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LUDWIG
CARDANO

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TEIL II
Das Geheimnis des Sees

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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1. Auflage 2019

© 2019 by Braumüller GmbH

Servitengasse 5, A-1090 Wien

www.braumueller.at

Lektorat: Johann Auer

Coverfoto: © Shutterstock, Andrea Crisante

ISBN Printausgabe: 978-3-99200-238-2

ISBN e-book (gesamt): 978-3-99200-239-9

ISBN e-book (Teil I): 978-3-99200-243-6

ISBN e-book (Teil III): 978-3-99200-245-0

ISBN e-book (Teil II): 978-3-99200-244-3

Inhalt

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

5

Michael Manolis zog sich auf allen vieren zurück. Im Wald war es nun stockdunkel, er tastete sich mit ausgestreckten Händen parallel zum See von Baum zu Baum. Er brauchte eine gute Stunde für die Strecke, erreichte sein Haus aber ohne Verletzungen. Nicht einmal ein Kratzer. Der Abend war gelaufen, die Dame vom See konnte nicht erwarten, dass er sich ihr heute noch widmen würde. Die in der Oper. Die andere? Sollte sie nicht wissen, was im Seehaus des Spaniers vorging? Nützte nur nichts, er hatte keine Nummer. Frau Schwarz hatte die Nummer, aber die konnte er nicht mitten in der Nacht anrufen. Die Agenten hierzulande sind nicht die unbeirrbaren Kumpel und Seelentröster, die man aus amerikanischen Filmen kennt, die für ihren Klienten bis an den Rand des Strafrechts gehen und alles einrenken, was der geniale, gleichwohl lebensuntüchtige Künstler verbockt hat. So einen Agenten hätte er sich gewünscht. Obwohl er sich nicht für genial hielt. Nicht einmal für lebensuntüchtig: Bitte, wem wäre diese Salmiakpistole eingefallen, ha? Die meisten Leute wussten doch nicht einmal, was das ist, Salmiak!

Er würde wieder hinüberrudern müssen, das war klar. Er konnte Frau Schwarz nicht nach der Handynummer Elenas fragen. Sie würde sie ihm geben, warum auch nicht, aber sie würde ihn bei der Gelegenheit fragen, wie er mit der Donna del Lago vorankäme. Schon, wenn er nur bis zum Morgen wartete, würden Anruf und Nachfrage unabwendbare Konsequenz sein. Es sei denn, er steckte den Kopf in den Sand – besser: ins Opernlibretto – und unternahm nichts. Er schlich zum Bootshaus hinunter, machte das verbleibende Boot klar und ruderte los. Ohne Licht; eine Lampe auf dem See leuchtete kilometerweit, es brauchte sich nur ein Gehilfe Aguirres im Freien die Beine vertreten oder eine rauchen. Das Interesse wäre geweckt. Wer fuhr mitten in der Nacht auf den See hinaus und warum? Hier herrschte das Gegenteil von Anonymität, ein bedauerlicher Mangel an möglichen Verdächtigen.

Es war schwer, im Dunkeln den Kurs einzuhalten. Als seine Augen sich an die Finsternis gewöhnt hatten, sah er von der Insel nur den Schattenriss absoluter Schwärze gegen den Himmel, der aufgehellt war durch wenige Sterne und ferne Lichter. Er war froh, die Insel überhaupt zu treffen, landete irgendwo, machte das Boot am nächsten Baum fest und kletterte durch die Wildnis den Abhang hinauf. Im Licht der Taschenlampe tastete er sich in den Wald hinein, fern von Weg und Steg. Dann wurde es heller, die Lichtung mit der Villa tauchte auf. Er klopfte. Nach Sekunden ging die Tür auf.

„Guten Abend“, sagte Elena. Verwunderung war ihr nicht anzumerken. Sie betrachtete ihn. Freundlich, mit einem winzigen Anflug von Spott in den blauen Augen. Im selben Moment kam er sich vor wie ein Idiot. Was hatte er sich bei dieser Aktion gedacht? Was sollte das, so spät bei dieser Frau aufzutauchen wie ein verliebter Gymnasiast? Er begann sofort zu reden, um die peinliche Situation zu überspielen. Während sie ihn hereinbat, zog er unter fortwährendem Erzählen die Schuhe aus, an denen der feuchte Waldboden klebte, und berichtete, was er den Nachmittag über beim anderen Seehaus in Erfahrung gebracht hatte. Als ob sie ihn mit dieser Erkundung beauftragt hätte. Hatte sie aber nicht. Sie hätte auf seinen Sermon mit der Frage antworten können: „Und was geht mich das an?“ Tat sie aber nicht. Sie packte ihn am Arm und zog ihn in die Halle.

„Ich bin Ihnen sehr dankbar, Michael … ich darf Sie doch so nennen? Sehr dankbar, dass Sie sich so viel Mühe machen! Und wage es nur deswegen, Sie um einen Gefallen zu bitten: Erwähnen Sie vor Malcolm nicht, dass ich mit Rodrigo verheiratet … war! Bitte!“

„Äh … ja. Wer ist Malcolm?“

„Mein Freund. Sagt man das so? Klingt irgendwie komisch in meinem Alter.“

Michael Manolis war einen Moment taub. Von dem Knall, als die Blase seiner irrationalen Hoffnungen zerplatzte. Nur Michael konnte es hören – mit seinem dritten Ohr, das manche Menschen anstelle des dritten Auges haben. Dass er sich vorkam wie ein Idiot, war nicht das Problem. Das war nichts Neues. Das Problem bestand darin, dass er ein Idiot war, wirklich und unwiderlegbar. Er räusperte sich, um die Stimme wieder zu erlangen.

Wenn eine Frau sich alt nennt, ist das in unserer Kultur die unmissverständliche Aufforderung, ihr mit einem gedrechselten Kompliment zu widersprechen; das tat Michael Manolis nun nicht, die Zeit des Drechselns war abgelaufen.

„Ich sehe nicht, wie ich ihm etwas über Ihre Familienverhältnisse sagen sollte. Erstens gehen sie mich nichts an, die Verhältnisse, und zweitens kenne ich ihn nicht. Ihren – Freund.“ Er sagte das in diesem bestimmten Tonfall, der Odabella zuverlässig zur Weißglut gebracht hatte. Elena schien immun.

„Sie irren sich, lieber Michael, Sie stünden nicht in meiner Tür, wenn Sie meine Familienverhältnisse nichts angingen. Sie hätten sonst kaum meinen Exmann ausspioniert. Und wären nicht bei Nacht und Nebel über den See gerudert, um mir die Erkenntnisse mitzuteilen. Das geht alles von Ihnen selber aus!“

„Ich hatte keine Nummer von Ihnen …“

„Und zweitens“, fuhr sie fort, ohne auf seine schwächliche Verteidigung einzugehen, „irren Sie sich, was Malcolm betrifft. Sie lernen ihn heute kennen. Jetzt gleich. Sie essen mit uns!“

„Ich mache – was?“

„Er hat einen Rehrücken gebraten. Malcolm kocht sehr gut. Und wie gesagt: Kein Wort über unsere Ehe!“ Er begann zu lachen.

„Nur aus Interesse: Wann wollen Sie es ihm sagen? Oder planen Sie eine Karriere als Bigamistin?“ Jetzt lachte sie.

„Er ist schottisch-deutscher Abstammung, aber eifersüchtig wie ein Südländer. Dabei sind wir geschieden, Rodrigo und ich. Die Ehe war ein Fehler. Malcolm glaubt, Rodrigo ist hinter mir her.“

„Señor Aguirre hat nicht den Eindruck vermittelt, er sei über die Scheidung hinweggekommen …“

„Ist er auch nicht, aber das ist nicht mein Problem. Malcolm soll nur von unserer früheren Verbindung nichts erfahren …“

„Warum?“, platzte Michael heraus.

„Verstehen Sie das nicht? Malcolm würde glauben, dass sich Rodrigo mir wieder nähern will. Er ist imstande, rennt rüber und … tut etwas Unüberlegtes. Er neigt zu überschießenden Handlungen. Rodrigo übrigens auch.“ Er betrachtete ihr Gesicht. Im Dämmerlicht auf der Treppe lagen ihre Züge halb im Dunkeln, Schatten vertieften winzige Falten, die man im Hellen nicht sehen konnte. Sie sah unglücklich aus. Er hätte sie gern in den Arm genommen. Aber das wagte er nicht. Es war auch ganz unmöglich.

„Rodrigo ist ein Scheusal“, fuhr sie fort. „Mir fällt kein besseres Wort ein. Er denkt nur an sich und seinen Vorteil, immer und überall. Diese Seeforschungsgeschichte ist natürlich kompletter Blödsinn – und ich sage Ihnen, Michael, ich bin froh darüber!“

„Verzeihung, Sie sind froh über seine Tarnung?“

„Natürlich! Dass sie so miserabel ist. Limnologie, sonst noch was! Rodrigo hat für die Limnologie genauso viel Interesse wie ein Kampfstier für die Raumfahrt.“

„Das wird dann aber auch Malcolm auffallen …“

„Allerdings! Und da eben kommen Sie ins Spiel, verehrter Meister! Man kann sagen, der Himmel hat Sie geschickt! Sie haben nachgeforscht und herausgefunden, dass Rodrigo etwas anderes plant als Algen zu zählen.“ Sie trat von der oberen Treppenstufe nahe an ihn heran. Er konnte ihren Atem spüren. Etwas wie Zimt war darin. Mit leiser Stimme sagte sie: „Und dieses andere ist nicht, sich wieder an mich heranzumachen, verstehen Sie?“ Ja, er verstand. So ungefähr. „Aber es scheint, dass señor Aguirre versuchen wird, Ihrem Vater das Gold wegzunehmen.“ Sie antwortete nicht. Was hatte er da von sich gegeben, was war das für ein Satz? Aber es scheint, dass señor Aguirre versuchen wird, Ihrem Vater das Gold wegzunehmen. Aus einem alten B-Western. Er erkannte, wie verrückt die Lage war. Er sprach wie ein Nebendarsteller, vor ihm schwebte Elena in einem Rüschenkleid von achtzehnhundertsiebzig die Treppe hinauf, er selber stapfte in einer pseudomexikanischen Adjustierung, den Sombrero in der Hand, hinterher. Warum klapperten keine Sporen auf den Stufen?

„Ich glaub Ihnen ja!“ Sie brachte ihn in die Gegenwart zurück. Seine Befürchtungen schienen sie nicht zu beunruhigen. Der gute Aguirre kann planen, was er will, er ist abgemeldet, keine emotionale Bindung mehr.

„Sie können es ruhig erzählen“, sagte sie im Hinaufgehen. „Ich bitte Sie sogar darum. Malcolm muss es wissen, er studiert Maschinenbau.“ Michael fand die Bemerkung kryptisch. Was hatten die Aktivitäten des señor Aguirre mit dem Studium des Mister Malcolm zu tun? Sie gab keine weiteren Erklärungen, inzwischen waren sie auch im Salon angekommen. Der Tisch für zwei gedeckt. Kostbares Porzellan; Kristallgläser, Wein in einer Karaffe. Dann kam Malcolm aus der Küche. Michael fiel als Erstes die Schürze auf. Ein Riesending bis über die Knie hinunter, weiß mit kleinen Saucenflecken. Eine Art Uniform. Malcolm kam auf Michael zu. Er lächelte, gab ihm die Hand, während ihm Elena den neuen Gast vorstellte. Dabei fielen Michael weitere Dinge auf. Dass der Deutsch-Schotte halb so alt war wie er selbst. Und halb so dick. Dafür sieht er doppelt so hübsch aus, dachte Michael. Da musste man an Elenas Stelle nicht beides probieren, um sich zu entscheiden.

Wie immer, wenn sein Herz schwer wurde, rettete er sich in Gerede. Wer redet, muss nicht weinen oder schreien, alles bleibt im zivilisierten Rahmen. Ich muss hier raus, dachte er, aber ohne emotionalen Ausraster, ohne Skandal, ohne, dass ihm etwas anzumerken war.

Malcolm hörte seinen Ausführungen mit gespannter Miene zu. Michael fasste sich langsam. Dieser Typ sah so gut aus, dass … Eine Unverschämtheit der Evolution, eine Frotzelei aller anderen Männer, als wolle sie sagen: Ja, schaut nur hin, da seht ihr einmal, was möglich wäre!

„Ich hab’s dir gesagt, Elena“, sagte er, „dem ist nicht zu trauen! Der plant da was Übles. Ich versteh nicht, was dein Vater an ihm findet … er ist zu gutgläubig, Elena, er vertraut den Menschen zu viel.“ Ehe Elena antworten konnte, fragte Michael: „Der Baron kennt diesen Rodrigo?“

„Und ob! Sie soll ihn ja heiraten. Wegen Geld, verstehen Sie?“

„Ah ja …“ Etwas Besseres fiel Michael nicht ein. Die Information stimmte nicht mit dem Skript überein, das ihm Elena gegeben hatte. Falscher Film.

„Was macht der Rehrücken?“, wollte Elena wissen. Ihre Stimme war klar und munter wie immer.

„Setzt euch schon, ich serviere gleich.“ Malcolm verschwand im Flur zur Küche. Elena gab mit Händen und Gesichtverziehen Zeichen an Michael, die der nicht deuten konnte. Nachträgliche Information zum fehlenden Teil des Malcolm-Konzeptes, das da hieß: A: Wir sind nicht verheiratet, Rodrigo und ich; B: Papá wünscht, dass wir es tun. Michael setzte sich an den Platz, den ihm Elena zuwies. Zu ihrer Rechten. Zur Linken würde Malcolm sitzen. Auf der Herzseite, eh klar, sie in der Mitte an der einen Schmalseite des Tisches. Elena sprach weiter, äußerte Vermutungen über Rodrigos Absichten. Michael hörte nicht zu. Hatte er sie falsch verstanden? Äußerte sich so beginnende Demenz? Oder es war alles so, wie er es in Erinnerung hatte. Er darf nicht sagen, dass Rodrigo Elenas Ehemann war. Weil Malcolm glaubt, dass die beiden erst heiraten sollen. Von wem weiß er das? Von Elena oder von ihrem Vater. In diesem Fall wäre der dement, nicht Michael Manolis. Wo war er überhaupt? Er wählte seine Worte so förmlich wie möglich.

„Ihr Herr Vater isst nicht mit uns?“

„Nein, er muss Therapie machen, wissen Sie, wegen seiner Beine …“ Sie ließ ein schwaches Seufzen hören. „Er hat einen sehr guten Physiotherapeuten. In der Stadt, meine ich. Den können wir nicht herkommen lassen … ist so teuer genug.“ Ehe Michael sich weiter erkundigen konnte, kehrte Malcolm mit einer ovalen Silberplatte zurück. Darauf der Rehrücken. Rundum gelagert Rosenkohl, Spitzkohl und glasierte Kastanien. Er stellte die Platte auf dem Tisch ab, ging zurück in die Küche und kam mit einer dampfenden Schüssel und einer Sauciere zurück. Spätzle. Es sah alles aus wie auf einem jener großformatigen Fotos in den voluminösen Kochbüchern mit Textileinband, wie sie vor Weihnachten in den Buchhandlungen auftauchen. Ein Maschinenbauer, der kochen konnte. Unglaublich.

„Ich möchte nur wissen“, sagte Elena, „woher dieser Aguirre von dem Schatz weiß – das ist doch ungewöhnlich, dass er so plötzlich hier auftaucht …“ Michael verschluckte sich an einem Bissen karamellisiertem Spitzkohl, begann zu husten. Elena klopfte ihm auf den Rücken, der Anfall hörte auf.

„Jemand hat geredet“, meinte Malcolm, „und ich weiß auch schon, wer.“ Er deutete mit der Gabel hinter sich. Elena schien die Andeutung zu verstehen. „Ach was, das glaub ich nicht! Er ist ein bisschen stur, aber absolut zuverlässig!“

„Hoffentlich bereust du das nicht“, antwortete Malcolm. „Sie haben ihn ja kennengelernt, Herr Manolis – und ihm gleich Manieren beigebracht, hat Elena erzählt. Mit, wie heißt das – ammonia solution?“

„Salmiak“, sagte Michael, „es war ein Missverständnis, ich dachte, er wollte mich …“

„Schon gut, ich mache Ihnen doch keinen Vorwurf! Nach Lage der Dinge, diese Sache mit dem Boot …“ Er schüttelte den Kopf. „Seltsam. Auf jeden Fall.“ Michael widmete sich dem Rehbraten. Die gute Elena hatte dem Freund allerhand über den neuen Nachbarn erzählt. Wieso? War er so interessant? Das konnte sein. Die Salmiakpistole, nun ja, das kam nicht alle Tage vor. Michael fühlte sich geschmeichelt. „Deswegen hat sie’s ja erzählt“, meldete sich Frau Paranoia in seinem Schädel. Michael ging nicht darauf ein. Mehr beschäftigte ihn Elenas Mangel an Vorsicht. Wenn Malcolm je hinter ihre Schwindelei kommen sollte, konnte sie sich nicht mehr mit einem „Missverständnis“ herausreden. Sie hatte eben behauptet, Rodrigo nicht zu kennen, nie gekannt zu haben. Klarer ging es nicht. Wie wollte sie sicherstellen, dass Malcolm ihrem Exmann nicht begegnet? Eine Spielerin, fiel ihm ein. Aber das hier war kein Casino. Das war härter. Malcolm schien ihn zu mögen. Herr Manolis. Eine Spur Herablassung, aber kein Hauch von Rivalität. Herr Manolis war kein Rivale. Schriftsteller, also gleichsam ein Kauz. Wenn man es freundlicher ausdrücken wollte: ein Original. Aber keine Gefahr für young Malcolm, das Sahnestück. Michael verdrängte diese niederdrückenden Gedanken.

„Dieser señor Aguirre plant offenbar eine Art Plattform zu errichten“, begann er. „Für ein schweres Teil. Auf dem See. Was könnte das sein? Ein Bohrturm?“

„Bohrturm eher nicht!“ Elena lachte. „Soviel ich weiß, gibt’s hier kein Öl …“

„Aber Nazigold. Beziehungsweise Falschgeld, Diamanten, Rubine – was immer euch einfällt. Allerdings ist mir schleierhaft, was man da bohren muss …“

„Ein Kran“, unterbrach Malcolm. „Es ist ein Kran.“

„Die brauchen einen Kran, um ein paar Kisten zu heben? Ich hab immer gedacht, man taucht, bindet ein Seil an das Zeug und zieht es mit einer Winde hoch. Ihr wollt es doch so machen – mit dem Seehund.“

„Sie sind gut informiert“, sagte Malcolm.

„Er hat den Bunker entdeckt“, erklärte Elena.

„Was heißt hier ‚entdeckt‘ … jeder, der ein bisschen auf dem See herumrudert, kann ihn sehen.“ Michael missfiel die Richtung, die das Gespräch nahm.

„Aber nicht, was drin ist.“ Malcolm blickte ihn an.

„Die Tür stand offen“, sagte Michael. „Ich bin Schriftsteller. Neugier ist eine Berufskrankheit …“ Malcolm lächelte. „Schon gut, ich wollte Sie nur aufziehen! Aber Sie haben recht. Diese midget submarine ist kein Muster für Geheimhaltung. Wir verbergen nichts. Im Gegensatz zu diesem – wie heißt er gleich?“

„Rodrigo Aguirre y Girón.“

„Wie auch immer. Er versucht, den Kran zu verbergen – nach dem zu schließen, was Sie beobachtet haben, Herr Manolis.“

„Aber warum? Wenn es wirklich ein Kran ist … ich meine, das ist doch ein Riesending, wenn es erst einmal steht, kilometerweit sichtbar!“

„Er stellt ihn erst auf, wenn er das Gold gefunden hat. Bis dahin taucht er danach“, sagte Elena. Malcolm war überrascht. „Er ist Taucher? Woher weißt du das?“ Sie deutete auf Michael.

„Ich hab’s ihr erzählt. Gleich, als ich angekommen bin …“ Er schnitt ein großes Stück von seinem Braten ab. Er ärgerte sich über Elena. Sie hatte sich fast verplappert. Die Geheimhaltungsmaßnahmen im Hause Coltrano waren nicht nur in Bezug auf das Mini-U-Boot extrem lasch. Aber Malcolm schöpfte keinen Verdacht.

„Er taucht also“, sagte er, „sucht das Zeug, was immer es ist – und wenn er es gefunden hat, baut er mit seinen Leuten schnell den Kran auf und zieht es rauf.“

„Es muss also groß sein“, sagte Michael.

„Oder schwer. Oder beides, da haben Sie recht, Sir!“

„Ah ja … jetzt fehlt mir ein bisschen der Kontext. Sucht das Haus Coltrano nicht dasselbe? Wieso haben Sie keinen Kran?“ Beide blickten Elena an, die hob die Hände. „Ich habe keine Ahnung! Papá war immer sehr vage, was das betrifft. Schatz, hat es geheißen, also was Wertvolles, nichts besonders Großes. Von der Größe war nie die Rede!“

„Vielleicht forscht der Señor nach etwas anderem“, sagte Michael. „Ihr sucht nach Gold, und er …“

„Nach der Nazibombe!“, rief Malcolm und begann zu lachen. Elena fiel ein, Michael rang sich ein Grinsen ab. Er begriff nicht, was so lustig an der Vorstellung einer nationalsozialistischen Atombombe war. Hing wahrscheinlich mit Malcolms englischer Sozialisation zusammen. Die ganze Nation war ja auf Hitler und den Zweiten Weltkrieg fixiert.

„Wenn es sie gegeben hätte“, sagte er, „die Bombe, wär sie auf London gefallen!“

„Mag sein. Schätze: eher auf Moskau. Aber das ist beides nicht passiert. Konnte auch nicht.“

„Weil sie nicht existiert hat …“

„Nein, nein“, rief Malcolm. „Weil sie dort draußen liegt! Ein paar hundert Meter von hier. In der Tiefe.“ Elena ließ Gabel und Messer fallen, schlug die flache Hand auf die Stirn. „Das ist es! Das muss es sein! Ein schwerer Apparat – daher der Kran!“

„Was?“ Etwas anderes fiel Michael nicht ein.

„Verstehen Sie nicht? Diese Bombe ist wahrscheinlich nicht so wahnsinnig schwer, aber unförmig. Der Spanier baut noch eine zweite Plattform, ihr werdet sehen, mit einem weiteren Kran, dann können sie das Ding in der Mitte hochheben.“

„Wie meinen Sie das, unförmig?“, fragte Michael.

„Es könnte ein riesiges Hakenkreuz sein“, erklärte Elena. „Zehn, zwanzig Meter groß, die eigentliche Bombe in der Mitte …“

Beide schauten ihn voll Erwartung an. Nach ein paar Sekunden mischte sich leichte Enttäuschung in ihre Mienen. Da begriff er, dass er auf den Arm genommen wurde, und versuchte, das Beste daraus zu machen. „Ha, ha“, sagte er so tonlos wie möglich, „ein Witz, verstehe, die Nazibombe als Witz. Sehr lustig, wirklich gelungen …“ Malcolm schüttelte grinsend den Kopf und widmete sich seinem Essen. Gesprochen wurde nichts mehr. Michael Manolis begriff, dass er irgendwie die Stimmung zerstört hatte. In diesem Hause wurde Wert darauf gelegt, dass man a) Scherze als solche erkannte und b) darüber lachte.