image

image

Dieses Buch ist eine überarbeitete Version des unten genannten englischen Originaltitels. Alle Diskurse, die Osho vor einer internationalen Zuhörerschaft gehalten hat, sind als Originale publiziert worden und als Original-Audios erhältlich. Audios und das vollständige Text-Archiv finden sie unter der online-Bibliothek „Osho Library“, bei www.osho.com

Titel der englischen Originalausgabe: Life’s Mysteries

Ebook Ausgabe 2019

eISBN 978-3-947508-17-4

OSHO

AUTHENTISCH

SEIN

EIN NAVIGATOR
DURCH DAS AUF UND AB DES LEBENS

INHALT

EINFÜHRUNG

1. ÜBER DIE KUNST ZU LEBEN

Wie ich höre, feiern deine Leute einfach alles

Was ist das Ziel des Lebens?

Worin besteht die Kunst, wirklich lebendig zu sein?

Was bedeutet Empfänglichkeit?

Ist spontanes Handeln mit Beobachten zu vereinbaren?

2. ÜBER DIE LIEBE

Wie kann ich besser lieben?

Was heißt es, mich selbst zu lieben?

Wie gelange ich über mein Festhalten hinaus?

3. ÜBER BEZIEHUNGEN

Warum ist es so schwierig, in einer Beziehung zu sein?

Kann man verheiratet und doch frei sein?

Wer ist ein wirklicher Freund?

Warum laufe ich vor dem Alleinsein davon?

4. ÜBER VERSPANNUNG UND ENTSPANNUNG

Was hat Entspannung mit Bewusstheit zu tun?

Ist es möglich, auf leichte und entspannte Art erleuchtet zu werden?

5. ÜBER DAS EGO

Was ist der Unterschied zwischen Demut, Scheu und Angst?

Was ist das Ego?

Wie kann man das Ego aufgeben?

6. ÜBER MEDITATION

Sind Intelligenz und Meditation miteinander verwandt?

Wie gelangt man durch Beobachten zum Nichtdenken?

Gibt es eine Beziehung zwischen Bewusstsein und Energie?

7. ÜBER RICHTIG UND FALSCH

Gibt es überhaupt so etwas wie Richtig und Falsch?

Reicht Bewusstheit schon aus, um unser Tun und Lassen anzuleiten?

Wie kann ich beurteilen, ob ich auf dem richtigen Weg bin?

8. ÜBER FREIHEIT, VERANTWORTUNG UND ENGAGEMENT

Warum habe ich eine solche Angst davor, frei zu sein?

Was hat Freiheit mit Einsatz und Verantwortung zu tun?

Die Angst vor der Freiheit lähmt mich …

9. ÜBER KREATIVITÄT

Ich habe mich immer für unkreativ gehalten …

Ist es möglich, ein restlos befriedigendes Bild zu malen?

10. ÜBER DAS LACHEN UND FEIERN

Wie kann der gewöhnliche Mensch mit dir feiern?

Du bist gegen den Ernst?

11. ÜBER OST UND WEST

Kannst du etwas über Stille, Feiern und Leben sagen?

EINFÜHRUNG

Meine Botschaft ist sehr einfach. Daher ist sie so schwer zu verstehen. Ich lehre das Offensichtliche; es ist gar nicht kompliziert. Weil es nicht kompliziert ist, gibt es daran nicht viel zu verstehen; es muss gelebt, erfahren werden. Meine Botschaft ist nicht verbal, logisch oder rational, sondern existenziell. Deshalb werden alle, die sie intellektuell verstehen wollen, sie nur missverstehen.

Doch gibt es da ein paar Anhaltspunkte, die ich euch verraten möchte. Erstens: Bisher hat der Mensch immer nur halbherzig gelebt. Im Osten wie im Westen ist der Mensch einseitig geblieben. Weder der Mensch des Ostens noch der Mensch des Westens ist je ganzheitlich gewesen. Der Westen hat den Körper gewählt, er ist körperorientiert; der Osten hat die Seele gewählt, er ist seelenorientiert; doch der Mensch ist beides, eine große Ausgewogenheit zwischen beidem. Der Mensch ist sowohl beides als auch jenseits von beidem. Weder der Osten noch der Westen hat den Menschen als eine Ganzheit verstanden. Wir haben noch nie gewagt, den Menschen in seiner Ganzheit zu akzeptieren.

Das ist einer der wesentlichen Grundzüge meiner Lehre und ich möchte, dass jeder versteht: Ich lehre den ganzheitlichen Menschen. Die bloße Vorstellung von Ost und West ist Unfug; auch das gehört zu der alten Zweiteilung. Jegliche Zweiteilung muss aufgelöst werden.

Ich lehre eine einzige Welt. Ost und West müssen verschwinden; beide sind schizophren. Der Westen ist Rechtshänder, der Osten ist Linkshänder; der Westen ist aktiv, der Osten ist passiv; der Westen ist extrovertiert, der Osten ist introvertiert … Aber der Mensch ist beides zugleich – und jenseits von beidem.

Wer ganzheitlich sein will, der muss sowohl extrovertiert wie introvertiert sein können. Um ganzheitlich zu sein, muss man sowohl ausatmen wie einatmen können. Man braucht das Einatmen ebenso wie das Ausatmen. Ja, sie sind nicht einmal zwei verschiedene Dinge; Ein- und Ausatmen bilden ein und denselben Vorgang.

Der Westen hat die Außenwelt, die Materie gewählt, ist äußerst naturwissenschaftlich geworden, hat eine großartige Technik hervorgebracht; doch der Mensch wird von dieser Technik überrollt; der Mensch ist nicht mit ihr gewachsen. Der Mensch hinkt weit hinter ihr her. Seine Wissenschaft ist ihm längst über den Kopf gewachsen, und zurzeit beginnt die Wissenschaft, die der Mensch hervorgebracht hat, die Menschheit selbst zu vernichten.

Die Innenwelt des Menschen ist im Westen verarmt, der Mensch ist im Westen spirituell ausgehungert. Und am entgegengesetzten Ende ist dem Osten dasselbe passiert: Dort hat der Mensch seinen Körper, seine Außenwelt völlig vernachlässigt. Der Osten hat darauf bestanden, dass du alles außerhalb von dir leugnen sollst, der greifbaren Welt entsagen und nur nach innen gehen, in deiner Mitte bleiben sollst. So ist der Osten zwar spirituell reich, aber materiell sehr arm und ausgehungert. Der Osten hat gelitten, der Westen hat gelitten.

Meine Botschaft ist: Es wird höchste Zeit, Schluss zu machen mit dieser Spaltung in Äußeres und Inneres, in Niederes und Höheres, in Links und Rechts. Wir sollten Schluss machen mit dieser Spaltung zwischen Mann und Frau, zwischen Ost und West. Wir sollten dafür sorgen, dass der Mensch heil und ganz wird und seinen beiden Seiten gerecht wird.

Aus diesem Grund wird man mich überall missverstehen. Der religiöse Mensch im Osten ist böse auf mich, weil er glaubt, ich würde den Materialismus lehren, und der religiöse Mensch im Westen ist böse auf mich, weil er glaubt, ich würde ein spirituelles Abrakadabra lehren. Alle sind böse auf mich! Aber das ist nur natürlich – ich kann es verstehen.

Ich lehre den ganzen Menschen – von der untersten Sprosse der Leiter bis zu ihrer höchsten Sprosse, vom Sex bis zum samadhi, vom Körper bis zur Seele, von der Materie bis zu Gott.

Mein Vertrauen ist unerschütterlich. Ich möchte euch sagen, dass der Mensch bisher noch nie Vertrauen gehabt hat – nicht einmal der östliche Mensch! Im Osten hat der Mensch an der Existenz der Welt gezweifelt; der Osten hat die Welt sogar illusorisch, maya, genannt. Im Westen hat der Mensch an der Existenz Gottes und der Seele gezweifelt; diese werden dort als krankhafte Halluzinationen angesehen. Wer durch und durch westlich denkt, dem kommt Jesus neurotisch, psychotisch vor, reif für die Psychiatrie. Der Osten hält den Westen für animalisch: „Wein, Weib und Gesang!“ – das ist in etwa das Bild, das sich der Osten vom Westen macht. Er glaubt, die einzige westliche Philosophie lautet: „Seid wie die Tiere – primitiv!“ Der Westen hat die Innenwelt angezweifelt, der Osten hat die Außenwelt angezweifelt. Beide haben im Zweifel gelebt und so ist ihr Vertrauen immer nur halbherzig geblieben.

Mein Vertrauen ist absolut. Ich vertraue ins Äußere und ich vertraue ins Innere – weil das Äußere und das Innere zusammengehören. Sie sind nicht zu trennen. Es gibt keinen Gott ohne die Welt; es gibt keine Welt ohne Gott. Gott ist der innerste Kern dieser Welt. Der Saft, der in den Bäumen fließt, ist Gott; das Blut, das in deinem Körper kreist, ist Gott; das Bewusstsein, das in dir wohnt, ist Gott. Gott und die Welt sind genauso ineinander verwoben wie ein Tänzer und sein Tanz; sie sind nicht zu trennen, sie sind unzertrennlich. Also sage ich weder dass die Welt Illusion sei – das ist Unsinn, die Welt ist so wirklich wie das Bewusstsein; noch sage ich, dass die Innenwelt Neurose, Wahnsinn, Halluzination sei – das ist sie nicht; vielmehr ist sie das Fundament der Wirklichkeit.

Ich lehre den ganzen Menschen. Ich bin weder Materialist noch Spiritualist. Mein Ansatz ist ganzheitlich – holistisch. Und der ganze Mensch kann nur eins sein – nämlich holy, heilig. Aus diesem Grund wird es überall nur Missverständnisse über mich geben, und jeder kann sich etwas herauspicken und Fehler bei mir finden, es ist sehr leicht: Der Spiritualist kann mich einen Epikuräer nennen, einen Anhänger von Charvaka, dem indischen Epikur – und damit hätte er nicht ganz unrecht, weil ich zur Hälfte epikuräisch bin. Ich finde an Epikur und Charvaka gut, dass sie den Körper und die Freuden des Körpers ehren und den Körper feiern, denn es gibt Grund genug, ihn zu feiern. Denn sobald man ihn verwirft, wird man ernst und traurig.

Das ist auch der Grund, warum die Heiligen des Ostens so traurig und freudlos wirken. Sie reden zwar von Seligkeit, aber ihren Gesichtern ist nichts davon anzumerken. Sie sehen total unglücklich aus, sie wirken absolut tot – weil sie Angst vor der Außenwelt haben. Und wer vor der Außenwelt Angst hat, der wird sich vor der Liebe fürchten, denn die Liebe führt uns nach außen. Liebe bedeutet der Andere, Liebe bedeutet sich zu beziehen, Liebe bedeutet sich auf den Anderen einzulassen. Liebe bedeutet die Beziehung zwischen dem Ich und dem Du. Der Osten leugnet den anderen, folglich ist der Osten gegen die Liebe. Und wer gegen die Liebe ist, der wird nicht mehr tanzen können.

Ohne Liebe gibt es keinen Tanz und keinen Gesang im Leben. Ohne Liebe gibt es keine Poesie. Das Leben wird stumpf, wird zur Last. Ohne Liebe kann man zwar leben, aber nur auf Sparflamme; es wird mehr ein Vegetieren sein.

Und genau das ist mit der östlichen Spiritualität passiert. Geht in die Klöster, geht in die Ashrams … darum sieht mein Ashram so völlig anders aus – hier tanzen die Leute, singen, halten sich bei der Hand, umarmen sich, lieben sich, jubeln! So etwas ist für den Osten kein Ashram! Ein Ashram hat absolut freudlos zu sein; er sollte eher wie ein Friedhof als ein Garten aussehen. Aber sobald ihr nicht lieben dürft, hört alles in euch zu fließen auf und ihr stagniert. Ihr könnt nicht ohne Liebe feiern. Wie solltet ihr ohne Liebe feiern können? Und was gäbe es dann noch zu feiern? Und womit?

Mulla Nasruddin sagte eines Tages zu mir: „Ich bin jetzt hundert Jahre alt! Gestern hab ich meinen hundertsten Geburtstag gefeiert. Und ich war in meinem ganzen Leben hinter keiner Frau her und hab nie getrunken. Ich habe nie Karten gespielt und kein Spielcasino besucht. Ich rauche nicht und lebe nur von einfacher, vegetarischer Kost.“

Ich fragte: „Aber hast du nicht gesagt, du hättest deinen hundertsten Geburtstag gefeiert? Wie hast du gefeiert und womit? Und wozu überhaupt? Einfach nur hundert zu sein, ist doch noch keine Feier wert!“

Wer nie geliebt hat, der hat nie gelebt. Darum ist die östliche Spiritualität auch so traurig, stumpf und tot. Der Heilige des Ostens ist ohne Saft und Kraft. Er fürchtet sich vor allem, was fließt, was schwingt, was pulsiert, was strömt und energetisch ist. Ständig muss er sich zusammenreißen, unterdrücken. Er sitzt auf einem Vulkan und ist auf der Hut. Er ist gegen sich selbst und gegen die Welt. Er wartet nur auf den Tod, er begeht langsamen Selbstmord.

Der westliche Mensch hat von jeher geliebt – viel gelacht und getanzt und gesungen; aber der westliche Mensch hat darüber völlig vergessen, wer er ist. Er hat sein Bewusstsein aus dem Auge verloren, er bekommt nichts mehr mit. Weil er das Innere leugnet, ist er immer mechanischer geworden. Also lacht er zwar, aber sein Lachen geht nicht tief – weil keine Tiefe da ist. Es darf keine Tiefe geben. Also lebt der Westen in oberflächlicher Fröhlichkeit und der Osten in tiefer Traurigkeit. Das ist das Elend, ist die Qual, die der Menschheit widerfahren ist.

Meine Botschaft ist: Es wird Zeit! Der Mensch ist heute reif genug, um sich von diesen halbherzigen, einseitigen Verhaltensweisen zu verabschieden. Diese Programme sind überholt und müssen abgestreift und geändert werden. Man sollte sowohl das Äußere wie das Innere akzeptieren – und zwar total, ohne jede Einschränkung. Dann wird Bewusstsein entstehen und wird Liebe entstehen, und sie werden einander nicht widersprechen sondern sich ergänzen.

Eure Liebe wird euch Freude schenken, euer Bewusstsein wird euch zu Kristallisation verhelfen. Euer Bewusstsein wird euch klarmachen, wer ihr seid, und eure Liebe wird euch klarmachen, was es mit dieser Welt auf sich hat. Und zwischen diesen beiden Ufern fließt der Strom des Lebens dahin …

Ich lehre den ganzen Menschen. Das ist das Wesentliche; wenn das einmal verstanden ist, wird alles andere leicht, dann wird alles einfach. Dies ist die Grundlage. Ich lehre die Welt und ich lehre Gott, und beide im selben Atemzug. Ich möchte Epikur und Buddha so weit wie möglich zusammen bringen. Buddha sitzt unter seinem Baum; man kann sich Buddha nicht tanzend vorstellen. Epikur tanzt in seinem Garten; man kann sich Epikur nicht meditierend vorstellen – still unter einem Baum. Ich möchte, dass Epikur und Buddha eins werden.

Das Leben sollte ein rhythmischer Wechsel von Tanz und Stille, von Musik und Klang und Stille sein. Das Leben sollte einen Rhythmus aus beiden Bewegungen bilden – so weit wie möglich nach außen und so weit wie möglich nach innen gehen, denn Gott ist beides. Schließt die Augen und ihr seht Gott; öffnet die Augen und ihr seht Gott, denn es gibt nichts als Gott.

Und versteht auch das: Die Leute hier sind nicht meine Anhänger. Sie lieben mich, aber sie sind nicht meine Anhänger. Sie sind meine Freunde, aber nicht meine Anhänger. Sie sind meine Schüler, nicht meine Anhänger. Und was ist der Unterschied zwischen einem Schüler und einem Anhänger? Ein Anhänger glaubt; er macht aus jedem Wort, das gesagt wird, ein Dogma. Ein Schüler lernt, probiert aus, und er bleibt solange offen, bis er selbst die Wahrheit findet. Ich lehre meine Freunde, meine Sannyasins keinerlei Dogma. Ich helfe ihnen lediglich, sich selbst zu verstehen. Ich helfe ihnen nur, sie selbst zu sein.

Ein Anhänger ist ein Nachahmer. Ein Christ muss Christus nachahmen und ein Buddhist muss Buddha nachahmen – und Nachahmer sind nie echt. Ich möchte, dass meine Freunde authentisch sind. Wie könntet ihr mich nachahmen? Ich bin ganz anders als ihr, und ihr seid ganz anders als ich. Du bist so einmalig, dass es noch nie einen Menschen wie dich gegeben hat – und nie wieder geben wird. Gott erschafft jeden Menschen nur einmal. Er ist sehr innovativ, er wiederholt sich nicht, er produziert die Menschheit nicht am Fließband. Das ist anders als mit Autos, mit den Fiats oder Fords, wo sich Tausende gleichen, einer wie der andere ist. Gott erschafft nur Einmaliges.

Geht in den Garten: Ihr werdet keine zwei Grashalme finden, die sich gleichen. Nicht einmal identische Zwillinge sind gleich. Wie also könnte man jemandem nacheifern wollen? Alles Nacheifern ist verkehrt. Meine zweite Botschaft lautet also: Der Mensch darf nie einem anderen folgen. Ihn verstehen gewiss, von ihm lernen gewiss, ihm zuhören gewiss und offen bleiben. Folgen darf man nur seiner eigenen inneren Spontaneität, nur seinem eigenen Wesen.

Ich helfe den Menschen, sie selbst zu sein. Etwa so, wie ich den Rosen in meinem Garten dabei helfe, Rosen zu sein und dem Lotus, ein Lotus zu sein. Mir ist nicht daran gelegen, aus dem Lotus eine Rose zu machen. Die Welt ist nur aufgrund ihrer Vielfalt so reich. Die Welt wäre hässlich, wenn nur Rosen wüchsen und keine anderen Blumen. Tausende von Blumen wachsen, und die Welt ist wunderschön. Jeder Mensch muss authentisch sein, absolut er selbst. Die Sannyasins sind also nicht meine Anhänger, sie lieben mich. Ihre Liebe hat sie zu mir geführt. Ihre Liebe hat mich hierher gebracht, ihre Liebe hat sie hierher gebracht; wegen dieser Liebe sind wir zusammen. Aber ich bin nicht ihr Führer und sie sind nicht meine Anhänger. Und ich stifte hier keine Sekte, ich gründe hier keine Kirche. Meine Sannyasins sind nur eine Gemeinschaft von Freunden, keine Kirche. Wir haben kein Dogma, an das alle glauben müssen. Es gibt nichts, woran man glauben muss, wohl aber zahllose Dinge, mit denen man experimentieren kann. Meine Kommune ist ein Labor; hier wird experimentiert.

Auch das führt zu Missverständnissen, denn der Mensch hat vergessen zu experimentieren. Wir experimentieren auf vielen verschiedenen Ebenen. Wir experimentieren mit Tao, wir experimentieren mit Sufismus, wir experimentieren mit Jainismus, Hinduismus, dem Islam, dem Christentum. Wir experimentieren mit Tantra, mit Yoga, mit Alchemie; wir experimentieren mit jeglicher Möglichkeit, die das menschliche Bewusstsein bereichern und den Menschen wieder heil und ganz machen kann. Das kann freilich zu Problemen führen. Wenn ein Yoga-Schüler hierher kommt, kann er nicht verstehen, was er mit Tantra anfangen soll – er ist gegen Tantra. Wenn ein Tantra-Schüler kommt, sieht er nicht ein, warum er mit Yoga experimentieren soll – er ist gegen Yoga.

Ich bin gegen gar nichts; ich bin für alles. Ich bin ausdrücklich für alles, ich erhebe Anspruch auf das gesamte Erbe der Menschheit. Und alles, was tauglich ist, gleich welcher Tradition es entstammt, ist mein, und alles, was den Menschen bereichern kann, ist mein. Ich gehöre zwar keiner Tradition an, aber alle Traditionen sind mein. Dies ist also ein neues Experiment. So etwas ist noch nie in dieser Art und Weise versucht worden. Hier findet die Synthese aller spirituellen Wege statt. Ich lehre eine Synthese, und ich habe das Gefühl, dass alle, die nur mit Yoga experimentieren, unvollständig sind, nur zum Teil wachsen werden – so als hätte sich jemand eine viel zu große Hand antrainiert, und der ganze Körper ist klein geblieben … was für ein Monster – es sei denn, er kann auch mit Tantra experimentieren, denn Tantra und Yoga ergänzen einander.

Merkt euch, dies ist eine meiner grundlegenden Erkenntnisse, dass sich nichts im Leben widerspricht. Alle Widersprüche sind komplementär, ergänzen einander. Die Nacht ist komplementär zum Tag, so wie der Sommer komplementär ist zum Winter und der Tod zum Leben. Sie sind einander nicht entgegengesetzt. Nichts ist gegen etwas, denn es gibt nur eine Energie, es existiert nur ein Gott. Meine Linke und meine Rechte sind nicht gegeneinander, sondern sind komplementär. Genau wie Vogelschwingen, zwei Flügel – sie scheinen zwar einander entgegengesetzt zu sein, unterstützen einander aber: Der Vogel kann mit nur einem Flügel nicht fliegen.

Man muss mit Tantra und Tao gemeinsam experimentieren. Warum? Nun, Yoga bietet uns eine tiefe Einsicht in Disziplin, und Tao eine tiefe Einsicht in Spontaneität. Sie scheinen nur an der Oberfläche entgegengesetzt zu sein; aber solange deine Disziplin dich nicht spontaner macht und deine Spontaneität dich nicht disziplinierter macht, kannst du nicht heil und ganz werden. Yoga heißt äußerste Kontrolle, Tantra heißt die Aufgabe aller Kontrolle; und wir brauchen beides. Ein Mensch muss fähig sein, Ordnung zu halten, damit er, wenn es darauf ankommt, absolut geordnet vorgehen kann. Aber man darf sich nicht nur auf Ordnung fixieren, sonst wird man zum Roboter. Man sollte sein System, seine Disziplin auch mal an den Nagel hängen können, falls es notwendig wird. Dann kann man spontan sein, sich treiben lassen und loslassen. Das kann man nur im Tantra lernen, nirgendwo anders.

Ich bringe im Leben meiner Sannyasins alle Gegensätze als wechselseitige Ergänzungen zusammen. Die Yogis werden gegen mich sein, weil sie nicht einsehen werden, was Sex und Liebe im Leben eines Sannyasins zu suchen haben. Sie haben Angst, Angst vor Sex, weil Sex das Spontanste im Leben ist. Denn das hieße ja, außer Kontrolle zu geraten! Sie wissen genau: Haben sie erst einmal den Sex unter Kontrolle, dann ist alles andere unter Kontrolle. Also ist Sex ihr Erzfeind. Für Tantra wird dein ganzes Leben roboterhaft, wenn dein Sex nicht spontan sein darf. Er muss sich in Freiheit entfalten dürfen. Und alle beide haben sie Recht, der eine wie der andere. Dies ist mein Ansatz. Das mag absurd klingen, weil mein Ansatz sehr unlogisch ist. Die Logik lässt immer nur eines gelten: Man kann entweder ein Yogi oder ein Tantriker sein. Ich aber halte mich ans Leben und nicht an die Logik; und zum Leben gehört sowohl das eine wie das andere. Das Leben erfordert sehr viel Disziplin, denn man muss auf der Welt mit so vielen Menschen auskommen. Man muss diszipliniert leben, denn sonst würde das Leben zum Chaos. Das Leben würde unmöglich, wenn man sich an keine Disziplin hält. Aber wenn es für dich nichts anderes mehr gibt als Disziplin und du alle Spontaneität vergisst und nur noch zu Disziplin wirst und nie mehr aus ihr heraus findest, dann hast du das Leben verloren und bist zur Maschine erstarrt.

Dies sind die beiden Alternativen, die dem Menschen bisher freistanden: Werde entweder zum Chaos – was nicht gut ist; oder werde zu einer Maschine – was auch nicht gut ist. Ich möchte, dass ihr lernt, hellwach zu sein – bewusst, aufmerksam, diszipliniert und doch fähig zu Spontaneität. Wenn du arbeitest, dann sei diszipliniert – aber Arbeit ist nicht alles. Wenn du spielst, dann vergiss alle Disziplin.

Ich war einmal in Kalkutta im Hause eines Obersten Richters zu Gast. Seine Frau sagte zu mir: „Mein Mann hört nur auf Sie. Sie sind der Einzige, der in seinem Leben etwas ausrichten kann. Seine Einstellung geht der ganzen Familie auf die Nerven. Er bleibt selbst im eigenen Hause immer der Richter.“ Sie sagte: „Selbst im Bett bleibt er noch der Oberste Richter. Er verlangt von mir, dass ich ihn mit ‚Euer Gnaden‘ anspreche! Nie ist er spontan, und dauernd schreibt er uns etwas vor und erlässt Gesetze. Die Kinder haben es satt. Wenn er nach Hause kommt, wird es schlagartig still, alle Freude ist verflogen. Wir können es gar nicht abwarten, bis er wieder zum Gericht fährt.“

Nun, ich kenne den Mann; er ist ein guter Richter – sehr gewissenhaft, sehr aufrichtig und ehrlich. Und das sind lauter gute Eigenschaften – aber er ist zu einer Maschine geworden. Er kommt heim und bleibt ‚Euer Gnaden‘; das ist nicht gut. Man muss sich auch mal entspannen, mal mit den Kindern spielen können. Aber so tief kann er sich nicht herablassen. Selbst vor seiner Frau bleibt er auf seinem hohen Ross, unerreichbar. Immer und überall bleibt er der Richter. Genau das ist es, was mit den Anhängern des Yoga passiert ist; sie können nicht mehr spielerisch sein, sie können sich über nichts mehr freuen. Sie können nicht mehr feiern, weil sie einfach nicht mehr entspannt sein können. Und wer nur Tantra kennt, wird chaotisch; wer nichts anderes übt als Tantra, der wird sehr, sehr selbstsüchtig. Dann werden dir alle anderen egal; dann vergisst du, dass du Teil eines größeren Ganzen bist, dass du einer Gesellschaft angehörst, dass du Teil der Existenz bist und der Existenz etwas schuldest – denn was wärst du ohne sie? Du musst gewissen Ansprüchen genügen, die die Existenz, die die Gesellschaft an dich stellt. Wenn du absolut chaotisch wirst, kannst du nicht überleben – dann kann niemand überleben.

Also muss man ein Gleichgewicht finden zwischen Chaos und Mechanisierung, einen Punkt genau in der Mitte. Ich möchte, dass ihr an diesem Punkt seid – genau in der Mitte. Und von da aus könnt ihr, wenn es nötig wird, in das eine oder das andere Extrem gehen und ebenso auch wieder zurückkommen. Diese Geschmeidigkeit lehre ich, diese Beweglichkeit lehre ich.

Ich bin gegen jede Fixierung, jede Erstarrung. Ich lehre Lebenssynthesen, die wachsen; Verhaltensweisen, Erscheinungsbilder, die wachsen und die immer auch das Andere, den Gegensatz mit einschließen können. Dann ist das Leben schön.

Und man kann die Wahrheit nur erkennen, wenn man gelernt hat, die Gegensätze in Ergänzungen zu verwandeln. Erst dann gewinnt dein Leben Symmetrie, kommt es zum Ausgleich … halten sich das Positive und das Negative die Waage.

Erst in dieser Ausgewogenheit liegt die Transzendenz. In dieser Ausgewogenheit erkennt man das Jenseits, öffnet man sich für das Jenseits.

1. KAPITEL

ÜBER DIE KUNST ZU LEBEN

Unser Leben ist kurz; unsere Energie ist begrenzt, sehr begrenzt. Und mit dieser begrenzten Energie müssen wir das Unbegrenzte finden; in diesem kurzen Leben müssen wir das Ewige finden. Eine große Aufgabe, eine große Herausforderung! Befasst euch also bitte nicht mit Belanglosigkeiten.

Was ist wichtig und was ist unwichtig? Nach der Definition aller Buddhas ist all das unwichtig, was dir der Tod nehmen kann und all das wichtig, was dir der Tod nicht nehmen kann. Merk dir diesen Unterschied, mach einen Prüfstein daraus. Anhand dieses Prüfsteins kannst du alles augenblicklich einschätzen.

Hast du von dem Prüfstein gehört, mit dem die Alchemisten beurteilten, was Gold ist und was nicht? Mache folgende Frage zu deinem Prüfstein für das, was wichtig ist: Wird es dir der Tod dereinst nehmen? Wenn ja, dann ist es nicht wichtig. Geld ist also nicht wichtig – nützlich zwar, aber nicht wichtig, ohne Belang. Macht? Ansehen? Ehre? – der Tod wird kommen und das alles auslöschen; warum also in den wenigen Tagen, die du hier verweilst, so viel Aufhebens davon machen? Dies ist eine Karawanserei, einer Herberge für die Nacht, und wenn der Morgen kommt, ziehen wir weiter.

Merkt euch: Nur was du mitnehmen kannst, wenn du deinen Körper verlässt, ist wichtig. Mit anderen Worten: Außer Meditation ist gar nichts wichtig. Außer Bewusstheit ist gar nichts wichtig, denn nur deine Bewusstheit kann dir der Tod nicht nehmen. Alles andere wird er dir wegschnappen – weil alles andere von außen kommt. Nur die Bewusstheit sprudelt aus deinem Innern hervor; die kann man dir nicht nehmen. Genauso wenig wie die Schatten der Bewusstheit: dein Mitgefühl, deine Liebe … die man dir nicht nehmen kann, sie sind untrennbar mit deiner Bewusstheit verwoben.

Du wirst also nur die Bewusstheit mitnehmen, die du erlangen konntest; das ist dein einziger wirklicher Reichtum.

Wie ich höre, feiern deine Leute einfach alles?

Du hast richtig gehört: Meine Sannyasins feiern alles. Feiern ist der Grundstein meines Sannyas – nicht Abkehr von der Welt, sondern Feiern; alle Schönheiten, alle Freuden zu feiern, die das Leben uns bietet – weil dieses ganze Leben ein Geschenk Gottes ist. Die alten Religionen haben euch gelehrt, dem Leben zu entsagen. Sie sind alle lebensfeindlich; ihr ganzer Ansatz ist pessimistisch. Sie sind alle gegen das Leben und seine Freuden.

Für mich ist Leben gleichbedeutend mit Gott. Ja, Leben ist ein viel besseres Wort als Gott, weil Gott nur ein philosophischer Begriff ist, während Leben etwas Reales, Existenzielles ist. Das Wort Gott kommt nur in Heiligen Schriften vor; es ist nur ein Wort, ein bloßes Wort. Das Leben aber ist in euch und um euch herum – in den Bäumen, in den Wolken, in den Sternen. Diese ganze Schöpfung ist ein Tanz des Lebens.

Ich lehre die Liebe zum Leben. Ich lehre die Kunst, euer Leben total zu leben, trunken zu sein vom Göttlichen im Leben. Ich bin kein Weltflüchtling. Alles, was euch die alten Religionen gelehrt haben, ist Weltflucht – sie waren alle gewissermaßen hip. Dazu müsst ihr wissen, was das Wort Hippie bedeutet … Es bezeichnet jemanden, der vor dem Kampf des Lebens wegläuft, der ihm seine hips, seine Hüften zeigt! All eure alten Religionen sind Hippies, haben ihre Hüften gezeigt. Sie konnten sich nicht der Herausforderung des Lebens stellen, sie konnten dem Leben nicht begegnen, ihm nicht ins Auge sehen. Sie waren Feiglinge. Sie zogen sich in die Berge, in die Klöster zurück. Doch auch wenn du dich in die Berge, in die Klöster zurückziehst, wie willst du dich selbst zurücklassen? Du bist Teil des Lebens.

Das Leben pulsiert in deinem Blut, es atmet in dir, das Leben ist dein eigentliches Sein. Wohin willst du fliehen? Und all diese Fluchtbemühungen sind, bei Licht besehen, Selbstmord. Eure Mönche, eure Nonnen, eure Mahatmas, eure so genannten Heiligen waren allesamt Selbstmörder. Sie übten sich im allmählichen Selbstmord. Sie waren nicht nur Selbstmörder, sondern obendrein Feiglinge – Feiglinge, weil sie nicht imstande waren, auf einen Hieb Selbstmord zu begehen. Sie begingen nach und nach Selbstmord – auf Raten; sie starben ganz allmählich und langsam. Diese kranken Menschen, diese unheilsamen, diese wahnsinnigen Menschen haben wir verehrt. Dabei waren sie gegen Gott, weil sie gegen das Leben waren.

Ich bin total verliebt in das Leben, deshalb lehre ich das Feiern. Alles muss gefeiert werden, alles muss gelebt, geliebt werden. Für mich gibt es nichts Weltliches und nichts Geheiligtes. Mir ist alles heilig, von der untersten Sprosse der Leiter bis hinauf zur höchsten Sprosse. Es ist eine Leiter: vom Körper zur Seele, vom Materiellen zum Spirituellen, vom Sex zum samadhi ist alles göttlich!

Einer meiner Sannyasins erzählt einem Schauspieler, der gerade den Hamlet spielt, dass er früher auch schon einmal den Hamlet gespielt hat.

„Wie haben Sie die Rolle verstanden?“, fragt der Darsteller. „Hat Hamlet tatsächlich mit Ophelia geschlafen?“

„Hamlet? Weiß ich nicht“, antwortet der Sannyasin, „aber ich schon!“

Feiern muss etwas Totales sein, nur so kannst du in allen Dimensionen reich sein. Und in allen Dimensionen reich zu sein ist das Einzige, was wir Gott anzubieten haben.

Wenn es einen Gott gibt und du eines Tages vor ihm stehst, wird er dir nur die eine Frage stellen: „Hat du dein Leben total gelebt oder nicht?“ – denn du hast diese Chance bekommen um zu leben, nicht um zu entsagen.

Meine Sannyasins feiern sogar den Tod; für mich ist der Tod nicht das Ende, sondern das eigentliche Crescendo, der eigentliche Höhepunkt des Lebens. Er ist das Höchste im Leben. Wenn du richtig gelebt hast, wenn du ohne Einschränkungen gelebt hast, von Augenblick zu Augenblick, wenn du jeden Tropfen aus deinem Leben herausgepresst hast, dann wird dein Tod der höchste Orgasmus sein.

Was ist das Ziel des Lebens?

Das Leben hat kein anderes Ziel als sich selbst, denn Leben ist nur ein anderes Wort für Gott selbst. Alles Übrige auf der Welt kann ein Ziel haben, kann ein Mittel zum Zweck sein, aber zumindest eines gibt es, was der Zweck von allem ist und kein Mittel zu irgendetwas anderem.

Ihr könnt es die Existenz nennen. Ihr könnt es Gott nennen. Ihr könnt es Leben nennen. Das sind nur verschiedene Namen für ein und dieselbe Wirklichkeit. Gott ist der Name, den die Theologen dem Leben gegeben haben; und das bringt die Gefahr mit sich, dass man es leugnen kann, ihm widersprechen kann. Fast die halbe Welt glaubt nicht an einen Gott. Nicht nur die Kommunisten, sondern auch die Buddhisten, die Jainas … und es gibt Abertausende von Freidenkern, die Atheisten sind. Der Begriff Gott lässt sich deswegen kaum verteidigen, weil er Menschenwerk ist und sich nicht beweisen lässt – es gibt für ihn keinen Beweis, kein Argument. Es bleibt mehr oder weniger einleerer Begriff, der immer genau das bedeutet, was man ihm jeweils unterschiebt.

‚Existenz‘ ist schon besser. Alle großen Denker des zwanzigsten Jahrhunderts sind Existenzialisten. Sie haben das Wort Gott gestrichen. Existenz reicht ihnen voll und ganz. Aber für mich ist das Wort Existenz nur der extreme Gegenpol zum Wort Gott, denn es weist nicht darauf hin, ob die Existenz lebendig oder tot ist. Es sagt nicht, ob sie intelligent ist – sie könnte auch unintelligent sein. Es sagt nicht, ob sie ein Bewusstsein hat – vielleicht hat sie ja gar kein Bewusstsein? Darum bevorzuge ich das Wort Leben. Es enthält alles Notwendige; außerdem braucht man es nicht erst zu beweisen. Du bist Leben. Du bist der Beweis, du bist das Argument. Also ist das Leben nicht zu leugnen. Darum hat es in der gesamten Menschheitsgeschichte nicht einen Denker gegeben, der das Leben geleugnet hätte.

Millionen haben Gott geleugnet, aber wie will man das Leben leugnen? Es pulsiert in deinem Herzen, es ist in deinem Atem, es zeigt sich in deinen Augen. Es kommt in deiner Liebe zum Ausdruck. Es feiert auf tausenderlei Art und Weise – in den Bäumen, in den Vögeln, in den Bergen, in den Flüssen …

Leben ist das Ziel von allem. Folglich kann das Leben nichts anderes zum Ziel haben als sich selbst. Anders ausgedrückt: Das Leben ist ein Ziel in sich. Es ist seine Art zu wachsen, sich auszudehnen, zu feiern, zu tanzen, zu lieben, zu genießen – all das sind Aspekte des Lebens.

Aber bis heute hat noch keine Religion das Leben zum Ziel all unserer Anstrengungen, all unserer Bestrebungen gemacht. Im Gegenteil: Die Religionen waren bisher immer nur gegen das Leben und für einen hypothetischen Gott. Aber das Leben ist so real, dass all diese Religionen in all den Jahrtausenden dem Leben noch nie etwas anhaben konnten, so sehr sie das Leben auch verteufelten. Ihr Gott war nicht der innerste Kern des Lebens, ihr Gott war nur zu finden, indem man dem Leben entsagte. Diese Irreführung der Menschheit hat sich als eine große Katastrophe erwiesen. Schon der Gedanke, dem Leben zu entsagen, läuft auf einen Todeskult hinaus. All eure Religionen sind Anbeter des Todes. Nicht zufällig verehrt ihr nur tote Heilige. Solang sie leben, kreuzigt ihr sie. Solange sie leben, steinigt ihr sie. Solange sie leben, vergiftet ihr sie. Kaum sind sie tot, dann betet ihr sie an, macht ihr eine Kehrtwende. Schlagartig ändert sich eure ganze Einstellung.

Mit der Psychologie dieses Sinneswandels hat sich noch nie jemand eingehend beschäftigt. Dabei lohnt es sich, die Frage zu stellen: Warum werden die Heiligen verehrt, wenn sie tot sind, aber verdammt, wenn sie leben? Weil tote Heiligen allen Anforderungen von Frömmigkeit entsprechen: Sie lachen nicht, sie genießen nicht, sie lieben nicht, sie tanzen nicht, sie ignorieren die Existenz. Sie haben tatsächlich dem ganzen Leben entsagt – sie atmen nicht mehr, ihr Herz schlägt nicht mehr: Jetzt sind sie hundertprozentig religiös! Sie können keine Sünde mehr begehen, soviel steht fest. Auf sie ist Verlass, auf sie kann man bauen.

Auf einen lebenden Heiligen ist keineswegs Verlass; schon morgen mag er sich‘s anders überlegen. So mancher Heiliger ist ein Sünder geworden, so mancher Sünder ist ein Heiliger geworden. Solange sie also noch nicht tot sind, lässt sich über sie nichts mit absoluter Gewissheit sagen. Das ist einer der wesentlichen Gründe, warum ihr in euren Tempeln, in euren Kirchen, in euren Moscheen, euren Gurudwaras, euren Synagogen … wen betet ihr da an? Und ihr erkennt noch nicht mal, wie dumm das ist – dass die Lebenden die Toten anbeten! Die Gegenwart die Vergangenheit anbetet!

Man zwingt das Leben, den Tod anzubeten. Nur diese lebensfeindlichen Religionen sind Schuld daran, dass deine Frage Was ist das Ziel des Lebens? – seit Menschengedenken immer wieder gestellt worden ist. Denn euren Religionen zufolge besteht das Ziel des Lebens darin, ihm zu entsagen, es zu zerstören, dich selbst zu quälen – im Namen irgendeines sagenhaften oder hypothetischen Gottes.

Tiere haben keine Religion außer dem Leben; Bäume haben keine Religion außer dem Leben, Sterne haben keine Religion außer dem Leben. Bis auf den Menschen hat die gesamte Existenz Vertrauen ins Leben. Es gibt keinen anderen Gott und keinen anderen Tempel. Es gibt keine Heilige Schrift. Das Leben ist alles zugleich. Es ist der Gott und es ist der Tempel und es ist die Heilige Schrift. Und es gibt nur eine einzige Religion: Das Leben total und mit ganzem Herzen zu leben.

Ich lehre euch, dass es kein anderes Ziel gibt, als sein Leben mit einer solchen Totalität zu leben, dass jeder Augenblick zu einer Feier wird. Schon der Gedanke an ein Ziel lässt euch an die Zukunft denken, denn jedes Ziel, jeder Zweck setzt eine Zukunft voraus. All eure Ziele berauben euch der Gegenwart, die das einzig Wirkliche ist, was ihr habt. Die Zukunft ist nur eure Fantasie, und die Vergangenheit besteht nur aus den Fußspuren, die im Sand eurer Erinnerung zurückblieben. Weder ist die Vergangenheit jetzt noch wirklich, noch ist die Zukunft schon wirklich.

Dieser Augenblick ist die einzige Wirklichkeit, die es gibt. Und diesen Augenblick ohne jede Hemmung, ohne jede Verdrängung zu leben, ohne Gier nach der Zukunft und ohne jede Angst – ohne die Vergangenheit ständig wiederholen zu müssen, sondern indem ihr in jedem Augenblick frisch bleibt, absolut frisch und jung, unbehindert von Erinnerungen, unbehindert von Vorstellungen … ihr habt eine solche Frische, eine solche Unschuld, und nur diese Unschuld kann ich göttlich nennen. Für mich ist Gott nicht jemand, der die Welt erschaffen hat. Gott ist jemand, den ihr erschafft, wenn ihr uneingeschränkt und intensiv lebt – mit ganzem Herzen, ohne irgendetwas zurückzuhalten. Wenn dein Leben einfach nur eine Freude von Augenblick zu Augenblick ist – ein Tanz von Augenblick zu Augenblick, wenn dein Leben einfach ein Lichterfest ist … Jeder Augenblick ist so kostbar, denn, einmal vorbei, ist er für immer vorbei.

Wenn du mich fragst, dann sage ich dir: Lebe in Freuden, zufrieden, erfüllt. Und teile deine Liebe, deine Stille, deinen Frieden mit anderen. Und mache dein Leben zu einem so schönen Tanz, dass nicht nur du dich gesegnet fühlst, sondern du auch die ganze Welt segnen kannst … Das ist für mich die einzig authentische Art zu leben. Nur das Leben selbst zählt; alles andere ist unerheblich. Und jeder Einzelne ist so einmalig, dass ihr nicht einfach nur eine Super-Schnellstraße bauen könnt, auf der jeder, der das Ziel des Lebens finden will, zu fahren hat. Im Gegenteil: Jeder muss seinen Lebensweg finden, ohne der Masse zu folgen – nur indem er seiner eigenen inneren Stimme folgt, ohne sich einem Mob anzuschließen – nur einem schmalen Fußpfad folgend. Selbst der ist von niemandem vor dir gebahnt worden, er entsteht durch deine eigenen Fußspuren.

Die Welt des Lebens und des Bewusstseins gleicht eher dem Himmel – an dem Vögel fliegen, ohne Spuren zu hinterlassen. Je tiefer, je aufrichtiger und ehrlicher du lebst, desto weniger Spuren hinterlässt du und niemand braucht dir zu folgen. Jeder muss der eigenen leisen, inneren Stimme folgen. Ich lege nur deshalb solchen Wert auf Meditation, damit ihr eure eigene leise Stimme hört, die euch führt, euch die Richtung angibt. Keine heilige Schrift kann das leisten. Keine Religion, kein Religionsstifter kann das leisten. Haben sie denn der Menschheit nicht bereits seit Jahrtausenden gezeigt, wo‘s lang geht? Aber all ihre Mühen sind gescheitert. Sie haben nur retardierte, unintelligente Leute in die Welt gesetzt – weil sie darauf bestanden, man müsse glauben. Wer an jemanden glaubt, der verliert seine Intelligenz. Glaube ist regelrecht Gift für eure Intelligenz.

Ich sage euch: Glaubt an niemanden – auch nicht an mich. Ihr müsst eure eigene Erkenntnis finden und ihr dann folgen. Wo immer sie hinführt, ist für euch der richtige Weg. Ob auch andere diesem Weg folgen, spielt keine Rolle. Jeder Einzelne ist einzigartig und jedes individuelle Leben ist schön in seiner Einzigartigkeit.

Deine Frage ist sehr bedeutsam – ist vielleicht die älteste Frage überhaupt. Der Mensch hat sie von Anfang an gestellt. Er hat zwar Millionen von Antworten darauf bekommen, aber keine hat etwas ausrichten können. Die Frage ist nach wie vor relevant. Meine Antwort lautet: Das Ziel des Lebens ist das Leben selbst – mehr Leben, tieferes Leben, höheres Leben, aber immer Leben. Es gibt nichts Höheres als das Leben.

Worin besteht die Kunst, wirklich lebendig zu sein?

Die Kunst, umfassend, total und intensiv zu leben, ist keineswegs schwierig oder kompliziert, aber man hat sie euch fast unmöglich gemacht. Sie ist so einfach und liegt so auf der Hand, dass man sie nicht erst zu erlernen braucht. Man wird mit einem intuitiven Gefühl geboren, das zum Leben selbst gehört. Die Bäume kennen es, die Vögel kennen es, die Tiere kennen es. Nur der Mensch ist bedauernswert: Der Mensch ist zwar „die Krone der Schöpfung“, will aber erst die Kunst des Lebens erlernen! Er ist ständig dazu erzogen worden, gegen das Leben zu sein. Das ist letztlich der Grund, warum er heute „diese Kunst“ benötigt.

Alle Religionen der Welt, die seit grauer Vorzeit die Menschheit beherrschen, sind gegen das Leben. Sie bestehen geradezu darauf, dass das Leben eine Strafe ist. Dem Christentum zufolge werdet ihr mit der Erbsünde geboren – weil Adam und Eva Gott ungehorsam waren. Einfach nicht zu glauben, wie weit man Kindermärchen treiben kann! Selbst wenn Adam und Eva Gott nicht gehorchten, kann ich nicht einsehen, was du oder ich damit zu tun haben sollen. Und es ist nicht unbedingt eine Sünde, ungehorsam zu sein. Manchmal kann es das einzig Tugendhafte sein …

Aber alle Kulturen, alle Gesellschaften verlangen Gehorsam – was nur ein anderes Wort für Unterwerfung, spirituelle Versklavung ist. Was war denn so schlimm daran, als Adam und Eva die Frucht vom Baum der Erkenntnis aßen? Ist Erkenntnis etwa Sünde? Ist Unwissenheit etwa Tugend? Und Gott hatte ihnen sogar verboten, von zwei Bäumen zu essen: der eine war der Baum der Erkenntnis und der andere der Baum des ewigen Lebens. Wer sündigt denn hier – Adam und Eva oder Gott? Weder ist Erkenntnis Sünde, noch ist es Sünde, sich nach ewigem Leben zu sehnen; beides ist absolut natürlich. Es zu verbieten ist Sünde, und ihr Ungehorsam ist völlig richtig. Sie waren die ersten Revolutionäre der Welt, die ersten Menschen mit einem Funken Würde. Nur ihrem Ungehorsam verdanken wir alle Zivilisation, Wissenschaft, Kunst und alles Übrige. Wären sie nicht ungehorsam gewesen, liefen wir immer noch nackt im Garten Eden herum und würden Gras kauen – nicht einmal Kaugummi würde es heute geben!

Das Christentum steht darin nicht allein; andere Religionen erfinden andere Gründe, um das Leben zu verdammen. Hinduismus, Jainismus und Buddhismus behaupten, dass ihr leidet und unglücklich seid, weil ihr für eure Untaten aus früheren Leben bestraft werdet: „Nun, was in früheren Leben passiert ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden; also müsst ihr dafür büßen. Euer jetziges Unglück, eure Leiden und Qualen habt ihr euch selbst zuzuschreiben und es bleibt euch nichts anderes übrig, als es passiv zu ertragen. Dann werdet ihr im zukünftigen Leben belohnt werden.“

Seltsame Logik! Wenn du in diesem Leben etwas falsch gemacht hast, solltest du auch in diesem Leben dafür bestraft werden. Schließlich sind Ursache und Wirkung sonst ja auch immer unmittelbar verbunden: Halte einfach nur mal eine Hand ins Feuer – glaubst du vielleicht, du würdest dich erst im kommenden Leben verbrennen? Du wirst dich hier und jetzt verbrennen. Auf alles, was du tust, folgt unmittelbar entweder der Lohn oder die Strafe. Dieser Abstand vom ganzen Leben ist nur ein schlauer Trick, um deine Erwartungen an das Leben auf ein Minimum herunterzuschrauben. Und all diese Religionen wollen, dass du dem Leben entsagst. Wer dem Leben entsagt, wird ein Heiliger, der wird angebetet. Wer rückhaltlos aus dem Vollen lebt, wird von niemandem angebetet, der wird von niemandem geschätzt – der wird vielmehr in Grund und Boden verdammt.

Unsere ganze Erziehung ist dadurch gekennzeichnet, dass sie den Genuss verurteilt, die Freude verurteilt, den Humor, das Vergnügen an kleinen Dingen … z. B. daran, ein Lied zu singen oder zu tanzen oder auf deiner Flöte zu spielen. Niemand wird dich einen Heiligen nennen, weil du so wunderbar Flöte spielst – außer mir. Ich werde dich einen Heiligen nennen, wenn du so total tanzt, dass du mit dem Tanz verschmilzt und nur noch das Tanzen da ist; wenn der Tänzer völlig in seinem Tanz aufgegangen ist und selbst zum Tanz geworden ist. Wenn du deine Flöte so total spielst, dass du dich selbst vergisst – nur die Melodie ist noch da, du bist kein Spielender mehr, sondern nur noch Zuhörer – dann liegt die Flöte auf den Lippen Gottes.

Wenn du liebst, wird das verdammt. Alle Religionen wollen euch weismachen, dass Liebe etwas Animalisches sei. Obwohl ich die Tiere beobachtet habe, konnte ich bei keiner Tierart Liebe bemerken. Liebe ist absolut menschlich. Die Tiere haben zwar Sex; aber habt ihr jemals Tiere dabei beobachtet? Ihr werdet keinerlei Freude sehen. Sie werden sich durch und durch britisch verhalten. Sie wirken so gotterbärmlich, als müssten sie etwas Schlimmes über sich ergehen lassen. Und in der Tat ist es für sie etwas Schlimmes – ein rein biologischer Zwang. Sie spüren genau, dass irgendeine unbekannte Macht sie zu etwas zwingt, woran sie nicht interessiert sind. Das ist auch der Grund warum, außer dem Menschen, kein Tier das ganze Jahr über Sex hat. Immer nur zu ihrer Brunftzeit, wenn die Biologie sie dazu antreibt: „Jetzt bist du dran!“ Unter Zwang, so als stünde jemand mit der Flinte hinter dir: „Los, mach Liebe!“ Beobachtet die Tiere nur einmal, ihre Augen … sie empfinden keinerlei Freude. Von animalischer Liebe zu sprechen ist also völliger Quatsch. Tiere haben keine Ahnung von Liebe. Selbst Millionen von Menschen haben keine Ahnung von Liebe. Die Liebe setzt grundsätzlich ein gewisses Zentriertsein voraus, ein Gefestigtsein in deinem eigenen Wesen.

Denn solange du nicht in dir selbst ruhst, wirst du all die Schätze, die in dir angelegt sind, nicht erkennen können. Liebe ist nur einer davon. Es gibt noch größere – da ist Wahrheit, da ist Ekstase, da ist die Erfahrung des Göttlichen. Wer nicht tief in Meditation gegangen ist, der kann nicht lieben, und der kann auch nicht leben.

Du willst von mir etwas über die Kunst wissen, völlig lebendig zu sein. Beginne zu meditieren, damit du die Quelle deines Lebens erkennst und du in der Quelle deines Lebens verweilen kannst … und das ist eine erstaunliche Erfahrung. Dann wird dir plötzlich bewusst, wie viel du hast – einen solchen Überfluss, dass du die ganze Welt lieben kannst, wenn du möchtest. Du kannst die ganze Welt mit deiner Liebe erfüllen. Dein winziger Körper enthält ein Samenkorn, das Millionen von Blumen hervorbringen kann, das jeden erdenklichen Duft in sich trägt.

Die Kunst zu leben beginnt mit Meditation. Und mit Meditation meine ich die Stille des Verstandes, die Stille des Herzens … du gelangst in dein innerstes Sein und findest den Schatz, der deine Wirklichkeit ist. Sobald du den erkannt hast, kannst du Liebe ausstrahlen, kannst du Leben ausstrahlen, kannst du Kreativität ausstrahlen. Deine Worte werden poetisch, deine Gesten werden anmutig; selbst deinem Schweigen wird noch ein Lied anhaften. Selbst wenn du ruhig dasitzt, wirst du noch tanzen. Jedes Einatmen, jedes Ausatmen wird eine Freude sein, jeder Pulsschlag ist so kostbar, weil der Puls des Universums selbst darin schlägt – du bist ein Teil davon. Jetzt weißt du, dass du Teil der Existenz bist … und wirst anfangen, vollends zu leben, ohne jede Angst vor irgendwelchen Religionen und ihren Priestern und all ihren lebensfeindlichen Lehren, die dich statt zum Jubel dazu anhalten, dem Leben zu entsagen, dem Leben zu entfliehen. Sobald du frei bist von deiner Erziehung – und Meditation ist wie ein Feuer, das all den Müll verbrennt, den die Vergangenheit dir als Erbe vermacht hat – wirst du neu geboren. Und dann wirst du keine Kunst mehr zu erlernen brauchen. Sie wird sich spontan aus deinem Wesen entfalten.