Friedrich Hölderlin: Der Tod des Empedokles

 

 

Friedrich Hölderlin

Der Tod des Empedokles

Ein Trauerspiel in fünf Akten

 

 

 

Friedrich Hölderlin: Der Tod des Empedokles. Ein Trauerspiel in fünf Akten

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Salvator Rosa, Der Tod des Empedokles, zwischen 1665 und 1670

 

ISBN 978-3-7437-1640-7

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-7437-1617-9 (Broschiert)

ISBN 978-3-7437-1618-6 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. Kleine Stuttgarter Ausgabe, 6 Bände, Band 4, Herausgegeben von Friedrich Beissner, Stuttgart: Cotta, 1962.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

[Frankfurter Plan]

Erster Akt

Empedokles, durch sein Gemüt und seine Philosophie schon längst zu Kulturhaß gestimmt, zu Verachtung alles sehr bestimmten Geschäfts, alles nach verschiedenen Gegenständen gerichteten Interesses, ein Todfeind aller einseitigen Existenz, und deswegen auch in wirklich schönen Verhältnissen unbefriedigt, unstät, leidend, bloß weil sie besondere Verhältnisse sind und, nur im großen Akkord mit allem Lebendigen empfunden, ganz ihn erfüllen, bloß weil er nicht mit allgegenwärtigem Herzen innig, wie ein Gott, und frei und ausgebreitet, wie ein Gott, in ihnen leben und lieben kann, bloß weil er, sobald sein Herz und sein Gedanke das Vorhandene umfaßt, ans Gesetz der Sukzession gebunden ist –

Empedokles nimmt ein besonderes Aergernis an einem Feste der Agrigentiner, wird darüber von seinem Weibe, die von dem Einfluß dieses viel gehofft, und gutmütig ihn überredet hatte, daran Teil zu nehmen, etwas empfindlich und sarkastisch getadelt, und nimmt von jenem Aergernis und diesem häuslichen Zwist Veranlassung, seinem geheimen Hange zu folgen, aus der Stadt und seinem Hause zu gehen, und sich in eine einsame Gegend des Aetna zu begeben.

 
Erster Auftritt

Einige Schüler des Empedokles mit einigen vom Volk. Jene wollen diese bewegen, auch in Empedokles Schule zu treten. Einer der Schüler[151] des Empedokles, sein Liebling, kommt dazu1, verweist ihnen die Proselytenmacherei, und heißt sie weggehn, weil der Meister um diese Zeit allein in seinem Garten seiner Andacht pflege.

 
Zweiter Auftritt

Monolog des Empedokles.

Gebet an die Natur.

 
Dritter Auftritt

Empedokles mit Weib und Kindern2

 

Zärtliche Klagen des Weibs über Empedokles Mißmut. Herzliche Entschuldigungen des Empedokles. Bitte des Weibs, bei dem großen Feste mit zu sein, und da vielleicht sich zu erheitern.

 
Vierter Auftritt

Fest der Agrigentiner.3 Aergernis des Empedokles.

 
Fünfter Auftritt

Häuslicher Zwist. Abschied des Empedokles,4 ohne zu sagen, was seine Absicht ist, wohin er geht.[152]

 

Zweiter Akt

Empedokles wird von seinen Schülern auf dem Aetna besucht, zuerst von seinem Liebling, der ihn wirklich bewegt und fast aus seiner Herzenseinsamkeit zurückzieht, dann auch von den übrigen, die ihn von neuem mit Entrüstung gegen menschliche Dürftigkeit erfüllen, so daß er sie alle feierlich verabschiedet, und am Ende auch noch seinem Liebling ratet, ihn zu verlassen.

 
Erster Auftritt

Empedokles auf dem Aetna

 

Monolog. Entschiednere Devotion des Empedokles gegen die Natur.

 
Zweiter Auftritt

Empedokles und der Liebling

 
Dritter Auftritt

Empedokles und seine Schüler

 
Vierter Auftritt

Empedokles und der Liebling

 

Dritter Akt

Empedokles wird auf dem Aetna von seinem Weib und seinen Kindern besucht. Ihren zärtlichen Bitten setzt das Weib die Nachricht hinzu, daß an demselben Tage die Agrigentiner ihm eine Statue errichten. Ehre und Liebe, die einzigen Bande, die ihn ans Wirkliche knüpfen, bringen ihn zurück. Seine Schüler kommen voll Freude in sein Haus. Der Liebling stürzt ihm an den Hals. Er siehet seine Statue errichtet. Dankt öffentlich dem Volke, das ihm Beifall zuruft.

 

Vierter Akt

Seine Neider erfahren von einigen seiner Schüler die harten Reden,[153] die er auf dem Aetna vor diesen gegen das Volk ausgestoßen, benützen es, um das Volk gegen ihn aufzuhetzen, das auch wirklich seine Statue umwirft und ihn aus der Stadt jagt. Nun reift sein Entschluß, der längst schon in ihm dämmerte, durch freiwilligen Tod sich mit der unendlichen Natur zu vereinen. Er nimmt in diesem Vorsatz den zweiten tieferen schmerzlicheren Abschied von Weib und Kindern und geht wieder auf den Aetna. Seinem jungen Freunde weicht er aus, weil er diesem zutraut, daß er sich nicht werde täuschen lassen, mit den Tröstungen, mit denen er sein Weib besänftigt, und daß dieser sein eigentlich Vorhaben ahnden möchte.

 

Fünfter Akt

Empedokles bereitet sich zu seinem Tode vor. Die zufälligen Veranlassungen zu seinem Entschlusse fallen nun ganz für ihn weg und er betrachtet ihn als eine Notwendigkeit, die aus seinem innersten Wesen folge. In den kleinen Szenen, die er noch hie und da mit den Bewohnern der Gegend hat, findet er überall Bestätigung seiner Denkart, seines Entschlusses. Sein Liebling kömmt noch, hat das Wahre geahndet, wird aber von dem Geist und von den großen Bewegungen in dem Gemüte seines Meisters so sehr überwältigt, daß er dem Befehle desselben blindlings gehorcht und geht. Bald drauf stürzt sich Empedokles in den lodernden Aetna. Sein Liebling, der unruhig und bekümmert in dieser Gegend umherirrt, findet bald drauf die eisernen Schuhe des Meisters, die der Feuerauswurf aus dem Abgrund geschleudert hatte, erkennt sie, zeigt sie der Familie des Empedokles, seinen Anhängern im Volke, und versammelt sich mit diesen an dem Vulkan, um Leid zu tragen, und den Tod des großen Mannes zu feiern.[154]

 

Fußnoten

 

1 Geht! ruft er den andern zu, indem er hereintritt.

 

2 Eines der Kleinen ruft vom Hause herunter: Vater! Vater! hörst du denn nicht! Drauf kömmt die Mutter herab, ihn zum Frühstück zu holen, und entspinnt sich das Gespräch.

 

3 Ein Kaufmann, ein Arzt, ein Priester, ein Feldherr, ein junger Herr, ein altes Weib.

 

4 Er sagt, daß er sein Weib und seine Kinder mit sich nehme, daß er sie am Herzen trage, nur, meint er, können sie nicht ihn behalten. Der Horizont sei ihm nur zu enge, meint er, er müsse fort, um höher sich zu stellen, um aus der Ferne sie mit allem, was da lebe, anzublicken, anzulächeln.

 

[Erste Fassung]

Erster Akt

Erste Auftritt

Panthea. Delia.

 

PANTHEA.

Dies ist sein Garten! Dort im geheimen

Dunkel, wo die Quelle springt, dort stand er

jüngst, als ich vorüberging – du

hast ihn nie gesehn?

DELIA.

O Panthea! Bin ich doch erst seit gestern mit dem

Vater in Sicilien. Doch ehmals, da

ich noch ein Kind war, sah ich

ihn auf einem Kämpfer –

wagen bei den Spielen in Olympia.

Sie sprachen damals viel von ihm, und immer

ist sein Name mir geblieben.

PANTHEA.

Du mußt ihn jetzt sehn! jetzt!

Man sagt, die Pflanzen merkten auf

ihn, wo er wandre, und die Wasser unter der Erde

strebten herauf da, wo sein Stab den Boden berühre!

Das all mag wahr sein!

und wenn er bei Gewittern in den Himmel blicke,

teile die Wolke sich und hervorschimmre

der heitere Tag. –

Doch was sagts? du mußt ihn selbst sehn! einen[3]

Augenblick! und dann hinweg! ich meid ihn selbst –

ein furchtbar allverwandelnd Wesen ist in ihm. – –

DELIA.

Wie lebt er mit andern? Ich begreife nichts

von diesem Manne,

Hat er wie wir auch seine leeren Tage,

Wo man sich alt und unbedeutend dünkt?

Und gibt es auch ein menschlich Leid für ihn?

PANTHEA.

Ach! da ich ihn zum letztenmale dort

Im Schatten seiner Bäume sah, da hatt er wohl

Sein eigen tiefes Leid – der Göttliche.

Mit wunderbarem Sehnen, traurigforschend

Wie wenn er viel verloren, blickt' er bald

Zur Erd hinab, bald durch die Dämmerung

Des Hains hinauf, als wär ins ferne Blau

Das Leben ihm entflogen, und die Demut

Des königlichen Angesichts ergriff

Mein ringend Herz – auch du mußt untergehn,

Du schöner Stern! und lange währets nicht mehr.

Das ahnte mir –

DELIA.

Hast du mit ihm auch schon

Gesprochen, Panthea?

PANTHEA.

O daß du daran mich erinnerst! Es ist nicht lange,

daß ich todeskrank daniederlag. Schon dämmerte

der klare Tag vor mir und um die Sonne

wankte, wie ein seellos Schattenbild, die Welt.[4]

Da rief mein Vater, wenn er schon

ein arger Feind des hohen Mannes ist, am hoff-

nunglosen Tage den Vertrauten der Natur,

und als der Herrliche den Heiltrank mir

gereicht, da schmolz in zaubrischer Versöhnung

mir mein kämpfend Leben ineinander, und wie

zurückgekehrt in süße sinnenfreie

Kindheit schlief ich wachend viele Tage fort,

Und kaum bedurft ich eines Othemzugs – wie

nun in frischer Lust mein Wesen sich zum erstenmale

wieder der langentbehrten Welt entfaltete, mein

Auge sich in jugendlicher Neugier dem Tag er-

schloß, da stand er, Empedokles! o wie göttlich

und wie gegenwärtig mir! am Lächeln seiner Augen

blühte mir das Leben wieder auf! ach

wie ein Morgenwölkchen floß mein Herz dem

hohen süßen Licht entgegen und ich war der zarte

Widerschein von ihm.

DELIA.

O Panthea!

PANTHEA.

Der Ton aus seiner Brust! in jede Silbe

klangen alle Melodien! und der

Geist in seinem Wort! – zu seinen Füßen

möcht ich sitzen, stundenlang, als seine Schülerin,

sein Kind, in seinen Aether schaun, und

zu ihm auf frohlocken, bis in seines Himmels

Höhe sich mein Sinn verirrte.

DELIA.

Was würd er sagen, Liebe, wenn ers wüßte![5]

PANTHEA.

Er weiß es nicht. Der Unbedürftge wandelt

In seiner eignen Welt; in leiser Götterruhe geht

Er unter seinen Blumen, und es scheun

Die Lüfte sich, den Glücklichen zu stören,

Und aus sich selber wächst

In steigendem Vergnügen die Begeisterung

Ihm auf, bis aus der Nacht des schöpfrischen

Entzückens, wie ein Funke, der Gedanke springt,

Und heiter sich die Geister künftger Taten

In seiner Seele drängen, und die Welt,

Der Menschen gärend Leben und die größre

Natur um ihn erscheint – hier fühlt er, wie ein Gott

In seinen Elementen sich, und seine Lust

Ist himmlischer Gesang, dann tritt er auch

Heraus ins Volk, an Tagen, wo die Menge

Sich überbraust und eines Mächtigern

Der unentschlossene Tumult bedarf,

Da herrscht er dann, der herrliche Pilot

Und hilft hinaus und wenn sie dann erst recht

Genug ihn sehn, des immerfremden Manns sich

Gewöhnen möchten, ehe sie's gewahren,

Ist er hinweg, – ihn zieht in seine Schatten

Die stille Pflanzenwelt, wo er sich schöner findet,

Und ihr geheimnisvolles Leben, das vor ihm

In seinen Kräften allen gegenwärtig ist.

DELIA.

O Sprecherin! wie weißt du denn das alles?

PANTHEA.

Ich sinn ihm nach – wie viel ist über ihn

Mir noch zu sinnen? ach! und hab ich ihn[6]

Gefaßt; was ists? Er selbst zu sein, das ist

Das Leben und wir andern sind der Traum davon. –

Sein Freund Pausanias hat auch von ihm

Schon manches mir erzählt – der Jüngling sieht

Ihn Tag vor Tag, und Jovis Adler ist wohl

Nicht stolzer, denn Pausanias – ich glaub es!

DELIA.

Ich kann nicht tadeln, Liebe, was du sagst,

Doch trauert meine Seele wunderbar

Darüber und ich möchte sein, wie du,

Und möcht es wieder nicht. Seid ihr denn all

Auf dieser Insel so? Wir haben auch

An großen Männern unsre Lust, und Einer

Ist itzt die Sonne der Athenerinnen,

Sophokles! dem von allen Sterblichen

Zuerst der Jungfraun herrlichste Natur

Erschien und sich zu reinem Angedenken

In seine Seele gab –

jede wünscht sich, ein Gedanke.

Des Herrlichen zu sein, und möchte gern

Die immerschöne Jugend, eh sie welkt,

Hinüber in des Dichters Seele retten

Und frägt und sinnet, welche von den Jungfraun

Der Stadt die zärtlichernste Heroide sei,

Die er Antigonä genannt; und helle wirds

Um unsre Stirne, wenn der Götterfreund

Am heitern Festtag ins Theater tritt,

Doch kummerlos ist unser Wohlgefallen,

Und nie verliert das liebe Herz sich so

In schmerzlich fortgerißner Huldigung –

Du opferst dich – ich glaub es wohl, er ist[7]

Zu übergroß, um ruhig dich zu lassen,

Den unbegrenzten liebst du unbegrenzt,

Was hilft es ihm? dir selbst, dir ahndete

Sein Untergang, du gutes Kind und du

Sollst untergehn mit ihm?

PANTHEA.

O mache mich

Nicht stolz, und fürchte wie für ihn, für mich nicht!

Ich bin nicht er, und wenn er untergeht,

So kann sein Untergang der meinige

Nicht sein, denn groß ist auch der Tod der Großen

 

Was diesem Manne widerfährt.

 

Das, glaube mir, das widerfährt nur ihm,

Und hätt er gegen alle Götter sich

Versündiget und ihren Zorn auf sich

Geladen, und ich wollte sündigen,

Wie er, um gleiches Los mit ihm zu leiden,

So wärs, wie wenn ein Fremder in den Streit

Der Liebenden sich mischt, – was willst du? sprächen

Die Götter nur, du Törin kannst uns nicht

Beleidigen, wie er.

DELIA.

Du bist vielleicht

Ihm gleicher als du denkst, wie fändst du sonst

An ihm ein Wohlgefallen?

PANTHEA.

Liebes Herz!

Ich weiß es selber nicht, warum ich ihm

Gehöre – sähst du ihn! – Ich dacht, er käme

Vielleicht heraus,[8]

du hättest dann im Weggehn ihn

Gesehn – es war ein Wunsch! nicht wahr? ich sollte

Der Wünsche mich entwöhnen, denn es scheint,

Als liebten unser ungeduldiges

Gebet die Götter nicht, sie haben recht!

Ich will auch nimmer – aber hoffen muß

Ich doch, ihr guten Götter, und ich weiß

Nicht anderes, denn ihn –

Ich bäte gleich den Übrigen, von euch

Nur Sonnenlicht und Regen, könnt ich nur!

O ewiges Geheimnis, was wir sind

Und suchen, können wir nicht finden; was

Wir finden, sind wir nicht – wie viel ist wohl

Die Stunde, Delia?

DELIA.

Dort kommt dein Vater.

Ich weiß nicht, bleiben oder gehen wir –

PANTHEA.

Wie sagtest du? mein Vater? komm! hinweg![9]

 

Zweiter Auftritt

Kritias. Hermokrates.

Archon Priester.

 

HERMOKRATES.

Wer geht dort?

KRITIAS.

Meine Tochter, wie mir dünkt,[9]

Und Delia, des Gastfreunds Tochter, der

In meinem Hause gestern eingekehrt ist.

HERMOKRATES.

Ists Zufall? oder suchen sie ihn auch

Und glauben, wie das Volk, er sei entschwunden?

KRITIAS.

Die wunderbare Sage kam bis itzt wohl nicht

Vor meiner Tochter Ohren. Doch sie hängt

An ihm wie alle: wär er nur hinweg

In Wälder oder Wüsten, übers Meer

Hinüber oder in die Erd hinab – wohin

Ihn treiben mag der unbeschränkte Sinn.

HERMOKRATES.

Mit nichten! Denn sie müßten noch ihn sehn,

Damit der wilde Wahn von ihnen weicht.

KRITIAS.

Wo ist er wohl?

HERMOKRATES.

Nicht fern von hier. Da sitzt

Er seelenlos im Dunkel. Denn es haben

Die Götter seine Kraft von ihm genommen,

Seit jenem Tage, da der trunkne Mann

Vor allem Volk sich einen Gott genannt.

KRITIAS.

Das Volk ist trunken, wie er selber ist.

Sie hören kein Gesetz, und keine Not

Und keinen Richter; die Gebräuche sind

Von unverständlichem Gebrause gleich

Den friedlichen Gestaden überschwemmt.[10]

Ein wildes Fest sind alle Tage worden,

Ein Fest für alle Feste und der Götter

Bescheidne Feiertage haben sich

In eins verloren, allverdunkelnd hüllt

Der Zauberer den Himmel und die Erd

Ins Ungewitter, das er uns gemacht,

Und siehet zu und freut sich seines Geists

In seiner stillen Halle.

HERMOKRATES.

Mächtig war

Die Seele dieses Mannes unter euch.

KRITIAS.

Ich sage dir: sie wissen nichts denn ihn

Und wünschen alles nur von ihm zu haben,

Er soll ihr Gott, er soll ihr König sein.

Ich selber stand in tiefer Scham vor ihm,

Da er vom Tode mir mein Kind gerettet.

Wofür erkennst du ihn, Hermokrates?

HERMOKRATES.

Es haben ihn die Götter sehr geliebt.

Doch nicht ist er der Erste, den sie drauf

Hinab in sinnenlose Nacht verstoßen,

Vom Gipfel ihres gütigen Vertrauns,

Weil er des Unterschieds zu sehr vergaß

Im übergroßen Glück, und sich allein

Nur fühlte; so erging es ihm, er ist

Mit grenzenloser Oede nun gestraft –

Doch ist die letzte Stunde noch für ihn

Nicht da; denn noch erträgt der Langverwöhnte

Die Schmach in seiner Seele nicht, sorg ich[11]

Und sein entschlafner Geist entzündet

Nun neu an seiner Rache sich

Und, halberwacht, ein fürchterlicher Träumer spricht

Er gleich den alten Übermütigen,

Die mit dem Schilfrohr Asien durchwandern,

Durch sein Wort sein die Götter einst geworden.

Dann steht die weite lebensreiche Welt

Wie sein verlornes Eigentum vor ihm,

Und ungeheure Wünsche regen sich

In seiner Brust und wo sie hin sich wirft,

Die Flamme, macht sie eine freie Bahn.

Gesetz und Kunst und Sitt und heilge Sage

Und was vor ihm in guter Zeit gereift

Das stört er auf und Lust und Frieden kann

Er nimmer dulden bei den Lebenden.

Er wird der Friedliche nun nimmer sein.

Wie alles sich verlor, so nimmt

Er Alles wieder, und den Wilden hält

Kein Sterblicher in seinem Toben auf.

KRITIAS.

O Greis! du siehest namenlose Dinge.

Dein Wort ist wahr und wenn es sich erfüllt,

Dann wehe dir, Sicilien, so schön

Du bist mit deinen Hainen, deinen Tempeln.

HERMOKRATES.

Der Spruch der Götter trifft ihn, eh sein Werk

Beginnt. Versammle nur das Volk, damit ich

Das Angesicht des Mannes ihnen zeige,

Von dem sie sagen, daß er aufgeflohn

Zum Aether sei. Sie sollen Zeugen sein

Des Fluches, den ich ihm verkündige,[12]

Und ihn verstoßen in die öde Wildnis,

Damit er nimmerwiederkehrend dort

Die böse Stunde büße, da er sich

Zum Gott gemacht.

KRITIAS.

Doch wenn des schwachen Volks

Der Kühne sich bemeistert, fürchtest du

Für mich und dich und deine Götter nicht?

HERMOKRATES.

Das Wort des Priesters bricht den kühnen Sinn.

KRITIAS.

Und werden sie den Langgeliebten dann,

Wenn schmählich er vom heilgen Fluche leidet,

Aus seinen Gärten, wo er gerne lebt,

Und aus der heimatlichen Stadt vertreiben?

HERMOKRATES.

Wer darf den Sterblichen im Lande dulden,

Den so der wohlverdiente Fluch gezeichnet?

KRITIAS.

Doch wenn du wie ein Lästerer erscheinst

Vor denen, die als einen Gott ihn achten?

HERMOKRATES.

Der Taumel wird sich ändern, wenn sie erst

Mit Augen wieder sehen den sie jetzt schon

Entschwunden in die Götterhöhe wähnen!

Sie haben schon zum Bessern sich gewandt.

Denn trauernd irrten gestern sie hinaus

Und gingen hier umher und sprachen viel

Von ihm, da ich desselben Weges kam.[13]

Drauf sagt ich ihnen, daß ich heute sie

Zu ihm geleiten wollt; indessen soll

In seinem Hause jeder ruhig weilen.

Und darum bat ich dich, mit mir heraus

Zu kommen, daß wir sähen, ob sie mir

Gehorcht. Du findest keinen hier. Nun komm.

KRITIAS.

Hermokrates!

HERMOKRATES.

Was ists?

KRITIAS.

Dort seh ich ihn

Wahrhaftig.

HERMOKRATES.

Laß uns gehen, Kritias!

Daß er in seine Rede nicht uns zieht.[14]

 

Dritter Auftritt

EMPEDOKLES.

In meine Stille kamst du leise wandelnd,

Fandst drunten in der Grotte Dunkel mich aus,