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T. Stern

A Devil's Toy 3

Kyra & Joshua





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Titel

Anmerkung

 

Die Hölle ist nach traditionellen Vorstellungen des Christentums ein Ort der Qual, an welchen Übeltäter nach dem Tod gelangen, bevölkert von Dämonen und dem Teufel. In modernen christlichen Glaubenslehren ist diese Vorstellung allerdings in verschiedener Weise modifiziert oder auch ganz fallen gelassen worden. Andere Religionen und Kulturen hatten bzw. haben teilweise ähnliche Vorstellungen eines jenseitigen unwirtlichen Ortes der Verdammnis.

 

 

 

 

(Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Hölle)

Handlung

 

Mein Name ist Joshua. Ich bin 24 Jahre alt und zähle in der Firma, für die ich seit drei Jahren arbeite, eindeutig zu den Mauerblümchen. Wenn ich mich selbst beschreiben müsste, wären Worte wie geprägt, eingeschüchtert und ängstlich nur die Spitze des Eisbergs. Ich lebe in einer Illusion, die es mir ermöglicht, über schreckliche Jahre hinwegzusehen. Zumindest rede ich mir das erfolgreich ein.

Fakt ist aber, dass ich auch nur ein fühlendes Wesen bin, welches sich nach so gewöhnlichen Dingen wie Liebe, Nähe und Geborgenheit sehnt.

Auch wenn sie in meinem Fall dafür sorgen, dass ich in die Hölle kommen werde. Meine größte Angst überhaupt. Dafür hat meine Mutter gesorgt.

So verschlingt mich die Sehnsucht nach so banalen Gefühlen jeden Tag ein Stück mehr.

Bis Kilian in mein Leben tritt, der mir die Welt außerhalb meines Wunschtraums schmackhaft macht und dem ich verdanke, in den Genuss all dessen zu kommen, wonach ich mich mein Leben lang schon sehnte. Er ist derjenige, den ich zu meinem persönlichen Gott erkoren habe.

Doch zu welchem Preis?

Ich fange an zu hinterfragen, wer ich wirklich bin.

Am Ende weiß ich: Ich muss die Hölle nicht fürchten ... dafür aber das Vergessen.

Vorwort

 

Mit „A Devil’s Toy 3: Kyra & Joshua“ geht es weiter. Wieder unter dem Banner Fantasy, wieder geht es um die Hölle und deren Bewohner. Noch immer ein sehr interessantes Themengebiet und wie immer haben meine kleinen Tagträumereien die Handlung bestimmt.

Der dritte Band widmet sich nicht zwingend – wie seine Vorgänger – der reinen Lust. Vielmehr geht es um eine enge Bindung, welche über einen langen Zeitraum – trotz aller Widrigkeiten – erhalten blieb. Vielleicht ein Hauch Dämonen-Liebe. Nicht zu vergessen: Drama.

In meiner Hölle herrschen meine Regeln und ebenso verhält es sich bei der Welt, in der A Devil's Toy spielt.

Die mir eigenen Macken wird es natürlich auch wieder geben. Mein schräger Humor, diverse Ausschweifungen der gedanklichen Tiefe und ganz gewiss auch den ein oder anderen zig wiederholten Gedankengang.

Es ist Fantasy … man möge also ein wenig den Drang nach Realität beiseiteschieben und zur Kenntnis nehmen: Ich möchte hiermit weder eine Religion noch ihre gläubigen Anhänger diskreditieren.

 

Ich wünsche euch ein höllisch heißes Lesevergnügen, Spaß und Freude mit Kyra & Joshua.

Danksagung

 

Tausend Dank an Energy-Drinks & Kaffee!

Diesmal aber auch an Diana, meine treue und nervenstarke Beraterin, die ich in den letzten Wochen wahrlich mehr nerve, als so schon. Mal wieder.

 

Zutiefst herzlicher Dank auch diesmal an die Elite-Gruppe, die ich mit dem Live-Reading beehren durfte. Habt vielen Dank für eure Zeit, euer Engagement, für Worte, Lob und anregende Kritik, viele Lacher und noch mehr wunderschöne Momente.

Auch Traude Promont darf nicht fehlen, denn erneut hat sie den Kampf gegen mein Chaos aufgenommen. Dabei – weniger überraschend – einige Nerven gelassen.

Wie immer gilt, sollten es Fehler ins Buch geschafft haben, nehme ich diese auf meine Kappe. Insofern da noch Platz ist.

 

Und wie eh und je – lieber Leser – natürlich dir, für deine Unterstützung. <3

1

 

Ich mag meinen Job. Eigentlich. Immerhin ermöglicht er mir Geld zu verdienen, ohne dabei ständig über meine Grenzen treten zu müssen.

Für gewöhnlich kann ich mich in meinem Arbeitsareal – dem Archiv – verkriechen und habe wenig mit anderen Menschen zu tun. Nur sehr selten verirrt sich jemand zu mir in den Keller. Außer einer der Büropraktikanten, die mir immer wieder den Nachschub bringen, welcher meinen Arbeitsplatz hier unten im dunklen Verlies sichert.

Aber manchmal muss ich meinen Schutzraum verlassen und mich dem stellen, wovon ich sonst kaum etwas mitbekomme. Nämlich dann ... wenn kein Praktikant da ist.

Für gewöhnlich werden diese nämlich damit beauftragt, täglich durch das ganze Gebäude zu laufen und alle Akten aus den Büros einzusammeln, um sie dann zu mir in die modrige Höhle des Archivs zu bringen.

Problematisch wird es für mich immer wieder, wenn ich wochenlang Entlastung durch Praktikanten hatte ... und diese plötzlich wegfällt. Es stellt mich immer wieder vor die Hürde, genau diesen – für mich unliebsamen – Part selbst zu machen.

Ob man es nun glauben will oder nicht, für mich ist diese Aufgabe jedes Mal aufs Neue die Hölle.

Menschen verunsichern mich. Ihre bloße Anwesenheit setzt mir gewaltig zu und sorgt dafür, dass mein Körper in einen Zustand kompletter Unruhe verfällt. Ich schwitze, zittere, fange an zu stottern und vermag nicht, auch nur einem von ihnen in die Augen zu sehen. Mein Kreislauf steht jedes Mal kurz vor einem Kollaps.

Heute ist so ein Tag, an dem ich mich genau dieser Herausforderung wieder stellen muss. Da macht nicht mal die Tatsache, dass heute Freitag ist, etwas besser.

Es ist nicht so, dass ich meine Kollegen nicht leiden kann. Ich kenne sie ja nicht mal richtig. Grundlegend würde ich sie auch nicht als solche betiteln. Nur weil wir denselben Arbeitgeber haben, macht uns das nicht zu Kollegen. Sie arbeiten halt hier. Wie ich auch. Die meisten von ihnen kennen mich schließlich auch nicht, obwohl ich ihren Weg schon seit drei Jahren kreuze. Das erklärt, wie wenig Notiz sie von mir nehmen. Damit habe ich aber auch echt kein Problem. Ich bin froh, wenn sie mich in Ruhe lassen. Jeder Ausfall der Norm ist für mich Stress.

Stress, den ich schon kennenlernen musste. Denn manche haben mich bemerkt und ebenso mein Problem. Rücksicht habe ich nie erwartet, darum wunderte es mich auch nie wirklich, dass sie sich Späße auf meine Kosten erlaubten. Über dumme Sprüche war und bin ich nach wie vor froh. Schlimmer ist, wenn sie mir auf die Pelle rücken. Oftmals waren es die Damen, die mir viel zu nah kamen und mit einer Showeinlage nicht nur ihre Kolleginnen, sondern auch diverse Kollegen erheiterten. Nun, eher tat ich es, wenn ich in mein unsicheres Verhalten verfiel.

Beeinflussen kann ich es nicht wirklich. Ich habe es nicht in der Hand, kann es nicht kontrollieren. Mein Kopf schaltet in den Leerlauf und dann sofort mit Überschallgeschwindigkeit in die Panik.

Auch wenn diese Vorfälle selten sind, so ist die Angst vor einer Wiederholung natürlich mein stetiger Begleiter.

Warum man auf den Schwächen einer Person herumtrampeln muss, ist mir ein Rätsel. So wirklich verstehe ich nicht, was es den Leuten bringt, wenn sie sich am Leid eines anderen Menschen ergötzen. Wieso sie das nötig haben, werde ich auch nie begreifen.

Seufzend greife ich den Aktenwagen und schiebe ihn vor mir her, weiß, egal wie lange ich davor weglaufen will, es ändert nichts an den Fakten. Was gemacht werden muss, muss gemacht werden.

Wie immer versuche ich mein Umfeld auszublenden, konzentriere mich auf das Geräusch der Räder. Vorne links klackert es seit fünf Wochen, was vielleicht an einem Defekt im Kugellager liegt, während es hinten rechts ungefähr alle fünf Meter ein leises, schleifendes Geräusch gibt. Verkrampft klammern meine Hände an der Lenkstange, krallen meine Finger mit solch enormer Kraft zu, dass die Knöchel weiß hervortreten.

Jede Bewegung wirkt mechanisch, als wären meine Glieder versteift. Schritt um Schritt, komme ich dem Aufzug näher und spüre mein Herz rasant schneller schlagen. Es ist wie immer der pure Horror. Mein Kopf wird heimgesucht von unzähligen Gedankengängen, die sich binnen weniger Sekunden rasend schnell im Kreis drehen. Wie ein Kettenkarussell, welches außer Kontrolle geraten ist und nun ungebremst seine Runden dreht.

Mein Ellenbogen betätigt vorsichtig den Knopf, dauert es nicht wirklich lange, schon ertönt das fiese Geräusch, welches mich immer wieder zusammenfahren lässt.

Mit einem Bing stoppt das Transportmittel in meinen unterirdischen Gefilden, schließe ich die Augen und schlucke schwer, während sich die Schiebetüren öffnen. Eigentlich will ich gar nicht da rein, denn ich weiß, wohin mich dieses Ding bringen wird.

Direkt in die Hölle.

Auch wenn die meisten Menschen die Hölle eher den tieferen Regionen zuweisen, so ist sie für mich ... oben.

Mit schlotternden Knien und Schnappatmung schiebe ich den Wagen in die kleine Kabine, trete mit ein, nur um erneut mit dem Ellenbogen die Taste für den vierten Stock zu wählen.

Das schleifende Geräusch der sich hinter mir schließenden Türen sorgt für eine Gänsehaut, die sich über jeden Millimeter meines Körpers legt.

Mein Kopf wird beherrscht von der Frage, wie viele mich heute wieder belächeln oder sich auf meine Kosten amüsieren werden.

Der zurückgezogene, schüchterne, verklemmte Typ aus dem Archiv hat in ihren Augen keine Gefühle, die sie mit ihren dummen Witzen und Sprüchen verletzen.

Mein ganzes Leben besteht aus solchen Situationen und mittlerweile sollte ich damit umgehen können. Immerhin habe ich so hilfreiche Sprüche wie „Du darfst so etwas nicht an dich heranlassen“ oder „Ignorier es doch einfach, dann ist es dir bald auch egal“ schon so oft gehört, dass ich – wenn es denn klappen würde – schon mit einer majestätischen Ignoranz gegenüber allem herumlaufen müsste. Aber so einfach ist das halt nicht. Nur weil manche Menschen denken, ihre schlauen Sprüche könnten die Situation ändern, so heißt es nicht, dass sie das auch tun.

Selbst nach all den Jahren, in denen ich diese Art von Mobbing schon mitmache, schmerzen mich kränkende Worte, Beleidigungen und diverse Späßchen auf meine Kosten natürlich immer noch. Manchmal mehr, manchmal weniger.

Ich kann mich nicht daran gewöhnen, dass ich ausgeschlossen und geächtet werde. Also, an den Umstand schon ... aber nicht daran, dass es jedes Mal aufs Neue wehtut.

Auf welche Weise sie mir jegliches Recht zu existieren absprechen, nur weil ich nicht in ihr Weltbild passe, ist schon schrecklich genug. Es führt leider dazu, dass ich mich – aus Angst noch mehr in ihr Beuteschema zu fallen – zum Sklaven ihrer Tyrannei mache. Ich fühle mich erbärmlich.

Es gibt Tage (wie heute) da beherrschen sie meinen Kopf. Jeder noch so kleine Gedanke wird von ihnen triumphiert. Meist geht es schon am Vorabend los, machen mich diese Befürchtungen wahnsinnig. Sie dominieren meine Träume, was mich unruhig bis gar nicht schlafen lässt. Und alles findet seinen Höhepunkt dann an besagten Tagen. Exakt wie heute halt.

Mit einem Bing stoppt der Aufzug im gewünschten Stockwerk und die Türen öffnen sich. Die Pforte zur Hölle tut sich auf und ich fürchte mich schon jetzt vor dem Teufel, der mich alsbald piesacken wird.

Ganz langsam schiebe ich den Wagen ins Freie, betrete die Hochburg des Bösen und halte instinktiv den Kopf gesenkt. Frei nach dem Motto, wenn ich niemanden sehe, sieht mich auch keiner. Was wäre es schön, wenn es so einfach ginge.

Zu gerne würde ich mich jetzt selbst beruhigen, mir innerlich gut zureden, dass alles ganz schnell vorbei ist und ich danach erst mal wieder durchatmen kann. Aber ich kann auch das nicht.

Mein Kreislauf spielt verrückt. Die in mir aufsteigende Übelkeit wird ein treuer Begleiter für eine noch unbestimmte Zeit sein, in der ich durch die Büros gehen muss, um Akten einzusammeln.

So unauffällig wie möglich schleiche ich hinter dem – in meinen Ohren – viel zu lauten Wagen her, bugsiere ihn zum Büro mit der höchsten Nummer, denn genau hier wird alles anfangen. Ich werde mich Stück für Stück rückwärts durcharbeiten. Büro um Büro. Stockwerk um Stockwerk.

Die Zahl, die an der Tür prangt, springt mir schier ins Gesicht.

105. Möge der Wahnsinn beginnen!, seufze ich innerlich und löse beide Hände schweren Herzens vom Wagen. Zaghaft klopfe ich, öffne leise und schleiche in den Raum. Die Frau am Schreibtisch nimmt kaum Notiz von mir, telefoniert gerade. Mein Ziel ist schnell erreicht. Auf dem Sideboard links stehen einige Ablagen und der Inhalt der schwarzen ist fürs Archiv bestimmt. Ohne einen weiteren Blick auf sie zu richten, kralle ich den Stapel aus dem Fach, drehe mich hastig um und verschwinde genauso wortlos, wie ich aufgetaucht bin.

Diese Strategie funktioniert. Zumindest bei den meisten. Nicht alle sind ... gemein. Aber auch diesmal werden sie mir nicht erspart bleiben. Lediglich habe ich heute wohl ein gutes Timing, denn viel Zeit hatten die üblichen Verdächtigen nicht, um mich zu ärgern oder sich über mich lustig zu machen. Bisher nicht.

„Sieh mal einer an. Wen haben wir denn da?“

Alleine bei der Stimme sucht mich ein eiskalter Schauer heim und mein armes Herz, welches in den letzten Stunden wahrlich genug Stress ertragen musste, setzt aus. Mein ganzer Körper wird von einem elektrischen Schlag betäubt. Unfähig mich zu bewegen, stehe ich einfach nur stocksteif da. Meine Finger krallen zu, suchen Halt an meinem leblosen Begleiter. Ich bete, dass dieser bescheuerte Aufzug endlich kommt. Bitte!

„Holmström“, ertönt es da auch schon rau und viel zu dicht neben mir. Instinktiv schließe ich die Augen. Ausblenden. Irgendwie. Ich versuche, mich in eine andere Sphäre zu denken, damit ich nicht jedes Wort bewusst höre und die damit verbundene Bedeutung nicht ungefiltert wahrnehmen muss.

Mein Auftreten alleine symbolisiert Unterwerfung.

Kopf und Schultern hängen, mache ich mich kleiner. Kleiner, als ich eh schon bin. Genau das beherrsche ich aber in Perfektion. Es ist das, was ich mein Leben lang schon mache.

Mein schweres Schlucken fällt kaum auf, ebenso wenig, wie verbissen ich mir auf die Zunge beiße. Nicht, dass das nötig wäre ... aber für mich ist es Sicherheit. Diese liebliche Nuance Schmerz lässt mich irgendwo einen kleinen, klaren Gedanken – als Leitfaden durch die Dunkelheit – aufrecht halten.

Jeder normale Mensch würde nun flüchten. Egal wohin, Hauptsache weit weg, denn der Mann, der viel zu dicht an meiner Seite steht, strahlt schon aus, dass er nichts Gutes im Sinn hat.

Das wirklich Schlimme an ihm ist ... dass er mir kein Unbekannter ist. Dieser Mensch hat mir schon unzählige Albträume beschert. Seit meiner Jugend!

„Na? Heute schon deinen Gott um Gnade angebettelt?“

Mir wird schlecht. Der Klang seiner Stimme genügt und ich habe das Gefühl, mich gleich übergeben zu müssen.

Hagen Meyer. Was habe ich diesem Kerl getan, dass er mir, seit nun mehr fast zehn Jahren, das Leben zur Hölle macht?

Hinter ihm höre ich schon seine Gefolgschaft albern kichern. Wie immer hat er seine Fanbase im Schlepptau. Erwachsene Frauen, die ihm zu Füßen liegen und dabei anscheinend sogar vergessen, selbstständig zu denken. Oh, das war gemein. Entschuldigung. Ich will nicht wie er oder wie andere sein. Jemanden zu verletzen ist nicht nett und ... AUA!

Scharf ziehe ich die Luft ein, versucht mein Körper dem stechenden Schmerz auf meiner linken Seite auszuweichen, indem er sich nach rechts neigt. Erfolglos. Gnadenlos kneifen seine Finger in meinen Bauch. Der Schmerz ist ein Leitfaden ... aber dieser fühlt sich an wie eine Schlinge, die sich um meinen Hals geschlungen hat und immer enger zieht.

„Diese Strafe hast du verdient ... du verdammter Versager!“

Warum? Womit? Was habe ich denn verbrochen, was diese Tat rechtfertigt? Ich habe ihm nie Böses getan. Nie habe ich ihn verraten, wenn er mir gegenüber mal wieder gemein oder gar brutal war. Was also ist seine Rechtfertigung dafür, dass ich eine Strafe verdient hätte?

„Gott hasst Menschen wie dich, Joshua“, säuselt er mir zu, zittere ich am ganzen Körper und er krönt alles, indem er mich mit nur einem Wort seelisch gänzlich in die Knie zwingt.

„Schwuchtel!“

Bitte ... irgendwer ... mach, dass es aufhört. Er soll aufhören!

2

 

Gott! Vergib mir!, wiederhole ich immer wieder in Gedanken.

Bitte vergib mir, dass ich so bin!

Ob Gott mir – einem Sünder dieser Art – je vergeben kann?

Ich weiß es nicht und maße mir auch nicht an, darüber zu urteilen. Nach allem, was ich weiß, was mir über ein Jahrzehnt eingetrichtert wurde, mag Gott solche Sünden nicht. Er mag überhaupt keine Sünder. Darum kommen sie auch in die Hölle.

Genau davor habe ich Angst. So irrsinnig es auch klingen mag. Aber niemand hat mein Leben gelebt und kann nachvollziehen, was dazu geführt hat, dass ich so denke.

Ich bin ein wandelnder Widerspruch!

Natürlich weiß ich, dass es eine Sünde ist, die keine Vergebung erfährt. Es wurde mir schließlich mein halbes Leben lang eingetrichtert. Mein Geist und die Fähigkeit, halbwegs logisch zu denken, vergiftet. Von Kindheitsbeinen an.

Doch die vergangenen vier Jahre haben nicht ausgereicht, um die zwanzig Jahre Einfluss zu tilgen. Auch wenn ich mittlerweile ein halbwegs klares Weltbild mein Eigen nennen kann, so bin ich nicht fähig, die zwei Jahrzehnte an seelischem Mord einfach abzulegen.

Ich bin ein kaputter Mensch. Zerstört und zerschmettert durch den Wahnsinn einer religiösen Ideologie. Die treibende Kraft dahinter war zu stark, als dass ich mich ihr entwinden konnte. Es waren meine Eltern.

Im jungen Alter von vierundzwanzig bin ich bis auf die Grundmauern zerstört. Ein Produkt seelischer Zerstörung, gerechtfertigt damit, dass es Gottes Wille wäre.

Doch welcher Gott heißt es gut, wenn ein Mensch vernichtet wird, um ihm als stupide Hülle zu dienen? Ist so ein Gott ein guter Gott?

Ich weiß es nicht. Wage grundlegend nicht mal, darüber nachzudenken. Noch immer lodert in meinem Hinterkopf die stetige Furcht vor dem, was meine Eltern mir als Strafe für meine Verbrechen gegenüber Gott predigten. Sie drohten mir jeden Tag damit, dass ich als Sünder in der Hölle brennen würde. Ewig.

Geprägt. Ja. Das bin ich. In so vielen Belangen vermag ich nicht selbstständig zu denken, ohne dauernd diese Gedankengänge von früher zu haben.

„Aua!“, entweicht es mir leise, als Hagen mich erneut zwickt. Seine Fingernägel bohren sich in meine Haut, quetschen diese so fest zusammen, dass ich den Laut nicht mal ansatzweise unterdrücken kann.

Habe ich das verdient? Ja.

Ich bin kein guter Mensch, kein gottesfürchtiger Diener, nicht rein und meine Flügel wurden mir abgerissen. Sexuelles Verlangen außerhalb des Zwecks der Fortpflanzung – eine Sünde! Erregung nur beim gleichen Geschlecht zu empfinden – eine Sünde! Ich habe meine Eltern verraten, mich von Gott abgewandt und sie alle hintergangen. Weggestoßen habe ich die Religion, welche fast zwanzig Jahre mein Atem war. Anstatt meinen Vater und meine Mutter zu ehren, bin ich vor ihnen und ihrer religiösen Tyrannei geflohen. Statt weiterhin unserem Gott zu dienen, habe ich mir professionelle Hilfe – in Form eines Psychologen – gesucht und damit gegen das Grundprinzip verstoßen. Ich habe anerkannt, dass in meinem Kopf etwas nicht richtig ist. Der bibelfeste Weg meiner Eltern ... sollte nie der meine sein. Ihre moralischen Vorstellungen, die pflichtgetreue Umsetzung ihrer Richtlinien, wie scharf sie Fehler straften, mit welcher Wonne sie mich in ihre Wunschform drücken wollten, dass sie dabei vor nichts zurückschreckten ... waren nur ein paar Gründe, die mich zur Flucht antrieben.

Ausschlaggebend war letztlich ihre Reaktion, als sie einen unachtsamen Moment meinerseits schamlos ausnutzten und eins und eins zusammenzählen konnten ...

Schwul.

Ich erinnere mich nur noch schwach an die fünftägige Tortur, in der sie meinen Geist klären und mir den Teufel austreiben wollten. Nichts zu essen, kaum zu trinken. Schläge. Wechselbäder in heißem und eiskaltem Wasser.

Schon als Jugendlicher musste ich lernen, dass meine Mutter es überhaupt nicht mochte, wenn mein Körper eine normale männliche Reaktion zeigte. Sie hatte ihre Mittel und Wege, mich das Fürchten zu lehren. Sex verband ich immer mit etwas Bösem. Denn ich erfuhr nur Böses bei dem Thema.

Sie scheute nicht davor zurück, gewaltsam zu werden, wenn es um ihre strenge und konservative Erziehung ging. Immer nannte sie mich einen Engel, der zur Probe leiden müsse, damit er im Himmelreich aufgenommen werden würde. Um meine Reinheit zu erhalten, so sagte sie immer, wäre es ihre Pflicht, das zu tun.

Ein Kind quälen, einen Jugendlichen zerbrechen ... einen jungen Mann zerstören.

Fünf Tage ... die damit enden sollten, dass meine Mutter dafür sorgen wollte, dass ich in den Himmel komme.

Was sie über Jahre geformt hat, fand seinen krönenden Abschluss mittels dieser fünf Tage. Ich bin ein angsterfüllter, verklemmter, unsicherer Mensch, der gefangen ist zwischen zwei Gedankenwelten. Der, wie er selbst denken sollte und wollte, und der, wie er gezwungen wurde zu denken.

Was ich aber von jenem Tag mitgenommen habe, ist: Da war kein Licht. Auch kein Gott.

Simpel gesagt war da ... Nichts!

„Ich rede mit dir!“, zischt es scharf neben mir und mir entweicht ein jämmerliches Ächzen, als seine Faust auf mein Steißbein haut.

„Ignorier mich nicht, du verdammte Schwuchtel, oder ich ...!“

Dem plötzlichen Abbruch von Hagens boshaften Worten folgt ein schmerzvoller Laut seinerseits. Ich wage gar nicht nach dem Grund zu sehen, befürchte ohnehin, dass, egal was es ist, ich früher oder später sowieso die Rechnung bezahlen darf.

„Oder was?!“, knurrt es grollend und ich spüre eine absurde Leichtigkeit meinen Körper erfassen. Kaum noch fähig mein Gewicht auf den Beinen zu halten, vermag ich nicht, mir die Konsequenzen hiervon auszumalen. Hagen wird mich in der Luft zerreißen und ... das wird noch das Harmloseste sein.

Diese Stimme erkenne ich sofort. Warum ausgerechnet er sich einmischt, ist ... irgendwie auch jedes Mal aufs Neue mehr Fluch als Segen.

„Es ist jetzt schon das siebte Mal, dass ich Sie dabei erwische, wie Sie Mister Holmström bedrohen. Wohlgemerkt bin ich erst seit drei Wochen hier tätig. Was, zur Hölle noch mal, haben Sie an meinen bisherigen Aufforderungen, sich von Mister Holmström fernzuhalten, nicht verstanden?“

Siebenmal? In drei Wochen? War es wirklich so oft?

Peinlich berührt über diese Tatsache sinke ich noch mehr zusammen. Warum muss ausgerechnet immer ER es sein, der auf diese Zwischenfälle aufmerksam wird?

Mir wäre es lieber, niemand würde Notiz davon nehmen. Irgendwie komme ich besser damit klar, wenn ich mich selbst nicht weiter damit auseinandersetzen muss. Schlimm genug, dass Hagen mich immer wieder erwischt. Da muss ich es doch nicht länger als nötig mit mir herumschleppen.

Bisher habe ich immer versucht, so schnell wie möglich darüber hinwegzukommen, einfach weitergemacht, mich abgelenkt und mich – um Gotteswillen – nur nicht mehr als nötig damit auseinandergesetzt. Den fixen Gedanken, es verstehen zu wollen, habe ich eh selten. Liegt sicherlich daran, dass ich mein ganzes Leben lang irgendwie immer versucht habe, das Vorgehen der Menschen in meinem Umfeld verstehen zu wollen. Erfolglos. Muss ich da wohl nicht extra erwähnen.

„Es ist doch nur ein Spaß!“, argumentiert Hagen und das grummelige Knurren seines Kontrahenten macht deutlich, dass er mit dieser Aussage so gar nicht zufrieden ist.

„Nur ein Spaß? Sehen Sie hier irgendjemanden lachen, Mister Meyer? Ich nämlich nicht! Aber gut, wenn Sie so auf Späße stehen, dann erlaube nun ich mir einen Spaß auf Ihre Kosten.“

Der gute Wille in Ehren ... aber dass letztlich doch wieder ich derjenige sein werde, der Hagens Missmut zu spüren bekommt, scheint gerade nicht in Erwägung gezogen zu werden.

„Hiermit schicke ich Sie aufgrund von ungebührendem Verhalten am Arbeitsplatz und wegen Missachtung einer mehrfach getätigten Aufforderung für zwei Wochen in unbezahlten Urlaub.“

Merklich zuckt mein Körper zusammen und ich kann nicht anders, als energisch in die Richtung der beiden Männer zu schauen, vehement den Kopf zu schütteln.

Oh Gott! Bitte nicht! Hagen wird mich dafür bluten lassen!

Er ist doch nicht fähig sich einzugestehen, dass sein eigenes Fehlverhalten dazu geführt hat. In seinen Augen sind immer andere an seinem eigenen Versagen schuld. Und hierbei werde ich es sein. Wahrscheinlich reißt er mir den Arsch auf und ... ich will mir diese Horrorszenarien gar nicht ausmalen müssen.

„Mister Leroy! Das kann nicht ihr Ernst sein? Sie können doch nicht einfach Hagen für die Unfähigkeit dieses unbedeutenden ...“

Warum sich die blondhaarige Dame ausgerechnet jetzt – lebensmüde wie sie scheint – einmischen muss, ist mir auch ein Rätsel. Sicher ist, dass sie sich auf sehr dünnes Eis begeben hat.

Es genügt ein eiskalter, aufspießender Blick des zwei Meter großen Kerls, der mit seinen stechendgrünen Augen die junge Dame beinahe pulverisiert, ehe er mit tiefer Stimme knurrt: „Sie können ihm gerne folgen, Miss Richards. Die Unfähigkeit sehe ich eher auf Ihrer Seite! So eine Einstellung ist hier nicht erwünscht! Bemühen Sie sich lieber, nicht auch bald auf der Liste der unbedeutenden Arbeitskräfte zu stehen, auf die diese Firma gerne verzichten kann. Und jetzt gehen Sie mitsamt Ihrer Kolleginnen besser schleunigst wieder an die Arbeit ... ehe ich mich vergesse und für noch mehr Personen, wegen ungebührenden Verhaltens, unbezahlten Urlaub ausspreche. Dann hätten Sie genug Zeit darüber nachzudenken, warum Ihr eigenes Verhalten dazu geführt hat, dass Sie vielleicht bald nach einer neuen Stelle suchen müssen! War das deutlich genug, Miss Richards?“

Ich sollte eingreifen. Aber ich trau mich nicht.

Mister Leroy ist nicht einfach nur irgendwer. Er ist seit drei Wochen unser neuer Chef. Man sagt, er käme aus dem Ausland und habe dort schon sehr erfolgreich eine Firma geführt. Wahrscheinlich hat unser vorheriger Chef, der zugleich Firmeneigentümer war und noch immer ist, darum auch ihm diesen Posten überlassen und sich mit ruhigem Gewissen in den wohlverdienten Ruhestand begeben. Mehr oder weniger. Ab und an taucht er hier auf, um nach dem Rechten zu sehen. So ganz kann er seinen Posten hier wohl noch nicht loslassen.

Mister Leroy hat damit kein Problem. Die beiden scheinen sich sehr gut zu verstehen.

Das löst aber nicht mein Problem, welches sich gerade immer weiter zu einem Desaster entwickelt.

„Mis... Mister... Mister Leroy?“, stammle ich kleinlaut und als mich der durchdringende Blick seiner grünen Augen trifft, weiche ich einen Schritt zurück. Dieser Mann macht mir Angst.

Seine Größe überragt die seines Körpers. Er ist ... mehr, als man sieht. Ich spüre es. Von ihm geht eine wirklich mächtige Ausstrahlung aus, die jeden in seinem näheren Umfeld zum Zwerg degradiert. Gut, außer mir. Ich meine, ich bin grundlegend schon ein Zwerg. Noch kleiner und ich bin nur noch ein Hauch von Nichts.

„Mister Holmström?“, hakt er dennoch ruhig und deutlich sanfter nach.

„Bitte ... ich will keinen Ärger und so würde es nur noch mehr Ärger provozieren. Ich ... komme schon klar. Irgendwie.“

Woher ich den Mut für diese Worte nehme? Keine Ahnung.

Lebensmüdigkeit? Wahrscheinlich.

Es ist das erste Mal, dass ich überhaupt wage, meinen Chef so ausführlich anzusprechen. Bisher hielt ich mich immer sehr zurück. Meist simpel ein oder zwei Worte. Mehr nicht.

Was dann passiert, reißt mich vollkommen aus dem Konzept.

Er packt meinen Oberarm, zieht mich bestimmt zu sich, schlingt einen Arm um meinen Oberkörper und krallt mit der freien Hand in mein Shirt. Der Stoff wird hochgerissen und nackte Haut freigelegt.

„Sie kommen also irgendwie klar, Mister Holmström? Dies sind wohl eher die Zeichen dafür, dass Sie genau das nicht tun! Körperverletzung am Arbeitsplatz ist nichts, was ich ignorieren kann. Mobbing ebenso wenig!“, zischt er mich scharf an und ich sacke immer weiter in seinem Arm zusammen. Die Beine versagen mir, schaffen meine Knie nicht länger, mein Gewicht zu stemmen.

„Es tut mir leid“, winsle ich und bin kurz davor, ein Stoßgebet gen Himmel zu schicken, auf dass sich endlich das schwarze Loch auftut, um mich zu verschlingen und hinab in die Hölle zu bringen.

„Gott hört dich nicht ... aber ich“, raunt er dicht an meinem Ohr und mein ganzer Körper zerfließt wie Wachs über tanzenden Flammen.

Gott hört mich nicht. Aber er.

Diese Worte ätzen sich in meinen Kopf, bestimmen meine Gedanken, bringen das Karussell darin kurz ins Straucheln und von einer Sekunde auf die andere herrscht da plötzlich diese angenehme Leere. Nichts. Gar nichts.

Damit verbunden weicht jegliche Anspannung aus mir und ich ertappe mich selbst, wie ich ergeben der Situation und zu meiner Schwäche stehend an den starken Körper hinter mir sinke.

Ich fühle mich so klein und unbedeutend – wie immer.

Aber ausgerechnet dieser Mann gibt mir gerade das Gefühl, dass er mich dafür nicht verteufelt. Vielmehr ist es, als wäre er wie der Fels, den ich mein ganzes Leben vergebens gesucht habe. Einfach mal einen Menschen zu haben, an den ich mich in genau so einer Situation sinken lassen kann, der mich hält und nicht wegwirft. Wegwirft wie Dreck. So wie meine Eltern es getan haben, nachdem sie mich gequält hatten. Über Jahre. Im Namen ihres Gottes. Unter dem Schutzmantel einer Religion, die sie fanatisch lebten und dabei nicht mal vor ihrem eigenen Kind haltmachten, als es darum ging, ihren Fanatismus in die Neuzeit zu übertragen.

„Alles ist gut. Alles ist gut.“

Die raue, tiefe Stimme wiederholt diese drei Worte wie ein Mantra und ich gebe nach. Vermag nicht länger bei Sinnen zu bleiben, geschweige denn die Augen offen zu halten.

Meine Welt stürzt ein. Da ist endlich jemand, der mich wahrnimmt ... und er fordert dafür nicht von mir, dass ich einem Gott huldige, der mich ohnehin nie haben wollte.