Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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© 2013 / 2017 Dr. Stephan Seidel

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Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-37431-2592-6

Widmung

Für meine Mutter

Inhaltsverzeichnis

Teil 1: Noesis1

„[...] nämlich dasjenige, was mich erfreute oder quälte, oder sonst beschäftigte, in ein Bild [...] zu verwandeln und darüber mit mir selbst abzuschließen, um sowohl meine Begriffe von den äußeren Dingen zu berichtigen, als mich im Innern deshalb zu beruhigen.“

(JWG)


1 Griech. „Denkakt“

Spiel des Lebens

Peter Harris stieg aus dem Aufzug und lief einen langen Gang entlang, der nur spärlich beleuchtet war. Er ging an Türen vorbei, aus denen die monotonen Stimmen verschiedener Fernsehprogramme ertönten. Vor der Türe mit der Nummer 1876 blieb er stehen; es gab keine Schlösser, sondern nur einen Kasten mit einer Scheibe. Harris legte seine Hand darauf und wartete, bis das rote Licht blinkte und ein Piepsen bestätigte, dass es seine Wohnung war. Die Tür öffnete sich mit einem Summton. Innen war es still und dunkel. Ein Schnipsen mit den Fingern gab Signal für die automatische Beleuchtung. Harris legte seinen Mantel ab und setzte sich vor den Fernseher. Sofort drückte er den Einschaltknopf, der in die Armlehne des Sessels eingelassen war; ein Mann in einem schwarzen Anzug erschien auf dem Bildschirm: „Guten Abend, liebe Fernsehzuschauer! Willkommen zu den Syntown-News! Kommen wir nun zu ...“ Harris schaltete das Gerät aus. Es war wie immer. Jeden Abend kam er nach Hause und wusste nichts Besseres mit sich anzufangen, als die wechselnden Bilder des Fernsehers zu betrachten. Erneut bediente er den Knopf an der Sessellehne. „Bleiben Sie auf diesem Kanal; wir zeigen Ihnen gleich die neuesten Bilder von dem spektakulären Geiseldrama ...“

„So kann es nicht weitergehen“, dachte Harris. In diesem Moment blitzte es! Er fuhr zusammen. Der Fernseher war erloschen, sowie das Licht in seiner Wohnung. Harris stand auf und sah aus dem Fenster: alles dunkel. „Ein Stromausfall“, war sein erster Gedanke und er bewegte sich nicht. Dann tastete er sich vor zur Tür, schaute hinaus auf den Gang, der im matten Licht der Notbeleuchtung lag. Kein Geräusch war zu hören. Unschlüssig lief er weiter, bis er vor einer Tür mit der Aufschrift „TREPPE“ stand. Völlig außer Atem befand er sich etliche Minuten später am Eingang zu dem Hausblock, in dem er wohnte. Als er den Kopf in den Nacken legte und das hohe schattenartige Gebäude sah, spürte er, wie groß es war. Ihn überkam ein sonderbar beklemmendes Gefühl, er drehte sich um und rannte fort. Ziellos hetzte er durch die Straßen. Erst im Park von Syntown stoppte er. Vor ihm erhob sich der mächtige Turm, von dem aus man die ganze Stadt überblicken konnte. Harris blieb stehen und schaute auf den Anfang mehrerer Stufen. Dort hinauf zog es ihn aus einem ihm unbekannten Grund, über den er auch nicht nachdenken wollte. Er eilte die Treppe hinauf und oben angekommen sah er: Die ganze Stadt, alles lag in tiefster Finsternis. Nicht das kleinste Licht schien. Wieder – diesmal noch stärker, doch nicht beängstigend – überkam ihn jenes Gefühl, unendlich allein zu sein. Er sah zum Himmel empor, überall blinkten kleine Sterne, in der Ferne leuchtete der Mond.

„Seltsam“, sagte er langsam.

„Die Wahrheit!“, hörte er eine Stimme unvermittelt hinter sich.

Harris zuckte zusammen und fuhr herum, konnte jedoch nichts erkennen. „Muss wohl eine Einbildung gewesen sein!“, sagte er und blickte wieder zum Mond.

„Keine Einbildung!“, vernahm er die Stimme erneut und Harris erschrak abermals. Er bemerkte einen Schatten und schließlich einen alten Mann, der auf einem Stuhl saß und ebenfalls den Himmel betrachtete.

„Wer sind Sie?“, fragte Harris. „Kommen Sie oft hier her?“

„Heute, weil heute ein besonderer Tag ist“, waren die Worte des Alten.

„Wie meinen Sie das?“, wollte Harris wissen und sah sich das Gesicht des Alten genauer an: Er hatte einen kleinen Kopf, weißes Haar, eine spitze Nase, einen langen Bart und war überall mit kleinen Fältchen und Runzeln übersät. „Der könnte glatt über hundert sein“, dachte er.

„Ich werde es dir erklären“, wurde Harris aus seinen Gedanken gerissen. „Was hast du bisher aus deinem Leben gemacht? Welches Ziel oder welchen Sinn hast du verfolgt?“, hörte er den Alten fragen. Harris verspürte eine Leere in sich: „Ich … ich habe eine Arbeit, eine Wohnung, zu essen und ...“

„Sieh’ der Wahrheit ins Auge!“, wurde er hart unterbrochen. „Du hast dich zum Teil eines weltweiten Systems machen lassen. Ich wette, das Erste, was du nach Feierabend tust, ist, sich vor den Fernseher zu setzen!“

„Woher wissen sie ...“, entfuhr es Harris, doch der Alte winkte ab: „Immer dasselbe.“ Dann zog er etwas hervor. „Was habe ich hier in der Hand?“

Harris kannte es, er hatte das schon einmal gesehen. „Ich weiß! Das ist ein ... das ist ein ...“, versuchte er sich zu erinnern.

„Schachspiel!“ Der Alte gab es ihm. „Was fällt dir daran auf? Schau es genau an!“

Harris prüfte das Schachbrett von allen Seiten: „Es ist unvollständig! Da steht nur eine Figur drauf, obwohl mehrere benötigt werden! Ich kenne sogar die Bezeichnung der Figur: Es ist ein Bauer!“ Er schaute stolz auf.

„Ja, ein Bauer. Doch für diesen Zweck ist das Spiel vollständig.“

„Aber nein“, wehrte Harris entschieden ab: „Das Spiel ist sinnlos, so wie es jetzt ist. Mit nur einer Figur kann doch nicht gespielt werden!“

„Es ist dein Spiel!“

Harris starrte in das Gesicht des Alten und versuchte es noch einmal: „Nein, das ist unmöglich!“

„Es ist dein eigenes Spiel, das du bis jetzt gemacht hast!“

„Aber was macht das für einen Sinn? Mein Spiel? Dann wäre ich ... dann wäre ich ...!“

Der Alte nickte: „Da hast du es doch richtig erkannt und gleich noch so schnell. In der Tat macht es keinen Sinn, was du bis heute getan hast. Nichts macht einen Sinn.“

Harris wurde nervös. „Das kann nicht sein. Das glaube ich nicht!“

„Das glaube ich gerne. Aber hier geht es nicht um den Glauben, erst recht nicht um deinen.“ sagte der Alte.

Harris zitterte leicht. „Ich weiß, was ich zu tun habe“, stieß er hervor, „ich stelle einfach weitere Figuren auf die Felder.

„Und wenn es keine weiteren Figuren gibt?“, entgegnete der Alte, doch Harris gab nicht auf: „Doch, ich finde welche. Ganz bestimmt. Irgendwo.“

Der Alte zeigte keine Reaktion. Harris schaute ihn bittend an: „Sie müssen es doch wissen! Sagen Sie mir, wo ich andere finde. Helfen Sie mir!“

„Ich kann nicht. Es ist dein Spiel!“

Harris fuhr sich mit der Hand durch die Haare und überlegte kurz. „Ich habe die Lösung gefunden“, rief er plötzlich, „ich werde endlich anfangen zu leben!“

„Du rückst also weiter mit dem Bauern über ein leeres Schachbrett und nennst das Leben?“, fragte der Alte. Harris taumelte zurück und hob abwehrend die Hände: „Nein, nein, hören Sie auf, davon will ich nichts wissen! Ich kann mein Leben ändern. Ganz bestimmt!“ Er drehte sich um, stolperte die Stufen herunter, und als er unten angekommen war, hastete er weiter durch den Park. Die Stadt lag immer noch im Dunkeln, doch er schien es nicht zu bemerken. „Ich werde ein neues Spiel anfangen, ich werde alles ändern“, hämmerte es in seinem Kopf, während er durch die Straßen rannte. Als er an seiner Wohnung angekommen war, blieb er stehen und lauschte. Nichts. Kein Laut. „Ich muss das Spiel gewinnen!“, war sein Gedanke, als er die Tür öffnete und eintrat. In diesem Moment wurde es schlagartig hell. Die ganze Umgebung schien in einem gleißenden Licht zu versinken. Harris riss die Arme schützend vor seine Augen. Vorsichtig blinzelte er hinter seinen Händen hervor. Dann hörte er plötzlich eine Stimme aus dem Fernseher: „Der Stromausfall in Syntown ist vorbei. Ein neuer Tag hat begonnen, doch keine Sorge, auch heute werden wir Sie über alles informieren.“

Harris ging zu seinem Sessel und setzte sich vor den Fernseher.

Bemerkung des Herausgebers:

Es wäre aber auch folgende Variante möglich beginnend an der Stelle: „Harris fuhr sich mit der Hand durch die Haare und überlegte.“, wo es dann weiterginge mit:

„Ich hab’s. Ich habe die Lösung gefunden“, rief er plötzlich. „Was geht mich dieses Schachbrett überhaupt an?“

„Es ist dein Leben!“, rief der Alte, doch Harris schüttelte den Kopf: „Es scheint so. Und tatsächlich: Wäre das Leben im Großen wie im Kleinen eine Maschine, ein Prozess, so hätten Sie Recht: Ich könnte mich nicht ändern, würde noch nicht einmal den Wunsch haben, es zu tun. So aber kann ich es wollen, kann neu anfangen, und wenn ich das einmal begriffen habe, gibt es einen Neubeginn!“

„Unsinn!“, sagte der Alte ärgerlich. „Pure Illusion!“

„Eine Neuschöpfung ist es! Ich kann sie vollbringen!“

„Du?“, fragte der Alte ungläubig.

„Ich!“ Harris sprach das Wort zum ersten Mal bewusst aus. „Ja: Ich! Weil ich es will.“ In diesem Moment schaute er den Alten skeptisch an: „Wer sind Sie eigentlich, dass Sie das alles bezweifeln und scheinbar alles besser wissen, ohne mir genau zu antworten, geschweige denn mir zu helfen? Wer sind Sie?“

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, sank der Alte als Schemen in sich zusammen. Ein schwarzes Ei lag vor Harris auf dem Boden, welches sogleich zu zerplatzen begann, kleine Risse breiteten sich überall auf der Schale aus. Als es auseinanderbrach, flog eine Fledermaus hastig davon und ein schwarzer Pudel mit stumpfem Fell trollte sich kläglich jaulend in eine Ecke.

Harris verließ den Turm und änderte sein Leben.

Der Spiegel

Harry Russel lehnte an der Ampel und wartete darauf, dass sie Grün zeigte. Neben ihm stand ein junger Mann, der eine Schachtel Zigaretten aus seiner Tasche zog und sich eine in den Mund steckte. Die Art, wie er ein zweites Mal in seine Tasche griff, verriet Russel, dass er nach einem Streichholz suchte. Schließlich gab er es auf und blickte herüber: „So ein Pech! Jetzt will ich eine Zigarette rauchen und habe kein Streichholz. Haben Sie vielleicht eines?“

Russel verzog keine Miene, sagte stattdessen: „Ist eh ungesund“, und lief weiter. Nach ein paar Schritten griff er in seine Manteltasche, zog eine Zigarette heraus und brannte sie mit einem Feuerzeug an, das er ebenfalls mit hervorgebracht hatte. Genüsslich paffend ging er die Straße entlang. Vor einem Geschäft blieb er stehen und sah ins Schaufenster. Dort bediente eine Verkäuferin mehrere Frauen, die aufgeregt auf sie einredeten. Russel betrat den Laden und ging zu der Gruppe, die sich in der Zwischenzeit im Halbkreis um die Verkäuferin aufgestellt hatte. „Diese Hose ist viel zu klein, obwohl Sie mir versichert haben, dass sie nicht einlaufen wird!“, echauffierte sich eine rundliche Frau und hielt eine rote Strumpfhose hoch.

Russel betrachtete sie und sagte mit gelangweilter Stimme: „Die Hose ist nicht eingelaufen, sondern Sie hatten wahrscheinlich ein bisschen zu viel Nachtisch!“ Plötzlich waren alle Stimmen verstummt. Die Frau blickte auf Russel und schrie: „So eine Unverschämtheit! Ich verlange sofort eine Entschuldigung von ihnen!“

„Verlangen Sie, was Sie wollen, aber für die Wahrheit entschuldige ich mich nicht“, konterte Russel und bog einfach in den nächsten Gang, wo eine alte Frau stand, die verzweifelt versuchte, eine Vase zu erreichen, die sehr weit oben stand. Russel stellte sich neben sie und lächelte. Nach zwei weiteren gescheiterten Versuchen sagte sie: „Ich will diese Vase da!“ Russel sah sie an, überlegte und erwiderte: „Ich wünsche viel Erfolg.“ Dann drehte er sich um und lief zum Ausgang. Draußen angekommen überquerte er die Straße, bog um die Ecke und bemerkte einen Bettler, der auf dem Bordstein saß und einen Hut vor sich hielt, an dem ein Schild befestigt war mit der Aufschrift: „Bitte eine Spende!“ Russel stellte sich vor ihn und sah auf ihn herab: „Nimmst du auch Arbeit an?“ Der Bettler zuckte zusammen, tat aber so, als ob er ihn nicht gehört hätte: „Eine kleine Spende bitte. Ich habe Hunger.“ Russel wechselte die Straßenseite, denn ein Geschäft mit der Aufschrift: „Antiquitäten und Sammlerstücke“ hatte seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Er dachte nach: Heute war er zu einer Geburtstagsfeier eingeladen und hatte noch kein Geschenk. Er betrat den Laden, eine Klingel ertönte und eine Stimme rief: „Schauen Sie sich ruhig um, ich komme gleich!“

„Es wäre besser, wenn Sie mich sofort bedienen würden, oder Sie haben einen Kunden weniger!“, rief Russell verärgert. Ein Husten war die Antwort und wenige Sekunden später erschien ein kleiner Mann aus dem hinteren Teil des Ladens. Während des Gehens stützte er sich auf einen Stock. „Sie wünschen? Mein Name ist Glochpitz, stets für Sie da!“, meinte er und blinzelte Russel verschmitzt über seine Hornbrille an.

„Ich brauche etwas Originelles für eine Geburtstagsfeier. Es sollte aber nicht zu viel kosten, verstehen Sie?“

„Tja, mal sehen“, erwiderte der Verkäufer und huschte durch den Raum. „Wissen Sie, es gibt hier viele Dinge und das ist es auch, was diesen Beruf so interessant macht“, erzählte er, während er einen Gegenstand nach dem anderen zum Vorschein brachte. „Dieser Kamm zum Beispiel war im Besitz der Königin von England und diesen Ring hier trug Napoleon bei seiner Schlacht gegen ...“

„Ich brauche ein Geschenk, keinen Kitsch!“, unterbrach ihn Russel schroff. „Ist das alles, was Sie haben?“

„Jedes Stück besitzt seine eigene Geschichte!“, fuhr der Alte fort und drehte sich um. In der Hand hielt er einen Spiegel. „Und ich glaube, ich habe auch schon das Passende für Sie gefunden!“

Russel seufzte: „Sie haben Glück, dass ich dringend ein Geschenk brauche, sonst wäre ich schon längst gegangen. Aber ehrlich, guter Mann: Was soll ich mit einem Spiegel?“

Der Alte sah ihn mit leuchtenden Augen an. „Ein Spiegel ist ein wunderbarer Gegenstand. Er zeigt nur das, was er sieht. Bereits die alten Ägypter waren von ihm fasziniert.“ Voller Überzeugung deutete er auf den Spiegel: „Kaufen Sie ihn. Sie wissen ja gar nicht, was er für Sie bedeuten wird!“

Russel begann nervös mit den Fingern auf die Tischplatte zu trommeln: „Schöne Geschichtchen. Also, wie viel soll er kosten?“

Der Alte erwies sich als gewiefter Verkäufer und so dauerte es eine ganze Weile, bis sie sich auf einen Preis geeinigt hatten.

Endlich stand Russel wieder vor seiner Haustür und schloss sie auf. Er legte seinen Mantel ab und den Spiegel auf die Kommode neben der Tür. Gegen Abend verließ er die Wohnung. Er trug jetzt einen schwarzen Anzug und stieg in das bestellte Taxi. Russel saß auf dem Rücksitz und starrte aus dem fahrenden Wagen hinaus auf die vorbeiziehenden Lichter der Großstadt. Der Fahrer versuchte, ein Gespräch zu beginnen: „Schlechtes Wetter heute, finden Sie nicht auch? Schönen Anzug, den Sie da haben; sind wohl zu einer Feier eingeladen – ist es eine Hochzeit? Meine Frau und ich haben auch gerade geheiratet!“ Russel reagierte auf keine der Fragen. Als das Taxi nach zehn Minuten an einem Haus anhielt, stieg er aus: „Wie viel?“ „15 ohne Trinkgeld.“ Russel streckte ihm zwei Scheine hin: „Fürs Dummquatschen lege ich nichts drauf. Stimmt so!“ Mit diesen Worten drehte er sich um, ging den Weg des Vorgartens entlang, klingelte und wenige Sekunden später öffnete sich die Tür. Ein dicker Mann mit Zigarre im Mund stand vor ihm. Sein klobiger Körper war in einen engen Anzug gezwängt und um sein Handgelenk hing eine protzige Uhr. Neben ihm stand eine dünne Frau; um ihren Hals trug sie mehrere schwere Goldketten und ihre Finger waren mit Ringen förmlich überladen. Der Dicke nahm Russell den Mantel ab, seine Frau drückte ihm die Hand: „Harry, wir freuen uns riesig! Komm, wir bringen dich gleich zu den anderen Gästen.“ Russel überreichte das Geschenk, die Frau legte es auf einen Tisch: „Wir werden es später aufmachen.“ Dann fügte sie noch ein „Dank, Dank!“ hinzu. Der Dicke schob seine Frau beiseite: „Lass gut sein, er braucht erst einmal ordentlich was zu essen!“, und führte Russel zum Büfett. „Hab’ zwar vorhin schon mal kräftig zugelangt, aber ich glaube, ein bisschen vertrag ich noch! Lang zu, das Zeug muss weg!“

Russel füllte seinen Teller, setzte sich an einen der Tische und wartete, bis der Dicke neben ihm Platz genommen hatte. Dann fingen beide an zu essen. Der Dicke stopfte es förmlich in sich hinein; dabei liefen ihm Schweißperlen über die Stirn. – Nach drei Stunden war alles vorbei. Russell befand sich wieder in seiner Wohnung und zog soeben auf der Bettkante seine Schuhe aus, als plötzlich die Türklingel läutete. Erstaunt hob er den Kopf: „So eine Frechheit, auch noch um diese Zeit. Sicherlich wieder irgendein Nachbar. Na warte!“ An der Tür angelangt, schob er den Sicherheitsriegel vor und machte sie einen Spaltbreit auf. Vor ihm stand der Dicke und hielt etwas Eingewickeltes in der Hand. Russel sah direkt, dass es der Spiegel war, den er geschenkt hatte. Doch ehe er etwas sagen konnte, drängte der Dicke das Päckchen durch den Schlitz und raunzte: „Für solch schwarzen Humor haben wir nichts übrig“, drehte sich dann um und lief die Treppe herunter. Russel schaute ihm erstaunt nach. Er schloss die Tür, rannte zum Fenster und öffnete es. Als er den Dicken unten über die Straße hasten sah, rief er: „He, Tony, was ist mit dem Spiegel? Ist er kaputt?“