Inhalt

  1. Cover
  2. Titelei
  3. Auftakt
  4. Einleitung
    1. Wozu dieses Buch, und für wen?
    2. Zur Rolle der Philosophie in Deutschland
  5. 1. Was macht eine gute Hochschullehrerin aus? Lehren am Gymnasium – Lehre in der Universität
    1. 1.1 Eine gute Hochschullehrerin im Allgemeinen – eine gute Hochschullehrerin der Philosophie im Besonderen
      1. 1.1.1 Eine kleine Tugendfibel für gute Hochschullehrerinnen im Allgemeinen
    2. 1.2 Schullehrerin vs. Hochschullehrerin. Fachdidaktik vs. Hochschuldidaktik
      1. 1.2.1 Kurzer Überblick über den Stand der Forschung
  6. 2. Zum Spezifikum der Philosophie in der Hochschullehre
    1. 2.1 Warum die Lehre der Philosophie etwas Eigenes ist
    2. 2.2 Die »Abgehobenheit« der Philosophie
    3. 2.3 Strategien der Einleitung in die Philosophie
      1. 2.3.1 Konfrontation mit dem gesunden Menschenverstand
      2. 2.3.2 Hegel’sche (skeptische) Strategie
      3. 2.3.3 Verschiedene Formen der Vernunft (»instrumentelle Vernunft«)
      4. 2.3.4 In den performativen Widerspruch verwickeln
    4. 2.4 Die »Langzeitwirkung« von Philosophie
  7. 3. Wie lehre ich Philosophieren?
    1. 3.1 Philosophie als Orientierung und als Orientierungswissen
    2. 3.2 Verschiedene Formate der Lehre
      1. 3.2.1 Frontal
      2. Exkurs: Visualisierung in der Philosophie?
      3. 3.2.2 Vorlesung – dialogisch
      4. 3.2.3 Online lehren?
    3. 3.3 Gesprächsführung bzw. Diskussionsleitung
      1. 3.3.1 Ist der westliche philosophische Diskurs im Kern sexistisch?
      2. 3.3.2 Die sokratische Methode – und ihre Probleme
      3. 3.3.3 Wie stellen Sie sinnvoll Fragen?
      4. 3.3.4 Inklusive und effektive Gesprächsführung
      5. 3.3.5 Bewertung von Diskussionsbeiträgen
      6. 3.3.6 Was tun, wenn jemand Unsinn redet?
    4. 3.4 Gruppe und Individuum
    5. 3.5 Philosophieren im geschriebenen Wort
    6. 3.6 Spezialisierung in der Forschung – Generalisierung in der Lehre
  8. 4. Besondere Probleme beim Lehren von Philosophie
    1. 4.1 Wie lehrt man Philosophinnen?
      1. 4.1.1 Kant vs. »Kantchen«
      2. 4.1.2 Aristoteles und Aristotelismus
      3. 4.1.3 Das Problem der Philosophin
    2. 4.2 Gender in der Lehre der Philosophie
      1. 4.2.1 Die Frage nach Gretchen: Warum so wenige Frauen in der Philosophie?
      2. 4.2.2 Die Dialektik von politischer Korrektheit und Redefreiheit – Versuch einer Rekonstruktion
      3. 4.2.3 Die Dialektik von politischer Korrektheit und Redefreiheit in der Lehre der Philosophie
    3. 4.3 Wie soll man mit schwierigen Situationen umgehen?
  9. 5. Konkrete Ratschläge zur Selbstverbesserung
    1. 5.1 Evaluationen
    2. 5.2 Videoaufzeichnungen
    3. 5.3 Weiteres Feedback suchen
  10. Anhang 1: Analytische und kontinentale Philosophie in der Lehre
    1. 1. Zur Unterscheidung von »analytischer« und »kontinentaler« Philosophie
    2. 2. Analytische und kontinentale Philosophie heute
    3. 3. Analytische und kontinentale Ausrichtungen in der Lehre?
  11. Anhang 2. Zur ewigen Orientierung an den USA

Sebastian Luft

Philosophie lehren

Ein Buch zur philosophischen Hochschuldidaktik

Meiner

Auftakt

In einem kürzlich veröffentlichten Interview schreibt Frau Professorin Michelle Catalano (USA) das Folgende:

»Let’s be real – you can read all the SOTL [scholarship of teaching and learning] in the world and still be a shitty performer in front of students. The science of teaching is somewhat well-developed but the art of teaching is another story. I think there is always so much to learn about the art of teaching – enough of it to continue honing and adapting and keeping us consumed for an entire career. Plus, when it comes to teaching, there is just always room to be more knowledgeable, more charismatic, more everything! And, a lot of it is basic stuff – being a good storyteller, fostering inclusive spaces, and so on. Do you want to know what I think is one secret of excellence in the art of teaching? I’ll tell you! The best teachers are the ones who really understand that excellence in teaching boils down to how deeply you are willing to invest in authentic human connection with students. And, guess what? They don’t show us how to do that in grad school… right?«1

In diesen etwas flapsig hingeworfenen Bemerkungen steckt aus meiner Sicht viel Wahres. Der Gegensatz, auf den Prof. Catalano abhebt, ist der zwischen der Gelehrsamkeit, die man aus Büchern lernen kann, und der Kunst des Lehrens, die uns kein Buch beibringen kann, sondern die nur vorgeführt und gelebt werden kann. Die »authentische menschliche Begegnung mit und Beziehung zu Studentinnen2« ist etwas, worin man aktiv investieren muss, will man Erfolg haben. Wie das geschehen kann, soll hier vorgestellt werden – in einem Buch, das ist mir bewusst. Aber dieses Buch ist nicht primär als ein fachwissenschaftlicher Beitrag zur Fachdidaktik gedacht, sondern als ein Bericht, der die vielfachen Erfahrungen schildert, die ich und zahlreiche meiner Kolleginnen gemacht haben. Wenn Sie Interesse haben, hieraus etwas für sich zu lernen, treten Sie bitte ein!

Endnoten

1Zu finden auf: https://www.whatisitliketobeaphilosopher.com, gepostet am 26. Oktober 2018.

2Zur durchgängigen Verwendung des generischen Femininums siehe unten, S. 21.

Einleitung

Wozu dieses Buch, und für wen?

Frage: Haben Sie auch in Ihrem Studium sterbenslangweilige Veranstaltungen in Philosophie besucht? Und das, obwohl Sie mit Begeisterung für dieses Fach brannten, seitdem Sie als Teenager Ihre ersten Bücher großer Philosophinnen verschlungen haben? Spätestens im Studium haben Sie sich in oftmals heillos überfüllten Seminaren gelangweilt oder waren aus anderen Gründen frustriert, haben aber geglaubt, das müsse so sein, weil das in der »Wissenschaft« eben so sei? Schließlich war man an der Hochschule. Kommt Ihnen das bekannt vor?

Zur Zeit meines Studiums waren die (fast ausschließlich männlichen) Professoren stolz darauf, wenige Hörer zu haben bzw. immer weniger, je weiter das Semester vorangeschritten war. Wer viele Teilnehmer hatte, galt als »populär«, und populär oder beliebt zu sein oder gar sein zu wollen als der Tod der Wissenschaft. So wurde es mir suggeriert und so habe ich es als junger Student verinnerlicht. Als ich meine erste Lehrveranstaltung abhielt, verfiel ich demselben Irrglauben. Dass Philosophie im positiven Sinne populär sein und Spaß machen kann, dass man in der Lehre die Leidenschaft für das Denken spürbar und für Studentinnen erlebbar machen kann, auf diese Idee kam ich leider erst viel später (zweifellos angeregt durch inspirierende Dozentinnen). Dieses Buch ist in der festen Überzeugung geschrieben, dass dies so ist – dass Philosophie ein aufregendes Fach ist, das Freude bereitet, bzw. dass die bemitleidenswerten Zustände so nicht sein müssen. Philosophie zu lehren ist eine der intellektuell befriedigendsten Tätigkeiten, die man sich vorstellen kann, abgesehen davon, dass dies eine große Ehre ist und in einem enormen Maß Verantwortung erfordert. Aber gut Philosophie zu lehren, zumal an der Hochschule, ist eine hohe Kunst, und die wenigsten beherrschen sie. Dieses Buch soll Anleitungen geben und Abhilfe leisten.

Für wen habe ich dieses Buch geschrieben? Dieses Buch ist für all die gedacht, die der Meinung sind, dass die philosophische Lehre Spaß machen kann, aber auch für die, die noch nicht dieser Meinung sind und die ich hiermit davon überzeugen möchte. Schließlich ist es auch für die geschrieben, denen ihre eigene akademische Lehre wichtig ist und die deren Qualität verbessern und an sich arbeiten möchten, also für solche, die sich in ihrer Lehre voranbringen wollen, nicht um sich selbst populärer zu machen, sondern weil es ihnen um die Sache geht und weil sie ihren Beruf (der ja eine Berufung ist) ernst nehmen und das Beste aus sich herausholen wollen. Das setzt voraus, dass sie sich der Schwierigkeit, Komplexität und nötigen Verantwortung bewusst sind, die die Lehre dieses Faches erfordert. Man mag zwar in die Philosophie »stolpern«, aber – so haben Sie für sich eingesehen – man muss auch lernen, den aufrechten Gang zu gehen, oder anders gesagt: Es lohnt sich, auch auf diesem Gebiet Ihres Berufes professionell zu sein – ohne dabei die Freude und die Leidenschaft auf dem Altar der »hehren Wissenschaft« opfern zu müssen.

Ich habe dieses Buch weiterhin geschrieben, weil ich der Meinung bin, dass die Hochschuldidaktik der Philosophie aus gleich mehreren Gründen von großer Bedeutung ist. Sie ist – abgesehen von Ihrer professionellen Entwicklung als Hochschullehrerin – wichtig für das Fach, sowohl in der Außendarstellung als auch für die Studentinnen, die das Recht haben, gute Lehre geboten zu bekommen. Man kann den Schaden, den man dem Fach antut, wenn man es nicht mit der besten Lehre (re-)‌präsentiert, kaum beziffern. Und schließlich ist die Disziplin der philosophischen Hochschuldidaktik, bis auf wenige Ausnahmen, im deutschen Sprachraum kaum entwickelt – ganz im Gegensatz zur schulischen Fachdidaktik –, und dass zwischen Fachdidaktik und Hochschuldidaktik ein großer Unterschied besteht, begründe ich gleich im ersten Kapitel.

Ganz zu Anfang mag es erlaubt sein, kurz meine persönliche Intention, warum ich dieses Buch geschrieben habe, zu verraten. Ich habe vor über zwei Jahrzehnten angefangen, mich für die philosophische Hochschuldidaktik zu interessieren, nicht, weil ich mich für einen hervorragenden Lehrer halte, sondern aus der Not: weil ich an mir selbst Defizite wahrnahm und das Gefühl nicht loswurde, Fehler über Fehler zu begehen und in dem kalten Wasser, in das ich gestoßen wurde, nur mühsam schwimmen zu lernen. Als ich merkte, dass ich nicht allein bin, aber viel zu wenig unter Kolleginnen darüber geredet wird und noch viel weniger junge Lehrende richtig auf ihre Rolle vorbereitet werden, habe ich angefangen, darüber nachzudenken, wie man diese Probleme angehen könnte. Also auch Ihnen, lieber Leserin, möchte ich in Ihrem Wunsch, eine ausgezeichnete Hochschullehrerin zu werden, zurufen: Sie sind nicht allein!

Schließlich möchte ich nicht verhehlen, dass ich, als Deutscher, nur zeitweise an deutschen Hochschulen gelehrt habe, überwiegend hingegen im Ausland, vor allem in den USA. Dort ist die Hochschuldidaktik eine etablierte Disziplin und das Lehrwesen wird professionell gesteuert, etwa durch obligatorische Trainee-Programme für junge Dozentinnen und Evaluationen. Vieles, was in den USA vorgestellt und durchgeführt wird, wird in Deutschland auch probiert und von den Lehrenden nolens volens mitgetragen, weil es – wie etwa die Umstellung der generischen Systeme auf die B.A.– und M.A.-Abschlüsse – Teil der Bologna-Reform geworden ist, die das Ziel hat, Europa bildungspolitisch zu vereinigen, womit in vielen Fällen eine »Amerikanisierung« der Systeme einhergeht. Ich bin nicht der Meinung, dass alles, was aus den USA kommt, besser ist, und daher ist es nicht meine Absicht, besserwisserisch daherzukommen. Aber ich glaube doch, dass man vieles von den USA lernen kann, zumal man sich ihrem Einfluss gerade auch im Hochschulbereich nicht entziehen kann. Ich meine aber auch, dass man vieles besser nicht imitieren sollte. Billiges Polemisieren und einseitiges Ablehnen hilft in der Regel nicht. Ich bemühe mich daher um ein differenziertes Bild und sehe mich in einer Vermittlerrolle zwischen beiden Lehrkulturen. In dieser Rolle reihe ich mich in die Tradition von Marc Roche ein, dessen – sehr empfehlenswertes – Buch über das Hochschulwesen der USA und was man davon in Deutschland übernehmen sollte (und was nicht), ebenfalls im Meiner Verlag erschienen ist.1 Der Einfluss der USA auf die deutsche Wissenschaftsszene soll hier, spezifisch im Hinblick auf die Hochschuldidaktik, mit reflektiert werden (vgl. auch den Anhang Nr. 2).

Weiterhin ist dieses Buch für ein philosophisches Publikum geschrieben. Das war meine Intention, die sich aber – wie ich im Laufe des Schreibens merkte – nicht vollständig durchhalten ließ, weil sich vieles, was ich hier ausführe, natürlich nicht auf die Lehre der Philosophie beschränken lässt und nicht nur für diese Disziplin gilt. Aber es gibt meines Erachtens nichtsdestotrotz Probleme und Herausforderungen in der Lehre der Philosophie, die der Philosophie eigen und für sie spezifisch sind. Philosophie ist in vielerlei Hinsicht etwas radikal anderes als andere Wissenschaften; sie lässt – anders als viele Disziplinen – die Wenigsten kalt, sondern, im Gegenteil, sie rüttelt für viele an den Grundfesten ihrer tiefsten und ältesten Überzeugungen. Daraus entstehen in der Lehre zahlreiche herausfordernde Probleme und potentiell intensive und auch kontroverse, zum Teil auch schwierige Situationen, mit denen Sie umgehen müssen. Hierauf muss man vorbereitet sein: Mit einer richtigen Verhaltensweise kann man damit, im besten Fall, solche Situationen entschärfen, sie zu pädagogischen Highlights umbiegen und aus ihnen »a teachable moment«2 machen, wie man im Englischen sagt.

Schließlich ist noch zu betonen, dass ich für nichts, was ich hier vorstelle, Originalität beanspruche. Was ich berichte und empfehle (oder auch nur neutral vorstelle, zum Teil auch kritisiere), entspringt zwar auch meiner eigenen Praxis, aber vor allem zahllosen Gesprächen mit Kolleginnen aus aller Welt und Beobachtungen ihrer Vorgehensweisen. Die Tipps und Vorschläge, die ich hier vorstelle, sind zum größten Teil von ihnen, und ich leite sie hier gewissermaßen nur weiter, wenn auch in komprimierter, systematischer und synthetischer Form. Und ich setze hinzu, dass ich hier nichts vortrage mit dem Anspruch, dass es so sein muss oder dass man es genau so machen muss. In manchen, eigentlich sehr wenigen Punkten habe ich feste Meinungen, die über Jahre gewachsen sind und die ich auch standhaft vertrete. Die meisten Dinge jedoch, die hier vorgestellt werden, sind wohlmeinende Vorschläge, wie man es machen kann und probieren mag, mehr nicht, aber auch nicht weniger. In der Lehre hat man es mit Menschen und verschiedenen Menschengruppen zu tun. Deshalb kann es keine vorgefertigten Schemata oder Methoden geben, sondern es ist unabdingbar, sich sorgfältig in diese Gruppen und ihre Teilnehmer einzufühlen. Dieses Einfühlungsvermögen ist das, was die ausgezeichnete Hochschullehrerin (jeder Disziplin übrigens) auszeichnet.

Dass dieses Buch aus der erlebten Praxis stammt, soll man schließlich auch daran erkennen, dass ich mich bemüht habe, so wenig »wissenschaftlich« wie möglich zu schreiben; daher sind viele Punkte mit Beispielen aus meiner Erfahrung und der befreundeter Kolleginnen (freilich anonymisiert) illustriert. Wichtig ist mir, zu betonen, dass dieses Buch keine Abhandlung zur Fachdidaktik des Philosophieunterrichts an Sekundarschulen ist. Das ist keine Kritik an der verdienstvollen Arbeit der Kollegen der philosophischen Fachdidaktik, sondern Ausdruck der Tatsache, dass die Lehre an einer Schule und einer Hochschule zwei grundsätzlich verschiedene Dinge sind. Und das ist auch gut so.

Zur Rolle der Philosophie in Deutschland

Obwohl dieses Buch nicht nur für deutsche Leserinnen (oder Leserinnen in Deutschland) geschrieben ist, doch eine kurze Bemerkung zur Rolle der Philosophie in Deutschland, die mir weltweit einzigartig zu sein scheint: Wenn man nach längerer Abwesenheit wieder nach Deutschland zurückkehrt – sei dies transatlantisch, transpazifisch oder auch nur innerhalb Europas –, fällt es immer wieder auf, welch große Rolle die Philosophie in Deutschland spielt, welche große Hochachtung, Wertschätzung und Interesse ihr seitens der »gebildeten Öffentlichkeit«3 entgegengebracht wird. Dies sieht man daran, dass es in Deutschland Philosophie-Magazine gibt, Radiosendungen und Fernsehshows für ein mehr oder weniger gebildetes Publikum, riesigen Zulauf bei öffentlichen Veranstaltungen und Vorträgen, wenn sie von bekannten Leuten gehalten werden, die nahezu »Celebrities« in der deutschen Kultur sind (Peter Sloterdijk, Jürgen Habermas, Rüdiger Safranski, Richard David Precht etc.). Ich sage das nicht, um Deutschland als »besser« oder »philosophischer« als andere Länder darzustellen – Länder wie Frankreich oder England haben ihre eigenen großen, wenn auch anderen intellektuellen Traditionen –, sondern um auf die große Tradition wie auch das große Potenzial hinzuweisen, das die Philosophie in diesem Land hat: Philosophie ist in Deutschland präsent wie in kaum einem anderen Land.

Im gleichen Atemzug muss man aber die große Diskrepanz betonen, die zwischen dem Interesse der Öffentlichkeit an der Philosophie und der Lebensferne und Elfenbeinturmexistenz der akademischen Philosophie an den Universitäten herrscht.4 Diese Ferne hat viele Ursachen. Ein wichtiger Grund ist die Ausdifferenzierung dieser Disziplin wie jeder anderen wissenschaftlichen Disziplin heute, die eine extreme Spezialisierung hervorgebracht hat. Das, woran Philosophinnen heute arbeiten, ist nur schwer anschlussfähig zu machen an Alltagsprobleme nicht mit Philosophie vertrauter Menschen. Darüber ist nicht zu lamentieren, es ist einfach so, und dieser Graben – der nicht neu ist, aber meines Erachtens größer wird – ist auch nicht einfach zu überbrücken.5

Aber das eine ist die hochspezialisierte Forschung, das andere die universitäre Lehre, bei der höchstens in fortgeschrittenen Haupt- oder Oberseminaren (neuerdings »Masterseminare« genannt) solche Spezialisierung Thema sein kann. Thema von Überblicksvorlesungen, Einführungsveranstaltungen oder Proseminaren in der Philosophie bleibt dagegen sehr wohl das, was Philosophie in ihrem eigentlichen »Urstiftungssinn« ist, das Fragen und Bedenken der »ganz großen« Fragen, angefangen von der Einführung in die Weise, diese Fragen überhaupt zu stellen. Und hier liegt ein großes Potenzial. Denn die angesprochene Diskrepanz hat auch damit zu tun, dass die Lehre, die die Breitenwirkung einer Disziplin, zumindest aus dem Universitätskontext heraus, mehr als alles andere befördern kann, meines Erachtens nicht wichtig genug genommen wird. Gerade in einem Land wie Deutschland – das ist hier mein Punkt – ist das wirklich eine vertane Chance. In den USA etwa könnte man noch so sehr versuchen, eifrige und erstklassige Hochschullehrerinnen der Philosophie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen (etwa durch Fernsehshows oder Youtube-Channels), eine Breitenwirkung bliebe fast sicher aus. Ich will nicht behaupten, dass Deutschland »besser« ist als die USA oder dass der Philosophie in Deutschland ein »goldenes Zeitalter« bevorstünde, wenn man nur die Lehre an der Hochschule verbessern würde (wozu, nebenbei bemerkt, zunächst einmal ein besserer Betreuungsschlüssel gehörte – also schlichtweg mehr Professorinnenstellen). Vielmehr könnte die Wahrnehmung von Philosophie – und damit der Geisteswissenschaften im Ganzen – sehr viel besser sein, wenn diese Diskrepanz nicht so groß wäre. Dies könnte dadurch geschehen, dass die akademische Philosophie einsieht, dass sie nicht nur ein großes gesamtgesellschaftliches Potenzial, sondern auch eine Verantwortung hat, die Öffentlichkeit zu bilden und sich nicht von ihr, soweit es geht, fernzuhalten.

Freilich ist die akademische Philosophie eine Veranstaltung innerhalb der Universität, die per se nicht unmittelbar an die Öffentlichkeit und ihre Diskurse anschließt – der »Bildungsauftrag« bezieht sich auf Studentinnen. Aber im Gegensatz zu anderen Ländern haben die Lehrveranstaltungen an deutschen Universitäten einen Status der »Halböffentlichkeit«. Semesterpläne sind öffentlich zugänglich, Universitäten haben offene Campi, manche machen von dem universitären Angebot in ihrer Freizeit Gebrauch, das »Gasthörertum« hat eine eigene Tradition. All das kann zumindest der Öffentlichkeit nahegelegt oder besser zugänglich gemacht werden. Schon jetzt bieten manche Universitäten einen »Tag der offenen Tür« an oder richten »Summer Schools« ein oder andere Veranstaltungen, die sich bewusst an die Öffentlichkeit wenden. All das ist zu begrüßen. Es stärkt die Philosophie auch innerhalb der Universität, wenn sie in der Öffentlichkeit wahrgenommen und wertgeschätzt wird. Mein Rat daher an alle, die an der Universität mit Philosophie zu tun haben: mehr davon! Die universitäre Lehre kann ein wichtiger »Transmissionsriemen« in die Öffentlichkeit sein. Abgesehen vom Wert einer gebildeten Öffentlichkeit ist aber solch ein Bemühen letztlich auch eine Flucht nach vorn für die Philosophie, vielleicht die einzige: Wer nicht möchte, dass Philosophie (neben anderen geisteswissenschaftlichen Fächern) weiter gekürzt oder gar ganz eingespart wird, muss daran interessiert sein, die Philosophie in der Öffentlichkeit gut darzustellen, und zwar von Anfang an, also bereits bei der Vermittlung gegenüber den Studienanfängerinnen. Diesen Anfang darf man im Interesse eines Faches, das Sie lieben, nicht verpatzen.

Ein kurzer Überblick über die Themen dieses Buches: Im ersten Kapitel geht es um Grundsätzliches, nämlich die gute Hochschullehrerin im Allgemeinen und die Philosophie lehrende im Besonderen. Hier entwickele ich eine kleine »Tugendfibel«. Es gibt gerade in der Philosophie ein paar »Kardinaltugenden«: Freude, Bescheidenheit und Verantwortung. Im zweiten Teil dieses Kapitels diskutiere ich die Unterschiede zwischen philosophischer Fach- und Hochschuldidaktik, eine Grundunterscheidung, die mir wichtig scheint und auch die Existenz des vorstehenden Buches zu rechtfertigen sucht, das sich in ein neues Territorium vorwagt. Ich diskutiere etwas Literatur zum Thema, vor allem die bereits von anderen (im deutschen Sprachraum) begonnene, aber noch hierzulande in den Anfängen sich befindende Disziplin der philosophischen Hochschuldidaktik.

Im zweiten Kapitel wende ich mich dem Spezifikum der Philosophie in der Hochschullandschaft zu. Ich räume hier dem Problem bzw. Phänomen des Skeptizismus einen wichtigen systematischen Raum ein, zu dem man sich meines Erachtens positionieren muss, wenn man Anfängerinnen in Philosophie unterrichtet. Schließlich widme ich mich verschiedenen Weisen, wie man in die Philosophie einführen kann, und betone am Ende die Sonderstellung, die die Philosophie allein schon aufgrund ihrer »Langzeitwirkung« hat und die man daher für sich nutzen sollte.

Kapitel drei ist (zusammen mit Kap. 4) das Herzstück dieses Buches, insofern ich mir hier der eigentlichen Lehre der Philosophie – wenn man einmal über die Anfänge hinausgekommen ist – zuwende. In diesem Kapitel diskutiere ich vornehmlich verschiedene Formate der Lehre sowie der Diskussionsführung, also der »Kernkompetenzen« in der Lehre im Allgemeinen, hier fokussiert – soweit es geht – auf die Lehre der Philosophie. Ich diskutiere dabei auch die unvermeidliche »Schere«, dass man als Hochschul-Person (im Allgemeinen) einerseits gezwungen ist, sich in seiner Forschung zu spezialisieren, andererseits aber eine solche Spezialisierung in der Lehre (von ausgesuchten Oberseminaren abgesehen) unmöglich und ineffektiv ist. Ich schlage Wege vor, wie man mit dieser inneren »Zerrissenheit« umgehen bzw. sie für sich positiv und gewinnbringend interpretieren kann.

In Kapitel vier bespreche ich besondere Probleme, die bei der Lehre auftauchen können, die in der Tat philosophiespezifisch sind, da Philosophie mehr als wohl jede andere Disziplin wirklich »ins Leben eingreift« und viele Dogmen und unhinterfragte Vorurteile der Studentinnen auf den Kopf stellt. Dies ist natürlich ausdrücklich erwünscht, kann aber viele verschiedene Reaktionen zur Folge haben, bis hin zu höchst dramatischen. Ich schlage konkrete Weisen vor, mit verschieden gelagerten »Krisen« umzugehen. Ich diskutiere hier auch die Frage nach Gender in der Philosophie und wie man sich zur politischen Korrektheit, die nicht unumstritten ist, stellen kann.

Kapitel fünf ist kurz und vollkommen praktisch ausgerichtet (und auch nicht spezifisch für die Philosophie); ich gebe hier konkrete Ratschläge zur Verbesserung Ihrer Lehre, die mir wichtig scheinen.

In zwei Appendices widme ich mich zwei Nebenthemen, die mir zwar wichtig sind, aber nur mittelbar zum allgemeinen Kontext gehören, nämlich einmal die Frage nach der Bedeutung, die der Unterschied zwischen analytischer und kontinentaler Philosophie für die Lehre hat (sofern er überhaupt eine Bedeutung hat). In einer zweiten kurzen Beilage beziehe ich Stellung zur Frage, wie man sich zu den dominanten USA situieren sollte. Hier ist das Spektrum weit gespannt: Manche verteufeln alles, was aus den USA kommt, andere wollen am liebsten alles, und zwar sofort, eins zu eins umsetzen. Hier möchte ich ein paar Vorurteile und Missverständnisse aus dem Weg räumen und im Ganzen für eine moderate, zwischen beiden Extremen harmonisierende Position werben.

Eine begriffliche Anmerkung: Es gibt eine englische Phrase, für die ich keine gute deutsche Übersetzung fand, die ich aber doch treffend finde und kurz erläutern möchte: Man sagt häufig, wenn es um die Umsetzung von pädagogischen Ideen und Idealen, gerade in ungewöhnlichen oder sogar höchst merkwürdigen Momenten (oder vielleicht gerade um das Scheitern aller Umsetzungsversuche!) geht: »Make it a teachable moment«. Das heißt so viel wie: »Machen Sie in dieser Situation das Beste daraus, was die Lehre betrifft, machen Sie die Situation zu einer solchen, in der etwas durch Sie selbst gelehrt und gelernt werden kann«. Anders gesagt, die Dinge mögen im Alltag oft nicht so ablaufen, wie man es sich vorgestellt hat, wie man es im Vorfeld möchte oder erhofft. Nicht selten machen einem die Studentinnen, der zu diskutierende Text, die eigene Tagesverfassung, der boschbohrende Hausmeister im Nebenraum (etc.) einen Strich durch die Rechnung und man möchte in solchen Momenten am liebsten still und leise seine Siebensachen packen und verschwinden. Aber gerade in solchen Momenten sind pädagogisches Feingefühl, Spontaneität, Originalität, das Nicht-auf-den-Kopf-gefallen-Sein gefragt. Wenn es Ihnen also gelingt, aus einer scheinbar verzweifelten Situation – eben – a teachable moment zu machen, also die Situation für sich so umzubiegen, dass doch ein pädagogisch wertvoller Punkt hieraus erwächst: dann haben Sie nicht nur sich selbst bewiesen, dass Sie eine meisterhafte Pädagogin (geworden) sind, Sie haben auch Ihre Studentinnen nachhaltig beeindruckt. Solche Momente kann man nicht herbeizaubern oder -wünschen, aber wenn der Moment da ist (Sie merken es sofort!) und es Ihnen gelingt, erfolgreich auf ihn zu reagieren, dann haben Sie meines Erachtens die erforderliche Reife einer Hochschullehrerin erlangt – was nicht heißt, dass Sie im nächsten (un-)‌teachable moment nicht kläglich scheitern … Aber auch das gehört zum Lehralltag. Leider.

Zum Schluss noch einige Worte des Dankes: Zunächst danke ich Marcel Simon-Gadhof vom Meiner Verlag, der das Projekt zusammen mit mir im Gespräch entwickelt, dann angeregt hat, es als Buch auszuformulieren, gewillt war, es ins Programm des Verlags aufzunehmen, schließlich zugesehen hat, dass ich es auch zum Ende bringe, und es schlussendlich gründlich, einfühlsam und mit viel Sympathie lektoriert hat. Gibt es diese Sorte von Buch in der englischsprachigen Literatur zuhauf, so gibt es hierzu auf Deutsch sehr wenig, eigentlich gar nichts (von wenigen Ausnahmen abgesehen, auf die ich noch eingehen werde). Ich situiere dieses Buch irgendwo in der Mitte zwischen einem persönlichen Ratgeber und einer wissenschaftlichen Abhandlung. Es gibt in weiten Teilen meine Erfahrungen wieder, die sich bei mir über die Jahre gesammelt haben, sowie solche, die mir von Kolleginnen zugetragen wurden. Was ich hier versucht habe, soll nicht das definitive, letzte Wort in der Sache sein, sondern ganz im Gegenteil ein Anfang und eine Anregung, sich eines Themas, das meines Erachtens im deutschsprachigen Kontext viel zu wenig diskutiert wird, mit zupackender Freude und mehr Leidenschaft zu widmen.

Trotz der düsteren Worte zu Anfang der Einleitung (s. o., S. 9 f.) habe ich natürlich auch sehr gute Lehrerinnen kennen gelernt und erleben dürfen, die ich an dieser Stelle anerkennen will. Ich danke den folgenden Lehrenden, die mich als jungen Studenten begeistert haben durch ihre besondere pädagogische Begabung und ihre – sehr unterschiedlich zum Ausdruck kommende – Begeisterung für ihr Fach, die mir lebhaft in Erinnerung bleiben wird: Gerhard Buhr und Dominic Kaegi in Heidelberg, Hans-Helmuth Gander in Freiburg, Klaus Held in Wuppertal, Donn Welton in Stony Brook. Als großartige Lehrerinnen habe ich zudem Kolleginnen kennengelernt, mit denen ich gemeinsam Lehrveranstaltungen durchführen und deren Veranstaltungen ich im Rahmen von Lehrevaluationen hospitierend beobachten durfte: Michael Monahan, Yoon Choi, Corinne Bloch-Mullins, allesamt aktuelle oder vormalige Kolleginnen an der Marquette University.

Meinen ersten »Geschmack« an Hochschuldidaktik fand ich durch meinen damaligen Mentor in meiner Zeit als Humboldt-Stipendiat und Gastprofessor an der Emory University in Atlanta (2002 – 04), Patrick Allitt (Professor für amerikanische Geschichte), und das von ihm geleitete Center for Teaching and Curriculum an der Universität, wo ich zahlreiche Veranstaltungen besuchte. Von ihm – selber ein begnadeter, preisgekrönter und weithin bekannter Lehrer seines Fachs – habe ich sehr viel gelernt, vor allem auch, dass es wichtig und, wie ich mit Emphase betone, unumgänglich ist, dass wir professionelle Akademiker unsere Lehre ernst nehmen und ständig daran arbeiten, uns in unserer Lehre zu verbessern. Wir müssen mehr darüber reden.

Ich danke den vielen verschiedenen Studentinnen, die mich seit nunmehr über zwanzig Jahren in meiner universitären Lehre begleiten und vielleicht einiges von mir gelernt haben, von denen aber auch ich – viel wichtiger – im Gegenzug vieles lernen konnte. Meine Erfahrungen an Universitäten in verschiedenen Ländern haben mir zudem die Gemeinsamkeiten, aber auch wesentliche Unterschiede deutlich gemacht, die weniger an den Studentinnen selbst, sondern an den verschiedenen Systemen liegen. Junge, wissbegierige, intelligente Studentinnen sind im Wesentlichen auf der ganzen Welt gleich; die Antwort auf die Frage, wie man sie am besten in die Philosophie einführt und weiter darin unterrichtet, damit auch. Wenn dieses Buch Lehrenden der Philosophie und solchen, die es werden wollen, helfen kann, so stammt der maßgebliche Impuls, es zu schreiben, von klugen und interessierten Studentinnen wie denen, die ich unterrichten durfte, die mich dazu angetrieben haben, mich klarer auszudrücken und den Stoff interessanter aufzubereiten (und mich manchmal durch Schnarchen »bestraft« haben), und mich implizit oder explizit gedrängt haben, niemals nachzulassen, bei aller Routine die Begeisterung und Liebe für die Philosophie vorzuführen. Auch wenn es vielleicht nicht immer recht zum Ausdruck kam oder kommt, so muss ich gestehen, dass das, was ich für meine Studentinnen empfinde, an Liebe im Sinne des pädagogischen Eros grenzt: eine Liebe für die Sache gepaart mit gegenseitiger Sympathie zwischen Professorin und Studentinnen; wenn es gelingt, eine solche »liebende« Atmosphäre im Seminarraum zu erzeugen, hat man ein lebensprägendes Highlight gesetzt. Meinen Studentinnen – früheren, jetzigen, zukünftigen – ist dieses Buch gewidmet. Ich hoffe, dass ich auch in der Zukunft der Erwartung, die sie in mich als Lehrenden setzen, gerecht werde.

Ich danke Markus Asper (Humboldt-Universität Berlin) für seine Lektüre einer früheren Version dieses Manuskriptes und die Zeit, die er sich genommen hat, meine Überlegungen zur Lehre der Philosophie zu diskutieren, schließlich dann meinen Text zu lesen und zu kommentieren.

Schließlich noch der Hinweis, dass dieses Buch durchweg im generischen Femininum abgefasst ist (statt »Student/in«, »Studierenden« [etc.] spreche ich durchgehend von »Studentinnen« [etc.]). Diese Wahl mag manchen gewöhnungsbedürftig, ja beim Lesefluss sogar störend vorkommen. Ich will hierbei nicht ein neues, universal gültiges Prinzip festsetzen, sondern ein Signal setzen, dass man meines Erachtens, so gut es geht, Gender-Parität herstellen sollte, um auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau hin zu wirken. Ob der hier verwendete Sprachgebrauch ein hilfreiches Mittel hierfür ist, weiß ich nicht, möchte es aber hoffen. Auch hier hinkt der deutsche Sprachgebrauch im internationalen Vergleich (vor allem dem Englischen gegenüber) hinterher, was ein gültiges bzw. pragmatisch geltendes, ständig der Überarbeitung unterliegendes Regelwerk betrifft. Aber wer weiß, vielleicht hat das auch Vorteile. Die Deutsche Gesellschaft für Philosophie hat sich hierbei jedenfalls noch nicht zu einem Vorschlagskatalog durchgerungen; ein Sprachgebrauch, der nicht bindend sein, sondern, wie der Name sagt, Vorschläge und Möglichkeiten unterbreiten sollte, wäre aber auf Dauer vielleicht doch hilfreich. Es wäre meines Erachtens wünschenswert, dass die DGPhil etwas Derartiges anbietet.6 Damit ist nicht der politischen Korrektheit das Wort geredet, die bekanntermaßen, wenn auf die Spitze getrieben, diktatorisch und intolerant werden kann; ich finde es vielmehr wünschenswert, wenn hierfür ein Standard, an den man sich halten kann, sofern man dies aufgrund eigener Einsicht für richtig erachtet, zur Verfügung stünde.

Köln, im Sommer 2019
Sebastian Luft

Endnoten

1Vgl. Mark Roche, Was die deutschen Universitäten von den amerikanischen lernen können und was sie vermeiden sollten. Hamburg: Meiner, 2014. Roche, ursprünglich Deutscher, schrieb das Buch nach seiner Erfahrung als Dekan der geisteswissenschaftlichen Fakultät (Dean of the College of Arts and Sciences) an der Notre Dame University. Das Buch wurde zunächst auf Englisch geschrieben und dann übersetzt.

2Ich verwende hier und im Folgenden öfters den englischen Begriff, weil mir kein passender deutscher einfällt und weil ich Ihnen das Wortungetüm »kairotischer Lehraugenblick« ungern zumuten möchte.

3Vor noch fünfzig Jahren hätte man vielleicht vom »Bildungsbürgertum« gesprochen, auch das eine typisch deutsche »Erfindung«. Dieses Bildungsbürgertum (das seine Hochzeit wohl in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts hatte) gibt es in dieser Form nur noch hier und da als Überbleibsel, und das Interesse an der Philosophie scheint mir ein Überbleibsel jenes Überbleibsels zu sein.

4Die Organisatorinnen der letzten DGPhil-Tagungen (Münster, München, Berlin) haben sich ostentativ sehr darum bemüht, Teile der Tagungen für die breitere gebildete Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das ist ausdrücklich hervorzuheben und zu loben. Allerdings handelte es sich hier um besondere, einmalige Veranstaltungen. Auch hier mein Vorschlag: mehr davon! – Ein anderer, scheinbar trivialer »Standortvorteil« (im wörtlichen Sinn) vieler deutscher Hochschulen, vor allem der traditionellen, ist, dass sie in die Städte (oftmals die alten Stadtkerne) integriert sind (also nicht »auf der grünen Wiese« oder in entlegenen ländlichen Bereichen gebaut wurden wie oft, und mit Absicht, in Nordamerika). Das hat zur Folge, dass die Universitäten für die Bevölkerung häufig viel leichter erreichbar sind und daher die Schwelle, hier auch einzutreten, geringer ist. Ich finde es zum Beispiel sehr erfreulich, wenn man, wie an vielen deutschen Universitäten üblich, Gruppen von Rentnerinnen sieht, die sich wöchentlich in Vorlesungen treffen, um sich weiterzubilden oder einfach nur »geistig in Form« zu bleiben.

5Hand aufs Herz, liebe Leserin: Wie haben Sie das letzte Mal reagiert, als Sie jemand im Zug oder Flugzeug ansprach und fragte, was Sie tun oder was Sie gerade lesen? Haben Sie eine kurze grunzende Bemerkung gemacht, um in Ruhe gelassen zu werden, oder haben Sie die Gelegenheit genutzt, mit Ihrem Gegenüber über Philosophie zu sprechen oder, falls die Person in völliger Unkenntnis (aber interessiert) war, kurz darin einzuführen? Haben Sie das parat, was man im Englischen eine »Elevator Speech« nennt, also eine Kurzrede, die dem Gegenüber (ohne ihn oder sie zu überfordern oder belächeln) in drei Minuten klar macht, was Sie tun? Gehören Sie zu dem zuerst beschriebenen Typus, dann ist dieses Buch besonders für Sie geschrieben.

6Die DUDEN-Redaktion diskutiert gerade, ob ein solches Regelwerk für die deutsche Sprache sinnvoll oder notwendig ist. Meine Meinung hierzu ist: Ich bin dagegen, dass alles an der Sprache – der Alltagssprache – reguliert wird. Das Volk spricht eben, wie es will, und Intellektuelle können hier nicht maßgeblich eingreifen. Etwas anderes aber ist die Wissenschaftssprache, die eine Lingua franca für alle Wissenschaftlerinnen sein soll und daher gewisse Normen oder zumindest einen Normen-Rahmen haben sollte, an den man sich zu halten hat. An manche Normen kann man die Menschen auf der Straße gemahnen (niemanden durch Schimpfwörter zu verletzen etwa) und dies ahnden, sofern es geschieht (zum Beispiel durch Verunglimpfung oder Verleumdung). In der Wissenschaft aber sollte es um ethisches Verhalten par excellence gehen, das heißt also, dass Ahndung nicht ex post geschehen, sondern von vornherein die Zustimmung, sich an die Regeln zu halten, die Eintrittskarte in den »Club« sein sollte. Deshalb scheint mir ein gültiges Regelwerk, an das sich Wissenschaftlerinnen zu halten haben, sinnvoll. Wie gesagt, vielleicht kann nicht alles präzise geregelt werden und der Horror vacui sollte nicht zu einer Überregulierung führen; aber was das »Gendern« betrifft, so wären doch vielleicht zumindest verschiedene akzeptable Schreibweisen sinnvoll, die freilich ständig diskutiert und ggf. auch modifiziert werden können und sollen (ob die hier verwendete sich durchsetzen wird, mag ich nicht prophezeien). Moden und Einstellungen ändern sich, und das ist auch gut so; ein mehrheitsfähiges Regelwerk sollte sich diesen anpassen – wenn auch nie unkritisch.

1. Was macht eine gute Hochschullehrerin aus? Lehren am Gymnasium – Lehre in der Universität

In diesem ersten Kapitel möchte ich, noch bevor ich auf die Lehre der Philosophie selbst zu sprechen komme, zunächst auf die Anforderungen an eine Hochschullehrerin im Allgemeinen eingehen, sodann auf die Rolle der spezifisch philosophischen Hochschullehrerin. Diese Diskussion versteht sich also als eine kleine, höchst unvollständige »Tugendfibel« einer aus meiner Sicht exzellenten Hochschullehrerin. Im zweiten Teil dieses Kapitels diskutiere ich die Unterschiede zwischen Schul- und Hochschullehre, die sich natürlich auch auf die Vermittlung des Stoffes – am Gymnasium bzw. in der Universität – auswirken. Die philosophische Hochschuldidaktik unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von der schulischen philosophischen Fachschuldidaktik, von der sich dieses Buch abgrenzt (ohne sie in irgendeiner Weise gering zu schätzen). Ob sich hiermit hinreichend eine neue »Disziplin« begründen lässt (die nicht allein eine Erweiterung, Ergänzung, Modifikation der Fachdidaktik ist), will ich offen lassen; einen neuen »Trend« anzuregen oder eine neue Diskussion bzw. eine neue Diskussionskultur unter Hochschullehrerinnen der Philosophie mit Bezug auf unser Fach – das wünsche ich mir dagegen schon. Denn – um mich zu wiederholen – es wird viel zu wenig über die Lehre unseres Fachs an der Hochschule gesprochen, und sie wird nach wie vor für selbstverständlich gehalten bzw. als ein notwendiges Übel betrachtet, das man so schnell wie möglich hinter sich bringt, um sich vermeintlich Wichtigerem zuzuwenden. Das soll sich ändern, wie ich finde. Wenn dieses Buch Sie zum Widerspruch herausfordert oder sonst auf eine Weise berührt und Sie dazu veranlasst, dazu Stellung zu beziehen, selbst in schärfstem Gegensatz zum hier Gesagten, hat es seinen Zweck erreicht.

1.1 Eine gute Hochschullehrerin im Allgemeinen – eine gute Hochschullehrerin der Philosophie im Besonderen

Was zeichnet, im Allgemeinen, eine ausgezeichnete Hochschullehrerin aus? Alles, was ich in dem nun Folgenden sagen werde, kann nicht beanspruchen, »objektiv« oder »allgemeingültig« zu sein, allein schon deshalb nicht, weil Personen und damit Lehrpersönlichkeiten allzu verschieden sind (und sich in ihren Eigenheiten nicht einebnen lassen sollten). Jede von Ihnen hat Ihre eigene Lehrerpersönlichkeit, die Sie entdecken, ggf. konstruieren (sofern sie von Ihrer »normalen« Person abweicht) und kultivieren müssen. Sicher ist das ein Allgemeinplatz zur Individualität jeder Dozentin. Es bedeutet aber auch, dass es sich wie bei allem Menschlichen verhält: Es gibt keine Patentrezepte oder universalen Prinzipien – solche von gewisser Allgemeinheit hingegen schon. Wie bei allem im Leben, was schwierig ist: Man muss es selbst ausprobieren, selbst auf die Nase fallen, wieder aufstehen und es erneut versuchen. Aber irgendwann lernt man den aufrechten Gang (auch wenn man auch dann nicht gegen das Stolpern gefeit ist).

Ich beschäftige mich im Folgenden zunächst mit der Geisteshaltung, die eine Hochschullehrerin an den Tag legen bzw. in sich kultivieren sollte. Es geht also im ersten Schritt nicht um Techniken und Lehrmethoden (hierzu in den folgenden Kapiteln), sondern, viel grundsätzlicher, um die Positionierung, die Einstellung, mit der sich eine Hochschullehrerin der Philosophie in ihrem Arbeitsumfeld in Szene setzt (oder vielleicht sogar »inszeniert«). Dies impliziert nicht nur ein »proaktives« Handeln, sondern hierzu gehört durchaus auch ein reaktives Moment, nämlich das Erkennen von und Reagieren auf bestimmte Umstände und Ansprüche, die Ihnen entgegengebracht werden und die Sie nicht steuern und daher nicht ignorieren können bzw. nicht ignorieren sollten und zu denen Sie sich in bestimmter, wohl reflektierter Weise verhalten sollten. Manchmal ist es wichtig, solchen Ansprüchen von Anfang an entgegenzuwirken und ihnen gegenüber wohl dosiert zu provozieren (das betrifft besonders das Geschlecht der Dozentin bzw. des Dozenten und die Erwartung an dasselbe), in anderen Fällen geht es darum, gewisse Rollenvorstellungen, die Ihnen entgegengebracht werden, in Ihrem Sinne zu interpretieren oder zu modifizieren.1

Fangen wir also ganz am Anfang an: Sie sind schon länger Hochschullehrerin oder jemand, der es werden will oder gerade eben zum ersten Mal wird? Meine erste Reaktion hierzu, ganz frei von Sarkasmus und voller Herzlichkeit: herzlichen Glückwunsch! Sie sind in einer einzigartigen Situation bzw. werden es bald sein, die Sie stolz, glücklich und bescheiden stimmen sollte, denn sie ist aus gleich mehreren Gründen einzigartig:

Zunächst einmal werden Sie die Möglichkeit haben, das, was Sie intellektuell anregt, ja begeistert und worüber Sie über viele Jahre so viel Information und Wissen aufgesogen haben, endlich jungen, (zum größten Teil) wissbegierigen und intelligenten Menschen zu vermitteln. Das ist in der Tat ein großes Privileg: Sie sind in einer Einrichtung, an der per definitionem (als höchster Schule des Bildungssystems) Wissen auf höchstem Niveau vermittelt wird. Darauf sollten Sie stolz, gleichzeitig aber auch bescheiden sein; stolz auf Ihre erhebliche Leistung, die Sie bis dahin gebracht hat; bescheiden, denn Sie lehren die größten Geister in der Geschichte der Menschheit. Gegenüber den Platons, Kants, Hegels, Steins und de Beauvoirs, die das Menschengeschlecht hervorgebracht hat, sind Sie und ich – gestehen wir’s uns ein – ziemlich unbedeutend. Sie sollten das Privileg, dass Sie die Gedanken dieser Genies der Menschheit jungen und unverbrauchten Köpfen vermitteln dürfen, als solches sehen und darüber Stolz und Freude empfinden. (Wenn Sie all das verächtlich als hochgradig idealisiert empfinden, so bedenken Sie, dass ich »vom Standpunkt des Ideals« spreche, also von der kantischen regulativen Idee, dass es so sein sollte; ob und dass es so sein kann, liegt nicht zuletzt an Ihnen selbst. Sie haben es in der Hand. Nicht jede Lehrsituation ist optimal, aber Sie können Ihr Stück dazu beitragen, dass sie sich verbessert.)

Das bedeutet: Das Lehren solcher Inhalte sollte und darf für Sie keine »lästige Pflicht« sein, sondern eine »hohe Pflicht«, die Sie ernst nehmen und mit Freude übernehmen sollten; schließlich haben Sie – ganz objektiv betrachtet – extrem hart dafür gearbeitet, in diese Rolle zu gelangen, sei es als junge Dozentin, wissenschaftliche Mitarbeiterin oder frisch berufene Professorin. Freilich ist die Lehre aufreibend, erschöpfend und ein weiterer Punkt auf Ihrer langen »To-do«-Liste neben Gremiensitzungen, Tagungen, Prüfungen, Drittmittelanträgen und nicht zuletzt Ihren wichtigen Publikationsprojekten. Lassen Sie Ihre Lehre dennoch nie ans Ende der Liste rutschen. Die Lehre Ihres Faches sollte ein Highlight Ihres Berufslebens sein und immer einen oberen, privilegierten Platz belegen. Lernen Sie sich in die Geisteshaltung zu bringen, dass Sie es nie anders sehen – trotz aller Erschöpfung und allen Stresses, die dieser Beruf mit sich bringt.

Die Gefühle bzw. Gemütsverfassungen, denen Sie freien Raum in Ihrem Innern lassen sollten, sind Freude, Bescheidenheit und Verantwortung (neben anderen »Sekundärtugenden«, die ich im Folgenden bespreche). Diese Begriffe sind für mich keine hohlen Phrasen, sondern haben konkrete Bedeutung.

Zunächst zur Freude: Es ist zweifellos eine große Freude, über das reden zu dürfen, ja von Amts wegen zu sollen, was Ihnen zutiefst intellektuelle Befriedigung verschafft. Sie haben das Privileg, nicht nur diese Dinge, die Sie mehr als alles andere interessieren, studieren zu dürfen, sondern es ist auch Ihr Amt und Ihre Pflicht, diese Themen und die Autorinnen, die sie hervorgebracht haben, zu vermitteln. Die große Mehrheit der Menschen auf der Welt übt Berufe aus, die sie nicht erfreuen, nicht befriedigen (weder intellektuell noch finanziell), die sie knechten, erniedrigen und die sie ganz allein deshalb tun, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie hingegen haben Ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht, was schwer genug ist auf dem heutigen Arbeitsmarkt (und dass Sie damit nicht zur Großverdienerin werden, wussten Sie schon vorher – aber es ist hoffentlich genug zum Leben!). Allein dies ist schon ein Grund, weshalb Ihnen die Ausübung Ihres Berufes nicht gleichgültig sein kann. Sie müssen Sorge tragen, ihn richtig und gut und verantwortungsvoll zu versehen; Freude soll aber zu jeder Zeit dabei sein!

Die Bescheidenheit, die Sie an den Tag legen sollten, besteht darin, dass Sie in der Gegenwart (im intellektuellen Raum) von Geistesriesen sein dürfen, deren Gedanken Sie zu vermitteln haben, und zwar so, dass Ihre Studentinnen Sie bzw. den Stoff, den Sie aufbereitet haben, verstehen. Bedenken Sie, dass Philosophie zu den größten intellektuellen Leistungen und Wagnissen der Menschheit gehört (dies halte ich nicht für begründungsbedürftig). Alles, was in der Philosophie – der guten, wenigstens derjenigen, die Sie ausgesucht haben – gedacht wurde und gedacht wird, gehört daher zum Schwierigsten überhaupt. Nichts davon ist trivial oder unmittelbar und einfach zu verstehen (vergessen Sie nie Ihre eigenen Anfangsschritte in diesem Gebiet!). Auch wenn es Teil Ihrer Aufgabe ist, diese schwierigen Dinge einfach und verständlich zu erklären (was nicht gleichbedeutend ist mit »Dumbing Down«2), sollten Sie sich selbst und Ihren Studentinnen immer klar vor Augen halten, dass sie von den besten Denkerinnen der Menschheit hervorgebracht wurden. Sie alle – Dozentin, Studentinnen – stehen demgegenüber, wenn nicht als unbedeutend, so doch erst einmal im geistigen Rang hinter diesen Denkerinnen der ersten Reihe. Das heißt nicht, dass Sie nicht dieses Niveau erreichen können (von vornherein zu sagen, dass dies nicht möglich ist, hätte sicherlich einen höchst negativen Effekt), aber um es zu erreichen, muss erst einiges geleistet werden: sorgfältige Lektüre, detaillierte Exegese, klar strukturierte Erklärungen Ihrerseits, Diskussion des Stoffes mit den Studentinnen. Es kostet viel, dieses Niveau zu erreichen, und hat man es erst einmal erreicht, sollten der Respekt und die Bewunderung, die Sie an den Tag legen, dadurch noch vergrößert werden, dass man einsieht, dass das Niveau, das Sie erst mühsam erklimmen müssen, von diesen großen Denkern erst erschaffen wurde auf der Grundlage eines früheren Niveaus. Der Respekt, der diesen großen Denkerinnen gezollt werden muss, sollte daher erst einmal zur Bescheidenheit – Ihrer und der Ihrer eifrigen und »schnell schießenden« Studentinnen – führen. Wer sich über die von ihr behandelten Autorinnen stellt, sie trivialisiert, verachtet, läüßßüä–––»« unseres Fachs darf nie der Respekt fehlen. Diese Art des Herangehens an Ihre Philosophinnen zu kultivieren und Ihren Studentinnen zu vermitteln, gehrt zu Ihrem Beruf. Es ist auch eine bung im respektvollen Umgang mit anderen (noch lebenden) Menschen, auch und gerade, wenn man ihnen widerspricht.