Katzenmensch - Oder: Der gestiefelte Kater 2.0

 



Prolog




Die Welt erschien längst nicht mehr so fremd wie noch vor wenigen Monaten. Damals hätte Claudines Welt nicht wunderlicher sein können. Tragik war in ihr Leben getreten, aber auch die Magie. Auf einem seltsamen, irrealen Weg. Sie legte die Strickarbeit, an der sie momentan war, auf die Seite und ging mit einem Seufzen an das Fenster des Schlosses, wo sie seit ein paar Monaten mit ihrem Verlobten Jaques lebte. Langsam wurde das Kind in ihrem Bauch größer und gab schon temperamentvolle Tritte gegen ihre Bauchdecke ab. Es würde ein lebhafter Mensch werden. Wie der Vater, dachte die junge Frau lächelnd. Im Moment spielte dieser draußen mit seinen Neffen, die gerade zu Besuch waren. Die Bäume im Wald hinter dem Schlossgarten hatten schon ihr buntes Herbstkleid angelegt und leuchteten rot, gelb und braun. Leichter Nebel schlich an den dunklen Baumstämmen vorbei und Claudines Gedanken glitten zurück zu der Zeit, als die magischen Begebenheiten anfingen .


Das Erbe des Müllers

Unbehaglich saß Claudine auf dem alten Stuhl vor dem Schlafzimmer ihres Vaters, auf dem Schoß den schwarzen Kater, der seit der Kindheit ihr bester Freund gewesen war. Der Vater hatte seine Kinder zusammengerufen, denn er war sehr krank und fühlte sein Ende nahen. Zu deren Überraschung wollte er mit jedem von ihnen alleine sprechen. Zuerst war Claudines ältester Bruder herausgekommen und hatte über das ganze Gesicht gestrahlt. Der Vater hatte ihm die Mühle mit dem dazugehörigen Wohnhaus vererbt, eine reiche Beute für ihn, denn schon lange lagen seine Augen begehrlich darauf. Nun war Claudines ältere Schwester drinnen. Sie fragte sich, was die eigentlich hier wollte. Sie hatte sich einen reichen Großbauern geangelt, der so tumb war, wie er aussah. Bisher hatte er noch nicht einmal bemerkt, dass seine junge Frau ihn schon mit seinen sämtlichen Knechten betrog. Wahrscheinlich erbte sie die kräftigen Ackerpferde, den Bullen, die drei guten Milchkühe, auch das Stückchen Ackerland am Waldrand würde an sie gehen. Und was blieb für Claudine? Nichts! Sie würden ihre Halbschwester davonjagen und sie zuvor noch um ihr geringes Erbe bringen.