JEAN & JEFF SUTTON

 

 

Der programmierte Mensch

 

 

 

Roman

 

Apex Science-Fiction-Klassiker, Band 54

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DER PROGRAMMIERTE MENSCH 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

 

Das Buch

 

N-Bomben-Kreuzer bewachen die von Terra gegründete Föderation der Sonnensysteme. Sie sichern den Frieden im All gegen äußere und innere Feinde. Viele Jahrzehnte lang haben die Raumschiffe, die mit der ultimativen kosmischen Vernichtungswaffe ausgerüstet sind, ihre Mission ohne Pannen durchgeführt, aber eines Tages geschieht das Unbegreifliche: Ein N-Bomben-Kreuzer sendet Notsignale. Saboteure haben die loyalen Besatzungsmitglieder ausgeschaltet und das Schiff übernommen.

Und damit beginnt die Jagd auf das Geheimnis der Nova-Bombe.

Der Geheimdienst wird alarmiert, Blockade-Flotten werden eingesetzt - und der programmierte Mensch treibt sein undurchsichtiges Spiel auf vielen Welten...

 

Der programmierte Mensch von Jean & Jeff Sutton erschien erstmals im Jahr 1968.

Der Apex-Verlag veröffentlicht diesen SF-Abenteuer-Roman als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe APEX SCIENCE-FICTION-KLASSIKER.

 

DER PROGRAMMIERTE MENSCH

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Seine Augen waren schräg geschnitten wie die der Bewohner von Achernar.

Das Weiß seiner Augen war nicht weiß, sondern von einem trüben Blau überschattet, ein Merkmal der Nachkommen der Terraner, die vor mehr als hundert Generationen die drei Welten jener bläulichen Sonne kolonisiert hatten, die tief im Herzen der Konstellation Eridani lag. Ansonsten schien Corden Hull, Captain des Reichszerstörers Draco, ein gewöhnlicher Erdenmensch zu sein. Stämmig, grauhaarig, nahe der Fünfzig, mit lederner Haut, gegerbt durch die Strahlen von tausend Sonnen.

Dies war der erste flüchtige Eindruck, den er auf Daniel York machte. Da nicht anzunehmen war, dass ein Außenweltler, der keine ungewöhnlichen Fähigkeiten besaß, einen solchen Zerstörer befehligen würde, betrachtete ihn York genauer und sah nun, was er bereits früher hätte bemerken müssen, wäre dieses seltsame blaue Licht nicht gewesen, an das sich seine Augen noch nicht gewöhnt hatten. War auch der Rest des Raumschiffes - oder zumindest der Teil, den er zu sehen bekommen hatte - normal beleuchtet, so war dies in Hulls Kabine nicht der Fall. Es war, als ob er in seinen eigenen vier Wänden den Glanz jener Sonne beibehalten hätte, unter der er geboren worden war. Wenn auch Hulls Augen von einem trüben Blau waren, so hatten sie den durchdringendsten Blick, den York jemals gesehen hatte. Scharf, hart, analytisch, verrieten sie nichts von den Gedanken, die sich hinter ihnen verbargen, genau so wenig wie das kantige Gesicht. Er achtete auch auf Hulls Sprache. Algol, Denebola, Mirach - Dialekte zahlloser Sonnenplaneten färbten seine Worte und verloren sich beinahe in der breiteren, undeutlichen Sprechweise von Casserom, der Archenarwelt, aus der er vor langer Zeit gekommen war.

»Es tut mir leid, Mr. York«, sagte Hull, »aber die Vorschriften der Flotte verbieten den Transport von Zivilisten, außer in extremen Notfällen. Das müssen Sie verstehen.

Zu jedem anderen Zeitpunkt aber habe ich ausschließlich die Befehle des Reichsadmirals der Galaktischen Flotte zu befolgen.« Seine Stimme wurde eisig. »Dies ist ein solcher Zeitpunkt.«

»Ich reise in Angelegenheiten des Reiches«, bemerkte York.

»Nicht dass ich wüsste.« Hull blickte über ihn hinweg auf die plumpe Gestalt, die soeben durch die Tür schlenderte. »Lieutenant, würden Sie bitte Mr. York vom Schiff begleiten?«

»Sie wollen mich also zwingen«, sagte York barsch, als Tregaski auf ihn zuging. Er sah, wie der Captain erstarrte, als er in eine Innentasche griff, gleichzeitig merkte er, dass Tregaski unmittelbar hinter ihm Stellung bezogen hatte. York brauchte kein Hellseher zu sein, um zu wissen, dass Tregaski eine Betäubungspistole in der Hand hielt. Er nahm behutsam eine Karte aus seiner Brieftasche und hielt sie Hull zum Lesen hin.

»Reichs-Geheimdienst«, murmelte Hull leise, doch seine Stimme verriet Zweifel und Erstaunen.

»Dies im Vertrauen.« York beobachtete den Captain ruhig. War die Galaktische Flotte des Reiches das Werkzeug, mehr als zweitausend bewohnte Planeten in kontrollierter Harmonie leben zu lassen, so war es der schattenhafte Reichs-Geheimdienst, der Meinungsverschiedenheiten im Keim erstickte und das Reich intakt hielt. Ohne den RG, wie er genannt wurde, hätten die rastlosen Welten der Alpha-Sonnen schon lange das Joch des Reiches abgeschüttelt, mit oder ohne N-Bombe. Prinz Li-Hu aus der Alphawelt Shan-Hai, dessen Vorfahren in ununterbrochener Linie bis zu den Kaisern der antiken irdischen Bevölkerung von China zurückgingen, war an dem augenblicklichen Dilemma des Captains schuld, selbst wenn Hull nichts davon wusste.

Hull blickte von der Karte auf. »Das ändert nichts an der Sache«, bemerkte er.

York musterte ihn im tiefblauen Licht und fragte sich, wie schwer es wohl sein würde, ihn zu überzeugen. »Das ist es, warum ich hier bin«, sagte er barsch, »ein Notfall.« Er vernahm das Geräusch zufallender Luken und quietschender Winden, das von den Vorbereitungen für den Start der Draco herrührte, zum Start von Upi, dem einzigen Planeten der Zwergsonne Blackett, wo sich dieser entlegene militärische Stützpunkt befand - ein Wachtposten am Rande der Galaxis.

Der Captain beobachtete ihn grübelnd. York fiel ein, dass, wenn Hull ein Erdgeborener wäre, er zweifellos ein N-Schiff befehligen würde, anstatt einen Zerstörer am Rande des Raumes. Wohl hatte die Draco weittragende Laserkanonen, Kobalt- und Atomsprengköpfe und andere konventionelle Waffen - aber nicht die gefürchtete N- Bombe. Nach einem ungeschriebenen Reichsgesetz durfte nur ein geborener Erdling ein N-Schiff befehligen. Kurz, die Draco konnte keine Sonne zerstören.

Als der Captain der Draco schweigsam blieb, sagte York: »Meine Vollmacht ist von Admiral Borenhall unterzeichnet. Oder ist der Admiral des Zehnten Sektors nicht hoch genug?«

Hull überhörte die ironische Bemerkung. »Ich habe Sie über die Vorschriften aufgeklärt.«

»Und ich habe Ihnen meine Vollmacht gezeigt.«

»Ich habe wegen Ihrer Empfehlungsschreiben rückgefragt«, gab Hull zu, »aber wir werden nicht warten können, bis die Antwort eintrifft. Ich fürchte, ich werde Sie bitten müssen zu gehen.«

York verzog das Gesicht beim Geräusch eines zurückrollenden Auslegers. Er hatte nicht vor, auf Upi zu bleiben. Er setzte eine ausdruckslose Miene auf. »Meine Vollmacht von Admiral Borenhall ist eine Art Befehl«, sagte er beharrlich.

»Admiral Borenhall befehligt den Zehnten Sektor«, erwiderte Hull. »Wenn ich mich im Zehnten Sektor befinde, stehe ich unter seinem Kommando.«

»Sie wagen es, sich der Autorität des Reichs-Geheimdienstes zu widersetzen und sich auch gegen Ihren eigenen kommandierenden Offizier zu stellen?«, fragte York verwundert.

»Autorität, die einer Karte innewohnt?«, schnappte Hull. »Wie soll ich wissen, dass Sie Daniel York sind?«

»Durch mein Wissen.«

»Was für ein Wissen?«

»Sie sind eifrig bemüht, die Draco in den Weltraum zu starten«, erwiderte York. »Es war vorgesehen, dass Sie eine weitere Woche auf Upi bleiben. Nun handeln Sie auf geheimen Befehl.«

»Wenn Sie so weiterreden, Mr. York, könnten Sie sich leicht in einer Welt der Gefangenen wiederfinden.«

»Danke, kein Bedarf.« York lehnte sich vor und sagte bedächtig: »Der N-Bomben-Kreuzer Rigel wird vermisst. Die Erste Stufe hat einen Notruf aus der Gegend von Ophiucus aufgefangen. Das war vor zwei Tagen. Seitdem keine Silbe mehr. Verloren - ein N-Kreuzer. Das ist Ihr Notfall.«

»Dieses Wissen ist auf die Erste Stufe beschränkt...«

»Und auf den Captain der Draco, da Sie zufälligerweise der Stätte am nächsten sind«, warf York ein.

»Sie wissen zu viel.«

»Dies sollte ein Beweis für meine Beglaubigungsschreiben sein«, konterte York kühl. Trotz des Einsatzes war die Plänkelei mit dem Captain der Draco jene Art Katz- und-Maus-Spiel, das er liebte - solange er die Katze war.

»Bisher haben Sie mir zwei Beweise geliefert, Mr. York«, sagte Hull spitz. »Sie kamen an Bord als Daniel York, Inspektor für das Reichsamt der Kolonialplaneten und aus irgendwelchen Gründen mit einem Befehl, der angeblich von Admiral Borenhall unterzeichnet wurde. Nun sind Sie plötzlich vom RG.« Er lehnte sich etwas vor: »Sagen Sie mir, Mr. York, wer sind Sie nun eigentlich?«

York grinste. »Vom RG«, sagte er.

»Das kann ich nicht wissen.«

»Sie wissen auch nicht, dass die Rigel sabotiert wurde«, versetzte York kühn.

»Nein...«, hauchte Hull, und ein erschrockener Ausdruck huschte über sein Gesicht. Plötzlich richtete er sich auf. »Seit mehr als drei Jahrhunderten hat es keinen einzigen Fall von Sabotage mehr gegeben.«

»Der Rekord wurde soeben gebrochen«, erklärte York.

»Das kann ich nicht glauben!«

»Die Rigel wurde sabotiert - gekapert, wenn Sie wollen - und irgendwo in der Ophiucus-Gegend zur Landung gezwungen, damit die N-Bombe gestohlen werden konnte. Und hinter all dem steckt Prinz Li-Hu, Captain. Lassen Sie sich da nicht irre machen.«

»Unmöglich!«

»Vorige Woche hätte ich Ihnen zugestimmt«, sagte York ruhig, »aber das war vorige Woche.« Er spreizte die Hände. »Das Reich wird nur durch den Alleinbesitz der Bombe aufrechterhalten. Ihr Vorhandensein - das Monopol, wenn Sie wollen - ist die Solidaritätsgarantie des Reiches. Keine Welt kann sich gegen eine Macht auf lehnen, die seine Sonne zerstören könnte, Captain.«

»Das hört sich nicht besonders freundlich an.«

»Es ist aber so«, erwiderte York. »Wir leben durch das Schwert, aber wir wollen nicht durch das Schwert umkommen.«

»Eine solche Gefahr besteht nicht«, gab Hull steif zurück.

»Nein?« York betrachtete ihn verwirrt. »Möchten Sie dafür verantwortlich sein, wenn die Bombe in Prinz Li- Hus Hände gerät?«

»Die Alphanen sind loyal«, antwortete Hull brüsk. »Ich habe mehrere in meiner Mannschaft.«

»Das war auch bei der Rigel der Fall.«

»Was Sie da sagen, York, läuft auf eine Beschuldigung hinaus.«

»Genau«, erwiderte der.

»Keine planetare Regierung würde es wagen, die Bombe einzusetzen, selbst wenn sie sie hätten - was aber bestimmt nicht der Fall ist.«

»Richtig, aber auch das Reich würde sie nicht einsetzen - nicht, wenn die Möglichkeit einer Vergeltung bestünde.« York vernahm das Geräusch sich schließender Luken und zügelte seine Ungeduld. »Sobald die Bombe dem Reich entrissen wird, ist ihre Macht unwirksam. Sie verstehen, was das bedeutet, Captain. Sobald die Angst einmal gewichen ist, können Sie über Nacht ein Dutzend Aufstände erleben.«

»Ich sehe das nicht ein, Mr. York.«

»Sie sind Soldat, Captain. Für Sie bedeutet Krieg Laserstrahlen, Atomsprengköpfe, das Explodieren von Kobaltbomben.«

»Und was bedeutet er für Sie?«, fragte Hull kühl.

»Verschwörung, Spionage, Mord - Männer in hohen Stellungen, die nach der Macht streben.« Er hielt dem Blick des Captains stand. »Ein Messer im Rücken kann ein Reich genauso schnell gewinnen oder zu Fall bringen wie eine Kobaltbombe, und das mit weit weniger Umständen. Die Geschichte ist voll von solchen gefallenen Reichen«, schloss er.

»Sie dramatisieren die Sache«, bemerkte der Captain.

»Dramatisieren? Presto«, York schnippte mit den Fingern, »und ein N-Kreuzer ist hin. Ja, ich glaube gewiss, dass Ihnen das auch dramatisch Vorkommen muss.«

Hull neigte sich zu ihm hin. »An Bord der Rigel können nur drei oder vier - höchstens ein halbes Dutzend - Alphanen sein. Glauben Sie, dass so eine kleine Gruppe ein N-Schiff übernehmen könnte?«

»Ja, das glaube ich.«

»Und was würden sie mit der Bombe anfangen?« Hull lehnte sich zurück, ein schwacher Triumph glomm in seinen Augen. »Kein feindliches Schiff könnte im Umkreis von fünfzig Lichtjahren in den Ophiucus-Sektor eindringen, York. Dafür würde die Flotte sorgen. Sie könnten es nicht zurückbringen.«

»Es geht nicht um das Könnte, sondern um das Wie«, berichtigte York. »Und es ist meine Aufgabe, das Wie herauszufinden und zu verhüten.«

Hull trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Sie scheinen sicher zu sein, dass es sich um eine alphanische Verschwörung handelt.«

»Ganz sicher, Captain.«

»Alles, was wir bisher wissen, ist, dass das Schiff ein Notsignal aussandte und verschwand. Haben Sie jemals daran gedacht, dass es explodiert oder betriebsunfähig gemacht worden sein könnte? Das erscheint mir durchaus möglich.«

»RG-Leute sind misstrauisch«, erwiderte York. »Wir entbehren der hehren Ideale, denen Sie auf Ihre Weltraumakademie nacheifern.«

»Zweifellos.« Hull warf einen schnellen Blick auf den Lieutenant, dann starrten seine trübblauen Augen wieder das Gesicht des Agenten an. »Sie scheinen entschlossen, die Alphanen als Verräter abzustempeln.«

»Prinz Li-Hu, um genau zu sein.«

»Haben Sie Beweise?«

»Keine absoluten«, gab York zu. Er lächelte entwaffnend. »Sie mögen ihn einen guten Kandidaten nennen. Ausgezeichnet, in der Tat.«

»Wenn das, was Sie sagen, wahr ist, könnte ich vielleicht bessere Kandidaten nennen.«

»Das würde mich interessieren«, sagte York.

»Die Zuman-Welten.«

»Die Welt der Ausgestoßenen?« York schüttelte langsam den Kopf. »Die sind unschuldig, Captain.«

»Kennen Sie meine Aufgabe, die Aufgabe dieses Stützpunktes?«

»Natürlich. Sie müssen die Zuman-Welten hermetisch abriegeln.«

»Bestreiten Sie immer noch, dass sie gute Kandidaten sind?« Hulls Stimme wurde lauter. »Sie sind Missgeburten, Mutanten, eine durch das Licht ihrer höllischen Sonne deformierte Rasse. Ich wäre nicht hier, wenn sie nicht gefährlich wären. Wissen Sie, dass sie bereits die Fühler ausgestreckt haben, um ins Reich zurückzukehren?«

»Das ist mir bekannt.«

»Es wäre ihr Vorteil, die N-Bombe zu bekommen, York. Dadurch würde, wie Sie sagen, die Waffe unwirksam, oder sie hätten zumindest gute Verhandlungschancen. Doch zufälligerweise weiß ich, dass sie im Reichsverband niemals anerkannt werden würden. Und das bringt sie zur Verzweiflung.«

»Niemals ist eine lange Zeit, Captain.« York erwiderte seinen Blick, da er wusste, was für Gedanken sich hinter diesen trübblauen Augen verbargen. Die Zuman-Sonne, die tief unter dem Rand der Galaxis hing, fiel aus dem Rahmen. Mit ihrem violett flackernden Licht, das periodisch in Scharlach umschlug, war sie eine Anomalie unter den Milliarden Sternen in Terras Universum. Ihre Planeten, die während der fünften Auswanderungsperiode vor weniger als siebzig Generationen kolonisiert worden waren, wurden von jeglichem Handel und Reiseverkehr ausgeschlossen, sobald man entdeckt hatte, dass die violetten - oder roten? - Strahlen die menschlichen Gene deformierten oder positiv beeinflussten. Ihre vier Planeten hatten Missgeburten hervorgebracht und Genies. Und dann echte Mutanten. Telepathen! Keine vernünftige Regierung oder Gesellschaft konnte mit Telepathen in ihrer Mitte existieren - zumindest wurde dies behauptet. Seit jener Zeit hatten Zerstörer der Reichsflotte die Zuman-Welten so gründlich vom Rest der Menschheit abgesondert, als gehörten sie zu einem anderen Universum.

»Sie scheinen Ihnen sympathisch zu sein«, bemerkte Hull. Der Blick der trübblauen Augen glitt tastend über Yorks Gesicht.

»Nicht besonders«, erwiderte er. »Der RG sieht die Dinge etwas anders.«

»Wieso anders?«

»Sind Sie dort gewesen?« Hull sah erschrocken aus.

»Mehrere Male. Hauptsächlich auf dem Planeten Korth. Ich kann nicht behaupten, dass die Leute dort anders aussehen als woanders.«

»Das ist nicht die Meinung des Reiches«, gab Hull scharf zurück.

»Nicht die offizielle.«

»Vermutlich die des RG?«

»Persönliche Meinung«, berichtigte York.

»Missgeburten und Mutanten?« Hull hob den Blick.

»Die Gefahr liegt in unserer Gesinnung«, sagte York leise.

»Ich kann diesem Gedankengang nicht folgen, Mr. York. Überhaupt nicht. Wenn sie jetzt ungefährlich sind, dann nur, weil sie ohnmächtig sind. Wir haben ihnen die Giftzähne gezogen, indem wir sie isolierten. Hätten wir das getan, wenn es nicht notwendig gewesen wäre? Es war notwendig, glauben Sie mir.«

»Diese Meinung ist Ihnen eingebläut worden, Captain.«

»Eingebläut?« Hull richtete sich kerzengerade auf, seine Augen wurden schmal.

»Machen Sie sich nichts daraus, Captain«, sagte York beiläufig. »Wir sind alle zurechtgestutzt worden. Das ist ein Teil des Systems.«

»Für einen RG-Agenten sprechen Sie recht merkwürdig«, beschuldigte ihn Hull.

»Wahrscheinlich, weil ich etwas herumgekommen bin.«

Hull lehnte sich vor. »Sie sagen, die Zumanen wären wie alle anderen. Glauben Sie das wirklich? Wir wissen, dass viele von ihnen Telepathen sind und einige sogar schlimmer...«

»Schlimmer?«, unterbrach ihn York.

»Es kursieren da so Gerüchte über andere Gauner.«

»Sie meinen wahrscheinlich die Teleporter.« York nickte freundlich. »Das ist kein Gerücht, Captain. Das ist Tatsache.«

»Wissen Sie das?«, fragte Hull.

Er nickte. »Ich habe Beweise dafür.«

»Wie konnten Sie sich dann dort aufhalten, ohne ihr Wissen, wenn sie Telepathen sind?«

»Berufsgeheimnis, Captain, aber so viel kann ich Ihnen verraten: Ein Agent, der für eine der Zuman-Welten bestimmt ist, wird lange Zeit geschult. Diese Chance wird nur wenigen Agenten geboten. Ich wurde auserwählt.«

»Das denke ich anders«, widersprach Hull. »Ich würde mich für nichts in der Welt in diese Schlangengrube begeben.«

»Das liegt an Ihrer Erziehung«, gab York zurück.

»Meinen Sie?« Hull bleckte die Zähne ünd sagte: »Wenn es nach mir ginge, York, würden wir die N-Bombe gegen sie einsetzen. Wir würden diese verdammte violette Sonne mitsamt ihren vier teuflischen Planeten auslöschen. Wissen Sie, warum? Wenn wir es nämlich nicht tun, werden sie eines Tages ausbrechen und ins Universum ausschwärmen. Wo bleibt dann das Reich?«

»An der gleichen Stelle, nur unter anderen Herrschern«, meinte York. »Wer weiß, vielleicht würde sogar etwas Vernunft in die Regierung kommen.«

»Sie reden gefährlich«, warnte Hull.

»Gefährlich?« lächelte York. »Wir sind frei, Captain. Das steht in der Verfassung. Könnte ich frei sein, wenn ich meinen Gedanken keinen freien Lauf lassen dürfte?«

»Vom Denken zum Handeln ist nur ein kleiner Schritt«, erwiderte Hull streng.

»Eine militärische Maxime, Captain. Und wenn Sie mit Maximen arbeiten, wie wäre es dann damit: Niemand ist so blind wie einer, der nicht sehen will.«

Hull lehnte sich zurück und fragte neugierig: »Würden Ihre Vorgesetzten solche Meinungen billigen, Mr. York?

Wie steht's mit August Karsh?« Karsh, seit langer Zeit Leiter des RG, galt als der Meisterspion des Reiches.

York wich dem seltsamen Blick nicht aus. Er schaute Hull voll ins Gesicht und sagte: »Ich kann nichts über die Gedanken anderer Leute sagen, aber ich weiß, Karsh wünscht, dass seine Agenten informiert sind. Sie erreichen das durch Kontaktaufnahme, Captain. Jedes Mal, wenn ich von einer fremden Welt zurückkehre, finde ich, dass ich neue Einsichten gewonnen habe.«

»Informiert!«, stieß Hull verächtlich hervor.

York fuhr fort, als hätte er nichts gehört: »Manches bestätigt die Gerechtigkeit des Reiches, aber vieles spricht dagegen. Mache ich mich verdächtig, wenn ich das sage? In Ihren Augen vielleicht, aber ich habe mehr Verständnis für die Dinge und bin daher in der Lage, bessere Arbeit zu leisten. Ihre Antwort ist die N-Bombe, doch sie ist nutzlos, weil sie niemals zum Zuge kommen wird. Sie wissen, dass man das Reich nicht mit Traumlösungen Zusammenhalten kann.«

Der Captain errötete. »Sagen Sie mir bitte nicht, was ich zu denken habe.«

»Das tue ich auch nicht«, erklärte York. »Ich beantworte vielmehr Ihre Fragen.«

Hull hob plötzlich den Kopf, als an die Tür geklopft wurde. Er nickte, und Tregaski ließ ein Mitglied der Besatzung eintreten. Der Mann salutierte stramm und sagte: »Der Wachhabende Offizier meldet: Beladen beendet, Sie.«

»Sehr gut.« Hull blickte auf seine Uhr. »Alle Vorbereitungen zum sofortigen Start treffen.«

»Jawohl, Sir.« Nachdem der Mann auf dem Absatz kehrtgemacht hatte und gegangen war, schaute Hull nachdenklich auf den Agenten. York erwiderte den Blick ausdruckslos, wobei er sich fragte, wieviel der Captain wohl von dem glaubte, was er ihm erzählt hatte. Er lächelte innerlich, als er daran dachte, dass er selbst das meiste glaubte.

»Sie haben mich in eine etwas heikle Situation gebracht, York«, sagte Hull langsam.

»Nichts, was Sie nicht lösen könnten.« York unterdrückte ein plötzliches Triumphgefühl, da er wusste, dass er gewonnen hatte. Für Hull wusste er viel zu viel, als dass ihn dieser vom Schiff gewiesen hätte.

»Ich habe beschlossen, Ihnen zu gestatten, an Bord zu bleiben«, erklärte Hull schließlich. »Ich muss Sie jedoch warnen: Ihre Bewegungsfreiheit bleibt auf die Offiziersunterkünfte beschränkt, außer wenn Sie in Begleitung sind.«

»Ich werde dieses Vorrecht nicht missbrauchen«, entgegnete York.

Hull maß ihn mit scharfem Blick. »Was hoffen Sie zu erreichen?«

»Die Saboteure werden es nicht riskiert haben, die Rigel in einer so weit abgelegenen Gegend wie Ophiucus betriebsunfähig zu machen, ohne Vorkehrungen zu treffen, das Geheimnis der N-Bombe zu ihrem Herrn und Meister zu bringen«, erläuterte er. »Meine Aufgabe besteht darin, dies zu verhindern.«

»Sollte es Saboteure geben, werden wir kurzen Prozess mit ihnen machen«, versprach Hull rau.

»Wahrscheinlich.« York streckte sich und merkte, wie die Spannung von ihm wich. »Das dürfte die Lösung für unsere dringendsten Probleme sein.«

Hull starrte ihn an. »Mr. York, ich muss Ihnen sagen, ich habe noch eine Menge Fragen.«

»Wenn ich Ihnen behilflich sein darf...«

»Nein, danke«, antwortete Hull trocken. Dann blickte er auf Tregaski. »Lieutenant, würden Sie Mr. York seine Unterkunft zeigen...?«

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Im Traum wurde er auseinandergenommen, nicht physisch, sondern geistig, Atom für Atom, sondiert, zerpflückt und seziert, bis jeder Gedanke so nackt war wie die gebleichten Gebeine eines Wals in einer verlassenen Bucht. Ein gleißendes Licht schien ihm unbarmherzig in die Augen und verdeckte den Eigentümer der Stimme, die mit singendem Tonfall rezitierte: »Sie wollen... Sie müssen...«

Dr. G's Stimme! Er brauchte die rundliche Figur und das sanfte Gesicht gar nicht zu sehen, um das zu wissen. Sie waren allein in der Kammer, und es war finster - bis auf das Licht, das auf den Tisch herabströmte, auf dem er lag. »Sie müssen, müssen, müssen...« 

Er warf sich herum und stöhnte wie im Fieber, dann erwachte er plötzlich schweißgebadet und unter einer merkwürdigen Kühle erschauernd.

Mein Gott, der Traum!

»Ich bin Myron Terle, Myron Terle...« Das Wort entschlüpfte seinen Lippen wie ein Seufzer, bevor er es noch festhalten konnte, und er warf einen schnellen Blick in die Runde. »Nennen Sie Ihren Namen nur bevollmächtigten Personen.« Die Warnung kam ihm aus irgendeiner obskuren Quelle in den Sinn. Gleichzeitig merkte er, dass er die Namensliste dieser Personen besaß, nicht schriftlich, doch sie war unauslöschbar in sein Gedächtnis eingeprägt.

»Lernen Sie alles auswendig!« Auch das hatte die Stimme hinter dem Licht gesagt, und »Das hat alles seinen Sinn, Myron.« Die Stimme klang jetzt sanfter. Dr. G. war ein sanfter Mann. Er richtete sich auf und blinzelte in das bläulich-weiße Licht, das durch die vergitterten Fenster strömte und war sekundenlang verwirrt durch dessen Farbe.

Heraska!