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Deutsche Erstausgabe (ePub) Januar 2020

 

Für die Originalausgabe:

© 2018 by Christina Lee

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Reclaim«

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2020 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

 

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

 

 

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

 

ISBN-13: 978-3-95823-797-1

 

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de


 

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Aus dem Englischen von Vanessa Tockner


 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

vielen Dank, dass Sie dieses eBook gekauft haben! Damit unterstützen Sie vor allem die Autorin des Buches und zeigen Ihre Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit. Außerdem schaffen Sie dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der Autorin und aus unserem Verlag, mit denen wir Sie auch in Zukunft erfreuen möchten.

 

Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

 

 

 

Klappentext:

 

Seit der Highschool gehen Elijah und Kamnan zusammen durch dick und dünn. Als Kam durch einen Unfall einige Wochen lang ans Bett gefesselt wird, ist es für Elijah selbstverständlich, seinem besten Freund in dieser schweren Zeit beizustehen. Je länger sie sich allerdings eine Wohnung teilen, desto näher kommen sie sich und schon bald ist klar, dass ihre Gefühle füreinander weit über Freundschaft hinausgehen. Doch Elijah erholt sich noch von einer schlimmen Trennung und Kam hat eigene Verpflichtungen, die ihn vereinnahmen. Für eine Beziehung ist im Leben beider Männer eigentlich kein Platz – aber würden sie es nicht bereuen, diese Chance verstreichen zu lassen, ohne es wenigstens versucht zu haben?


 

 

 

 

 

Für D. zum Dank für die Lektionen

über thailändische Kultur und Bräuche.

 

Für das Paar, das diese Geschichte inspiriert hat.

Ich hoffe, ihr findet euer Happy End.


 

Kapitel 1

 

 

Elijah

 

Ich steckte den Kopf zwischen die Knie, während mein Magen sich ebenso sehr drehte wie meine Gedanken. Heute Abend war meine Trauer wie eine körperliche Krankheit durch den Nebel meines halb betrunkenen Gehirns in mich gefahren.

»Schhhh«, murmelte mein Freund Kam in mein Ohr. »Alles wird gut werden. Glaub mir.«

Er musste es wissen. Er hatte selbst eine schlimme Trennung durchgemacht und hatte mir Trost gespendet, seit ich das mit Stewart beendet hatte. Das hatte ich nicht gerade verdient, da ich ihn damals viel zu früh dazu gedrängt hatte, sich jemand Neues zu suchen.

»Wann?«, fragte ich und wischte über meine Tränen. Ich wusste, dass ich übertrieben emotional war. »Wann wird es nicht mehr wehtun oder so verdammt verwirrend sein?«

Selbst nach zwei Monaten schmerzte es noch, wenn ich meinen Ex in der Stadt oder in einem Club sah. Wie heute Abend. Er hatte sich von irgendeinem Kerl überall berühren lassen, nur um mir eins auszuwischen.

Er seufzte. »Ich weiß es nicht. Jeder ist anders. Ich habe noch lange gejammert.«

»Stimmt.« Ich grinste und er lachte leise.

Es war mein erstes Lächeln seit Stunden und es fühlte sich gut an. Außerdem war es nett, auch Kam lachen zu hören; er war in letzter Zeit zu sehr auf sein Geschäft konzentriert gewesen. Aber die Leichtigkeit blieb nicht lange, bevor das erstickende Gefühl in meiner Kehle zurück war und mir die Luft abschnürte.

Ich beugte mich vor und würgte in den Mülleimer, den Kam neben seinem Bett gelassen hatte. Tequila hatte immer eine starke Wirkung auf mich und obwohl Kam mich gewarnt hatte, nicht zu viele Shots zu trinken, hatte ich nicht auf ihn gehört. Er war immer der Inbegriff von Zurückhaltung, das genaue Gegenteil von mir.

Ich war erleichtert, dass Kam mich zu sich mitgenommen und nicht in meine leere Wohnung gebracht hatte; er besaß die unheimliche Fähigkeit, immer zu wissen, was ich brauchte. Mein Mitbewohner West war wahrscheinlich arbeiten oder bei Tristan, wo er in letzter Zeit immer war. Ich konnte es ihm nicht verübeln; sie waren wahnsinnig glücklich. Es fiel mir im Moment nur schwer, diese Perfektion um mich zu haben.

Außerdem wollte ich kein Ich hab's dir ja gesagt hören, obwohl meine Freunde es nie laut aussprachen.

Sie wussten alle, dass Stewart und ich in eine Richtung unterwegs gewesen waren, die nur im Unglück enden konnte. Sie hatten einander Blicke zugeworfen und Brin hatte mich einige Male davor gewarnt, mich weiterhin mit Stewart zu treffen, aber ich hatte es nicht hören wollen. Ich wusste, dass es falsch war, aber ich hatte mein eigenes Bauchgefühl ignoriert.

Heute Abend würde Stewart höchstwahrscheinlich bei mir auftauchen. Er drängte sich gerne in mein Leben und obwohl ich es gewesen war, der es zwischen uns beendet hatte, hatte ich ihn seitdem mehrere Male wieder in mein Bett gelassen. Es war der einzige Ort, an dem wir nicht stritten. Wenn sein Schwanz in mir war, konnte ich so tun, als wäre alles in Ordnung mit uns. Bis die Realität mich erneut einholte.

Aber ich musste mit diesem Mist aufhören, denn es war nicht besser als das, was ich meiner Mutter vor Jahren vorgeworfen hatte. Sie hatte meinen gewalttätigen Vater jahrelang zurückgenommen, obwohl er uns das Leben zur Hölle gemacht hatte. Und selbst als sie endlich fertig mit ihm gewesen war, war sie nur zum nächsten Arsch übergegangen. Wiederholte ich nur ein altbekanntes Muster? Meine Bilanz sah nicht gerade besser aus.

Der verkorksteste Teil war, dass jemand wie Stewart sich vertraut für mich anfühlte. Ich hatte mich an diesen Knoten im Bauch gewöhnt, an die ständige Erwartung, dass irgendetwas, das ich sagte oder tat, ihn verärgern würde.

Zuerst hatte ich es aufregend gefunden, dass jemand mich so sehr brauchte. Dass jemand nur mit mir zusammen sein wollte. Aber dann war es erdrückend und lediglich frustrierend geworden. Als wäre ich nicht länger ich selbst. Er spielte mit meinen Gefühlen und ich ließ es zu.

Aber nicht mehr, verdammt. Wenigstens war das die Geschichte, die ich mir selbst erzählte.

Kam beugte sich zu mir, um mir über den Rücken zu streicheln, während ich den Kopf ins Kissen drückte und stöhnte. Meine Wangen wurden heiß vor Scham, weil ich halb betrunken im Bett meines Freundes war. Ich hatte ihn immer bewundert: wie er den Kopf hoch erhoben hielt und spielend mit allem fertig wurde, obwohl das Leben ihm einige Herausforderungen geboten hatte. Er war vielleicht etwas zu angespannt, aber es funktionierte für ihn. Er war ohne Zweifel weit erfolgreicher als ich.

Das andere, an dem kein Zweifel bestand, war, dass ich am nächsten Morgen schreckliche Kopfschmerzen haben würde.

Kams Finger wirkten beruhigend, als er in Kreisen über meinen Rücken strich, und schließlich half das, mich zu entspannen. Er war gut darin, Trost zu spenden, und das sollte er auch sein – er hatte eine fünfjährige Tochter namens Olivia, die einige Wochenenden im Monat bei ihm verbrachte.

»Bist du sicher, dass ich heute hier schlafen kann?«, murmelte ich.

»Musst du erst fragen?« Er griff über mich hinweg, schaltete die Nachttischlampe aus und tätschelte meine Schulter. »Ziel einfach auf den Boden.«

Ich stöhnte. »Ich gebe mein Bestes.«

Über die Jahre hinweg hatte ich einige Male in seinem Bett geschlafen, aber in diesem Fall war es nicht schlecht, einen warmen Körper neben mir zu haben, der zufällig mein Kumpel war. Ich fragte mich, ob es ihm ebenso ging.

Seine Trennung war schrecklich gewesen. Er hatte gedacht, es wäre eine langfristige Beziehung, aber letztendlich hatte John Olivia nicht akzeptiert. Also hatte Kam während der letzten paar Monate Dates mit allen Männern oder Frauen abgeschworen, während er sich von seinem Liebeskummer erholte.

Daher fühlte ich mich jetzt wie ein Mistkerl, weil ich ihn im Frühling viel zu früh zu einem Date gedrängt hatte. Und wie das Karma es wollte, bekam ich jetzt mehr oder weniger dasselbe gesagt – geh raus, hab etwas Spaß, vergiss ihn.

Zur Hölle damit. Meine Hand reichte im Moment vollkommen, vielen Dank auch.

Ich hörte, wie Kams Atem gleichmäßiger wurde, und das beruhigte meinen rasenden Puls. Bald überwältigte der Schlaf auch mich.


 

Kapitel 2

 

 

Kamnan

 

Ich erwachte mit Elijahs warmem Körper neben meinem und seinem harten Schaft, der sich gegen meine Hüfte drückte. Meine Güte. Auch wenn es eine Weile zurücklag, seit ich mich zuletzt hatte flachlegen lassen, würde ich mit ihm auf keinen Fall so weit gehen. Egal, wie niedlich er war, auch halb betrunken und in seinen Tequila heulend.

Ganz offensichtlich machte seine Trennung dem Kerl noch zu schaffen. Er war erst vor Kurzem bei der Erkenntnis angelangt, dass Sex mit dem Ex nicht so gut war, wie immer behauptet wurde.

Aber als er gestern Abend im Bent Stewart mit jemand anderem gesehen und begonnen hatte, Shots herunterzustürzen, hatte ich gewusst, dass ich einschreiten musste. Er war immer etwas impulsiv gewesen, obwohl ihn das auch interessant machte. Auch wenn ich bei einigen Dingen, die aus seinem Mund kamen, das Gesicht verzog. Wenigstens hatte er sich seit der Highschool, als seine große Klappe ihm öfter Ärger eingebracht hatte, etwas gemäßigt.

Also hatte ich seine Schlüssel genommen und war mit ihm zu mir gefahren, denn das war es, was Freunde taten. Und vielleicht würde er den Gefallen irgendwann erwidern, wenn ich es am meisten brauchte.

Ich rollte vom Bett und aus seinem Griff, um ins Badezimmer zu stolpern und zu pinkeln. Meine Tochter würde in einer Stunde hier sein und ich musste kurz unter die Dusche, um mein Gehirn auf Touren zu bringen. Nicht, dass ich gestern Abend so viel getrunken hatte wie Elijah, aber ich hatte es mir definitiv gut gehen lassen, was eine ganze Weile nicht mehr passiert war.

Es fühlte sich gut an, unter dem warmen Strahl zu stehen. Mein Morgenständer war hart wie ein Wagenheber, also nahm ich meinen Schwanz in die Hand und masturbierte kurz, wobei ich darauf achtete, dass Elijah mich nicht hörte. Es hatte nichts mit ihm zu tun. Ich brauchte nur die Erleichterung, nachdem ich die letzten paar Monate enthaltsam gelebt hatte. Jetzt fühlte ich mit meinem Freund, denn ich war im selben geschlagenen Zustand gewesen, nachdem ich mit John Schluss gemacht hatte.

John hatte es zwar nie laut ausgesprochen, aber er hatte die Vorstellung gehasst, sich um ein Kind zu kümmern. Olivia verbrachte einige Wochenenden im Monat bei mir.

Ich war sogar mit meiner Tochter im Hinterkopf in eine Zweizimmereigentumswohnung gezogen. Ich hatte ihr Zimmer in leuchtendem Gelb, ihrer Lieblingsfarbe, dekoriert und sie hatte ein paar Kleider und Spielzeug hier. Immer, wenn sie gekommen war, war John mit der einen oder anderen Entschuldigung für mehrere Stunden verschwunden und hatte sich nie die Zeit genommen, sie besser kennenzulernen. Meine Ex-Frau und ich waren nach wie vor gut befreundet und John hatte sie irgendwie auch schlecht gemacht, was beschissen gewesen war.

Er hatte gewusst, dass ich bisexuell war, als wir uns kennengelernt hatten, und obwohl er selbst Teil des LGBTQ-Alphabets gewesen war, hatte er dieselben Vorurteile gehabt wie Heterosexuelle – als würde ich je fremdgehen oder ohne die Zustimmung meines Partners einen Dreier haben. Zur Hölle mit ihm.

Ich drehte das Duschwasser ab, trocknete mich ab und schlang mir dann das Handtuch um die Hüften.

»Hey, Schlafmütze«, bemerkte ich, als ich ins Zimmer zurückkam und merkte, dass Elijah wach war. »Damit du Bescheid weißt, Olivia wird bald hier sein.«

Sein Gähnen verwandelte sich in ein schläfriges Lächeln. »Cool. Ich hab sie ewig nicht mehr gesehen. Außer du willst, dass ich gehe, bevor sie hier ist.«

»Ach wo«, antwortete ich und kramte ein Paar Boxershorts aus der Schublade. »Sie liebt ihren Onkel Eli.«

»Sie ist die Einzige, die mich so nennt«, murmelte er ins Kissen.

»Ist das ein Problem?« Ich hielt mit den Fingern am Handtuch inne. »Es war für sie einfach leichter auszusprechen.«

»Überhaupt nicht«, erwiderte er mit Nachdruck. »Ich liebe es. Wünschte, mehr Leute würden mich so nennen.«

»Okay, Eli, beweg deinen Hintern und zieh dir etwas an«, sagte ich und beäugte ein haariges Bein, das unter der Decke hervorragte. »Ich mache uns Kaffee.«

Er stöhnte und kratzte sich am stoppeligen Kinn. Seine Haare waren ein Chaos aus braunen Büscheln, die in alle Richtungen abstanden.

»Wie fühlst du dich?«, fragte ich, während er sich den Schlaf aus den Augen rieb, deren haselnussbraune Farbe nach seinem elenden Abend etwas matt wirkte.

»Besser... glaube ich...« Er wälzte sich aus dem Bett und sein eigener Morgenständer ragte fast komisch unter seiner grauen Baumwollunterhose hoch. »Kann ich deine Dusche benutzen?«

»Natürlich.« Ich ließ mein Handtuch zu Boden fallen und stieg in meine Boxershorts.

»Nicht schlecht, Kam«, sagte Elijah mit einem weiteren Gähnen. »Ich würde für deine Bauchmuskeln töten.«

»Danke.« Während ich meinen Hosenbund zurechtrückte, war ich tatsächlich froh, dass ich mich durch regelmäßiges Radfahren in Form halten konnte. Außerdem erdete es mich und half mir, Dampf abzulassen. Ich wusste nicht, was ich ohne mein Rad oder mein Geschäft tun würde – den Spin Cycle-Laden im Herzen von Lakewood, wo es eine große Radfahrer- und Fußgänger-Gemeinschaft gab.

Ich marschierte in die Küche, um mit der neuen Maschine, die ich mir gerade letzten Monat gegönnt hatte, eine Kanne Kaffee aufzubrühen.

Im Frühling und Sommer lief das Geschäft immer gut, aber ich zählte mein Kleingeld, als wären wir immer noch frische Immigranten. Ich würde den Tag nie vergessen, als meine Mom und ich in New York City gelandet waren und die Bushaltestelle für den Greyhound gefunden hatten, um zum Haus meiner Tante in Cleveland zu fahren. Es gab einige Parallelen zwischen Bangkok und der großen Stadt, vor allem das Durcheinander an Leuten und Gebäuden, aber es war dennoch ein riesiger Kulturschock gewesen, auch im Alter von sechs Jahren.

Gerade als ich uns zwei dampfende Tassen einschenkte, klopfte es an der Tür.

Als ich öffnete, segelte Olivia praktisch in meine Arme und mir schwoll das Herz bis zum Bersten, was es immer tat, wenn ich sie sah. Es war schwer zu erklären, was es mit den eigenen Emotionen anstellte, einen echten Menschen produziert zu haben. Die bedingungslose Liebe, die ich empfand, ging durchs Dach. Es war definitiv nichts, das ich meinem Ex leicht hatte erklären können. Er hatte es immer so gesehen, dass ich meine Tochter ihm vorzog, ohne je zu verstehen, dass es verschiedene Arten von Emotionen waren und es einfach keine Konkurrenz gab.

»Sie hat sich so auf dein Wochenende gefreut«, sagte Samantha lachend, während sie zusah, wie ich das Gesicht am Hals meiner Tochter vergrub. »Ich muss los. Kurt wartet auf mich.«

»Habt ihr Pläne?«, fragte ich. Ihr aktueller Freund war ein guter Kerl und wenn die Dinge weiterhin so gut liefen, würden sie wahrscheinlich bald eine dauerhafte Bindung eingehen. Samantha hatte immer heiraten und Kinder haben wollen und obwohl es mit uns nicht funktioniert hatte, würde ich mich für sie freuen.

Wir waren so jung gewesen und Olivia hatte uns überrascht – richtig geschockt –, als wir gerade kurz vor der Trennung gewesen waren. Samantha hatte befürchtet, dass ich nicht am Leben meiner Tochter teilhaben wollen würde, aber ich war mit ganzem Herzen dabei, egal um welchen Preis. Auf keinen Fall würde ich wiederholen, was mein Vater meiner Mutter in Bangkok angetan hatte.

»Das Herbstfest in Norton«, antwortete sie und sah zum Fenster hinaus auf das bunte Laub. Sie umarmte Olivia ein letztes Mal, bevor sie zum Abschied winkte und zur Tür hinausging. »Viel Spaß!«

Ich nahm den bunten Rucksack meiner Tochter von ihren Schultern und stellte das unförmige, mit den Schätzen der Woche gefüllte Ding auf den Boden, gerade als sie Elijah entdeckte. Frisch geduscht war er auf das Sofa gesunken und hatte sich über seine dampfende Tasse Kaffee gebeugt, als enthielte sie sein Lebenselixier. Und nach seiner harten Nacht stimmte das vermutlich auch.

»Onkel Eli!«, quietschte Olivia, als sie auf ihn zustürmte.

»Du bist gewachsen!« In seiner Stimme lag Zuneigung, als er seine Tasse abstellte und ihren Pony zerzauste.

Als sie auf seinen Schoß kletterte und die Arme um seinen Hals warf, breitete sich Wärme wie eine Decke in meiner Brust aus.

Ich war dankbar, dass meine Freunde nichts dagegen hatten, dass Olivia immer an erster Stelle stand. Wahrscheinlich wären sie nicht meine Freunde, wenn es nicht so wäre.

»Daddy sagt, ich bekomme ein hübsches, neues Fahrrad!«, erklärte Olivia und tätschelte Elijahs Kinn, bevor sie von seinem Schoß sprang und eine Schachtel Buntstifte aus ihrem Rucksack zog, der sich halb auf den Boden entleert hatte.

»Ach ja?«, fragte Elijah mit einem kleinen Lachen. »Was ist mit deinem alten Rad passiert?«

»Es ist zu klein für sie geworden«, antwortete ich. »Willst du mitkommen? Wir machen auch eine Fahrt durch den Park.«

»Oh wunderbar, Sport«, bemerkte er und verdrehte die Augen. Er hoffte vermutlich, dass ich ihn vom Haken ließ, aber diesmal nicht. Ich blieb einfach stehen und beobachtete, wie er sich wand, während Olivia ihm ihren besten Welpenblick schenkte. Außerdem stand sein Auto noch immer vor der Bar, daher war er vorerst auf uns angewiesen. »Ich bin nicht gerade scharf auf Radfahren.«

»Vielleicht können wir das ändern«, antwortete ich mit einem Schulterzucken. Ich hatte schon früher versucht, ihn dazu zu bewegen, gemeinsam mit mir zu fahren, aber er hatte immer abgelehnt. Gehen war eher sein Ding und da er auf der Arbeit – und in letzter Zeit dank seines Nebenjobs auch zu Hause – immer mehrere angeleinte Hunde um sich hatte, verstand ich, warum.

»Ich besitze nicht mal ein Rad«, erinnerte er mich, während er das Malbuch durchblätterte, das Olivia ihm gerade zeigte.

»Du kannst jederzeit eins von meinen ausleihen.« Ich hob eine Augenbraue. »Hallo, ich habe ein Radgeschäft.«

»Ich werde nie ein ultimativer Triathlet werden wie du«, erwiderte er und deutete mit einem Finger auf mich.

»Ist das nicht übertrieben, du Dussel?« In Wahrheit hielt ich mich für das letzte Radrennen der Saison in Topform. »Vermisst du es nicht, mit dem abgenutzten Straßenrad, das du früher hattest, durch die Nachbarschaft zu fahren? Die schlichten Freuden der Kindheit?«

Ein Schatten huschte durch seine Augen, als er die Zähne zusammenbiss. Ich hatte kurz vergessen, dass seine Kindheit nicht die beste gewesen war – sein Vater war ein Mistkerl. Als wir uns in der Highschool angefreundet hatten, waren seine Eltern bereits auf die Scheidung zugegangen. Er war an den meisten Wochenenden dem Haus und all den Streitereien ferngeblieben, bis sein Vater endgültig gegangen war.

Auch mein Vater – nicht, dass er den Titel verdient hatte – war ein schönes Stück Arbeit gewesen; er hatte meine Mom im Stich gelassen, als sie schwanger geworden war. Er war ein amerikanischer Geschäftsmann gewesen, der für kurze Zeit in Bangkok gelebt hatte, und hatte sie offenbar glauben lassen, dass sie eines Tages heiraten würden. Es wäre anständig von ihm gewesen, wenigstens für das Kind zu sorgen, vor allem da sie von ihrer Familie ausgestoßen worden war, sobald die von der Schwangerschaft erfahren hatte. Stattdessen war er aus dem Land geflohen und wir hatten nie wieder etwas von ihm gehört.

Aber meine Mutter war selbst in so einer patriarchalischen Gesellschaft erfolgreich gewesen – hatte es sein müssen – und glücklicherweise hatten ihre ausgezeichneten Kochkünste geholfen. Trotzdem waren wir alleine in Thailand nur mühsam über die Runden gekommen. Als meine Tante nach uns geschickt hatte, waren wir mit einem Visum in die USA gekommen, hatten die Staatsbürgerschaft beantragt und der Rest war Geschichte.

Meine Mutter hatte mir beigebracht, gewissenhaft und fleißig zu sein, und als Erwachsener mit meinem eigenen Kind fand ich das noch wertvoller. Meine Arbeitsmoral hatte ich ihr zu verdanken. Sie hatte definitiv etwas damit zu tun gehabt, dass ich ein Geschäft eröffnet und zum Erfolg geführt hatte.

»Gehen wir auch Yaai besuchen?«, fragte Olivia. Sie liebte es, ihre Großmutter zu besuchen. Meine Mom und meine Tante waren Inhaberinnen der Thai Kitchen in Tremont, einem winzigen Laden, der ziemlich beliebt war. Es war ein schlichtes Lokal, dessen gutes Essen und authentische Rezepte gut ankamen.

»Natürlich«, sagte ich und küsste sie auf die Wange. »Sie kann es kaum erwarten, dich zu sehen.«

»Siehst du?«, meinte ich zu Elijah. »Kostenlose Fahrräder und Mittagessen. Und jetzt beweg deinen Hintern.«

Ich wusste nicht, warum ich nicht locker ließ wie sonst immer. Vielleicht wusste ich einfach, dass er in diesem Moment, nach gestern Abend, die Gesellschaft brauchte. Und vielleicht brauchte ich sie auch.


 

Kapitel 3

 

 

Elijah

 

Auf Olivias Bitte hin glitt ich auf den Rücksitz von Kams SUV, damit wir auf der Fahrt zu Kams Spin Cycle-Geschäft unsere Cinderella-Seiten fertig ausmalen konnten.

Wie zum Teufel hatte ich mich zu diesem Ausflug überreden lassen? Ganz offensichtlich lag es einzig daran, dass dieses kleine Mädchen mit den dunklen Locken und den verblüffend blauen Augen mich angefleht hatte mitzukommen. Aber Kam war nicht besser gewesen. Er schien es fast zu genießen, mich zu quälen. Es war nicht so, als hätte ich an meinem freien Tag nichts anderes zu tun. Aber Kam hatte gestern Abend meine Schlüssel genommen und sich um mich gekümmert und es war nicht wirklich eine Belastung, mit ihm und seiner Tochter Zeit zu verbringen, obwohl ich gerne so tat, als wäre es das.

Gerade als wir auf der Detroit vor den Radladen fuhren, fiel mir plötzlich auf, dass Kams Geschäft zwei Hausnummern neben dem Coffeeshop lag, in dem Stewart früher gearbeitet hatte und den er noch häufig besuchte. Das war lächerlich von mir. Er war höchstwahrscheinlich mit dem Kerl heimgegangen, an dem er sich gestern Abend gerieben hatte.

»Komm schon, Onkel Eli«, sagte Olivia aufgeregt, als wir aus dem Auto stiegen.

Im Geschäft verbrachten wir viel zu viel Zeit damit, ihr bei der Wahl eines Rads zu helfen. Sie hatte sich in ein leuchtend gelbes verliebt, aber ihr Dad setzte sie auf mehrere verschiedene Modelle, um sicherzugehen, dass es ihr wirklich gefiel. Kams Manager Jerome und ich grinsten uns an. Er wusste nur allzu gut, was für ein Perfektionist Kam sein konnte.

Ich konnte nur den Kopf schütteln und lächeln. Kam war bei Dingen, die ihm wichtig waren, immer mit Leidenschaft dabei. Wenn er sich eine Idee in den Kopf gesetzt hatte, zog er sie bis zum Ende durch: sein Geschäft, seine Beziehungen, seine Triathlons. Obwohl er in letzter Zeit nur ein paar Radrennen gefahren war. Triathlons waren viel aufwendiger und intensiver, also trat er vielleicht endlich etwas kürzer.

Als Olivia die Arme verschränkte und schmollte, erinnerte ich mich daran, dass sie ebenso stur sein konnte wie Kam. Als sie sich weigerte, vom gelben Modell abzulassen, das etwas zu groß für sie war, seufzte Kam und stellte den Sattel so niedrig, wie er konnte, um ihn an ihre Größe anzupassen.

»Danke, Daddy«, quietschte sie und schlang die Arme um seine Taille. »Ich will damit fahren!«

»Bereit?«, fragte Kam mich über ihre Schulter.

»Mit euch kann ich nicht mithalten«, gestand ich, aber das hatte er definitiv schon öfter gehört. Die einzige Aktivität, bei der ich vermutlich mit ihm mithalten konnte, war Wandern.

Kam grinste. »Mit einer Fünfjährigen?«

Ich streckte ihm die Zunge heraus. »Na gut. Gib mir eins.«

Während er ein gebrauchtes Rad vom Träger nahm, klopfte ich auf der Suche nach meinem Handy meine Taschen ab. »Ich hab mein Handy im Auto gelassen. Bin gleich zurück.«

Ich war draußen und hatte gerade auf dem Rücksitz nach meinem Handy gegriffen, als ich hörte, wie eine vertraute Stimme meinen Namen rief. Meine Schultern verspannten sich und zugleich drehte sich mir der Magen um. Verräter.

»Hey, Stewart«, sagte ich und drehte mich zu ihm um. Er hatte einen großen Eiskaffee in der Hand, also musste er von dem Coffeeshop kommen, wie ich es vorhin angenommen hatte. Wie üblich perfektes Timing von mir.

»Ich bin gestern Abend vorbeigekommen, aber du hast nicht reagiert«, sagte er mit seiner üblichen direkten beziehungsweise Geschäftsstimme. »Dachte, du wärst bei irgendwem mitgefahren, nachdem du diese Shots hattest.« Schätze, er hat doch auf mich geachtet. Der überlegene Tonfall hatte mich immer aufmerken lassen, als wir zusammen gewesen waren, aber jetzt laugte er mich aus. Stewart war schon immer hartnäckig gewesen und am Anfang unserer Beziehung hatte mich das begeistert; ich dachte, es bedeutete, dass er mich wirklich wollte.

Aber was ich schließlich erkannt hatte, war, dass er in Wirklichkeit nur Kontrolle gewollt hatte. Ich wusste, dass wir nicht füreinander bestimmt waren, aber manchmal gab ich nach – tatsächlich hätte ich ihn vielleicht hereingelassen, wenn ich gestern Nacht nicht bei Kam gewesen wäre. Das war vermutlich der Grund, warum Kam mich direkt zu sich mitgenommen hatte, ohne zu fragen. Er kannte mich und meine Vergangenheit mit diesem Mann.

Wenn Stewart und ich jetzt fickten, war es nur eine körperliche Erleichterung. Wir küssten uns nicht und hielten uns nicht mehr in den Armen – nicht mehr, seit wir uns getrennt hatten, obwohl ich mich verzweifelt danach gesehnt hatte, wieder gehalten zu werden. Allerdings musste sich das richtig anfühlen. Was Stewart und mich betraf, so würde es nie wieder so sein wie früher, solange er keine großen Veränderungen machte.

Und bis jetzt? Er war immer noch derselbe.

»Das liegt daran, dass ich nicht zu Hause war«, schnaubte ich. »Du musst aufhören vorbeizukommen. Das mit uns ist vorbei und du machst es nur schwerer für uns beide.«

»Das mit uns muss nicht vorbei sein«, antwortete er mit einer weicheren Stimme, die er immer nutzte, um mich rumzukriegen. »Du hast immer noch Gefühle für mich.«

»Du hast offensichtlich auch noch Gefühle für mich, aber das bedeutet nicht, dass wir die Richtigen füreinander sind.« In den letzten paar Monaten hatte ich wenigstens so viel gelernt.

»Wo warst du?«, fragte er mit einer gewissen Beharrlichkeit in der Stimme, während sein Blick zu Kams SUV hinüberglitt.

Ich zuckte mit den Schultern. »Vielleicht bin ich mit jemandem heimgegangen.«

»Mit wem?« Wut flammte in seinen Augen auf und ich fühlte mich sofort schuldig, bis ich mich an seine kleine Show gestern Abend erinnerte.

»Was ist mit diesem Kerl auf der Tanzfläche?«, fragte ich mit zusammengebissenen Zähnen.

»Ich habe nur...«

»Versucht, mich eifersüchtig zu machen.« Ich verschränkte die Arme.

Ohne darauf zu reagieren, fragte er: »Mit wem bist du heimgegangen?«

Ich hatte die Spielchen satt und stieß einen Seufzer aus. »Ich habe bei Kam geschlafen.«

Er verdrehte die Augen. »Deshalb bist du also gerade hier. Der Kerl könnte dir nie bieten, was ich...«

»Hör schon auf.« Ich kniff die Augen zusammen. »Kam war immer nett zu dir.«

Wenn man vom Teufel sprach – Kam schob Olivias neues Rad auf den Gehsteig hinaus. »Bist du bereit, Elijah?«

Olivia rannte heran und zog an meiner Hand, ganz offensichtlich voller Begeisterung. »Gehen wir, Onkel Eli.«

Stewart zog die Augenbrauen weit in die Höhe. Ich hatte schon von Olivia gesprochen, er hatte sie aber nie getroffen.

»Ich komme gleich, Süße«, antwortete ich mit einem kleinen Lachen. »Gib mir nur eine Minute.«

Sie rannte zu ihrem Daddy zurück und klatschte begeistert von ihrem Rad in die Hände, während sie einige Male die Klingel am Lenker läutete.

»Sieh mal einer an, wie gut du dich doch mit Kams Tochter verstehst.«