Prosper Mérimée: Die Seelen des Fegefeuers

 

 

Prosper Mérimée

Die Seelen des Fegefeuers

Das Leben des Don Juan von Marana

 

 

 

Prosper Mérimée: Die Seelen des Fegefeuers. Das Leben des Don Juan von Marana

 

Übersetzt von Paul Hansmann

 

Neuausgabe.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Joshua Reynolds, Garrick zwischen Tragödie und Komödie, 1761

 

ISBN 978-3-7437-0196-0

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-7437-0163-2 (Broschiert)

ISBN 978-3-7437-0164-9 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Les Âmes du purgatoire. Erstdruck: 1834. Übersetzt von Paul Hansmann unter dem ursprünglichen Titel »Die Seelen des Fegefeuers«.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

 

 

Cicero sagt irgendwo, ich glaube in dem Traktat über die Natur der Götter, daß es mehrere Jupiter gegeben habe, – einen Jupiter auf Kreta, – einen andern in Olympia, – einen andern anderswo; – so daß nicht eine in etwas berühmte Stadt in Griechenland war, welche nicht ihren Jupiter für sich hatte. Aus allen diesen Jupitern hat man einen einzigen gebildet, dem man alle Abenteuer jedes seiner Namensvettern zuschrieb, was die erstaunliche Menge Weibergeschichten erklärt, die man dem Gott unterschiebt.

Die nämliche Verschmelzung ist bei Don Juan geschehen, einer Persönlichkeit, die an Berühmtheit Jupiter etwa nahekommt. Sevilla allein hat mehrere Don Juans besessen; manch andre Stadt führt den ihrigen an. Jeden umgab früher seine besondere Legende. Mit der Zeit sind alle zu einer einzigen verschmolzen worden.

Wenn man sich näher damit befaßt, kann man dennoch jeden herausfinden oder wenigstens zwei dieser Helden unterscheiden, nämlich: Don Juan Tenorio, der bekanntlich von einem steinernen Bildnisse fortgeholt wurde, und Don Juan von Marana, dessen Ende ganz anders gewesen ist.

Des einen wie des andern Leben erzählt man in der nämlichen Weise: nur der Ausgang ihrer Geschichte unterscheidet sie voneinander. Wie in Ducis' Stücken, die je nach der Leser Mitgefühl gut oder schlecht endigen, kommt jede Geschmacksrichtung dabei auf ihre Kosten.

Was die Wahrheit dieser Geschichte oder dieser beiden Geschichten anlangt, so läßt sie sich nicht bestreiten. Es hieße den Provinzialpatriotismus der Sevillaner schwer beleidigen, wenn man die Existenz dieser Taugenichtse, welche die Genealogie ihrer vornehmsten Familien verdächtig gemacht haben, anzweifeln wollte. Man zeigt den Fremden Don Juan Tenorios Haus und kein Mensch, der ein Freund der Künste ist, hat durch Sevilla reisen können, ohne die Kirche der Barmherzigkeit zu besuchen. Dort wird er das Grab des Ritters von Marana gesehen haben mit jener von seiner Demut oder – wenn man will – von seinem Hochmute diktierten Aufschrift:

 

Aqui yace el peor hombre que fué en el mundo.

(Hier ruht der schlechteste Mensch, der auf Erden gelebt hat.)

 

Kann man darnach noch Zweifel hegen? Nachdem Euch Euer Cicerone vor beide Monumente geführt hat, wird er Euch wahrlich noch erzählen, wie Don Juan (man weiß nicht welcher) der Giralda, jener Bronzefigur, welche den Maurenturm der Kathedrale überragt, seltsame Vorschläge machte, und wie die Giralda sie annahm; – wie Don Juan vom Weine heiß am linken Guadalquivirufer lustwandelte, einen Mann, der eine Zigarre rauchend auf dem rechten Ufer ging, um Feuer bat, und wie des Rauchers Arm (der kein andrer als der Teufel in höchsteigener Person war) länger und länger ward, bis er über den Fluß reichte und Don Juan seine Zigarre hinhielt, welcher, ohne mit der Wimper zu zucken und ohne – so verhärtet war er – diese Warnung zu beherzigen, seine daran ansteckte ...

Ich habe mich bemüht, für jeden Don Juan das in Anschlag zu bringen, was ihm aus ihrem gemeinsamen Vorrat an bösen Streichen und Verbrechen zukommt. Mangels einer besseren Methode habe ich mich befleißigt, von Don Juan von Marana, meinem Helden, nur Abenteuer zu erzählen, die nicht durch Verjährungsrecht Don Juan von Tenorio gehören, der uns durch Molières und Mozarts Meisterwerke so bekannt ist.

 

Der Graf Don Carlos von Marana war einer der reichsten und angesehensten Edelleute, die es in Sevilla gab. Er war von erlauchter Geburt und hatte im Kriege gegen die aufständischen Mauren bewiesen, daß er, was den Mut seiner Ahnen anlangt, nicht aus der Art geschlagen war. Nach der Niederwerfung der Alpuxaren kehrte er mit einer Schmarre auf der Stirn und einer großen Zahl Kinder, die er den Ungläubigen abgenommen hatte, nach Sevilla zurück; er ließ sie taufen und verkaufte sie vorteilhaft in Christenhäuser. Seine Wunden, die ihn keineswegs entstellten, hinderten ihn nicht, einer jungen Dame aus gutem Hause zu gefallen; sie gab ihm den Vorzug vor einer großen Zahl Männer, welche sich um ihre Hand bewarben. Aus dieser Ehe entsprossen zuerst mehrere Töchter, von denen einige sich später verheirateten, andre ins Kloster traten. Don Carlos von Marana war in Verzweiflung keinen Namenserben zu haben, als ihn die Geburt eines Sohnes überglücklich machte und ihn hoffen ließ, daß sein altes Majorat nicht auf eine Seitenlinie übergehen würde.

Don Juan, dieser heißersehnte Sohn und Held dieser wahrhaften Geschichte, ward von seinem Vater und seiner Mutter verzogen, wie das bei einem einzigen Erben eines berühmten Namens und eines großen Vermögens der Fall zu sein pflegt. Schon als Kind war er fast unumschränkter Herr aller seiner Handlungen und im ganzen Palaste seines Vaters würde niemand die Kühnheit besessen haben, ihm zu widersprechen. Nur wollte seine Mutter, daß er fromm würde wie sie, und sein Vater, sein Sohn sollte so tapfer werden wie er. Durch Liebkosungen und Leckereien verpflichtete sie das Kind Litaneien, Rosenkranzgebete, kurz alle notwendigen und nicht notwendigen Gebete zu lernen. Beim Schlafengehen las sie ihm die Heiligengeschichte vor. Der Vater seinerseits brachte ihm des Cid und Bernard del Carpios Romanzen bei, erzählte ihm von dem Maurenaufstand und ermunterte ihn, sich täglich im Speerwerfen, Armbrust- oder gar im Büchsenschießen auf eine Maurenpuppe zu üben, welche er hinten in seinem Parke hatte aufstellen lassen.

Im Betzimmer der Gräfin von Marana gab es ein Gemälde in Morales' ansprechendem und trockenem Stile, welches die Qualen des Fegefeuers darstellte. All die verschiedenen Strafen, die der Maler hatte ersinnen können, fanden sich dort so genau dargestellt, daß ein Folterknecht der Inquisition nichts daran hätte aussetzen können. Die Seelen des Fegefeuers befanden sich in einer Art großer Höhle, in der man oben ein Luftloch sah. Am Rande dieser Öffnung stand ein Engel und streckte die Hand nach einer Seele aus, welche den Ort der Schmerzen verließ, während ihm zur Seite ein bejahrter Mann, der einen Rosenkranz in seinen gefalteten Händen hielt, in tiefer Inbrunst zu beten schien. Dieser Mann war der Stifter des Gemäldes, welcher es für eine Kirche in Huesca hatte machen lassen. Bei ihrem Aufstande steckten die Mauren die Stadt in Brand; die Kirche ward zerstört, das Gemälde aber durch ein Wunder verschont. Der Graf von Marana hatte es an sich genommen und das Betgemach seiner Frau damit geschmückt. Jedesmal, wenn der kleine Juan zu seiner Mutter kam, verharrte er lange Zeit über unbeweglich in Betrachtung des Gemäldes, das ihn zugleich erschreckte und fesselte. Vor allem konnte er seine Augen nicht von einem Mann abwenden, dessen Eingeweide eine Schlange zu benagen schien, während er über einem glühenden Kohlenbecken mittels Haken aufgehängt war, welche durch seine Seiten gingen. Ängstlich, die Augen nach der Luftlochseite wendend, flehte der Duldende scheinbar den Stifter um Gebete an, die ihn von so vielen Leiden befreien sollten. Die Gräfin erklärte ihrem Sohne stets, der Unglückliche erlitte solche Höllenqualen, weil er seinen Katechismus nicht gut gekonnt, weil er sich über einen Priester lustig gemacht hätte, oder in der Kirche zerstreut gewesen wäre. Die Seele, welche dem Paradies zuflog, war die eines Verwandten der Familie Malana, der sich zweifelsohne einige leichte Vergehen hatte vorzuwerfen gehabt. Der Graf von Marana aber hatte für sie gebetet, dem Klerus viel geschenkt, um sie vom Feuer und von den Qualen loszukaufen, und hatte die Genugtuung gehabt, seines Verwandten Seele ins Paradies zu schicken, ohne ihr Zeit zu lassen, sich im Fegefeuer viel zu langweilen. »Gleichwohl, Juanito«, fügte die Gräfin hinzu, »werd' ich eines Tages etwa ebenso leiden und Millionen Jahre im Fegefeuer bleiben, wenn du nicht daran denkst Messen lesen zu lassen, um mich aus ihr zu befreien. Wie schlecht würde es sein, die Mutter, die dich genährt hat, in solcher Qual verharren zu lassen.« Dann weinte das Kind; und wenn es einige Realen in seiner Tasche hatte, schenkte es sie eilends dem erstbesten Almosensammler, der ihm mit einer Sammelbüchse für die Seelen des Fegefeuers begegnete.

Wenn er in seines Vaters Zimmer trat, erblickte er durch Arkebusenschüsse verbeulte Kürasse, einen Helm, den der Graf von Malana beim Sturm auf Almeria getragen hatte und der noch den Schneideabdruck einer muselmännischen Streitaxt aufwies; Lanzen, Maurensäbel und den Ungläubigen abgewonnene Standarten zierten dies Gemach.

»Den Saraß hier«, sagte der Graf, »hab' ich dem Kadi von Bejer abgenommen, der dreimal damit auf mich einhieb, ehe ich ihm das Leben raubte. – Die Standarte da wurde von den Aufrührern des Elviragebirges getragen. Sie plünderten grade ein Christendorf; mit zwanzig Reitern eilte ich herbei. Viermal versuchte ich mitten in ihre Reihen einzudringen, um diese Fahne zu erbeuten; viermal ward ich zurückgetrieben. Beim fünftenmal machte ich ein Kreuzeszeichen und schrie: ›Sankt Jakob!‹ Dann drang ich in die Reihen der Heiden ein ... Und siehst du den goldenen Kelch hier, den ich in meinem Wappen trage? Ein Alfaqui der Mauren hatte ihn in einer Kirche gestohlen, wo er tausend Greueltaten beging. Seine Pferde haben auf dem Altare Hafer gefressen und seine Soldaten die Gebeine der Heiligen zerstreut. Der Alfaqui bediente sich dieses Kelches, um mit Schnee gekühlten Sorbett daraus zu trinken. In seinem Zelte überraschte ich ihn, als er das geweihte Gefäß an seine Lippen führte. Bevor er ›Allah‹ gesagt hatte, während das Getränk noch durch seine Kehle lief, traf ich den kahlgeschorenen Schädel dieses Hundes mit diesem guten Degen und die Klinge drang bis in die Zähne ein. Zur Erinnerung an diese heilige Rache hat mir der König erlaubt einen goldenen Kelch in meinem Wappen zu tragen. Ich sage dir das, Juanito, damit du es deinen Kindern erzählst und daß sie wissen, warum dein Wappen nicht genau dasselbe wie das deines Großvaters, Don Diegos, ist, das du da über seinem Porträt gemalt siehst.«

Zwischen Krieg und Frömmigkeit hin und her geworfen, verbrachte das Kind seine Tage damit, kleine Holzkreuze aus Latten herzustellen oder lieber mit einem hölzernen Säbel bewaffnet, im Krautgarten mit Kürbissen aus Rota zu kämpfen, deren Form seiner Ansicht nach mit Turbanen bedeckten Maurenschädeln glich. Mit achtzehn Jahren übersetzte Don Juan ziemlich schlecht Lateinisch, bediente die Messe sehr gut und handhabte den Haudegen oder das zweihändige Ritterschwert besser als es der Cid tat. Da sein Vater meinte, daß ein Edelmann aus dem Hause Marana noch andre Talente erwerben müsse, entschloß er sich ihn nach Salamanca zu schicken. Die Reisevorbereitungen waren bald getroffen. Seine Mutter gab ihm viele Rosenkränze, Skapuliere und geweihte Medaillen mit. Lehrte ihn auch viele Gebete, welche in einer Menge Lebensumständen von großer Hilfe seien. Don Carlos schenkte ihm einen Degen, dessen mit Silber ausgelegtes Gefäß mit seinem Familienwappen geschmückt war, und sagte zu ihm: »Bis heute hast du nur mit Kindern zusammengelebt, nun sollst du dich mit Männern zusammentun. Denk' daran, daß eines Edelmannes köstlichstes Gut seine Ehre ist; und deine Ehre ist die der Marana. Möge der letzte Sprosse unseres Hauses lieber umkommen, als daß ein Makel auf seine Ehre fällt. Nimm diesen Degen; er soll dich verteidigen, wenn man dich angreift. Zieh ihn niemals als erster; erinnere dich aber, daß deine Vorfahren den ihrigen immer erst in ihre Scheide zurückgesteckt haben, wenn sie gesiegt und sich gerächt hatten.« So mit geistlichen und weltlichen Waffen versehen, stieg der Stammhalter der Marana zu Pferd und verließ das Haus seiner Väter. Die Universität Salamanca stand damals in ihrem höchsten Glänze. Nie hatte es mehr Studenten und gelehrtere Professoren dort gegeben; nimmer hatten aber auch seine Bürger mehr zu leiden gehabt unter den Unverschämtheiten der zuchtlosen Jugend, welche in ihrer Stadt hauste oder sie vielmehr beherrschte. Serenaden, Katzenmusiken, alle Arten nächtlicher Ruhestörungen waren an der Tagesordnung; von Zeit zu Zelt wurde in ihre Monotonie durch Frauen- und Mädchenentführungen, durch Räubereien und Bastonaden Abwechslung gebracht. Als Don Juan in Salamanca angekommen war, brachte er mehrere Tage damit hin, Empfehlungsschreiben an seines Vaters Freunde abzugeben, seine Professoren zu besuchen, die Kirchen zu besichtigen und sich die Reliquien, die in ihnen verwahrt wurden, zeigen zu lassen. Dem Wunsche seines Vaters gemäß händigte er einem der Professoren eine stattliche Geldsumme ein, welche unter die armen Studenten verteilt werden sollte. Diese Freigebigkeit hatte den größten Erfolg und gewann ihm sofort zahlreiche Freunde.