Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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Impressum:

© 2016 Bernd Sternal

Herausgeber: Verlag Sternal Media, Gernrode

Gestaltung und Satz: Sternal Media, Gernrode

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Umschlagsgestaltung: Sternal Media

Foto Einband: Fritz Stamer (links) und Artur Martens (rechts) aus Fritz Stamer, Zwölf Jahre Wasserkuppe, Verlag Reimar Hobbing, Berlin 1933 Foto Rückklappe: Gerhard Fieseler aus Joachim Matthias, Unsere Flieger erzählen, C.J.E. Volckmann Nachfolger, Berlin-Charlottenburg 1930 Fotos & Abbildungen: Archiv B. Sternal oder siehe Bildlegenden

1. Auflage September 2016

ISBN: 978-3-7431-5535-0

Herstellung und Verlag:

BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

Deutschland hat den Himmel erobert! Zumindest einen kleinen Teil davon und ihn dann wieder verschenkt. Im Gegensatz zu den deutschen Pionieren und Erfindern in der Automobilbranche, sind die Luft- und Raumfahrtpioniere sowie die, in korrespondierenden Ingenieurwissenschaften weiten Bevölkerungskreisen kaum noch bekannt. Die Marktführerschaft in diesem bedeutenden Technologiebereich haben andere Nationen erobert, besonders Russland und die USA. Ihr Knowhow haben sie jedoch von deutschen Ingenieuren und Technikern erhalten.

Man kann wohl ohne Übertreibung sagen: Ohne diese deutschen Ingenieurleistungen bis zum Kriegsende 1945 wäre die Welt heute sicherlich in den Bereichen der Luft- und Raumfahrt nicht dort, wo sie sich befindet. Wir alle profitieren davon in einer globalisierten Welt. Ob zum Urlaub oder zu Geschäftsreisen, zu politischen Gesprächen und vielem mehr, können wir heute in wenigen Stunden per Flugzeug jede Region unseres Planeten erreichen. Post und Güter können in wenigen Stunden kontinental oder von Kontinent zu Kontinent transportiert werden, was früher Wochen in Anspruch nahm. Selbst den erdnahen Weltraum, bis hin zum Mond, haben die Menschen erobert. Und auch die Funktechnologie, aus der sich Fernsehen, Radio, Internet, Telefon und GPS entwickelt haben, hat dazu engen Bezug.

Einen bedeutenden Betrag dazu haben zahlreiche deutsche Luft- und Raumfahrtpioniere und andere Ingenieure geleistet. Leider sind einige von ihnen in die Mühlen des NS-Regimes geraten, was dazu beitrug, dass ihre Lebensleistung teilweise auf dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte reduziert wurde.

Bei den drei von mir verfassten Büchern über die Luft- und Raumfahrtgeschichte, sind mir zahlreiche Geschichten, Ereignisse und Anekdoten zu diesen Persönlichkeiten in die Hände gefallen. So reifte der Gedanke, von einigen dieser außergewöhnlichen Männer, Lebensbilder zu zeichnen.

Ich bin selber Flugzeugmechaniker, Diplom-Ingenieur und Erfinder. Daher kenne ich die Materie und auch die Probleme, Schwierigkeiten und Widrigkeiten, die Menschen entgegenschlagen, die technisch Neues schaffen wollen.

Ich hoffe daher, dass meine Lebensbilder unterhaltsam und informativ sind, und auch, dass sie etwas zum Nachdenken anregen: Wir, die Kindergeneration dieser Männer und unsere Kinder und Kindeskinder, sind in Frieden und Demokratie aufgewachsen. Allzugern vergessen wir dabei, dass Frieden und Demokratie kein Selbstverständnis sind, sondern dass wir uns Tag für Tag dafür einsetzen müssen, beide zu erhalten.

Bernd Sternal im September 2016

Inhalt

Friedrich Christiansen – der erste deutsche Seeflieger

Die Luftfahrtgeschichte wurde zunächst auf zivilem Sektor geschrieben. Wie bei so vielen Erfindungen und Entdeckungen erkannte jedoch auch bei der noch jungen Luftfahrt bald das Militär dessen Potential für seine Zwecke.

Die Bedeutung von Luftfahrtzeugen zur Seekriegsführung wurde zuerst von Frankreich erkannt. Bereits 1888 begann die französische Marine einen Luftschiffpark aufzubauen. Ein sehr brisantes Unternehmen, denn den leichten und großen Luftschiffen wurde bei dem rauen Wetter auf hoher See besonders viel abverlangt. Dennoch folgte schon kurze Zeit später eine erste Luftschiffschule der französischen Marine in Lagoubran (bei Toulon). Die Intension der Franzosen bestand jedoch damals noch nicht im Luftkampf, sondern in der Aufklärung. Im Jahr 1890 fand das erste umfangreiche Manöver mit bemannten Luftschiffen statt, die von Torpedobooten geführt wurden. Zielstellung des Manövers war die Erprobung der Luftaufklärung auf See, also die Beobachtung von Schiffsbewegungen, die Ortung von Minenfeldern sowie die Feuerleitung. Ähnlich agierten zwischen 1903 und 1908 Schweden, Russland, Italien Großbritannien und die USA. Zuvor jedoch hatten die französische Marine diese Luftfahrtabteilung 1902 aufgelöst: Grund war ein Luftschiff-Unfall auf See, bei dem Soldaten ums Leben kamen. Doch erneut wurden die Franzosen zum Vorreiter in der Seekriegsführung. Im Jahr 1912 wurde die 1896 als Versorgungsschiff gebaute Foudre als Flugzeugmutterschiff eingesetzt, nachdem sie zuvor vom Minenschiff umgerüstet worden war. Die französische Foudre (franz. für Blitz) war das welterste Schiff, das für den Einsatz von Flugzeugen verwendet wurde – sie gilt als Urahn der modernen Flugzeugträger.

Deutschland war zwar, was die Luftschiffentwicklung und deren militärischen Einsatz betraf, vor dem 1. Weltkrieg technisch/technologisch ganz weit vorn, bei den Flugzeugen jedoch hatte es etwas den Anschluss verpasst.

Nach diesem kurzen geschichtlichen Vorspann kommen wir nun zu einem der Pioniere der deutschen und internationalen Marinefliegerei: Friedrich Christiansen.

General der Flieger Friedrich Christiansen (Krischan), 1940 12.12.1879 - 3.12. 1972 Abb.: Rolf Italiaander, Wegbreiter Deutscher Luftgeltung, 1941

Christiansen „Krischan“ war ein waschechter Nordfriese. Geboren wurde er am 12. Dezember 1879 im nordfriesischen Wyk auf der Insel Föhr, und wie es in seiner Familie üblich war, sammelte er von Kindheit an Erfahrungen mit der Seefahrt. Sein Vater, wie auch alle anderen Vorfahren, waren Seeleute. Im damaligen Fischerdorf Wyk besuchte der junge Friedrich zunächst die Bürger- und Privatschule, später dann die Navigationsschule in Hamburg. Mit 21 Jahren legte er 1900 die Schiffsoffiziersprüfung ab. Danach diente er von 1901 bis 1902 in der 11. Torpedoabteilung der Kaiserlichen Marine in Kiel. Nach seiner Entlassung aus der Marine ging er erneut zur Handelsschifffahrt. Bald legte er das seemännische Patent als Kapitän für Große Fahrt ab. In jener Zeit entwickelte sich sein Interesse an moderner Technik, insbesondere an Motoren- und Flugzeugtechnik, wie ein überlieferter Brief an seinen Bruder Carl dokumentiert: „Lieber Carlbruder! Mit meinem Dank für Deinen Glückwunsch zur Übernahme meines neuen Schiffes möchte ich Dir gleichzeitig sagen, wie es mir in letzter Zeit ergangen ist. Als Kapitän eines ganz neuen und verhältnismäßig großen Dampfers bin ich schon zufrieden; aber ich finde zunächst nicht genug seemännischer Befriedigung. Das kommt wohl daher, lieber Bruder, dass wir alle besonders eng mit der Überlieferung aus der alten glorreichen Segelschifffahrt verwachsen sind und dass es uns vergönnt war, auf dem herrlichsten dieser Schiffe Dienst zu tun. Ich beschäftige mich neuerdings trotzdem viel mit technischen Fragen. Mein Interesse für die Entwicklung von Motoren ist Dir bekannt; ich bin auch der Überzeugung, dass der Motorenantrieb für große Schiffe bald kommen wird. Dann muss man mit Kenntnissen gerüstet sein. Die meisten Seeleute kümmern sich zu wenig um technische Fragen! ...“

Und als wollte Christiansen den Seeleuten mit gutem Beispiel vorrangehen, wechselte er im Herbst 1913 von der alten Seefahrt zu jungen Luftfahrt über. In Hamburg wurde er Flugschüler bei Karl Caspar, dem späteren Inhaber des Caspar-Flugzeugbaus in Travemünde. Mit dem Flugzeugführerpatent Nr. 707 zählte er zu den sogenannten „Alten Adlern“ – so wurden alle Flieger bezeichnet, die vor dem Ausbruch des 1. Weltkrieges ihr Patent erlangt hatten.

Die 1911/12 gegründete Marinefliegerabteilung wurde am 1. Juni 1913 zur Seefliegerabteilung und zum 1. Juli 1914 von Putzig nach Kiel-Holtenau verlegt. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde Christiansen dorthin einberufen und diente zunächst als Ausbilder. Am 5. Januar 1915 versetzte man ihn als Seeflieger nach Zeebrügge an die belgische Küste und beförderte ihn am 18. Februar 1916 zum Leutnant; 1917 dann zum Oberleutnant. Christiansen erkannte als erster die Möglichkeiten des Luftkampfes bei Seefliegern und führte diese Taktik in seiner Einheit ein.

Ein Militärhistoriker schrieb dazu: „Der taktischen Entwicklung des Verbandsfliegens über See, die zur Bildung der C-Staffel führte, der beispielhaft durch Leutnant Christiansen immer wieder zu neuen Taten angefeuerten Angriffsgeist der Besatzung und dem ausgezeichneten Flugzeugmaterial war es zu verdanken, dass die deutschen Seeflieger im Flandrischen Seegebiet die unbestrittene Luftherrschaft bis zum Kriegsende innehatten.“

Nun kann sich sicherlich jeder, auch wenn er kein Pilot ist, vorstellen, dass es um ein vielfaches schwieriger war, eines dieser simpel konstruierten Flugzeuge in den widrigen Bedingungen auf See zu fliegen, als an Land.

Um ihnen, liebe Leser, einen kleinen Einblick in die Besonderheiten der Kämpfe der Seeflieger im 1. Weltkrieg zu vermitteln, möchte ich im Folgenden einige Berichte von Christiansen zur Kenntnis geben: „Ich muss noch heute oft an ein geradezu erschütterndes Erlebnis zurückdenken, das ich kurz nach meiner Ernennung zum Oberleutnant als Führer einer Marine-Flugzeugstaffel der Seeflugstation Zeebrügge in Flandern hatte. Am 5. Juni 1917 war das deutsche Torpedoboot S 20 nach schwerem Kampf mit englischen Zerstörern zwischen Ostende und Themsemündung zusammengeschossen und schließlich zum Sinken gebracht worden. Ich kam an jedem Tag mit meinem Beobachter, dem Vizeflugmeister Mauskisch, von einem Englandflug zurück und sichtete plötzlich unter mir zahlreich Schiffstrümmer, zwischen denen etwa 60 Überlebende des Torpedobootes im Wasser trieben. Sofort ging ich mit meiner Maschine auf das Wasser nieder und versuchte zunächst, drei völlig erschöpfte Kameraden, die außerdem noch verwundet waren, zu bergen. Es gelang uns, die drei teils auf den Schwimmern meines Flugzeuges, teils im Beobachtungsstand, zu verstauen. Dieses Manöver ging inmitten der vielen anderen zum Teil auch verwundeten Schiffbrüchigen vor sich, die bereits über acht Stunden lang hoffnungslos, den Tod vor Augen, auf den Trümmerteilen in der Nordsee trieben. Das Flugzeug kam in eine bedenkliche Lage. Kaum hatten wir die ersten beiden Kameraden auf den Schwimmern festgebunden, als mehr als zwanzig Mann heranschwammen, um sich an das in der Dünung schwankende kleine Flugzeug zu klammern. Ich befand mich in einer kritischen Lage. Es war völlig ausgeschlossen, mit dem kleinen Flugzeug auch nur einen Teil der Schiffbrüchigen zu retten, die sich nunmehr alle hilferufend um die Maschine versammelt hatten und sich anklammerten. Die einzige Rettung lag nur in meinem schnellen Rückflug zur Station, von wo aus ich Hilfe zu den Verunglückten entsenden konnte. Die Maschine war sowieso schon überlastet, und so entschloss ich mich, zunächst alles Überflüssige über Bord zu werfen: Maschinengewehre, Munition, überflüssiges Benzin und die übrigen Ausrüstungen klatschten ins Wasser. Als ich versuchte den Motor anzulassen, sprang er zu allem Unglück nicht an, und es gelang einer Anzahl der mit dem Wasser kämpfenden Kameraden, sich an die Schwimmer zu hängen. Es ging nicht anders: Mit Gewalt mussten wir die armen Menschen von den Schwimmern abschütteln; nur dieser harte Entschluss konnte vielleicht noch einigen von ihnen die Rettung bringen. Endlich sprang der Motor an. Beim Herausrollen aus dem Bereich der im Wasser treibenden Kameraden gelang es noch einem von ihnen, sich am Untergestell der Schwimmer festzuklammern – er wurde im Beobachtersitz verstaut. Trotzdem glückte der Start. Hinter uns gellte das Schreien der vielen heiseren Männerkehlen. Die armen Kameraden konnten es einfach nicht begreifen, dass ich sie in Stich lassen musste. „Du Fliegerhund lässt uns hier alle elend versaufen“, das war das letzte, was ich noch hörte.

Mit der waffenlosen und völlig überladenen Maschine gelangte ich dann glücklich nach einstündigem Flug zur Station. In fieberhafter Eile führte ich danach zwölf Flugzeuge und vier Torpedoboote zur nächtlichen Unglücksstätte. Nach zweieinhalb Stunden konnten wir noch 25 Seeleute lebend bergen. 38 Kameraden fanden den Tod in den Wellen der grauen Nordsee.“

Ein weiteres Ereignis von dem Christiansen berichtet, stammt vom 12. Dezember 1917: „Ich flog mit meiner Staffel dicht über der Wasserfläche an der englischen Küste, südöstlich von Lowestoft, und sichtete plötzlich ein Luftschiff, das wir als Engländer ausmachten und welches sich auf U-Boot-Jagd befand. Das Luftschiff flog in etwa 200 m Höhe und bemerkte meine Staffel zunächst nicht. Ich stieg sofort über das Luftschiff und griff es mit Brandmunition an. Wir wurden von der überraschten Besatzung mit heftigem Maschinengewehrfeuer überschüttet. Aber das Luftschiff war doch zu schwerfällig, als dass es dem wendigen Gegner hätte gefährlich werden können. Immer wieder versuchte sich der riesige Körper des Luftschiffes durch unbeholfene Drehungen dem Verderben zu entziehen. Aber immer wieder stießen unsere Flugzeuge nieder. Schon bezeichneten talergroße, glühend rote Stellen die Einschusslöcher. Immer weiter fraß die Glut und immer größer wurden die Feuerkreise. In kurzer Zeit hatte sich das Heck des Luftschiffes in einen glühenden Feuerball verwandelt. Dann schoss plötzlich eine Riesenfeuersäule empor, und das Luftschiff brach mitten durch. Es stürzte in die Nordsee und war in wenigen Sekunden in den Wellen verschwunden. Das letzte, was ich sah, war kurz vor dem Untergang die Beschriftung C27.“

Auch von einem Kampf mit einem U-Boot berichtet Christiansen: „Eines der interessantesten Erlebnisse jener Zeit war wohl der Kampf mit einem englischen U-Boot. Am 7. Juli 1917 führte ich zwei meiner Kampfstaffeln nach England und sichtete kurz vor der Themsemündung das englische U-Boot C25. Unsere Flugzeuge stürzten sich sofort wie Raubvögel auf ihre Beute hinab und überschütteten aus nächster Nähe das U-Boot mit einem verheerenden Maschinengewehrfeuer. Die Besatzung, die sich im Heck befand, fiel innerhalb kurzer Zeit unseren Kugeln zum Opfer. Nur der tapfere Kommandant des englischen U-Bootes versuchte vom Turm aus mit einem Karabiner die Angreifer abzuwehren. Natürlich war das umsonst. Wir hatten das U-Boot soweit beschädigt, das es nicht mehr im Stande war, zu tauchen. Und immer wieder mähten die dichten Garben des MG-Feuers über das Deck. Steuer- und bewegungslos trieb das Boot im Wasser umher. Nach einer halben Stunde mussten wir den Rückflug antreten, weil wir alle Munition verfeuert hatten.

Auf der Station alarmierten wir sofort eine zweite Staffel, die sich unverzüglich auf den Weg zu dem U-Boot machte. Hier war inzwischen ein anderes englisches Boot eingetroffen, das das schwerbeschädigte C25 bereits ins Schlepptau genommen hatte. Die Staffel griff sofort die beiden Boote an, diesmal auch mit Bomben. Nach mehreren Treffern sank C25, das zweite U-Boot wurde schwer beschädigt, konnte aber von herbeieilenden englischen Zerstörern ins Schlepptau genommen werden und entging so dem Untergang. Ohne Verluste konnte ich nach diesem Gefecht meine Staffeln zur Station zurückführen.“

Soweit drei verschiedene Gefechtsschilderungen von Oberleutnant Christiansen. Nach dem Ende des Krieges kehrte er nochmals zur Handelsschifffahrt zurück.

Christiansen war Seemann, aber er war auch Flieger. Er meinte, dass zwischen Fliegerei und Segelschifffahrt kein großer Unterschied bestand: „Die Meteorologie, Luft- und Meeresströmungen waren tägliche Nahrung auf den Segelschiffen, und die Beherrschung dieser Gebiete sicherte schnelles Reisen“. Und weiter war er der Auffassung, dass es bei der Fliegerei ähnlich war: „Wenn wir fliegen wollten, dann flogen wir. Und wenn wir ein Flugzeug durch Böen und Unwetter durchmogelten, dann war die Methode nicht unterschiedlich von der, die wir in der Seefahrt anwendeten. Trotzdem hatten wir Segelschiffer ein gutes Gefühl für Navigation, und auch beim Fliegen versagte das nicht. So kam es, dass wir Seeleute uns in der Luft ziemlich schnell ebenso gut zurechtfanden, wie auf dem Meer.“

Doch Christiansen war leidenschaftlicher Segelschiffer und die Segelschifffahrt begann auszusterben. So begann er sich zunehmend der Seefliegerei zu zuwenden. Im Jahr 1929 lass er von dem im Bau befindlichen Flugschiff Do X von Dr. Claudius Dornier. Schon zuvor hatte er sich Gedanken gemacht, wie wohl ein Flugzeug aussehen könnte, dem es möglich wäre den Atlantik zu überfliegen: „Als seeerfahrenem Mann war es mir ziemlich bald klar, dass es sich dabei nur um ein Mittelding zwischen Flugzeug und einem Schiff handeln könnte.“, so der Kapitän.

Christiansen fuhr daher nach Friedrichshafen in die Dornier-Werke, um den Flugzeugkonstrukteur und das Flugzeug kennen zu lernen. Er war begeistert von diesem Projekt, begleitete es durch weitere Besuche und machte Dr. Dornier klar, dass er dieses Flugboot führen wolle.

Die Do X war ein als Flugboot ausgeführter abgestrebter Schulterdecker mit einem Leitwerk in Standardanordnung. Sie war mit zwölf Kolbenmotoren, die in sechs Tandem-Gondeln über der Tragfläche aufgeständert waren, ausgestattet. Jede Gondel verfügte über einen Zug- und einen Druckpropeller. Das Cockpit lag in einem Deck über der Passagierkabine. Das Flugzeug war für 159 Passagiere und 10 Besatzungsmitglieder ausgelegt. Zu seiner Zeit war es das bei weitem größte Flugzeug der Welt und zudem das erste Wasserverkehrsflugzeug.

Ersttagsbrief zum ersten Flug einer Dornier DO -X von Rio de Janeiro nach New York am 4. August 1931, Urheber: Centpacrr/UP

Christiansen konnte sich durchsetzen, er wurde zum Flugkapitän der ersten Do X ernannt und durfte zudem die Mannschaft zusammenstellen. Er berichtete dazu: „Dieses Flugschiff war als Versuchs- und Erprobungsschiff für den Großluftverkehr geschaffen worden. Diesem Luftverkehr über Länder und Meere standen insofern Schwierigkeiten entgegen, als es damals noch schwierig war, die Erlaubnis zu bekommen, fremde Hoheitsgebiete zu überfliegen. Da das Schiff hauptsächlich über den Ozean fliegen sollte, so sagte ich mir, kannst du fremde Hoheitsgebiete vermeiden. Die Meere gehören ja allen. Wenn du dann aber an die Küste in die Dreimeilenzone kommst, gehst du auf das Wasser nieder und fährst genau wie ein Seefahrzeug in den Hafen ein. Es gibt ja eine Bestimmung, die besagt, dass jedes Fahrzeug, das sich auf dem Wasser mit eigener Kraft fortbewegt, ein Schiff ist. In Fortsetzung dieses Gedankenganges legte ich also dann in Hamburg eine Musterrolle an, wie man sie für jedes Schiff anlegt. Und ich heuerte meine Besatzung an, wie man als Kapitän seine Leute anmustert. Ich musste zwar mit meiner Musterrolle erst noch einmal beim Hamburger Senat vorstellig werden. Die guten Herren standen mir zunächst etwas fassungslos gegenüber, doch dann verwies ich auf das internationale Seerecht und beanspruchte für das erste fliegende Schiff dieselben Rechte wie für andere Schiffe. Diese erste Musterrolle ist einmalig und wird in ferner Zukunft noch sehr wertvoll werden. Das Hamburger Seemannsamt hat mir durch diese Musterrolle damals im Auslande über manche Klippe hinweggeholfen; denn wenn die Luftfahrtbestimmungen Schwierigkeiten machten, war ich eben ein Schiff, bewiesen durch die Musterrolle.“

Erst im Oktober 1930 wurde das Flugzeug von der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) abgenommen und bekam das Luftfahrzeugkennzeichen D-1929. Die Do X war eine Weltsensation, trotzdem herrschte weitgehend Skepsis. Daher entschloss sich Dornier zu einem weltumspannenden Repräsentationsflug, auf dem vom Komfort und der Sicherheit der Maschine überzeugt werden sollte. Der Start des Repräsentationsfluges unter Kapitän Christiansen war am 5. November 1930. Zunächst wurde Amsterdam angesteuert, es folgenden England, Frankreich und Portugal. Dort kam es zu einem Tragflächenbrand, der gerade noch gelöscht werden konnte, die Maschine jedoch stark beschädigte. Erst am 31. Mai 1931 konnte die Do X ihre Reise nach Gran Canaria fortsetzen, dann flog sie entlang der westafrikanischen Küste bis nach Portugiesisch-Guinea. An der schmalsten Stelle überquerte die Maschine dann am 4. Juni den Atlantik um in Fernando de Noronha (Brasilien) zu landen und am 20. Juni in Rio de Janeiro anzukommen. Es folgte ein Flug über 16 Etappen, entlang der südamerikanischen Westküste und der Karibik, um am 27. August 1931 New York zu erreichen. Dort wurde das Flugboot mit riesigem Jubel empfangen und die Besatzung, unter Führung von Kapitän Christiansen, erhielt eine Audienz im Weißen Haus beim Präsidenten Herbert Clark Hoover. Die Do X wurde für das Winterlager am Wasser- und Landflugplatz von New York, in North Beach, geslippt und konnte besichtigt werden. Am 19. Mai 1932 startete Kapitän Christiansen zum Rückflug nach Deutschland, wo die Maschine am 24. Mai dann in Berlin eintraf und auf dem Müggelsee landete. Es war ein Rekordflug, der die Welt begeisterte.

Wie überliefert ist, war Christiansen recht abergläubisch, was zweifelslos eine Eigenschaft war, die vom alten Seemannsleben herrührte und die er mit in die Fliegerei übernahm. Angeblich hat er nie einen Flug gemacht, bei dem nicht seine alte, verwetterte Kriegslederjacke dabei war; in einer Tasche dieser Jacke steckte ein altes Pferdehufeisen, dass als Glücksbringer diente. Oberregierungsrat Klüter, der zusammen mit Christiansen mehrere Jahre geflogen war, berichtet unter anderem über folgendes Ereignis: „Wir waren einmal schon in Rangsdorf, um von dort aus mit einem Wettbewerbsflugzeug zu starten, als Christiansen feststellte, dass Jacke und Hufeisen fehlten. Er flog also zunächst noch einmal nach Tempelhof, um die Sachen aus dem dort untergebrachten Reiseflugzeug zu holen. Erst als die Sachen im Flugzeug verstaut waren, stiegen wir ein und flogen verspätet ab. Beim Wettbewerb hatten wir dann durch Propellerschaden Kurbelwellenbruch, und zwar in 300 m Höhe über einem Wald, der noch mehrere Kilometer zu überfliegen war. Es war eine mächtige Explosion, die alle losgerissenen Teile nur so über unsere geschlossene Kabine hinwegfegte. Ich hatte mich schon losgeschnallt, um mich als Gewichtsausgleich nach vorn zu legen, als Krischan (Christiansen a.d.R.) wieder Steuerdruck spürte. So konnten wir im flachen Segelflug den Wald noch glücklich überfliegen und gleich dahinter auf einem Kartoffelacker glatt notlanden. Der ganze Motor war herausgerissen und hing nur noch an einem fingerdicken Drahtseil. Lederjacke und Hufeisen hatten uns vorm Abstürzen bewahrt, meinte Christiansen.“

Von 1933 bis 1937 war er als Ministerialrat ins Reichsluftfahrtministerium berufen und 1936 zum Generalmajor befördert worden. Im selben Jahr wurde er zum Kommandanten bzw. Inspekteur aller Fliegerschulen ernannt. 1937 wurde Christiansen, der Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 800.471) war, Korpsführer des NS-Fliegerkorps und zum Generalleutnant befördert.

Das Nationalsozialistische Fliegerkorps (NSFK) war eine paramilitärische, nationalsozialistische Organisation und wurde am 17. April 1937 durch Führererlass geschaffen. Sie war Rechtsnachfolger des DLV e. V. (Deutscher Luftsportverband), der von 1933 bis 1937 die Aufgaben der paramilitärischen Ausbildung zunächst im Verborgenen (1933 bis 1935) und nach der Erlangung der Wehrhoheit im Rahmen der militärischen Luftgaureserve durchführte.

Eine nach Italien gelieferte Do X in Venedig auf dem Canale Grande.

Abb.: Rolf Italiaander, Wegbreiter Deutscher Luftgeltung, 1941

1938 wurde Friedrich Christiansen – auf dem Höhepunkt seiner militärischen Karriere – zum General der Flieger ernannt. Nachdem der Zweite Weltkrieg ausgebrochen war und der Westfeldzug begonnen hatte, wurde Christiansen vom 29. Mai 1940 bis zum Kriegsende Wehrmachtbefehlshaber in den von Deutschland besetzten Niederlanden. Zudem war er vom 10. November 1944 bis 28. Januar 1945 Oberbefehlshaber der dort eingesetzten 25. Armee.

Leider muss gesagt werden, dass der große Luftfahrtpionier General Christiansen im Krieg zum Kriegsverbrecher wurde und als solcher verurteilt wurde.

Am 1. Oktober 1944 beschossen niederländische Partisanen vier deutsche Offiziere in einem Auto, von denen einer ums Leben kam. Einen Tag später veranlasster Christiansen eine Großrazzia in dem Niederländischen Dorf Putten. 661 Männer über 16 Jahre wurden gefangen genommen, zunächst in das Lager Amersfoort und anschließend in die KZ Neuengamme, KZ Bergen-Belsen, KZ Auschwitz-Birkenau und KZ Ladelund verschleppt. Nur 49 dieser Männer überlebten ihren KZ-Aufenthalt. Die Frauen, Kinder und alten Menschen der Gemeinde mussten das Dorf verlassen, ihre Häuser wurden niedergebrannt. Dabei wurden über 100 Gebäude und Wohnungen zerstört.

Nach dem Krieg wurde Friedrich Christiansen verhaftet und vom Sondergericht im niederländischen Arnheim in der Strafsache Putten am 12. August 1948 zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Im Dezember 1951 wurde Christiansen vorzeitig wegen guter Führung begnadigt. Er starb am 3. Dezember 1972 in Aukrug im Kreis Rendsburg-Eckernförde. Ob Friedrich Christiansen die Tragweite seiner Taten erkannte hat und sie jemals bereute, ist nicht bekannt. Seine Pionierleistungen in der Luftfahrt kann ihm dennoch keiner nehmen, seine nachgewiesenen Taten im NZ-Regime haben diese jedoch nicht unerheblich diskreditiert.

Hellmuth Hirth – der geniale Flugmotoren-Konstrukteur

Wir jubeln Künstlern zu, Dichtern und Schriftstellern, mitunter auch religiösen Führern oder Politikern. Doch wer bejubelt schon Ingenieure und Erfinder. Bereits seit Beginn der Industriellen Revolution weisen Technikphilosophen auf die Bedeutung der Ingenieurskunst hin. Geändert hat sich bis heute nicht viel. In den Medien werden Künstler, Schriftsteller, Politiker, manchmal auch Manager hofiert, über Ingenieure hingegen gibt es kaum Berichterstattungen. Dennoch kommt den Ingenieuren immer die Vorreiterrolle zu: Ohne die Erfindung des Buchdrucks könnte kein Schriftsteller sein Werk veröffentlichen, der Musiker ohne elektrisches/elektronisches Equipment könnte nur ein sehr begrenztes Publikum erreichen, ein Bild ohne schönen Rahmen und entspiegelter Scheibe würde sich niemand hinhängen und auch die Malerfarben sind Werke von Chemieingenieuren. Wo würden Künstler und Politiker ihre Bühnen finden, wenn nicht begabte Architekten schöne und zweckdienliche Gebäude entworfen hätten. Ohne die Luft- und Raumfahrtingenieure und ihre kreativen Arbeiten wäre unser Bewegungsradius bis heute sehr eingeschränkt.

Hellmuth Hirth war einer dieser genialen Luftfahrtingenieure. Geboren wurde er am 24. April 1886 in Heilbronn. Es gibt Stimmen die behaupten, dass der Ingenieurtrieb genauso erblich sei, wie der des Künstlers, Politikers oder Soldaten (Eugen Diesel). Dem kann ich so nicht zustimmen! Sicherlich werden Kinder von ihren Eltern geprägt, oftmals auch von deren Berufen oder Berufungen, was jedoch nicht als Erbe bezeichnet werden kann. Das zu allen Zeiten, heute ganz besonders, die Kinder von Künstlern, Politikern und anderen prominenten Berufen oftmals in die Schuhe ihrer Eltern schlüpfen, hat nichts mit erblichem Talent, sondern mit Wegbereitung, Erziehung und Beziehungen zu tun. So wohl auch bei Hellmuth Hirth, dem ältesten Sohn des Ingenieurs und Erfinders Albert Hirth. Nach dem Motto des Vaters: „Meine Buben sollen junge Teufel im freien Feld fangen dürfen, wenn sie Lust dazu haben.“, beschäftigte sich Hellmuth mit allem, was damals modern und zeitgemäß war. Der jugendliche Hellmuth wurde zum „Hansdampf“ und fuhr bereits mit zwölf Jahren Motorrad und mit dreizehn ein Auto.

Hellmuths praktische und technische Veranlagung erkannte sein Vater frühzeitig und förderte diese hinreichend, was Hellmuth und auch sein Bruder Wolf wiederholt versicherten.

Hellmuth, Albert und Wolf Hirth - drei bewährte deutsche Luftfahrer Abb.: Rolf Italiaander, Wegbreiter Deutscher Luftgeltung, 1941

Die Vorfahren der Familie waren Müller und Bauern. Bereits Hellmuths Großvater Ludwig Hirth wandte sich jedoch der Technik zu, reparierte Mühlen und konstruierte landwirtschaftliche Maschinen, die in der Firma Blessing & Hirth in Zuffenhausen produziert wurden. Er legte damit den Grundstein für den Aufstieg seines Sohnes Albert. Der machte zunächst eine Lehre als Mechaniker, ging dann auf Wanderschaft, um 1878 an der Königlichen Baugewerkeschule ein Ingenieurstudium aufzunehmen. Es folgte eine außergewöhnliche Karriere: Vom Konstrukteur arbeitete sich Albert Hirth zu Großindustriellen empor. Sein Schaffen gipfelte 1922 in der Gründung der Hirth AG. Albert Hirth meldete in seinem Leben etwa 350 Patente an. Zur Verbindung von Wellen erfand Hirth eine spezielle Verzahnungsform, die noch heute als Hirth-Verzahnung im Maschinen- und Motorenbau verwendet wird. Zudem gründete Albert, zusammen mit zwei Freunden, um 1904 die Kugellagerfabrik Norma, die später als bedeutender Baustein in der SKF aufging und die für Robert Bosch fertigte.

Hellmuth Hirths Vater war bereits als Jugendlicher an der Luftfahrt interessiert. Bekannt geworden ist sein Absprung aus dem 2. Stockwerk seines Lehrmeisters. Er bediente sich bei diesem Segelflug zweier großer Regenschirme und hatte durch sein geringes Gewicht das Glück des Tüchtigen, um unverletzt zu landen. Für spätere Zeit ist bekannt, dass er ein begeisterter Freiluftballonfahrer war.

Vor dem Ersten Weltkrieg begann er, zurückgreifend auf eigene Erfindungen und Patente, mit dem Bau eines Riesenhubschraubers; der Krieg stoppte jedoch dieses Projekt.

Aus der Frühzeit der Fluggeschichte.

Im Matrosenanzug - Wolf Hirth, mit Lederjacke - Hellmuth Hirth, links daneben Vater Albert Hirth.

Abb.: Rolf Italiaander, Wegbreiter Deutscher Luftgeltung, 1941

Es versteht sich, dass es ihm ein Vergnügen war, zu erleben, wie seine beiden Söhne erfolgreiche Flieger wurden.