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Band 17

Herausgegeben von

Prof. em. Dr. Michael Jagenlauf, Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg

Prof. Dr. Werner Michl, Georg-Simon-Ohm-Fachhochschule, Nürnberg

Dipl. Soz.päd. Holger Seidel, M. S.M., Ostfalia Hochschule für angewandte

Wissenschaften, Braunschweig/Wolfenbüttel

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Marcus Weber, Dipl.-Sozialpädagoge mit dem Schwerpunkt Freizeitpädagogik, ist als pädagogischer Leiter im Offenen Ganztag an der Albert-Schweitzer-Grundschule in Neuss tätig, an der er erlebnispädagogische Projektstunden durchführt.

Hinweis

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnungen nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-02863-4 (Print)

ISBN 978-3-497-61164-5 (PDF)

ISBN 978-3-497-61173-7 (EPUB)

© 2019 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in Germany

Fotos im Innenteil: Marcus Weber

Satz: FELSBERG Satz & Layout, Göttingen

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: info@reinhardt-verlag.de

Inhalt

Vorwort

1     Erlebnispädagogik im Rahmen der Grundschule

1.1   Raum und Zeit im Schulalltag

Das Schulgesetz

Der Lehrplan

Die Schulleitung – Teil 1

Der Sachunterricht

Die Projektwoche

Klassenfahrten

1.2   Der Ganztag als Chance

Kursangebote

Ferienprogramme

1.3   Effekte erlebnispädagogischer Angebote auf das soziale Klima

1.4   Von der Idee zum Angebot – Überlegungen, Risiken und Haftung

Die Schulleitung – Teil 2

Die Eltern mit ins Boot holen

Verletzungsrisiken minimieren

Und wenn doch etwas passiert?

2     Anleitung zur Umsetzung der Aktionen

2.1   Die Rolle der Spielleitung

Auswahl von Aktionen

Vorbereitung der Aktion

Hinführung zur Aktion

Durchführung der Aktion

Anleitung der Reflexion

2.2   Der Teamkapitän

2.3   Der Ablauf der Aktionen

Einstimmungsphase

Erklärungsphase

Planungsphase

Präsentationsphase

Aktionsphase

Reflexionsphase

Abschlussphase

2.4   Der Umgang mit Rückschlägen

2.5   Die Aufgabe der Reflexion

3     Erlebnispädagogische Aktionen für den Grundschulalltag

3.1   Aktionen zum Kennenlernen und für den Wiedereinstieg

Kampf dem Superschurken

Verspätung

Was? Du auch?

Schwupps ... weg war es!

Hip-Hop

Wer bin ich?

ID-Code

Flunkern

Meine Ferien

Das bin ich!

3.2   Kooperationsspiele

Kling Glöckchen ... pssst!

Wolkenkratzer

Wabbel-Schwabbel

Das letzte Stück Kreide

Geburtstagskalender

Raupenwanderung

Der Haifischsee

Knubbeln

Wandertag

Abschlussprüfung

Es taut!

Kettenbrief

Tunneln

Das schnellste Kartenspiel der Welt

Gefahrentransport

Sitz!

Rechts, links, rechts, links ...

Ab nach Hause

Eingeklemmt

Abwärts!

Arme kleine Wolke

Auf Biegen und Brechen

Das Teamband

Platzwechsel

Auf den ersten Blick

Teamzentrale

Turmbau rückwärts

Ballonreise

Zurück ins Nest

Vier in einer Reihe

Hochstapler

Domino Challenge

Panzerknacker

Hinter Gittern

Schwammassel

Einlochen

Ballwechsel

Wassertransport

Team-Ping-Pong

Geometriestunde

Agententraining Teil 1

Agententraining Teil 2

Agententraining Teil 3

Das Teamtor

Schleuderpartie

Der Untergang der Bounty

Einschätzen

Präzise wie ein Schweizer Uhrwerk

Manege frei!

Bescherung

Bitte Platz zu nehmen!

Team-Memory

Maßarbeit

Kein Vor und kein Zurück

Mission Pipeline

Hoch, höher, am höchsten

Akute Einsturzgefahr!

Eier können fliegen

Schräge Vögel

Im Netz der Seidenspinne

Balljunge

Frisbee-Dart

Schaffe, schaffe, Häusle baue

Hin und her

Quidditch für Anfänger

Hula Hoop ohne Hoop

Engpass

Wie die alten Ägypter

Regenbogentipi

3.3   Aktionen zum Thema Vertrauen

Pendeln

Sturmfront

Bodyguards

Vertrauensgang

Blindschleiche

Sammelpunkt

Blindes Vertrauen

Der Pfad am Abgrund

Balanceakt

La Ola

4     Zwei Jahre nach der Grundschulzeit – ein Experiment

Literatur

Vorwort

„Plus est en vous! – In euch steckt mehr!“. Dieses Zitat von Kurt Hahn, einem der Begründer der Erlebnispädagogik, spiegelt sehr gut wider, was ich in den letzten Jahren durch meine Arbeit an einer Grundschule erleben durfte.

Als ich im Jahr 2010 an der Albert-Schweitzer-Grundschule in Neuss begann, ganz gezielt erlebnispädagogisch mit einer Klasse zu arbeiten, haben weder Lehrer, Eltern noch ich damit gerechnet, dass wir nach vier Jahren Grundschulzeit eine Klasse vor uns stehen haben würden, für die Zusammenhalt, Teamstärke und Kooperation so selbstverständlich sein würden wie der tägliche Gong zur großen Pause.

An unserer Schule gibt es seit dem Jahr 2008 das Konzept der offenen Ganztagsklassen, der sogenannten OGS-Klassen. Diese Klassen setzen sich ausschließlich aus Schülern zusammen, die den offenen Ganztag an unserer Schule besuchen. Sie haben in ihrem Stundenplan zusätzliche Projektstunden verankert, die von einer pädagogischen Fachkraft geplant, organisiert und durchgeführt werden. Ziel dabei ist es, die Schüler aus der klassischen Lernsituation herauszuholen und eine Auflockerung des Schulvormittags zu erreichen.

Für die Klasse 1b, der ich im Jahr 2010 mit dem Ziel zugeteilt wurde, das bestehende Konzept zu hinterfragen und weiterzuentwickeln, bedeutete dies, dass sie nun fortan einmal wöchentlich eine Projektstunde mit dem Schwerpunkt Team- und Kooperationsförderung in ihrem Stundenplan verankert hatte. Selbstverständlich ist ein wöchentlicher Rhythmus keine Voraussetzung, um erlebnispädagogische Einheiten in den Unterricht einbauen zu können. Prinzipiell können die Aktionen jeweils in einer Schulstunde umgesetzt werden, regelmäßig oder auch gelegentlich, ggf. auch in Projektwochen oder auf Klassenfahrten.

Im 1. Schuljahr meiner Klasse 1b fing alles ganz entspannt und harmlos an. Da ich meine Klasse erst einmal kennenlernen wollte, bot ich in den ersten sechs Wochen bis zu den Herbstferien überwiegend Kennenlernspiele sowie sogenannte Warm-up-Spiele an. Mein Ziel war es, einen ersten Eindruck von den Kindern zu gewinnen und gleichzeitig jedes einzelne Kind mit einem guten Gefühl in der Klasse ankommen zu lassen. Darüber hinaus fand ich meine Vorgehensweise auch deshalb sinnvoll, weil die Klasse aus insgesamt 26 Kindern bestand, die aus 16 verschiedenen Kindertagesstätten kamen.

Nach den Herbstferien stieg ich dann jedoch in die Thematik Team- und Kooperationsförderung ein. Zunächst berücksichtigte ich Aktionen, die ich im Laufe meines Studiums zum Sozialpädagogen sowie während meiner Tätigkeit als Kursleiter für einen Anbieter erlebnispädagogischer Klassenfahrten kennenlernen und verinnerlichen durfte. Dieses Repertoire reichte aus, um für meine Klasse diese wöchentliche Projektstunde anbieten zu können und uns als Klasse zu einer kleinen Gemeinschaft zusammenwachsen zu lassen.

Zu Beginn des 2. Schuljahres war ich sehr gespannt, was nach sechs Wochen Sommerferien an gelernten Verhaltensmustern noch vorhanden war. Zu meiner großen Überraschung war über die Ferien nicht so viel an ersten Strategien und Verhaltensmustern verloren gegangen, wie ich befürchtet hatte. Daher war es mir möglich, gewissermaßen nahtlos an den bisher vermittelten Kompetenzen anzuknüpfen und diese weiter zu verfestigen. Doch nun trat ein für mich unerwartetes Problem auf: Die Aktionen, die ich mir aus den verschiedensten auf dem Markt vorhandenen Praxishilfen für meine Projektstunden ausgewählt hatte, waren größtenteils so nicht auf die Altersgruppe der Sieben- bis Achtjährigen im Rahmen der Grundschule anwendbar. Entweder die Anforderungen waren deutlich zu hoch, oder aber die örtlichen Bedingungen ließen eine Durchführung in der beschriebenen Form nicht zu.

Also begann ich, die Aktionen den Fähigkeiten von Zweitklässlern sowie dem Raum Grundschule anzupassen, und entwickelte erste kleine eigene Aktionen, die ich sowohl innerhalb als auch außerhalb des Schulgebäudes stattfinden lassen konnte. Im Laufe des 2. Schuljahres geschah es immer häufiger, dass mich die Kinder mit der Anwendung von erlernten Teamstrategien in Erstaunen versetzten. Gleichzeitig war deutlich zu sehen, wie stark sich der Zusammenhalt dieser Klasse zum Positiven entwickelt hatte und die Kinder als Einheit auftreten konnten.

Diese Entwicklung setzte sich im 3. Schuljahr nahtlos fort. Der Zusammenhalt der Klasse festigte sich mehr und mehr, und die von mir angebotenen Aktionen meisterten die Kinder mit Bravour. Es war also für mich an der Zeit, die Anforderungen an die Klasse deutlich zu erhöhen, damit die Aktionen weiterhin als Herausforderungen für die Kinder wirken konnten. Ich orientierte mich mittlerweile an Aktionen, die ich ursprünglich der Sekundarstufe 1 zugeschrieben hatte, veränderte nur geringfügig etwas am Anspruch und passte die Aktionen den örtlichen Gegebenheiten an. Gleichzeitig fand die Entwicklung eigener Aktionsideen je nach Bedarf und Inspiration parallel weiter statt.

Wie stark der Zusammenhalt dieser Klasse zum Ende des 3. Schuljahres war, zeigte sich für Klassenlehrer, Eltern und mich in dem Moment, als wir einen Mitschüler verabschieden mussten, dessen Familie beschlossen hatte, ins Ausland auszuwandern. Die Klasse trauerte gemeinsam um den Verlust und den leeren Platz, den dieser Mitschüler hinterlassen würde. Gleichzeitig bauten sich diese Kinder gegenseitig auf und machten sich Mut für das letzte noch verbleibende gemeinsame Jahr. Ein Erlebnis, das sich in meiner Erinnerung nachhaltig verankert hat.

Aufgrund der Entwicklung, welche die Klasse durchlebt hatte, beschloss ich, im 4. Schuljahr den Fokus der Projektstunden auf das Thema Vertrauen zu legen. Dass die Kinder ein Team sein konnten und für diese Altersgruppe perfekt kooperierten, stand nun zweifelsfrei fest. Und da ich mir für den Abschluss der Grundschulzeit eine sehr herausfordernde Aufgabe überlegt hatte, war es notwendig, sich diesem wichtigen Thema zu widmen. Aufgrund des starken Zusammenhalts in dieser Klasse traten keine Schwierigkeiten auf, wenn Übungen mit Körperkontakt verbunden waren. Auch das Zusammenfinden von verschiedenen Paaren für die von mir ausgewählten Aufgaben war in dieser Klasse kein Problem. Hier kam jedes Kind mit jedem Klassenkameraden zurecht.

In der letzten Schulwoche war es dann soweit. Unsere Klasse fuhr auf Abschlussfahrt. Als Ziel hatten wir uns den Anbieter erlebnispädagogischer Klassenfahrten ausgewählt, bei dem ich während meines Studiums nebenbei gearbeitet hatte. Was den Kursleitern dort von Seiten der Kinder gezeigt wurde, versetzte diese deutlich erkennbar in Erstaunen. Denn vor ihnen stand ein Team, das wusste, wie man Problemstellungen angeht, worauf man achten muss und auch, wie man mit Rückschlägen umgeht. Aufgeben war keine Alternative. Diese Klasse wusste um ihre Stärke und ging selbstbewusst und gleichzeitig kontrolliert sowie zielorientiert damit um. Die letzte große Herausforderung, die ich mir während dieser Abschlussfahrt für die Kinder überlegt hatte, war die Übung „Vertrauensfall“. Bei dieser Übung lässt sich ein Gruppenmitglied auf einem Tisch stehend rückwärts in die Arme seiner Klassenkameraden fallen. Eine Aufgabe, die zum Abschluss das Adrenalin noch einmal mächtig hochschnellen ließ. Auch bei mir, denn zu guter Letzt habe ich mich auf den Tisch gestellt und mich in die Arme meiner Klasse fallen lassen. Als Beweis dafür, dass ich auf das vertraute, was diese Kinder leisten können, und als Dank dafür, dass ich vier Jahre mit diesen Kindern erleben durfte.

Seit zwei Jahren arbeite ich nun mit einer neuen OGS-Klasse und widme eine meiner Projektstunden der Team- und Kooperationsfähigkeit. Natürlich musste ich meine Erwartungen an diese neue Gruppe erst einmal herunterschrauben. Doch auch hier stelle ich mittlerweile fest, welche Bedeutung diese eine Stunde in der Woche für das soziale Gefüge dieser Klasse hat. Noch haben wir ein gemeinsames Stück an erlebnisreichen Aktionen vor uns. Doch ich bin davon überzeugt, dass auch diese Kinder nach vier Jahren Grundschulzeit verinnerlicht haben werden, was es bedeutet, ein Team zu sein.

Ich danke meinen KollegInnen, Vorgesetzten und Freunden Andrea Knopper, Sven Blatt, Viola Bos, Aleksandra Palach, Isabella Nickisch, Katharina Hambloch und Jennifer Falk für ihre Unterstützung meiner Arbeit, ebenso wie dem Reihenherausgeber Prof. Dr. Jagenlauf. Mein größter Dank gilt meinen SchülerInnen der Klasse 4b des Abschlussjahrgangs 2014 sowie den SchülerInnen der Klasse 3b des Schuljahres 2016/17 der Albert-Schweitzer-Schule in Neuss.

Mit diesem Praxisbuch möchte ich Sie ermutigen, auch an Ihrem Standort erlebnispädagogisch zu arbeiten. Suchen Sie sich Möglichkeiten, Erlebnispädagogik in den Schulalltag von Grundschulkindern zu integrieren. Sie werden sehen, es lohnt sich.

Neuss, Oktober 2016
Marcus Weber

Hinweis: Im Interesse der Lesefreundlichkeit wird in diesem Buch bei Personen- und Berufsbezeichnungen (Schüler, Lehrer, Teamkapitän usw.) ausschließlich die männliche Form genannt. Gemeint sind selbstverständlich immer Menschen beiderlei Geschlechts.

1     Erlebnispädagogik im Rahmen der Grundschule

1.1   Raum und Zeit im Schulalltag

So mancher Lehrer sowie viele Fachkräfte im Ganztag werden sich nun fragen: „Wie um Himmels willen soll ich auch noch erlebnispädagogische Stunden in meinen Arbeitsalltag integrieren?“. An einem üblichen Schulvormittag reihen sich die klassischen Schulfächer im 45-Minuten-Takt aneinander. Der Lehrplan lässt kaum Lücken für „Experimente“. Und auch am Schulnachmittag sieht es auf den ersten Blick nicht besser aus. Nach Unterrichtsende wartet als Erstes das Mittagessen, gefolgt von einer kurzen Erholungsphase in Form von Freispielzeit. Im Anschluss folgen die Hausaufgaben, die, trotz ständiger Diskussion über ihre Wirksamkeit, immer noch Bestandteil von Schule sind. Und zu guter Letzt folgen noch die Kursangebote, für deren Inanspruchnahme nicht selten eher die Wünsche der Eltern ausschlaggebend sind, als dass sie aus der Motivation der Kinder heraus besucht werden. Kurz gesagt: Es scheint also quasi unmöglich, noch Raum und Zeit für erlebnispädagogische Angebote zu schaffen. Doch wo ein Wille ist, ist auch ein Weg! Und es wird sich lohnen, so viel kann ich an dieser Stelle bereits versprechen.

In den nachfolgenden Abschnitten wird beispielhaft anhand der Schulgesetze und Lehrpläne einzelner Bundesländer aufgezeigt, welche Begründungen und Ansätze für die Etablierung von Erlebnispädagogik sich aus den einschlägigen gesetzlichen Regelungen in Deutschland ableiten lassen. Ganz ähnliche Beispiele finden sich auch in den Schulgesetzen und Lehrplänen der übrigen Bundesländer sowie Österreichs und der Schweiz.

Das Schulgesetz

Im Schulgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen heißt es: „[...] Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erziehung“ (§ 2 Abs. 2 SchulG). Das Schulgesetz für das Bundesland Bremen fordert, dass Schülerinnen und Schüler lernen sollen, „[...] eigene Verhaltensweisen einschätzen und verändern zu können und gegebenenfalls Hilfe anzunehmen; das als richtig und notwendig erkannte zu tun; [...] eigenständig wie auch gemeinsam Leistungen zu erbringen“ (§ 5 Abs. 3 Nr. 5 BremSchulG).

Solche oder ähnliche Aufträge an die Schule – Befähigung zum sozialen Handeln, Förderung der Persönlichkeitsentfaltung, Befähigung zu selbstständigen Entscheidungen sowie zum selbstständigen Handeln und die Entwicklung eines Verantwortungsbewusstseins für das Gemeinwohl – sind in vielen Schulgesetzen zu finden. Und genau an diesen Aspekten setzt die Erlebnispädagogik mit ihren verschiedenen Erfahrungsinhalten an. Somit bieten die Schulgesetze eine optimale Argumentationsgrundlage für die Installation erlebnispädagogischer Angebote im Schulalltag.

Der Lehrplan

Schaut man sich als Beispiel den Rahmenlehrplan für das Fach Sachunterricht in der Grundschule für die Bundesländer Brandenburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern einmal genauer an, so findet man schnell heraus, dass es durchaus im Sinne des Lehrplans für Grundschulen ist, Unterrichtszeit für erlebnispädagogische Lerninhalte zur Verfügung zu stellen. Dort heißt es im Kapitel 2 „Der Beitrag des Faches zur Bildung und Erziehung in der Grundschule“ unter dem Punkt „Soziale Kompetenz“, dass die Schüler die Fähigkeit erlernen sollen, verantwortlich zu handeln, und dass sie das Eingebundensein in eine Gemeinschaft erleben sollen (MBJS et al. 2004). Weiter sollen die Schüler laut diesem Lehrplan dazu befähigt werden, „[...] mit anderen Probleme zu bearbeiten, dabei ihre Ideen einzubringen und die Ideen anderer zu reflektieren. Sie sind in der Lage, mit anderen zu kommunizieren und dabei sachbezogen zu argumentieren“ (MBJS et al. 2004, 18).

Natürlich finden diese Themen auch ohne erlebnispädagogische Angebote ihren Platz im Grundschulalltag. Doch der ohnehin schon knapp bemessene Zeitrahmen des gesamten Lehrplans sowie die teilweise fehlenden Lehrerkontingente lassen dies nur punktuell oder zu konkreten Anlässen zu. Will der Lehrer also seiner sich aus dem Lehrplan ergebenden Aufgabe gerecht werden, benötigt er ein fest verankertes Zeitkontingent im Stundenplan seiner Klasse, welches er dann mit erlebnispädagogischen Inhalten gestalten kann.

Die Schulleitung – Teil 1

„Die Schulleiterinnen und Schulleiter sind für die Durchführung der Erziehungs- und Unterrichtsarbeit im Rahmen des Bildungsauftrages der Schule [...] verantwortlich“, so heißt es im Schulgesetz für das Land Rheinland-Pfalz (§ 26 Abs. 1 SchulG RLP). Somit muss die Schulleitung dafür Sorge tragen, dass die im Lehrplan verankerten Lerninhalte umgesetzt und die sich daraus ergebenden Lern- und Kompetenzziele erreicht werden. Genau durch diesen Leitungsauftrag kann die Schulleitung, in Absprache mit ihrem Lehrerkollegium, ein gewisses Stundenkontingent zur Verfügung stellen, in dessen Umfang der Lehrer seinen Unterricht erlebnispädagogisch gestalten kann.

Der Sachunterricht

Wie bereits im Kapitel „Der Lehrplan“ angedeutet, bietet sich für eine Förderung der Schüler im Bereich Team- und Kooperationsfähigkeit im Schulvormittag der Sachunterricht an. Solche Angebote könnten als Thema im Schulvormittag ihren Platz finden. Ideal wäre es jedoch, entsprechende erlebnispädagogische Aktionen in einer gewissen Regelmäßigkeit, über das gesamte Schuljahr bzw. idealerweise über die gesamten vier Grundschuljahre in den Schulvormittag zu integrieren. Dies kann bereits in Form eines monatlich stattfindenden Angebots erfolgen. Vielleicht ergibt sich aber auch die Möglichkeit, erlebnispädagogische Einheiten mit dem Ziel der Förderung von Team- und Kooperationsfähigkeit in einem zweiwöchigen Rhythmus oder sogar einmal wöchentlich anzubieten.

Egal, für welche Häufigkeit man sich zunächst entscheidet, fest steht: Je häufiger solche Aktionen, wie sie in diesem Praxisbuch aufgeführt sind, in den Unterricht integriert werden, desto nachhaltiger wird der Erfolg für die Klasse am Ende des angesetzten Zeitraums sein.

Die Projektwoche

Projektwochen bieten die Möglichkeit, Schüler „[...] durch innovative Methoden aus der Reserve zu locken, sie zu Handlungs- und Verantwortungsbereitschaft und zum selbstständigen Lernen anzuleiten und ihre Teamfähigkeit, soziale Kompetenz und Selbstkompetenz zu stärken“ (Kley 2015, o. S.).

Neben beliebten Themen wie beispielsweise gesunde Ernährung, Umwelt oder Bewegung können in Projektwochen auch team- und kooperationsfördernde Lerninhalte angeboten werden. Zu Beginn solcher Wochen bietet es sich bei jüngeren Jahrgängen in der Grundschule an, die Thematik im Klassenverband zu besprechen und erste Kooperationsaufgaben durchzuführen. Der gewohnte Klassenverband bietet den Schülern Sicherheit und Vertrauen, um sich zu öffnen und auf das Neue einzulassen.

Bei älteren Jahrgängen oder nach den ersten erfolgreich absolvierten Projekttagen kann man auch dazu übergehen, mit Parallelklassen zu kooperieren oder altersgemischte Gruppen zu bilden, in denen sowohl die jüngeren Schüler von den älteren lernen als auch die älteren Schüler auf die jüngeren Rücksicht nehmen müssen. Zum Abschluss einer solchen Woche kann die Schule für die Familien der Schüler und interessierte Besucher geöffnet werden und präsentieren, was die Schüler in der vergangenen Woche an neuen Sozialkompetenzen erlernt haben. Dies kann durch kurze Vorträge, vorgeführte Aktionen oder auch durch von den Schülern angeleitete Team- und Kooperationsaufgaben, die dann von den Besuchern gelöst werden müssen, geschehen.

Klassenfahrten

Klassenfahrten „[...] sind wichtige Elemente des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schulen“ (HKM 2009, Vorbemerkung). Viele Schulen der Sekundarstufe setzen Klassenfahrten zu Beginn eines Schuljahres bzw. beim Wechsel von der Primar- in die Sekundarstufe an, um durch gemeinsam verbrachte Zeit und durch gemeinsame Erlebnisse das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Klasse zu stärken. Dies ist aufgrund des Alters bei Grundschülern, zumindest mit Eintritt in die Schullaufbahn in Klasse 1, eher problematisch. Häufig werden erst ab Klasse 3 Klassenfahrten unternommen, da der Lehrer dann seine Klasse bereits gut kennt und bei den Schülern das Thema Heimweh nicht mehr ganz so akut ist.

Doch egal, in welchem Alter die Schüler sind, Klassenfahrten bieten eine sehr gute Möglichkeit, erlebnispädagogisch an der Team- und Kooperationsbereitschaft der Schüler zu arbeiten. Sehr engagierte Lehrer und Pädagogen planen und organisieren ihre Klassenfahrt eigenständig. Es gibt jedoch auch zahlreiche erlebnispädagogische Anbieter für Klassenfahrten auf dem Markt, die mit Jugendherbergen oder Gruppenhäusern kooperieren und mit geschultem Personal die Programmgestaltung der gebuchten Tage übernehmen. Das Internet bietet dabei eine gute Möglichkeit, die Vielzahl der Programme und Anbieter zu vergleichen.

1.2   Der Ganztag als Chance

Welche Möglichkeiten für die Umsetzung erlebnispädagogischer Angebote das Konzept der Ganztagsschule bietet, soll hier am Beispiel Nordrhein-Westfalens aufgezeigt werden. Dort existiert bereits seit dem Jahr 2003 die offene Ganztagsschule im Primarbereich. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie mehr Chancengleichheit und Bildungsqualität für die Kinder sind die obersten Anliegen, welche die Landesregierung mit deren Einführung verfolgt (MSJK 2004, 4).

Viele Schulträger haben die Organisation und Durchführung dieses außerunterrichtlichen Angebots an Träger der freien Jugendhilfe abgegeben. Diese entwickeln Konzepte, um das Angebot vor Ort an die Bedürfnisse des jeweiligen Standorts anzupassen. Die dadurch entstandene Vielfalt an individuellen und innovativen Konzepten hat dazu geführt, dass viele Standorte Möglichkeiten entwickelt haben, erlebnispädagogische Angebote zum Zweck der individuellen und ganzheitlichen Bildung von Kindern, der Entwicklung ihrer Persönlichkeit sowie dem Erwerb von Selbst- und Sozialkompetenzen in den Schultag zu integrieren (MSW NRW 2010).

Kursangebote

Der Erlass für gebundene und offene Ganztagsschulen in Nordrhein-Westfalen sieht u. a. vor, dass den Schülern „[...] zusätzliche Zugänge zum Lernen und Arbeitsgemeinschaften [...] sowie sozialpädagogische Angebote, insbesondere im Rahmen von Projekten der Kinder- und Jugendhilfe (zum Beispiel interkulturelle, geschlechtsspezifische, ökologische, partizipative, freizeitorientierte und offene Angebote)“ ermöglicht werden (MSW NRW 2010, 1).

Da erlebnispädagogische Angebote auf genau diese Bildungsaspekte abzielen, finden diese zunehmend ihren Platz im Schulnachmittag. Als Beispiele lassen sich u. a. Angebote zu folgenden Zielen aufführen:

images  Stärkung der Gruppen- / Klassengemeinschaft

images  Entwicklung eines „Wir-Gefühls“

images  Förderung der Kooperationsfähigkeit

images  interkulturelle Lernprozesse

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