Gerd Scherm

DIE WELTENBAUMLER

 

 

Fantasy 25

 


Gerd Scherm

DIE WELTENBAUMLER

 

Fantasy 25

 

 

Die Weltenbaumler im Internet:

www.nomadengott.de

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

© dieser Ausgabe: Mai 2016

p.machinery Michael Haitel

 

Titelbild: Gerd Scherm & Friederike Gollwitzer unter Verwendung einer Zeichnung von Marianne Klement-Speckner

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda, Xlendi

Lektorat: Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda, Xlendi

 

Verlag: p.machinery Michael Haitel

Ammergauer Str. 11, 82418 Murnau am Staffelsee

www.pmachinery.de

 

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 044 3

 


Schwertzeit, Axtzeit,

Schilde bersten,

Windzeit, Wolfzeit,

bis die Welt vergeht

 

»Der Seherin Gesicht«

aus der Edda

 


Aus den verborgenen Schriften der Propheten von Byblos

 

 

Aufgeschrieben ist dies für die Söhne der Söhne der Söhne. Wenn es denn in ferner Zukunft überhaupt noch Menschen gibt, die fähig sind zu lesen. Denen will ich künden von meiner Zeit, in der die Götter den Erdkreis betraten und missgünstig miteinander stritten.

Von Ägypten mit seinen tausend Göttern und Dämonen bis zum Zweistromland, wo Ischtar aufstand, sie alle herauszufordern; dort, wo der Zweidrittelgott Gilgamesch die Halbgötter der anderen Völker überragte. Von den namenlosen Furchtbaren der Hethiter will ich ebenso schreiben wie vom eifersüchtigen Jahwe der umherstreifenden Hebräer, der keinen anderen Gott neben sich duldete.

Und berichten will ich von meiner Heimat Byblos, wo Jahr für Jahr der Gott Mot den Gott Baal erschlägt, um dann gleichermaßen von dessen Gattin Astarte erschlagen zu werden.

All dieses schreckliche Götterwerk aber ist auf dem Elend von uns Menschen gebaut. Auf unseren Jammerschreien errichten sie ihre himmlischen Throne.

Kein Hoffen war uns Menschen geblieben angesichts der Grausamkeit der Götterwelt, die auch der Menschen Welt war in jener Zeit. Bevor in Ägypten die Pharaonen im Horizont der Sonne herrschten, während der Minotaurus in Knossos hauste und das Römische Imperium als ungedachte Idee in den Sümpfen des Tibers schlummerte, kümmerten sich die Götter noch bis ins kleinste Detail um den Alltag der Menschen. Doch wäre es nur ein fürsorgliches Kümmern gewesen! Eingemischt haben sie sich, und für alles wollten sie Opfergaben. Opfer! Opfer! Ob man einen kleinen Handel machen wollte oder ob der Hochzeitsbraten gelingen sollte, stets lechzten sie gierig nach ihrem Anteil wie ein Wucherer.

Doch im Ägyptenland jenes Zeitalters gefiel es einem Gott, mit all dem zu brechen. Er erwählte einen Propheten und wirkte mit und durch ihn.

Geheimnisvoll war sein Auftreten, so geheimnisvoll, dass er nicht einmal einen Namen trug, sondern schlicht »Gott ohne Namen«, GON, genannt wurde. Gepriesen sei sein verborgener Name!

Manche sagen, er wirke auch heute noch, doch stets im Verborgenen, und nur wenige Auserwählte würden seiner ansichtig. Und auch wenn er gerade nicht unter uns weilt, so könnte er doch jederzeit wieder über uns kommen. Oder unter uns.

Der Prophet aber jenes verborgenen Gottes hieß Seshmosis, was »der Sohn eines Schreibers« bedeutet, und der Verkünder war auch selbst ein Schreiber. An den Ufern des Nils erwählte GON seinen Propheten, auf dass er sein Volk hinwegführe aus dem Land des Pharaos, wo es große Unterdrückung und Verfolgung erleiden musste.

Doch nicht nur böse Menschen verfolgten den Stamm des Propheten, die Tajarim; auch ägyptische Götter geißelten sie mit ihrer Eifersucht. Der krokodilköpfige Sobek und der widdergehörnte Amun und selbst der schlangengestaltige Dämon Apophis beargwöhnten das kleine Volk.

Trotz aller Widrigkeiten gelang es dem Propheten mit Tricks und GONs Hilfe, die Seinen aus Ägypten in die Wüste erfolgreich hinters Gelobte Land der Väter zu führen. Ins Gelobte Land selbst konnten sie nicht, weil dieses inzwischen von den Söhnen anderer Väter bewohnt wurde. So leiteten GON und Seshmosis die Tajarim einen Tagesmarsch weiter nach Norden ins freie Byblos, wo man sich im Schmelztiegel der Levante niederlassen konnte.

Doch nicht vom Stamm der Tajarim will ich hier reden, sondern von GON, dem Gott ohne Namen.

Schon die ältesten Aufzeichnungen sprechen von einer nicht fassbaren Wesenheit, die sich einer Beschreibbarkeit durch ständige Verwandlung entzieht. Er sei »gestaltlos wie der Wind oder materialisiere in mancherlei tierischer Gestalt«, heißt es in einem frühen Papyrus, und in einem uralten Lied finden wir die Zeilen: »Der nichts erschuf, aber ständig erschafft« und »Der winzig klein die Welt durchreist«.

Die Schriften des ersten Propheten Seshmosis beschreiben GON als »groß an Macht, aber klein von Gestalt, doch diese dafür enorm wandelbar« und »dessen Macht reicht, so weit sein kurzsichtiges Auge blickt«. Alle Schriften sind sich einig, dass der Gott bei seinen Materialisationen kaum die Länge einer ägyptischen Elle erreichte. Auch sei der Wirkungsradius von GON äußerst beschränkt gewesen. Diese Beschränktheit stand wohl im Zusammenhang mit der altbekannten Tatsache, dass ein Gott nur so weit wirken kann, wie sein Auge reicht. Da der kleine Gott ohne Namen aber enorm kurzsichtig war, schränkte dies den Radius seiner göttlichen Macht doch erheblich ein. Überlieferungen sprechen davon, dass er nur fünfzig Schafe weit gewaltig wirken konnte, die weiter entfernten Schafe aber willig folgten.

Auch soll GON immer wieder Blitze eingesetzt haben, um Menschen zu disziplinieren, die seinen Tajarim Böses wollten. Dies führte selbst in größerer Entfernung von den Eingeäscherten zu spontanen Konfessionswechseln bei den Beobachtern.

Sein Volk baute dem kleinen Gott zum Dank einen hölzernen Schrein, auf dass er nun immer bei ihnen lebe. So konnten sie sich als Nomaden bei ihren Reisen seiner Gegenwart stets sicher sein.

Die Schrift sagt weiter, dass die Tajarim ein sorgenfreies Leben in Byblos führten und deshalb im Glauben an GON immer mehr nachließen. Aber der Gott wusste um die Trägheit und die Gedankenlosigkeit der Menschen und beschloss, sie nicht zu bestrafen. Nicht sehr jedenfalls, denn strafende Götter wie Jahwe, Baal und Seth gab es damals mehr als genug.

GON, der Gott der tausend Gestalten in kleiner Form, hatte nämlich schon vor langer Zeit, als er noch einen Namen besaß, aufgegeben, einen einzelnen Stamm als auserwähltes Volk hervorzuheben. Er wollte nicht mehr, dass Menschen sich für etwas Besseres hielten und dann in seinem Namen Reiche gründeten und gegen andere Reiche mit anderen Göttern in den Krieg zogen. Auch prächtige Tempelbauten und jubilierende Knabenchöre erfreuten ihn nicht.

Der kleine Gott hatte sich entschieden, sich um einzelne, scheinbar unbedeutende Wesen zu kümmern. Er wollte fortan ein Gott sein, den man nicht nur anrief, sondern mit dem man auch wirklich reden konnte.

Und von Weltuntergangsszenarien wie Armageddon, Ragnarök und Apokalypse hielt er äußerst wenig, im Prinzip gar nichts.

 

Gerd Scherms DIE WELTENBAUMLER