarbeitung verwende ich immer dann diesen «alttestamentlichen Sprachschlüssel», wenn ich Textstellen aus dem Alten Testament – und es werden nicht wenige sein – aufliste, welche helfen, ein Bild oder Symbol besser zu verstehen.

3. Schlüssel: zeitgeschichtliche Sprache

Die prophetische Symbol- und Bildersprache der apokalyptischen Bibeltexte bedient sich auch der Symbole und Bilder, welche zur Zeit der Niederschrift im alltäglichen Sprachgebrauch besonders bekannt waren. Deshalb können wir auch von einem «zeitgeschichtlichen Sprachschlüssel» reden. Beispiele:

• Offb 5,1: «Ich sah, dass der auf dem Thron in seiner rechten Hand eine Buchrolle hielt. Sie war innen und außen beschrieben und mit sieben Siegeln verschlossen.» In der Zeit, als Johannes die Offenbarung schrieb, wurden viele Dokumente nicht in der uns heute bekannten Form als Broschüren gebunden, sondern als Buchrollen hergestellt. Als Absicherung für den Erstleser wurden diese mit Siegeln verschlossen.

Entschlüsselt für uns heute: In der Offenbarung des Johannes geht es ab Kapitel 5 inhaltlich um ein geheimes, besonders kostbares Dokument, welches nun zugänglich gemacht wird.

• Offb 9,14: «Löse die vier Engel, die an dem großen Strom Euphrat gebunden sind.» In der Zeit, als Johannes die Offenbarung aufschrieb, der Zeit des Römischen Reiches, bildete der Euphrat die Ostgrenze des «zivilisierten» Römischen Reiches. Östlich des Euphrats lebten die gefürchteten Parther (Perser) mit ihren Reiterheeren.

Entschlüsselt: Mit dem Hinweis auf den Fluss Euphrat in Offenbarung 9 muss von Israel aus gesehen eine reale geografische Grenze gemeint sein – eben der Strom Euphrat –, hinter dem sich geografisch gesehen heute der asiatische Raum öffnet.

4. Schlüssel: abstrakte Sprache

Es gibt Aussagen in der Offenbarung und in den anderen apokalyptischen Texten der Bibel, welche mittels Symbolen und Bildern einen Inhalt sehr abstrahiert vermitteln. In diesen Texten wird nur wenig bis sehr wenig Konkretes und damit Verständliches gesagt. Es sind bloße Skizzen, welche uns da begegnen. Skizzen mit wenigen oder sehr wenigen Strichen. In der Regel rede ich bei der Detailauslegung solcher Bibeltexte auch davon, dass hier ein Inhalt bloß «skizziert» wird. Dieses Abstrahieren begegnet uns z. B. bei jenen Heuschrecken in Offb 9,3. Diese werden nicht als reale, gegen- ständliche Heuschrecken beschrieben, sondern als surreale, fantasieartige. Das merkt man schon an deren Beschreibung: Sie haben «über sich als König den Engel des Abgrundes». Auf Hebräisch heißt er Abaddon, auf Griechisch heißt er Apollyon. Der Name dieses Engels bedeutet sowohl im Hebräischen wie im Griechischen «Zerstörer» und er komme aus dem Abgrund. Dies ist ein Hinweis auf eine dämonische, zerstörende Macht «von unten». Diese Heuschrecken dürfen dem Gras, dem Grünen und den Bäumen keinen Schaden zufügen, sondern nur die Menschen quälen. All diese Hinweise aus dem Textumfeld führen mich zu der Erkenntnis, dass es hier nicht um gegenständliche Heuschrecken geht, die reales Grün fressen, sondern um abstrakte, nicht gegenständliche Kräfte, Mächte und Dämonen. Dieses Abstrahieren in der prophetischen Symbol- und Bildersprache geht manchmal so weit, dass sich ein Bibeltext sogar weigert, uns auch nur eine ganz grobe Ahnung des realen Inhaltes zu vermitteln. In solchen Texten wird jegliche Konkretion oder Berechnung auf später verschoben. Dann, wenn die Zeit dazu reif ist. Es ist Gottes Weitsicht, welche genau weiß, was wir als Leser jetzt und heute schon verstehen können und verstehen müssen und was er uns vorerst bloß abstrakt andeuten kann. Dieses Zurückhalten ist auch ein Schutz für uns: Gott will uns mit dem prophetischen Inhalt nicht überfordern und das wiederum soll uns auch vor einer zu konkreten Interpretation schützen. Aber die Zeit wird kommen, in welcher Gott alles Zurückhalten aufheben wird. Beispiele:

• Offb 13,17.18: «… und dass niemand kaufen oder verkaufen kann, als nur der, welcher das Malzeichen hat, den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens. Hier ist die Weisheit. Wer Verständnis hat, berechne die Zahl des Tieres! Denn es ist eines Menschen Zahl; und seine Zahl ist 666.» Noch fehlen uns das nötige Verständnis, die Fakten und Zusammenhänge, um diese Zahl als ein Gematria einer global agierenden, realen Person zuzuordnen. Wir sehen in der Geschichte zwar einige Vorläufer, auf welche diese Zahl zutreffen kann, aber die ganz konkrete Zuordnung wird erst möglich, wenn sich unsere Geschichte exakt mit dem in Offenbarung 12 und 13 Beschriebenen kreuzen wird.

• Als weiteres Beispiel habe ich keinen Text aus der Offenbarung des Johannes, sondern einen Text aus dem Prophetenbuch Daniel, auf welchem die Offenbarung des Johannes oft aufbaut. In Dan 12,8.9 steht: «Und ich (Daniel) hörte es, aber ich verstand es nicht; und ich sagte: Mein Herr, was wird der Ausgang davon sein? Und er sagte: Geh hin, Daniel! Denn die Worte sollen geheim gehalten und versiegelt sein bis zur Zeit des Endes.» Hier wird uns explizit gesagt, dass es prophetische Texte gibt, die wir noch nicht verstehen können. Sie seien noch «geheim» und «versiegelt» und damit noch nicht zu entschlüsseln.

• Ebenso sagt es Gott in Dan 12,4: «Und du, Daniel, halte die Worte geheim und versiegle das Buch bis zur Zeit des Endes! Viele werden suchend umherstreifen, und die Erkenntnis wird sich mehren.»

All das wird mit dem Text aus 1. Kor 13,9 unterstrichen, wo wir lesen, dass unser Erkennen eben noch Stückwerk ist. Wir sehen jetzt öfters nur einzelne Stücke und noch nicht das Ganze. Dies trifft insbesondere auch auf die Auslegung der Offenbarung des Johannes zu, da dieses Buch oft Symbol- und Bildersprache benutzt.

Ist nun ein Text in der Offenbarung für uns zurückhaltend, «geheim» und «versiegelt» formuliert und damit noch nicht verständlich oder nur teilweise verständlich, bedeutet das nicht, dass wir damit nichts anfangen können. Ab einer gewissen Ebene («Flughöhe») finden wir bestimmt eine übergeordnete Aussage. Beispiel: Ein in der Offenbarung des Johannes skizziertes Gericht, welches wir in der konkreten Umsetzung und Anwendung noch nicht im Detail verstehen, kann uns übergeordnet zeigen, wie Gott die ihm Vertrauenden durch so ein Gericht hindurchbewahren kann. Es gibt ab einer gewissen Ebene immer wertvolle seelsorgerliche Wahrheiten, die wir einem Bibeltext entnehmen können, auch wenn wir das Geschehen im Detail noch nicht aufschlüsseln können. Diese Grenzen der Auslegung zu respektieren, ohne dass ich einen Text ganz aufgeben muss, ist sehr befreiend im Umgang mit der Offenbarung des Johannes.

Die inhaltliche Struktur der Offenbarung

Die inhaltliche Struktur der Offenbarung des Johannes stelle ich auf den folgenden Seiten zur besseren Übersicht anhand einer Säulengrafik dar. Wie ein gewaltiger Monolith stemmt sich diese Säule zwischen die damalige Zeit um 95 n. Chr. und dem zukünftigen Ende der Zeit und dessen Neuanfang. Diese Säule – die Offenbarung des Johannes – überlebte manche theologische Attacken. Aber die wohl heftigste droht ihr in unserer heutigen Zeit: Verachtung und Spott. Sie ist aus den Gottesdiensten und Kleingruppen verschwunden, denn sie wird als zu kompliziert, zu angstmachend und zu weltfremd empfunden. Sie passe nicht in zeitgemäße theologische und kirchliche Systeme. Das Tragische dabei: Je mehr jene Zeit, von der diese Säule berichtet, Realität wird, je weniger kennen wir sie. Das kann zu verheerenden Fehleinschätzungen unserer Zeit führen.

Zurück zum Bild mit der Säule: Das direkt ins Zentrum der Säule Geschriebene zeigt die Hauptanliegen der Offenbarung. Es sind seelsorgerliche und ermutigende Anliegen, die wir schon ab Offb 1 und damit ganz unten an der Säule antreffen. Es sind die Blicke in das engste Umfeld Gottes im Jenseits. Wir lernen dort, was Gott besonders wichtig ist und wie er dem Menschen seine Liebe unermüdlich zeigt. Danach folgen Titel wie «Durch Gott versorgt über die Zukunft nachdenken» oder «Der Himmel öffnet sich». Wir lernen darin viel über Rettung und Gnade, Jenseitiges und Zukünftiges, Zeit und Ewigkeit.

Damit will ich aber auch sagen, dass die urteilenden Gerichte nicht die Hauptanliegen der Offenbarung sind. Deshalb werden sie nicht im Zentrum der Säule, sondern optisch sperrig rechts hinausragend positioniert. Diese Platzierung soll auch das hässliche und sperrige Tun des Menschen darstellen, denn dieses Tun des Menschen provoziert die «sperrigen» Gerichte. Sie sind die letzte Konsequenz der Arroganz des Menschen. Konkreter gesagt: Die Masse der Menschen lehnt Gott ab. Sie entledigen sich des Gottes der Bibel und provozieren dadurch, dass Gott nach schier endloser Geduld auch auf Distanz geht und den Menschen sich seiner Gottlosigkeit allein überlässt. Aber wenn Gott als Schöpfer und Bewahrer dieser Schöpfung loslässt, kommen die Naturgewalten, die physikalischen Gesetze, unser Planet Erde und das Universum ins Trudeln. Außerdem brechen Völker, Gesellschaften, Familien und der einzelne Mensch in seiner Identität auseinander. Die Begriffe «Gericht», «ausrichten», «richtig» und «unrichtig» gehören sprachlich und inhaltlich eng zusammen: Wenn der Mensch sein Ausrichten auf Gott ins Gegenteil ändert, kann Gott auch sein helfendes Ausrichten auf den Menschen und sein bewahrendes Ausrichten auf die Schöpfung ändern: Er lässt den Menschen seinen eingeschlagenen Weg in die falsche Richtung ziehen. Gott lässt los. Gott lässt den Menschen seine halsstarrigen Wege gehen. Daraus entsteht dann Unrichtiges. Wir nennen es auch Gericht (Näheres siehe Erläuterungen zu den einzelnen Kapiteln und Versen der Offenbarung).

Die Ereignisse in der Offenbarung sind chronologisch angeordnet: Ein Thema folgt dem anderen. Einige vertreten die Meinung, dass Johannes immer wieder um dasselbe Thema kreist: das Elend der Welt durch all die Jahrtausende. Aber bei genauerem Lesen wird deutlich: Es werden einzelne Ereignisse und Themen chronologisch folgend dargestellt und jedes entwickelt sich aus dem vorausgehenden. Diese Zeitfenster werden immer heftiger bis zum letzten beschrieben und danach folgt der lang ersehnte Neuanfang. Diese Chronologie zeigt sich insbesondere in den folgenden Textbeobachtungen:

• Der inhaltliche Aufbau der Säule von unten nach oben gleicht einem Drehbuch mit immer neuen Themen und eines folgt logisch angeordnet dem vorhergehenden:

– Zuerst werden Gott und sein engstes Umfeld im Jenseits vorgestellt.

– Danach treffen wir auf harte, aber seelsorgerliche Gemeindeanalysen.

– Danach wird Jesus Christus als das Lamm Gottes in die Mitte gestellt.

– Danach brechen die Gerichte los.

– Danach sucht und lanciert Gott nochmals und nochmals Hilfen und Bewahrung.

– Danach entfesselt sich erst recht das Böse.

– Danach kommt Jesus Christus wieder und macht all dem Bösen ein Ende.

– Danach richtet Jesus Christus sein Reich vollends auf und Gott gestaltet anschließend den neuen Himmel und die neue Erde. Das Böse wird komplett ausgeschlossen.

• Die Gerichte

– Die drei Gerichtszyklen entstehen wie bei einer auseinandergezogenen Spirale: eines aus dem anderen. Zuerst die Siegelgerichte. Aus dem letzten Siegelgericht entwickeln sich die Posaunengerichte und aus dem letzten Posaunengericht die Zornschalengerichte.

– Die Gerichte innerhalb der Zyklen werden eines dem anderen folgend von 1 bis 7 durchnummeriert. Infolgedessen in einer klaren Reihenfolge eines nach dem anderen.

• «Nach diesem»

– Acht Mal kommt die Formulierung «Nach diesem» vor, was wiederum eine chronologische Folge andeutet. In der Säulen-Grafik finden wir diese Formulierung ganz rechts mit Sprechblasen dargestellt.

Zum besseren Verständnis der Grafik zwei Erklärungen:

Erklärungen zur Offenbarung

Ich empfehle, immer zuerst in der Bibel den entsprechenden Text aus der Offenbarung des Johannes zu lesen und erst danach meine Erklärungen. Nur so kann man den ganzen Text im Original erfassen.

Zudem bietet der Bibeltext Details, auf die ich in meinen Erklärungen aus Platzgründen nicht eingehe.