Prosper Mérimée: Die Venus von Ille

 

 

Prosper Mérimée

Die Venus von Ille

und andere Meisternovellen

 

 

 

Prosper Mérimée: Die Venus von Ille und andere Meisternovellen

 

Übersetzt von Adolf Laun und Paul Hansmann

 

Neuausgabe.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Aristide Maillol, Venus, 1936

 

ISBN 978-3-7437-0436-7

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-7437-0319-3 (Broschiert)

ISBN 978-3-7437-0320-9 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Die Venus von Ille

La Vénus d’Ille. Erstdruck: 1837. Übersetzt von Paul Hansmann (1882-1936)

Das Gäßchen der Madama Lucrezia

Il Viccolo di Madama Lucrezia. Erstdruck: 1846. Übersetzt von Paul Hansmann (1882-1936)

Die etruskische Vase

Le Vase étrusque. Erstdruck: 1830. Übersetzt von Adolf Laun (1808-1881)

Der Abbé Aubain

L'Abbé Aubain. Erstdruck: 1844. Übersetzt von Adolf Laun (1808-1881)

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

Die Venus von Ille

Den letzten Hang des Canigou stieg ich hinunter und wiewohl die Sonne schon untergegangen war, unterschied ich in der Ebene doch die Häuser der kleinen Stadt Ille, auf die ich zuwanderte.

»Sonder Zweifel wißt Ihr«, sagte ich zu dem Katalonier, der mir seit dem Vorabend als Führer diente, »wo Herr von Peyrehorade wohnt?«

»Ob ich's weiß!« rief er. »Sein Haus kenn' ich wie meins; und wenn's nicht so dunkel wär', würd' ich's Euch zeigen; es ist das schönste in Ille. Ja, der hat Geld, der Herr von Peyrehorade; und seinen Sohn verheiratet er mit einer, die noch viel reicher ist.«

»Und die Heirat findet bald statt?« fragte ich ihn.

»Bald! Vielleicht sind die Hochzeitsgeiger schon bestellt. Heute Abend, morgen, übermorgen, was weiß ich? In Pygarrig findet sie statt; denn Fräulein von Pygarrig heiratet der Herr Sohn. Da wird's sein werden, ja!«

Von meinem Freunde M. von P... war ich an Herrn von Peyrehorade empfohlen worden. Das ist, hat er mir gesagt, ein sehr unterrichteter Altertumsforscher von beispielloser Gefälligkeit. Freude würde es ihm machen, mir alle Ruinen zehn Meilen in der Runde zu zeigen. So rechnete ich denn auf ihn für den Besuch der Umgebung von Ille, die ich reich an römischen und mittelalterlichen Kunstdenkmälern wußte. Die Heirat, von der man mir jetzt zum erstenmal erzählte, würde alle meine Pläne über den Haufen werfen.

Ein Störenfried werd' ich sein, sagte ich mir. Doch wurde ich erwartet, und da ich von M. von P... angemeldet worden war, mußte ich wohl oder übel vorsprechen.

»Wetten wir, mein Herr«, sagte mein Führer, als wir bereits in der Ebene waren, »wetten wir eine Zigarre, daß ich errate, was Ihr bei Herrn von Peyrehorade wollt?«

»Das wird nicht schwer zu erraten sein«, antwortete ich, ihm eine Zigarre gebend. »Wenn man sechs Meilen im Canigou hinter sich hat, ist's Abendessen zu dieser Stunde die Hauptsache.«

»Ja, aber morgen? ... Nun, ich würde wetten, Ihr kommt nach Ille, um das Götzenbild zu sehen? Hab's erraten, als ich Euch die Serraboner Heiligen abmalen sah.«

»Götzenbild! Was für'n Götzenbild?« Das Wort hatte meine Neugierde erregt.

»Was, hat man Euch in Perpignan nicht erzählt, daß Herr von Peyrehorade ein Götzenbild in der Erde gefunden hat?«

»Eine irdene Figur wollt Ihr sagen, eine Tonstatue?«

»Nein. Wohl aber aus Kupfer; tüchtig Zweisousstücke könnte man draus machen. Sie wiegt ebensoviel wie eine Kirchenglocke. Und tief aus der Erde unter einem Ölbaume haben wir sie hervorgeholt.«

»Ihr seid also beim Finden dabei gewesen?«

»Ja, Herr. Vor etwa vierzehn Tagen hatte Herr von Peyrehorade uns, Johann Coll und mir gesagt, wir sollten einen alten Ölbaum ausroden, der im letzten Jahr erfroren ist, denn, Ihr wißt ja, der Winter ist sehr hart gewesen. Und wie wir so draufloswerken, haut Johann Coll, der sich tüchtig ins Zeug legte, mit der Hacke los, und ich höre ein ›Bimm‹, wie wenn er auf eine Glocke geschlagen hätte. ›Was ist das?‹ frage ich. Wir hacken und hacken immer weiter, und da erscheint eine schwarze Hand, wie eine Totenhand, die aus der Erde hervorkommt. Mich packt Angst. Ich laufe zum Herrn und sage zu ihm: ›Tote, Herr, sind unter dem Ölbaume! Den Pfarrer muß man rufen.‹ – ›Was für Tote?‹ sagt er. Er kommt, und nicht sobald hat er die Hand gesehen, als er ruft: ›Eine Antike! Eine Antike!‹ Glauben sollte man, er hätte einen Schatz gefunden. Und schon ist er mit der Hacke, mit den Händen dabei und schafft fast ebensoviel wie wir beide.«

»Und was fandet Ihr schließlich?«

»Ein großes, mehr als halbnacktes Weib, mit Respekt zu sagen, Herr; ganz aus Kupfer, und Herr von Peyrehorade hat uns gesagt, es wäre ein Götzenbild aus der Heidenzeit ... aus Karls des Großen Zeiten, was ...«

»Weiß schon, was es ist ... Irgend eine bronzene heilige Jungfrau aus einem zerstörten Kloster.«

»Eine heilige Jungfrau! Ach jawohl ... Wenn's eine heilige Jungfrau wäre, die würd' ich schon erkannt haben. Ein Götzenbild ist's, sage ich Euch, man sieht's ihm gut an. Mit seinen großen weißen Augen hat's uns angestarrt ... als ob es einem die Augen auskratzen wollte. Wenn man's ansieht, jawohl, dann schlägt man die Augen nieder!«

»Weiße Augen? Sicherlich sind sie in die Bronze eingefügt. 's wird vielleicht irgend eine römische Statue sein!«

»Römisch, das ist's. Herr von Peyrehorade hat gesagt, es wäre eine Römerin. Ach, ich merke wohl, Ihr seid so gelehrt wie er.«

»Ist sie ganz, gut erhalten?«

»Oh, Herr, der fehlt nichts. Sie ist noch schöner und besser ausgeführt als die Louis-Philipp-Büste, die gemalte, im Rathaus. Das Gesicht des Götzenbildes gefällt mir aber trotz alledem nicht. Sie sieht so böse aus ... und ist es auch.«

»Böse! Was hat sie Euch denn Böses getan?«

»Mir grad nicht; doch hört nur zu. Mit Feuer hatten wir uns dran gemacht, sie aufzurichten, und Herr von Peyrehorade zog auch am Stricke mit, obwohl er nicht mehr Kraft als ein Hühnchen hat, der gute Mann. Mit großer Mühe stellten wir sie auf. Um sie zu stützen, raffte ich einen Ziegel auf, als sie, pardautz, wie eine unförmige Masse hintenüberfällt. Ich sage: Aufgepaßt da hinten! Doch nicht schnell genug, denn Johann Coll hat keine Zeit gehabt, sein Bein fortzuziehen ...«

»Und ist er verletzt worden?«

»Wie ein Rebenpfahl ist sein armes Bein zerbrochen worden. Eiweh! Als ich das gesehn hab', da bin ich aber wild geworden. Mit der Hacke wollt' ich das Götzenbild zusammenschlagen, Herr von Peyrehorade aber hat mich zurückgehalten. Geld hat er Johann Coll gegeben, der seit vierzehn Tagen, wo ihm das passiert ist, noch immer im Bette liegt, und der Arzt meint, er wird auf diesem Beine nimmer wieder wie auf dem andern gehen können. Ein Jammer ist das, denn er war unser bester Läufer und nach dem jungen Herrn der geschickteste Ballspieler. Herr Alfons von Peyrehorade war auch traurig darüber, denn mit Coll hat er stets zusammen gespielt. Das war fein anzusehn, wenn sie sich die Bälle zurückschickten. Paff, paff, nie berührten sie den Boden!«

Unter solchem Geplauder waren wir in Ille angelangt und bald stand ich Herrn von Peyrehorade gegenüber. Er war ein kleiner, noch rüstiger und munterer Mann, gepudert, mit roter Nase, jovialer und spaßhafter Miene. Noch ehe er M. von P...s Brief aufgemacht, hatte er mich auch schon vor einen gutbestellten Tisch gesetzt, und mich seiner Frau und seinem Sohn als einen berühmten Archäologen vorgestellt, der den Roussillon der Vergessenheit entreißen sollte, in welcher ihn der Gelehrten Gleichgültigkeit verharren ließe.

Während ich mit tüchtigem Hunger aß, denn nichts fördert ihn mehr als die frische Bergluft, betrachtete ich meine Gastgeber. Von Herrn von Peyrehorade hab' ich bereits gesprochen, hinzufügen muß ich noch, daß er die Lebhaftigkeit in Person war. Er sprach, aß, sprang auf, lief in seine Bibliothek, schleppte mir Bücher herbei, zeigte mir Stiche, goß mir zu trinken ein und war nie zwei Minuten in Ruhe. Seine, wie die meisten Katalonierinnen, wenn sie die Vierzig hinter sich haben, etwas reichlich dicke Frau, schien mir als echte Provinzlerin nur mit ihren Haushaltssorgen beschäftigt. Obwohl das Abendbrot für sechs Leute wenigstens würde gereicht haben, lief sie in die Küche, ließ Tauben schlachten, Hirsebrei rösten, und machte ich weiß nicht wieviel Töpfe Eingemachtes auf. Im Nu brach der Tisch fast unter der Last der Schüsseln und Flaschen, und ganz gewiß wär' ich an Verdauungsbeschwerden gestorben, wenn ich alles mir Angebotene auch nur gekostet hätte. Bei jedem Gerichte jedoch, das ich vorbeigehen ließ, gab's neue Entschuldigungen. Ich würde mich in Ille nicht wohl fühlen, fürchte man. In der Provinz habe man so wenig Auswahl, und die Pariser seien so verwöhnt!

Bei diesem fortwährenden Gehen und Kommen seiner Eltern saß Herr Alfons von Peyrehorade steif wie ein Ölgötze da. Er war ein hochgewachsener, siebenundzwanzigjähriger junger Mann, hatte ein schönes und regelmäßiges Gesicht, das aber jedes Ausdrucks entbehrte. Seine Figur und seine athletischen Körperformen rechtfertigten durchaus den Ruf eines unermüdlichen Ballspielers, dessen er sich in der Gegend erfreute. Elegant war er an diesem Abend angezogen, genau nach dem Stiche des letzten Modejournals. In seinen Kleidern schien er sich aber unbehaglich zu fühlen. Stocksteif saß er in seinem Samtkragen da und drehte sich nur mit Mühe um. Seine plumpen, sonnengebräunten Hände, seine kurzen Nägel stachen sonderbar von seinem Anzug ab, denn Arbeiterfäuste sahen aus den Stutzerärmeln hervor. Obwohl er mich in meiner Eigenschaft als Pariser neugierig von Kopf bis zu den Füßen betrachtete, richtete er dennoch den ganzen Abend über nur ein einzigesmal das Wort an mich, um mich zu fragen, wo ich meine Uhrkette gekauft hätte.

»Ach, mein lieber Gast«, sagte Herr von Peyrehorade, als das Essen sich seinem Ende näherte, »Sie sind bei mir, Sie gehören mir. Nicht eher laß ich locker, als bis Sie alles in unsern Bergen Sehenswerte besichtigt haben. Sie müssen unser Roussillon kennenlernen und ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen. Sie ahnen ja nicht, was wir Ihnen alles zu zeigen haben. Phönizische, keltische, römische, arabische, byzantinische Bauwerke, alles sollen Sie von A bis Z sehen. Überall werd' ich Sie hinführen und nicht einen Ziegelstein will ich Ihnen erlassen.«

Ein Hustenanfall zwang ihn innezuhalten. Den benutzte ich, um ihm zu sagen, ich würde untröstlich sein, wenn ich ihn bei einem, für seine Familie so bedeutungsvollen Ereignisse stören würde. Wenn er mir seine ausgezeichneten Ratschläge über die von mir zu machenden Ausflüge erteilen möchte, würde ich, ohne daß er sich der Mühe des Begleitens unterzöge ...

»Ach, Sie wollen von der Heirat des Jungen da reden«, unterbrach er mich, »Kleinigkeit. Das machen wir übermorgen ab. Sie feiern mit uns im Familienkreise, denn die Zukünftige ist in Trauer einer Tante wegen, die sie beerbt. Kein Fest daher, kein Ball ... 's ist schade. Sie hätten unsere Katalonierinnen tanzen sehn sollen ... Sie sind hübsch, und vielleicht hätten Sie Lust gekriegt, meinem Alfons nachzuahmen. Eine Hochzeit, heißt es, zieht andre nach sich ... Samstag sind die jungen Leute verheiratet, dann bin ich frei und wir machen uns auf die Beine. Verzeihen Sie, wenn ich Sie mit einer Provinzhochzeit langweile. Für einen mit Festen verwöhnten Pariser ... Und eine Hochzeit ohne Ball noch dazu. Immerhin sollen Sie eine Braut sehen ... eine Braut ... na, Sie werden mir dann ja Ihre Meinung sagen ... Doch Sie sind ein ernster Mann und sehen sich Frauensleute wohl nicht weiter an. Ich hab' Ihnen was Besseres als das zu zeigen. Ich will Sie was sehen lassen ... Für morgen heb' ich Ihnen eine ganz gehörige Überraschung auf.«

»Mein Gott«, sagte ich zu ihm, »schwer ist's einen Schatz im Hause zu haben, ohne daß die Öffentlichkeit etwas davon weiß. Ich glaube, die Überraschung, die Sie für mich vorhaben, zu erraten. Wenn es sich aber um Ihre Statue handelt, so ist die mir von meinem Führer gelieferte Beschreibung ganz darnach angetan, meine Neugierde zu reizen und mich auf die Bewunderung vorzubereiten.«

»Ach, man hat Ihnen von dem Götzenbilde erzählt, wie sie hier meine Venus Tur ... doch ich will Ihnen nichts verraten. Morgen, am hellen Tage, sollen Sie sehen und mir sagen, ob ich sie mit Recht für ein Meisterwerk halte. Potzblitz, gelegener konnten Sie nicht kommen! Da gibt's Inschriften, die ich armer Nichtswisser mir auf meine Weise erkläre ... ein gelehrter Pariser aber ... Sie werden sich vielleicht lustig machen über meine Auslegung ... denn ich hab' eine Denkschrift verfertigt ... ich, der ich mit Ihnen hier rede ... ein alter Provinzsammler ... hab' da eine Laufbahn betreten ... Will viel drucken lassen ... Wenn Sie in Ihrer Güte es lesen und mich verbessern wollten, dürft' ich hoffen ... Zum Beispiel bin ich sehr neugierig, wie Sie folgende Sockelinschrift: ›Calve‹ übertragen werden. Doch will ich Sie noch nichts fragen. Morgen, morgen! Nicht ein Wort über die Venus heute.«

»Recht hast du, Peyrehorade«, sagte seine Frau, »dein Götzenbild in Ruhe zu lassen. Du mußt doch sehen, daß du den Herrn am Essen hinderst. Geh, der Herr hat in Paris viel schönere als deine Statue gesehen. In den Tuilerien gibt es ihrer zu Dutzenden, auch bronzene.«

»Wahrlich, das ist die Einfalt, heilige Provinzeinfalt!« unterbrach Herr von Peyrehorade. »Eine wunderbare Antike mit Coustous plattem Figurenzeug zu vergleichen.

 

Unehrerbietig redet von den Göttern

Mein Weib, des Hauses treue Schaffnerin.

 

Wissen Sie, daß ich auf meiner Frau Wunsch die Statue einschmelzen lassen sollte, um eine Glocke für unsere Kirche daraus zu machen? Sie wäre dann die Taufpatin gewesen. Ein Meisterwerk Myrons, mein Herr.«

»Meisterwerk hin, Meisterwerk her; ein schönes Meisterwerk hat sie verrichtet: Einem Menschen das Bein zerbrochen.«

»Siehst du, Frau«, sagte Herr von Peyrehorade entschlossenen Tones und ihr sein rechtes Bein im schinierten Seidenstrumpf hinstreckend, »wenn meine Venus mir das Bein da zerbrochen haben würde, mir tät's nicht leid.«

»Lieber Gott, Peyrehorade, wie kannst du so was sagen. Glücklicherweise geht's dem Manne besser ... Und doch kann ich's noch nicht über mich bringen, die Statue, die soviel Unheil angerichtet hat, anzusehn. Armer Johann Coll!«

»Von Venus verwundet, mein Herr«, sagte Herr von Peyrehorade mit derbem Lachen, »von Venus verwundet, und der Schelm beklagt sich.

 

Veneris nec præmia noris.

 

Wen hat Venus nicht verwundet?«

Herr Alfons, der Französisch besser verstand als Lateinisch, kniff verständnisinnig das Auge zusammen und blickte mich an, wie wenn er sagen wollte: Na, Pariser, verstehst du das?

Das Abendessen war zu Ende. Seit einer Stunde aß ich nicht mehr, war müde und konnte ein wiederholtes Gähnen, das mich ankam, nicht unterdrücken. Frau von Peyrehorade merkte es zuerst und warf ein, daß es Schlafenszeit wäre. Wieder begannen neue Entschuldigungen über das schlechte Lager, das meiner harre. Wie in Paris würde ich's nicht haben. In der Provinz sei man so übel dran, den Roussillonesen gegenüber müsse ich nachsichtig sein. Was halfen mir alle Beteuerungen, daß mir nach einer Bergwanderung ein Strohbund eine köstliche Lagerstätte sein würde. Immer bat man mich armen Landleuten zu verzeihen, wenn sie mich nicht nach ihrem Wunsche versorgten. Endlich ging ich in Herrn von Peyrehorades Begleitung in das mir bestimmte Zimmer hinauf. Die Treppe, deren oberste Stufen aus Holz bestanden, mündete mitten auf einen Flur, an welchem mehrere Zimmer lagen.

»Rechts«, sagte mein Gastfreund, »das Gemach Hab' ich der zukünftigen Frau Alfons' zugedacht. Ihr Zimmer liegt am entgegengesetzten Korridorende. Sie verstehen wohl«, fügte er mit einer Miene hinzu, die schlau aussehen sollte, »Sie verstehn wohl, Jungverheiratete muß man absondern. Sie sind am einen Hausende, die am andern.«

Wir traten in ein guteingerichtetes Zimmer, wo der erste Gegenstand, auf den mein Blick fiel, ein sieben Fuß langes und sechs Fuß breites Bett war. So hoch war's, daß man einen Schemel nötig hatte, um sich hineinzuschwingen. Nachdem mein Wirt mir noch die Klingel gezeigt und sich selber überzeugt hatte, daß die Zuckerdose gefüllt, die Kölnischwasserfläschchen ordnungsgemäß auf dem Ankleidetische standen, nachdem er mich wiederholt gefragt hatte, ob mir auch nichts abgehe, wünschte er mir gute Nacht und ließ mich allein.

Die Fenster waren geschlossen.

Ehe ich mich auszog, öffnete ich eins, um die nach einem langen Abendessen doppelt köstliche frische Nachtluft einzuatmen.

Gegenüber war der Canigou; wohl zu jeder Zeit ist er herrlich anzuschauen, schien mir an diesem Abend aber, überstrahlt wie er war, von einem leuchtenden Monde, das schönste Gebirge der Welt zu sein. Einige Minuten betrachtete ich seine wunderbaren Umrisse und wollte das Fenster zumachen, als ich, die Augen senkend, einige vierzig Schritte vom Hause die Statue auf einem Piedestal erblickte. In den Winkel einer lebenden Hecke war sie gestellt worden, die einen kleinen Garten von einem weiten, völlig planem Geviert trennte, das, wie ich später erfuhr, der städtische Ballspielplatz war. Das Herrn von Peyrehorade gehörende Terrain war auf seines Sohnes eifriges Betreiben hin der Gemeinde von ihm abgetreten worden.

Von meiner Entfernung aus konnte ich die Haltung der Statue schwer unterscheiden, nur ihre Höhe, die mir etwa sechs Fuß zu sein schien, konnte ich schätzen. In diesem Augenblicke kamen ziemlich nahe bei der Hecke zwei Burschen aus der Stadt über den Spielplatz und pfiffen das hübsche roussillonesische Lied: »Ihr steilen Berge.« Blieben stehen, um die Statue anzuschauen; einer sprach sie sogar mit lauter Stimme an. Er redete katalonisch; doch war ich schon lange genug im Roussillon, um den Sinn seiner Worte zu verstehen.

»Da bist du ja, Spitzbübin! (Der katalonische Ausdruck war kräftiger.) Da bist du ja!« sagte er. »Du also hast Johann Coll das Bein zerbrochen. Wenn du mir gehörtest, würd' ich dir den Hals brechen!«

»Bah, womit?« sagte der andre. »Aus Kupfer ist sie und so hart, daß Stephan seine Feile dran zerbrochen hat, als er sie zu ritzen versuchte, 's ist Kupfer aus der Heidenzeit, härter als, ich weiß nicht was.«

»Wenn ich mein Stemmeisen da hätte (er schien Schlosserlehrling zu sein), würd' ich ihre großen weißen Augen bald rausspringen lassen. Wie Mandeln sollten sie aus der Schale krachen. Für mindestens hundert Sous Silber ist das ja.« Und sie entfernten sich einige Schritte.

»Ich muß dem Götzenbilde gute Nacht sagen«, rief plötzlich, stehen bleibend, der größere der beiden Lehrlinge.

Er bückte sich und nahm wahrscheinlich einen Stein auf. Ich sah ihn den Arm ausstrecken, etwas werfen und sofort hallte ein tönender Klang auf der Bronze wieder. Im nämlichen Augenblicke fuhr der Lehrling mit der Hand an den Kopf und stieß einen Schmerzensschrei aus.

»Sie hat mich widergeworfen!« schrie er.

Und Hals über Kopf kniffen meine beiden Schelme aus. Augenscheinlich war der Stein vom Metall zurückgeprallt und hatte den Schlingel für die Beleidigung bestraft, die er der Göttin angetan. Herzlich lachend machte ich das Fenster zu.

»Wieder ein von Venus bestrafter Vandale. Möchte doch allen Zerstörern unserer alten Denkmäler der Schädel eingeschlagen werden!« Mit solchem frommen Wunsche schlief ich ein.

Heller Tag war's, als ich aufwachte. Vor meinem Bette standen auf der einen Seite Herr von Peyrehorade im Schlafrock, auf der andern ein von seiner Frau geschickter Diener mit einer Tasse Schokolade in der Hand.