image

Bjørn Thorsten Leimbach

INTERNET

Die neue Sexsucht

PORNO

Ein Ratgeber für Männer, Frauen und Eltern

image

Inhalt

Vorwort

Pornosucht: Bedeutung, Folgen und Ursachen

Sex als Konsumprodukt mit Suchtfaktor

Die Geschichte der Pornografie

Pornografie und Prostitution im Wertewandel

Sexindustrie und Pornokonsum

Was genau ist Sexsucht?

Sind Sie sexsüchtig oder pornosüchtig?

Sexsucht kann viele Formen haben

Pornografie

Sexuelle Abhängigkeit – warum Pornos Suchtpotenzial haben

Pornos haben auch Vorteile

Anregungen zur Selbstreflexion: die positiven Seiten der Pornosucht

Das bringt Porno: einige Vorteile der Pornosucht

Wann und warum macht Pornokonsum süchtig?

Vom Genussmittel zur Droge Porno

Die Auswirkungen von Internet-Pornos

Minderwertigkeitsgefühle und Selbsthass

Scham und Ekel

Unrealistisches Frauenbild

Verlust der Erotik, Reduktion auf Hardcore-Sex

Narzissmus und Beziehungsunfähigkeit

Veränderungen im Gehirn und Hormonhaushalt durch Pornokonsum

Desensibilisierungseffekt

Der gestörte Dopamin-Haushalt verursacht weitere sexuelle Probleme

Die Veränderungen im Gehirn haben weitreichende Folgen

Entfremdung vom eigenen Körper

Impotenz und mangelnde Libido durch Pornos

Unfähigkeit zur Monogamie

Beziehungsprobleme

Abnehmende Genussfähigkeit

Respektlosigkeit gegenüber Frauen

Auswirkungen im Alltag

Krankhafte Fixierung auf Sex

Autismus und soziale Isolation

Konzentrationsmangel

Finanzielle Folgen

Generation Porno

Pornokonsum stört die sexuelle Entwicklung der Jugendlichen massiv

Konkrete Folgen des Pornokonsums: Von Absolute Beginners bis Drogenmissbrauch

Was können und sollten Pädagogen und Lehrer tun?

Sexting: Selfies in Sexposen

Porno-Rap – Musik mit pornografischen Inhalten

Kinder gucken sich Sexualität bei den Eltern ab

Kinder und Pornos – man kommt nicht mehr daran vorbei

Die Gründe für Pornosucht

Stress, Langeweile und Einsamkeit

Sexuelle Probleme in der Partnerschaft

Heldentum, Rachegefühle und Frauenhass

Ängste, Depressionen und Entfremdung von sich selbst

Sexuelle Schwierigkeiten

Wurzeln für Pornosucht in der Kindheit

Die Mutter

Der Vater

Sexualität und Familienklima im Elternhaus

Suchtanfälligkeit

Die gesellschaftliche Entwicklung zum virtuellen Sex

Die Partnerin als Co-Abhängige – was Sie als Frau tun können!

Ignoranz, Schock, Selbstzweifel, Wut, Schuldzuweisung

Aus dem Schock und dem Vorwurf aussteigen

Co-Abhängige: Wie der Porno die Ehe erträglich macht

Hure und Heilige

Annäherung an die Hure in Ihnen

Ihre sexuelle Energie aktivieren

Haben Sie Angst vor Intimität und Sexualität?

Der Porno als Notausgang aus dem Paar-Gefängnis

Lassen Sie Ihren Partner männlich, potent und groß sein!

„Je mehr ich ihn Mann sein lasse, umso mehr werde ich Frau.“

Übungsteil für Männer

Ihre persönliche Situation als Mann Übung 1–3

Übung 1: Wovon möchte ich mich konkret befreien?

Übung 2: Suchen Sie einen Freund als Gesprächspartner

Übung 3: Meine sexuelle Vision. Wo will ich hin?

Vom virtuellen ins reale Leben! Übung 4–14

Übung 4: Ich tue, was ich tue

Übung 5: Die Welt ohne Smartphone erkunden

Übung 6: Bewusst essen und trinken

Übung 7: Entdecken Sie die Qualität der Langsamkeit über den Atem

Übung 8: Die Haut als sensible Zone entdecken

Übung 9: Sensibilisierende Massagen

Übung 10: Lernen Sie, selbst zu massieren

Übung 11: Bewusst atmen

Übung 12: Atemzüge zählen

Übung 13: Entdecken Sie den Sport, der Sie fordert

Übung 14: Buchen Sie einen Tanzkurs

Ausstieg aus der Pornosucht. Wieder clean werden – 16 Regeln und 10 Tipps

Anhang

Impressum

Vorwort

Als Sexualtherapeut, Autor und Leiter von Männerseminaren sprechen mich mittlerweile viele Männer, aber auch deren verunsicherte Partnerinnen zum Thema Pornokonsum an. Sogar Eltern von männlichen Jugendlichen fragen mich um Rat. Sie alle wollen von mir wissen, ob der Konsum von Pornos negative Auswirkungen haben kann und wie viele Stunden Pornokonsum am Computer oder auf dem Handy eigentlich ein normales Maß seien.

Immer mehr Männer und männliche Jugendliche konsumieren regelmäßig Pornos und ziehen sich gleichzeitig aus der realen Sexualität zurück. Warum tun sie das? Betrifft dies vielleicht nur Singles, die keinen Erfolg bei Frauen haben? Oder nur Männer, die in ihrer Partnerschaft frustriert sind? Wie verändert Pornokonsum die Sexualität und die Partnerschaft? Was ist seine Ursache und was sind die Auswirkungen? Welchen Einfluss haben Pornos auf junge Menschen, die noch keine eigenen sexuellen Erfahrungen gemacht haben? Um diese Fragen, aber auch um Sie persönlich als Mann, als Partnerin oder Eltern geht es in diesem psychologisch fundierten Ratgeber.

Internet-Pornosucht breitet sich rasant aus und prägt die Sexualität und das Beziehungsverhalten vieler Männer und Jugendlicher. Doch bislang wird wenig darüber gesprochen. Das Thema ist öffentlich tabu, mit Scham und Heimlichkeit belegt. In meinen Seminaren haben Männer einen Ort, an dem sie auch über tabuisierte Themen sprechen können.

In den letzten Jahren kommen immer mehr Männer in meine Praxis oder zu meinen Seminaren und berichten von ihrem exzessiven Pornokonsum und den entsprechenden Folgen für ihr (Liebes-)Leben. In diesem Ratgeber fasse ich daher systematisch meine Erfahrungen mit Männern zusammen, die Pornos konsumieren oder in irgendeiner Form sexsüchtig sind.

Im ersten Teil des Buches erkläre ich, warum gerade Pornos ein hohes Potenzial als Suchtmittel haben, welche Folgen der regelmäßige Konsum von pornografischen Filmen hat und welche Ursachen sich hinter dem sexsüchtigen Verhalten verbergen können.

Im zweiten Teil gebe ich Männern eine ganz konkrete Anleitung, wie sie sich von ihrer Pornosucht lösen und eine lebendige und befriedigende Sexualität in der realen Welt mit einer realen Partnerin entwickeln können. Zahlreiche Übungen zeigen Schritt für Schritt, wie man sich von der Sucht lösen und vor allem, wie man stattdessen eine erfüllte und aufregende Sexualität leben kann.

Nachdem ich die auf dem Markt befindliche Lektüre zum Thema Sex- und Pornosucht durchgesehen hatte, war ich offen gesagt entsetzt, mit welchen oberflächlichen Analysen, allgemeinen Tipps, lauwarmen Ratschlägen oder aber religiösen beziehungsweise ideologischen Indoktrinationen die Leser abgespeist werden. Meistens handelt es sich um Journalisten oder ehemalige Pornosüchtige, die ein paar aufgeschriebene Tipps veröffentlichen. Oft fehlt diesen Autoren jegliche psychotherapeutische Ausbildung oder Praxiserfahrung mit Klienten. Auf der anderen Seite gibt es einige neue, interessante und aufschlussreiche wissenschaftliche Studien zur Pornosucht. Diesen Veröffentlichungen fehlt jedoch oftmals die populärwissenschaftliche Aufbereitung und die Umsetzung der Erkenntnisse in praktische Anregungen, die Männern dabei helfen können, aus der Pornosucht auszusteigen.

Deshalb basiert dieser Ratgeber sowohl auf den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Pornosucht als auch auf meinen Erfahrungen in der täglichen Arbeit mit vielen Männern. Ich bin überzeugt davon, dass ich Männern dabei helfen kann, ihre Probleme mit Pornografie und Sexsucht aus pragmatischer und psychologischer Sicht zu betrachten. Betroffene werden erkennen, was in ihrem Fall die genauen Ursachen für ihre Pornosucht sind und wie sie sich von ihr befreien.

Porno: harmloses Konsumprodukt oder gefährliche Sex-Droge?

Wenn man wie ich fast alle Artikel und Studien zum Thema Internet-Pornografie gelesen hat, fällt auf, dass der Blick auf das Phänomen Pornosucht reichlich undifferenziert ist. Letztlich findet man immer wieder drei grundlegende Positionen, die ständig wiederholt und in der Regel mit (meist wenig aussagekräftigen) Statistiken belegt werden:

1.Pornokonsum ist harmlos und hat weder Suchtpotenzial noch Auswirkungen auf das sonstige Sexualleben. Pornos dienen vielmehr der sexuellen Liberalisierung und Inspiration. Diese Bewertung von Pornos ergibt sich meist aus den negativen und nicht wissenschaftlich betrachteten Auswirkungen von Pornokonsum.

2.Pornos sind unmoralisch, pervers oder frauenfeindlich. Sie sind diskriminierend, führen zu Gewalt gegen Frauen und zu sexuellen Straftaten. Diese Argumentation nutzen in der Regel die religiös oder feministisch-ideologisch orientierten Autorinnen und Autoren. Wissenschaftlich belegbar sind diese Aussagen aber nicht.

3.Internet-Pornografie hat verschiedene Facetten und – je nach Persönlichkeit des Users und Art der Pornografie – unterschiedliche Auswirkungen, die von der sexuellen Anregung bis hin zur Sucht mit gravierenden Folgen von Impotenz und Beziehungsunfähigkeit reichen.

Der dritte Ansatz deckt sich mit den Erfahrungen aus meiner Praxis. Ich greife hier vor allem auf die Berichte von vielen Teilnehmern und Klienten zurück. Aber auch wissenschaftliche Untersuchungen ergänzen und bestätigen diese Sicht auf das Thema. Viele dieser Studien sind noch recht neu und werden nur selten in größerem Rahmen publiziert. Insofern kann es gut sein, dass Sie als Leser in diesem Ratgeber etwas Neues über die Aspekte und Auswirkungen der Porno- und Sexsucht erfahren.

Ab und zu einen Porno oder etwas Spaß im Bordell – was soll’s?

Viele Männer denken, dass das Konsumieren von Pornos oder der Ausflug ins Bordell völlig normale Freizeitbeschäftigungen des modernen Lebens seien. Ein Grund mag darin liegen, dass speziell Internet-Porno-Angebote stets verfügbar, mittlerweile kostenlos und sehr verbreitet sind. Die Verlockung ist groß, zur Ablenkung, zur Entspannung oder aus Mangel an einer Sexpartnerin bei einem Porno zu masturbieren. Fast alle Männer machen es – aber die wenigsten sprechen darüber. Wer ein erfülltes und abwechslungsreiches Sexualleben hat und auch sonst mit seinem Leben zufrieden ist, dessen Liebesleben und Verhalten wird von gelegentlichem Pornokonsum kaum beeinflusst. Die Gefahr, eine Sucht zu entwickeln ist genauso gering wie bei denen, die gelegentlich Alkohol trinken, auf einer Party mal einen Joint rauchen oder ab und zu mit Freunden ins Spielkasino gehen. Trotzdem kann aus dem Spaß und der Ablenkung – und das leichter als die meisten denken – Routine werden, die irgendwann auch massive Auswirkungen auf das eigene Sex- und Beziehungsleben hat. Diese Gefahr wird meist verdrängt, verharmlost und nicht erkannt. Wer pornosüchtig ist und regelmäßig Pornos konsumiert, braucht meist Jahre, bis er sich seine Sucht überhaupt selbst eingestehen kann.

In diesem Ratgeber erfahren Sie bislang völlig neue und unbekannte Fakten zum Pornokonsum und seinen Auswirkungen. Denn man muss als Mann weder hässlich noch impotent oder kontaktgestört sein, um sich in der virtuellen Pornowelt zu verlieren. Die Folgen sind vielfältig und werden Sie vermutlich sehr überraschen und schockieren.

Genauso verhält es sich beim virtuellen Sex oder beim Sex mit Prostituierten: Wer einmal aus Spaß oder Neugier in ein Bordell geht oder Telefonsex hat, aber sonst Erfolg bei Frauen, Freude am Sex und Beziehungserfahrung genießt, ist meist nicht gefährdet. Wer jedoch sexuelle Probleme, Einsamkeit oder Frust abbauen will oder in einer sexuell desolaten Beziehung lebt, ist stark suchtgefährdet und gerät leicht in den Bann des gekauften und virtuellen Sexes. Warum das so ist und was man dagegen tun kann, ist Thema dieses Buches. Ich möchte mit meinem Ratgeber alle Leser und Leserinnen ansprechen, die in ganz unterschiedlicher Weise von Porno- und Sexsucht betroffen sind:

Für Männer, die mit ihrem Sexualleben unzufrieden sind

Dieser Ratgeber ist auch für Männer geschrieben, die unzufrieden mit ihrer Sexualität sind. Wenn Ihr Sex zu langweilig ist, Sie zu wenig Sex haben oder unter negativen sexuellen Konditionierungen leiden, werden Sie hier Lösungen dafür finden. Ebenso werden Sie neue Ansätze zur Heilung von sexuellen Störungen wie mangelnde sexuelle Lust, Erektionsprobleme oder vorzeitige Ejakulation kennenlernen. Meiner Erfahrung nach ziehen sich die meisten Männer, die sexuelle Probleme haben oder von ihrem Sexualleben frustriert sind, aus der realen Sexualität zurück und masturbieren stattdessen bei Pornos. Dies verschafft aber nur eine kurze Triebbefriedigung – die vorhandenen sexuellen Probleme verschlimmern sich und werden chronisch.

Für Homosexuelle

Wenn Sie als homosexueller oder bisexueller Mann diesen Ratgeber lesen, muss ich ganz offen zugeben, dass ich nicht über derart umfangreiche Erfahrungen mit homosexuellen Klienten verfüge, wie Therapeuten, die auf diese Zielgruppe spezialisiert sind. Ich denke aber, dass sehr viele Themen dieses Ratgebers identisch oder zumindest übertragbar sind. Die Praxisanleitungen sind definitiv auch für schwule Männer anwendbar und werden dabei helfen, die Porno- und Sexsucht zu überwinden und neue Impulse für die Sexualität geben.

Für sexsüchtige Frauen

Wenn Sie als betroffene Frau diesen Ratgeber lesen, sollten Sie wissen: Dieses Buch ist bewusst für Männer geschrieben, die entweder Probleme mit ihrer Sexualität oder dem Pornokonsum haben oder sexsüchtig sind. Entweder gehören Sie zur kleineren Gruppe von Frauen, die pornosüchtig sind oder Sie leiden an der Sucht zu anonymem oder virtuellem Sex ohne Bindung. Dann werden auch Ihnen viele Aspekte dieses Ratgebers weiterhelfen, vieles kann Sie vielleicht dazu anregen, Erkenntnisse auf Ihre spezielle Situation zu übertragen. Ich empfehle Ihnen außerdem das Buch Weiblichkeit leben. Die Hinwendung zum Femininen von Astrid Leila Bust. Sie ist eine hervorragende Therapeutin und Sexualberaterin für Frauen, leitet Frauentrainings und hat diesen Ratgeber (wie alle meine anderen Bücher auch) lektoriert und mir in spannenden Gesprächen wichtige Hinweise gegeben. Außerdem haben wir das Kapitel für Partnerinnen zusammen geschrieben. An dieser Stelle einen herzlichen Dank dafür!

Für Partnerinnen

Wenn Sie als Frau stellvertretend für Ihren Partner diesen Ratgeber lesen, dann bedenken Sie bitte Folgendes: Sie können Ihren Mann nicht von seiner Pornosucht oder anderen sexuellen Problemen heilen. Als Paartherapeut vermute ich, dass Sie unter dem Pornokonsum oder der Sexsucht Ihres Partners leiden. Denn diese Sucht hat praktisch immer Auswirkungen auf die Sexualität und die Partnerschaft als Ganzes, im Extremfall sogar in verheerender Form. Die meisten Frauen sind schockiert, wenn sie entdecken, dass ihr Partner heimlich Pornos schaut oder wenn er zu Prostituierten geht. In vielen Fällen löst dies eine Beziehungskrise aus. Mein Rat an Sie kann nur sein: Versuchen Sie mithilfe dieses Buches zu verstehen, was Ihren Partner zu anderen Frauen treibt – real oder virtuell. Sie werden hier sicherlich einige wertvolle psychologische und pragmatische Hintergründe erfahren, um nachzuvollziehen, was bei Ihrem Partner oder in Ihrer Beziehung los ist. Vor allem aber geht es darum zu erkennen, inwiefern Sie Ihren Partner unbewusst zur Prostituierten schicken und welche heimlichen Vorteile Sie davon haben könnten. Im Kapitel „Die Partnerin als Co-Abhängige“ gehe ich, zusammen mit Astrid Leila Bust, explizit auf die Rolle der Partnerin von pornosüchtigen Männern und die Partnerschaft ein.

Für Eltern und Erziehende: Jugendliche und PornografieGeneration Porno

Vor den 1990er-Jahren kamen Kinder und Jugendliche meist kaum mit Pornografie in Berührung. Es gab natürlich Pornohefte und Videos, beispielsweise von den Eltern, an die man heimlich rankommen konnte. Doch das Blättern in Heften oder der heimliche Blick in ein Pornovideo haben nicht die eigene Sexualität oder gar den Alltag geprägt. Meistens zeigten die pornografischen Medien, die man bei Eltern oder älteren Geschwistern finden konnte, eher Soft-Sex statt Hardcore-Sex. Die ersten sexuellen Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht sammelte man dennoch im Rahmen von konkreten körperlichen Erlebnissen in realen Kontakten: Man unternahm etwas zusammen mit Freunden beider Geschlechter, kam sich beim Sport, Tanzen, Raufen, Rumalbern oder auch Streiten näher. Die Begegnungen wurden intimer und mündeten in erotischen Erlebnissen wie Knutschen, Petting und schließlich Sex.

Heute sind pornografische Bilder und Filme allgegenwärtig, was die sexuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen grundlegend verändert hat. Doch kaum jemand realisiert das wirklich. Heutzutage werden schon Kinder mit Pornografie konfrontiert – ob sie es wollen oder nicht. Das verhindern auch keine Spam-Filter oder installierte Kindersicherungen am Computer. Wer ein Smartphone mit Internet oder einen eigenen Computer hat, bekommt per SMS, E-Mail oder Werbebanner Porno-Links und Werbung – oftmals geschickt getarnt. Neugierig folgen die Kinder und Jugendlichen einer raffinierten Werbung, gehen auf Pornoseiten und schauen sich die Bilder einfach an. Von hier ist der Weg nicht weit, die Links, Bilder und Filme über das Handy an seine Bekannten und Freunde zu schicken. Und sei es nur, um sie zu schockieren oder um anzugeben. Während Mädchen sich meist angewidert abwenden, beginnen immer mehr Jungen bereits sehr früh, diese Porno-Clips zu konsumieren. Sie onanieren dazu und tauchen oft stundenlang in die pornografische Welt ein. Speziell wenn reale Kontakte und Erlebnisse mit Mädchen fehlen, nimmt so eine sexuelle Sozialisierung durch Pornos ihren Lauf. Stellen Sie sich doch einmal vor, Sie hätten Hunderte oder gar Tausende Pornos (mit allen möglichen perversen oder sogar gewalttätigen Spielarten) gesehen, bevor Sie das erste Mal geküsst haben oder Sex hatten!

Ich habe der sogenannten Generation Porno ein eigenes Kapitel gewidmet. Es richtet sich an alle Eltern, Erzieher und Lehrer von Jugendlichen ab der weiterführenden Schule. Es macht keinen Sinn, dieses Thema aus Scham oder Unsicherheit totzuschweigen und die Jugendlichen wehrlos der Pornoindustrie zu überlassen, da Kinder und Jugendliche heutzutage schon mit der Allgegenwärtigkeit von Pornos aufwachsen, bevor sie selbst eigene Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht machen. Auf sie hat der Pornokonsum noch einmal andere Auswirkungen als auf Erwachsene, die bereits eigene Erfahrungen mit Sexualität und Beziehungen gemacht haben. Als Eltern, Bezugsperson oder Lehrer sollten Sie die Thematik gezielt mit den Kindern und Jugendlichen besprechen, damit diese nicht sich selbst überlassen werden. Junge Menschen benötigen sachliche und psychologische Informationen, um selbst eine eigene Haltung und einen vernünftigen Umgang mit dem Thema Pornografie zu finden.

Ich wünsche Ihnen beim Lesen dieses Ratgebers neue Erkenntnisse und ein tieferes Verständnis der männlichen und weiblichen Sexualität.

PORNOSUCHT

Bedeutung, Folgen und Ursachen

Sex als Konsumprodukt mit Suchtfaktor

Die Geschichte der Pornografie

Pornografie ist schon so alt wie die Menschheit, es gab sie bereits in der Steinzeit und wird sie vermutlich noch in ferner Zukunft geben. Doch die Erscheinungsformen sowie die gesellschaftliche Bewertung von pornografischen Darstellungen ändern sich immer wieder.

Bereits in der Höhle von Lascaux in Südwestfrankreich wurden steinzeitliche Zeichnungen von kopulierenden Paaren entdeckt, die wohl über 15 000 Jahre alt sind – pornografische Darstellungen mit den Mitteln dieser Zeit. Schon hier zeigt sich ein Zusammenhang zwischen Kunst und Sexualität. Denn der Begriff Pornografie kommt aus dem Griechischen und setzt sich zusammen aus „pórne = Hure“ und „gráphein = schreiben“, also Aufzeichnungen von Huren. Später wurden pornografische Darstellungen auf Papyrus gezeichnet, in Stein gehauen oder auf Wandgemälden oder Vasen erstellt. Ich selbst habe Geschichte studiert und erinnere mich gern an einen originellen Professor, der zu diesem Thema referierte. Er brachte Trinkschalen aus der römischen Zeit mit. Darin waren Paare in verschiedenen Sexstellungen abgebildet. Wenn man Weißwein einfüllte und die Schale leicht hin- und herbewegte, sah es wie eine Sex-Animation aus. Die Duplikate der Schalen reichte er den Studenten zur Ansicht herum. Heutzutage sind die technischen Möglichkeiten andere und man braucht weniger eigene Fantasie.

Doch bleiben wir bei der Geschichte: In griechischen und römischen Theateraufführungen und in der Literatur finden sich pornografische Passagen. Und bei den Ausgrabungen der römischen Stadt Pompeji fand man das antike Bordell Lupanare aus dem Jahr 79 n. Chr., in dem Fresken und Wandgemälde mit eindeutigen Sexszenen abgebildet waren – sozusagen Werbeplakate. In einer ganz anderen Kultur, in Indien, kann man heute noch im tantrischen Tempel von Khajuraho sehr naturalistisch abgebildete Sex- und Gruppensexszenen sehen, die an das Kamasutra erinnern. Die etwa 1000 Jahre alten Skulpturen lassen so manchen Inder heute noch schamvoll erröten.

Im 19. Jahrhundert gab es erste Sex-Shops in England und später revolutionierte das Medium Foto die Pornografie. Mit der Entwicklung des Films näherte sie sich heutigen Erscheinungsformen: Anfänge der pornografischen Filme gab es in Frankreich ab 1907 und in den USA ab 1908.

Die ersten Aufklärungsfilme wurden ab 1967 in Deutschland gezeigt und bis heute ist Oswalt Kolle, Deutschlands „Aufklärer Nr. 1“, ein bekannter Name. Ende der 1960er-Jahre produzierte er die ersten Aufklärungsfilme für das deutsche Fernsehen. Ich traf ihn einmal persönlich in einer Talkshow zum Thema Sexualität und hatte angeregte Gespräche mit ihm.

Denkt man an die Zeit von etwa 1970 bis um die Jahrtausendwende, erinnert man sich an verbotene Zeitschriften am Kiosk und an die sogenannten Ab-18-Abteilungen in der Videothek im hinteren Raum. Seit der Verbreitung des Internets und der Weiterentwicklung des Web 2.0 mit Hochgeschwindigkeitsverbindungen ist das Internet zur Hauptquelle von Pornografie geworden. Die anfangs fast ausschließlich kostenpflichtigen Angebote sind seit einigen Jahren vorwiegend kostenlos und sogar auf Smartphones abrufbar. Schätzungsweise 35 Prozent aller Internetseiten enthalten pornografische Inhalte, 25 Prozent aller Anfragen im Internet haben das Thema Pornografie zum Inhalt.1 Um es einmal anders zu formulieren: Wahrscheinlich haben wir den rasanten Ausbau des Internets auch der Pornoindustrie zu verdanken, die Highspeed-Verbindungen für hochauflösende Filme benötigt.

Pornografie und Prostitution im Wertewandel

Pornografie ist laut etymologischer Bedeutung die Darstellung von Prostitution, also käuflichem Sex. Doch die Art der Darstellung und Verbreitung hat sich im Laufe der Geschichte grundlegend verändert. Ebenso durchlief die Bewertung und gesellschaftliche Stellung von Pornografie und Prostitution viele verschiedene Phasen. Ich habe in meinem Geschichtsstudium eine sehr spannende Arbeit zum Thema Prostitution in den verschiedenen Epochen geschrieben, die Forschungen dazu waren höchst interessant: In frühzeitlichen Epochen gab es eine Tempelprostitution, bei der Priesterinnen Männer in die Sexualität einweihten. Die Tempelhuren verbanden Spiritualität und Sexualität miteinander. Im antiken Griechenland gab es die „Hetären“ – sie waren studierte und hochgebildete Frauen, die musikalisch, künstlerisch und rhetorisch geschult waren, mehrere Sprachen beherrschten und von Männern zur Unterhaltung gebucht werden konnten. Sex in allen Spielarten war auch ein Bestandteil der gemeinsam verbrachten Zeit. Wenn ein Mann den Palast der Hetären aufsuchte, dann achtete er – anders als heute – darauf, dass er dabei gesehen wurde, denn das sprach für seinen Reichtum und seine Bildung. Und auch die Ehefrau war stolz darauf, wenn ihr Mann zu einer Hetäre gehen konnte. In Japan gab es mit der Kultur der „Geishas“ eine vergleichbar hohe Kunst der Prostitution. In der römischen Zeit gab es einfache Prostitution und Dekadenz, in der Tendenz bereits reglementiert und im Verborgenen. Mit Beginn des Christentums wurden Sexualität, Prostitution und die Darstellungen dazu als nieder und schuldhaft bewertet und in eine versteckte Parallelwelt verdrängt. Aber selbst im Mittelalter schickten Frauen ihren Mann zur Hure, um sexuell nicht belästigt und nicht schwanger zu werden. Erst in der Neuzeit wurden Prostitution und die Darstellung von Sexualität gesellschaftlich als unmoralisch bewertet und in den Untergrund verdrängt. Bis heute sind Prostitution und Pornografie nicht gesellschaftsfähig. Obwohl der größte Teil der Männer Pornos schaut oder schon einmal in einem Bordell war, würde kaum jemand dies öffentlich zugeben. Durch die enorme Verbreitung und Allgegenwärtigkeit von Pornografie durch das Internet weicht diese Einstellung aber allmählich auf.

Sexindustrie und Pornokonsum

Wir Deutschen sind nicht nur Weltmeister im Fußball, Deutschland ist auch das Land mit dem weltweit höchsten Pornokonsum. Laut einer Analyse der Online-Forscher von SimilarWeb aus dem Jahr 2013 bestehen 12,5 Prozent aller Webseitenaufrufe in Deutschland aus Zugriffen auf pornografische Seiten. Gefolgt von Spanien (9,5 Prozent), England und den USA nimmt Deutschland damit weltweit die Spitzenposition ein. Interessant ist, dass Webseiten mit sexuellen Inhalten weltweit viel mehr Zugriffe verzeichnen als alle sozialen Netzwerke zusammen.

Sex sells. Es gibt nur sehr ungenaue und sich teils widersprechende Schätzungen des Umsatzes in der Sex- und Pornoindustrie. Hier einige Angaben als grobe Orientierung:

Prostitution

Man geht in Deutschland von 200 000 bis 400 000 Menschen aus, die direkt oder indirekt in der Prostitution arbeiten, mit einem Jahresumsatz von etwa 15 Milliarden Euro. Die täglichen Freier werden in Deutschland auf circa 1 bis 1,2 Millionen2 geschätzt.

Pornokonsum

In Deutschland erscheinen monatlich mehr als tausend Porno-DVDs; der Umsatz mit Pornofilmen wurde 2007 auf etwa 800 Millionen Euro jährlich geschätzt (beim gesamten Erotik- und Pornomarkt liegt er bei 1,9 Milliarden Euro). Die Pornoindustrie erwirtschaftet allein in den USA jährlich zweistellige Milliardenbeträge und ist damit ökonomisch erfolgreicher als Hollywood.3 Angeblich werden beinahe 70 Prozent des Online-Umsatzes mit erotischen und pornografischen Angeboten gemacht.4 Schätzungen zufolge gibt es hierzulande zwischen 200 000 und 500 000 Internet-Sexsüchtige – neun Zehntel davon sind Männer.5

Pornokonsum beginnt durch das Internet immer früher: Zwei Drittel aller männlichen Jugendlichen zwischen 16 und 19 Jahren konsumieren regelmäßig Pornografie, jeder fünfte Junge schaut täglich Pornos an.6 Fast die Hälfte aller 11- bis 13-Jährigen haben bereits pornografische Bilder oder Filme gesehen, bei den 17-Jährigen sind es bereits 93 Prozent der Jungen und 80 Prozent der Mädchen.7 Laut einer anderen Untersuchung konsumiert die Hälfte aller 13-Jährigen bereits regelmäßig Pornos.8

Im Durchschnitt schauen bereits Kinder mit elf Jahren ihren ersten Internet-Porno an, die meisten von ihnen ohne danach gesucht zu haben. Das verwundert nicht, denn nur drei Prozent der Sexseiten fragen den Nutzer nach dem Alter.9

Bei einigen dieser Zahlen gebe ich jedoch zu bedenken, dass die Untersuchungen bereits mehrere Jahre alt sind. Der Highspeed-Zugang zu Pornos im Internet und die entsprechenden Smartphones dafür haben aber erst in den letzten Jahren eine enorme Verbreitung erlebt. Insofern wage ich zu behaupten, dass die Zahl der Konsumenten und die Anzahl der angeschauten Filme noch einmal enorm gestiegen sind. Auch das Alter, in dem Jugendliche ein eigenes internetfähiges Smartphone besitzen und damit Zugang zu Pornografie haben, ist deutlich gesunken. Deshalb glaube ich, dass der Pornokonsum von Jugendlichen speziell in den letzten fünf Jahren noch einmal enorm zugenommen hat und vermutlich auch weiter zunehmen wird.

Doch selbst diese Statistiken zeigen, auch wenn sie ungenau oder nicht ganz aktuell sind, dass Pornokonsum und Business mit Sex blühen – finanziert durch viele Millionen Männer, die täglich die Produkte der Sexindustrie konsumieren, anstatt Sex zu erleben und zu genießen. Nach unserer eigenen Umfrage konsumieren mehr als 50 Prozent der Männer regelmäßig Pornos, während die Häufigkeit realer Sexualkontakte abnimmt. Der virtuelle Sex prägt und ersetzt immer mehr das männliche Sexualleben.10

Was genau ist Sexsucht?

Die Gelehrten streiten sich noch immer bezüglich der Definition von Sex- und Pornosucht. Offiziell gibt es diese Süchte als Krankheit noch gar nicht, denn bislang sind sie nicht als eigenständige Diagnose laut dem DSM (Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen) anerkannt. Das finde nicht nur ich, sondern viele Sexualtherapeuten tragisch, denn es verharmlost das verbreitete Suchtproblem.

Deshalb gebe ich Ihnen eine Definition aus meiner Praxis als Sexualtherapeut und Männercoach: Der Begriff Sexsucht ist meines Erachtens irreführend und unspezifisch. Wer viel (oder auch exzessiven) Sex hat, ist noch lange nicht süchtig, krank oder unglücklich. Jeder frisch Verliebte kennt Phasen, in denen er den ganzen Tag nur an Sex denkt und ihn auch auslebt. Das geht aber einher mit einer emotionalen Beziehung, Intimität und persönlichem Kontakt. Und in diesem Kontext sind auch alle Spielarten des Sexes, bei denen beide zustimmen und Lust empfinden, völlig in Ordnung. Ich maße mir nicht an, irgendwelche Normen für gesunden und perversen oder krankhaften Sex aufzustellen. Es gibt hier natürlich sinnvolle Grenzen im Bereich der körperlichen Unversehrtheit und des gesetzlich Erlaubten.

Mittlerweile existieren einige neuere und spannende wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema Sex- und Pornosucht. Ich habe viel wissenschaftliches Material dazu studiert, das in dieses Buch einfließt. Die medizinischen und psychologischen Untersuchungen decken sich größtenteils mit den Erfahrungen, die meine Klienten gemacht haben.

Um Sexsucht sinnvoll zu definieren, muss man überprüfen, ob ein süchtiges Verhalten vorliegt, das derjenige nicht oder nur teilweise steuern kann. Dies ist gegeben, wenn man trotz Vorsatz Pornokonsum, virtuelle Sexkontakte oder Bordellbesuche nicht reduzieren beziehungsweise aufgeben kann oder wenn man nach einer Zeit der Abstinenz rückfällig wird. Ein weiterer Aspekt muss erfüllt sein, damit Sex einen Suchtcharakter bekommt: Das eigene sexuelle Verhalten führt zu sexuellen Störungen, Krankheiten oder zu Beziehungsproblemen. Es schadet der emotionalen Verfassung und dem eigenen Selbstwertgefühl. Verheimlichung, Leugnung und Schamgefühle sind auch ein Anzeichen süchtigen Verhaltens. Ein deutlicher Suchtcharakter liegt vor, wenn Pornokonsum, anonyme Sexkontakte und Bordellbesuche trotz negativer Auswirkungen auf das eigene sexuelle Verhalten, die Arbeit, den Alltag oder die Partnerschaft nicht aufgegeben werden können.

Die Sucht beginnt dort, wo die eigene Kontrolle verschwindet und der Drang sich verselbstständigt.