Caroline de la Motte Fouqué: Die Frau des Falkensteins

 

 

Caroline de la Motte Fouqué

Die Frau des Falkensteins

Ein Roman in zwei Bändchen

 

 

 

Caroline de la Motte Fouqué: Die Frau des Falkensteins. Ein Roman in zwei Bändchen

 

Neuausgabe mit einer Biographie der Autorin.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Unbekannter Künstler, Caroline de la Motte Fouqué, um 1800

 

ISBN 978-3-8430-8624-0

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-9485-6 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-9486-3 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: Berlin (Julius Eduard Hitzig) 1810.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Caroline de la Motte Fouqué: Die Frau des Falkensteins. Ein Roman. Bdchen. 1–2, Band 1, Berlin: Julius Eduard Hitzig, 1810.

Caroline de la Motte Fouqué: Die Frau des Falkensteins. Ein Roman. Bdchen. 1–2, Band 2, Berlin: Julius Eduard Hitzig, 1810.

 

Die Paginierung obiger Ausgaben wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

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Erstes Bändchen

Zueignung

Mit der Bescheidenheit gesenkter Wimper

Tritt vor die hohe, königliche Herrin

Die Frau des Falkensteins verlegen hin.

Sie fühlt sich ihr genaht durch das Geschlecht,

Das zarte, weibliche, dem sie gehört;

Genaht ihr, weil auch sie den Namen trägt,

Den unsre Königin ihn führend ehrt.

Doch ach, wie fern, wie fern in Allem sonst!

Mich Frau des Falkensteines traf der Himmel

Barmherzig, aber strafend, mit Gewittern,

Abbrennend mir des schwachen Herzens Schuld.

Und wenn auch um die schöne Königin

Gewitter einst sich hoben, Blitze zuckten,

So war es nur glorreiches Prüfungsfeuer,

Aus dem das Gold, vorher schon rein und klar,

Gleich rein und klar hervorgeht, unverwandelt.

Daher auch scheidet streng' sich meine Bahn

Von jenen seegensreichen, freud'gen Wegen,[3]

Zu denen trüb' mein Blick hinüberstreift.

Ich, aus des Unheils Gluthen kaum gerettet,

Trat still ergeben in die Klosterwelt

Der Abgeschiedenheit und der Entsagung;

Kein zartes Kind hat Mutter mich gegrüßt.

Der Herrin blüht nach finstrer Wetternacht

Ein Frühlingsmorgen wundersam hervor,

Als holde Kinder leuchten um sie her

Viel künft'ge Helden, rühmliche Regenten,

Und künft'ger edler Frau'n ein schöner Kreis.

O, reicher Seegen zeigt sich meinem Blick

In ferner Jahre labendem Gefild!

Was Deine Völker beten, hohe Kön'gin,

Dein Heil und Deines Stamm's, es wird erhört,

Denn Reinheit, frommer Muth und edle Huld,

Die in der Prüfungszeit Dich treu umwallten,

Sie bringen nun des gottgesandten Lohnes

Frischlaub'ge Kränz' aus Paradiesesland.[4]

 

Erstes Buch

Komm, ich bitte Dich, rief Mathilde, indem sie ein verhülltes Körbchen in die Höhe hielt. Wüßtest Du – Luise flog den Lindengang hinunter, in dessen Schatten die geliebte Mutter, durch kränkelndes Unvermögen gehalten, sie unruhig erwartete. Der Wind strich spielend durch die Zweige und hob das Tuch, ehe noch Luise jenes geheimnißreiche Körbchen ergreifen konnte. Ein reiches Stirnband blitzte ihr wie tausend Liebesblicke daraus entgegen. Geschenke von Julius, rief sie, und sank überrascht zu den Füßen der Mutter, die behaglich die hellen Steine zwischen den braunen Locken der Tochter spielen ließ. Luise küßte gerührt die schönen Hände, die so oft in lieber Ungeduld ihre Lippen streiften. Das schwindende Leben in Mathildens Zügen, ihr naher Tod und der bräutliche Schmuck, der so sichtlich auf die kommende Feier hindeutete, alle Freuden ihres jungen Lebens und der ernste Wechsel desselben, das ganze wunderbare Gewebe der Zukunft schien sich in den Steinen zu spiegeln, die sie[3] schnell wieder verbarg, indem sie bittend sagte: noch nicht, beste Mutter, noch nicht! und als habe sie das goldne Band gedrückt, so strich sie die Locken aus der Stirn und ließ sich anmuthig von den streifenden Lüften kühlen. Wie seltsam! sagte die Mutter, sie unruhig betrachtend, Du fragst nicht einmal, wie Dir die reichen Gaben kommen, und ob sie nicht irgend ein geliebtes Wort begleitet? So, – fiel Luise zerstreut ein: hat er geschrieben? Ja lies nur, du unstätes Kind, erwiederte Mathilde, indem sie ihr ein offnes Blatt hinreichte. Luise ward bei dem Anblick der festen, sichren Schriftzüge, die ihr den gehaltnen Sinn des ernsten Mannes so klar aussprachen, plötzlich gesammelt, und eine innre Ängstlichkeit kaum beachtend, gab sie sich gern dem Dank und der Rührung hin, die folgende Worte in ihr erregten.

»Ihre Hand, geliebte Mutter, möge meine Luise mit dem Schönsten zieren, was ich für sie auffinden konnte. Sah ich doch immer mit Entzücken, wie sich das mütterliche Auge in dem Glanz des aufblühenden Kindes belebte, und wie jedes Gefühl durch diese heilige Liebe erhöht wird. Darum lege ich auch heute all mein Wünschen und Hoffen einzig an Ihr Herz, und bitte Sie, es so erfreulicher vor Luise hintreten zu lassen.[4]

Liebe Mutter, mich quält so oft der Gedanke, daß ich überall nicht fähig sei, ein weibliches Gemüth zu beglücken, am wenigsten ein solches, das sich im zartesten Liebeshauch erschloß.

Der schwerfällige Ernst unsrer Altväter, der auf mir und meinen düstren Umgebungen ruht, und den die Gluth meiner italienischen Mutter nur im Innern, wie eine zuckende Flamme, durchbricht, läßt mich so wortarm, so schroff, wo ich voll Liebe die Menschen an meine Brust drücken und das tiefste innerste Leben ausweinen möchte! Oft ist es grade das Gefühl dieser äußren Starrheit, was meine Zunge lähmt und mich in wildem Unmuth über die Welt und mich selbst hinaustreibt. Und wie ich dann so einsam hier im dunklen Harzwalde auf mich und den uralten Sitz meiner Ahnen blicke, und es inne werde, daß so wenig modische Macht dem alten Falkenstein ein heitres Ansehn geben konnten, auch mich Jahre langes Reisen und ein bewegliches Leben unter fremdem Himmel unverändert ließen, so denke ich zagend an die lachende Luise und den seltsamen Willen des Schicksals, das uns beide verband.

Sie sehen, der wunderliche Knabe blickt noch überall hindurch, der einst Musik und Kerzenschein verschmähend, ruhig in der nahen Klosterkirche, unter dem steinernen Bilde seiner Ahnfrau schlief,[5] bis Sie und die bunte Schaar der Gäste ihn dort erweckten. Aber es soll nun alles anders werden. Ich eile zu Ihnen und führe Sie und Luisen hieher. Gewiß, Sie dürfen mir keinen Augenblick länger fehlen. Sie allein verstanden mich immer. Ihre milde Güte söhnte mich zuerst mit mir selbst aus und öffnete mir die seligste Zukunft. – Ach ich erschrecke, wie ich das Wort schreibe! – Wer kennt ihre verborgne Tiefen! und wem hat sie nicht mit neckenden Zauberkünsten gelogen! Schelten Sie nicht über den ewig wiederkehrenden Trübsinn. Mir wird so wehmüthig wie ich von Ihnen scheide. Schon gestern ließ ich das Blatt unvollendet, und lief hinaus in den Wald, mich selbst und meine Träumereien zu vergessen. Ich traf hier zufällig den Mönch, dem ich schon mehreremale begegnete, ohne gleichwohl je ein Wort mit ihm zu wechseln. Diesmal begrüßte er mich auf eine feine, sittige Weise. Seine Stimme hat eine Weichheit, die die schärfsten Töne verschmilzt und unsrer Sprache etwas Fremdes, unendlich Anmuthiges leiht. Ich gesellte mich gern zu ihm. Wir sprachen bald vertraulicher, und mein Herz, das sich selten verschließt, lag in der heimlichen, stillen Sommernacht offen vor ihm da. Er sprach mit leutseligem Ernst über das trübe Versinken jugendlicher Gemüther, und warnte mich vor jener[6] zagenden Unthätigkeit, die so oft die besten Kräfte untergrabe. Zwar, setzte er lächelnd hinzu, sei dies eine Klippe, an welcher nur Wenige scheitern, da die meisten Menschen durch freches Eingreifen ihr Leben verwirrten. Überall sprach eine große Kenntniß der Welt aus seinen Worten, deren Andenken ihn wohl oft wehmüthig bewegen mag. Wir schieden endlich mit dem Versprechen, uns öfter zu begegnen, was mir einen neuen Zuwachs von Freuden verheißt.

Mein alter Georg drängt mich, zu schließen, er will Ihnen selbst diese Zeilen und das Geschmeide überbringen. Leben Sie denn wohl, meine gütige, liebe Mutter! In wenig Tagen bin ich bei Ihnen, um endlich an Luisens Seite ein freudigeres Dasein kennen zu lernen. Mit tiefer Rührung schließe ich Sie Beide an mein Herz.

Der Ihrige,

Julius von Falkenstein

 

Der arme, gute Mensch, sagte Luise, indem sie den Brief gedankenvoll zusammenfaltete. Ist denn, fuhr sie nach einer Weile fort, das alte Schloß wirklich so öde und düster, wie es ihm erscheint? Es sieht fremd und sehr erhaben aus einer verschollnen Zeit hervor, sagte Mathilde, und scheint mit seinen gewaltigen Mauern und Gewölben des[7] kindischen Flitters zu spotten, den Julius Mutter erfindrisch verbreitete, um die Riesengestaltung der Vorzeit zu vergessen. Sie konnte sich nie recht mit der freundlichen Stille dieser Gegend vertragen, am wenigsten aber mit ihrem Wohnsitz und dessen Umgebungen. Was war es doch eigentlich mit ihr? fragte Luise, ich entsinne mich, sie in einem hellen Kleide und vielen Blumen gesehen zu haben. Sie erzählte Julius und mir wunderliche Mährchen, worin etwas von einem Salamander vorkam, und dabei leuchteten ihre großen, dunklen Augen so hell, daß ich die Meinigen gar nicht wieder abwenden konnte. Seitdem sah ich sie niemals wieder, aber das Bild ist mir für mein ganzes Leben geblieben. Sie starb bald darauf, sagte Mathilde, durch eine eigne Vorstellung geängstet, die sie ins Grab zog. Ich habe mir niemals einen rechten Begriff von einer so ungleichen Gemüthsart, als die ihrige, machen können, da mein Leben stets sehr einfach blieb und nur durch fremde Stürme getrübt ward; noch weniger konnte ich die phantastische fast wilde Fröhlichkeit mit dem Trübsinn vereinen, der ihr zu Zeiten wie ein fremder Geist inwohnte und ihrem Wesen eine Einförmigkeit lieh, die jeden ermüdete. Und dennoch so durch Sitte und Gemüth als Vaterland und Sprache von einander geschieden, verband uns in der Ferne ein unglückseliges Verhältniß,[8] das meinem Herzen die erste Wunde schlug. Hier schwieg Mathilde und ließ in Luisen das lebendigste Verlangen, mehr von einer Begebenheit zu erfahren, die ganz dunkel aus den frühesten Erinnerungen hervorsah. Das Andenken der schönen Viola, wie sie ihre Mutter sonst wohl mit Rührung nannte, hatte immer einen eignen Zauber über sie ausgeübt, und ohnerachtet sie nur in flüchtigen Hindeutungen von ihr hörte, so setzte sich dennoch der kindische Sinn ein Bild zusammen, das noch jetzt sehr reizend in ihrer Phantasie fortlebte. Ich weiß, sagte sie, in der Hoffnung mehr zu erfahren, die Gräfin Falkenstein trug früher den Schleier, den sie bald darauf willig zerriß, um dem Grafen nach Deutschland zu folgen, allein der eigentliche Zusammenhang des Ganzen ist mir fremd geblieben. Liebes Kind, hub die Mutter nach einer Weile an, man soll die Vergangenheit nie absichtlich aufdecken. Was ihr Schoos verbirgt, das ruhe, bis im Laufe der Zeiten die junge That unwillkührlich auf ihren frühern Ursprung zurückweist. Das Verborgene tritt so ungerufen allmählig ans Licht, und verliert im Zusammenhang des Ganzen das Fremde, was den gewagten Rückblick in die Tiefe oft schwindelnd zurückstoßt. Allein wie Julius Brief längst verklungene Saiten in mir anschlägt, so geht auch der Ton in Deine Seele über[9] und könnte Dich verwirren, wenn ich nicht dreist fortgriffe, um den reinen Akkord wieder aufzusuchen. Aber laß uns hinunter an den See gehn, die Sonne neigt sich so groß und herrlich in die Fluth! Sieh wie der Harz in seiner bläulichen Hülle feierlich dasteht, als wolle er ihr ein langes Lebewohl sagen. Es ist wohl schön, daß sich so oft am Abend die aufgeregte Natur sänftigt! alles wird stiller, die Luftzüge wehen wie lange, heilige Seufzer, und ganz zuletzt reißen die Nebel und glänzen in tausend wehmüthigen Thränen auf der Erde! Sie setzten sich an das Ufer; den Blick nach dem Harz gewandt, fuhr Mathilde fort: das dunkle Gebürge, das dort wie eine Wolke vor uns aufsteigt, scheint mir in diesem Augenblick die ganze Welt zu umfassen, wie es denn auch wirklich alle Bilder meines Lebens umfängt, die allesammt wie ein Punkt in der hereinbrechenden Nacht verschwinden. Es fließt schon so manches ineinander, was ich nicht mehr deutlich erkenne; nur der frische Duft einer ungetrübten Jugend durchdringt mich jetzt wie ehemals und läßt mich mit Wehmuth auf die spätere Störungen blicken.

Ich erzählte Dir wohl früher von einem geliebten Bruder, den die Lust an den Waffen in fremde Dienste, fernhin nach Italien zog. Es war wenige Tage nachdem ich mich Deinem Vater verlobte,[10] als das Schicksal so über ihn entschied. Meine junge Seele kämpfte zum erstenmal gegen die eigenen Wünsche und das Verlangen meines Bruders, der von je mein ganzes Herz besaß und mir den Verlust einer früh beweinten Mutter allein ersetzte, da mein Vater, in Geschäften versunken, wenig auf mich achtete. Ich hatte indeß nicht den Muth, meinen Schmerz zu äußern, da Eduards laute Freude jedes andre Gefühl überhörte. Ich ging daher bang und verschlossen neben ihm hin, bis endlich am Abend vor unsrer Trennung, als wir allein in seinem aufgeräumten Zimmer standen, und die öden Wände seinen Namen, den er lachend ausrief, dumpf erschallen ließen, sein Herz brach, und er weinend in meine Arme sank. Es war, als rühre ihn die Zukunft warnend an, er blickte zagend um sich her, und wiederholte mehremale: liebe, liebe Mathilde, ich verliere Dich nicht, Du bleibst mir gewiß, Deine treue Liebe begleitet mich unter fremden Himmel und findet unverändert ein deutsches Herz in meiner Brust! Ich konnte nicht sprechen. Seine Thränen lösten den lang verhaltnen Schmerz unwiderstehlich auf, ich glaubte in seinen Armen zu vergehen. Bald darauf riß er sich von mir los und eilte seiner Bestimmung entgegen. Dein Vater führte mich mit schonender Güte hieher. Allein ich konnte mich an nichts erfreuen,[11] bis ich endlich nach mehrern Monaten einen Brief aus Neapel erhielt. Ich glaubte Anfangs, Worte einer fremden Welt zu lesen. Eduard wogte in dem frischen Strom eines neuen Lebens. Die reiche Natur rauschte wirbelnd durch sein Innres. Alle Worte klangen wie abgerißne Töne, die in innrer Gluth erzitternd, Violas Nahmen heraufbeschworen. Er hatte sie gesehn und ihre Gunst ohne Wissen der Eltern gewonnen. Der lockende Zauber verborgner Seligkeit riß ihn fort, er verlor sich im üppigsten Taumel. Ich konnte lange den Eindruck jener Worte nicht los werden, die unwillkührlich mein Gemüth erschütterten und einen trüben Schein auf die einfache Gestaltung meiner Umgebungen warfen. Traurig blickte ich hinauf zu dem wolkigen Himmel unsers Vaterlandes und maaß beklommen den langen, einförmigen Gang einer farblosen Zukunft. Nach und nach versöhnte ich mich indeß mit meinem Loose, das sich mir in der stillen Wirksamkeit eines thätigen Lebens allmählig freundlicher erschloß. Eduard schrieb jetzt seltner. Sein Glück ward häufig durch äußre Stöhrungen getrübt. Viola sollte die Hand eines reichen Deutschen, den er gleichwohl nicht nannte, nach dem Willen ihrer Eltern annehmen. Ihr standhaftes Weigern erregte Argwohn und setzte sie harten Verfolgungen aus. Nach langem, ängstigendem[12] Schweigen meldete er mir endlich aus Venedig, alles sei entdeckt, Viola habe den Schleier genommen, und er irre, verfolgt, halb sinnlos vor Schmerz, umher, ohne zu wissen, wohin er seine Schritte lenken sollte. Ich bat ihn dringend, zu mir zurückzukehren; allein meine Briefe blieben unbeantwortet, wie späterhin alle Nachforschungen fruchtlos. Ich sah mit wachsender Angst, bei jedem wiederholten Versuche, Nachricht von ihm einzuziehen, der Gewißheit seines Todes entgegen, und ich versank zuletzt in jene dumpfe Muthlosigkeit, an welcher alle Freuden des Lebens unbemerkt vorübergehn. Eines Abends saß ich einsam in meinem Zimmer und überschaute mein freudloses Dasein, als sich die Thür öffnete, und Dein Vater mit einer verschleierten Dame hereintrat, welcher ein Mann von hohem Ansehn und ausgezeichneter Kleidung folgte. Der Graf und die Gräfin Falkenstein, sagte er, mit sichtlicher Freude, die kürzlich aus Italien zurückkehrten. Aus Italien! rief ich, von tausend Ahndungen durchbebt, und eilte der Gräfin entgegen. Sie warf den Schleier zurück, und indem sie sich mit vieler Anmuth zu mir neigte, überzog eine flüchtige Röthe ihr etwas bleiches Gesicht, dessen bewegliche Züge keinen bleibenden Eindruck gestatteten. Aus Italien! wiederholte ich mit bangem Zagen, haben Sie – –[13] Der Graf trat hier zu mir, und entschuldigte auf eine feine Weise sein unerwartetes Erscheinen mit der unveränderten Anhänglichkeit an meinem Gemahl, für dessen Jugendfreund er sich erklärte, und von welchem, wie er verbindlich hinzusetzte, ihn nur widerstrebend ein vieljähriger Gesandschaftsposten habe entfernen können. Ich sah mich in ein gleichgültiges Gespräch verwickelt, während die dringendste Frage auf meinen Lippen schwebte. Die Gräfin maß mich mit ihren großen vielsagenden Augen, und sagte hinterher, in gebrochnem Deutsch, mit der lieblichsten Stimme, ein schmeichelndes Wort. So hielten mich beide gefangen, und ich verzweifelte fast, irgend etwas Näheres zu erfahren, da des Grafen wortreiche Höflichkeit mich immer mehr in mich selbst zurückdrängte, als dieser hinzusetzte, er habe nicht gehofft, seiner Viola so bald eine Freundinn zuzuführen, da er erst seit wenigen Stunden von der Heirath seines Freundes unterrichtet sei. Dieser Nahme überflog jede anderweitige Rücksicht. Ich bitte Sie, rief ich, ihn unterbrechend, kannten Sie in Neapel eine Viola, welche den Schleier nahm, die mein Bruder Eduard von Mansfeld – Viola lag schon längst zu meinen Füßen, drückte meine Knie an ihre Brust und rief unter lautem Weinen: ich – ich – die arme Viola. – Mit stummer Verwunderung blickte ich[14] auf sie und den Grafen, der, eine kleine Verlegenheit verbergend, sich von mir abwandte; indeß bald darauf mit beispielloser Ruhe sagte: hätte ich ahnden können, wie nahe jene Begebenheit Sie angeht, ich würde Sie ohnfehlbar vorbereitet haben, denn ich hasse sicher nichts so sehr als Erschütterungen, die den gebildeten Menschen aus dem schicklichen Gleichgewicht reißen. Jetzt ist indeß die Entdeckung gemacht, und ich zweifle nicht, wir Alle gewinnen bald die Fassung wieder, die wir dem äußren Anstand schuldig sind. Die Gräfin lag wie zerschmettert am Boden, und schien auf nichts zu achten. Ich fuhr aufs neue wie ein Blitz durch den ruhigen Gang seiner Rede, indem ich dringend nach meinem Bruder fragte. Verzeihen Sie, erwiederte er gütig, wenn ich dieser Frage nicht früher zuvorkam, ich glaubte Sie besser unterrichtet. Herr von Mansfeld ist wohl, und in diesem Augenblick auf einem Schiff, das nach Constantinopel unter Segel ging. Um jede verletzende Erklärung, fuhr er fort, schnell zu beendigen, sage ich Ihnen noch, daß Viola zwischen mir und dem Schleier zu wählen hatte, daß ein kurzer Aufenthalt im Kloster, der Anfang des Probejahrs, sie auf immer mit einer so düstern, ihrem Gemüth wenig angemessenen, Zukunft entzweite, und sie es vorzog, eine fremde Blume, in deutschen Wäldern[15] zu glänzen, als zwischen hohen Mauern zu verschmachten. – Lassen wir jetzt, setzte er lächelnd hinzu, die kleine Wolke vorüberziehn, glauben Sie mir, der heitre italienische Himmel durchbricht diese Nebelstreifen leicht! Ich blickte auf die schone Frau, der ich um so weniger feind sein konnte, da sie durch ihr unstätes Betragen jeden Einfluß auf das künftige Schicksal meines Bruders verloren hatte. Diese Sicherheit und die Freude, ihn wohl und kräftig neuen Unternehmungen entgegen eilen zu sehen, setzte mich schnell über die augenblickliche Störung hinaus. Ich wandte mich versöhnt zu Viola, die sich willig an mir aufrichtete und in ein andres Zimmer führen ließ. Es gelang mir bald (indem ich sie französisch anredete) ihr Vertrauen ohne Rückhalt zu gewinnen. Sie klagte sich selbst mit vernichtender Reue an, und beweinte in ihrer dunklen Zukunft alle verlorne Freuden der Liebe. Allein während die glühendste Phantasie sie immer weiter und weiter fortriß, schuf sie sich selbst die besten Trostgründe, und endete damit, ein behagliches Licht auf ein Leben zu werfen, in welchem, wie in ihrem Ideengange, Eines ganz natürlich aus dem Andren zu entspringen schien. Ich kannte die Fertigkeit wenig, Ursach und Wirkung so geschickt zu folgern, daß alles gerade und eben dasteht, während der eigentliche Grund der Handlung[16] in den innren Tiefen des Gemüths verschüttet wird. Daher blieb ich in dem künstlichen Netze gefangen, und schwieg, wie es mir nachher oft geschah, ohne gleichwohl eine innre Unbehaglichkeit los werden zu können. Mit unwiderstehlicher Anmuth schmiegte sie sich darauf an meine Brust, und bat mich, sie nicht auf dem einsamen Wege zu verlassen, den ihr jetzt des Grafen kaltes Herz vorzeichne. Ich habe niemals dem Zauber ihrer Worte und Mienen widerstehen können, und wie bei ihr bestechende Erinnrungen die Ungleichheit unsrer Gemüther ausglichen, so hielt mich der glänzendste Farbenschmuck einer glühend weiblichen Natur an sie gefesselt. Ich sicherte ihr eine Freundschaft zu, die durch lange Jahre unerschüttert blieb. Als wir bald nachher zu den Herren zurückkehrten, fanden wir sie im Gespräch vertieft über italienische Weine, und die Möglichkeit, ähnliche Sorten auf unsern kalten Boden fortzupflanzen. Ich mußte aufs neue über die gemeßne Haltung des Grafen staunen, die Violas Leichtigkeit, in jeden Gegenstand der Unterhaltung einzugehn, nichts nachgab. Ich gerieth in Verlegenheit, die ganze Begebenheit für einen Traum zu halten, da auch die leiseste Erinnrung daran verwischt schien, und wirklich ist nie wieder öffentlich die Rede davon gewesen, ob wir gleich von da an fast unzertrennlich verbunden[17] blieben. Ich brachte nach diesem Tage die meiste Zeit auf dem Falkenstein zu, wo die Gräfin bald ein neues Leben verbreitete, das fast spottend an dem alten Geist dieser Mauern vorüberzog. Der Graf sonnte sich im Glanz seines Hauses, und sah es gern, daß Viola den rauhen Einflüssen des Klimas wie dem farblosen Einerlei geselliger Unterhaltung zu Hülfe kam, wobei Kunst und Sitte sie immer auf der Bahn des Schicklichen erhielten. Allein ohnerachtet dieser stets erneueten Anregungen, versank sie dennoch augenblicklich in eine Abspannung und ein Mißbehagen, das sich nicht selten mit zerreißender Heftigkeit in bittern Thränen auflöste. Mir schien es oft, als ruhe irgend etwas in ihrer Brust, das sie drücke, ohne es gleichwohl kund geben zu wollen: weshalb ich auch niemals in sie drang. Zu diesen innren Störungen kam noch die gänzliche Unwissenheit, in der wir über Eduards Schicksal lebten. Ich hatte mich vergebens an den Gesandten in Constantinopel gewandt, und der Graf, der uns vielleicht allein behülflich sein konnte, verscheuchte jedes Vertrauen dieser Art. Unter so streitenden Einflüssen ward Julius geboren. Viola hatte sich eine Tochter gewünscht, und war mehr über das Dasein des Kindes gerührt, als erfreut. Oft sah ich ihre Blicke schmerzlich auf den seinen ruhen und Erinnrungen einer[18] Zeit erwachen, wo Glück und Liebe Hand in Hand gingen. Als Du mir einige Jahre darauf, nachdem ich lange kinderlos blieb, vom Himmel geschenkt wardst, beschloß die Gräfin sogleich eure Verbindung. Dieser Gedanke beschäftigte sie angenehm und ließ sie den Verlust eigner Glückseligkeit weniger empfinden. Wie sie alles an sich zog, was sie gewinnen wollte, so hingst auch Du mit solcher Liebe an ihr, daß Du nie von ihrem Arm fortzulocken warst, und jener Augenblick, der noch in Deiner Erinnrung lebt, war einer von den vielen, wo sie Deine Aufmerksamkeit durch Gesang und Erzählung fesselte, ohnerachtet noch kein festes Bild in dir haften konnte. So verfloß uns die Zeit in Hoffnung und Glauben an eine heitre Zukunft unsrer Kinder, als ich bei der Gräfin ein trübes Nachdenken wahrnahm, das sie häufig von allem Äußern abzog. Sie verschloß sich Stundenlang in ihr Kabinet und ging öfter als gewöhnlich zur Messe ins benachbarte Kloster. Einst begleiteten ihr Gemahl und ich sie dorthin. Auf dem Wege sprachen wir über die seltsame Lage des Gebäudes, das in sumpfigem Grunde, von Klippen umgeben, recht wider Gewohnheit der Klöster, öde dasteht. Darüber, sagte der Graf, giebt die Geschichte meines Hauses völligen Aufschluß, und wenn auch der dumpfe Glaube meines Ahnherrn manches[19] Wunderbare hinzusetzte, so liegt doch eine zuverlässige Wahrheit zum Grunde. Wir drangen in ihn, uns das Nähere mitzutheilen. Frauen, erwiederte er lächelnd, lieben alles, was sie aus dem eintönigen Gange ihrer Bestimmung hinauszieht, und staunen mit offnen Sinnen an, was diese beweglichen Sinne ungewohnt anregt, vorzüglich hat Sie, liebe Mathilde, ihr abgeschloßnes Leben noch begieriger auf dergleichen gemacht, und darum hören Sie nur.

Vor mehrern hundert Jahren herrschte eine Frau von Falkenstein über diese Gegend, die, wie die Sage erzählt, in geheimer Verbindung mit den Geistern des Waldes stand. Durch diese wußte sie, daß ihre Söhne einander nach dem Leben trachten und Unheil über ihr Geschlecht bringen würden. Sie beschloß daher, zu Gunsten des Einen den Andern bald nach seiner Geburt aufzuopfern, und ließ ihn zwischen diesen Klippen, die damals ein reißender Bach durchzog, aussetzen. Der Ältere wuchs nun ungestört heran, ward tapfer und fromm, weshalb er auch eine Reise nach dem heiligen Lande unternahm. Die Mutter verwaltete während dem die Geschäfte, und erwartete ungeduldig seine Rückkehr; allein nach zwei langen Jahren kamen seine Begleiter ohne ihn zurück und meldeten seinen Tod. Die Frau vom Falkenstein sah nun alle ihre Erwartungen vereitelt, entzweite[20] sich mit der Welt und ihren verbündeten Geistern und beschloß keinen Fuß aus ihrer Burg zu setzen, weshalb auch nach und nach Sand und Steine die Zugänge bedeckten. Da trat einst ein Bettler in ihren Hof, und bat sie dringend um die Erlaubniß, den Schutt von ihrer Schwelle wegräumen zu dürfen. Sie gestattete das, ohne sich um die Ursach einer so seltsamen Bitte zu bekümmern. Nicht lange darauf kam der Bettler voller Freuden zu ihr hin, zeigte ein breites, schönes Schwerdt, das er unter dem Schutte gefunden hatte und welches er für das seine erklärte, wobei er eilend hinzusetzte, daß er, in der Wildniß aufgewachsen, endlich in eine Schmiede gerathen sei und dies Gewerbe mit Lust gelernt und getrieben habe. Nun sei vor kurzem ein kleiner, grauer Mann auf einem weißlichen Pferde gekommen, welches er habe beschlagen lassen. Während der Arbeit habe er ihm einen goldnen Siegelring gegeben und gesagt: er solle das dazu gehörige Schwerdt, welches am Knopf ein ähnliches Zeichen führe, sorgfältig unter Trümmern und Steinen alter Vesten suchen, und müsse er auch Jahrelang als Bettler umherwandern; beides gehöre seinem Vater, und werde ihm zu hohen Ehren bringen. Die beglückte Mutter erkannte sogleich die Waffen ihres Gemahls, und den Bettler für den einst freventlich geopferten[21] Sohn, den sie unter besonderm Schutz der Geister wähnte und ihn mit erhöhtem Glauben in seine Würden einsetzte. Sie beschloß sogleich, hier am Rande des Baches eine Kapelle zu erbauen, und ging oft mit ihrem Sohn dahin, der Arbeit zuzusehen. Da kam eines Tages derselbe kleine Mann im Gefolge eines schwarzen Ritters auf sie zu, indem er neckend sagte, jetzt sei es Zeit, das gefundne Schwerdt zu brauchen, worauf er sich schnell wieder zwischen den Klippen verlor. Der schwarze Ritter aber rief der erschrocknen Frau zu, warum sie es dulde, daß ein Fremdling in seinem Eigenthum herrsche, und ob sie so seine Rückkehr zu feiern gedächte? Ohne eine Erklärung zu erwarten, fielen sich nun die Brüder in wildem Grimm an und stürzten bald darauf sterbend nieder. Der Bach stockte den Augenblick, nur die Erde blieb feucht von dem Blute der Erschlagnen.

Der Graf lachte hier laut über mein ängstliches Aussehen, da ich wirklich unwillkührlich zusammen fuhr, wie wir über den nassen schlüpfrigen Boden hingingen. Das Abentheuerliche der Geschichte abgerechnet, fuhr er fort, ist es wahr, daß sich hier zwei Brüder erschlugen, und daß die Mutter auf derselben Stelle das Kloster errichten ließ, weshalb ihr steinernes Bild noch darin aufbewahrt ist. Jesus! rief Viola, und ich sah sie bleich und zitternd[22] an des Grafen Brust sinken. – Mein Gemüth war so ergriffen von den eben empfangenen Eindrücken, daß ich überall ähnliche Schrecken sah und ganz trostlos rief: sie stirbt, sie stirbt! Der Graf, durch nichts erschüttert, trug Viola zu einer Anhöhe, die eine freie Aussicht in das Feld eröffnete, aus welchem uns die Luft rein und erfrischend entgegen wehete. Hier erholte sich die Gräfin bald genug, um über einen Zufall zu lächeln, der, wie sie sagte, leicht hätte glauben lassen, jene mährchenhafte Sage könne solche Gewalt über sie ausüben. Ich war nicht einen Augenblick im Irrthum hierüber, erwiederte der Graf; allein unsre Freundin, die alles zu ernst und wichtig für das wirkliche Leben nimmt, sah Dich schon von den feindlichen Geistern der Falkensteine gefangen. Wir scherzten bald alle über die Begebenheit, und als wir bei unsrer Rückkehr Besuch aus der Nachbarschaft antrafen, überließ sich Viola der allerheitersten Laune, die sich immer mehr steigernd, zuletzt alles wie im Rausche fortriß. Ich war daher sehr überrascht, als sie in der Nacht ernst und mit sichtlicher Anstrengung vor mein Bett trat. Erschrick nicht, liebe Mathilde, sagte sie leise, ich habe mit Dir zu reden, und Du mußt besonnen sein, um mich anhören zu können. Sie zündete darauf mehrere Lichte an, und vertheilte sie so, daß das ganze[23] Zimmer hell erleuchtet war, dann setzte sie sich zu mir, und, indem sie den Kopf fest in meine Kissen verbarg, sagte sie: ich bin thörigt genug gewesen, eine Unruhe übertäuben zu wollen, die schon längst an mir nagt und gestern stechend hervorgerufen ward. Es ist vergebens, ich bin erschöpft und kann den peinlichsten Vorstellungen nicht länger widerstehn, die nun mit doppelter Gewalt über mich herfallen. Sie schwieg einen Augenblick und überließ mich einer unbestimmten, fast scheuen Begier, mehr zu erfahren. Schon vor mehrern Monaten, hub sie nach einer Weile an, während ich, über sie gebeugt, mit gespannten Mienen meine Blicke auf sie heftete, schon vor mehrern Monaten träumte mir, ich höre in der Klosterkirche die Messe, und wolle nun den Rückweg antreten. Es war, als sei der Graf mit mir, denn ich sah mich wiederholt nach jemand um, der zu mir gehörte und in der Kirche zurückblieb, weshalb ich auch den rechten Ausgang verfehlte. Ich stieg mehrere Stufen hinunter und lief lange in den dunklen Gängen umher, wobei ich eine entsetzliche Angst vor dem Fallen hatte. Endlich kam ich wieder in die Kirche zurück. Es war Niemand mehr darin, die Kerzen waren ausgelöscht und alle Zugänge verschlossen. In der bittren Noth schrie ich laut um Hülfe; da bewegte sich das große steinerne Bild der Ahnfrau[24] und schritt auf mich zu. Ich wollte fliehen; allein sie faßte mich, und als ich recht hinsehen mußte, erblickte ich zwei wunderschöne Knaben an ihrer Hand, wovon der eine, wie eben geschoßnes Wild, stark an der rechten Seite blutete. In dem Augenblick öffnete sich die Pforte, mir war, als hörte ich eine bekannte Stimme, und ich stürzte mit dem blutenden Knaben heraus. Der Traum ließ einen Eindruck zurück, den die Gewißheit, aufs neue Mutter zu werden, mit jedem Tage schärfte. Du kannst nun begreifen, wie mich die Erzählung des Grafen, die mir erst den rechten Aufschluß gab, erschüttern mußte. Liebe Viola, sagte ich fast so bewegt als sie, Dein Zustand führt ganz naturlich schwere Träume und düstre Vorstellungen mit sich. Das darf Dich weiter nicht befremden, laß sie nur nicht so unbeschränkt über Dich herrschen, Du wirst das alles sicher in Kurzem leichter ansehn, und die Erste sein, die darüber lacht. Viola blieb indeß still und sinnend. Von da an konnte sie nichts zerstreuen, und ich weiß nicht, ob es ein Glück zu nennen ist, daß sie, durch innre Qualen zerstört und aufgerieben, vor ihrer Niederkunft an einem Nervenfieber starb.

O gewiß, gewiß, fiel Luise schnell ein, denn so etwas, das unaufhörlich im Innern drückt und nagt, ist zehnfacher Tod. Das kennst Du doch wohl schwerlich aus Erfahrung, sagte die Mutter. Nein,[25] erwiederte Luise; allein schon der bloße Gedanke daran hat so etwas Peinliches für mich, daß ich ihn nicht lange festhalten mag.

Mathilde bemerkte, daß es kühl werde, und ließ sich nach Hause führen. Hier begrüßte sie der alte Georg mit der herzlichen Theilnahme, die er für alles empfand, was seinem Herrn theuer war. Luise freuete sich, jemand zu sehen, der Viola gekannt und lange Zeit auf dem Falkenstein gelebt hatte, da ihre Phantasie kein andres Bild festhalten konnte und unaufhörlich in jenen Kreisen umherschweifte. Allein Georg blieb hierüber sehr einsilbig. Die Gräfin hatte nie in seine einfache Art und Weise gepaßt und er fand an manchem Ärgerniß, was den Sitten seines Landes fremd war. Luise schalt den guten Alten herzlos, und rief sich selbst jeden interessanten Moment aus Mathildens Erzählung herauf.

Sie starb also, sagte sie am Abend zu ihrer Mutter, ohne Eduard wiederzusehn? Erfüllte er denn nicht noch in den letzten Augenblicken ihre ganze Seele? Ich habe Dir gesagt, erwiederte Mathilde, daß die Gräfin zuletzt nur einen Gedanken festhielt, der alle Erinnerungen erstickte. Mein Bruder war längst für sie, wie für mich, verloren, da wir wohl Beide nicht länger an seinen Tod zweifeln konnten, seit der Graf einst unaufgefordert[26] von ihm sprach, und versicherte, keine Nachforschungen gespart zu haben, ohne gleichwohl etwas Beruhigendes zu erfahren. Ihn hatten wohl früher die Wellen begraben und alle Gluth seines kranken Herzens gestillt!

Mathilde öffnete, während sie sprach, ein elfenbeinernes Kästchen, das sonst immer verschlossen auf ihrem Schreibtisch stand und von jeher Luisens Aufmerksamkeit erregte. Wohl tausendmal hatte diese mit einer Nadel an dem feinen Schlößchen gedreht, und erwartet, es solle aufspringen und ihr die verdeckte Herrlichkeit zeigen. Heute geschah nun ganz von selbst, was sie so lange wünschte: der Deckel sprang auf und Mathilde zog unter einem Packet Papieren eine goldne Kapsel hervor, die Eduards und Violas Bildniß enthielt. Luise betrachtete wehmüthig die edlen Züge, die in Glück und Freude erblüht, in eine Zukunft voll Schmerz und unerfüllten Hoffnungen hinaussahen. Viola war einfach, dennoch der herrschenden Mode zuwider, phantastisch gekleidet; farbiger Stoff wand sich vielfach, wie ein Turban, um ihr dunkles Haar und ein hellblauer Mantel hing nachlässig über der rechten Schulter. Beides gab ihr ein fremdes Ansehn, das Luisen besonders wohlgefiel. Die großen, wunderbaren Augen und das feine Lächeln um den schön geschweiften Mund, wurden ohnehin durch[27] den orientalischen Kopfputz noch mehr herausgehoben. Eduard trug eine rothe Uniform, die unmittelbar in die heutige Zeit versetzte. Schöne Züge im reinsten Verhältniß, ein frisches, festes Ansehen und blondes Haar zeigten den Norddeutschen unverkennbar an.

Als Luise die Kapsel wieder zu den Papieren legte, bemerkte sie, daß diese von einer breiten Flechte der schönsten schwarzen Haare zusammengehalten wurden, während ein kleines Siegel, gleichsam zum Wahrzeichen, darüber hing. Dies Packet, sagte Mathilde, ihren Blicken folgend, fand ich nach dem Tode der Gräfin in einem verborgenen Fach ihres Schreibetisches. Da es versiegelt war, durfte ich es nicht eröffnen, und aus andren Rücksichten mochte ich es nicht verbrennen. Viola hatte eine Freundin in Neapel zurückgelassen, die früher ihre Vertraute war und von der sie öfters Briefe empfing, die sie jedesmal sehr bewegten. Wahrscheinlich sind dies jene Briefe, deren sorgfältiges Aufbewahren von einer innren Wichtigkeit zeugt. Ich erwartete lange, daß man sie zurückfodern würde, da ich ohne hinlängliche Gewißheit sie unmöglich fremden Händen zuschicken konnte. So sind sie denn bis hieher unversehrt in dem Kästchen geblieben; jetzt möge Julius darüber entscheiden, dem ich sie nächstens zu übergeben gedenke. Könnten es[28] nicht Briefe von Eduard sein? fragte Luise. Nein, erwiederte Mathilde, das Kästchen verschließend; ein flüchtiger Blick auf die Handschrift hat mich vom Gegentheil überzeugt.

Beide schwiegen eine Zeitlang, in eignen Gedanken verloren. Liebes Kind, hub Mathilde nach einer Weile an, ich sah noch einmal in die Vergangenheit zurück und ließ jene Begebenheiten an Dir vorübergehn, um Dich von dem Glück zu überzeugen, das Deiner in einer Verbindung erwartet, die stille Anhänglichkeit in ungestörtem Fortschreiten gründete. Glaube mir, jene leidenschaftliche Wallungen, die den Sinn aus der Ferne durch ein scheinbar regsames Leben bestechen, welken die eigentliche Frische des Gemüths und geben ihm eine bloß kränkliche Heftigkeit, die aus Mangel an Kraft entspringt. So verwirrt sich der Mensch im Innren und findet niemals wieder das rechte Gleichgewicht. Deine Liebe zu Julius ist mit Dir aufgewachsen und hat sich mit allen andren Kräften Deiner Seele zugleich entwickelt. Ich ließ Dich den Weg ungehindert fortgehn, der Dich einer ruhigen Bestimmung zuführt. Nichts widersprach Deiner Neigung, und reizte sie, ihre Schranken zu überfliegen. Kein ungewöhnliches Ereigniß unterbrach den einfachen Gang Deines Lebens. Die Welt, mit allem was sie Täuschendes enthält, blieb[29] Dir fremd. Du trittst jetzt an der Hand des edelsten Mannes in einem Augenblick hinein, wo sehr ernste Pflichten Deine Aufmerksamkeit fodern. Wie sollte ich an Deinem Glück zweifeln, wie solltest Du je etwas Wünschenswertheres begehren können? Ich weiß nicht, warum mich dennoch Deine regsame Phantasie, die jedes neue Bild begierig auffaßt, warum mich Dein heftiges Gemüth, selbst in seinen edelsten Aufwallungen, ängstet. Du bist jetzt so oft gedankenvoll; ich sah Dich wohl früher die Hand nach Kleinigkeiten ausstrecken, um sie bald darauf gleichgültig zurückzuziehen. Dein Sinn schweift umher, auch jetzt – Du hörst mich nicht – Luise! – Liebe Mutter, erwiederte jene, ich denke an Julius, und wie es möglich ist, daß er seinen beiden Eltern so unähnlich ward. Möchtest Du ihn anders? fragte Mathilde ernst. Auch ist er ihnen, fuhr sie fort, nicht so unähnlich als Du denkst; ihre gänzlich widersprechende Naturen haben sich sehr glücklich in ihm verschmolzen, und was äußerlich schwer und trübe an ihm haftet, das hat ihm des Grafen absichtsvolle Erziehung gegeben, der, allen natürlichen Anlagen zuwider, einen schlauen Weltmann aus ihm bilden wollte, und eben dadurch den freimüthigen Knaben mißmüthig und unsicher machte. Wie es wohl auf dem Falkenstein aussehen mag? fragte Luise, durch neue Vorstellungen[30] abgezogen: hat die Zeit nicht allmählig alle Spuren von Violas Glanz verwischt? Ich weiß es nicht, erwiederte Mathilde, seit dem Tode Deines Vaters, der der Gräfin bald folgte, bin ich nicht dort gewesen. Allein sowohl der Graf, als neuerlich der Baron Veltheim, Julius Vormund, sollen alles wohl erhalten haben. Sie schwieg hier, durch Luisens stetes Abspringen verletzt, und beide trennten sich bald darauf, beklommen, und im Gefühl eines innern Mißverstehens, geängstet.

Als Luise am folgenden Morgen die Augen aufschlug, stand Mariane, die Kammerfrau ihrer Mutter, mit bekümmerten Mienen vor ihrem Bette, und schien den Augenblick ihres Erwachens erwartet zu haben. Ach, liebes Fräulein, hub sie sogleich an, die gnädige Frau hat die ganze Nacht hindurch gelitten und ist jetzt kränker als zuvor; Sie werden am besten bestimmen können, ob man den Arzt holen soll? Luise war an das stete Übelbefinden ihrer Mutter gewöhnt, und wußte, daß es nie gefährlich ward; allein jetzt traf diese Nachricht ihre vom Schlaf befangnen Sinne so unerwartet, daß sie lange wie betäubt vor sich hinsah, und nicht den Muth hatte, ihr dumpfes Gefühl zu befragen. Gleich, gleich, rief sie, halb träumend, Marianen zu, und schlich sich, von innrer Angst gelähmt, an Mathildens Thür. Hier war alles still; sie trat[31] leise hinein an das Bett der Kranken, die grünseidnen Vorhänge waren zugezogen, sie konnte nichts sehen, hörte indeß schnell und hohl athmen. Mit zitternder Hand theilte sie ein wenig die Gardine, und sah die geliebte Mutter mit zurückgebognem Kopf und halboffnen Augen im ängstigendsten Fieberschlaf daliegen. Luise beugte sich über sie hin und bemerkte mit Entsetzen ein innres Zucken der Nerven, das wie ein Blitz über das Gesicht hinfuhr. Zum erstenmal in ihrem Leben traten die Schrecken des Todes vor sie hin, zum erstenmal fühlte sie deutlich, daß das treueste, liebevollste Herz sich von dem ihren losreißen werde. Sie stürzte, halb bewußtlos, aus dem Zimmer und rief wiederholt: den Arzt, um Gotteswillen den Arzt. Man traf alle Anstalten; allein die nächste Stadt war über zwei Meilen. Der Doktor, oft verreist, kam erst am andern Morgen, nachdem Luise die Nacht unter den heftigsten Qualen an Mathildens Bett zugebracht hatte. Es war ein kleiner, wohlbeleibter Mann; voller Kenntniß, allein unaufhörlich mit sich selbst beschäftigt, so lange die dringendste Noth nicht seine ungetheilte Aufmerksamkeit forderte. Daher unterhielt er Luisen zuerst mit vielen Worten von seinem eignen Übelbefinden in den letztern Tagen, und trat ganz sorglos zu der Kranken, die, sich etwas ermunternd, voll[32] Theilnahme auf seine Klagen hörte. Luise hatte indeß die Vorhänge aufgezogen und bemühte sich, in des Doktors Zügen irgend ein entscheidendes Urtheil zu lesen. Dieser hielt Mathildens brennende Hand in der seinen, ward immer ernster, und sagte endlich, durch die ungeahndete Gefahr hingerissen: Mein Gott, der Puls intermittirt! Was heißt das? fragte die Kranke ruhig. Unregelmäßigkeit in der Cirkulation des Blutes, erwiederte er, sich fassend; ich hoffe, es hat nichts zu bedeuten. Er trat in ein Nebenzimmer, wohin ihm Luise sogleich folgte. Was heißt es, lieber Doktor, rief sie mit bebender Stimme, um Gottes willen, was heißt es? Gefahr, liebes Kind, erwiederte er bewegt, große Gefahr. Ach retten Sie! schluchzte sie, ihn mit beiden Armen umschlingend. Das vermag Gott allein, erwiederte er; thun will ich, was ich kann, das Übrige muß man erwarten. Erwarten – dachte Luise; wer hat hier Muth und Besonnenheit, auf eine langsame Wirkung der angewandten Mittel zu hoffen! Das Schrecklichste sieht mir ganz nahe, ich muß es weggeräumt wissen, oder erliegen!

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