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Die Herausgeber

Jörn Munzert ist Professor für Sportpsychologie und Bewegungswissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Er war von 2003–2005 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie (asp) und von 2005–2008 Geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift für Sportpsychologie.

Markus Raab ist Professor für Psychologie an der Deutschen Sporthochschule Köln und zugleich Professor an der London South Bank University, UK. Von 2009–2012 war er Geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift für Sportpsychologie. Er ist Präsident der Europäischen Vereinigung für Sportpsychologie (FEPSAC).

Bernd Strauß ist Professor für Sportpsychologie an der Universität Münster. Von 2001–2004 war er Geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift für Sportpsychologie und ist seit 2011 zusammen mit Nikos Ntoumanis (AUS) Editor-in-Chief der Zeitschrift »Psychology of Sport and Exercise«. Von 2003–2009 fungierte er als Präsident der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft, seit 2013 ist er Präsident der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie (asp).

Jörn Munzert, Markus Raab, Bernd Strauß (Hrsg.)

Sportpsychologie

Ein Lehrbuch

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2020

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-021436-1

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-035503-3

epub:    ISBN 978-3-17-035504-0

mobi:    ISBN 978-3-17-035505-7

Verzeichnis der Autor*innen

 

 

Dr. Dennis Dreiskämper, Arbeitsbereich Sportpsychologie, Institut für Sportwissenschaft, Universität Münster

Prof. Dr. Anne-Marie Elbe, Institut für Sportpsychologie und Sportpädagogik, Sportwissenschaftliche Fakultät, Universität Leipzig

Prof. Dr. Reinhard Fuchs, Arbeitsbereich Sportpsychologie, Institut für Sportwissenschaft, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Dr. Philip Furley, Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik, Deutsche Sporthochschule Köln

Prof. Dr. Norbert Hagemann, Arbeitsbereich Psychologie und Gesellschaft, Institut für Sport und Sportwissenschaft, Universität Kassel

Prof. Dr. Mathias Hegele, Arbeitsbereich Experimentelle Sensomotorik, Institut für Sportwissenschaft, Justus-Liebig-Universität Gießen

Dr. Sandra Klaperski, Faculty of Social and Behavioural Sciences, University of Amsterdam

Prof. Dr. Jens Kleinert, Psychologisches Institut, Deutsche Sporthochschule Köln

Dr. Axel Kohler, Goethe Research Academy for Early Career Researchers (GRADE), Goethe-Universität Frankfurt a.M.

PD Dr. Florian Loffing, Institut für Sportwissenschaft, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Prof. Dr. Daniel Memmert, Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik, Deutsche Sporthochschule Köln

Prof. Dr. Jörn Munzert, Arbeitsbereich Sportpsychologie und Bewegungswissenschaft, Institut für Sportwissenschaft, Justus-Liebig-Universität Gießen

Dr. Fabian Pels, Psychologisches Institut, Deutsche Sporthochschule Köln

Prof. Dr. Dr. Markus Raab, Psychologisches Institut, Deutsche Sporthochschule Köln und London South Bank University, UK

Prof. Dr. Jörg Schorer, Institut für Sportwissenschaft, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Dr. Vanda Sieber, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Zürich

Dr. Kathrin Staufenbiel, Arbeitsbereich Sportpsychologie, Institut für Sportwissenschaft, Universität Münster

Prof. Dr. Bernd Strauß, Arbeitsbereich Sportpsychologie, Institut für Sportwissenschaft, Universität Münster

Prof. Dr. Maike Tietjens, Arbeitsbereich Sportpsychologie, Institut für Sportwissenschaft, Universität Münster

Dr. Karsten Werner, Forschungsgruppe »Kognition und Motorik«, Universität Potsdam

Dr. Kathrin Wunsch, Institut für Sport und Sportwissenschaft, Karlsruher Institut für Technologie

Prof. Dr. Karen Zentgraf, Arbeitsbereich Bewegungs- und Trainingswissenschaft, Institut für Sportwissenschaften, Goethe-Universität Frankfurt a.M.

Inhaltsverzeichnis

 

 

  1. Verzeichnis der Autor*innen
  2. Einleitung
  3. Jörn Munzert, Markus Raab & Bernd Strauß
  4. 1 Forschungsmethoden in der empirischen Sportpsychologie
  5. Karen Zentgraf & Axel Kohler
  6. 1.1 Forschungsmethoden als Mittel zur Erkenntnisgewinnung
  7. 1.2 Maße und Messmethoden in der Sportpsychologie
  8. 1.3 Ethische Aspekte empirischen Arbeitens in der Sportpsychologie
  9. Übungsfragen
  10. Literaturvorschläge zum Weiterlesen
  11. Literatur
  12. 2 Wahrnehmung und Bewegung im Sport
  13. Jörn Munzert & Jörg Schorer
  14. 2.1 Grundlagen des Zusammenhangs von Wahrnehmung und Bewegung
  15. 2.2 Die Rolle der visuellen Wahrnehmung im Leistungssport
  16. 2.3 Das Training von Wahrnehmung
  17. Übungsfragen
  18. Literaturvorschläge zum Weiterlesen
  19. Literatur
  20. 3 Aufmerksamkeit
  21. Daniel Memmert & Philip Furley
  22. 3.1 Einleitung
  23. 3.2 Aufmerksamkeitsdimensionen
  24. Übungsfragen
  25. Literaturvorschläge zum »Weiterlesen«
  26. Literatur
  27. 4 Motorisches Lernen
  28. Mathias Hegele
  29. 4.1 Einleitung
  30. 4.2 Theorien und Modelle des motorischen Lernens
  31. 4.3 Einflussfaktoren motorischen Lernens
  32. Übungsfragen
  33. Literaturvorschläge zum Weiterlesen
  34. Literatur
  35. 5 Mentales Training und Simulationstraining
  36. Jörn Munzert & Karen Zentgraf
  37. 5.1 Grundlegende Experimente und Darstellung der Reviews und Meta-Analysen – was versteht man unter Mentalem Training?
  38. 5.2 Experimentelle Grundlagen der Bewegungsvorstellung und des Mentalen Trainings
  39. 5.3 Experimentelle Zugänge zu Bewegungsvorstellung und Bewegungsvorstellungstraining
  40. 5.4 Anwendungsbereiche des Mentalen Trainings
  41. 5.5 Motor Imagery und Brain-Machine Interfaces in der Neurorehabilitation
  42. Übungsfragen
  43. Literaturvorschläge zum Weiterlesen
  44. Literatur
  45. 6 Expertise
  46. Norbert Hagemann & Florian Loffing
  47. 6.1 Einleitung
  48. 6.2 Was ist Expertise?
  49. 6.3 Entstehung der Expertiseforschung
  50. 6.4 Der Experten-Novizen-Vergleich und die Expertiseforschung im Sport
  51. 6.5 Erklärungen von Expertenleistungen und die Bedeutung von deliberate practice
  52. 6.6 Weitere Erklärungsfaktoren und ein multifaktorielles Modell
  53. Übungsfragen
  54. Literaturvorschläge zum Weiterlesen
  55. Literatur
  56. 7 Embodiment
  57. Markus Raab und Karsten Werner
  58. 7.1 Embodiment-Forschung
  59. 7.2 Theoretische Grundlagen
  60. 7.3 Empirische Grundlagen
  61. 7.4 Relevanz der Embodiment-Forschung für die Sportpsychologie
  62. Übungsfragen
  63. Literaturvorschläge zum Weiterlesen
  64. Literatur
  65. 8 Soziale Einflüsse auf Verhalten und Leistungen
  66. Kathrin Staufenbiel & Bernd Strauß
  67. 8.1 Einleitung
  68. 8.2 Sozialer Einfluss durch die bloße oder aktive Anwesenheit
  69. 8.3 Sozialer Einfluss durch Persuasion
  70. 8.4 Sozialer Einfluss durch Normen
  71. Übungsfragen
  72. Literaturvorschläge zum Weiterlesen
  73. Literatur
  74. 9 Gruppe und soziale Beziehungen
  75. Jens Kleinert & Fabian Pels
  76. 9.1 Einleitung
  77. 9.2 Begriffliche Bestimmungen
  78. 9.3 Modelle und Theorien
  79. 9.4 Treatments und Gruppenfaktoren
  80. 9.5 Zielgrößen
  81. 9.6 Transfer gruppenexperimenteller Erkenntnisse in die Praxis des Sports
  82. 9.7 Ausblick auf gruppenexperimentelle Forschung
  83. Übungsfragen
  84. Literaturvorschläge zum Weiterlesen
  85. Literatur
  86. 10 Motivation und Volition
  87. Anne-Marie Elbe & Vanda Sieber
  88. 10.1 Einführung in das Thema Motivation und Volition
  89. 10.2 Wie erfasst man Motivation und Volition? Darstellung verschiedener Verfahren
  90. 10.3 Welche Konstrukte werden gemessen und welche (sportspezifischen) Instrumente gibt es?
  91. Übungsfragen
  92. Literaturvorschläge zum Weiterlesen
  93. Literatur
  94. 11 Emotionen und Stress
  95. Reinhard Fuchs, Kathrin Wunsch & Sandra Klaperski
  96. 11.1 Stresstheoretische Grundlagen
  97. 11.2 Stress und Angst im Leistungssport
  98. 11.3 Stressregulation durch Sportaktivität
  99. Übungsfragen
  100. Literaturvorschläge zum Weiterlesen
  101. Literatur
  102. 12 Selbstbezogenes Wissen im Kontext von Sport und physischer Aktivität: Das physische Selbstkonzept (PSK)
  103. Maike Tietjens & Dennis Dreiskämper
  104. 12.1 Einführung
  105. 12.2 Selbstkonzept und Sport(-psychologie)
  106. 12.3 Vorherrschende methodische Designs und Messinstrumente
  107. 12.4 Wirkungen des PSK: Exercise and Self Esteem Model und Reciprocal-Effect-Model
  108. 12.5 Experimentelle, quasi-experimentelle und longitudinale Studien zum (physischen) Selbstkonzept
  109. 12.6 Interventionsstudien
  110. Übungsfragen
  111. Literaturvorschläge zum Weiterlesen
  112. Literatur
  113. Stichwortverzeichnis

Einleitung

Jörn Munzert, Markus Raab & Bernd Strauß

 

 

Sportpsychologie beschäftigt sich mit den Ursachen, Bedingungen und Folgen des Erlebens und Verhaltens im Sport (bzw. auch weitergehend in allen Formen der Bewegung) und leitet daraus auch Möglichkeiten der Beeinflussung ab, wie beispielsweise die Optimierung von Leistung durch mentale Prozesse im Leistungssport oder Maßnahmen zur Prävention von Gesundheitsrisiken sowie Krankheiten, aber auch zur Rehabilitation von Erkrankungen im Gesundheitssport. Sportpsychologie ist methodologisch, aber auch bezüglich ihrer Theoriebestände, der Basiswissenschaft Psychologie verpflichtet, sieht sich aber auch eng verbunden mit Disziplinen der Sportwissenschaft wie Bewegungswissenschaft, Sportmedizin, Sportsoziologie und Sportpädagogik.

Wie bspw. in dem Standard-Lehrbuch für Sportpsychologie von Weinberg und Gould (2018) ausführlich dargestellt wird, besitzt die Sportpsychologie drei Funktionen: Forschung, Lehre und Beratung bzw. Intervention im sportpraktischen Bereich in den Anwendungsfeldern Leistungs- und Gesundheitssport.

Die ersten Anfänge der Sportpsychologie als Wissenschaft vom Erleben und Verhalten des Menschen im Sport finden sich national und international bereits vor über 100 Jahren. So untersuchte bspw. Mosso (1884) den Einfluss des Turnens auf das Lernen und Triplett (1898) den Einfluss der Anwesenheit anderer auf motorische Leistungen. Diese letztere Studie hat große Bedeutung in der Psychologie als eines der ersten sozialpsychologischen Experimente, wie auch in der Sportpsychologie als eine der ersten empirischen Studien, die der Sportpsychologie zugerechnet werden können. Darüber hinaus hat sie auch große Bedeutung für dieses Lehrbuch, weil schon mit dieser Studie der Wert und die Bedeutung experimentellen wissenschaftlichen Arbeitens in der Sportpsychologie, auch für die Theoriebildung, deutlich wurde. Sie kann aber auch gleichzeitig als ein gutes Beispiel für die vielfältigen methodischen Zugänge in der empirisch orientierten Sportpsychologie gesehen werden (vgl. ausführlich Strauß, 1999; 2002).

Triplett (1898) stellte zunächst in einer archivarischen Studie anhand der Ergebnisstatistiken der Radrennsaison aus dem Jahre 1897 fest, dass Radrennfahrer mit Schrittmacher um gut 25% schneller gefahren waren als ohne. Triplett erklärte dies u. a. damit, dass die körperliche Gegenwart eines anderen den Wettkampfinstinkt anregt. Allerdings ermöglicht dieser methodische Beobachtungszugang nur die Entwicklung von Hypothesen, nicht aber die Überprüfung von Ursachen. Hierzu bedarf es eines experimentellen Zugangs, in dem Ursachen und Wirkungen voneinander getrennt werden können. Zur präziseren Überprüfung seiner vorläufigen Vermutungen, die er aus Beobachtungen abgeleitet hatte, führte er folgendes Experiment durch: Seinen Versuchspersonen (Schulkindern) stellte er die Aufgabe, eine Kurbel an einer von ihm konstruierten »competition machine« so schnell wie möglich zu drehen – in einer Bedingung alleine und in der anderen Bedingung im Wettstreit mit einer anderen Person. Es zeigte sich, dass ein Teil der Personen ihre Leistungen in der Wettkampfbedingung verbesserte, ein anderer Teil aber Leistungsverschlechterungen aufwies. Triplett argumentierte, dass durch die körperliche Gegenwart eines Konkurrenten Energie freigesetzt wird, die leistungsfördernde, aber auch leistungshemmende Auswirkungen haben kann. Diese klassische Studie war dann im Übrigen auch der Startpunkt für zahlreiche weitere empirische sozialpsychologische und sportpsychologische Untersuchungen zu der Frage, ob die Anwesenheit anderer förderlich oder hinderlich bei der Leistungserbringung ist (»social facilitation«), sei es im kognitiven oder im motorischen Bereich.

Die Geschichte der Sportpsychologie kann nach Janssen (2009) in drei grundsätzliche Phasen unterteilt werden:

1.  Phase der Vorläufer: Visionäre und Pioniere (bis 1918);

2.  Phase der partiellen Institutionalisierung (1919 bis 1945);

3.  Phase der internationalen Professionalisierung (ab 1946 bis Gegenwart).

Die Entwicklung der Sportpsychologie als Wissenschaftsdisziplin ist gekennzeichnet von der Orientierung an drei Säulen, nämlich a) der wissenschaftlichen Psychologie und ihren methodischen Grundlagen, b) der Sportwissenschaft und ihren Teildisziplinen und c) den verschiedenen Anwendungsfeldern im Sport (wie z. B. dem Leistungssport, dem Gesundheitssport, dem Freizeitsport), aber mittlerweile auch außerhalb des Sports, wie z. B. im Wirtschafts- und Medizinbereich (z. B. in der Anwendung des mentalen Trainings). Heckhausen (1979; vgl. auch Willimczik, 2006; Gabler, 2003) spricht in seinem sehr einflussreichen Beitrag in ähnlicher Weise von den drei Eckpunkten eines »magischen« Dreiecks, in dem sich die Sportpsychologie befindet: »Die Eckpunkte des Dreiecks werden besetzt von der Mutterdisziplin Psychologie, von den anderen sportwissenschaftlichen Einzeldisziplinen und schließlich von der sportpraktischen Fachöffentlichkeit« (ebd., S. 43).

In Deutschland sind beim Aufbau und der Festigung der Sportpsychologie seit den ersten Anfängen in den zwanziger Jahren die internationalen und nationalen politischen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, wie der Zweite Weltkrieg, die Folgen des »Kalten Krieges«, dessen Überwindung und die deutsche Wiedervereinigung im Jahre 1990. In seinem ausführlichen Überblick geht Janssen (2009) dabei insbesondere auch auf die nach 1945 unterschiedlichen Entwicklungen der Sportpsychologie in Ost- und Westdeutschland ein und beschreibt darüber hinaus detailliert den Stand der universitären Sportpsychologie nach 1989 im wiedervereinigten Deutschland. Über die internationale Entwicklung, insbesondere in den USA mit dem Beginn der Etablierung der Sportpsychologie durch Coleman Griffith, dem »Vater der Sportpsychologie in Nordamerika« und seine umfangreichen und einflussreichen Arbeiten wie »The Psychology of Coaching« (1926), kann man sich z. B. besonders bei Voelker und Gould (2014) informieren.

International wie auch in Deutschland liegt der Beginn der Institutionalisierung der Sportpsychologie an den Hochschulen und in den Fachgesellschaften in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts (vgl. z. B. Strauß, 2007, 2019). So wurde z. B. 1965 die Weltorganisation für Sportpsychologie ISSP (International Society of Sport Psychology) und 1969 die europäische FEPSAC (Fédération Européenne de Psychologie des Sports et des Activités Corporelles) gegründet. Diese Gründungen, an denen Wissenschaftler aus beiden Teilen Deutschlands entscheidend beteiligt waren, führten zur internationalen und nationalen Vernetzung und zu einem nachhaltigen Austausch von sportpsychologischen Erkenntnissen, z. B. im Rahmen von sportpsychologischen Kongressen der jeweiligen Fachgesellschaften oder von eigens gegründeten wissenschaftlichen Fachzeitschriften, die zur Qualitätskontrolle strenge Peer-Review-Verfahren vorsehen. Zum Beispiel wurde bereits 1970 das International Journal of Sport Psychology als Zeitschrift der ISSP gegründet und 2000 brachte die FEPSAC das Psychology of Sport and Exercise im Elsevier-Verlag heraus, mittlerweile eine der weltweit führenden sportpsychologischen Zeitschriften.

Ein markanter Punkt für die erfolgreiche Entwicklung der Sportpsychologie in Deutschland war 1969 die Gründung der Fachgesellschaft für Sportpsychologie in Münster, der asp (Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie e. V.), die jährlich sportpsychologische Kongresse veranstaltet, seit 1987 ebenfalls eine eigene Zeitschrift unterhält (»Zeitschrift für Sportpsychologie« im Hogrefe-Verlag) und mittlerweile fast 500 Mitglieder hat. Eine aktuelle Darstellung zur Gründung und zur Entwicklung der asp ist Strauß (2019) zu entnehmen.

Ein wesentlicher Aspekt der internationalen Vernetzung ist die Aus-, Fort- und Weiterbildung in der Sportpsychologie, um den Bedarf in zunehmend ausdifferenzierten sportpsychologischen Arbeitsfeldern in Deutschland wie auch Europa zu decken (vgl. Hanin, 2005). Die FEPSAC bietet seit einigen Jahren mit zahlreichen europäischen Hochschulen einen europäischen Masterstudiengang für Sportpsychologie an (European Masters Degree in Exercise and Sport Psychology), in Deutschland bietet die asp ein entsprechendes Curriculum für die sportpsychologische Beratung im Leistungssport an (vgl. Lobinger, Mayer & Neumann, 2019).

Die letzten Punkte, Etablierung der Angewandten Sportpsychologie sowie Aus- und Fortbildung, sind für die Weiterentwicklung der Sportpsychologie unabdingbar, werden in diesem Buch gleichwohl keine besondere Rolle spielen (vgl. hierzu ausführlich Staufenbiel, Liesenfeld & Lobinger, 2019).

In diesem Lehrbuch kehren wir – wenn man so will – zu den Anfängen zurück und legen den Schwerpunkt auf das experimentelle Arbeiten und dessen Notwendigkeit für eine erfolgreiche sportpsychologische Theoriebildung. Die Ursache des erfolgreichen nationalen wie internationalen Aufstiegs der Sportpsychologie liegt neben der Erschließung der Praxisfelder in einer systematischen, methodisch elaborierten theoretischen Fundierung, die es erst ermöglicht hat, dass Angewandte Sportpsychologie in der Praxis einen erfolgreichen Weg beschreiten konnte und hohe wissenschaftliche und gesellschaftliche Relevanz erzielt hat (vgl. zur Zukunft der Sportpsychologie Raab, 2017).

Ein zentraler Unterschied zu bisherigen Lehrbüchern liegt im Fokus der experimentellen Forschung innerhalb der Sportpsychologie. Dies hat zur Folge, dass Querschnittsthemen, beispielsweise zu Forschungsmethoden, besonders aber mit Schwerpunkt auf die experimentelle Arbeit beschrieben werden. Zudem werden sich die einzelnen Kapitel mit klassischen inhaltlichen Themenschwerpunkten bei Einzeldarstellungen vor allem um experimentelle Beispiele in der Forschung bemühen und weniger korrelative, ideographische Studien oder Ableitungen zur sportpsychologischen Praxis beinhalten. Gleichwohl werden manche Beiträge auch nicht um die Darstellung von Studien außerhalb der experimentellen Methodik umhinkommen, weil experimentelle Ansätze in den unterschiedlichen Themenbereichen unterschiedlich dominant sind.

Kapitel 1 von Zentgraf und Kohler beschreibt Forschungsmethoden in der empirischen Sportpsychologie. Nach einer einführenden Systematik von Forschungsstrategien und Herausforderungen empirischen Forschens in der Sportpsychologie wird der Fokus auf quantitative und experimentelle Ansätze gelegt. Maße und Messmethoden werden anhand der am häufigsten eingesetzten Paradigmen dargestellt und durch Themen der Signalentdeckungstheorie sowie gängiger psychometrischer Testverfahren und physiologischer Messverfahren ergänzt. Die für die Sportpsychologie relevanten Methoden zur Quantifizierung von Körper- und Augenbewegungen schließen die Darstellung ab. Abschließend wird das Kapitel durch ethische und praktische Dimensionen des Experimentierens in der Sportpsychologie mit Handlungsempfehlungen abgerundet.

Die Autoren Munzert und Schorer behandeln in Kapitel 2 das klassische Thema Wahrnehmung und Bewegung. Nach einer einführenden Systematik in die Grundlagen von Wahrnehmung, Bewegung sowie der sinnesphysiologischen Voraussetzungen der Wahrnehmung werden die einzelnen Sinnessysteme differenziert. Die Darstellung der Sinnessysteme beinhaltet die somatosensorischen Systeme, das vestibuläre System sowie das visuelle System. Auf der Basis dieser Grundlagen wird die besondere Rolle der visuellen Wahrnehmung für das Bewegungshandeln im Leistungssport behandelt. Inhaltliche Themen des »Quiet Eye«, der Antizipationsprozesse, des Erkennens von taktischen Mustern und der lateralitätsspezifischen Wahrnehmungsexpertise werden an experimentellen Beispielen exploriert. Abgerundet wird das Kapitel mit dem aktuellen Stand zum Wahrnehmungstraining im Sport.

In Kapitel 3 beschäftigen sich Memmert und Furley mit dem Thema der Aufmerksamkeit, die hinsichtlich der Aufmerksamkeitsdimensionen differenziert wird. Diese Differenzierung beinhaltet die Aufmerksamkeitsorientierung, die Selektive Aufmerksamkeit, die geteilte Aufmerksamkeit und die Konzentration. In allen Dimensionen wird an experimentellen Studien im Sport gezeigt, wie zentral Aufmerksamkeitsforschung für die Sportpsychologie ist.

Hegele beschreibt in Kapitel 4 zentrale Theorien und Modelle des motorischen Lernens, die sich in Phasenmodelle, Regelungsmodelle, schematheoretische Vorstellungen sowie neuropsychologische Theorien unterteilen lassen. Im Folgenden werden dann zentrale Einflussfaktoren des motorischen Lernens aufgezeigt, unter anderem die Übungsgestaltung und das Feedback.

Mentales Training und Simulationstraining werden in Kapitel 5 von Munzert und Zentgraf beschrieben. Die Autoren geben mit einer historischen und durch Überblicksartikel und Meta-Analysen systematisierten Darstellung zentraler Experimente eine Antwort auf die Frage, was unter mentalem Training verstanden wird. Eine zentrale Differenzierung bezieht sich auf die eingesetzten Forschungsdesigns, die unterschiedlichen Fragestellungen als Grundlage dienen. Die verschiedenen Hypothesen zur Erklärung der Wirkung von mentalem Training werden zusammengefasst und experimentelle Zugänge zu Bewegungsvorstellungen sowie zum Bewegungsvorstellungstraining diskutiert. Sowohl physiologische Verfahren als auch mentale Chronometrie werden beschrieben. Abschließend werden spezifische Anwendungsbereiche des mentalen Trainings für Kinder mit Developmental Coordination Disorder oder Zerebralparese und für die neurologische Rehabilitation berichtet. Ein interessanter Ausblick gelingt durch die aktuellen Forschungsbemühungen der sogenannten Brain-Computer-Interfaces.

In Kapitel 6 stellen Hagemann und Loffing den aktuellen Stand der Expertiseforschung vor. Ausgehend von einem historischen Überblick und einer Definition von Expertise im Sport wird die zentrale Forschungsstrategie der Experten-Novizen-Vergleiche beschrieben und kritisch analysiert. Anschließend wird der Weg zu Expertenleistungen durch das Konzept Deliberate Practice erarbeitet. Abschließend werden die wichtigsten Erklärungsfaktoren für Expertise-Leistungen dargestellt und ein multifaktorielles Modell aus Anlage- und Umwelt-Faktoren schematisiert.

Raab und Werner beschreiben in Kapitel 7 das relativ wenig behandelte Thema Embodiment in der Sportpsychologie. Die Bedeutung des Zusammenspiels von körperlichen und kognitiven Informationen für sportpsychologisches Handeln wird in diesem Beitrag historisch und auf der Grundlage einer Taxonomie verschiedener Theorien dargestellt. Anschließend werden zentrale empirische Studien systematisch nach den verschiedenen Mechanismen, wie Bewegungen und Körperinformationen Einfluss auf kognitive Prozesse haben, abgebildet. Der letzte Abschnitt widmet sich dem Transfer der Embodimentforschung auf Phänomene der Sportpsychologie und bietet somit eine Reihe von Anknüpfungspunkten für zukünftige Forschung.

Kapitel 8 von Staufenbiel und Strauß behandelt wichtige Bereiche der sozialpsychologischen Forschung im Sport, nämlich den sozialen Einfluss auf Verhalten und Leistungen; dabei gehen sie besonders auf drei Formen ein: Der soziale Einfluss durch die bloße oder aktive Anwesenheit anderer Personen wird zuerst beschrieben. Als zweites wird ein weiteres traditionelles Feld der Sozialpsychologie zum Thema sozialer Einfluss behandelt, nämlich Persuasion oder Überredung, besonders am Beispiel von Trainerinnen und Trainern. Das dritte Feld in diesem Beitrag sind die sozialen Normen und wie sie sich auf Verhalten und Leistungen auswirken. Beispielhaft wird dies am Einfluss von sozialen Stereotypen und Farben im Sport verdeutlicht.

Kapitel 9 von Kleinert und Pels betrachtet die Themen Gruppe, Führung und Partnerschaft aus einer sportpsychologischen Perspektive. Nach einer Einführung und Definition interpersonalen Handelns werden Modelle und Theorien, bspw. die Theorie der sozialen Identität, das multidimensionale Modell von Führung, Rollentheorien, die Balance-Theorie, die Zielerreichungstheorie, die Interdependenz-Theorie, Modelle sozialer Unterstützung sowie die Bindungstheorie beschrieben. Anschließend werden Gruppenexperimente und Einflussfaktoren auf Gruppen systematisiert. Der Einfluss der Aufgabenarten und Zielsetzungen bietet den Übergang zum Transfer gruppenexperimenteller Erkenntnisse in die Praxis des Sports, der mit einem Ausblick auf die zukünftige Forschung abgerundet wird.

In Kapitel 10 behandeln Elbe und Sieber verschiedene Aspekte von Motivation und Volition. Zu Beginn wird auf einzelne Konstrukte von Motiven und der Volition eingegangen, darauf folgen Verfahren zur Erfassung derselben. Klassische Experimente zum Ringwurfspiel oder zur Ego-Depletion veranschaulichen die Relevanz der empirischen Forschung zu Motivation und Volition für das sportpsychologische Handeln.

Kapitel 11 von Fuchs, Wunsch und Klaperski umfasst die Themengebiete Emotionen und Stress. Anfänglich werden Traditionen der Stressforschung hinsichtlich des Stimulus-, Reaktions- und Interaktionsansatzes beschrieben. Vor diesem Hintergrund werden danach wichtige Phänomene wie »Choking under Pressure« beschrieben. Eine wichtige Ergänzung sind die Erläuterungen zur Stressregulation durch Sportaktivität und die damit verbundenen gesundheitsrelevanten Konsequenzen. Abschließend werden für die zukünftige Forschung verstärkt Wirkungsanalysen von Sport und Bewegung auf Emotionen, Stimmungen und Affekte gefordert.

Die Selbstwahrnehmung im Sport und insbesondere das physische Selbstkonzept werden in Kapitel 12 von Tietjens und Dreiskämper behandelt. Nach einer Darstellung der gängigen Designs und Messinstrumente werden Wirkungen des physischen Selbstkonzepts auf das Verhalten, klassische Phänomene sowie experimentelle und quasi-experimentelle Studien zum physischen Selbstkonzept erläutert. Abschließend werden Interventionsstudien in verschiedenen Anwendungsfeldern wie Verein und Schule differenziert und vor allem experimentelle und longitudinale Studien für die zukünftige Forschung gefordert.

Die zwölf Kapitel international ausgewiesener Autorinnen und Autoren stellen den aktuellen Stand einer experimentell orientierten Sportpsychologie dar und dienen den am Sport interessierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Studierenden der Psychologie, der Sportwissenschaft und der Sportpsychologie als Grundlage.

Literatur

 

Gabler, H. (2003). Die Sportpsychologie im magischen Dreieck von Sport, Psychologie und Sportwissenschaft. psychologie und sport, 10, 54-58.

Griffith, C. (1926). The Psychology of Coaching. New York: Scribner’s.

Hanin, J. L. (2005). Sport Psychology in Europe: Current Status and Perspectives. In Würth, S., Panzer, S., Krug, J. & Alfermann, D. (Hrsg.), Sport in Europa (S. 30-31). Hamburg: Czwalina.

Heckhausen, H. (1979). Sportpsychologie: Auf der Suche nach Identität in einem magischen Dreieck verschiedener Fachöffentlichkeiten. In J. R. Nitsch (Hrsg.), Bericht über die 10. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie in Köln, 1979 (S. 43-61). Köln: bps.

Janssen, J. P. (2009). Geschichte der Institutionalisierung der Sportpsychologie unter besonderer Berücksichtigung ihrer Entwicklung in Deutschland. In W. Schlicht & B. Strauß (Hrsg.), Enzyklopädie für Psychologie: Grundlagen der Sportpsychologie. Göttingen: Hogrefe.

Lobinger, B., Mayer, J. & Neumann, G. (2019). Etablierung der Angewandten Sportpsychologie im Leistungssport. In K. Staufenbiel, M. Liesenfeld und B. Lobinger (Hrsg.), Angewandte Sportpsychologie für den Leistungssport (S. 30-45). Göttingen: Hogrefe.

Mosso, A. (1892). La fisiologia dell’uomo sulle Alpi. Milano (Der Mensch auf den Hochalpen). Leipzig: Hirzel.

Raab, M. (2017). Sport and Exercise Psychology in 2050. German Journal of Exercise and Sport Research, 46, 62-71.

Staufenbiel, K., Liesenfeld, M. & Lobinger, B. (Hrsg.). (2019). Angewandte Sportpsychologie für den Leistungssport. Göttingen: Hogrefe.

Strauß, B. (1999). Wenn Fans ihre Mannschaft zur Niederlage klatschen. Lengerich: Pabst.

Strauß, B. (2002). Social facilitation in motor tasks. Psychology of Sport and Exercise, 3, 237-256.

Strauß, B. (2007). Anmerkungen zur bundesdeutschen Sportpsychologie. In S. Schröder & M. Holzweg (Hrsg.), Die Vielfalt der Sportwissenschaft (S. 133-140). Schorndorf: Hofmann.

Strauß, B. (2019). 50 Jahre asp. Zeitschrift für Sportpsychologie, 26, 43-58.

Triplett, N. (1897/98). The dynamogenic factors in pacemaking and competition. American Journal of Psychology, 9, 507- 533.

Voelker, D. & Gould, D. (2014). The history of sport psychology. In R.C. Eklund & G. Tenenbaum, G. (Hrsg.), Encyclopedia of Sport and Exercise Psychology (S. 346-351). Sage Publications.

Weinberg, R. & Gould, D. (2014). Foundations of Sport and Exercise Psychology. Champaign, IL: Human Kinetics.

Willimczik, K. (2006). Wissenschaftstheorie und Ethik in der Sportpsychologie. In M. Tietjens & B, Strauß (Hrsg.), Handbuch der Sportpsychologie (S. 11-23). Schorndorf: Hofmann.

1          Forschungsmethoden in der empirischen Sportpsychologie

Karen Zentgraf & Axel Kohler

 

1.1       Forschungsmethoden als Mittel zur Erkenntnisgewinnung

Auf welche Art und Weise und mit welchem Ziel bearbeiten Forscher*innen in der Sportpsychologie wissenschaftliche Fragestellungen? In diesem Kapitel soll es um die methodischen Zugänge gehen, die helfen, diese Forschungsziele zu erreichen. Generell lassen sich in der Psychologie grob vier Zielbereiche definieren.

Zunächst kann es um die Deskription eines Phänomens gehen, also die Eingrenzung und Benennung eines Gegenstands, was er ist und was nicht. Wie lässt sich z. B. Versagen unter Druck beschreiben, durch was sind Leistungsabfälle charakterisiert, was sind überhaupt Drucksituationen in sportlichen Leistungssituationen (image Kap. 11)?

Ein weiteres Forschungsziel kann die Vorhersage des Eintretens eines Ereignisses oder eines Zustandes sein, d. h., wann wird das Ereignis/der Zustand zu beobachten sein und wann nicht? Welche Eigenschaften von Basketballtalenten sagen den späteren Erfolg vorher?

Um gute Vorhersagen erklären zu können, kann es helfen, die spezifischen Faktoren zu kennen, die das Auftreten des Ereignisses oder des Zustands bedingen – hiermit ist vornehmlich das Ziel der Kontrolle der Kontext- oder Bedingungsvariablen gemeint. Tritt Versagen unter Druck z. B. nur in Abhängigkeit eines bestimmten Persönlichkeitsmerkmals oder des Spielstandes ein? Welche anderen Faktoren sind denkbar, die zu Leistungsabfällen führen können? Wie generalisierbar ist die gedankliche Vorwegnahme (Antizipation) von Sportspielexpert*innen (image Kap. 2 und image Kap. 6)?

Das Forschungsziel der Erklärung von Phänomenen soll Fragen beleuchten, warum ein Ereignis oder ein Zustand eintritt – welches Erklärungsmodell steckt hinter dem Phänomen? Ist eine erhöhte Selbstaufmerksamkeit Ursache für den Leistungsabfall oder werden antizipierte Misserfolge der Person handlungswirksam? Haben Sportspielexpert*innen aufmerksamkeitsbedingt eine bessere Sensitivitätsschwelle für die Detektion von spielrelevanten Hinweisreizen (image Kap. 3)?

Inzwischen gibt es eine Vielzahl an Methoden, die für sportwissenschaftliche Untersuchungen zur Verfügung stehen: von klassischen Verhaltensuntersuchungen bis hin zu hirnphysiologischen Messungen mit großem apparativen Aufwand.

Zuweilen kann der Eindruck entstehen, dass manche Methoden um der Methode willen angewandt werden und das Ziel, Antworten auf zentrale Forschungsfragen zu finden, in den Hintergrund rückt. Methoden dienen allerdings allein den Forschungszielen. Für bestimmte Forschungsziele eignen sich bestimmte methodische Zugänge besonders. Beobachtungsstudien, Einzelfallstudien, Berichte und Interviews sind Verfahren, die ohne eine untersucherbezogene Kontrolle des Gegenstandsbereichs arbeiten. Dies gilt auch für korrelative beschreibende Untersuchungen. Hier untersuchen Forschende, wie Variablen »natürlicherweise« zusammenhängen, ohne auf kausale Wirkungszusammenhänge zu referieren. Wenn das Ausmaß körperlicher Aktivität mit einem geringeren Körpergewicht positiv korreliert, heißt dies nicht, dass körperliche Aktivität Körpergewichtsreduktionen verursacht. Aber aufgrund der Kenntnis dieses Zusammenhangs aus beschreibenden Untersuchungen ergeben sich ggf. weitere Fragen, die mit anderen und ergänzenden methodischen Ansätzen beantwortet werden können.

Allerdings sind unter bestimmten Bedingungen andere methodische Ansätze auch ethisch nicht vertretbar, korrelative Studien bieten dann die einzige Möglichkeit, sportpsychologische Forschung zu betreiben: Die Untersuchung der Frage, inwiefern schwere Sportverletzungserfahrungen wettkampfbezogene Selbstwirksamkeitserwartungen verändern, wird Sportpsycholog*innen aus plausiblen ethischen Gründen nicht auf die Idee bringen, Verletzungen in einem manipulativen Sinne herzustellen, sondern man wird Forschungsdesigns anwenden, die z. B. verschiedene Gruppen mit und ohne Sportverletzungserfahrungen vorsehen.

1.1.1     Experimentieren in der Sportpsychologie

Wilhelm Windelband formulierte bereits 1894 die – zumindest im deutschen Sprachraum – sehr einflussreiche Unterscheidung von nomothetischen und idiographischen Ansätzen in der Wissenschaft. Der idiographische Ansatz zielt auf die Beschreibung und Analyse einzigartiger Vorgänge und Ereignisse (z. B. historische Prozesse oder individuelle Biografien).

Die Forschungsziele nomothetischer Ansätze liegen hingegen im Besonderen in der Erklärung von Phänomenen und der Entwicklung von allgemein gültigen Gesetzmäßigkeiten. Die Idee der Verwendung experimenteller Methoden liegt darin begründet, durch strenge Kontrolle der möglichen beeinflussenden Variablen die wirksamen Faktoren zu isolieren. Dass die Auslegung, wie »streng« diese Bedingungen in der Forschungswirklichkeit zu kontrollieren sind, sehr heterogen ist, muss zur Kenntnis genommen werden.

Übergreifend fordern experimentelle Herangehensweisen die Forscher*innen auf, eine Variable systematisch zu verändern (unabhängige Variable, UV, z. B. verschiedene, von der Versuchsleitung vorgegebene sportliche Belastungen), möglichst alle anderen zu kontrollieren, z. B. konstant zu halten, und den Einfluss der Manipulation der UV auf eine weitere, die abhängige Variable (AV, z. B. die Treffergenauigkeit), zu messen. Dadurch scheint es möglich, auf theoretischer Basis begründete Erwartungen (Hypothesen) zu überprüfen, die Forscher*innen als verursachend für den zu beobachtenden Effekt annehmen.

Eine UV hat typischerweise Stufen, also verschiedene Ausprägungen, die manipuliert werden. Zwei Stufen sind minimal notwendig, um überhaupt Vergleiche vornehmen zu können (beim Beispiel der sportlichen Belastung könnte es eine hohe und niedrige Beanspruchung geben oder aber sogar feinere Abstufungen). Die Stufen können sich auf eine oder mehrere Versuchsgruppen beziehen: Entweder durchläuft ein*e Versuchsteilnehmer*in beide (oder alle) Stufen der UV (die Belastungsstufen würden bei der gleichen Person an verschiedenen Versuchstagen oder mit ausreichender Pause untersucht) oder eine Person wird zufällig einer Stufe der UV zugeordnet (dann gibt es unterschiedliche Gruppen für die Belastungsstufen). Im ersteren Fall spricht man von sog. »Within-Subject«- oder Intrapersonalen Designs mit Messwiederholung; im zweiten Fall von »Between-Subject-« oder Zwischengruppendesigns. Bei beiden Designs sind bzgl. der Kontrolle von Störvariablen und zur Vermeidung von Konfundierungen weitere Aspekte zu berücksichtigen, z. B. Reihenfolgeeffekte, Stichprobenfehler, nicht-zufällige Zuordnungen etc. Diese Verfahren sollen sicherstellen, dass das Ergebnis von der untersuchten Stichprobe auch überzeugend auf die Gesamtpopulation übertragen werden kann. Aber auch hier können Fehler entstehen, wenn z. B. von der Untersuchung von Studienteilnehmer*innen aus einem Kulturkreis auf Personen aus einem anderen Kulturkreis generalisiert wird.

1.1.2     Experimentelle Validitäten, Forschungsdesigns und Versuchspläne in der Sportpsychologie

In Forschungsfeldern ergeben sich aus der Interaktion zwischen den formalen Ansprüchen an experimentelle Forschung (Kontrolle der Bedingungen, zufällige Zuordnung in Versuchsgruppen etc.) und den Gegebenheiten in der jeweiligen Disziplin (verfügbare Methoden und charakteristische Fragestellungen etc.) typische experimentelle Designs und Versuchspläne, die zur Untersuchung von wissenschaftlichen Fragestellungen Anwendung finden.

Dies kann man auch als Forderungen an die interne und externe Validität von Experimenten verstehen. Es geht in beiden Fällen entsprechend der Wortbedeutung um die Gültigkeit von Aussagen oder Schlussfolgerungen, die aus Studien gezogen werden. Die interne Validität bezieht sich auf die Frage, ob ein Versuch so gestaltet war, dass man auf eine Kausalbeziehung zwischen den UV und AV schließen kann. Wenn in einem Laborversuch zu mentalen Rotationsleistungen mit menschlichen Körpern ausschließlich die Sichtbarkeit des Reizes in verschiedenen Bedingungen manipuliert und ein Effekt auf die Antwortzeiten festgestellt wird, kann man sicher sein, dass die Manipulation einen direkten kausalen Einfluss hatte. Wenn in zwei Schulklassen zwei verschiedene Unterrichtsmethoden zum Beobachtungslernen einer Rolle rückwärts eingesetzt werden, gibt es viele Unterschiede zwischen den Klassen, die einen Einfluss auf die Ergebnisse haben könnten. Zuerst muss sichergestellt sein, dass die Klassen überhaupt vergleichbar sind. Ist die eine Klasse disziplinierter, erreichen sie bessere Ergebnisse, obwohl das nichts mit der Unterrichtsmethode zu tun hat. Selbst wenn Unterschiede zwischen den Klassen messbar gemacht werden, ist nicht auszuschließen, dass ein anderer Einflussfaktor übersehen wurde. Man geht deshalb bei solchen Feldstudien allgemein von einer eingeschränkten internen Validität im Vergleich zum Laborexperiment aus (auch wenn das bei gut geplanten Feldstudien nicht notwendigerweise der Fall ist).

Bei der externen Validität ist es eher die Frage, inwiefern sich Ergebnisse auf andere Personengruppen und Situationen übertragen lassen. Gerade im Sportbereich ist es oft notwendig, mit vorhandenen Gruppen (z. B. Spitzenathlet*innen, Schulklassen, Alzheimer-Patient*innen) zu arbeiten bzw. ist die Nützlichkeit von Laborexperimenten sehr begrenzt, wenn eine Anwendung auf den sportlichen Kontext gar nicht möglich oder fraglich ist.

Als weiteren Begriff in diesem Bereich wird oft noch die ökologische Validität als Kriterium angeführt. Sie bildet ab, in welchem Maß eine Untersuchungssituation einem natürlichen Kontext entspricht. »Natürlich« bezieht sich dabei nicht auf die belebte Natur, sondern auf Situationen, die auch im Alltag vorkommen können. Beim Menschen sind das in den meisten Teilen der Welt stark kulturell geprägte soziale Umgebungen.

Rein definitorisch kann man die ökologische von der externen Validität trennen. Wenn ein Experiment mit sehr vielen Personengruppen verschiedenen Alters, verschiedener Nationalitäten und in verschiedenen Laborsituationen durchgeführt wurde, sollte ein hohes Maß an externer Validität gegeben sein. Man könnte hier aber immer noch einwenden, dass das Experiment nicht in möglichen Alltagssituationen erprobt wurde (mangelnde ökologische Validität). Man kann also Szenarien beschreiben, in denen die beiden Aspekte nicht notwendig zusammenhängen.

Es können an dieser Stelle nicht alle Faktoren benannt und erläutert werden, welche die verschiedenen experimentellen Validitäten beeinflussen. Bei den Beispielen und Erwägungen wurde aber bereits deutlich, dass die Validitäten teilweise im Widerspruch stehen können.

Wenn man die obigen Überlegungen auf konkrete Forschungsdesigns anwendet, lassen sich verschiedene Ansätze zur Durchführung von Studien nach der Qualität der Schlussfolgerungen und der Generalisierbarkeit unterscheiden. Die folgende Darstellung zu den Designfragen lehnt sich an einen klassischen Text von Campbell und Stanley (1963) an. Dort wird noch eine Vielzahl weiterer Designs besprochen und auch die jeweiligen Stärken und Schwächen im Detail dargelegt. An dieser Stelle sollen nur die wichtigsten Aspekte und die bekanntesten Designs betrachtet werden.

Aus der Ausprägung der internen und externen Validität lassen sich zwei Grundunterscheidungen von Studien ableiten, die oben zum Teil schon angesprochen wurden. In Bezug auf die externe bzw. ökologische Validität kann man zwischen Labor- und Feldstudien differenzieren. Die künstliche Laborsituation schränkt die externe Validität ein, die im Vergleich bei Studien in realistischen Situationen und Umgebungen (»im Feld«) höher ausgeprägt ist. Auch wenn es in Feldsituationen manchmal schwerer fällt, Störeinflüsse zu kontrollieren, ist die interne Validität bei sorgfältig geplanten und durchgeführten Feldstudien nicht notwendigerweise eingeschränkt. Bei der internen Validität kann man stattdessen zwischen Experimenten und Quasi-Experimenten unterscheiden. Für ein erstes Verständnis der Konzepte ist es ausreichend, von einer experimentellen Gruppe und einer Kontrollgruppe auszugehen. Bei »echten« Experimenten wird die Zuordnung der Versuchspersonen zu den Gruppen zufällig ermittelt. Das heißt, weder die Versuchsleitung noch die Versuchspersonen haben Einfluss darauf, wer welcher Gruppe angehört. Dadurch wird sichergestellt, dass es keine systematischen Unterschiede in der Gruppenzusammensetzung gibt. Könnten sich die Versuchspersonen eine Gruppe aussuchen, würden evtl. Persönlichkeitsmerkmale die Gruppenwahl beeinflussen (»Die Experimentalgruppe finde ich spannender« vs. »Egal, ich kann auch in die Kontrollgruppe«). Würde die Versuchsleitung die Einteilung bestimmen, könnte die Gruppenzusammensetzung – oft auch unbewusst – im Sinne der eigenen Erwartungen beeinflusst werden. Eine Vielzahl solcher Versuchsleitungseffekte war selbst Gegenstand experimenteller Untersuchungen und konnten überzeugend als relevant dargelegt werden.

In manchen Fällen ist es jedoch nicht möglich, die Zuordnung zu kontrollieren oder randomisiert vorzunehmen. Werden Geschlechterunterschiede untersucht, müssen die Unterschiede als gegeben hingenommen werden. Wir können Menschen nicht zufällig in eine Geschlechterkategorie einordnen. In sportwissenschaftlichen Untersuchungen besteht häufig Forschungsinteresse an Expertinnen und Experten, die bestimmte Bewegungen oder die Ausführung einer Sportart über lange Jahre perfektioniert haben (image Kap. 6). Auch in diesem Fall müssen wir mit den bereits vorhandenen Gruppen zurechtkommen. Erfolgt die Zuordnung in die jeweiligen Gruppen nicht randomisiert, ist die interne Validität eingeschränkt. Man spricht dann von »quasi-experimentellen Designs«, da die Durchführung einer solchen Studie trotzdem nach hohen experimentellen Standards erfolgen kann, die entscheidende Anforderung der Randomisierung aber von vornherein nicht erfüllt ist.

Unter den experimentellen Designs ist zunächst ein Grunddesign zu betrachten, das die wichtigsten Aspekte eines Zwischengruppen-Experiments abdeckt: das Prätest-Posttest-Kontrollgruppen-Design. Auch wenn Gruppen zufällig eingeteilt werden können, kann es gerade wegen des Zufalls auch vor der experimentellen Manipulation bestehende Unterschiede zwischen den Gruppen in den abhängigen Variablen geben. Es ist deshalb oft ratsam, eine erste Referenztestung (Prätest) zu Beginn durchzuführen. Dann folgt für die Experimentalgruppe die Intervention, während die Kontrollgruppe entweder keine Intervention erhält oder idealerweise eine Kontrollbedingung durchläuft, die sonst vergleichbar ist mit der Experimentalbedingung, aber sich im entscheidenden Faktor unterscheidet. Wenn die Hypothese ist, dass ein Krafttraining das physische Selbstkonzept stärkt, dann könnte ein Ausdauertraining als Kontrollbedingung wenigstens ausschließen, dass der Effekt allein auf der körperlichen Betätigung beruht. Wenn die Kontrollgruppe keine Intervention erhält, bleibt die Zahl der Alternativerklärungen unbefriedigend hoch, sodass es weiterer Experimente bedarf, um einen spezifischen Mechanismus zu isolieren.

Nach der experimentellen Manipulation (unabhängige Variable) soll der Effekt auf die abhängige Variable getestet werden (Posttest). Der Vergleich von Posttest und Prätest zeigt, ob beim Experiment ein Effekt erzeugt wurde, der vorher noch nicht oder in einem geringeren Maß vorhanden war. Im Prinzip kann ein solches Design auch ohne Prätest mit den entsprechenden Einschränkungen bei der Interpretation durchgeführt werden. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Prätest die Ergebnisse einer experimentellen Intervention oder Manipulation und/oder die Effekte im Posttest verändert, wurde von Solomon (1949) vorgeschlagen, in einem umfassenden Design die Interaktionen zwischen allen Einflussfaktoren direkt zu testen. Wenn im Beispiel oben bereits vorher ein Test zum physischen Selbstkonzept durchgeführt wurde, könnten die Versuchspersonen anders an die Trainingsintervention herangehen und sie würden sich für den Posttest vielleicht schon überlegen, was die erwarteten Effekte sind und ihr Antwortverhalten (oft auch unbewusst) darauf einstellen. Beim Solomon-Vier-Gruppen-Design gibt es mindestens zwei Gruppen mit und zwei Gruppen ohne Prätest. Damit wird der Einfluss der Vortestung überprüft. Bei jedem Paar gibt es eine Kontrollgruppe für die Abschätzung des Interventionseffekts. Einziger Nachteil bei dem Design ist der recht hohe Aufwand. Ist ein Einfluss der Vortestung unwahrscheinlich, ist zu überlegen, ob die Ressourcen für die zusätzlich erforderlichen Gruppen gut investiert sind.