Inhalt

  1. Ein „Großer Deutscher“ hat Geburtstag
  2. Unaufgeregte Rückbesinnung
  3. Drei Sonderausstellungen und ein Reisebericht
  4. Friedrichsruh
  5. Bad Kissingen
  6. Schönhausen
  7. Was bleiben wird
  8. Literatur
  9. Impressum
  10. Karte: Bismarck-Museen

1. Ein „Großer Deutscher“ hat Geburtstag

Eigentlich ist die deutsche Geschichte reich an bedeutenden Staatsmännern und Persönlichkeiten, die es wert sind, dass man sich an sie erinnert. Friedrich Barbarossa, Karl V., Luther, Friedrich der Große, Bach, Goethe, Schiller und Beethoven sind Beispiele aus den vergangenen Jahrhunderten. Friedrich Ebert, Konrad Adenauer, Theodor Heuss und Willy Brandt sind zeitgeschichtlich Menschen, die in unserem kollektiven Gedächtnis einen festen Platz eingenommen haben. Schwer tun wir uns mit Otto von Bismarck, dem bedeutendsten deutschen Staatsmann im 19. Jahrhundert, dem wir die Gründung des deutschen Nationalstaates zu verdanken haben.

Worin liegt das latente Unbehagen hinsichtlich dieser Persönlichkeit, das einfach nicht weichen will. Schuld daran ist die leidvolle Geschichtserfahrung, die wir „Adolf Nazi“ und seinem Regime von 1933 bis 1945 zu verdanken haben. Mit seinem Tausendjährigen Reich, das nach wenigen Jahren in Weltkrieg, Holocaust und Völkermord endete, hat der NS-Staat Verbrechen zu verantworten, an denen wir Deutsche uns seither abarbeiten. Das ist uns nach Meinung vieler anderer Staaten auch in beeindruckender Weise gelungen. Diese dunkle Seite der deutschen Geschichte wird nicht geleugnet, sondern selbstkritisch aufgearbeitet. Aber auch das hat gedauert. Die ersten beiden Jahrzehnte nach dem Weltkrieg waren geprägt von einem bleiernen Verschweigen dieser Vergangenheit. Erst danach stellte die jüngere Generation die Frage nach der Schuld der Väter-Generation. Auch die juristische Aufarbeitung benötigte Zeit und ist bis heute nicht abgeschlossen. Gleiches gilt für große Unternehmen und Ministerien, die Historiker mit der Aufarbeitung der eigenen Geschichte beauftragen.

Nun denn, es ist, wie es ist! Wir werden sicherlich noch einige Jahrzehnte brauchen, bis Otto von Bismarck die Anerkennung erfährt, die seinen Verdiensten um die Einigung Deutschlands im 19. Jahrhundert entspricht. Am 1. April 2015 jedenfalls jährte sich sein Geburtstag zum 200. Mal. Einige Daten zu Bismarcks Lebenslauf sollen hier nicht übergangen werden. Im altmärkischen Schönhausen an der Elbe erblickte Otto Leopold an diesem Tag das Licht der Welt. Er war das vierte Kind von Ferdinand Bismarck und seiner Frau Wilhelmine, einer geborenen Mencke.

Seine Geburt fällt in eine Zeitenwende. Denn das europäische Staatensystem stand nach der Französischen Revolution und den von Napoleon heraufbeschworenen Kriegen vor dem Zusammenbruch und sollte auf dem Wiener Kongress neu geordnet werden. Das Königreich Preußen ging einigermaßen gestärkt aus diesen Auseinandersetzungen hervor, blieb aber ein unzusammenhängendes Territorium im Norden des ehemaligen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Führungsmacht innerhalb des neu gegründeten Deutschen Bundes aber war nach eigenem Anspruch das

Kaiserreich Österreich. Bismarck erlebte und schürte bisweilen die
Spannungen dieser beiden Großmächte während seiner
Tätigkeit als preußischer Gesandter beim Deutschen Bund

in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts.

Wie wir wissen, warteten große Aufgaben auf den zukünftigen preußischen Politiker, der 1832 sein Abitur ablegte, wobei er sich „im Mittelmaß“ (Christian Graf von Krockow) versteckte, und danach ein Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Göttingen aufnahm. Schon nach einem Jahr wechselte er nach Berlin und legte dort 1835 das erste juristische Examen ab. Nach drei Jahren im Staatsdienst und dem Militärdienst als Einjähriger entschloss er sich, die Verwaltertätigkeit auf den heruntergewirtschafteten familiären Gütern zu übernehmen. Der „tolle Junker“, wie er in seiner Göttinger Zeit genannt wurde, war 1839 auf dem Weg, ein erfolgreicher Gutsherr zu werden.

1847 wurde er Mitglied im Vereinigten Landtag und heiratete Johanna von Puttkamer. Mit Herbert, Bill und Marie bekamen die Bismarcks drei Kinder. 1849 zog die Familie nach Berlin. Zwischen 1851 und 1862 folgten Tätigkeiten als Gesandter in Frankfurt, St. Petersburg und Paris. Am 23. September 1862 wurde er zum preußischen Ministerpräsidenten ernannt. In den drei Einigungskriegen gegen Dänemark (1864), Österreich (1866) und Frankreich (1870/71) realisierte er sein Programm aus dem Jahr 1862: „...nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden, - das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen – sondern durch Eisen und Blut“. Wenn denn die Demokraten zu schwach waren, ein vereinigtes Deutschland als Nation zu schaffen, so wollte er sich dieser Aufgabe stellen, sie aber nicht gegen die Fürstenherrschaft, sondern an ihrer Spitze realisieren. Konsequent räumte er alle Widerstände dieser „kleindeutschen Lösung“, die den Ausschluss Österreichs aus dem „Alten Reich“ und dem Deutschen Bund bedeutete, aus dem Weg.

Im Spiegelsaal von Versailles wurde am 18. Januar 1871 das Deutsche Reich gegründet und Wilhelm I. zum deutschen Kaiser gekrönt. In der Folge wurde Bismarck Reichskanzler und Außenminister, blieb aber auch preußischer Ministerpräsident. Nach anfänglichen Schwierigkeiten gewann er außenpolitisch an Kontur und wurde in Europa zum „ehrlichen Makler“, der das Deutsche Reich als „saturiert“ betrachtete. Am 18. März 1890 nahm Bismarck nach Streitigkeiten mit dem neuen Kaiser Wilhelm II. seinen Abschied aus der Politik. In Friedrichsruh starb er am 30. Juli 1898 im Alter von 83 Jahren. Der Mythos um seine Person hatte längst begonnen. Allerdings hatte „der Alte im Sachsenwald“ nach seiner Entlassung an dieser Mythenbildung selbst großen Anteil.

Otto von Bismarck. Ausschnitt aus einem Porträt von Franz von Lenbach

Bismarck-Porträts von 1826 bis 1894

2. Unaufgeregte Rückbesinnung

Schon zu Lebzeiten schieden sich an Bismarck die Geister. War er für die einen der große Staatsmann, der „weiße Revolutionär“ (Gall), so war er für die anderen ein Reaktionär, ein Erzkonservativer und unbelehrbarer Royalist. Im Volk verehrte man ihn größtenteils als wirkmächtigen „Reichsgründer“ und später als „Friedenskanzler“, der auch in Europa geachtet wurde. Noch lebten die meisten Deutschen auf dem Land, wenngleich die zunehmende Industriealisierung und die damit einhergehende Verstädterung das Aufkommen einer starken Arbeiterklasse schon ankündigte.

Für die damals führende borussische Geschichtsschreibung eines Heinrichs von Treitschke war der kleindeutsche Nationalstaat unter preußischer Führung eine logische Konsequenz der Geschichte. Überzeugt von „Preußens historischer Mission“ konnte dieser einer Reichsgründung „von unten“, wie sie die revolutionären Kreise 1848/49 anstrebten, nichts abgewinnen. Von Treitschke lehrte nach Aufenthalten in Freiburg, Heidelberg und Kiel seit 1873 an der Friedrich Wilhelm Universität in Berlin als ordentlicher Professor für Geschichte und Politik. Von 1871 bis 1884 war er Mitglied des Reichstages und unterstützte konsequent die Politik Bismarcks.

Auf der anderen Seite gab es Bevölkerungskreise, die nicht hinter dieser Form der Reichsgründung standen und Bismarcks Politik ablehnten. Zu diesen von ihm als „Reichsfeinde“ diffamierten Opponenten zählten die aufkommenden Sozialisten, die sich in der Zentrumspartei versammelten Katholiken, sowie die nationalen Minderheiten der Elsässer, Lothringer, Dänen und Polen. Aber auch Liberale und Demokraten konnten dem autoritären Regierungsstil Bismarcks wenig abgewinnen. Als „geschworene Feinde“ betrachtete Bismarck Kaiserin Augusta, aber auch den Sozialisten August Bebel, den Nationalliberalen Eduard Lasker und den Zentrumspolitiker Ludwig WindthorstKaiser Wilhelm I.„nicht leicht gewesen, unter Bismarck Kaiser zu sein“