Impressum

Herausgeber: Prof. Dr. Ralf-Christian Härting

Hochschule für Technik und Wirtschaft,

Beethovenstr. 1, D-73430 Aalen

E-Mail: transfer@kmu-aalen.de

Internet: www.kmu-aalen.de; www.transfertag.de

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7412-0700-6

Vorwort

Seit dem Jahr 2004 gibt es an der Hochschule Aalen im Studienbereich KMU der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft eine Tagungsreihe zu aktuellen Themen aus den Bereichen betriebliche Steuerung und Informationssysteme. Diese sog. Transfertage, organisiert von dem Competence Center für "Betriebliche Informationssysteme im Mittelstand", haben wechselnde, inhaltliche Schwerpunkte. Der Transfertag im Jahr 2014 hatte zum Thema „Big Data – Daten strategisch nutzen“. Der diesjährige 8. Transfertag knüpft daran an und beleuchtet das Thema „Digitalisierung und Industrie 4.0 – Innovative Geschäftsmodelle wagen“.

In diesem Tagungsband werden Ihnen Inhalte und Ergebnisse aus den Vorträgen der Konferenz sowie weiterführende Informationen zur Verfügung gestellt. Wir möchten uns bei allen Referenten bzw. Autoren bedanken, die durch ihre Beiträge zeigen, welch ein spannendes und herausforderndes Forschungsfeld „Digitalisierung und Industrie 4.0“ sind.

Veröffentlichungen, wie dieser Tagungsband, sind nur möglich mit der tatkräftigen Unterstützung eines Redaktionsteams. Ein besonderer Dank gilt deshalb Herrn Christopher Reichstein (M.Sc. / Univ.), Herrn Michael Möhring (M.Sc. / Univ.), Frau Dipl. Volkswirtin Dorothee Mack, Frau Julia Wiedenmann (M.Sc.), Herrn Pascal Neumaier (B.A.) und dem gesamten Studienbereich KMU. Ohne Ihre Arbeit und Unterstützung würde es diesen Tagungsband nicht geben.

Wir hoffen, alle Leserinnen und Leser dieses Bandes beim nächsten Transfertag im Jahr 2018 zu einem neuen spannenden Thema wieder begrüßen zu können.

Aalen, Mai 2016 Prof. Dr. Ralf-Christian Härting

Übersicht

Wissenschaftsbeiträge

1 Nutzenpotenziale von Industrie 4.0 und Digitalisierung

Ralf-Christian Härting, Michael Möhring, Rainer Schmidt

2 Eine Fallstudie mit INDREX in der biomedizinischen Domäne

Torsten Kilias

3 Revenue Management als Konzept zur Ertragsmaximierung

Simon Letsche, Ralf-Christian Härting, Michael Möhring, Christopher Reichstein

4 Dynamic Pricing bei Flugbuchungen in Deutschland - Empirische Einblicke

Martina Ziegerer, Jana Herbert, Julia Marx, Esther Mangold, Madelaine Mader, Svenja Baumgartl, Lars Pemöller, Pascal Faßbender

5 Das Internet der Dinge wird Geschäftsmodelle verändern

Markus Weinberger

6 Cloud Computing Lösungen für das Human Resource Management – eine Literaturanalyse und empirische Fallstudie

Thorsten Witt, Michael Möhring, Ralf-Christian Härting

7 Neue "smarte" Dienstleistungen als Geschäftsmodell – Von der Idee bis zum Einsatz

Claas Christian Wuttke

Praxisbeiträge

8 Ein zentraler Plattformdienst für das "Internet der Dinge" - Der IoT Cloud Service

Marcel Amende, Nadine Schöne

9 Bedeutung von Industrie 4.0 in der Unternehmensstrategie – Erste praxisorientierte Einblicke

Christian Bayer, Barbara Keller

10 Digitalisierung als Treiber für Marketing 4.0

Ralf-Christian Härting, Maik Mohl, Stephanie Bader

11 Digitalisierung ist der Motor für die Welt von Morgen

Jörn Kellermann

12 Technologie wagen – die digitale Transformation gestalten

Christoph Kilger

13 Industrie 4.0 – KPMG unterstützt Kunden auf dem Weg zur Smart Company

Bernhard Lang, Sascha Glemser

14 Die Digitale Transformation und die Nutzung sozialer Medien - Konsequenzen für das Customer Experience Research in deutschen Unternehmen

Peter Pirner

15 Unterstützung der Störungserkennung in der industriellen Fertigung durch eine echtzeitfähige Big Data-Plattform

Gerald H. Ristow, Yvonne Hegenbarth

16 Manufacturing Digitization

Ralf Stetter

17 Education 4.0 für Unternehmen 4.0 – neue Ausbildungskonzepte für agile Unternehmen

Rainer Stetter

Inhaltsverzeichnis

  1. Nutzenpotenziale von Industrie 4.0 und Digitalisierung
  2. Eine Fallstudie mit INDREX in der biomedizinischen Domäne
  3. Revenue Management als Konzept zur Ertragsmaximierung
  4. Dynamic Pricing bei Flugbuchungen in Deutschland - Empirische Einblicke
  5. Das Internet der Dinge wird Geschäftsmodelle verändern
  6. Cloud Computing Lösungen für das Human Resource Management – eine Literaturanalyse und empirische Fallstudie
  7. Neue "smarte" Dienstleistungen als Geschäftsmodell – Von der Idee bis zum Einsatz
  8. Ein zentraler Plattformdienst für das "Internet der Dinge" – Der IoT Cloud Service
  9. Bedeutung von Industrie 4.0 in der Unternehmensstrategie – Erste praxisorientierte Einblicke
  10. Digitalisierung als Treiber für Marketing 4.0
  11. Digitalisierung ist der Motor für die Welt von Morgen
  12. Technologie wagen – die digitale Transformation gestalten
  13. Industrie 4.0 – KPMG unterstützt Kunden auf dem Weg zur Smart Company
  14. Die Digitale Transformation und die Nutzung sozialer Medien - Konsequenzen für das Customer Experience Research in deutschen Unternehmen
  15. Unterstützung der Störungserkennung in der industriellen Fertigung durch eine echtzeitfähige Big Data-Plattform
  16. Manufacturing Digitization
  17. Education 4.0 für Unternehmen 4.0 – neue Ausbildungskonzepte für agile Unternehmen

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1.1: Entwicklung Industrie 4.0

Abbildung 1.2: Bausteine Digitalisierung

Abbildung 1.3: Ökonomische Wirkungen der Digitalisierung

Abbildung 1.4: Nutzen Industrie 4.0 „Allgemein“

Abbildung 1.5: Technologieeinführung

Abbildung 2.1: NLP-Stack wie er in INDREX Anwendung findet

Abbildung 2.2: SQL Abfrage an INDREX zur Extraktion der syntaktischen Relation "cause"

Abbildung 2.3: Prozess der Relationsextraktion mit INDREX

Abbildung 3.1: Der Revenue Management Prozess

Abbildung 3.2: Übersicht der Instrumente des Revenue Managements

Abbildung 3.3: Fixpreisstrategie und Preisdifferenzierung

Abbildung 3.4: Untersuchungsmodell

Abbildung 3.5: Auswertung des Untersuchungsmodells

Abbildung 4.1: Strukturmodell

Abbildung 5.1: Magisches Dreieck – St. Galler Business Model Navigator

Abbildung 7.1: Reifegrad digitaler Geschäftsmodelle

Abbildung 7.2: Arten industrieller Dienstleistungen

Abbildung 7.3: Struktur des Referenz-PEP mit einer beispielhaft ausgeführten Arbeitsphase

Abbildung 7.4: Teil der Referenz-Checkliste zur PEP-Phase „Anforderungsanalyse und Business Case“

Abbildung 7.5: Canvas-Segment zur Festlegung der Rahmenbedingungen (Beispiel)

Abbildung 7.6: Canvas-Segment zur Festlegung des Methodenportfolios (Beispiel)

Abbildung 8.1: Startbildschirm des Oracle IoT Cloud Service

Abbildung 8.2: Architektur des Oracle IoT Cloud Service

Abbildung 8.3: Simulation eines Klimageräts

Abbildung 8.4: Nachrichtenweiterleitung an eine Unternehmensapplikation

Abbildung 10.1: Bausteine Digitalisierung

Abbildung 10.2: Programmatic Advertising Ökosystem

Abbildung 10.3: Vorgehensmodell zur Umsetzung von Marketing 4.0

Abbildung 11.1: 5 Bereiche der Digitalisierung

Abbildung 14.1: Das SocialTRI*M Framework von TNS

Abbildung 14.2: Attraktivität für Customer Engagement in den Sozialen Medien in Deutschland

Abbildung 14.3: YouTube als Informationsplattform in den Altersgruppen bis 34 in Deutschland

Abbildung 15.1: Aufbau Helium-System

Abbildung 15.2: Architekturbild

Abbildung 15.3: Polymer Thread Scale

Abbildung 16.1: Definition Industrie 4.0 Bitkom

Abbildung 16.2: Zusammenspiel der zentralen Systeme

Abbildung 16.3: Thesen von Karl-Heinz Land

Abbildung 16.4: Thesen von Karl-Heinz Land

Abbildung 16.5: Informationsfluss im gesamten Unternehmen

Abbildung 16.6: Teamcenter Fertigungsintegration

Abbildung 17.1: Showcase Mi5

Abbildung 17.2: Reale und virtuelle Anlage

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1.1: Studien zu Industrie 4.0 und Digitalisierung

Tabelle 4.1: Variablenbeschreibung

Tabelle 4.2: Mittelwertvergleich der Preise auf Portalen und Webseiten von Airline

Tabelle 4.3: Mittelwertvergleich der Flugpreise bei Recherche mit stationären und mobilen Endgeräten

Tabelle 4.4: Mittelwertvergleich der Preise bei Nutzung von MacOs und Windows

Tabelle 4.5: Mittelwertvergleich der Flugpreise um 10:00 Uhr und um 18:00 Uhr

Tabelle 6.1: Ergebnisse der Literaturrecherche

1 Nutzenpotenziale von Industrie 4.0 und Digitalisierung

Ralf-Christian Härting, Michael Möhring, Rainer Schmidt

1.1 Einleitung

Unternehmen – auch im Dienstleistungssektor – stehen heute vor möglichen Investitionsentscheidungen in Bezug auf Industrie 4.0 und neuen Digitalisierungsansätzen. Neben diesem praktischen Entscheidungsdruck bestehen auch in der Wissenschaft viele Fragestellungen zu den Nutzungspotenzialen von Industrie 4.0 und Digitalisierung. Die folgenden Ausführungen möchten erste Antworten auf diese praktischen und wissenschaftlichen Fragstellungen geben. Ausgehend von einer Einordnung der Begriffe Industrie 4.0 und Digitalisierung werden deren Nutzenpotenziale auf Basis aktueller Studien des Competence Center für betriebliche Informationssysteme (BIM) dargestellt.

1.2 Industrie 4.0

Seit Beginn der industriellen Revolution unterliegt die westliche Gesellschaft tiefgreifenden Veränderungen (Abbildung 1.1). Während die erste industrielle Revolution infolge von mechanischer Produktionsanlagen mithilfe von Wasser und Dampfkraft die menschliche Arbeitskraft Ende des 18. Jahrhunderts ersetzte (Dorst 2012), entwickelten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts innerhalb der zweiten industriellen Revolution zunehmend Konzepte zur Organisation von arbeitsteiliger Massenproduktionen mithilfe von elektronischer Energie (Taylor 1911). So löste allein die von Henry Ford stark vorangetriebene Fließbandarbeit die handwerklich orientierte Produktion in vielen Bereichen ab. Zu Beginn der 70er Jahre entstand durch den Einsatz von Elektronik und IT schließlich die dritte industrielle Revolution, welche zur weiteren Automatisierung der Produktion führte. Mit der vierten industriellen Revolution wird die gerade beginnende Umbruchphase bezeichnet, in der erstmals intelligente Handlungen des Menschen durch maschinelle Aktionen ersetzt werden (Härting et al. 2015).

Industrie 4.0 bezeichnet demnach die vierte industrielle Revolution, welche auf Basis von Cyber-Physischen-Systemen auf die neuen technologischen Errungenschaften zurückgreift. Wesentliche Technologien von Industrie 4.0 sind das Mobil Computing, das Cloud Computing sowie die Verwendung von Big Data, welche sich einfach in Produktionsprozesse integrieren lassen und zusätzlich weltweit über das Internet gesteuert werden können (Schmidt et al. 2015).

Abbildung 1.1: Entwicklung Industrie 4.0 (Bitkom 2014)

Eine der wesentlichen Treiber von Industrie 4.0 ist die Fähigkeit zur Sammlung und Speicherung von komplexen Daten. So wurden schon vor der Zeit von Industrie 4.0 und unter der Verwendung von Cloud Computing beispielsweise Daten in Bezug auf Produktionsprozesse gespeichert. Diese Daten verweilten in der Regel jedoch in der Produktionsabteilung, bis diese aufgrund von Mangel an Speicherkapazitäten kurze Zeit später wieder gelöscht wurden (Schmidt et. al. 2015). Die Möglichkeiten zur Verarbeitung und Speicherung von Daten sind inzwischen durch deutlich verbesserte Kommunikationssysteme exponentiell gestiegen (Brynjolfsson, McAfee 2014). Auf dieser Basis ist es möglich, neue Funktionen, Prozesse und Geschäftsmodelle zu entwickeln. Eine zentrale Rolle spielen dabei die erweiterten analytischen Möglichkeiten, welche durch die Technologien im Big Data Umfeld (Breuer et al. 2013) geschaffen wurden.

Um den enormen Anstieg an wichtigen Daten, die von intelligenten Produkten geliefert werden, verarbeiten und nutzen zu können, bedarf es neuer Ansätze aus Big Data (Härting 2014; Möhring et al. 2013; Möhring et al. 2014). So können auf Grund der größeren zur Verfügung stehenden Datenmenge nicht nur genauere (Geschäfts-)Modelle, sondern auch gleichzeitig Prognosen erstellt und optimiert werden (Möhring et al. 2013; Möhring et al. 2014).

Beispielsweise kann auf Basis der gesammelten Daten ein optimaler Termin für die Durchführung von Wartungsmaßnahmen bestimmt werden. Mit der Nutzung von Big Data und Advanced Analytics geht nicht zuletzt auch eine deutliche Reduzierung der Latenz für Auswertungen einher (Schmidt, Möhring 2013). Immer häufiger werden darüber hinaus die Big-Data-Funktionen in Clouds bereitgestellt (Schmidt, Möhring 2013). Daher können vermehrt Entscheidungen auf taktischer oder sogar operativer Ebene unterstützt werden.

1.3 Digitalisierung

Die digitale Revolution ist kein neues Phänomen und stellt Unternehmen und die Gesellschaft seit Jahrzehnten vor neue Herausforderungen. So hat sich beispielsweise der elektronische Informationsaustausch im Laufe der Zeit von einfachen Mitteilungsformen (Zeichen, Symbole) hin zu komplexen Kommunikationsbeziehungen in Form von digitalen Daten entwickelt (Härting 2000).

Mit dem Wandel digitaler Technologien hat sich auch das Verständnis des Digitalisierungsbegriffes verändert. Wie auch Industrie 4.0 steht der Begriff Digitalisierung heute für intelligente Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse unter Verwendung leistungsfähiger Informations- und Kommunikationstechnologien, wie z. B. Big Data, Cloud und Mobile Computing, Internet der Dinge oder Social Software (Bitkom 2014; Härting et al. 2015). Digitalisierung ist also nicht nur die Bereitstellung von Informationen, sondern auch die (Teil-)Abbildung von Wertschöpfungsprozessen in elektronischer Form. In Erweiterung zu Industrie 4.0 kommen zu dem Begriffsverständnis von Digitalisierung noch folgende Aspekte hinzu:

Digitalisierung (engl. Digitization) beschreibt nach Kagermann (2015) die kontinuierliche Konvergenz der realen und virtuellen Welt und kann als Haupttreiber von Innovationen und Änderungen in allen Sektoren unserer Wirtschaft angesehen werden. Gemäß einer Untersuchung des Instituts für Mittelstandsforschung profitieren alle betrieblichen Funktionsbereiche von der Digitalisierung (Schröder et al. 2015)

Digitalisierung hat dabei auch Einfluss auf die bisherige analoge bzw. manuelle Arbeitswelt (Kuhlmann, Schumann 2005) bspw. durch eine Veränderung in einer „digitalen“ Fabrik oder Datenschutz-problematische Arbeitnehmerüberwachungen. Dabei besteht auch ein Einfluss auf bereits digital implementierte Arbeitsbereiche wie die IT-Organisation (Brettreich-Teichmann, Grötecke 2016).

Neben den Bezug auf die Wirtschaft, können auch andere Aspekte der Digitalisierung gefunden werden. Kulturgüter werden in vergangener Zeit immer mehr digitalisiert, um diese für die Zukunft für unsere Gesellschaft zu bewahren (Weber 2014). Auch Lehrinhalte an Hochschulen sind immer mehr durch Digitalisierungsansätzen getrieben (Arndold et al. 2015). Die öffentliche Verwaltung erhält unter den Schlagwort „E-Government“ einen immer mehr digitalisierten Zugang zu ihren Stakeholdern (Chun et al. 2010).

Eine Betrachtung des Begriffes der Digitalisierung darf sich nicht nur auf Technologien und deren Potential für Geschäftsprozesse reduzieren, sondern muss auch Akteure sowie Rahmenfaktoren aus dem sozialen und rechtlichen Umfeld einbeziehen. Um diese Faktoren möglichst vollständig zu berücksichtigen, kann die Digitalisierung aus ganzheitlicher, systemischer Perspektive betrachtet werden (Härting 2000).

Unter einem System versteht man eine Menge von Elementen, zwischen denen Wechselbeziehungen bestehen (Bertalanffy 1972; Stachowiak 1973). Kernelemente, d. h. die Infrastruktur neuer Digitalisierungsansätze, ergeben sich aus neuen Technologien sowie Diensten und Applikationen. Unter dem Begriff " Technologie" können alle neuen Entwicklungen u. a. aus den Bereichen „Big Data oder Mobile Computing“ subsumiert werden. Digitale Dienste sind z. B. Cloud-Dienste, insbesondere das Servicemodell „Software as a Service“. Digitale Dienste bieten über den Kommunikationsaspekt hinaus eine Vielzahl geschäftsorientierter Anwendungen aus dem Industrie- aber auch Dienstleistungssektor.

Abbildung 1.2 verdeutlicht den Systemgedanken der Digitalisierung und gibt einen ersten Überblick über relevante Technologien, Dienste und deren Applikationen.

Abbildung 1.2: Bausteine Digitalisierung

Um ein abschließendes Verständnis von Digitalisierungsansätzen zu erhalten bedarf es noch weiterer Forschung, die sich mit Begriff und Potentialen (Chancen / Risiken) der Digitalisierung auseinandersetzen.

1.4 Chancen und Risiken

Chancen und Risiken der Digitalisierung lassen sich theoriegeleitet aus institutionsökonomischer Sicht (Williamson 1985) einordnen. Alle Prozesse innerhalb und zwischen Unternehmen können als Transaktionen zwischen Koordinationspartnern verstanden werden. Diese Transaktionen sind gekennzeichnet durch Anbahnungs-, Vereinbarungs-, Abwicklungs- und Kontrollkosten, den sog. Transaktionskosten. Die Chancen von und Industrie 4.0 und Digitalisierung liegen in der Senkung der Transaktionskosten durch Automatisierung und neue Geschäftsmodelle (Picot et al. 2009). Wie Abbildung 1.3 zeigt kommt es zu einem Effizienzgewinn allerdings nur dann, wenn die Transaktionskostenvorteile neuer Digitalisierungsansätze die negativen Effekte überwiegen (Härting 2000). Negative Effekte bzw. Risiken ergeben sich vor allem bei der Nutzung digitaler Technologien, wenn ausgeprägte Unsicherheiten hinsichtlich der rechtlichen und sozialen Rahmenfaktoren (z. B. Datenschutz, negative Technologieeinstellung) vorliegen.

Abbildung 1.3: Ökonomische Wirkungen der Digitalisierung

Zur weiteren Diskussion der Chancen und Risiken von Industrie 4.0 und neuen Digitalisierungsansätzen gibt es bereits erste Fachbeiträge und Studien. In folgender Tabelle 1.1 findet sich eine Auswahl relevanter Studien:

Herausgeber Titel
Härting et al. / BIM Nutzenpotenziale von Industrie 4.0
Schmidt et al. / BIM Industry 4.0 – Potentials for Creating Smart Products
BITKOM Industrie 4.0 Volkswirtschaftliches Potential für Deutschland
Agiplan, Fraunhofer IML, ZENIT / BfWE Erschließen der Potenziale der Anwendung von ,Industrie 4.0‘ im Mittelstand“
Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) Geschäftsmodell-Innovation durch Industrie 4.0 – Chancen und Risiken für den Maschinen-und Anlagenbau
Harvard Business Research Panel The Digital Transformation of Business
TNS Infratest / BMI Zukunftspfade Digitales Deutschland 2020
IMPULS-Stiftung des VDMA Industrie 4.0-Readiness

Tabelle 1.1: Studien zu Industrie 4.0 und Digitalisierung

Verweise auf weitere Industrie 4.0-Studien finden sich bei Härting und Kubiak (2015) und bei Schmidt et al. (2015).

1.5 Forschung am Aalener Competence Center für betriebliche Informationssysteme

Aufbauend auf den genannten Studien zu Industrie 4.0 wurden auch am Competence Center für betriebliche Informationssysteme mit assoziierten Wissenschaftlern der Hochschule München und Reutlingen mehrere wissenschaftliche Studien initiiert. Hierbei sollten vor allem Aspekte der Chancen und Risiken von Industrie 4.0 und neuen Digitalisierungsansätzen im Vordergrund stehen. Zentrale Forschungsfragen fokussieren dabei auf Nutzenpotenziale für Unternehmen insbesondere aus dem Mittelstand.

Eine erste Studie wurde im Zeitraum von Juli 2014 bis Oktober 2014 mit einer Befragung von 133 führenden Industrie 4.0-Experten im deutschsprachigen Raum (Härting et al. 2015; Schmidt et al. 2015) durchgeführt. Über 42 Prozent der befragten Experten arbeiten für Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern. 54 Prozent der befragten Experten arbeiten im Fertigungsbereich und 13,35 Prozent sind dem IKT-Bereich zugeordnet. Weitere wichtige Einsatzbereiche dieser Experten sind im Unternehmensumfeld Health-Care, Energy und Facility Management zu finden. Zahlreiche Industrie- und Handelskammern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz unterstützen unsere Studie. Der quantitativen Studie lag ein multivariates Analyseverfahren zu Grunde. Mittels Strukturgleichungsmodellierung konnte ein Hypothesenmodell für das Nutzenpotenzial von Industrie 4.0 aufgestellt werden. Die Ergebnisse dieser Studie wurden bereits veröffentlicht (Härting et al., 2015).

Nach der Datenerhebung wurden die Ergebnisse analysiert und mit dem bisherigen Forschungsstand konsolidiert (Härting et al. 2015). Die Ergebnisse dieser Studie ergaben, dass insbesondere Technologien wie Big Data und Cloud Computing zentrale Treiber von Industrie 4.0 sind und erheblichen Einfluss auf Geschäftsprozesse nehmen. So schätzt die Mehrheit aller befragten Experten die Nutzenpotenziale von Industrie 4.0 in Unternehmen im Allgemeinen als hoch ein (siehe Abbildung 1.4).

Abbildung 1.4: Nutzen Industrie 4.0 „Allgemein“ (Härting et al. 2015)

65 Prozent (86 von 133) aller befragten Experten planen demzufolge in Zukunft die Einführung von Industrie 4.0 Technologien in ihrem Unternehmen. (siehe nachfolgende Abbildung 1.5).

Abbildung 1.5: Technologieeinführung (Härting et al. 2015)

Hervorzuheben ist auch die Frage nach dem Einfluss von Mass Customization (Härting et al. 2015). Hier zeigt sich, dass die Produktion von individuellen Produkten einen starken positiven Einfluss auf die wahrgenommenen Nutzenpotenziale von Industrie 4.0 Technologien hat. Die Zunahme kundenindividueller Wünsche führt zu immer kleineren Losgrößen. Dies führt zu Effizienznachteilen und erhöht bei Unternehmen die Anforderungen an Produktionsprozesse. Dieser Zielkonflikt kann mithilfe von Industrie 4.0 Technologien einfacher bewältigt werden. Einen negativen Zusammenhang fanden wir überraschend bei dem Faktor Prozesskomplexität (Schmidt et al. 2015). Steigende Komplexität weist auf ein abnehmendes Nutzenpotenzial von Industrie 4.0. Eine Erklärung bietet hier wieder eine Betrachtung der Wirkungsmuster von Transaktionskosten (vgl. Abbildung 3). Hohe Komplexität führt zu hoher Unsicherheit bei der Nutzung digitaler Technologien. Dies bedingt ein Übergewicht der negativen Transaktionskosteneffekte (Härting 2000).

Insgesamt identifiziert diese Studie vier Treiber für Industrie 4.0. Sie zeigt damit auch erste Ansatzpunkte, wie Unternehmen Industrie 4.0 einsetzen können und welche Nutzenpotenziale daraus resultieren.

Eine weitere Studie widmete sich den Chancen und Risiken neuer Digitalisierungsansätze in verschiedensten Wirtschaftssektoren (Keim 2016). Basis war eine Literaturrecherche nach Cooper, die stichwortorientiert Erkenntnis sammelt, analysiert und mit einer Interpretation abschließt. Herangezogen wurden dabei 27 Beiträge aus internationalen Journals und Konferenzveröffentlichungen mit einem guten bis sehr guten Ranking entsprechend des VHB-JOURQUAL1. Ergebnis der Sekundäranalyse war eine erste Abgrenzung des Begriffes Digitalisierung. Für Chancen und Risiken hat sich ein sehr unstrukturiertes Bild ergeben. Auch anderen Studien (vgl. Tabelle 1) bestätigen, dass es noch kein einheitliches Verständnis für den Begriff der Digitalisierung sowie der daraus ableitbaren Chancen und Risiken existiert. Diese Forschungslücke gilt es zu schließen. Dazu befinden sich im Competence Center für betriebliche Informationssysteme zwei weitere Studien in Arbeit. Erste Ergebnisse zeigen eine besondere Relevanz von Themen wie Effizienz, Innovationen, und Datenschutz.

1.6 Ausblick

Digitalisierung hebt viele Potenziale in Unternehmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Auch die öffentliche Verwaltung kann von verbesserten Dienstleistungsprozessen basierend auf der Digitalisierung profitieren. Die Digitalisierung der Industrie ist unter dem Stichwort „Industrie 4.0“ im fortschreitenden Status. Produktionen können kundenindividueller und unter Einsparung von Prozesszeit und –kosten durchgeführt werden. Aktuelle Technologien aus dem Umfeld Big Data, Cloud, Mobile und Internet of Things-Umfeld sind wesentliche Bestandteile dieser Entwicklung.

Dennoch herrscht derzeit kein einheitliches Verständnis über alle Facetten von Digitalisierung. Zukünftige Forschung sollte verstärkt dies adressieren.


1 Siehe auch http://vhbonline.org/service/jourqual/

Literaturverzeichnis

Arnold, P., Prey, G., Wortmann, D. (2015), Digitalisierung von Hochschulbildung: E-Learning-Strategie (n) noch up to date?. Zeitschrift für Hochschulentwicklung. ZFHE Jg.10, Nr.2, S. 51-69.

Bertalanffy, L. v. (1972), Vorläufer und Begründer der Systemtheorie, in: Kurzrock, R. (Hrsg.): Systemtheorie, Berlin 1972, S. 17-28.

BITKOM (Hrsg.) (2014), Industrie 4.0 Volkswirtschaftliches Potential für Deutschland Studie, www.bitkom.org

Brettreich-Teichmann, W., Grötecke, J. (2016), Wohin treibt die Digitalisierung die IT-Organisation?. HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik, 53(1), 1-2.

Breuer, P., Forina, L., Moulton, J. (2013), Beyond the hype: Capturing value from Big Data and advanced analytics“. Chief Marketing & Sales Officer Forum | McKinsey. Abgerufen am 30.05.2013 von http://cmsoforum.mckin-sey.com/ar-ticle/beyond-the-hype-capturing-value-from-big-data-and-advanced-ana-lytics.

Brynjolfsson, E., Mcaffe, A. (2014), The Second Machine Age: Work, Progress, and Prosperity in a Time of Brilliant Technologies. Auflage: 1. W. W. Norton & Company.

Agiplan GmbH, Fraunhofer IML, ZENIT GmbH im Auftrag des Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Hrsg.) (2015), Erschließen der Potenziale der Anwendung von ,Industrie 4.0‘ im Mittelstand, http://www.bmwi.de/DE/Medi-athek/publikationen,did=716886.html.

Chun, S. A., Shulman, S., Sandoval, R., Hovy, E. (2010), Government 2.0: Making connections between citizens, data and government. Information Polity, 15(1), 1ff.

Dorst, W. (2012), Fabrik-und Produktionsprozesse der Industrie 4.0 im Jahr 2020“. In: IM Die Fachzeitschrift für Information, Management und Consulting, Nr. (3), S. 34–37

Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) (Hrsg.) (2015), Geschäftsmodell-Innovation durch Industrie 4.0 – Chancen und Risiken für den Maschinen-und Anlagenbau, http://publica.fraunhofer.de/doku-mente/N-339733.html.

Härting, R. (2000), Elektronischer Geschäftsverkehr aus Sicht privater Haushalte, Gabler Wiesbaden 2000.

Härting, R. C., Schmidt, R., Möhring, M., Reichstein, C., Neumaier, P., Jozinović, P. (2015), Nutzenpotenziale von Industrie 4.0: Einblicke in aktuelle Studienergebnisse. BoD–Books on Demand Norderstedt. ISBN 978-3-7347-9880-1.

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Kagermann, H. (2015),