ZU DIESEM BUCH

Nach dem Horror in der Seilbahnkabine in Kitzbühel und den dramatischen Ereignissen auf Teneriffa, spinnt das Böse erneut seine Fäden. Ein abgelegenes Gebäude mitten in den Salzburger Alpen stellt sich für die Überlebenden als tödliches Gefängnis heraus.

Während der Mörder seinen gnadenlosen Plan umsetzt und die Hoffnung seiner Opfer schwindet, gerät die Welt aus den Fugen. Die Urgewalt des Feuers wurde geweckt, massive Vulkanausbrüche erschüttern den Planeten. Sie drohen die gesamte Menschheit in den Abgrund zu reißen. Als die Geister der Erde erwachen und das Chaos in den Städten Einzug hält, wird klar: Die Entscheidung über die Zukunft der Welt fällt in den Salzburger Alpen, dort, wo das Böse haust – in der Einöde 12.

EINÖDE 12 – NEUBEGINN ist nach KABINE 14, 13 GEBOTE und
EINÖDE 12 – ENDZEIT der vierte und letzte Teil
der Zahlenthriller-Reihe. Alle drei Hauptwerke
können auch einzeln gelesen werden.

Mortimer M. Müller schreibt seit seiner Jugend Lyrik, Kurzgeschichten und Romane in den Genres Thriller, Fantastik, Unterhaltung und Satire. Daneben ist er begeisterter Sportler, Waldliebhaber, Sonnenanbeter sowie in den kreativen Bereichen Gesang und Fotografie aktiv. Er arbeitet und studiert an der Universität für Bodenkultur in Wien.

Sein Kitzbühel-Thriller KABINE 14 wurde für den Friedrich-Glauser-Preis 2014, Sparte Debütroman, nominiert.

Mehr Informationen finden Sie unter:

http://blog.mortimer-mueller.at

Weitere Romane des Autors sind in Vorbereitung.

Die beschriebenen Personen, Begebenheiten, Gedanken und Dialoge
sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Per
sonen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage

© 2017 Mortimer M. Müller

Covergestaltung, Satz, Layout: Mortimer M. Müller

weitere Mitwirkende: Sandra und Doris Almstädter, Wendelin Müller

Autorenfoto: Carsten Neff

Herstellung und Verlag:

BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783746086019

www.mortimer-mueller.at

für Doris

meine fleißigste Thriller-Leserin

und eifrigste Motivatorin

HAUPTPERSONEN

Josef Briefträger in Saalfelden, Salzburg
Trude seine Frau
Emma Krankenpflegerin aus Südtirol
Matteo ihr Ehemann, Chirurg
Ferdinand Architekt aus Wien
Raphael Doktorand aus München
Sonja seine Frau, Studentin
Bernhard Kriminalkommissar aus Bayern, Sonjas Vater
Gottfried Ehemaliger Polizeipräsident, Bernhards Vater
Mathias Bayerischer Polizeivizepräsident
Sandra siebzehnjährige Schülerin aus Hamburg
Lorenz Abiturient aus Hamburg
Jack Söldner und Auftragsmörder
Simon sein Partner
Lena Vulkanologin am Helmholtz-Zentrum Potsdam
Rolf Seismologe in Potsdam, Lenas Kollege
Henry Wetterbeobachter aus Kanada

Inhaltsverzeichnis

Österreich, Salzburg, Saalfelden

Freitag, 06. Juli, 18:00 Uhr

Josef Schwarz wusste, was soeben geschah. Er wusste es, ohne es wissen zu können. Beide Radios im Wohnzimmer liefen, ebenso der Fernseher, aber noch wurde bloß vor der Katastrophe gewarnt. Keiner der Sprecher erwähnte, dass das Unglück bereits begonnen hatte.

Der Ausbruch eines Supervulkans; oder nein, wahrscheinlich sogar mehrerer. Es war eines der schlimmsten anzunehmenden Szenarien, vergleichbar mit einem atomaren Armageddon oder dem Einschlag eines kilometergroßen Asteroiden. Und Josef wusste, dass es sich nicht länger um ein Szenario, eine düstere Prophezeiung handelte. Yellowstone war explodiert.

Vor einer halben Stunde hatte Igor aufgeheult und zu bellen begonnen. Mit steif erhobenem Schwanz war der Jagdhund dagestanden, hatte den Kopf schief gelegt und etwas betrachtet, das er nicht sehen konnte. Sein Bellen war in ein Winseln übergegangen, dann hatte er den Schwanz eingezogen und war unter den Esstisch gekrochen.

Vielleicht hatte sich Josef die schwache Erschütterung nur eingebildet, die durch den Untergrund lief. So oder so gab es für ihn keinen Zweifel mehr. Der erste Supervulkan war in die Luft gegangen – und weitere würden folgen. Ein vulkanischer Winter war nicht mehr aufzuhalten. Die Welt, wie man sie kannte, stand vor dem Abgrund.

Josef wandte sich seiner Frau zu.

»Hast du es noch einmal versucht?«

»Ja. Sie hebt nicht ab.« Auf Trudes Gesicht stand ein Schmerz, den Josef nur zu gut verstand. Ihre Tochter Lena war in Norddeutschland – und weigerte sich hartnäckig, zu ihren Eltern zu fahren, obwohl es dort oben nichts gab, das sie zurückhalten sollte. Aber es war ihre Forschung, die Lena nicht losließ. Als Vulkanologin hatte sie die Katastrophe vorausgeahnt, war eine der Ersten gewesen, die an die Öffentlichkeit gegangen war. Das hatte ihr in den Medien eine hohe Präsenz eingebracht. Josef war jedes Mal zusammengezuckt, wenn er seine Tochter im Fernsehen gesehen hatte. Lena behauptete, dass sie nicht nach Österreich kommen konnte, weil sie auf die Ergebnisse einer Computersimulation warten musste. Damit wollte sie die Folgen der Vulkanausbrüche besser abschätzen. Aus Josefs Sicht war das hinfällig. Es gab keinen Zweifel, was weiter geschehen würde. Die nächste Eiszeit stand vor der Tür und mochte einem Großteil der Menschheit den Tod bringen. Spätestens wenn die geordneten Strukturen zusammenbrachen – und das würde rascher geschehen, als manche dachten – gab es keine Hoffnung mehr.

»Was ist mit deiner Mutter?«, fragte Josef.

»Sie hat mich am Telefon nicht erkannt.« Trudes Stimme klang hohl und leer. »Ich glaube, sie würde mich auch nicht erkennen, wenn ich vor ihr stehe.«

Josef nickte stumm. Maria hatte Alzheimer, im Endstadium. Es gab kaum etwas, dass sie für sie tun konnten.

»Was ist mit deinem Bruder?« Trudes Finger umklammerten ihr Mobiltelefon, als wollte sie es zerquetschen wie ihre letzte Zigarettenschachtel vor fünf Jahren.

Josef brummte etwas in seinen nicht vorhandenen Bart. Als ihm Trude einen fragenden Blick zuwarf, meinte er nur: »Du kennst doch Michael.«

»Er hat dich nicht ernst genommen?«

Josef stieß schnaubend die Luft aus. »Er hat sich über mich lustig gemacht, so wie üblich. Hat gemeint, dass er in seiner Münchner Villa jeder Naturkatastrophe trotzen kann. Ich habe gesagt, er soll an seine Familie denken, an seine Kinder. Er hat nur gelacht.«

»Vielleicht passiert ihnen ja nichts.«

»In einer Stadt?« Josef zog die Augenbrauen hoch. »Dort beginnt der globale Kollaps. Bald regieren in München nur noch Chaos und Anarchie.«

»Nur, weil du es so erlebt hast, bedeutet das nicht ...«

»Doch, Trude, glaub mir. Es wird geschehen. Je größer die Stadt, desto rascher zerreißt das Netz, das unsere sogenannte moderne Gesellschaft schützt. Sehr bald schon werden alle Städte das Grauen beherbergen. Kein Mensch kann dort überleben, wenn er Mensch bleiben will.«

Erst als Josef das panische Flackern in Trudes Blick registrierte, verstand er, was er soeben gesagt hatte; was seine Aussage implizierte. Potsdam war keine Großstadt, aber eine Stadt war sie und zudem grenzte das Gebiet unmittelbar an Berlin – die größte Metropole Deutschlands.

Josef knirschte mit den Zähnen, ballte die Hände zu Fäusten.

Lena, dachte er und schickte ein Stoßgebet an einen Gott, an den er nicht glaubte. Hör ein einziges Mal auf mich und verlasse die Stadt. Wenn du es nicht tust, wirst du sterben!

Für einen schrecklichen Moment hatte Josef die Empfindung, dass seine Tochter bereits tot war.

Saalfelden, Einöde zwölf

Freitag, 06. Juli, 18:00 Uhr

»Wir haben eine aufregende Nacht vor uns«, begann Matteo mit einer Stimme, als würde er ein Märchen vortragen.

»Morgen früh werdet ihr nicht mehr am Leben sein. Aber das Wie und Wann steht noch nicht fest. Wenn ihr euch an meine Anweisungen haltet, das tut, was ich von euch verlange, lebt ihr ein bisschen länger. Und ihr wisst doch, jeder Moment im Leben zählt.« Ein leises, gelöstes Lachen. »Zunächst die Regeln: Bis auf Widerruf dürft ihr euch frei bewegen, also in den Bereichen, die zugänglich sind. Aktuell befindet ihr euch im Wohnzimmer. Nebenan ist die Küche, dahinter das Schlafzimmer. Falls ihr durstig seid oder euch den Angstschweiß aus dem Gesicht waschen wollt, das Bad ist rechts neben dem Vorraum. Und weil einige von euch sicher schon auf die Toilette müssen: Die findet ihr beim Eingang, links die erste Tür.«

Emma wäre am liebsten aufgesprungen und losgelaufen. Inzwischen war der Druck in ihrer Blase schmerzhaft. Aber auf keinen Fall wollte sie sich vor Matteo diese Blöße geben. Sie würde gehen, langsam und mit hoch erhobenem Kopf – aber erst, wenn ihr wahnsinniger Ehemann seine Rede beendet hatte.

»Ihr werdet mittlerweile begriffen haben, dass ich euch hören und sehen kann. Falls ich mitbekomme oder auch nur den Verdacht hege, dass ihr etwas ausheckt, werde ich euch bestrafen; was bedeutet, dass euer Tod früher eintritt. Selbiges gilt für meine Anweisungen. Sie sind umgehend und ohne Zögern auszuführen. Womit wir gleich beim Thema wären: Für jeden von euch – ausgenommen Emma, mit dir habe ich nicht gerechnet – ist hier im Raum ein Briefumschlag versteckt. Sucht eure Nachricht und lest sie. Danach dürft ihr sie den anderen zeigen.«

Die Eingeschlossenen erhoben sich, warfen unsichere Blicke nach allen Seiten. Auch Emma stand auf, presste unauffällig die Hand gegen ihren Bauch. Der Harndrang war unerträglich. Sie musste auf die Toilette, sofort. Mit bemühter Ruhe schritt sie zur Tür, schenkte Sonja ein sprödes Lächeln, streckte die Hand nach der Klinke aus ...

»Beeilung, meine geliebte Frau«, erklang Matteos Stimme. »Wir wollen doch nicht, dass du dir vor allen Leuten in die Hose machst.«

Stumm und mit ungelenken Bewegungen gingen die Gefangenen daran, ihre Briefumschläge zu suchen. Ferdinand war wie alle anderen aufgestanden, auch wenn in seinem Inneren Finsternis herrschte. Seine Gedanken krochen wie durch zähen Teer, kein Lichtfunken gelangte in seinen Verstand. Obwohl er völlig unmotiviert durch den Raum streifte, fand er seine Mitteilung zuerst. Sie war hinter einer Vase im Regal versteckt. Eine Ecke des roten Briefumschlags lugte hervor.

Ferdinand überlegte nicht lange, riss den Umschlag auf. Der weiße Zettel darin war handbeschrieben – mit feuerroter Tinte.

Du wirst brennen.

Ferdinand las den kurzen Text drei- oder viermal, bis er begriff, was er bedeutete. Die Nachricht schockierte ihn nicht. Er hatte Matteo den Flammen des Waldbrandes übergeben, jetzt würde der Mörder dasselbe mit ihm tun. Es war unsinnig, zu glauben, er könnte diese Nacht überleben, zurück nach Wien und zu seinen Kindern gelangen.

Moritz, dachte Ferdinand. Samuel. Ich wäre euch gern ein besserer Vater gewesen.

Mit einem Mal regte sich etwas in ihm. Noch während Ferdinand an seine Kinder dachte, lichtete sich die Schwärze in seinem Inneren. Sie machte einer Reihe an Emotionen Platz: Unmut, Wut, Verbitterung – und Überlebenswille. Er durfte nicht aufgeben. Noch war er nicht tot, noch gab es die Möglichkeit, dass er aus diesem Schlamassel entkam und zu seinen Kindern zurückkehren konnte. Ferdinand erinnerte sich an den Ausspruch eines Schriftstellers und Lebenskünstlers, dessen Namen ihm entfallen war: Sobald du aufgibst, bist du tot.

Er durfte nicht aufgeben. Niemals.

»Bei mir steht: Du wirst brennen«, sagte Ferdinand mit fester Stimme, als alle ihre Kuverts gefunden hatten. »Und bei euch?«

Raphaels Hände zitterten, als er das Stück Papier hervorzog und die rot geschriebenen Wörter überflog.

Du wirst euer Kind töten.

Raphael war schockiert, aber nicht so weit, wie er befürchtet hatte. Er hatte damit gerechnet, dass ihm Matteo die Prophezeiung seines Todes übermittelte. Das hätte ihm mehr zu schaffen gemacht, als eine Aussage, die eine andere Person betraf. Niemals würde er jemandem hier im Raum ein Leid zufügen, schon gar nicht seiner Frau oder Tochter. Was Matteo auch versuchte, es würde ihm nicht gelingen, dass Raphael tat, was auf diesem Zettel stand. Eher starb er oder ertrug sämtliche Schmerzen, die Matteos krankes Hirn ihm zufügen mochte. In seinem letzten klaren Moment würde Raphael an Sonja denken, daran, dass er sie liebte und alles in seiner Macht Stehende getan hatte, um sie zu beschützen; daran, dass sie miteinander gelebt und gelacht, wunderbare Stunden zusammen genossen hatten und ...

Raphael brach ab. Fast schämte er sich seiner Gedanken. Er urteilte so, als wäre alles vorbei, als stünde sein Tod unmittelbar bevor. Aber noch war er am Leben, noch konnte er kämpfen, Sonja und ihr gemeinsames Kind beschützen. Vielleicht gelang zumindest ihnen die Flucht. Vielleicht konnten sie sogar zu dritt entkommen.

Sein Blick wanderte zu Sonjas Gesicht. Raphael kniff die Augen hinter seiner Brille zusammen, aber es blieb dabei. Ihre Züge waren fahl und leer. Etwas Neues stand in Sonjas Blick, ein Ausdruck, der an nacktes Grauen erinnerte. Eine ihrer Hände lag schützend auf ihrem prallen Bauch.

Raphael sah, dass Sonja den Zettel aus ihrem Briefumschlag zusammengeknüllt hatte und mit der Faust umschlossen hielt. Er ahnte, was Matteos Botschaft an seine Frau enthielt.

Sonja presste die Lippen aufeinander, als sie ihre Faust öffnete und das Stück Papier hervorzog. Schweigend faltete sie es auseinander und hielt es Raphael hin.

Du wirst dein Kind verlieren.

Eisige Kälte flutete Raphaels Körper. Er spürte, wie sich die Härchen überall auf seiner Haut aufrichteten. Es gab keine Aussage, mit der man eine werdende Mutter mehr schockieren konnte. Wenn er außerdem die Botschaft bedachte, die Matteo ihm hatte zukommen lassen ...

Wortlos zeigte Raphael seine Nachricht den anderen. Auf Sonjas Zügen manifestierte sich eine Mischung aus Schmerz und Furcht. Raphael schien es, als wollte sie von ihm abrücken. Ein Pfeil quälender Pein bohrte sich in seine Brust.

»Ich werde das nicht zulassen«, flüsterte er und ergriff Sonjas Hand. »Niemals, hörst du?«

Sonja nickte stumm. Raphael sah Tränen in ihren Augen. Wortlos zog er ein Taschentuch hervor und wischte die glitzernden Wassertropfen fort, bevor sie Sonjas bleiche Wangen hinabrollen konnten.

»Das ist keine Tinte«, erklang Bernhards Stimme. »Das ist Blut.«

Bernhard hatte es vermutet, schon als er die rote Farbe auf dem Papier zu Gesicht bekommen hatte. Ein vorsichtiges Reiben über die Buchstaben und das Schnuppern an seinem Finger brachte ihm Gewissheit. Es war Blut, sehr wahrscheinlich Menschenblut. Der Text selbst ließ ihn erstaunlich kalt – vielleicht, weil er ihn schon beim Betreten des Hauses aus Matteos Mund gehört hatte.

Du wirst deine Tochter erschießen.

Es gab nichts, das Matteo tun konnte, um Bernhard zu einer solchen Tat zu bringen. Bevor er auch nur daran dachte, auf Sonja zu schießen, würde er die Waffe gegen sich selbst richten. Das Unangenehme an der Sache war bloß, dass sich Matteo dessen bewusst sein musste. Also weshalb wagte er eine solche Behauptung? Hatte Matteo einen wie auch immer gearteten Trumpf im Ärmel, der Bernhard seine Vaterliebe vergessen ließ? Beispielsweise eine Droge, die seinen Geist umnebelte und ihn statt Menschen Ungeheuer sehen ließ? Oder war es einfach nur eine Finte Matteos und in Wahrheit sollte Bernhard eine andere, aber sicher nicht weniger grausame Rolle erfüllen?

Um sich abzulenken, wandte sich Bernhard an Mathias. Auf der Stirn seines Freundes zuckte ein Nerv.

»Wie lautet deine Nachricht?«, fragte Bernhard.

Mathias’ Gesichtszüge wirkten wie aus Stein gemeißelt. Er zögerte, hielt den Zettel unschlüssig zwischen den Fingerspitzen. Seine Augen wanderten über die Bücherregale, den Flachbildschirm und die mit Bildern behängte Wand hinter ihnen, als könne er Matteos Blick wahrnehmen, der sie durch unsichtbare Kameraobjektive beobachtete.

Mathias holte tief Luft. »Hier steht: Du wirst Bernhard erschießen.«

Sandra stand aufrecht, doch ihre Muskeln waren verkrampft. Die Botschaft, die Matteo an sie gerichtet hatte, enthielt keine Todesnachricht, nicht die Voraussage, dass sie selbst oder irgendjemand sonst sterben würde. Dennoch war die Mitteilung ihrem Empfinden nach die schlimmste von allen.

Ich werde dich ficken.

Mit Grauen erinnerte sich Sandra an die Seilbahngondel in Kitzbühel, an jenen Moment, als Matteos mörderischer Bruder Rüdiger angekündigt hatte, sie und ihre Freundin Michelle zu vergewaltigen. Damals waren sie entkommen. Anna, eine Polizeibeamtin, hatte Rüdigers abscheulichem Treiben ein Ende gesetzt. Doch inzwischen war Anna tot, genauso wie Michelle. Matteo hatte beide auf dem Gewissen. Sandra war davon überzeugt, dass sie ihnen ins Jenseits folgen würde, sobald Matteo seine Gelüste an ihr ausgelebt hatte, sie blutig gefickt und mit einem Skalpell ihre ...

Nein, schoss es in Sandras überschnappende Gedanken. Lass dich nicht unterkriegen! Hör nicht auf die Stimmen in deinem Kopf. Konzentriere dich. Auf das Hier und Jetzt. Konzentriere dich darauf, am Leben zu bleiben!

Ihr Blick schweifte zu Lorenz. Auch auf seinen Zügen stand nackte Panik.

»Was ... was steht bei dir?«, fragte sie mit brüchiger Stimme.

Inzwischen ruhten auch die Augen der anderen auf Lorenz. Er war der Einzige, der seinen Zettel noch nicht vorgezeigt hatte. Ein krächzendes Lachen entrang sich Lorenz’ Kehle, brach aber sofort wieder ab. Mit irren Blicken stierte er von einem zum Nächsten, öffnete den Mund, schloss ihn wieder ... Schlussendlich trat er zwei Schritte zurück, bis er mit den Beinen gegen eines der Sofas stieß. Wortlos ließ er sich auf die Couch fallen. Seine Hand öffnete sich und ein weißes, mit roten Buchstaben beschriebenes Papierstück segelte auf den Fußboden.

Schlagartig begriff Sandra, weshalb Lorenz noch panischer reagiert hatte, als sie selbst. Matteos blutige Nachricht stand der ihren in keiner Weise nach. Die Botschaft lautete: Du wirst als Erster sterben.

Helmholtz-Zentrum Potsdam, Institut für Erdbeben- und Vulkanphysik

Freitag, 06. Juli, 18:30 Uhr

»Unfassbar«, murmelte Lena und massierte ihre Schläfen.

»Es passiert tatsächlich.«

Der Besprechungsraum war bis zum letzten Platz gefüllt – und das, obgleich unter normalen Umständen das Institut am Freitagabend wie ausgestorben wirkte. Aber es waren keine normalen Umstände. Es war das Armageddon.

Sie starrten auf die Projektion an der Leinwand, die ihnen praktisch in Echtzeit die Entwicklung von Yellowstone zeigte. Aufgrund der prekären Lage hatten die Amerikaner einen ihrer Spionagesatelliten neu ausgerichtet, der ihnen beeindruckend klare und absolut erschreckende Bilder lieferte.

Der Yellowstone-Nationalpark existierte nicht mehr. Wo sich noch vor wenigen Stunden Tausende Quadratkilometer Wald, Berge und Flüsse erstreckt hatten, breitete sich jetzt eine schwarzgraue, von roten Feuergirlanden durchzogene Wolke aus. Darunter musste ein wahres Höllenfeuer brodeln, wie man an den glutspuckenden Geysiren am Rand der Wolke erkannte.

»Die Asche hat eine Höhe von mehr als dreißig Kilometer erreicht«, sagte Rolf. »Tendenz steigend.«

»Gibt es Schätzungen zur Menge des Auswurfmaterials?« Wilhelm, einer von Lenas Kollegen, stand ganz vorn und starrte durch seine dicken Brillengläser auf die Leinwand.

»Noch nicht. Und das wird auch eine Weile dauern. Der Ausbruch ist ja noch im Gange.«

»Wir können davon ausgehen«, warf Lena ein, »dass es sich um eine supermassive Eruption handelt. Wenn wir zum Vergleich frühere Ausbrüche heranziehen und die Bilder hier betrachten ... müssen wir mit wenigstens einigen Hundert, wenn nicht gar über tausend Kubikkilometer Tephra rechnen, das aktuell in die Atmosphäre geschleudert wird.«

Für mehrere Sekunden herrschte bedrücktes Schweigen. Sämtliche Blicke hefteten sich auf die Leinwand. Der Ausbruch verlief durch die rasche Bildabfolge wie im Zeitraffer. Es war ein bedrohlicher, aber auch faszinierender Anblick.

»Wir können gar nichts tun, oder?« Die leise, furchtsam klingende Stimme gehörte Ilona, einer Dissertantin. Lena wusste, dass die Großeltern der stets freundlichen und optimistischen Studentin in den USA lebten.

»Die Katastrophe lässt sich nicht verhindern.« Lena bemühte sich, ihre Stimme zuversichtlich klingen zu lassen. »Aber wir können zumindest dafür sorgen, dass man die Auswirkungen besser abschätzen kann und geeignete Maßnahmen ergreift. Es ist wichtig, dass wir unsere Forschungen und die Computersimulationen weiterführen. Die Politik, die Medien, das Krisenmanagement – alle wollen von uns Prognosen, und das am besten sofort. Wir müssen wieder an die Arbeit. Uns steht eine lange Nacht bevor.«

Waldhütte bei Einöde zwölf

Freitag, 06. Juli, 18:45 Uhr

»Wir sind nicht allein.«

Jack schrak aus seinen Gedanken hoch und blickte sich im Raum um. »Was meinst du?«

»Jemand nähert sich der Hütte.« Simon deutete auf das Empfangsgerät des Bewegungsmelders. »Aus Richtung der Straße.«

Jack griff nach der Browning vor sich am Tisch und kontrollierte, ob der Schalldämpfer festgeschraubt war.

»Noch zwanzig Meter«, verkündete Simon und hob seine eigene Pistole. »Ich stelle mich zum Fenster.«

Wortlos positionierte sich Jack im toten Winkel der Tür. Bereits nach wenigen Sekunden waren Schritte zu vernehmen. Der Unbekannte gab sich keine Mühe, besonders leise zu sein.

Es klopfte vernehmlich. Dreimal. Dann erklang eine Stimme. »Günter hier. Es tut mir leid, euch noch einmal stören zu müssen. Ich habe neue Anweisungen für euch.«

Jack runzelte die Stirn. Er warf Simon einen Blick zu. Dieser nickte, stellte sich schräg vor die Tür und ging in die Hocke. Jack riss die Holztür auf, die Browning weiterhin erhoben.

Günters nichtssagendes Lächeln schlug ihnen entgegen. Der junge Mann trug noch immer seinen zerknitterten Anzug und die schlampig gebundene Krawatte. Er wirkte kein bisschen nervös, als er die beiden auf ihn gerichteten Pistolen registrierte.

»Vor zwanzig Minuten habe ich einen Anruf erhalten«, begann er übergangslos. »Euer Auftrag dauert länger.«

Jack senkte seine Waffe. »Was soll das heißen – er dauert länger?«

Günter zuckte die Achseln. »Kann ich nicht sagen. Ich gebe nur die Worte unseres Auftraggebers weiter. Drei Tage, vielleicht fünf.«

»Vorgesehen war nur einer.«

»Richtig. Aber die Option einer zeitlichen Ausweitung ist in der Auftragsbeschreibung enthalten.«

»Bezahlung?«, fragte Simon.

»Zwanzigtausend extra für jeden neu angefangenen Tag.«

Simon grunzte etwas, das Jack nicht verstand. Aber es klang nach einer Zustimmung.

»Meine Aufgabe ist hiermit beendet«, fuhr Günter fort. »Diesmal werden wir uns wirklich nicht mehr begegnen. Sollte es weitere Änderungen geben, werdet ihr direkt kontaktiert.«

Günter hielt Jack ein Funkgerät hin, das dieser anstarrte, als handle es sich um eine Klapperschlange.

»Nehmen Sie schon, es beißt nicht.«

Jack gelang es, sich seinen Unmut nicht anmerken zu lassen. Es wollte nicht vor einem Burschen die Fassung verlieren, der sein Sohn sein könnte. Kommentarlos nahm er das Funkgerät entgegen.

»Der Akku sollte im Stand-by mehrere Tage durchhalten«, erklärte Günter. »Sie dürfen nur Gespräche annehmen, aber keines selbst beginnen. Ich empfehle Ihnen, das Gerät nicht auszuschalten. Unser Auftraggeber kann gereizt reagieren, wenn etwas nicht so läuft, wie er will.«

Jack erinnerte sich an das Märchenbuch in der Truhe, die unmissverständliche Warnung, die an ihn und Simon gerichtet war. Er hatte kein Interesse daran, es sich mit ihrem Auftraggeber zu verscherzen. Wenn ihr Einsatz ein paar Tage länger dauerte, kümmerte ihn das nicht.

Erst in diesem Augenblick realisierte Jack die Bewegung, mit der Günter seine letzten Worte begleitet hatte. Er war sich, vielleicht unbewusst, über die linke Hand gefahren; eine Hand, die nicht vollständig war. Günters kleiner Finger war etwas dunkler als die anderen und stand in einem eigenartigen Winkel von der Handfläche ab. Offenbar handelte es sich um eine Prothese.

Einöde zwölf

Freitag, 06. Juli, 19:30 Uhr

Seit einer geschlagenen Stunde saßen oder standen sie im Wohnzimmer und wussten nicht, was sie tun sollten. Jeder hatte damit gerechnet, dass ihnen Matteo neue Anweisungen geben würde, sobald sie alle ihre grauenvollen Nachrichten gelesen und den anderen mitgeteilt hatten.

Nichts dergleichen war geschehen. Bernhard und Raphael hatten versucht, Gespräche in Gang zu bringen, waren aber kläglich gescheitert. Zu tief saßen der Schock und das Entsetzen. Danach hatte Mathias ihren unsichtbaren Peiniger direkt angesprochen. Zunächst vorsichtig und diplomatisch, bald aber wütend und aggressiv. Zuletzt hatte er Matteo seinen Zorn entgegengebrüllt – ohne jemals eine Antwort zu erhalten. Es war, als hätte Matteo beschlossen, sie in ihrer gärenden Furcht und kaum unterdrückten Panik sitzen zu lassen, bis sie alle den Verstand verloren und sich in dem verzweifelten Versuch, das Gebäude zu verlassen, die Schädel an den Mauern einschlugen.

Emma fühlte sich so verlassen wie niemals zuvor. Gabriel hatte sie verraten und jetzt war er verschwunden. Vielleicht kehrte ihr Schutzengel niemals wieder. Selbst wenn, konnte sie ihm nicht mehr vertrauen. Sie hatte sich an seine Anweisungen gehalten, genau das getan, was die Zeichen von ihr verlangt hatten – in der Hoffnung, dem dramatischen Weltenwandel etwas Gutes abgewinnen zu können. Stattdessen war sie geradewegs in ihr Verderben gerannt.

Der Ort des Neubeginns, erinnerte sich Emma an Gabriels Worte. Pah, von wegen! Dieses Gebäude war ein Ort des Todes, oder würde es in Kürze sein. Gabriel hatte davon gesprochen, dass Emma hier ihre Bestimmung erfuhr. Das würde sie auch, aber gänzlich anders, als sie gedacht hatte. Ihr Schicksal war es nicht, das Böse in den Abgrund zu stoßen, sondern selbst in diesen Abgrund gezogen zu werden. Ihr einziger Hoffnungsschimmer war, dass Matteo offensichtlich nicht mit ihr gerechnet hatte. Vielleicht, aber nur vielleicht, hatte das etwas zu bedeuten und gab ihr eine Überlebenschance, so winzig sie auch sein mochte.

Allerdings glaube sie nicht daran. Matteo überließ nichts dem Zufall. Er rechnete mit allen Eventualitäten. Mit Sicherheit hatte er auch für den Fall vorgesorgt, dass mehr Personen eintrafen, als geplant. Vielleicht hob er sich seine Frau für den krönenden Abschluss auf – oder tötete sie zu Demonstrationszwecken als Erste. Es brauchte mehr als ein Wunder, damit Emma diese Nacht überlebte.

Der Boden erzitterte. Die Erschütterung war kurz, dauerte kaum fünf Sekunden, aber sie war deutlich wahrnehmbar. Die Vasen in der Vitrine klirrten, beide Kronleuchter an der Decke gerieten in Bewegung.

»Was war das?«, flüsterte Sandra, als der Boden wieder zum Stillstand gekommen war. »Ein Erdbeben?«

Bevor einer der anderen etwas sagen konnte, erklang eine wohlbekannte Stimme.

»Mir scheint, langsam wird es ernst.« Matteo lachte, aber sein Lachen wurde von einem unschön blubbernden Husten unterbrochen. Nach einigen Sekunden sprach er weiter. »Da ihr nicht mitbekommt, was in der Welt gerade vor sich geht, darf ich euch die neuesten Nachrichten übermitteln: Das Ende der menschlichen Zivilisation steht bevor.« Matteo ließ eine Kunstpause verstreichen. »Ihr werdet denken, der Wahnsinnige dreht nun völlig durch. Aber es ist die Wahrheit. Vor zwei Stunden gab es die ersten Pressekonferenzen, Ansprachen, mancherorts wurden sogar die Zivilschutzsirenen ausgelöst. Die Erde wird von mehreren Vulkanausbrüchen erschüttert; Supervulkane, wie es heißt. Das bedeutet Millionen Tote durch die Eruptionen und die Asche in der Luft, dazu eine massive Klimaänderung, Fehlernten und so weiter. Wird nicht lange dauern, bis das System zusammenbricht. Ist es nicht witzig, dass diese Katastrophe ausgerechnet heute passiert? Zufälle gibt es.«

Keine Zufälle, drang es in Emmas Geist. Es gibt keine Zufälle!

»Natürlich bedeutet das auch«, fuhr Matteo fort, »dass wir viel mehr Zeit zusammen haben, als ich dachte. Ich hatte bloß mit einer einzigen Nacht gerechnet, aber so wie es aussieht ... haben wir Tage.«

Emma konnte das Grinsen ihres Mannes förmlich sehen, mit dem er sich an ihrer Qual ergötzte. Unfassbar, was für ein Monster!

»Für euch ist das eine gute Nachricht. Letztendlich habt ihr dadurch länger zu leben. Damit uns nicht langweilig wird, werden wir die kommenden Stunden folgendermaßen verbringen: Jeder von euch erzählt mir und den anderen eine Geschichte; eine wahre Geschichte, die er noch nie zuvor jemandem berichtet hat. Ich will eure schlimmsten Sünden erfahren, eure größten Verbrechen, das Grausamste, das ihr jemals begangen habt. Ihr seid fehlerlos, habt nie etwas angestellt? Lüge! Ich kenne die Menschen, ich kenne euch. Jeder hat ein Geheimnis, die meisten mehr als eins. Und kommt nicht auf die Idee, mir irgendwelche Ammenmärchen aufzutischen. Ich spüre das, verlasst euch darauf. Sobald ich feststelle, dass eine Geschichte erstunken und erlogen ist, wird der- oder diejenige sterben. Haben wir uns verstanden? Gut. Emma, du beginnst.«

Ich? Warum ich? Panik erfasste Emmas Geist. Ihre Augen flackerten umher, suchten nach einem Ausweg, den es nicht gab. Meine schlimmste Sünde ... Nein!

»Na, meine geliebte Frau, hat es dir die Sprache verschlagen? Oder brauchst du etwas Bedenkzeit, um in deinem aufopferungsbereiten Leben die kaltblütigen, längst verdrängten Momente hervorzukramen?«

Mit einem Mal war Emma ganz ruhig. Es geschah so unvermittelt, dass sie vor sich selbst erschrak. Ihre Furcht und Hilflosigkeit verpufften, als hätten sie nie existiert. Die Anspannung wich aus ihren Muskeln, ihr Herzschlag verlangsamte sich, selbst ihr Geist war klar wie selten zuvor. Sogar ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen.

Was geschieht mit mir?, dachte Emma verblüfft. Woher kommt diese Gelassenheit?

Meine schlimmste Sünde ... Emma wusste, was sie berichten würde, berichten musste. Sie hätte es schon vor Jahren tun sollen. Weshalb also nicht jetzt, im Angesicht des Wahnsinns, Auge in Auge mit dem Tod?

Emma begann zu erzählen.

Helmholtz-Zentrum Potsdam, Institut für Erdbeben- und Vulkanphysik

Freitag, 06. Juli, 19:30 Uhr

»Wilhelm ist verschwunden«, sagte Rolf und ließ sich neben Lena auf den Bürostuhl fallen. »Ich habe gerade in seinem Büro nachgesehen. Zwei weitere Mitarbeiter sind ebenfalls unauffindbar.«

»Kannst du es ihnen verübeln?« Lena strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Sie wollen zu ihren Familien, bevor es zu spät ist.«

»Das ist mir bewusst. Es hat mich auch nicht überrascht, dass so etwas passiert. Aber ich habe erwartet, dass sie mir ihre Entscheidung mitteilen, so wie es Luisa und Piet getan haben, und nicht grußlos verschwinden. Ich hätte sie nicht aufgehalten.«

»Sie hatten Angst, das ist alles.«

»Wir alle haben Angst.«

Lena schwieg. Rolfs Worte trafen genau ins Schwarze. Zeitweise lähmte die Furcht ihre Gedanken, wollten ihr die einfachsten Befehle und Abfragen nicht einfallen. Noch konnte sie sich zusammenreißen, aber sie wusste nicht, wie lange sie gegen das Toben in ihrem Inneren anzukämpfen vermochte.

»Irgendetwas Neues?«, fragte Rolf.

»Nicht wirklich. Alle paar Minuten läutet das Telefon, die Presse belagert unser Institut, der Mob auf der Straße wird von der Polizei gerade noch in Schach gehalten ...«

»Ich meine die Simulation am Rechner.«

Lena schüttelte den Kopf. »Das dauert, Rolf, und das weißt du. Ich fürchte, die Berechnungen werden heute nicht mehr fertig. Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob wir den Ergebnissen trauen können.«

Rolf seufzte tief und ließ sich zurücksinken. »Es ist das Einzige, das wir tun können.«

Lena musste ihrem Kollegen recht geben. Inzwischen hatten sämtliche Medien die beginnende Katastrophe aufgegriffen, berichteten ausführlich und ausschließlich darüber. Erste Opferzahlen wurden genannt – Zehntausende, wie es hieß. Helikopterbilder aus den USA zeigten kilometerbreite, tiefschwarze Rauchwolken, die sich unendlich weit in den Himmel schraubten. Blitze zuckten in der Finsternis, verästelten sich zu hässlichen Fangarmen und gerannen zu flackernden Konglomeraten aus Licht. Der Himmel über den mittleren USA hatte seine taghelle, azurblaue Farbe eingebüßt. Immer mehr ging er ins Dunkel- und Violettblau über. Satellitenbilder zeigten die Ausbreitung der Asche in der Stratosphäre, einen diffusen, gräulichen Schirm, der bereits ein Viertel der Vereinigten Staaten verdeckte.

Es konnte nicht lange dauern, bis sich die ersten globalen Auswirkungen bemerkbar machten. Die dramatischsten Folgen beim Ausbruch eines Supervulkans drohten nicht durch die Eruptionen an sich. Diese verwüstete zwar das Land in einigen Dutzend bis Hundert Kilometer Entfernung, blieben darüber hinaus aber unbedeutend. Viel entscheidender war das vom Vulkan ausgestoßene Material. Viele Kubikkilometer Asche und Schwefelgase verteilten sich in der Stratosphäre rund um den Globus. Die Folgen waren dramatisch. Mit einiger Wahrscheinlichkeit mussten sie in den nächsten Jahren mit einem deutlichen Temperaturrückgang, Missernten und Hungersnöten rechnen – und das weltweit.

Ob es etwas gab, das die Wissenschaft gegen den drohenden Kollaps unternehmen konnte? Lena hoffte es; nein, sie betete darum. Vielleicht war es ihnen möglich, Gebiete zu identifizieren, die weniger von der Klimaänderung betroffen waren oder es gelang ihnen gemeinsam mit den Forschern anderer Fachrichtungen, Maßnahmen gegen die Verdunkelung des Planeten zu setzen.

Das Problem war, dass sie nicht viel Zeit hatten, selbst wenn sich die übrigen Supervulkane ruhig verhielten. Einige Monate, vielleicht ein Jahr, falls das Glück ihnen hold war. Spätestens dann zeigten sich die ersten massiven Auswirkungen an der Erdoberfläche. Asche und Schwefelverbindungen schirmten die Sonne ab, Wolkenbildung wurde angeregt, heftige Niederschläge ergossen sich auf den Planeten. Durch die fehlende Sonneneinstrahlung konnten viele Pflanzen nicht mehr ausreichend Photosynthese betreiben und starben. Tiere, die von ihnen abhängig waren, verhungerten. Später mussten auch die Raubtiere zu Grunde gehen, die nicht mehr genug Nahrung fanden. Die Hälfte aller Tier- und Pflanzenarten würde um ihr Überleben kämpfen.

Noch besteht Hoffnung, redete sich Lena ein. Noch ist das Armageddon nicht besiegelt.

Ihr Blick fiel auf das Handy am Tisch. Sie dachte an ihren Vater. Josef hätte ihre Meinung nicht geteilt. Er hätte ihr an den Kopf geworfen, dass sie nicht ganz bei Trost war und schleunigst die Stadt verlassen sollte. Er hätte auch behauptet, dass es nichts gab, das sie tun konnte, nichts, außer alles stehen und liegen zu lassen und heimzukehren, zu ihren Eltern.

Lena vernahm ein tropfendes Geräusch, spürte Nässe an ihren Händen, die auf der Computertastatur lagen. Erst da merkte sie, dass sie zu weinen begonnen hatte.

Einöde zwölf

Freitag, 06. Juli, 20:00 Uhr

»Die Sache ist ein paar Jahre her«, erzählte Emma. »Ich habe noch aktiv als Krankenschwester gearbeitet, in der geriatrischen Abteilung des Krankenhauses in Meran. Mein Job war herausfordernd. Hohe körperliche Anstrengung, dazu die geistigen Unzulänglichkeiten meiner Patienten, nicht wenige davon dement. Ihr könnt euch kaum ausmalen, wie lähmend es mit der Zeit wird, wenn ihr euch jeden Morgen neu vorstellen müsst und immer die gleichen Fragen gestellt bekommt.

Eines Tages habe ich Herbert kennengelernt. Herbert war ein rüstiger Siebzigjähriger, klar im Kopf und so mobil, wie man in seinem Alter nur sein konnte. Aber er hatte Krebs. Im Endstadium. Überall in seinem Körper befanden sich Metastasen, besonders in seinen Organen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ihn sein Körper im Stich ließ. Das Schicksal war perfide genug, dass man ihm nach außen hin kaum etwas anmerkte. Laut eigener Aussage empfand er auch keine Schmerzen. Er war ein fröhlicher, aufgeschlossener Mensch, wusste immer eine positive Geschichte zu erzählen und er besaß die Fähigkeit, selbst die miesepetrigsten Patienten zum Lachen zu bringen.

Wir sind immer öfter ins Gespräch gekommen, haben uns gegenseitig das Herz ausgeschüttet. Irgendwann hat er mir gebeichtet, dass er sterben will. In seinen Augen war es eine rationale, wohl durchdachte Entscheidung. Er wollte nicht darauf warten, bis er sich Tag und Nacht in Schmerzen wand, keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte und elendig dahinsiechte. Er hat mich darum gebeten, ihm das Sterben zu erleichtern. Ich habe abgelehnt. Aber sein Bitten wurde immer drängender. Ich fand heraus, dass er doch Schmerzen litt und es offenbar von Tag zu Tag schlimmer wurde.

Eines Morgens bin ich in sein Zimmer getreten und er ist nur so dagelegen, still und reglos, das Gesicht bleich wie der Tod, die Augen weit aufgerissen. Er hat mir das schweißbedeckte Antlitz zugewandt und ein einziges Wort geflüstert: Bitte. In diesem Moment wusste ich, dass ich es tun würde. Ich habe mir über mehrere Tage hinweg eine Substanz organisiert, die sich Pentobarbital nennt. Sie wird in geringer Dosierung bei Epilepsie und in höherer Konzentration zum Einschläfern von Tieren verwendet. Außerdem findet sie in einigen Kreisen als Sterbehilfepräparat Anwendung. Ich habe Herbert davon erzählt. In seinen Augen ist tiefe Dankbarkeit gestanden.

An dem Tag, an dem er sterben wollte, habe ich ihm das Mittel intravenös verabreicht. Zuerst ist gar nichts geschehen. Herbert ist entspannt dagelegen und hat auf das Ende gewartet.«

Emma verstummte. Für einen Moment sah sie deutlich Herberts Gesicht vor sich. Ein Gefühl von Scham und Reue flutete ihren Geist.

»Plötzlich ist in seinem Blick Panik gestanden«, fuhr Emma mit leiser Stimme fort. »Ich habe zu spät erkannt, dass das Mittel nicht so wirkte wie gedacht, und dass er gar nicht bereit war für den Tod. Ich begriff, dass ich dabei war, einen Mord zu begehen.

Ich habe um Hilfe geschrien, die ganze Abteilung alarmiert, als sich Herbert in Krämpfen geschüttelt hat, Schaum vor dem Mund, die Augen verdreht. Aber es war zu spät. Die Ärzte konnten ihm nicht mehr helfen. Sie haben überlegt, eine Obduktion durchzuführen, es aber nicht getan. Herbert galt als multimorbid. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sein Körper auf ganzer Linie versagte. Hätten sie ihn untersucht, hätten sie vielleicht festgestellt, dass etwas in seinem Blut war. Und ja, ich hätte ein Geständnis ablegen sollen. Zunächst wollte ich das auch tun. Ich habe sogar um einen Gesprächstermin mit unserem Abteilungsleiter gebeten. Doch als ich dort gesessen bin und mich der ernste Blick meines Vorgesetzten erfasst hat – ich konnte es nicht sagen. Ich behauptete, dass mich der Tod von Herrn Sacher sehr mitgenommen hatte und ich zwei Tage Sonderurlaub brauchen würde.

Danach begann ich das Erlebnis und meine Tat zu verdrängen. Selbst meinen besten Freunden habe ich nichts davon erzählt. Und schon gar nicht meinem Ehemann.« Emma schnaubte durch die Nase. »Manchmal sehe ich Herberts Gesicht vor mir, die aufgerissenen, panischen Augen, kurz bevor er das Bewusstsein verloren hat. Es ist ein Anblick, der mir jedes Mal einen Stich versetzt. Niemals wieder habe ich etwas Vergleichbares getan. Es war meine schlimmste Sünde.«

Emmas Stimme war im Laufe der letzten Sätze immer leiser geworden. Jetzt schwieg sie. Sie wagte es nicht, die Augen zu heben, in die Gesichter ihrer Gefährten zu blicken. Emma war davon überzeugt, dass sie alle anderen mit Unverständnis und Abscheu betrachteten.

»Schau einer an«, erklang Matteos heitere Stimme. »Habe ich doch tatsächlich mit einer Mörderin zusammengelebt. Beinahe könnte man das für einen makabren Wink des Schicksals halten. Offenbar finden Gleichgesinnte immer zueinander.«

»Ich bin nicht wie du!«, fauchte Emma und ballte die Hände zu Fäusten. »Ich habe es aus Mitleid getan, nicht aus Lust am Töten. Du bist ein Monster, Matteo, ich nur eine irregeführte Seele.«

Matteos Stimme klang wie Sandpapier auf einer Kreidetafel. »Glaubst du das wahrhaftig? Na meinetwegen. Bernhard, du bist dran.«

Sämtliche Blicke richteten sich auf den Kriminalkommissar. Bernhard spürte ein Kribbeln in sich aufsteigen. Es war unangenehm, so angestarrt zu werden. Kurz überlegte er, Matteos Befehl zu ignorieren. Allerdings kannte er seinen Widersacher gut genug, um zu wissen, dass dieser nicht davor zurückschrecken würde, ihn spontan und ungeplant zu töten; oder, noch schlimmer, Sonja etwas anzutun.

Wovon sollte er berichten? Er war in seinem Leben beileibe kein Engel gewesen, aber auch meilenweit von dem Monster entfernt, in das sich Matteo verwandelt hatte. Emmas Tat erschien ihm harmlos und menschlich durchaus nachvollziehbar, aber wie stand es um seine eigenen Fehler? Bernhard beschloss, jenes Thema anzusprechen, das ihm in den vergangenen Jahren am meisten Kummer bereitet hatte.

»Ihr alle kennt meine Tochter«, hob Bernhard an und warf Sonja einen Blick zu. »Sie ist mein einziges Kind. Ich würde gern behaupten, dass ich ein guter Vater war, aber leider stimmt das nicht. Als Sonja ein kleines Kind war, habe ich ...«

»Danke, das genügt«, unterbrach ihn Matteo. »Davon will ich nichts hören.«

»Aber das ist ...«

»... sicher eine tragische Sache, wenn man als Vater versagt hat. Aber es war nicht deine grausamste Tat, habe ich recht?«

»Es gibt nichts, dass mich mehr ...«

»Gut, dann anders: Aus Sicht eines Vaters ist es vielleicht unverzeihlich, seine Tochter jahrelang zu bevormunden und zu unterdrücken, aber wenn man den moralischen Aspekt betrachtet – da gibt es etwas, das schlimmer war.«

Bernhard senkte den Blick. »Ja, das ist richtig.«

»Erzähl uns davon. Keine falsche Scheu.«

»Ich habe meinen besten Freund verraten.«

Matteo stieß einen anerkennenden Pfiff aus. »Das klingt nach einer lohnenden Geschichte. Du kannst loslegen.«

»Sein Name war Siegfried. Wir kannten uns seit der Schulzeit, waren immer die dicksten Freunde. Wir haben alles zusammen gemacht, verrückte, manchmal illegale Sachen. Beispielsweise sind wir in der Nacht in die Schule eingestiegen, haben unsere Prüfungsarbeiten aus dem Fach des Lehrers genommen und sie verbessert. Wir hatten auch die gleiche Leidenschaft für Pflanzen – und für den Polizeidienst. Siegfrieds Eltern waren anders als meine, liebevoll und ausgeglichen. Ich habe mehr Zeit bei ihnen verbracht als daheim.

Nach der Scheidung meiner Eltern hat mich Siegfried unterstützt, wo er nur konnte. Als ich später nach Süddeutschland übersiedelt bin, ist mir Siegfried gefolgt. Wir haben zusammen an der Polizeischule in Dachau begonnen. Unser Eifer und nicht zuletzt unsere Freundschaft haben dazu geführt, dass wir immer unter den Jahresbesten waren. Die Polizeischule haben wir mit Auszeichnung abgeschlossen. Siegfried ist in München geblieben, ich aber ging nach Nürnberg. Wir haben uns trotzdem regelmäßig getroffen, mindestens einmal die Woche.

Allmählich hat sich Siegfried verändert. Irgendwann begriff ich, dass er mir Dinge verschwieg. Meine Neugierde war geweckt und ich begann nachzuforschen. Ich fand heraus, dass er Kontakt zu den falschen Leuten hielt und mehrmals größere Summen Geld angenommen hatte. Bald hatte ich keine Zweifel mehr daran, dass Drogen im Spiel waren. Und es wurde fortwährend schlimmer. Siegfried war noch immer ein guter Freund, aber gleichzeitig spürte ich, dass sich ein Teil von ihm immer weiter von mir entfernte. Dann bekam ich mit, dass Siegfried seine Frau schlug. Ihr Name war Dolores.«

Sonja sog scharf die Luft ein und öffnete den Mund, aber Bernhard sprach einfach weiter.

»Ich habe versucht, Dolores zu helfen, sie vor Siegfrieds Wutausbrüchen zu beschützen. Dabei sind wir uns immer näher gekommen. Schlussendlich musste ich mir eingestehen, dass ich mich in Dolores verliebt hatte. Kurz danach habe ich Siegfried verraten.«

Im Raum herrschte Stille. Bernhard registrierte die intensiven Blicke, die auf ihn gerichtet waren. In den Augen seiner Tochter lag Bestürzung – und ein stiller Vorwurf. Bernhard und Dolores hatten Sonja nie darüber aufgeklärt, wie und warum sie zusammengekommen waren. Er hätte seiner Tochter längst die ganze Geschichte erzählen sollen und nicht erst jetzt, wenn überall Grauen und Verderben herrschte.

»Ich habe einen anonymen Hinweis abgegeben«, erklärte Bernhard. »Nicht einmal Dolores wusste davon. Siegfried wurde verhaftet. Es fanden sich genug Beweise, um ihn zu verurteilen. Dolores reichte die Scheidung ein und Siegfried kam ins Gefängnis. Nach einigen Monaten fand man ihn erhängt in seiner Zelle. Selbst ich weinte ihm keine Träne nach. Zwei Jahre später heiratete ich Dolores. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits schwanger. Mit Sonja.«

Ein Wispern lief durch den Raum. Viele begriffen erst jetzt die Tragweite von Bernhards Erzählung.

»Du hättest es mir sagen müssen«, hauchte Sonja. Sie kauerte am Sofa, hatte die Beine zusammengepresst und die Hände über ihrem runden Unterleib gefaltet.

»Ja.« Bernhards Stimme war fest. »Es tut mir leid. Das war einer von vielen Fehlern, die ich begangen habe.«

»Herrlich erfrischend, solche Geschichten, nicht wahr? Da könnte man ...« Matteos Stimme wurde von einem gurgelnden Husten unterbrochen. Dann klang es, als fiele etwas klatschend zu Boden.

Für einige Sekunden herrschte Schweigen. Als sich Matteo erneut meldete, wirkte seine Stimme belegt und unwirsch. »Ich denke, uns allen wird eine Pause guttun. Habt ihr Hunger? In der Küche nebenan ist ein Kühlschrank, darin findet ihr ein paar Brötchen. Ich möchte ja nicht, dass meine Schäfchen zu früh die Kraft verlässt. Und keine Sorge: Nichts davon ist vergiftet. Heute Nacht wird niemand sterben. Also, wahrscheinlich nicht.«

Matteos Gelächter erinnerte an das Meckern einer Ziege – oder an das grausame Gekicher eines gnadenlosen Gottes.

Kanada, Quebec, südliches Seengebiet

Freitag, 06. Juli, 14:30 Uhr Lokalzeit

Henry Duvall starrte auf den See hinaus. Es herrschte absolute Windstille. Die Oberfläche des dunklen Wassers lag da wie ein Spiegel. Mückenschwärme schwebten auf und nieder, am gegenüberliegenden Ufer ästen zwei Elche. In der Ferne war der Ruf eines Greifvogels zu vernehmen. Der intensive Geruch nach Wald, Moos und modrigem Torf hing in der Luft.

Henry wusste, dass etwas Entscheidendes geschehen war. Zwar konnte er nicht sagen, was das Gefüge der Welt erschüttert hatte, aber die Zeichen waren eindeutig. Das alarmierende Kribbeln auf der Haut, ausgelöst durch die energetische Aufladung der Atmosphäre; das rasche, unhörbare Klopfen tief unter der Erdoberfläche; das Seufzen und Ächzen der uralten Bäume ringsum; der milchige, diffuse Schleier, der sich vor die Sonne geschoben hatte; und nicht zuletzt die Anwesenheit der Geister.

Sie waren überall. Henry war es gewohnt, das Wirken der Geister zu erkennen, die elementaren Kräfte zu spüren, die von ihnen beherrscht wurden. Es war ihm nicht neu, die Spirits zu erfühlen, die sich überall in der Natur offenbarten. Aber noch nie hatte er sie als reale Wesen wahrnehmen können.

Sie tanzten um Henry herum, als gelte ihre Aufmerksamkeit allein ihm. Aus den Augenwinkeln sah er Bewegungen, Schatten, flüchtige Gestalten. Sobald er den Blick auf die Erscheinungen richtete, verschwanden sie. Aber sie waren zu lange präsent, um sie als Einbildung abzutun.

Was diese Entwicklung bedeutete, war für Henry offensichtlich. Der letzte Schritt war getan, die letzte Hürde genommen. Nun brachen die Naturgeister aus ihren Käfigen der Unwirklichkeit, erfassten das Unbewusste, nahmen wieder von der Welt Besitz, wie sie es in den vergangenen Jahrmillionen unzählige Male getan hatten.

Wer kluge Augen hat, der sieht das Unsichtbare