CAROLINE DE LA MOTTE FOUQUÉ

SCHARFFENSTEIN

Nach den Erstdrucken

herausgegeben,

kommentiert und mit einem

Anhang versehen von

Thomas Neumann

2013

Books on Demand

WERKE UND SCHRIFTEN III, 3

CAROLINE DE LA MOTTE FOUQUÉ

LITERARISCH-ERZÄHLERISCHES III, 3

INHALTSVERZEICHNIS

DAS HELDENMÄDCHEN

AUS DER

VENDÉE.

ERSTER THEIL.

VORWORT.

Die Wahrheit bleibt das Höchste. Keine Dichtung erschwingt Größeres, als uns der tiefsinnige Ernst der Geschichte offenbart.

Das fühlte man von je, und ließ zu aller Zeit die Phantasie bestimmt oder unbestimmt in diesen einzigen wahrhaften Lebensquell zurücktauchen.

Wäre es dem Menschen gegeben, das Daseyn mit dem Blitz des Erkennens in allen Theilen, Mischungen und Verzweigungen begleitend zu durchdringen; so hätten wir weder Vergangenheit noch Zukunft, sondern einzig Allgegenwart. Die haben wir nicht, wie sehr auch unser ganzes Wesen danach ringt. Das Leben bleibt uns verborgen. Nur Resultate des Geschehenen und Werdenden reihen sich einzeln, oft unverständlich aneinander. Der Tod zerriß die vermittelnden Fäden der Erscheinungen. Trübe genug sehen uns zu Zeiten die Hieroglyphen an. Verzweifelnd rufen wir alsdann die Phantasie zu Hülfe, die mit ihrem beweglichen Othem die Lebensseele anhaucht, und in dem magischen Duft der Ahndung Gewesenes zurückspiegelt. So entstehen uns Gestalt, Farbe, Entwickelung, Zusammenhang, ja die Reproduction eines geschichtlichen Lebens aus der Historie der Welt.

Durch diese zurückrufende Magie der Einbildungskraft ist gegenwärtiges kleines Werk erwachsen, das in allen äußern Umrissen streng historisch seine organische Verknüpfung gleichwohl einzig offenbarenden Träumen verdankt.

Lange, ehe das Werk der Frau von Laroche Jaquelin erschien, und mir einen Leitfaden in die Hand gab, ward ich von den zwei gewaltigen Triebfedern der Revolutionskämpfe in Frankreich, den Ausschweifungen überfliegenden Freiheitsgeistes, wie die bindende Treue des Glaubens, lebhaft angesprochen. Durch Zeitschriften, Annalen, Philosopheme und Raisonnements, beide in ihren Reibungen folgend, lernte ich jene Helden der Zeit kennen, in welchen die streitenden Prinzipien Persönlichkeit gewannen. Diese im Kampfe mit sich und dem Geschicke hinzustellen, das selbst höherer Nothwendigkeit folgend, sie zu Werkzeugen des Martyrthums oder der anregenden Lüge gebrauchte, ward meine Aufgabe.

Treu dem, was ist, habe ich die unentworrenen Räthsel gemischter Menschennatur unangetastet gelassen. Alle historischen Personen steh’n in der eigenthümlichen Farbe ihres Charakters da. Keine unwesentliche, darauf Bezug habende That ihres Lebens, ist erdichtet. Die bewahrte Individualität gegenseitig einander bestimmender Menschen und Ereignisse, konnte allein die Phisionomie jener gährenden Crisis der Zeit, kenntlich herausheben. Ich habe sie überall geehrt, und nie absichtlich die Züge in einander gewischt. Sich hiervon zu überzeugen, verweise ich meine Leser auf die Geschichte der französischen Revolution, die uns nahe genug steht, und zum Theil glühend in unserer Erinnerung fortlebt, daher leicht Maaß und Urtheil an die Hand giebt.

Wenn ich mich auf solche Weise aber der Strenge abwägender Vergleichung unterwerfe, so weiß ich gleichwohl am besten, wie wenig ich meine Aufgabe im Ganzen löste. Ist der innere Klang doch stets besser als das Wort, und der hell entsprungene Gedanke ein anderer, als sein bleicher, dürftiger Wiederschein auf dem Papier.

Die Verfasserin.

ERSTES KAPITEL.

Einsam und finster sah das alte Schloß Tonnayboutonne auf die wild vorüberrollende Charente. Die Zugbrücken waren aufgezogen, Thür und Thore verriegelt, alle Lichter tief in die innern Gemächer verborgen, kein geselliger Lebenshauch drang in die stumme Nacht. Ganz dumpf dröhnten von St. Jean d’Angeli die Trommeln der Republikaner herüber. Truppenabtheilungen zogen schweigend am jenseitigen Ufer entlängst. Die Hütten der Landbewohner schienen ausgestorben. Hinter ihren weit aufklaffenden Thüren zeigte der kalte, dunkle Heerd dem Vorüberziehenden die Trümmer gastlicher Lebensordnung. Die Jugend war Schaarenweise unter die Waffen getrieben; in Winkel gedrückt seufzte das Alter und schauerte zusammen, wenn der Freiheitsbaum seine trockenen Zweige in der Nachtluft schüttelte.

In einem obern Saal des Schlosses, dicht am Kamin, saß der damalige Besitzer desselben, der Herzog de la Tremouille, vor einem kleinen Tischgen, und schürzte mit großer Behendigkeit Fischernetze, als habe er nie etwas anders gethan. Er war von mittler, etwas hagerer Figur. Seine Brust schien gelitten zu haben, er hustete oft und kurz, gleichwohl hatte das Auge den frischesten Glanz.

Ueberall waren seine Gesichtszüge sehr schön, wenn gleich etwas stark gezeichnet, was der Phisionomie bei zunehmendem Mangel an Haaren etwas Auffallendes gab. Im Munde trug er eine große Aehnlichkeit mit den Bildern Heinrich des Vierten. Das wohlwollende Lächeln und die schönen Zähne und Lippen, wurden ganz besonders durch den bläulichen Glanz seines dunkeln Bartes gehoben, dessen ursprüngliche Kraft die gesuchteste Sorgfalt nicht zu unterdrücken vermochte.

Der Herzog rückte viel auf seinem Stuhle hin und her, schob und drehte an den Lichtern, putzte sie weit öfter als nöthig war, kurz, ließ die große innere Beweglichkeit auf unzählige kleine Aeußerlichkeiten übergehen.

Etwas seitwärts von ihm lehnte in einem hohen Sessel die Marquise Robillard, aus dem Stamm der Rochefoucault, dem Hause Tonnayboutonne in seinen frühesten Verzweigungen verbunden. Zu ihren Füßen kauerten zwei kleine Möpse, denen sie von Zeit zu Zeit ein langes Scherpeband hinhielt, sie neckend danach haschen ließ, und es ihnen dann wieder entzog. Ueber die Thiere hin sahe sie wohl verstohlen auf den Herzog, zuckte ungeduldig mit den Schultern, und den Blick fast herausfordernd zum Himmel gehoben, wandte sie sich ganz und gar ab, und that, als lebe sie nur für die Hunde. Voll Ehrfurcht für ihre Ahnen, von aufstrebendem Geist, unfähig sich in der Wüste zusammengestürzter Trümmer zu finden, fiel ihr die gelassene Ergebung des Herzogs ganz unerträglich, und das kochende Blut nicht mehr zurückdrängend, sagte sie mit einem Zwitterlächeln, das dem Scherze wie dem Hohne angehörte: In Wahrheit, Herr Herzog, Sie schürzen Ihre Schlingen so emsig in einander, als witterten Sie schon den Feind, gegen den Sie sie aufzustellen gedenken! Nun, erwiederte Er mit raschem Blick auf die Marquise, die Spürung wäre eben nicht allzufein! Aber, setzte er mit anmuthiger Sorglosigkeit hinzu, Sie wissen es wohl, ich werfe Niemanden Schlingen in den Weg, und komme vielleicht eben deshalb gefahrlos über die Anderen hinaus! Nein, das nicht, fiel die Marquise heftig ein, nein, das ganz und gar nicht. Sind Sie nicht etwa schon mitten in das Garn gelaufen? Haben Sie es vergessen, daß man rund um uns her die Waffen ergriffen hat? Daß Bourdeaux im Aufstande ist? Daß Lion droht? Calvados und Finistere Viele Tausende werben, und General Wimpfen Heute oder Morgen unter den Thoren von Paris seyn wird. Bald, Herr Herzog, bald wird es gelten, sich zu entscheiden! Was habe ich mit den Rebellen zu schaffen! erwiederte er kalt. Das Herz der Hydra, Frau Marquise, ist nur Eines, aber die tausend Köpfe, machen jeder ein eigenes furchtbares Thier für sich. Hüten wir uns, mit solchen Gemeinschaft zu machen, ihr Gift befleckt unauslöschlich. Das Recht, zu wollen und zu wählen, unterbrach sie ihn rasch, haben Sie verscherzt. Man wird Sie zwingen, irgend einer Partie beizutreten.

Der Herzog sprang ungeduldig vom Stuhl auf, und lief, wie er es in solchen Stimmungen wohl pflegte, mit beiden Händen krampfhaft in den Rocktaschen umhergreifend, das Zimmer auf und nieder.

Ja, ja, fuhr jene fort, es wird die Zeit kommen, die ich immer kommen sahe, wo Sie es bitter bereuen werden, nicht nach dem Auslande geflüchtet zu seyn. Jetzt wird es Sie nicht schützen, den Decreten einer satanischen Regierung mit beispielloser Ergebung, Folge geleistet zu haben. Die sokratische Weisheit, mit der man seinen König morden, das Vaterland zerfleischen, sich selbst mit tausend Geißelhieben der Tyrannei, verwunden ließ, wird nicht länger ausreichen! Andere Stimmen werden laut; man wird Rechenschaft fordern!

Der Herzog war vor sie hingetreten, die Worte schienen unschlüssig auf seinen Lippen zu schweben, nach kurzem Besinnen, sagte er, sich von ihr wendend: ich habe mich noch niemals geweigert, Rechenschaft abzulegen. Ich bin jederzeit dazu fertig.

Gleichviel, fragte die Marquise, vor welches Tribunal man Sie fodert? Ich kenne nur Eines, das der Ehre und des Gewissens, rief der Herzog, mit sehr gehobener Stimme, und einem Blick, dessen Flammen die dreisten Worte der Fragerin zurückschreckten.

Nach kurzem Schweigen, hub diese etwas leiser und gewissermaaßen einlenkend an: Ich habe Sie nur warnen, nur auf das aufmerksam machen wollen, was einmal entzündet, wie ein fortlaufendes Erdfeuer, überall faßt, und verschlingend hinreißt. Wer sich ein wenig umgesehen, wer die politischen Bewegungen begleitet, ja, – wenn gleich verborgen, in das Dunkel der Provinz gebannt, nur mittelbar, dennoch hineingegriffen hat, der wird mit einigem Recht einen Blick in die Zukunft haben dürfen. Den haben Sie nicht, fiel der Herzog ein, den hat jetzt niemand, wie die Sachen steh’n, ist nichts zu sehen, nichts voraus zu wissen, nur zu glauben und zu vertrauen. Und damit sollten Sie es denn vor der Hand auch bewenden lassen, und Ihr Ohr keinem falschen Gerüchte leihen. – Falsche Gerüchte! rief die Marquise heftig, habe ich denn etwa von jenem tollen Bauernkriege unserer Nachbarn geredet, oder von andern Hirngespinsten beschränkten Volkes? Ist es denn etwa nicht wahr, daß Bourdeaux, Brest, Caen, und die ganze Küste, in Verbindung steh’n? daß diese Städte mit England gemeinsame Sache machen, und nächstens eine Englische Flotte landen wird? – Ist es nicht wahr, daß der Pariser Convent zittert? daß – – – Lassen wir das auf sich beruhen, unterbrach sie der Herzog, ich bezweif’le keine Ihrer Nachrichten, doch, was soll uns das alles? Von Ausländern und Rebellen ist wenig Heil zu erwarten! Ein Tyrann stürzt den Andern. Ganz anders ist es mit unsern Nachbarn in der Vendée. Die Marquise lächelte. Hier allein ist Zusammenhang, fuhr der Herzog fort, Lehnsherr und Unterthan! Dies Band schlingt sich in einer Kette bis zum Throne fort. Davon wissen die Neuerer nichts, können nichts wissen, und ließen es deshalb unangetastet. –

Von Beiden unbeachtet, war indeß die junge Elisabeth Rochefoucault aus einem anstoßenden Nebenzimmer in den Saal getreten. Von frühem Grame getroffen, schüchtern und wortarm, wie immer, saß sie fern von dem Gespräche der Andern, in einem dunkeln Winkel der Fensterwölbung. Ihre Hände lagen gefalten im Schoose, die feuchten Augen begleiteten den Zug der Wolken. Jetzt, mit einemmale trat sie schnell zu dem Tisch des Herzogs. Das schöne bleiche Gesicht schien vollends zu Marmor erstarrt, die Stimme versagte ihr, leise und abgebrochen flüsterte sie dem Herzoge zu: Es sprengt ein Mann auf weißem Pferde wild durch die Gartenhecken, mit einem Satz war er am Schloßgraben, er schwimmt hindurch, er ist auf der Terrasse, dicht, ganz dicht unter dem Fenster! Die Marquise ward bleich, doch sagte sie, bei weitem ruhiger als zuvor: Nun wird es dennoch wahr! sie stürmen das Schloß, wir werden uns anschicken müssen zu sterben. In Gottes Namen! Ich bin bereit! – Der Herzog seiner Seits, hatte zwei geladene Pistolen zu sich gesteckt, und trat gelassen zum Fenster. Einen Augenblick blieb alles still und gespannt, da rief eine bekannte Stimme: es lebe der König! und sofort ward es laut im Schlosse; rasche Schritte stürmten die Stiegen hinan, die Thüren flogen auf, der junge Prinz Talmont lag in des Herzogs, seines Vaters, Armen.

Wie aus dunklem Nachtgewölk, trat der hohe, schöne Mann plötzlich zwischen die Staunenden. Etwas wild, das Haar vom Winde aufgelöst, stand er einen Augenblick Athem schöpfend, auf einem breiten englischen Säbel gestützt. Sein stolzer Flammenblick weissagte Kampf auf Leben und Tod; und als er mit der tiefen, dumpfrollenden Stimme sagte: ich komme, wie auf Windesflügeln! glaubte man, das Rauschen des heranstürmenden Kriegsengels zu hören.

Der Herzog, in seinem Anschauen verloren, verstand ihn, ohne weitere Frage. Die Marquise indeß hatte seine Hand gefaßt und sagte, mit schönem begeisterten Blick: Nicht wahr, mein Frankreich wird gerettet? Die weiße Fahne weht in den Küstenstädten? – Sie weht in unserer Hand, fiel der Prinz rasch ein, ihr keuscher Glanz zieht wie ein Lichtstreif über die blutige Bahn, die Richtung ist gegeben, erwarten wir das Weitere!

Du kommst aus der Vendée! sagte jetzt der Herzog zuversichtlich. Ja, mein Vater, entgegnete jener, um sogleich dahin zurückzukehren. Der Name Talmont soll nicht zuletzt in diesem Kriege genannt werden. Das halbe Poitou hört auf diesen Namen. An dreihundert Gemeinden ziehen mit mir. Vergessen durfte ich das alte Tonnayboutonne nicht. Mich dünkt, ich war es den Ahnen der Cassagne und la Motte Fouqué, schuldig. Umsonst sind wir nicht seit fast zweihundert Jahren mit dem Eigenthum der vertriebenen Stammverwandten beliehen, jetzt sollen wir erst das volle Recht darauf gewinnen. –

Der Herzog drückte schweigend seine Hand. Beide sahen wie durch einen Zug geleitet, zu den Bildern der ehemaligen Schloßherren hinauf. Die ernsten leutseligen Züge schienen freundlich aus den tief nachgedunkelten Gesichtern herab zu lächeln. Die Marquise kannte sich nicht vor Entzücken. Sie fiel beiden Männern weinend um den Hals, und sahe im Geiste schon alles längst Geträumte ganz nahe, ganz unumstößlich wahr werden.

Du findest, hub der Herzog zuerst wieder an, alles bereit. Ich hatte auf die ersten Nachrichten von dem Beitritt gekannter Männer meine Maasregeln genommen. Und Du zweifelst wohl nicht, mein Sohn, daß ich Dich begleiten werde? Ein wehmüthig freudiges Lächeln flog über des Prinzen Gesicht! Sehr gerührt umschlang er den Vater mit beiden Armen, und die Thränen zurückdrängend, erwiederte er weit leiser, als er sonst zu reden pflegte: die Ehre läßt dem Herzen keine Wahl.

Aber wohin, fragte die Marquise sich plötzlich besinnend, wohin geht denn Ihr Weg? Zu den Bauern, Frau Marquise, lachte der Herzog mit gutmüthiger Schadenfreude, zu den Bauern da drüben über die Charente. Die schlagen anders zu, als Ihr General Wimpfen und die zaudernden Engländer. Das ganze linke Ufer der Loire ist insurgirt. Parthenay und Saumür, fiel der Prinz ein, und viele andere Städte in den Händen der Königlichen. Wie mit Wunderkraft begabt ziehen die Führer unter Kugelregen, zwischen tausend blinkenden Schwerdtern unversehrt in die feindlich besetzten Städte, und der rohe Haufe folgt ihnen wie eine leitsame Heerde überall nach.

Frau von Robillard sahe ihn ungewiß an. Dahin wollen auch Sie mein Prinz? fragte sie nachdenklich. Ueberlassen Sie das Geschäft dem Herzog. Mich dünkt Ihr Platz sey anders wo. Sie passen nicht unter Hirten. In einer Ritterund Ehrengarde wären Sie besser zu Hause. Alle königlich Gesinnte, entgegnete der Prinz rasch, sind Ehrenritter, sie bilden ein Korps, führen gleiche Waffen und haben einen Zweck. Gleichviel ob Hirt, ob Soldat!

Die Marquise schüttelte den Kopf. Das klingt wohl so, aber ist doch nicht dasselbe. Sie wollen noch etwas anders, als die einfache Noth- und Gegenwehr. Sie werden dies Volk zu tragen glauben, und es wird Sie hemmen. Geben Sie Acht!

Der Prinz beachtete ihre Worte nur halb. Ueberrascht lag sein Auge auf der schönen Elisabeth, welche auf’s Höchste erschüttert, durch die neue unerwartete Lebensregung in ihrem Kreise, alle Schüchternheit vergessend mit hochglühenden Wangen und einem Blick, in dem eine ganz frisch entfaltete Seele lag, dicht vor ihm stand, und wie eine Blume den Balsamhauch der Begeisterung in sich sog. Kindlich aufhorchend hob sich das kleine runde Gesichtchen zu ihm in die Höhe. Lange, blonde Locken, nach damaliger Sitte von beiden Seiten gescheitelt, ringelten sich bis auf die Schultern nieder. Ein dichtes schwarzes Kleid schloß sich in kleinen Falten eng an Brust und Arme und hüllte die ganze herrliche Gestalt ein. Nur die Händchen waren unbedeckt, sie lagen auf der Stuhllehne der Marquise, und zupften spielend an den Franzen des Sammtpolsters. Als der Prinz um der Marquise doch etwas zu erwiedern, halb ernst, halb scherzend sagte: Sie möge sich hüten, den Geist des tapfern Landvolkes nicht mit allzuengem Maasstabe zu messen, die edelste Begeisterung finde hier ihren Platz, selbst die Seelen der Frauen entzünden sich an diesem allgemeinen Heerde, und Mehrere haben es nicht verschmähet sich den Reihen der Vendeer anzuschließen, da flog in höchster Ueberraschung, ein Ach! über Elisabeths Lippen. Der erste Laut, den der Prinz von ihr hörte. Doch die eigene Stimme schien das zarte Kind zu erschrecken, beschämt wandte sie sich um und verließ das Zimmer.

Wer ist die Dame? fragte der Prinz rasch zu seinem Vater gewendet. Ein verwaistes Kind, Deine Verwandte, die Schwester des jungen Rochefoucault der am 10. August die Zimmer des Königs mit seinem letzten Blutstropfen vertheidigte. Sie war im Kloster St. Stephanie zu Poitier, und fand als Vertriebene Schutz bei mir. Wo wird das schöne Mädchen, sagte der Prinz nachdenklich, wo die Frau Marquise in dieser wilden Kriegszeit sichern Aufenthalt finden? Wir wollen dies, erwiederte der Herzog, wie noch viel Anderes in dieser Nacht berathen. Jetzt laß uns noch eine heitere, vielleicht letzte Abendmahlzeit mitsammen in den alten Mauern genießen. Er faßte seinen Sohn unter den Arm, und war für den ganzen Abend in der heitersten, sorgenfreiesten Laune.

ZWEITES KAPITEL.

Der Morgen dämmerte kaum noch in einzelnen unklaren Lichtern herauf, als sich schon das ganze Schloß voll leiser Geschäftigkeit regte. Die Pferde des Herzogs standen im Hofe, er selbst hatte noch mehrere Anordnungen zu treffen, die Marquise tausenderlei zu erinnern. Elisabeth ging mit einem Lichte in der Hand, daß Herz voll ungekannter Erwartungen, voll Unruhe und schüchterner Hoffnung durch die großen Gemächer. Ihre Blicke redeten mit den Figuren auf der Houtelisse Tapete. Was die sagten? und was sie hörte? sie wußte es selber nicht, sie war so wenig gewohnt zu reden, und was Andere in dieser Zeit wohl zu sprechen pflegten, das drängte immer wie schwüle Gewitterluft ihr Herzblut zurück. Aber hier auf den Wänden, da ging es wie in ihrer Seele zu, so undeutlich und doch so lebendig, und heiß und wahr. Es waren große Schlachtenstücke, viel Pferde und Menschen verworren in einander gedrängt, die Meisten ganz fabelhaft und seltsam gekleidet, es mochten wohl Sarazenen sein. Doch zu meist vorn stürmte ein Geschwader mit Helmen und bunten Wappenschilden heran. Ein Ritter auf großem weißen Pferde an ihrer Spitze hielt eine Fahne, worauf das rothe Kreuz zu sehen war, hoch in beiden gefaltenen Händen, und den Kopf zurück gewandt nach seinem Reutertrupp, zog diesen sein brennend großes Auge wie ein Feuerstrahl über fallende Sarazenen, ihm nach in Sieg und Tod. Das Gesicht des Ritters war wie von dem Glanze, der über ihm schwebenden Fahne erleuchtet und die halb geöffneten sehr brennenden Lippen schienen Elisabeth etwas sagen zu wollen. Diese betrachtete das Bild eben noch recht achtsam, wobei ihr allerlei, lose und flüchtig durch die Gedanken zog, als des Prinzen Stimme mit ihrem tiefen Metallklang sie vom Kopf zur Sohle durchzuckte. Leise bebend wandte sie sich nach ihm um. Sein Blick lag noch auf der Tapete. Ja, ja, sagte er, so zieht Einer Viele nach, und der Sieg ist sein! Elisabeth war viel zu blöde, um etwas zu erwiedern, doch hob sich die Spitze ihres Fingers wie von selbst zu der Fahne auf. Der Prinz sahe sie schweigend an. Es ging eine tiefe Rührung durch seine Seele. Doch sagte er nichts, sondern blieb lange nachdenklich halb auf das Bild, halb in sich hineinsehend, stehen.

Elisabeth war verlegen in seiner Nähe. Sie hätte sich gern entfernt, doch hielt sie noch immer vom Prinzen unbeachtet, das Licht in der Hand, und da sie es diesem nicht entziehen wollte, so blieb sie, wenn gleich in großer Unruhe vor ihm stehen. Eine leichte Bewegung ihres Armes, machte endlich ihrem Nachbar seine Vergessenheit bemerklich. Beinahe erschrocken faßte er mit beiden Händen zugleich das Licht und ihre Hand. Vergeben Sie, rief er, in höchst anmuthigem Eifer sein Versehen gut zu machen, schon am Eingange des Krieges wird Sitte und Galanterie verletzt. Gewis, meine schöne junge Freundinn, es bekümmert mich mehr, als Sie vielleicht denken, Sie in diesen wüsten Tagen dem rohen Leben so nahe zu wissen. Werden Sie sich durch dieses scheinbar kleine Vergessen nicht abschrecken lassen, und den Schutz eines Verwandten annehmen, der ja ohnehin nur für die Ehre und Freiheit seines Stammes ficht? Elisabeth’s Wangen überzog ein leichter Purpurstrahl, dann ward sie ganz bleich, Thränen traten ihr in die Augen, der Prinz fühlte ihre Hand in der seinen zittern, und diese Bewegung den Vorstellungen naher Gefahr zuschreibend, setzte er eilig hinzu: Für den Augenblick werden Sie ganz sicher auf meinem Schlosse Aspermont sein. Mitten in der insurgirten Provinz zwischen Laroche sür Jon und Chantonnay gelegen, deckt Sie von einer Seite die große Armee, von der andern eröffnet ihnen Charette im bedrängten Augenblick den Weg nach der Küste zur Flucht und Rettung. Wir selbst werden noch heute die Ehre haben, Sie und die Frau Marquise dahin zu geleiten. Elisabeth sah plötzlich zu ihm auf. Mein Prinz, sagte sie ernst, Sie nannten mich ihre Verwandte, Sie werden nicht glauben, daß ich in dieser Zeit an mich denke. Seyn Sie versichert, ich kann nicht vergessen, daß ich eine La Rochefoucault bin, und die wissen zu sterben, wenn die Freiheit bedroht ist. Elisabeth! rief der Prinz sehr erschüttert, wenn der Krieg Sie in seine blutige Windungen hinein zieht, wenn – o mein Gott! wer kann alle Fälle berechnen – wenn Ihnen Gefahr droht, gönnen Sie Niemand als Ihrem Freunde die Wonne Sie zu retten. Ein Wort, ein Zeichen, Elisabeth – hier, die Hälfte dieses Ringes, er brach einen schmalen Goldreif in zwei Stücken – schicken Sie ihn mir, wo ich auch sei, ich fliege Sie zu befreien.

Elisabeth nahm das kleine Bundeszeichen in sichtlicher Bewegung. Sie blickte einen Augenblick verlegen zu Boden, doch, wie von einer Ahndung durchblitzt, sagte sie mit leuchtenden Augen, der Tag kommt gewiß, wo ich Sie an Ihr Versprechen erinnern werde. Und Sie geloben mir Vertrauen, unbedingtes Vertrauen? fragte der Prinz dringend. Die Ehre unsers Hauses gehört dem Prinzen Talmont, so wie mir an, erwiederte Elisabeth, ja ich gelobe es fest.

In diesem Augenblick hörte man mehrere Jagdhörner im Hofe. Die Saalthüren gingen auf, der Herzog trat reisefertig herein. Um jeden Verdacht eines ernsten Unternehmens zu vermeiden, sagte er lächelnd, habe ich unserm Auszuge den Anstrich einer Jagdpartie gegeben. Nun! eine Jagd ist es ja auch, setzte er ernst hinzu, eine Jagd zwischen Löwen und Tiger, eine wilde blutige Hetze. Wir haben weites Revier, mein Vater fiel der Prinz ein, das ganze Frankreich öffnet uns seine Königliche Forsten, die Thronwächter sind darinn zu Haus!

Der Herzog maaß nachdenklich Vergangenheit und Gegenwart, und ging schweigend mit untergeschlagenen Armen im Zimmer auf und nieder. Dann und wann trat er zum Fenster, die vielen Reise-Anstalten der Marquise betrachtend, die trotz ihrer Unruhe, ihrem Schieben und Drängen zum ernsten Ziele sich dennoch durch ein Heer von Kleinigkeiten anhalten und klemmen ließ. Sie konnte nun einmal von ihren Gewohnheiten nicht lassen. Die Mopse mußten in zwei kleinen Körben im Wagen wie im Zimmer, den gewohnten Platz zu ihren Füßen finden. Der große Papageien-Bauer, und ein ungeheurer Toilettenspiegel den Rücksitz einnehmen, ein Kistchen mit englischem Salze und Essenzen zur Hand sein, ihr eig’ner Platz im Wagen mit eckigen und runden Polstern versehen, kurz nichts von allem Gebräuchlichen und Gewöhnlichen vergessen werden. Der Herzog sahe der Packerei mit wunderlich innerm Behagen zu. Wie würde, brach er endlich lachend aus, der Lebensapparat fliegen, wenn nur ein einziger republikanischer Plänkler über den Weg sprengte! Frauen, fuhr er, sich zu den Uebrigen wendend fort, wälzen im Geiste Staaten um, stützen oder stürzen Throne, bewaffnen ganze Völker, möchten Krieg und Schlacht nur sogleich vor der Thüre haben, und können den Fuß nicht über die kleinste Erdscholle setzen, ohne den ganzen, langen Schweif lächerlicher Gewohnheiten hinter sich drein zu schleppen, und so das Wespennest häuslicher Sorgen über uns auszuschütten. Zeiten wie diese passen nicht für sie. Sie träumen viel davon, aber die Wirklichkeit hat ein allzustrenges Gesicht, sie erschrecken davor.

Elisabeth sahe ihn betroffen an. In diesem Augenblick schoß ein Gedanke in ihrer Seele auf, der bis dahin ganz verborgen keimte. Auch jetzt war sie sich seiner nur halb bewußt. Doch trat ernstes Nachdenken an die Stelle jener frühern, schüchternen Ergebung. Ihre Lippen, die sich bei einem ihr ganz eig’nen Ausdruck des Zuhörens und Vernehmens bis dahin leise öffneten, als athme sie die Worte des Redenden ein, schlossen sich jetzt, ihr Blick war ein anderer geworden, nicht mehr das Fremde spiegelte sich in ihm, er trat sichtlich aus ihrem innersten, tiefsten Daseyn heraus, und als suche er eine bestätigende Antwort, so fiel er auf den Prinzen nieder, den das ernste Mädchen mit geheimer unsäglicher Wonne betrachtete. Was damals in Beiden vorging, sie ahndeten es kaum, aber das Leben hat es mit furchtbarem Ernste zur That gemacht.

Jetzt endlich war die Marquise fertig. Mit verweinten Augen, ungleich bebender Stimme rief sie die Uebrigen ab. Ihr kostete der Abschied von dem Schlosse unendlich viel. Sie träumte zwar unablässig von schnellem raschem Fortbewegen, von Reisen und verändertem Wohnsitz, doch hatte sie das Schicksal in der heimathlichen Provinz, ja in dem Kreise von wenig Meilen, stets gefesselt gehalten, und nur ihr Geist überflog die Zwischenräume, und lebte in beweglicher Verbindung mit Hauptstadt, Hof und allen gegenwirkenden Tribfedern der Zeit. Ihr Herz war so gepreßt, daß sie ein paarmal bei dem Hinuntergehen der Treppen still steh’n mußte, um Athem zu schöpfen. Der Herzog, welcher ihr den Arm gegeben hatte, sagte ihr leise: fassen Sie sich, man hält sie bei dieser Mine eher für eine Gejagte als Jägerin. Wenn die Welt in Flammen ist, muß man nicht hinter sich sehen. Sie drückte ihm leise die Hand, konnte aber dennoch der Thränen kaum Herr werden.

Es fand sich beim Einsteigen, daß vor dem vielen Gepäck Elisabeth nur ein kleiner, der Kammerfrau der Marquise aber gar kein Platz blieb. Der Prinz fragte daher seine schöne Cousine ob sie nicht vorziehe zu reiten? Elisabeth wußte nicht wozu sie sich entschließen solle. Sie sahe den Herzog an. Dieser lächelte, und sagte: mein Gott, die Kleine fürchtet sich aber. Lassen Sie sehen! rief Elisabeth schnell, welch ein Pferd wollen Sie mir geben? Der Stallmeister des Herzogs führte ihr einen wunderschönen Isabellen vor. Sie schwang sich leicht von ihrem Vetter unterstützt in die Bügel. Ihr langes schwarzes Kleid, und der kleine Castorhut mit vielen Federn gaben ihrer Gestalt auf dem hohen Pferde etwas unbeschreiblich Erhabenes; das stolze Thier trabte leicht mit seiner schönen Bürde über die Zugbrücke hin. Seht doch! sagte der Herzog, die kleine Heilige wird zur fahrenden Ritterin!

Beide Männer nahmen sie sofort in ihre Mitte. Der Prinz war mit vieler Aufmerksamkeit bemühet, ihr mehrere kleine Vortheile der Haltung und Führung des Pferdes zu zeigen, und bewunderte bald genug die Gelehrigkeit seiner Schülerin. Elisabeth hatte die anfängliche Furcht so sehr bekämpft, daß sie sich der freier’n Beweglichkeit des Reitens wahrhaft freuen konnte, und nur im Stillen bejammerte, einer längern Uebung durch die Abreise ihres Oheims so bald verlustig zu gehen.

Sie waren eine Zeitlang abwärts von der geraden Straße, Wäldern und Morästen entlängst geritten, als ihnen mehrere Schaaren zusammengetretener Landleute begegneten, welche zu der Armee von Charette stießen. Feste, tüchtige Gestalten von stillem Anstande und einfacher Miene. Fast alle mit großen Stöcken, die wenigstens mit Jagdflinten bewaffnet. Einige waren zu Pferde, ohne eben darum ausgezeichneter zu seyn. Ihre Kleidung wich im Ganzen nicht sonderlich von einander ab. Die meisten trugen Pantalons und lange Jacken von grober, brauner Leinewand; auf einem Westchen von weißem Linnen hatten sie ein großes schwarzes Kreuz gemalt. Am Saume aber Reliquien oder die Gebeine erschlagener Väter, Weiber und Kinder wie Franzen aneinander gereihet. Der Rosenkranz, mehrmals um den Hals geschlungen, reichte bis an den Gürtel hinunter. Viele von ihnen beteten ihn, fest vor sich hinsehend, unter leisem Gemurmel ab. Auf ihren Gesichtern war weder Wildheit, noch irgend kühne, rächende Erwartung zu lesen. Sie schienen ruhig und ernst das Nothwendige zu wollen. Als einige von ihnen den Prinzen erkannten, riefen sie, ihre Mützen abziehend: Im Namen Jesus Christus – es lebe der König!

Unbeschreiblich war der Eindruck, den dieser Gruß, so wie der ganze Anblick jener still entschlossenen Märtyrer auf Elisabeth machte. Sie betrachtete sie mit einer Erhebung und einem Vertrauen auf die göttlich geleitete Menschenkraft, welche ihr die heiterste Zuversicht gaben.

Begeistert sah sie auf den Prinzen, der ihren Blick verstand, und dicht zu ihr gebeugt, ihre Hand drückend, leise flüsterte: der Blick, Elisabeth, geht wie ein verheißender Stern überall auf meinen Bahnen voraus.

Es hatten sich ihm indeß viele der Vorüberziehenden genähert. Sie gingen sehr ehrerbietig mit entblößtem Haupte neben seinem Pferde und baten mit treuherziger Zuversicht, bei ihm bleiben und unter seinen Fahnen fechten zu dürfen. Der Prinz lud sie alle sehr bereitwillig zu sich nach Schloß Aspermont, wo er übernachten wollte, und versprach, sie schon am folgenden Morgen der siegreichen großen Armee nach Angers entgegen zu führen. Er redete äusserst herablassend und viel mit ihnen, gleichwohl bemerkte Elisabeth mit einiger Unruhe, daß der Herzog es besser verstand in ihre Gedanken einzugehen, und ihnen auf alle Weise näher als sein Sohn stand! Sie hätte es anders gewünscht, und fühlte nicht ohne Betrübniß, daß die schwache Gesundheit des Herzogs ihm nicht lange gestatten würde das Heer zu begleiten. Doch mußte die ungewisse Zukunft auch in ihr bald vor der lebendigen Gegenwart zurücktreten. Es gesellten sich immer mehr Kriegergemeinden zu ihnen. Ihre Reise glich von da schon einem Heereszuge, der noch unter dem sanften Schutze des Friedens und der Freundschaft, von dem kühnen voraneilenden Gedankenfluge des Prinzen beseelt, den reinen Glanz großer Unternehmung trug, und dem begeisterten Mädchen in der Nähe ihres Helden alle Wonne gemeinsamer That und gemeinsamen Vollbringens lieh.

So zogen sie in Schloß Aspermont ein. Der Wagen der Marquise war ihnen gefolgt. Er hielt jetzt im Hofe, mitten unter dem wunderbar gestalteten Kriegerhaufen. Frau von Robillard stürzte sich fast aus dem Schlage, den guten verwunderten Leuten entgegen. In ihrer unbezwinglichen Lebhaftigkeit lief sie mehr als sie ging, faßte wen sie erreichen konnte, und bat jeden mit thränenden Augen Paris zu befreien, und die Königin, die ihr stets, ohne sie je gesehen zu haben, vor Augen schwebte, zu retten. Obgleich von allem, was sie sagte, nicht viel mehr als der Name der Königin von ihren Zuhörern verstanden ward, so reichte der doch vollkommen hin, allgemeine Bewegung unter ihnen zu erregen, lauter Jubelruf antwortete der Marquise, und sie ging weinend und triumphirend die Schloßtreppe hinauf.

Indeß war Elisabeth in ein Zimmer getreten, dessen hohe, offen stehende Glasthüren nach dem Garten hinaus gingen. Die Abendsonne warf eben ihren vollen goldenen Strahlenkranz auf die Schloßfenster zurück. Der schöne frische Rasen zu Elisabeths Füßen und die Blumenwände zunächst den Terrassen, waren wie von wogenden Goldnetzen umzogen. Mein Gott! rief Elisabeth, überrascht beide Arme sinken lassend, mein Gott, wie schön! – Alles leuchtete und glänzte rund um sie her, da unten ging der Prinz ganz von Purpurlichtern umflossen. Er redete mit seiner schönen, stolzen Miene zu dem Kastellan. Er schien ihm etwas in Bezug auf die Zurückbleibenden zu sagen. Sein Blick flog zu Elisabeth hinauf, und als er sie sahe, lächelte er, und senkte winkend die Augenlieder, als wolle er sagen: ich grüße Dich, mein schöner, holder Gast.

Wunderbar streifen im Menschen die Gränzen der Gefühle aneinander! Mitten in den vollsten Athemzügen des Lebens zuckte Elisabeth der Gedanke an den Tod durch alle Nerven. Es dunkelte ihr vor den Augen. Alles Blut trat ihr zum Herzen, und als sie so bang und beklemmt um sich sehen und aufathmen wollte, war die Sonne hinunter gesunken, und weiße Nebelstreifen zogen über die Stelle, wo der Prinz gestanden hatte. Abschied! Abschied! säuselten Blumen und Sträucher. Abschied! rief es schneidend in Elisabeths Seele. Sie drückte beide Hände vor die Augen, und ließ die heißen Thränen ungehindert strömen.

Es war ganz dunkel geworden, als der Prinz, sie überall suchend, sorglich ihren Namen rief. Sie erschrak, ihre Thränen stockten, doch war sie außer Stand, ihm zu antworten. Jetzt rief er noch einmal und dringender als zuvor. Gott weiß, weshalb der Ton so überaus schmerzlich an ihr Ohr schlug. Die überreizten Sinne jagten wüste Bilder an ihr vorüber. So wird er vielleicht einst vergeblich – sagte sie leise – ihr starben die Worte auf der Lippe, und wie man sich oft im Traume umsonst anstrengt, einen Laut hervorzubringen, so klemmte sich auch jetzt jeder Ton fest in der Brust zusammen.

Elisabeth, sagte der Prinz ihr endlich im Vorsaale begegnend, kannten Sie die Stimme Ihres Freundes nicht? Mein Gott! rief er, in ihr verweintes Auge sehend, was ist geschehen? Was fehlt Ihnen? Bittend flehete sie, wieder ganz in ihre volle Kindlichkeit zurücktretend, fragen Sie nicht danach. Ich will mich auch bemühen, es zu vergessen.

Ihr liebes Auge sahe so innig zu ihm auf, daß er nicht den Muth hatte, weiter in sie zu dringen. Ueberall scheuete er mit Recht noch mehr an den Stürmen seiner Seele zu rühren. Er blieb einige Minuten, die Stirn gegen die flache Hand gedrückt, finster und schweigend vor ihr steh’n. Dann aber, plötzlich auffahrend, griff er rasch nach ihrer Hand. Leben Sie wohl, Elisabeth! rief er mit all seiner brausenden Heftigkeit, die Minuten sind gezählt, wir haben Eile, diese Nacht führt uns noch weit von hier, in kurzem hören Sie von uns, die Armee bricht auf nach Nantes, es muß unser werden, vergessen Sie mich nicht, denken Sie an – er wollte noch etwas sagen, doch sie hörten des Herzogs Stimme, und unwillkührlich traten sie auseinander.

Meine kleine Nichte, sagte dieser im Hineintreten, ich lasse Ihnen den schlanken Isabellen zurück, der doch nun wohl zu stolz seyn möchte, einen Andern zu tragen, ihn verlangt fortan nur nach goldenem Zügel und einer zarten, weißen Hand. Er küßte hier mit angenehmer Galanterie die ihrige, und setzte lächelnd hinzu, wer weiß, ist es Ihnen, meine schöne Freundin, nicht aufgehoben, uns wie eine zweite Johanne d’Arc in den Streit zu führen, und dann trägt sie mein Isabell leicht zu uns herüber.

Elisabeth konnte seine scherzende Anrede nicht eben so beantworten. Es war ihr zu ernst, zu feierlich zu Muthe. Dankend verneigte sie sich, und eben weil ihr das Geschenk des Pferdes überaus theuer war, konnte sie um keinen Preis spielend darüber hinfahren. Mit gesenktem Auge lispelte sie: Immer verstanden Sie es, mein Oheim, Trost und Hoffnung in meine Wunden zu gießen. –

Des Prinzen Augen brannten noch einmal auf den ihrigen, dann brach alles unruhig auf. Im Hofe drängten sich Pferde und Leute aneinander. Die Lichter vom Perron herunter flackerten ungleich, man erkannte niemand deutlich, nur die schwarzen Kreuze auf den linnenen Westen und die weißen Reliquien stachen schauerlich gegeneinander ab.

Still setzte sich der Zug in Marsch. Er bog langsam in die dunkle Kastanien-Allee jenseit der Schloßmauer hinein, von wo man ihn wie einen langen, schattigen Streif in die Weite verschwinden sah. Noch oft wehete der Prinz mit einem weißen Tuche grüßend zurück, dann verschwand auch das letzte, liebe Lebenszeichen. Elisabeth sah fest und thränenlos den Abwärtsziehenden nach, doch als die Marquise nun laut weinend in das Schloß zurückging, und der Kastellan die großen Eichenthüren zuschlug, den schweren Metallriegel davorschob, da rief etwas in ihr: Er kehrt niemals wieder! und als habe sie Blei an den Füßen, schleppte sie sich bleich und erschöpft auf ihr einsames Zimmer.

DRITTES KAPITEL.

Die plötzliche Stille auf Schloß Aspermont beklemmte alle Herzen. Elisabeth wußte am wenigsten, wo sie mit der innern Angst hin sollte. Unwillkührlich trugen sie ihre Schritte immer wieder auf die Stelle, von wo sie die Scheidenden ziehen sahe, und weit, weit hin, folgten diesen Blick und Gedanken. Doch gerade dann befiel sie eine Unruhe, die weder Thränen noch Gebet beschwichtigen konnten. Sie mußte hinaus aus dem engen Schloßbezirk, die hohen Kastanien entlängs, vielleicht daß sie dem Boten des Herzogs begegnete, vielleicht daß dort eine Seele athmete, die Trost in dieser Ungewißheit zu geben wußte.

Der treue Isabell trug sie dann willig durch Feld und Wald, und schweigend folgte ein alter Diener des Hauses, der es nicht recht begriff, warum man die Kronräuber nicht schon längst zu Paaren getrieben, und die alte Ordnung wieder hergestellt habe. Er zweifelte keinen Augenblick, daß die leichte Arbeit bald vollbracht und der Herr Herzog in kurzem wieder hier seyn würde. So beschränkt der treue Glaube des armen Alten auch war, so thaten seine Aeußerungen Elisabeth doch heimlich wohl, und gern ließ sie ihm das täglich Gesagte immer wiederholen.

So unter den Trugbildern geschmeichelter Phantasie gemächlich forttrabend, überraschte sie einst die hereinbrechende Dunkelheit. Die Sonne war längst untergegangen, dichte Dampfsäulen stiegen aus moorigem Wiesengrunde vor Elisabeths Pferde auf, es zog wie eine weißliche Wolke um sie her, man sahe kaum die nächsten Schritte vor sich. Jetzt zeigte sich ein schmaler näher führender Fußpfad rechts über eine kleine, mit Planken belegte Brücke. Elisabeth, durch die zunehmende Finsterniß doch etwas geängstet, wollte rasch darüber sprengen; schon klangen die Bretter dumpf unter den stampfenden Pferdehufen zurück, als plötzlich unterhalb aus dem trocknen Graben ein Mann mit verwildertem Bart und Haaren, heiser schreiend: rettet mich, rettet mich, ich sterbe vor Hunger! in die Zügel ihres Pferdes fiel. Der Schreck hielt Elisabeth wie gebannt, sprachlos auf einer Stelle. Erbarmen Sie sich, rief der Unglückliche aufs neue, wer Sie auch sind, ich flehe zu der sanften Seele einer Frau, retten Sie einen Hülflosen, den das Mißlingen aller Lebenshoffnungen in diese Sümpfe trieb. Er war bei diesen Worten unwillkührlich in die Knie gesunken. Krampfhaft faßten seine Hände ihr Kleid. Ich kann nicht weiter, stammelte er, meine Füße bluten, die Kräfte versagen mir, nur eine Nacht Obdach! nur um eine Mahlzeit flehe ich. Die Todesangst verzerrte seine Züge bis zum Ausdruck des Wahnsinns. – An allen Gliedern zitternd sprang Elisabeth vom Pferde. Ihre erste Bewegung war, dem Fremden aufzuhelfen, dann winkte sie den Reitknecht herbei, jenen auf den Isabellen zu heben, und des Pferdes Zügel fassend, führte sie den ungekannten Gast schweigend unter heimlich beklemmender Angst den Fußpfad zum Schlosse hinan.

Tragen Sie Sorge für einen Kranken, sagte sie dem Kastellan, indeß sie unter dem Thore still hielt und ihren Pflegbefohlnen in ein unteres Zimmer führen ließ. Forschen Sie nicht viel, wer er sey, setzte sie eilig hinzu, es mag uns wenig frommen und thut zur Hauptsache nichts. Vor allem bedarf er Speise und Ruhe, und beides schaffen Sie ihm wohl.

Dieses besorgt, ging sie, die Marquise von dem Vorfalle zu unterrichten, da sie über alle weiter zu nehmenden Maaßregeln unsicher war, und sichtlich zwischen Mitleid und mehr dunkel geahnten, als empfundenen Rücksichten kämpfte. Sie fand Frau von Robillard sehr erhitzt, sehr bekümmert, alle Zeichen fehlgeschlagener Erwartung in den unruhig arbeitenden Zügen. Neu angekommene Briefe und öffentliche Blätter lagen zerstreut um sie her. Sie schob diese eilig zusammen, und erschöpft in ihren Sessel zurücklehnend sagte sie: Arme Kleine, was suchst Du bei mir? – Elisabeth sahe ängstlich auf die Papiere. Haben Sie Nachrichten? fragte sie leise. Wie sollte ich nicht! erwiederte jene, meine Verbindungen lassen mich nie arm daran. Doch was helfen sie uns! Wir haben es nur mit Treulosen und Unglücklichen zu thun! Elisabeth ward todtenbleich, sie mußte sich setzen, und den Arm auf den Tisch der Marquise gestützt, wiederholte sie langsam: Treulose? –

Frau von Robillard griff hastig nach den eben erhaltenen Tagesblättern, breitete sie vor Elisabeth aus, und indem sie während des Redens heftig mit dem Zeigefinger auf die angeführten Stellen tippte, sagte sie: Publicist und Moniteur zeigen genugsam, welch ein Ansehen alles gewinnt. Dieser Pariser Konvent lähmt wie das Medusenhaupt jeden aufgehobenen Arm! Zitternd und verstört fallen gutgesinnte Städte wieder unter das Joch der Anarchie zurück, ihre Obern sind Memmen oder Instrumente der Gegenparthei, und das Volk – nun mein Gott! das ist allenthalben eine breite Masse, die man in jede Form knetet. Alles ist von dieser Seite verloren! und was eine Diversion gemacht, was die Zagenden electrisirt haben würde, die Einnahme von Nantes, das ist mißglückt, wir sind geschlagen, und haben keine andere Hoffnungen, als mit dem letzten Blutstropfen Frankreichs erlöschender Ehre ein armes trübes Opfer zu bringen.

Elisabeth konnte nicht ein einziges Wort sagen. Die Heftigkeit der Marquise mehr noch als die trüben Nachrichten machten sie stumm. Mechanisch streckte sie ihre Hand nach einem Briefe aus, den ihr jene hinhielt. Er war vom Herzoge, der Inhalt folgender:

»Es befremde die edlen Damen auf Aspermont nicht, wenn Sie erfahren, daß ihre Vertheidiger den Plan auf Nantes aufgegeben und die Ufer der Loire für jetzt verlassen haben. Ein erster Unfall ist eine Mahnung des Himmels zur Vorsicht. Vielleicht, daß das stolze Blut des Prinzen ihn zu allzukühnem Flug verleitend den Feind überreizt und zur Ausdauer gezwungen hat. Wenn indeß einerseits der jugendlichen Unerschrockenheit das richtigere Maaß fehlte, so habe ich doch auf andere Weise die Glorie meines Hauses in ihrem vollen Glanze aufflammen sehen. Der Prinz war herrlich im Gefecht! Er führte die Kavallerie und deckte unsern Rückzug. Mehr als ein Pferd ward ihm erschossen. Härter traf es den edlen Cathélinnau, er ist tödtlich verwundet. Die ganze Armee trauert mit Recht deswegen, doch bleiben uns noch andere, nicht minder geachtete Führer. Ueberall dürfen wir bei keinem Mißgeschick verweilen. Im Sturme heben sich die Schwingen nur um so gewaltiger. Vergessen Sie das nicht. Gewöhnen Sie sich ausserdem den Gang dieses Krieges nicht nach gewohnten Grundsätzen der Taktik zu schätzen. Wir wollen nichts, als uns behaupten. Können wir das, so wird sich alles Andere finden.«

»Jetzt wenden wir uns nach Lucon im Verein mit Charette. Sie werden bald von uns hören.«

Nun, sagte Elisabeth, die leuchtenden Augen von dem Blatte aufhebend, was ist denn auch so Großes geschehen? was Heute verloren ward, kann Morgen wieder genommen werden. Die Marquise starrte sie verwundert an, drauf die Schultern zuckend, warf sie sich mit den Worten: Mein Gott! wie kurzsichtig! unwillig in die Sophakissen zurück. Seh’n Sie denn nicht, rief sie nach kurzem Besinnen, plötzlich wieder auffahrend, seh’n Sie nicht, daß diese ehrgeitzigen, unruhigen Gemüther, diese Paladine des Ruhmes, sich aus dem schlichten Gange der Ereignisse herausheben, und so das persönliche Ritterthum vor der Welt behaupten, den Geist der Gemeinschaft gleichwohl durchaus verwirren werden. Man muß den Einzelnen vergessen können, wenn man sich zu dem Gedanken des Vaterlandes erhebt. Ich weiß nicht, meine Tante, entgegnete Elisabeth schüchtern, wie das irgend jemand gelingen möchte. Ein jeder hat zuerst ein geliebtes Haupt, an das schließen sich ihm die übrigen Glieder an. Ohne solch ein Band der Liebe, wo wäre denn uns’re Heimath? und was den Ruhm betrift? – er ist das goldene Ehrenkleid, was der himmlische Vater seinen Kindern zeigt, wenn er sie zu sich rufen will. Gönnen wir es denen, die sich hier in Blut und Wunden hüllen! – O! ich weiß, rief die Marquise sichtlich durch dies Bild erschüttert, ich weiß, sie werden sich alle, alle von den republikanischen Henkern schlachten lassen! sie schwelgen ordentlich in der Vorstellung solchen Opfertodes, sie geitzen danach, und wenn jedes Andere darüber zu Grunde ginge! Sie hatte das letztere schluchzend, unter einem Strom von Thränen heftig herausgestossen. Elisabeth faßte ihre Hand, und sie sanft an ihre Lippen drückend, sagte sie: es sind ja Christen, meine Tante, sie werden nicht mehr thun, als sie dürfen.

Hier trat der Kastellan in das Zimmer, und sagte leise, zu Elisabeth gebeugt: »Mein Fräulein der Kranke wünscht Sie zu sprechen.« Gott! ja, rief diese sich besinnend, meine Tante, es ist ein Unglücklicher hier im Schlosse, den ich hülflos am Wege fand, und ihn so in diese Mauern führte. Wie? sagte Frau von Robillard, indem sie von ihrem Sitz aufsprang, ein Fremder? hier bei uns? Mein Gott wie unbesonnen! Sie sollten die Gastlichkeit in des Prinzen Namen nicht allzuweit ausdehnen, Sie werden diesen wenig dadurch verbinden. Elisabeth erzählte wie alles gekommen war, und die Marquise immer voraus eilend, ohne sonderlich darauf zu achten, wiederholte mehreremale: ich muß ihn selbst sehen und prüfen, ob wir ihn hier behalten dürfen.

So kamen sie an des Kranken-Zimmer. Als der Kastellan die Thüren öffnete, richtete sich ein jugendlich überaus schöner Mann vom Lager in die Höhe. Mit einer Hand das wilde Haar aus der Stirn streichend, mit der andern den dürftig braunen Mantel über halb entblößte Schultern ziehend, richtete er die dunkeln melankolischen Augen tiefsinnig auf die beiden eintretenden Frauen. Bürgerinnen, sagte er mit voller etwas spröder Stimme, ich will Ihr Vertrauen weder durch Verrath noch Heuchelei mißbrauchen. Ich weiß, daß ich mich in Mitten einer aufrührerischen Provinz, unter dem Schutz glühender Verfechter alter Irrthümer befinde, ich weiß, daß augenblickliches Waffenglück Sie zu großen Erwartungen berechtigt, daß Sie stolz und kühn Rache an dem Einzelnen nehmen können, der sich Ihnen freiwillig auslieferte; doch, welches auch mein Loos sey, ich verachte es die innere Wahrheit vor der Gewalt des Schicksals zu verleugnen. Bürgerinnen, Sie bergen unter Ihrem Dache ein ehemaliges Mitglied des Convent’s, einen jener geflüchteten Girondisten, welche der rasenden Anarchie in die Zügel fielen, und von ihr niedergerannt unter die Trümmer des Vaterlandes geschleudert wurden. Mein Name ist Barbaroux, thun Sie mit mir wie Sie wollen, seit ich gegessen und geschlafen habe, setzte er finster hinzu, mag ich nicht mehr leben, nun ist der letzte Reitz des Daseins hin. Er legte sich mit diesen Worten auf die Kissen zurück, und den Blick am Boden geheftet, schien er es vergessen zu haben, daß noch ausser ihm jemand im Zimmer sey.

Elisabeth betrachtete die schöne, schauerliche Gestalt mit entsetzlicher Bangigkeit. Widerwillig fiel ihr Auge auf sie, wie auf ein Gespenst zurück, und tief aus ihrem Herzen schrie es herauf: der hat das Todesurtheil seines Königs unterzeichnet! ganz Frankreichs Blut klebt an dieser Hand!

Die Marquise etwas gespannt, mehr gereitzt als entfremdet, konnte sich nicht enthalten, auf diese lange Anrede, kurz und bitter zu erwiedern: Sie suchen nicht bei Frauen den Tod, Sie wissen ihn ohne Zweifel anders wo zu finden, deßhalb waren Sie des Schutzes ohne weitere Zusage hier gewiß. Und gleich darauf durch ein linderes Gefühl der Theilnahme beschwichtigt, setzte sie sanft hinzu: möchte sich jeder andere Zweifel eben so schnell in Ihnen lösen, und Sie ruhig seyn können. Der Jüngling sahe sie sehr trübe an. Ich wäre glücklich, seufzte er, könnte sich noch ein Zweifel in mir regen, dann fände die Hoffnung wohl auch noch Raum. –

Die Marquise hatte sich ihm indeß unwillkührlich genähert. Die schwere Schicksalshand die auf diesem Haupt zu lasten schien, zog sie magnetisch an. Wie, sagte sie, zwischen Stolz und Mitleid schwankend, dürfen Sie den Erfolgen mißtrauen, die Sie selbst vorbereiteten? – Was hat das Wohl der Republik mit der Schmach, dem Schmerz und Elend des Einzelnen zu thun? Seit wann zählt man Menschenopfer für etwas?

Jener richtete sich düster in die Höhe. Die breite nervige Brust vorgebeugt, beide Arme auf eine vor ihm stehende