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Die Herausgeber

 

 

 

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Bernd Meißnest, Studium der Medizin in Tübingen, Freiburg, Johannesburg (SA), 1994–1995 Assistenzarzt in der Inneren Medizin im Klinikum Kulmbach, 1995–2000 Assistenzarzt in der Westfäl. Klinik Gütersloh, 2000 Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, 2000–2005 Oberarzt am Lehrstuhl für Psychiatrie der Universität Witten-Herdecke/St. Marienhospital Hamm, 2005–heute Chefarzt der Klinik für Gerontopsychiatrie und Psychotherapie LWL Klinikum Gütersloh, 2007 Zusatzbezeichnung: Geriatrie, 2010 Leiter des Zentrums für Altersmedizin am LWL-Klinikum Gütersloh, stellv. Ärztlicher Direktor des LWL-Klinikum Gütersloh, 2018 Zusatzbezeichnung: Palliativmedizin.

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Prof. Dr. rer. medic. Michael Löhr, 1991–1994 Ausbildung zum Krankenpfleger, 1994–2003 Krankenpfleger in unterschiedlichen Funktionen, 2003–2010 Assistent der Pflegedirektorin LWL-Klinikum Gütersloh, 2005–2009 Fachhochschule Osnabrück: Berufsbegleitender Studiengang »Pflege- und Gesundheitsmanagement« – Diplom Kaufmann (FH), 2009–2011 Hochschule Osnabrück: Konsekutiver Studiengang »Management im Gesundheitswesen« – Master of Arts, 2011–2014 Martin Luther Universität Halle/Saale: Doktorand am Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft der medizinischen Fakultät – Dr. rer. medic., 2011–2013 Leitung der Stabsgruppe für Klinikentwicklung & Forschung LWL-Klinikum Gütersloh, 2013 Ruf an die Fachhochschule der Diakonie als Professor für Psychiatrische Pflege, 2018 Ruf an die Fachhochschule Münster als Professor für »Psychiatrische Versorgung/Community Health Care« abgelehnt, Seit Oktober 2018 Stabsgruppe für Klinikentwicklung und Forschung, 11/2018 Ernennung zum Honorarprofessor an der FH der Diakonie Bielefeld.

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Benjamin Volmar, 2004–2007 Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger an der Ev. Ausbildungsstätte für Pflegeberufe – Bethel, Bielefeld, 2007–2015 als Gesundheits- und Krankenpfleger an verschiedenen Standorten des Evangelischen Klinikums Bethel in Bielefeld tätig. 2012–2015 Studium Psychiatrische Pflege an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld, seit 2015 im LWL-Klinikum Gütersloh und dem Klinikum Gütersloh als Demenzkoordinator und in der Stabsgruppe Klinikentwicklung und Forschung tätig.

Michael Löhr, Bernd Meißnest, Benjamin Volmar (Hrsg.)

Menschen mit Demenz im Allgemeinkrankenhaus

Innovative Konzepte für eine multiprofessionelle Betreuung und Versorgung

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Pharmakologische Daten, d. h. u. a. Angaben von Medikamenten, ihren Dosierungen und Applikationen, verändern sich fortlaufend durch klinische Erfahrung, pharmakologische Forschung und Änderung von Produktionsverfahren. Verlag und Autoren haben große Sorgfalt darauf gelegt, dass alle in diesem Buch gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Da jedoch die Medizin als Wissenschaft ständig im Fluss ist, da menschliche Irrtümer und Druckfehler nie völlig auszuschließen sind, können Verlag und Autoren hierfür jedoch keine Gewähr und Haftung übernehmen. Jeder Benutzer ist daher dringend angehalten, die gemachten Angaben, insbesondere in Hinsicht auf Arzneimittelnamen, enthaltene Wirkstoffe, spezifische Anwendungsbereiche und Dosierungen anhand des Medikamentenbeipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen und in eigener Verantwortung im Bereich der Patientenversorgung zu handeln. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

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1. Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-033018-4

E-Book-Formate:

pdf: ISBN 978-3-17-033019-1

epub: ISBN 978-3-17-033020-7

mobi: ISBN 978-3-17-033021-4

Geleitworte

 

 

 

Deutsche Alzheimer Gesellschaft

Menschen mit Demenz benötigen mit zunehmendem Krankheitsverlauf eine Tagesstruktur, feste Bezugspersonen und Hilfestellung bei der Orientierung. All dies geht verloren, wenn ein Mensch zur Behandlung ins Krankenhaus kommt. Dort geschehen Dinge, die für Menschen mit Demenz schwer zu verstehen sind. Sie treffen auf Personen, die sie nicht kennen. Sie sind Abläufen und Prozeduren unterworfen, deren Sinn sie nicht verstehen. Und sie fühlen sich oftmals nicht krank.

Demenz im Krankenhaus ist ein Thema, das seit Jahren immer wieder am Alzheimer-Telefon der Deutschen Alzheimer Gesellschaft – einem Beratungsangebot insbesondere für Angehörige aber auch für Menschen mit Demenz und andere Interessierte – thematisiert und in Angehörigengruppen besprochen wird. Angehörige machen sich zu Recht Sorgen, wenn ihre demenzkranken Angehörigen ins Krankenhaus müssen, weil sie eine Begleiterkrankung haben, die behandelt werden muss. Sie wissen, dass Menschen mit Demenz in dieser fremden Umgebung oft noch orientierungsloser und hilfsbedürftiger sind als zu Hause im gewohnten Umfeld. Angehörige versuchen deshalb, möglichst viele Informationen über die Erkrankten zu vermitteln oder dabei zu bleiben. Dies klappt nicht immer zufrieden stellend. Informationen gehen mit dem Schichtwechsel der Mitarbeiter verloren. Angehörige könnten die Zeit eines Krankenhausaufenthaltes auch einmal für sich nutzen, um zur Ruhe zu kommen. Aber wie soll das gehen, wenn man sich Sorgen macht?

Auch für das Personal in Krankenhäusern ist es unter den bestehenden Rahmenbedingungen und dem zeitlichen Druck selbst bei bester Absicht nicht einfach mit der Personengruppe von Menschen mit Demenz so umzugehen, wie es sein müsste. So ist es nicht verwunderlich, dass immer wieder Menschen mit Demenz in schlechterer Fassung – zumindest was die Demenz angeht – aus dem Krankenhaus entlassen werden als vorher. Nicht selten kommt es zu direkten Überweisungen in ein Pflegeheim anstatt zur Rückkehr in die eigene Wohnung.

Aufgrund dieser Situation haben sich vor einigen Jahren Krankenhäuser und andere Akteure auf den Weg gemacht, den Aufenthalt für Menschen mit Demenz im Krankenhaus besser zu gestalten, zum einen im Sinne der betroffenen Menschen, aber auch zum Wohl der Krankenhäuser, in denen aufgrund der Alterung der Bevölkerung immer mehr Menschen mit Demenz behandelt werden. Interessante Konzepte sind entstanden, die durch bauliche Maßnahmen, spezielle Fachkräfte oder Schulungen für das Personal, den Einsatz von ehrenamtlichen Begleitern oder sogar eigenen Stationen für Menschen mit Demenz jenseits der Einweisungsdiagnose wirken.

Das ist aus Sicht von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen sehr begrüßenswert und den engagierten Akteuren in den Krankenhäusern, die innovativ tätig wurden und werden, ist zu danken. Dies gilt auch für die Robert Bosch Stiftung, die mit ihrem Förderschwerpunkt neuen Schwung in die Debatte gebracht hat.

Nun ist sehr zu hoffen, dass das vorliegende Buch insbesondere bei den Entscheidern im Krankenhausbereich viele Leser findet und zur Nachahmung anregt. Nicht immer ist dabei viel Geld zu investieren, sondern es braucht insbesondere ein neues Denken, in dem Menschen mit Demenz in ihrer Einzigartigkeit als Patienten wahrgenommen und nicht als Störfall im Krankenhaus betrachtet werden.

Sabine Jansen

Geschäftsführerin

Deutsche Alzheimer Gesellschaft e. V. Selbsthilfe Demenz

Robert Bosch Stiftung

Die steigende Anzahl von Menschen mit Demenz in Deutschland stellt eine erhebliche gesundheitliche Herausforderung dar – heute und in der Zukunft. Rund 40 % aller über 65-jährigen Patienten im Akutkrankenhaus weisen kognitive Beeinträchtigungen auf. Sie kommen mit Knochenbrüchen, Lungenentzündungen oder Harnwegsinfekten in ein Krankenhaus und benötigen doch oft umfänglichere Behandlungen. In vielen Fällen ist eine Demenz nicht dokumentiert oder sogar noch nicht bekannt – die sichere Diagnose und eine einfühlsame Vermittlung derselben kommt dann noch als herausfordernde Aufgabe dazu. Häufig ist auch die Anschlussperspektive nach der Entlassung zu gestalten.

Diese sehr vulnerable Patientengruppe ist von einem hohen Risiko betroffen, während des Krankenhausaufenthalts zusätzliche Komplikationen und weitere gesundheitliche Einbußen zu erleiden. Sie ist anfälliger für Stürze, Mangelernährung und Dehydrierung, Fehlmedikation sowie Abnahme der (kognitiven) Funktionen. Diese Probleme führen häufig wiederum zu längeren Liegezeiten, größerer Wahrscheinlichkeit einer Heimeinweisung und einer höheren Mortalität.

Pflegende Angehörige und andere Betreuungspersonen können bei der Unterstützung von Menschen mit Demenz eine wichtige Rolle spielen und als ihre Interessensvertreter für eine bessere Versorgung während des Krankenhausaufenthalt sorgen. Wenn immer möglich sollten sie bei der Begleitung im Klinikalltag eingebunden werden. Gleichzeitig muss aber auch dem Rechnung getragen werden, dass nicht alle Menschen mit Demenz Angehörige, Freunde oder Nachbarn haben, die sie unterstützen oder dieses häufig auch nur eingeschränkt leisten können.

Im Krankenhaus reagieren Demenzkranke häufig mit Angst und Unruhe und versuchen die Klinik zu verlassen. Sie finden sich nicht zurecht, können meist keine Auskunft geben über sich, ihre Wünsche und Beschwerden und wirken bei Diagnose und Behandlung nicht mehr mit. Der Klinikalltag ist in den meisten Krankenhäusern nicht auf Menschen mit demenziellen Erkrankungen eingestellt. Dies geht nicht nur zu Lasten der ganzheitlichen Versorgung dieser Patientengruppe, sondern erschwert auch den schon an sich herausfordernden Arbeitsalltag des Klinikpersonals.

Ärzte und Pflegende sowie weitere patientennahe Berufsgruppen im Krankenhaus sollten dabei unterstützt werden, ihr Wissen um diese besondere vulnerablen Patienten zu erweitern und die Maßnahmen schonender Behandlung und fördernder Pflege zu erlernen, um Komplikationen und gesundheitliche Einbußen zu vermeiden.

Die Robert Bosch Stiftung verfolgt das Thema »Menschen mit Demenz im Krankenhaus« seit 2012 als Förderprogramm. Die Resonanz auf die Ausschreibungen in den Jahren 2012, 2014 und 2017 war jeweils überwältigend und zeigte deutlich die Brisanz des Themas. Nach den drei bundesweiten Ausschreibungen fördert und begleitet die Stiftung insgesamt 17 Krankenhäuser auf ihrem Weg, »demenzfreundlicher« zu werden. Und über das Förderprogramm hinaus haben sich auch andere Häuser auf den Weg gemacht.

Dabei geht es im Akutkrankenhaus nicht darum, bekannte gute Ansätze aus der Altenpflege 1 : 1 zu übernehmen. Vielmehr gilt es, sehr klar die spezifischen Probleme, die in der Akutversorgung auftreten, zu erkennen und geeignete Lösungen zu entwickeln – passend für die jeweilige Person, Situation und für die Dauer des Aufenthalts. Und letztendlich auch für das jeweilige Haus. Dazu bedarf es neben der Unterstützung seitens Klinikleitung respektive der Führungskräfte, Experten und individuelle Kümmerer sowie eine gute interprofessionelle Kooperation. Aufgrund der kontinuierlichen Nähe zu den Patienten nehmen gerade die Pflegekräfte eine Schlüsselrolle ein. Übergreifendes Ziel sollte es ein, Menschen mit Demenz möglichst schonend zu behandeln und möglichst zügig, damit sie bald wieder in ihr angestammtes Umfeld zurückkehren können.

Wie das gelingen kann, zeigen die unterschiedlichen Beispiele guter Praxis in diesem Buch und regen damit hoffentlich zu weiterer Verbreitung an. Denn demenzsensible Krankenhäuser machen einen spürbaren Unterschied für Menschen mit Demenz, ihre Angehörige und natürlich auch für die sie betreuenden Mitarbeiter. Angepasste Strukturen und Prozesse sowie erweitertes Wissen unterstützen das Krankenhauspersonal, den Bedürfnissen dieser wachsenden Patientengruppe gerecht zu werden. Gerade in Zeiten des Pflegenotstands ist das auch ein essentieller Beitrag für mehr Mitarbeiterzufriedenheit. Die positiven Auswirkungen auf Mitarbeiterbindung und -gewinnung sollten jede Klinikleitung ermuntern, entsprechende Initiativen im eigenen Haus zu fordern und fördern.

Eine Stipendiatin des von der Robert Bosch Stiftung ergänzend geförderten multiprofessionellen Masterstudiengangs »Versorgung von Menschen mit Demenz« an der Universität Witten/Herdecke hat es abschließend in ihrer Masterarbeit sehr treffend formuliert: »Demenzfreundlich heißt auch immer menschenfreundlich« und das schließt auch die Mitarbeiter im Krankenhaus ein. Somit können alle nur gewinnen, wenn sich mehr Krankenhäuser aktiv der Herausforderung stellen und sich auf die Bedürfnisse dementiell erkrankten Patienten ausrichten.

Wir hoffen sehr, dass Veröffentlichungen wie diese und die Best Practice-Beispiele dazu beitragen, dass das demenzsensible Akutkrankenhaus Schule macht und bald eine Selbstverständlichkeit in Deutschland ist.

Robert Bosch Stiftung GmbH

März 2019

DGGPP

Menschen mit Demenz benötigen umfassende medizinische Behandlung, die im Idealfall ambulant erfolgen sollte. Ist eine stationäre Behandlung unvermeidbar, entsteht eine kritische Situation: die Tatsache der Klinikbehandlung an sich stellt ein gesundheitliches Risiko für Demenzpatienten dar. Das Auftreten deliranter Syndrome im Zusammenhang mit der Behandlung im Krankenhaus ist dabei ein häufiges und inzwischen gut bekanntes Phänomen. Nach einer Krankenhausbehandlung erlangen viele Menschen mit Demenz nicht mehr die vorherige Lebensqualität und das vorherige Funktionsniveau. Die Vermeidung stationärer Behandlung ist also eine wichtige Behandlungsstrategie bei der ärztlichen Betreuung von Menschen mit Demenz.

Allerdings lässt sich eine Krankenhausbehandlung naturgemäß nicht immer vermeiden und insbesondere Notfallbehandlungen werden immer wieder einmal unvermeidlich sein. Für diesen Fall sollten relevante Vorbefunde, die aktuelle Medikation, wichtige Informationen zu Unverträglichkeiten und Allergien, evtl. Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen sowie Kontaktdaten der vorbehandelnden Ärzte bei der Aufnahme im Krankenhaus vorgelegt werden. Angehörige und Patienten können dafür auf inzwischen gut etablierte Vorlagen, wie das LOGBUCH Demenz zurückgreifen. Wünschenswert ist eine lückenlose Informationskette, da die Betroffenen selbst oft nicht mehr in der Lage sind, die relevanten Daten zu übermitteln. Dabei ist der Hinweis auf das Vorliegen einer Demenzerkrankung im Aufnahmegeschehen in der Klinik von zentraler Bedeutung, damit möglichen Komplikationen vorgebeugt werden kann. Die aufnehmende Klinik kann sich bei der Aufklärung der Menschen mit Demenz und die damit ggf. verbundenen kognitiven Einschränkungen besser einstellen und organisatorische Maßnahmen ergreifen, was die Unterbringung, Behandlung und Pflege der Kranken angeht. Dabei darf die Diagnose der Demenzerkrankung kein Stigma darstellen, sondern sollte insbesondere fürsorgliche Maßnahmen zum Schutz und zur Wahrung der besonderen Bedürfnisse der Kranken zur Folge haben.

Nicht immer ist die Diagnose einer Demenzerkrankung im Vorfeld einer stationären Behandlung bekannt. Die Gruppe von Menschen mit einer noch nicht diagnostizierten Demenz stellt eine besondere Risikopopulation in der Krankenhausbehandlung dar, weil es zu unvorhersehbaren Komplikationen kommen kann. Akute delirante Verwirrtheitssyndrome mit Situationsverkennungen, Ablehnung medizinisch notwendiger Maßnahmen, ggf. nächtlicher Agitation und Unruhe, Weglauf/Hinlaufgefährdung, evtl. auch aggressiven Verhaltensstörungen stellen das Behandlungsteam dann vor besondere Herausforderungen. Aber auch stille Delirien, die nur schwer zu erkennen sind, bedeuten für die Betroffenen eine erhebliche Belastung und können sich auf das Entlassmanagement und ggf. geplante Rehabilitationsmaßnahmen erheblich nachteilig auswirken. Ein Demenz-Screening zum Zeitpunkt der Krankenhausaufnahme ist sicherlich ein sinnvoller Ansatz, liefert aber nur orientierende Anhaltspunkte und ersetzt keine Diagnosestellung. Ein solches Screening macht nur dann Sinn, wenn daraus systematische Maßnahmen abgeleitet werden, die zu einem verbesserten Management der Behandlung von Demenzpatienten führen. Eine solche Maßnahme könnte die kontinuierliche Begleitung der Risikopatienten durch speziell qualifiziertes Personal während des Krankenhausaufenthaltes darstellen. Demenz-Screening ist nicht nur im Aufnahmeprozeß im Krankenhaus sinnvoll. Demenz-Screening sollte bereits in der hausärztlichen Versorgung etabliert sein. Hier stößt es aber immer wieder an Grenzen und Frühdiagnostik von Demenzerkrankungen ist noch nicht flächendeckend in der hausärztlichen Routineversorgung etabliert. Die Angst vor einer möglichen Diagnose und den sich daraus ergebenden Konsequenzen verhindert, dass sich viele ältere Menschen einer Demenzdiagnostik unterziehen. Für die Hausärzte ist das Erkennen einer beginnenden demenziellen Symptomatik im Praxisgeschehen nicht einfach, das Ansprechen der Problematik wird oft als heikel empfunden und gemieden. Das kann dazu führen, dass eine beginnende Demenz bei der Einweisung ins Krankenhaus als relevante Nebendiagnose vom Hausarzt nicht aufgeführt wird.

Die Deutsche Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie e. V. setzt sich seit vielen Jahren auf unterschiedlichen Ebenen dafür ein, dass Menschen mit einer Demenz nicht nur in spezialisierten gerontopsychiatrischen Fachkliniken, sondern auch in Kliniken der Allgemeinversorgung optimal behandelt werden können. Dazu ist insbesondere die fachliche Qualifizierung des Personals zum Umgang mit Menschen mit Demenz im Krankenhaus eine wesentliche Voraussetzung. Fortbildungen und systematische Schulungsprogramme stellen eine wesentliche Säule im Gesamtbehandlungskonzept für Menschen mit Demenz im Krankenhaus dar. Besonders bewährt haben sich darüber hinaus gerontopsychiatrische Liaison- und Konsildienste in somatischen Krankenhäusern. Die Vermittlung gerontopsychiatrischen Fachwissens und die Weiterentwicklung von medizinischen Versorgungsstrukturen zu »demenzsensiblen« Einrichtungen sind ein Kernanliegen unserer Fachgesellschaft.

Prof. Dr. med. Dr. phil. Michael A. Rapp, Präsident der DGGPP e. V.

Prof. Dr. med. Tillmann Supprian, Vize-Präsident der DGGPP e. V.

DFPP

Das vorliegende Buch kann im Hinblick auf seine gesundheits- und versorgungspolitische Aktualität kaum überschätzt werden. Schon heute sind über die Hälfte der Patienten im Akutkrankenhaus über 60 Jahre. Folgt man den Berechnungen des Psychiaters und Wissenschaftlers Horst Bickel (2016), dann leiden davon 12 % neben ihren somatischen Beschwerden auch an einer Demenz.

Den Herausgebern ist es gelungen, die wesentlichen Projekte in Deutschland in diesem Bereich zusammenzutragen und somit einen fundierten Überblick über »Best-Practice-Ansätze« zu geben. Wer dieses Buch liest, ist also zu speziellen und innovativen Programmen nahezu umfassend orientiert. Diese Stärke des Buches hängt unmittelbar mit einer Schwäche der Versorgungsrealität zusammen. So wäre es natürlich unbedingt wünschenswert, dass ein Buch gar nicht ausreicht, um die Landschaft in diesem Bereich zu beschreiben. Auch könnte man sich als Außenstehender bisweilen fragen, warum viele der Projekte nicht schon lange zum Standard gehören und wieso bisweilen die Überführung in die Regelfinanzierung so schwierig ist.

Dabei ist es faszinierend zu sehen, wie vielfältig die hier präsentierten Lösungsansätze sind. Viele der vorgestellten Ansätze wurden nicht in Deutschland, sondern vielfach im angloamerikanischen Raum entwickelt. Hier wird deutlich, dass der Anschluss an die internationale Pflegeforschung noch lange nicht erreicht ist. Sollte es auch seitens der Politik ein ernsthaftes Interesse an einer guten Versorgung der an Demenz erkrankten Menschen und ihren Angehörigen geben, dann sind unbedingt weitere Anstrengungen zur Förderung der Pflege- und Versorgungsforschung auf diesem Gebiet zu unternehmen. Zudem ist hervorzuheben, dass auch die innovativen Zentren im internationalen Bereich vergleichsweise wenig Pflegepersonal und auch wenig gut ausgebildetes Pflegepersonal haben.

Es fällt aber auch auf, dass es zunehmend gelingt, wissenschaftliche Erkenntnisse, die in anderen regionalen Kontexten erarbeitet wurden, mit Erfolg an die hiesigen Bedingungsfaktoren anzupassen. Dies zeigt, dass es trotz aller schwierigen Umstände an manchen Orten ein zielführendes Zusammenspiel von Management, Entwicklung und Praxis gibt.

Der interdisziplinäre Ansatz in den Projekten und die Zusammenarbeit zwischen Pflege, Medizin und anderen Berufsgruppen machen Mut. Hier wird deutlich, dass die Projektarbeit berufsgruppenübergreifend und auf »Augenhöhe« stattgefunden hat. Aus meiner Sicht ist das ein Schlüssel für den Erfolg der hier vorgestellten Projekte.

Aus pflegewissenschaftlicher Sicht wird in den Beiträgen ein zukunftsweisendes Konzept besonders deutlich: Eine räumliche Trennung der Institutionen für psychische und somatische Leiden macht immer weniger Sinn. Psychiatrische Pflegeexpertise muss zukünftig zunehmend im Akutkrankenhaus zur Verfügung stehen. Ebenso braucht es angesichts der hohen Komorbidität bei psychischen Erkrankungen zunehmend Kompetenzen in somatischen Fragen. Dies stellt hohe curriculare Anforderungen an die Ausbildung und Studium aller beteiligten Berufsgruppen.

Dem Buch wünsche ich eine große Verbreitung und hoffe, dass die Wirkung der vorgestellten Interventionen kontinuierlich im Hinblick auf Wirksamkeit evaluiert und erforscht werden und so auch die Wissensbasis im Hinblick auf die Anpassung von Evidenz auf regionale Kontexte erweitern. Dies könnte den Druck erhöhen, die hier vorgestellten Ansätze von »nice to have« zu »must have« zu bewegen.

Gütersloh im Januar 2019

Prof. Dr. rer. medic. habil. Michael Schulz

Pflegewissenschaftler im Landschaftsverband Westfalen-Lippe und Professor an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld und Mitglied der Deutsche Fachgesellschaft für Psychiatrische Pflege – DFPP

Literatur

Bickel H (2016) Die Häufigkeit von Demenzerkrankungen. (Deutsche Alzheimer Gesellschaft, Hrsg.). Abgerufen von https://www.deutsche-alzheimer.de/fileadmin/alz/pdf/fact sheets/infoblatt1_haeufigkeit_demenzerkrankungen_dalzg.pdf

Inhalt

 

 

 

  1. Geleitworte
  2. Deutsche Alzheimer Gesellschaft
  3. Robert Bosch Stiftung
  4. DGGPP
  5. DFPP
  6. 1 Erfahrung einer Angehörigen
  7. Paula Schneider
  8. 1.1 Leben oder Sterben?
  9. 1.2 In der Notaufnahme
  10. 2 Einführung in die Thematik von Menschen mit Demenz im Krankenhaus
  11. Benjamin Volmar, Michael Löhr, Bernd Meißnest
  12. 3 Auf dem Weg zum demenzsensiblen Krankenhaus: Patientenbezogene Abläufe, Qualifizierung, Architektur und Angehörigenedukation
  13. Tom Motzek, Kathrin Büter, Karin Ellinger, Michael Junge, Gesine Marquardt
  14. 3.1 Zusammenfassung für Schnellleser
  15. 3.2 Hintergrund
  16. 3.2.1 Situationsbeschreibung der Versorgungssituation von Menschen mit Demenz am Diakonissenkrankenhaus Dresden
  17. 3.2.2 Projektidee
  18. 3.3 Projektplanung
  19. 3.3.1 Projektziele
  20. 3.3.2 Projektteam
  21. 3.3.3 Projektfinanzierung
  22. 3.4 Projektumsetzung
  23. 3.4.1 Umsetzungsschritte
  24. 3.4.2 Meilensteine und Herausforderungen
  25. 3.5 Evaluation
  26. 3.6 Ausblick
  27. 3.7 Fazit für die Praxis
  28. 4 Segregative Versorgung von kognitiv eingeschränkten Menschen in der Orthopädie/Unfallchirurgie des Florence-Nightingale- Krankenhauses in Düsseldorf
  29. Stefan Sniatecki, Dirk Dudek
  30. 4.1 Zusammenfassung für Schnellleser
  31. 4.2 Hintergrund
  32. 4.2.1 Versorgungssituation von kognitiv eingeschränkten Menschen im FNK vor dem Projektstart
  33. 4.2.2 Projektidee
  34. 4.2.3 Projektziele
  35. 4.2.4 Projektteam
  36. 4.2.5 Projektfinanzierung
  37. 4.3 Projektumsetzung
  38. 4.3.1 Umsetzungsschritte
  39. 4.3.2. Herausforderungen
  40. 4.4 Evaluation
  41. 4.5 Aktueller Projektstand
  42. 4.6 Fazit für die Praxis
  43. 5 »Interdisziplinäres Zentrum für Altersmedizin am LWL-Klinikum Gütersloh und seine Auswirkungen in das ambulante gerontopsychiatrische Versorgungsnetz«
  44. Bernd Meißnest
  45. 5.1 Zusammenfassung für Schnellleser
  46. 5.2 Hintergrund
  47. 5.2.1 Die Versorgungssituation von Menschen mit Demenz in der psychiatrischen Klinik vor dem Projektstart
  48. 5.2.2 Projektidee – Was soll geändert werden?
  49. 5.3 Projektplanung
  50. 5.3.1 Projektziele
  51. 5.3.2 Projektteam
  52. 5.3.3 Projektlaufzeit (von der Idee bis zur Umsetzung)
  53. 5.3.4 Projektfinanzierung
  54. 5.4 Projektumsetzung
  55. 5.4.1 Umsetzungsschritte
  56. 5.4.2 Meilensteine und Herausforderungen
  57. 5.5 Evaluation
  58. 5.6 Ausblick
  59. 5.7 Fazit
  60. 6 Die Geriatrisch-Internistische Station für Akuterkrankte Demenzpatienten (GISAD)
  61. Hedda Opitz, Tania Zieschang
  62. 6.1 Zusammenfassung für Schnellleser
  63. 6.2 Hintergrund
  64. 6.2.1 Situationsbeschreibung der Versorgungssituation von Menschen mit Demenz vor Ort, in der Institution vor dem Projektstart
  65. 6.2.2 Projektidee – Was sollte geändert werden
  66. 6.3 Projektplanung
  67. 6.3.1 Projektziele – Ziele der GISAD
  68. 6.3.2 Das Projektteam
  69. 6.3.3 Projektlaufzeit und Finanzierung
  70. 6.4 Projektumsetzung
  71. 6.4.1 Umsetzungsschritte
  72. 6.4.2 Meilensteine und Herausforderungen
  73. 6.5 Evaluation
  74. 6.6 Pläne für eine Renovierung der GISAD
  75. 6.7 Fazit für die Praxis
  76. 7 Mit Systematik und Stolz zur Entwicklung der Pflegequalität Wie ein Krankenhaus seine Magnetwirkung auch in der Demenzsensibilität ausbaut
  77. Andreas Schneider
  78. 7.1 Zusammenfassung für Schnellleser
  79. 7.2 Hintergrund
  80. 7.2.1 Situationsbeschreibung vor der Intervention
  81. 7.2.2 Projektidee
  82. 7.3 Projektplanung
  83. 7.3.1 Projektziele
  84. 7.3.2 Projektteam
  85. 7.3.3 Projektlaufzeit
  86. 7.3.4 Projektfinanzierung
  87. 7.4 Projektumsetzung
  88. 7.4.1 Umsetzungsschritte
  89. 7.4.2 Meilensteine und Herausforderungen
  90. 7.5 Evaluation
  91. 7.6 Ausblick
  92. 7.7 Fazit für die Praxis
  93. 8 Delirprävention am Evangelischen Klinikum Bethel: »help+ – Ein Plus für ältere Patienten«
  94. Julia Bringemeier, Michael Guhra, Stefan Kreisel
  95. 8.1 Zusammenfassung für Schnellleser
  96. 8.2 Hintergrund
  97. 8.2.1 Versorgungssituation vor dem Projektstart
  98. 8.2.2 Projektidee: »Was sollte geändert werden?«
  99. 8.3 Projektplanung
  100. 8.3.1 Projektziele
  101. 8.3.2 Freiwillige
  102. 8.3.3 Projektteam
  103. 8.3.4 Projektfinanzierung
  104. 8.4 Projektumsetzung
  105. 8.4.1 Umsetzungsschritte
  106. 8.4.2 Meilensteine und Herausforderungen
  107. 8.5 Evaluation
  108. 8.6 Ausblick
  109. 8.7 Fazit für die Praxis
  110. 9 »Starke Angehörige – starke Patienten« – Ein Sorgekonzept als Vorbild des Albertinen-Krankenhaus Hamburg
  111. Karin Schroeder-Hartwig, Kristin Binczyk, Marion Kummerfeld, Sarah Eschmann, Beatrice Frederich
  112. 9.1 Zusammenfassung für Schnellleser
  113. 9.2 Hintergrund
  114. 9.2.1 Situationsbeschreibung der Versorgungssituation von Menschen mit Demenz am Albertinen-Krankenhaus Hamburg
  115. 9.2.2 Projektidee
  116. 9.3 Projektplanung
  117. 9.3.1 Projektziel
  118. 9.3.2 Projektteam
  119. 9.3.3 Projektlaufzeit
  120. 9.3.4 Projektfinanzierung
  121. 9.4 Projektumsetzung
  122. 9.4.1 Umsetzungsschritte
  123. 9.5 Meilensteine und Herausforderungen
  124. 9.6 Evaluation
  125. 9.7 Fazit/Ausblick
  126. 10 Die Situation von Menschen mit Demenz im Klinikum Gütersloh
  127. Benjamin Volmar, Katja Plock, Bernd Meißnest, Jens Alberti
  128. 10.1 Zusammenfassung für Schnellleser
  129. 10.2 Hintergrund
  130. 10.2.1 Situationsbeschreibung der Versorgungssituation von Menschen mit Demenz vor Ort, in der Institution vor dem Projektstart
  131. 10.2.2 Projektidee – Was sollte geändert werden
  132. 10.3 Projektplanung
  133. 10.3.1 Projektziel(e)
  134. 10.3.2 Projektteam
  135. 10.3.3 Projektlaufzeit (von der Idee bis zur Umsetzung)
  136. 10.3.4 Projektfinanzierung
  137. 10.4 Projektumsetzung
  138. 10.4.1 Umsetzungsschritte
  139. 10.4.2 Meilensteine und Herausforderungen
  140. 10.5 Evaluation (Darstellung der Evaluationsinhalte oder Planungen)
  141. 10.6 Ausblick (Sachstand zum Projekt und Zukunftsperspektive)
  142. 10.7 Fazit für die Praxis
  143. 11 Evangelisches Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge, Berlin
  144. Torsten Kratz, Albert Diefenbacher
  145. 11.1 Delirprävention und Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten bei Demenz im Evangelischen Krankenhaus König Elisabeth Herzberge
  146. 11.1.1 Zusammenfassung für Schnellleser
  147. 11.1.2 Hintergrund
  148. 11.1.3 Projektplanung
  149. 11.1.4 Projektumsetzung
  150. 11.1.5 Evaluation
  151. 11.1.6 Ausblick
  152. 11.1.7 Fazit für die Praxis
  153. 12 Das Projekt »Doppelt hilft besser bei Demenz«: Aus der Region, mit der Region und für die Region
  154. Anita Bohn, Sandra Blome
  155. 12.1 Zusammenfassung für Schnellleser
  156. 12.2 Hintergrund
  157. 12.2.1 Versorgungssituation von Menschen mit Demenz vor Ort vor Projektbeginn
  158. 12.2.2 Die Projektidee: Was sollte geändert werden
  159. 12.3 Projektplanung
  160. 12.3.1 Projektziel: Die vier Bausteine und Handlungsfelder des Projektes
  161. 12.3.2 Projektteam
  162. 12.3.3 Projektlaufzeit
  163. 12.3.4 Projektfinanzierung
  164. 12.4 Projektumsetzung
  165. 12.4.1 Umsetzungsschritte
  166. 12.4.2 Herausforderungen und Erfolgsfaktoren
  167. 12.5 Ergebnisse
  168. 12.6 Ausblick
  169. 12.7 Fazit für die Praxis
  170. 13 Das Projekt »Handeln im Hier und Jetzt! Bereit zum Demenz- und Alterssensiblen Krankenhaus« (HuBerTDA)
  171. Cathleen Koch, Sarah Weller, Miriam Sabo, Christine Thomas
  172. 13.1 Zusammenfassung für Schnellleser
  173. 13.2 Ausgangssituation
  174. 13.2.1 Situationsbeschreibung der Versorgungssituation von Menschen mit kognitiver Einschränkung
  175. 13.2.2 Projektidee – Was sollte geändert werden?
  176. 13.3 Projektplanung
  177. 13.3.1 Projektziele
  178. 13.3.2 Projektteam
  179. 13.3.3 Projektlaufzeit und Projektfinanzierung
  180. 13.4 Projektumsetzung
  181. 13.4.1 Meilensteine
  182. 13.4.2 Herausforderungen
  183. 13.5 Evaluation
  184. 13.6 Ausblick (Sachstand zum Projekt und Zukunftsperspektive)
  185. 13.7 Fazit für die Praxis
  186. Autorenverzeichnis
  187. Anhang

1          Erfahrung einer Angehörigen

Paula Schneider

1.1       Leben oder Sterben?

»Er stirbt«, hatte meine Schwester am Telefon gesagt.

Ich hatte meinen Flug aus Griechenland umgebucht und war noch vor den anderen da gewesen. Vor meiner Oma, meiner Tante und meinem Onkel, die sich alle von meinem Vater verabschieden wollten. Er saß in einem Rollstuhl an der Wand, in einer Reihe mit anderen. Zuerst erkannte ich ihn nicht.

Jemand hatte ihm die Haare zurückgekämmt, sein Gesicht war eingefallen und leichenblass. Das war nicht mein Vater, das war ein anderer, einer, der nichts mehr erwartet.

»Papa stirbt«, dachte ich.

Zwei Wochen zuvor hatten meine Schwester und sein Psychiater ihm ein Glas Wasser angeboten. Die Flüssigkeit war ihm aus dem Mund gelaufen, aber er hatte zu trinken versucht. Zu dem Zeitpunkt hatte mein Vater bereits zweieineinhalb Wochen jegliche Nahrung und Flüssigkeit verweigert. Noch nie war mir so bewusst gewesen, wie sehr ich ihn liebte und wie sehr ich mir wünschte, dass er am Leben war. Abend für Abend saß ich bei meinen Freunden im Wohnzimmer und telefonierte mit meiner Schwester in Deutschland, um zu beraten, was wir tun sollten. Die Distanz machte alles sehr viel schwieriger. Lange diskutierten wir über eine Magensonde. Meine Schwester und der Psychiater waren dafür, der Arzt meines Vaters und sein gesetzlicher Betreuer waren dagegen. Ich wusste nicht, was zu tun war. Ein zweiter Onkel, der Gerontologe ist, beriet meine Schwester. »Aus der Ferne kannst du die Situation nicht beurteilen«, sagte er mir.

Aus dem Krankenhaus kam die Nachricht, dass unser Vater nur dann einen schnellen PEG-Operationstermin erhalten würde, wenn er bereits künstlich durch die Nase ernährt würde. Ansonsten gelte sein Fall nicht als Notsituation. Die Wartezeit für eine Operation betrage etwa zwei Wochen. Ihm einen Schlauch durch die Nase legen zu lassen, war unvorstellbar für uns. Im Pflegeheim war ihm bereits eine Kanüle mit Flüssigkeit ins Bein gelegt worden.

Monate zuvor war unser Vater während eines Aufenthalts in der geschlossenen Psychiatrie als dement diagnostiziert worden. Er hatte mehrere Schlaganfälle gehabt, war mit dem Fahrrad auf einer Schnellstraße aufgegriffen worden, und hatte sich am Ende auf dramatische Weise auf dem Anrufbeantworter meiner Schwester verabschiedet. Aus der Klinik entlassen, lebte er dann noch für eine Weile alleine in seinem Haus auf dem Land. Mobile Dienste brachten ihm Essen und Medikamente und ich besuchte ihn regelmäßig mit dem Zug und füllte seinen Kühlschrank. Außerdem gab es eine Pflegekraft, die ihn beinahe täglich besuchte. Zwei Wochen bevor sein Betreuer ihn dann zur Kurzzeitpflege in das Heim bringen ließ, war er plötzlich nicht mehr erreichbar. Als er endlich wieder ans Telefon ging, war er sehr verwirrt.

»Papa, wie geht es dir?«, hatte ich gefragt und er hatte kaum antworten können. Offensichtlich war er in einer akuten Notsituation. Zwei Ärzte, die ihn wenige Stunden später aufsuchten, kamen zu dem Schluss, dass kein Grund zur Sorge bestehe. Auch im Krankenhaus am nächsten Tag war man der Meinung, dass alles in Ordnung sei. Den Verdacht, dass mein Vater einen weiteren, schweren Schlaganfall gehabt haben könnte, bestätigte niemand, obwohl vor allem die Pflegekraft, die ihn regelmäßig sah, sehr beunruhigt über seinen Gesundheitszustand war. Sein Betreuer gab ihn daraufhin zur Kurzzeitpflege in ein Heim. Eineinhalb Wochen später hörte mein Vater auf zu essen und zu trinken. Bald konnte er weder schlucken noch sprechen, gehen oder stehen.

Am Tag unseres Wiedersehens war die Lage todernst geworden. Meine Großmutter, meine Tante, mein Vater und ich saßen mit ihm im Garten des Pflegeheims. In eine Decke gewickelt und im Rollstuhl sitzend, lauschte er – in sich zusammengesackt – unseren Gesprächen. Ab und zu lachte er und sagte Dinge, die wir nicht verstanden.

»Er hätte nie so leben gewollt«, sagte mein Onkel beim Mittagessen. »Dann lieber tot.« Ihm hatte mein Vater auf die Frage, ob er sterben wolle mit »ja« geantwortet. Meine Großmutter meinte: »Man weiß es nicht.« Zum Abschied hatte sie ihm mit lang ausgestreckten Arm den Kopf gestreichelt. Abends saß ich an seinem Bett. Er hatte den Kopf zur Wand gedreht. Wie ich als Kind, wenn er nach einem Streit zur Tür hereinkam, um Frieden mit mir zu schließen. Ich musste herausfinden, was er wollte. Leben oder Sterben. Und ihn dann, so gut ich konnte, auf seinem Weg begleiten. Das war mein Plan.

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Papa«, sagte ich. »Jetzt bist du wie ich damals. Ich habe keine Ahnung, was du dir wünschst. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass du sterben willst.«

Mein Vater war ein sehr aktiver Mensch gewesen. Seine intellektuellen Fähigkeiten und Kreativität hatten stets sein Leben bestimmt. Noch als Rentner hatte er mühelos ein paar hundert Kilometer auf dem Fahrrad zurückgelegt oder mit einem Klettergurt gesichert hohe Bäume beschnitten. Als Kind hatte ich ihn vergöttert und zugleich große Schwierigkeiten mit ihm gehabt. Die Scheidung meiner Eltern hatte unsere Beziehung noch komplizierter gemacht, als sie es ohnehin schon war, und nicht zuletzt aufgrund seiner Krankheit war es nicht immer einfach, ihn zum Vater zu haben. Inwiefern die manisch-depressive Erkrankung, unter der er litt, ihn neben der spät im Alter entstandenen vaskulären Demenz beeinflusste und formte, wurde mir erst vollends klar, nachdem sein Arzt sämtliche Medikamente abgesetzt hatte. Die positive Wirkung, die Psychopharmaka haben können, wurde überdeutlich, als er ohne sie in eine tiefe Depression glitt.

»Sterben wollen fühlt sich anders an«, dachte ich, als ich vor ihm saß und gleichzeitig keine Ahnung hatte, was in ihm vorging. Seit ich denken kann, hatte er vom Tod gesprochen. Irgendwann würde er sich umbringen, hatte er immer

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Abb. 1.1: Ungeheuer

wieder gesagt und Witze über die verschiedenen Todesarten gemacht. Nun war die Situation eine gänzlich andere. Trotzdem mussten wir so schnell wie möglich herausfinden, ob es ihm diesmal wirklich ernst war. Wir wollten, dass er lebt, aber nicht gegen seinen Willen. Wie findet man das heraus, wenn jemand nicht sprechen kann? Nachdem ich mit den Pflegerinnen des Heims, der Pflegedienstleitung und der Heimleitung gesprochen hatte, wurde ein Krankentransport organisiert. Die Sanitäter, die meinen Vater auf ihre Trage hoben, waren fassungslos, wie schlecht es ihm ging. »Wie sind die denn hier drauf?«, fragte der eine.

1.2       In der Notaufnahme

Dann: Mein Vater in der Notaufnahme. Überall Schläuche. Wieder lag er regungslos da (image Abb. 1.2).

Wieder sagte ich Textbausteine auf: »Manisch-depressiv«, »dement«, »schon immer latent magersüchtig«, »er hat sich umbringen wollen, seit ich denken kann«, »schwere Depression«, »Medikamente abgesetzt«, »Magensonde«.

Ich erklärte den Ärzten, es ginge darum, dass unser Vater erst in einem anderen Zustand entscheiden könne, ob er leben oder sterben wolle. Derzeit befinde

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Abb. 1.2: Klein

er sich offenbar in einer sehr schweren Depression. Nichts zu tun hieße, ihn innerhalb weniger Tage sterben zu lassen. Eine Patientenverfügung gab es nicht.

Ich weiß nicht, was die Ärzte dachten, mit denen ich sprach. Ich weiß nur, wie schwer es mir fiel, zu erklären, was meiner Schwester und mir schon seit Wochen im Kopf herumgegangen war. Sie waren skeptisch, aber am Ende lösten sich ihre verschränkten Arme. Der eine meinte, er würde eine Blutuntersuchung machen. »Vielleicht können wir ihn dann erstmal hierbehalten«. Die Blutprobe hatte katastrophale Werte; zu meiner großen Erleichterung durften wir bleiben. Eine Stationsschwester erzählte uns einige Tage später, dass die Kollegen im Labor Witze darüber machten, dass sie tagelang immer wieder neue Blutproben von einem Mann erhielten, der eigentlich schon längst hätte tot sein müssen. Der Natriumwert meines Vaters war so hoch, dass ihn kein Gerät mehr messen konnte.

Das Krankenhaus roch gut. Neutral. Hier gab es Linoleumböden, Menschen in sauberen weißen Kitteln, Schläuche und Scheren, Metallzangen und Messer. Dinge, vor denen mein Vater Angst hatte und ich auch. Aber es waren Dinge, die Leben retten konnten. Ich hatte das Gefühl, gleichzeitig das Richtige und das Falsche zu tun. Das Wichtigste aber war, dass wir bleiben durften. Auch mein Vater schien erleichtert. Aber die Diskussion um die Magensonde ging weiter. Die Stationsärztin hatte eine klare Haltung:

»Magensonde? Das ist ja wie ein Schwein mästen.«

Bereits nach der ersten Nacht wurde mein Vater auf eine andere Station verlegt, wo jemand anderes verantwortlich war. Was dann folgte, waren eineinhalb schwierige Wochen, von denen er einige Tage im Delir um sein Leben rang. Wie es mir während jener Zeit ging, möchte ich mit Hilfe von sieben Listen verdeutlichen:

Liste Nr. 1
»Es kostete meine ganze Kraft«

•  darauf zu achten, dass mein Vater an keinem der Schläuche zog

•  ihn immer wieder daran hindern zu müssen, dass er aus dem Bett kletterte

•  mit seinen psychotischen Fantasien umgehen zu müssen

•  ihm beim Wasserlassen zu helfen

•  ertragen zu müssen, dass er fixiert wurde, wenn ich nicht da war

•  immer wieder erklären zu müssen, warum wir eine Magensonde sinnvoll fanden

•  allein im Haus meines Vaters zu leben, das er vollkommen verwüstet hatte

•  keine Freunde in der Stadt zu haben, in der mein Vater lebte

•  meinen Chef in Berlin zu besänftigen, der verärgert über meine lange Abwesenheit war

•  mich mit meiner Schwester zu zerstreiten

•  keine Waschmaschine vor Ort zu haben

•  wenig Pausen zu haben

Liste Nr. 2
»Rettend waren«

•  die effizienten und immer freundlichen Krankenschwestern

•  der Moment, in dem der erste Arzt in der Notaufnahme sagte: »Ich sehe mal, ob wir ihn hierbehalten können.«

•  die Unterstützung durch den sozialpsychiatrischen Dienst

•  die Ärztin mit Zopf

•  die Hilfe von zwei jungen Pflegekräften, die ganz besonders vorsichtig und liebevoll waren

•  die Physiotherapeutin, die mein Vater so mochte

•  der Morgen nach der schlimmen Nacht, in der er beinahe gestorben wäre und an dem er plötzlich wieder sprechen konnte

•  rausgehen können bei der Körperpflege

•  das erste mal Zähneputzen durch Schwester Elke

•  überhaupt Schwester Elke

•  die Wolldecke, die Isomatte, der Schlafsack und der MP3-Player meiner Schwester

•  die selbstgebackenen Kekse meiner Mutter

•  die gemeinsamen Momente mit meiner Schwester und meiner Mutter

•  die Dusche auf dem Flur

•  Duschen, Radfahren, Schwimmen

•  dass es die Möglichkeit gab, offiziell als Mitpatientin im Krankenhaus aufgenommen zu werden

•  die Unterstützung durch den Psychiater meines Vaters und eine Sozialpädagogin des sozialpsychiatrischen Dienstes

Liste Nr. 3
»Was gar nicht ging«

•  der Kommentar einer Ärztin zum Thema Schweine mästen

•  kein Internet im Krankenhaus

•  der kaputte Sandwichautomat

•  die Kantine, die nur bis 18:00 Uhr geöffnet hatte

•  die lang andauernde Unklarheit, wann die Magensonde gelegt werden würde

•  die verschiedenen Meinungen

•  immer wieder alles neu erklären müssen

Liste Nr. 4
»Was man sich wünscht«

•  dass alles wieder gut wird

•  dass alles sehr schnell wieder gut wird

•  dass alles sehr schnell wieder gut wird und man es anschließend sofort wieder vergessen kann

Liste Nr. 5
»Worüber ich sehr dankbar war«

•  die sehr gute medizinische Versorgung

•  jeden Tropfen Flüssigkeit und Nährlösung die meinen Vater mehr zu sich kommen ließ

•  dass wir die ganze Zeit über unseren Humor nicht verloren hatten

Liste Nr. 6
»Meine Wunschliste«

•  Pflegekräfte und Ärzte/innen mit mehr Zeit, um Dinge in Ruhe zu tun

•  mehr Pflegekräfte, die eine Fixierung der Patienten/innen unnötig machen

•  mindestens zwei weitere Nachtschwestern

•  eine/n Ansprechpartner/in im Krankenhaus, der/die medizinisch berät und für das gemeinsame Nachdenken in aller Ruhe da ist, Informationen zusammenführt und als Bindeglied zum Krankenhausteam fungiert; jemand, der psychologische Unterstützung bietet

•  eine/n Psychiater/in vor Ort für die Unterstützung des Kranken und falls nötig, die Vergabe von Psychopharmaka

•  ein Tisch, ein Bett, ein Internetanschluss

•  regelmäßige Mahlzeiten

Liste Nr. 7
»Die schönsten Momente«

•  meinem Vater so nah zu sein

•  dass die Sonne die meiste Zeit über schien

•  neue Zitronenstäbchen zum Mund befeuchten

Im Krankenhaus ist man nackt. Nackt vor Menschen in weißen Kitteln zu stehen, die Macht über das eigene Schicksal haben, ist eine schwierige Sache. Zumal, wenn einem Worte nichts mehr bedeuten und man die Welt nicht versteht. Wenn man nicht sprechen kann. Alles fühlt sich gefährlich an. Da mein Vater im Delir nicht sprechen konnte und ich nicht verstand, was in ihm vorging, war es doppelt schwer für mich mitzuerleben, wie sehr er litt. Wenngleich die wenigen Worte und Gesten Bände sprachen, wusste ich nie genau, welche Phantasiewelten ihn diesmal quälten. Tagelang sah er bedrohliche Dinge von der Decke kommen und glaubte sein Bett von toten Hunden umgeben. Immer wieder versuchte er, die Schläuche zu entfernen, die ihn am Leben hielten, er zog sich mehrmals täglich aus. Verschiedenste Rituale dienten seiner Verteidigung gegen eine bedrohliche Umwelt. Einerseits erschöpften sie ihn in höchstem Maße, andererseits gaben sie ihm Stabilität. Permanent war er mit dem Zählen von Dingen beschäftigt, die mir unbegreiflich waren. Ein Buch, das ich in sein Bett legte, konnte zu einer schweren Eisenstange werden und seine Bettdecke zu einem »gefährlichen Aas«, das ihn bedrohte.

Zehn Tage nach unserer Ankunft im Krankenhaus diagnostizierte der Psychiater anhand einiger Gesprächsmitschriften, die ich angefertigt hatte, eine Psychose. Hier ein paar Zitate:

Mein Vater:
»Was ist denn hier mit? Rutscht das dann hier weg? Wenn ich hier so liege, wird dann das immer kleiner?«

Ich:
»Nein, Papa, das bleibt so wie es ist. Das wird nicht kleiner.«

Mein Vater:
»Die wollen mich hier umbringen. Gestern bin ich gestorben und heute bin ich auch gestorben. Und wenn du so weitermachst, wirst du auch sterben. Ich weiß genau, wie weit ich gehen kann. Die Daten, sie gehören zu den Leuten, die gestorben sind und die noch leben. Und die Daten hast du doch in der Tasche.«

Ich:
»Ich versteh das nicht.«

Mein Vater:
»Ja, ich versteh das doch auch nicht alles. Du musst das doch nur noch nachlesen, dann hast du das doch. Die Daten, du brauchst doch nur mal die Schwester