Marianne Labisch,

Marco Habermann &

Gerd Scherm (Hrsg.)

BILDER EINER AUSSTELLUNG

 

 

Außer der Reihe 28

 


Marianne Labisch,

Marco Habermann &

Gerd Scherm (Hrsg.)

BILDER EINER AUSSTELLUNG

 

Außer der Reihe 28

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

© dieser Ausgabe: September 2018

p.machinery Michael Haitel

 

Titelbild: Gerd Scherm

Illustrationen: Lothar Bauer, Detlef Klewer, Marianne Labisch, Eva Preuß, Gerd Scherm, Andreas Schwietzke

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda, Xlendi

Lektorat: Marianne Labisch, Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda, Xlendi

 

Verlag: p.machinery Michael Haitel

Ammergauer Str. 11, 82418 Murnau am Staffelsee

www.pmachinery.de

für die Geschichtenweber, www.edition-geschichtenweber.de

 

ISBN der Printausgaben:

978 3 95765 143 3 (Paperback)

978 3 95765 144 0 (Hardcover)

 


Marianne Labisch: Vorwort

 

 

Ich mag es, wenn verschiedene Kunstrichtungen miteinander vereint werden, ohne in Konkurrenz zu stehen. Daher war ich gleich angetan von Marco Habermanns Idee, eine Anthologie zum Thema Bilder einer Ausstellung herauszugeben, die neben den Kurzgeschichten auch Lyrik und neue Interpretationen der Bilder von Viktor Hartmann enthalten sollte. Erst nach der Entscheidung daran mitzuwirken, beschäftigte ich mich mit der Musik und den inspirierenden Bildern. Die Geschichte dahinter faszinierte mich.

Die Freundschaft dieser beiden Männer gefiel mir und bot so viel Stoff, der von den verschiedenen Autoren, Lyrikern und Grafikern, jeweils auf ganz andere Art und Weise umgesetzt wurde.

Die Geschichten, die Lyrik und die Bilder belegen, dass alle beteiligten Künstler sich intensiv mit dem Leben und Wirken dieser beiden Männer beschäftigt haben. Wir alle wurden zu neuen Werken inspiriert und ich schätze, genau das hätte Viktor Hartmann und Modest Mussorgski gefreut. Modest Mussorgskis Freundschaft zu dem Maler ging über dessen Tod hinaus und er setzte den Bildern mit der Musik ein Denkmal, welches die Zeit überdauerte. Er vereinte somit zwei Kunstrichtungen und wir nahmen diesen überspannenden Bogen auf und erweitern ihn noch ein wenig, wahrscheinlich ganz im Sinne unserer Vorbilder.

Ich finde, das ist ein Weg, den wir öfter beschreiten sollten, ganz besonders, weil so häufig über U- und E-Literatur, Prosa und Lyrik, Malerei und Fotografie gestritten wird. Es wäre doch ein guter Ansatz, in der Vielfalt eine Einheit zu finden, sich auszutauschen, zusammenzuschließen und gegenseitig zu bereichern, wo andere sich auseinanderdividieren.

 


Marco Habermann: Vorwort

 

 

Die ersten Berührungen mit Mussorgskis Werk hatte ich schon sehr früh. Ich erinnere mich gut, wie es in den übergroßen Kopfhörern knackte und rauschte, wie sie mir vom Kopf rutschten. Mit viel Hall fing es an, Chor und Orgel folgten. Kurz darauf stolperte ich musikalisch durch das Unterholz eines dichten Waldes und verlief mich. Ich atmete schneller …

Bevor es mir zu unheimlich wurde, öffnete ich die Augen und war zurück in der Realität. Ich fixierte das in dunklen Blautönen gehaltene Plattencover, das ich aus dem übervollen Regal in unserem Wohnzimmer gezogen hatte. Isao Tomitas Version von »Pictures at an Exhibition« lief mit 33 1/3 Umdrehungen pro Minute.

Die damals als fortschrittlich geltende Synthesizervertonung beflügelte meine Fantasie, ließ bewegte Bilder vor meinen Augen entstehen und begleitete mich viele Jahre. Immer wieder kramte ich das Album hervor und begab mich aufs Neue in die ferne Welt der Bilder einer Ausstellung.

Es ist nicht zuletzt der großen Schallplattensammlung meines Vaters zu verdanken, dass mir Musik unterschiedlichster Couleur zur Verfügung stand und mich nachhaltig beeinflusste. Bilder einer Ausstellung ist nur eins von vielen Beispielen, aber definitiv das prägendste.

Während meiner Jugend trat der Musikzyklus weit in den Hintergrund, doch es kam der Tag, an dem mir Tomitas Fassung in digitaler Form wieder über den Weg lief und mit ihr weitere zahlreiche Interpretationen. Klavier, Orchester, Jazz, Rock, Metal … Es gibt kaum eine Musikrichtung, in der es keine Adaption gibt. So unterschiedlich sie auch sein mögen, ein Element eint sie alle: die Bilder.

Ich begann, mich für die Geschichte hinter der Musik zu interessieren. Einst ließ die Musik Bilder vor meinem geistigen Auge entstehen, doch ursprünglich war es umgekehrt. Die Bilder gab es vor der Musik.

Mussorgski komponierte die Stücke zu Ehren seines verstorbenen Freundes, des Künstlers Viktor Hartmann. Der Zyklus beschreibt einige seiner Bilder, die dem Publikum auf dessen Gedächtnisausstellung präsentiert wurden.

Somit war und ist Bilder einer Ausstellung tatsächlich ein multimediales Werk aus dem neunzehnten Jahrhundert, das Musik und Bild verbindet. Jedes Medium regt den Geist auf eine andere Weise an. Auf einem Bild sehe ich nicht, was Sie sehen. Ein Lied ist für den einen nur Gedudel, während es in einem anderen Menschen tiefe Emotionen oder Erinnerungen weckt.

In Anbetracht dessen fand ich es umso erstaunlicher, dass es zu Hartmanns und Mussorgskis Werken noch keine literarische Bearbeitung gab. War ich der Einzige, dem sich zu jedem Musikstück oder den Bildern Geschichten aufdrängten? Das konnte nicht sein!

Was lag also näher, als sich auf die Suche nach Mitmenschen zu begeben, die den Bildern einer Ausstellung zu neuem Glanz verhelfen wollten? Meine Suche brachte zahlreiche kunstbegeisterte Menschen zusammen und gemeinsam entdeckten wir die Geschichten hinter den Bildern.

Kunstliebende Schriftsteller und Illustratoren, die es vermochten, vielfältige Stimmungen in ihre Geschichten und Bilder hineinzulegen, wie es die Originale konnten. Verleger, Mitherausgeber und Lektoren, denen es genau wie mir am Herzen lag, den Bildern einer Ausstellung neue Blickwinkel abzugewinnen.

Herausgekommen ist eine Hommage an zwei großartige Künstler und deren Werke, die sich nun in all ihrer Vielfalt vor uns ausbreitet und zum Lesen, Betrachten und Lauschen einlädt.

Wer in den Genuss einer musikalischen Untermalung zur Lektüre kommen möchte, dem seien die vielen unterschiedlichen Interpretationen ans Herz gelegt – eine Liste gibt es am Ende dieses Werkes –, die über die Jahrzehnte hinweg entstanden.

Wir möchten uns bei allen Beteiligten bedanken, die dieses Buch möglich gemacht haben. Jedes noch so kleine Puzzleteil hat uns geholfen, die Anthologie zur Veröffentlichung zu führen.

Getreu Modest Mussorgskis Motto »Die Kunst ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel für das Gespräch mit den Menschen«, wünschen wir viel Freude mit diesem Werk.

 


Gerd Scherm: Das Matrjoschka-Projekt

 

 

Als Modest Mussorgski zu Ehren seines verstorbenen Freundes Viktor Hartmann die Komposition »Bilder einer Ausstellung« schuf, konnte weder er noch jemand anderer ahnen, welche Auswirkungen dieses Werk haben würde. Im Lauf der Zeit wurde daraus ein weltumspannendes »work in progress«, ein Kunstwerk, das ständig weiterentwickelt wird. 1971 veröffentlichte die Classic-Rock-Formation »Emerson, Lake and Palmer« ihr Live-Album »Pictures at an Exhibition«, und dies löste einen Dammbruch aus, eine kreative Flut, Werk um Werk entstand und knüpfte an die Vorläufer an.

1975 veröffentlichten Philipp Corner und KP Brehmer eine weitere Bearbeitung, die sie als »Pictures of Pictures« bezeichneten und die sowohl auf Mussorgski als auch Wassily Kandinsky basierte. Darauf aufbauend schuf KP Brehmer eine Art der visuellen Umsetzung mithilfe eines Sonografen und nannte sie »Pictures of Pictures from Pictures«. Philipp Corner setzte diese Bilder wiederum (1975–1979) in Musik um und kommt so zu seiner Werkbezeichnung »Pictures of Pictures from Pictures of Pictures«. Aus einer Gedächtnisausstellung mit anschließender musikalischer Hommage im Jahr 1874 war ein Matrjoschka-Projekt geworden: Die Puppe in der Puppe in der Puppe in der Puppe … Jede und jeder fügte und fügt seit nahezu hundertfünfzig Jahren das Seine hinzu und spinnt den Faden weiter.

Unser hier vorliegendes Buch könnte auch den Titel »Storys and Pictures of Pictures at an Exhibition« haben – »Geschichten und Bilder zu Bildern einer Ausstellung«.

Ich selbst hörte die »Pictures at an Exhibition« von »Emerson, Lake and Palmer« Anfang 1972 das erste Mal und war begeistert. Ich mochte diese Art von Musik ebenso wie harten Rock und Rhythm and Blues. Aber dieses Album bot mir noch mehr als The Moody Blues, The Nice und Procol Harum: Es weckte mein Interesse an klassischer Musik. Angeregt von dieser schwarzen Vinylscheibe eröffneten sich mir neue Hörwelten und Klangsphären, die ich gerne betrat.

Ich liebe spartenübergreifende Projekte und mache seit vielen Jahren sogenannte »ästhetische Korrespondenzen« mit Malern, Fotografen, Performancekünstlern, Musikern und Komponisten. Als Marco Habermann im Geschichtenweber-Forum seine Idee von einem Text-Bild-Musik-Konzept zu »Bilder einer Ausstellung« vorstellte, erklärte ich mich spontan zur Mitwirkung bereit.

Nun kommt die Vollendung unseres Teils der Geschichte, die mit Viktor Hartmann und Modest Mussorgski begann: Sie sind an der Reihe!

 


Gerd Scherm: Promenade

 

 

Entschleunigen

das Alltagstempo verlassen

Flanieren

Schritte und Atem im Gleichklang

Innehalten

sehen, was mir ein anderer zeigt

Gedanken

eintauchen in Geschichten

 

Die Stille im Außen

verbirgt den Sturm im Inneren

Stehend davonwirbeln

mitgerissen

getrieben

gejagt

Schritt für Schritt

gefangen von Bildern

 


Bilder einer Ausstellung

© Detlef Klewer