Gerd Scherm

DER NOMADENGOTT

 

Fantasy 21


Gerd Scherm

DER NOMADENGOTT

 

Fantasy 21

 

Der Nomadengott im Internet:

www.nomadengott.de

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

© dieser Ausgabe: November 2015

    p.machinery Michael Haitel

 

Titelbild: Gerd Scherm & Friederike Gollwitzer

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda, Xlendi

Lektorat: Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda, Xlendi

 

Verlag: p.machinery Michael Haitel

Ammergauer Str. 11, 82418 Murnau am Staffelsee

www.pmachinery.de

 

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 042 9


Gerd Scherm

DER NOMADENGOTT


Prolog:

Götter an und für sich

 

»Wo keine Götter sind, herrschen die Gespenster.«

Novalis

 

Wer schon entsprechende persönliche Erfahrungen mit Göttern sammeln konnte oder gar selbst einer ist, mag die folgenden Zeilen getrost überspringen. Allen anderen jedoch lege ich nahe, sich mit einigen Grundzügen vertraut zu machen.

Denn das Wesen und Wirken der Götter ist bei genauerer Betrachtung viel komplizierter, als man gemeinhin glauben mag.

Allein schon dieses »glauben mag« ist eminent wichtig. Wenn man zum Beispiel nicht glauben mag, tun sich Götter ungeheuer schwer, große Verbreitung und Anerkennung zu finden. Andererseits macht es einem Gott nicht viel aus, wenn man nicht an ihn glaubt. Bis man dran glauben muss.

Es ist ja auch der Hochspannungsleitung völlig egal, ob man an sie glaubt oder nicht. Für die Menschen ist es dennoch ratsam, ihre Existenz nicht infrage zu stellen.

 

Hier nun eine kurze Einführung in das Götterwesen und seine Entwicklung.

Es ist allgemein bekannt, dass Götter einen Wohnsitz haben. Ob nun im Olymp oder in Asgard, auf oder in der Sonne oder in einem hohlen Baum, Götter wohnen.

Und als man im Zuge der Rationalisierung den Monotheismus erfand, siedelte man diesen Ein-Gott im Himmel, im All, irgendwo in einem imaginären Oben an.

Doch von Haus aus sind Götter sehr häuslich und meist an eine geografische, keineswegs imaginäre Position gebunden. Dieser Wohnort steht auch ursächlich mit ihrer Wirkung und ihrem Wirkungsgrad in Zusammenhang. Wenn mehrere Götter an einem Ort leben, erhöht dies ihre Außenwirkung erheblich.

Die ganz natürlichen Konflikte einer Wohngemeinschaft bilden ein starkes Potenzial für Göttersagen, Tragödien und Paradoxa. Weltweit gibt es wohl keinen einzigen Götterhort, an dem nicht geschummelt, betrogen, gestohlen und gemeuchelt wird.

Und weil Götter an sich sehr schwer zu meucheln sind, nimmt man dafür ersatzweise am liebsten Menschen. Das sind dann die von den Göttern Auserwählten, die nie eine Chance bekommen, ein normales Leben mit Rentenanspruch zu Ende zu bringen.

Während im Altertum die Götter ihre Konflikte noch weitestgehend unter sich austrugen – man denke nur an Isis, Osiris und Seth – gingen die Götter der Antike mehr und mehr dazu über, menschliche Figuren in die göttliche Komödie einzubeziehen. Wobei die Lacher fast ausschließlich auf der Götterseite saßen. Die anderen empfanden das Spiel wohl mehr als Tragödie und fingen an, das Ganze in einem Akt kreativer Notwehr aufzuschreiben.

 

Sehr früh erkannten kluge Geister, dass beim ständigen Streit der Götter untereinander immer nur die Menschen den Kürzeren zogen und sie erfanden den Monotheismus.

Dabei unterlagen sie einem gewaltigen Trugschluss, weil sie dachten, dass damit das Problem aus der Welt sei. Zugegeben, der Ansatz war nicht ungeschickt, der Sache den Boden zu entziehen, indem man sagte: Es gibt nur einen von der Sorte, auf den wollen wir uns konzentrieren. Aber es funktionierte nicht!

Der Eine konnte doch nicht für alles verantwortlich sein, für Gut und Böse, Glück und Unglück, Aktienhoch und Börsencrash, Gehaltserhöhung und Mahnbescheid, Impotenz und Viagra, die Liebe und die Lottozahlen.

Auch wenn mancher göttliche Monolith schizophrene bis multiphrene Züge zeigt, einerseits befiehlt, »Du sollst nicht töten«, und andererseits den Totschlag aller Andersgläubigen fordert, oder An-Ihn-Gläubige einem haarsträubenden Testprogramm à la Hiob unterwirft, führt dieses Konzept zu erheblichem Erklärungsnotstand. Es musste ein Gegenspieler gefunden werden. Zwar kein anderer Gott, weil das ja nicht ins Konzept passt, aber doch kein Mensch, weil so ein Würmlein ja keine Chance hätte. Also erfand man den Teufel und der sorgte dafür, dass Gott bei der breiten Masse das Image des Guten bekam.

Dazu wurden verschiedene Spezialaufgaben an diverse Engel und Heilige delegiert, sodass man, ohne es zu merken, eine größere himmlische Wohngemeinschaft denn je aufbaute. Ebenso stattete man den Widerpart mit einer umfangreichen Gefolgschaft aus und das Feld für weitere Tragödien war bereitet. Eine neue Inszenierung mit den gleichen Verlierern.

 

Wo begegnet ein Mensch einem Gott?

Beim Gottesdienst oder beim Beischlaf.

Letzterer ist ein sehr heikles Kapitel in der Geschichte der Gott-Mensch-Beziehungen. Götter an und für sich sind Entitäten, sprich Daseinsformen, von unbestimmter Gestalt. Manchmal jedoch, um die Menschen zu erschrecken oder um ihren Spaß zu haben, materialisieren sie sich; in einem brennenden Dornbusch zum Beispiel oder in einem Schwan.

Während ein brennender Dornbusch sehr wenig beischlaftauglich ist, haben sich Tierformen in der Antike überaus bewährt. In manchen Fällen sollen Götter sogar menschliche Gestalt angenommen haben, um diese Spielart der Sexualität zu genießen. Egal ob Schwan, Stier oder Mensch, das Ergebnis war immer ein Halbgott. Wobei auffällt, dass es in der Überlieferung erstaunlich wenige Halbgöttinnen gibt.

Beim Monotheismus jedoch entspringt dieser Gott-Mensch-Beziehung kein Halbgott, sondern ein neuer Gott, der jedoch der alte ist. Auf die moraltheologischen Widersprüchlichkeiten einer solchen göttlichen Selbstreproduktion mittels externer Befruchtung möchte ich hier nicht eingehen.

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass vor allem der monotheistische Widersacher sich in vielerlei Gestalt und häufig den Beischlaf erschleicht und so die teuflischen Heerscharen permanent durch Inkuben vermehrt. Diese sind dann verantwortlich für kopernikanische Weltbilder, Autobahnbaustellen während der Ferienzeit, den Erlass von Steuergesetzen, die Erfindung des Buchdrucks und die Entwicklung von Betriebssystemen wie Windows.

 

Können Götter träumen? Selbstverständlich, sie haben das Träumen sogar erfunden.

Weil sie alles erfunden haben. Auch den Kühlschrank und das Bungeeseil. Allerdings ist es die Aufgabe der Menschen, die Erfindungen für sich zu entdecken.

Ein wichtiges göttliches Instrument neuerer Zeit ist das Handy.

Es macht seinem Besitzer klar, dass er, wo immer er auch sein mag, von einer höheren Macht erfasst und angesprochen werden kann – beim Mittagessen, im Konzert oder beim Beischlaf (außer er führt ihn mit einem Gott aus, s. o.). Dabei sprechen auch hier die Götter nie selbst, sondern lassen sprechen. Das führt in der Praxis dazu, dass weder der Anrufer, noch der Angerufene weiß, warum das Telefonat stattfindet und welchen Zweck es hat, aber beide wissen, dass es ungeheuer wichtig ist.

Einzelne Götter verwenden neuerdings vermehrt die Handymethode, um ihre Schäflein direkt zu sich zu rufen, zum Beispiel durch einen Anruf bei zweihundert Stundenkilometer auf der Autobahn.

 

Der im Zusammenhang mit den Göttern wichtigste Begriff für die Menschen ist »Erlösung«. Wobei damit der Zustand gemeint ist, in dem man vor den Göttern endlich seine Ruhe hat. Wie diese erlöste Form des Daseins letztendlich aussieht, hängt von der Vorstellungskraft und den verwendeten Drogen des jeweiligen Propheten ab. Das Spektrum der Visionen reicht von der völligen Auflösung des Probanden in einem namenlosen Nichts bis zur Quartiernahme in einem paradiesischen Luxushotel, in dem leicht bis unbekleidete Damen Milch und Honig reichen. Augenfällig bei all diesen Erlösungen ist die Tatsache, dass sie häufig den Fantasien von Männermagazinen entsprechen. Es fällt auf, dass Frauen in den meisten Weltreligionen erlösungsmäßig kaum Berücksichtigung finden und entweder als himmlisches Servicepersonal gelten oder als Inventar der höllischen Regionen.

 

Gerd Scherms DER NOMADENGOTT