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Über dieses Buch:

Schwedische Harmonie und Hygge im Dreierpack? Von wegen! Arthur will eigentlich nur seinen Ruhestand genießen, doch dann zieht nebenan die esoterische Disa samt Räucherstäbchen und Traumfängern ein – und plötzlich stellen auch noch die Nachbarn ein riesiges Zirkuszelt im Garten auf. Arthur ist das alles zu bunt – ein Plan muss her! … Das denken sich auch die Freundinnen Bonita und Doris, als sie in einer hübschen alten Villa ein Zuhause für gestrandete Frauen schaffen wollen – und es auf einmal mit einer Handvoll Ganoven zu tun bekommen … Und auch die rüstigen Freundinnen Alma und Margit haben vor Abenteuern keine Ruhe. Gut nur, dass sie beim Aufstand gegen die skrupellosen Leiter ihres Altenheims auf die Hilfe von gleich mehreren Verehrern zählen können …

Drei Romane, so zuckersüß wie Zimtschnecken – so bezaubernd wie ein Mittsommernachtsabend!

»Karin B. Holmqvists Bücher sind typisch schwedisch und mit einer ganz besonderen Wärme erzählt«, sagt der erfolgreiche schwedische Blog ›En bokcirkel för alla‹

Über die Autorin:

Karin B. Holmqvist, geboren 1944 im südschwedischen Simrishamn, machte eine kurze Karriere in der Kommunalpolitik und arbeitete anschließend als Sozialarbeiterin. In ihrer Freizeit ist sie Kabarettistin und schreibt Romane sowie Gedichte.

Bei dotbooks veröffentlichte Karin B. Holmqvist bereits ihre heiteren Romane »Schwedischer Sommer«, »Schwedische Herzen« und »Die Liebe kommt an Regentagen«.

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Sammelband-Originalausgabe April 2020

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2019 dotbooks GmbH, München, eine Übersicht über die Copyrights der einzelnen Romane finden Sie am Ende dieses eBooks.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von shutterstock/Christian Lagerek, Adam Janukiewicz, Aleksandr Vlassyuk, cat_arch_angel, Elenea Volkova

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96655-100-7

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Karin B. Holmqvist

Schwedische Küsse

Drei Romane in einem eBook

dotbooks.

Schwedisches Glück

Aus dem Schwedischen von Annika Krummacher

Selma und Arthur lieben sich schon ihr Leben lang. Ihr Alltag auf dem alten Hof in Südschweden ist beschaulich, seit ihr Sohn aus dem Haus ist und eine eigene Familie gegründet hat. Das Einzige, was Selma fehlt, ist ein bisschen mehr Pepp … schließlich ist sie noch nicht zu alt, um ein paar Abenteuer zu vertragen. Als die esoterische Disa mit Räucherstäbchen und Traumfängern nebenan einzieht, wirbelt sie Selmas Leben gehörig durcheinander – und auch das von Arthur, dem das ganze Tohuwabohu gar nicht gefällt. Zu allem Übel sind auf der anderen Seite auch noch neue Nachbarn eingezogen, und was die da in einem riesigen Zirkuszelt in ihrem Garten treiben, ist dem behäbigen Senior alles andere als geheuer. Nun hat Arthur eine Mission: Er muss in dem kleinen Örtchen Tommarp wieder für Ordnung sorgt!

Kapitel 1

»Mir war so, als hätte ich jemanden in Bloms Fenster gesehen«, sagte Selma Jacobsson und drückte ihr Gesicht gegen die Autoscheibe, während sie die Augen zusammenkniff.

»Das ist bestimmt Nils Blom, der als Wiedergänger umgeht.«

»Der ist doch längst tot, du Dummkopf«, schnaubte Selma.

»Natürlich ist er tot, sonst wäre es ja auch kein Wiedergänger, sondern der richtige Nils Blom.« Artur Jacobsson hielt das Steuer mit festem Griff umklammert, während er auf den Hof einbog.

Selma sah einen Moment lang verwirrt aus, doch dann siegte die Neugierde. Sie drehte sich um und warf einen Blick zum Haus schräg gegenüber. Artur hielt an und ließ Selma am Kücheneingang aussteigen, dann lenkte er das Auto weiter über den Hofplatz hinüber zur Maschinenhalle, wo er den Wagen abzustellen pflegte.

Selma eilte ans Küchenfenster und sah wieder zum Haus der Bloms hinüber, an dessen gelber Fassade sich bereits der Putz löste. Sie zuckte zusammen, als sie Artur die Küchentür zuknallen hörte.

»Mir ist so, als würde ich auch am Küchenfenster der Jacobssons jemanden stehen sehen«, sagte er scherzhaft, während er sich auf die Küchenbank setzte.

Selma ging schnell hinaus in die Diele und hängte ihre Jacke auf.

»Bald gibt es nicht mehr genug Kinder hier im Dorf, dass sich der Schulbetrieb noch lohnen würde.« Artur schlug die Tageszeitung auf und versank in einem Artikel.

»Tja, so ist das, Schulen und Geschäfte werden geschlossen«, sagte Selma seufzend. »Und bald schließen sie vielleicht auch noch die Kirche.«

»Eine Kirche kann man doch wohl nicht schließen?« Artur sah nachdenklich aus.

»Natürlich kann man das ... genau wie eine Schule.«

»Na ja, dann kauft sich bestimmt einer dieser Großstädter die Kirche und eröffnet eine Galerie oder so ein Bed and Dingsda.«

»Breakfast«, ergänzte Selma, nicht ohne Stolz in der Stimme.

»Komisch, dass solche Dinger so erfolgreich sind. Haben die Leute eigentlich kein Zuhause mehr? Ständig sind sie unterwegs.«

In der Küche der Jacobssons schien die Zeit stillgestanden zu sein. Das Blumenmuster des Linoleumbodens war an den Stellen, wo der Verschleiß am größten war, kaum noch zu erkennen. Vom Flur zum Küchentisch hatte sich ein kleiner Pfad gebildet, und an der Spüle waren richtige Vertiefungen im Bodenbelag entstanden. Rechts und links vom hohen Küchenfenster hingen dünne Nylongardinen mit ausgeblichenen Streifen. Die Fensterbank zierten zwei hoch aufgeschossene Grünpflanzen und ein kleines Etui aus bunten Perlen, das Selma vor vielen Jahren beim Basar des kirchlichen Handarbeitskreises erstanden hatte. Über dem länglichen Küchentisch hing eine dunkelorangefarbene Glaslampe, die ein warmes, behagliches Licht ausstrahlte.

»Oder sie eröffnen einen Nachtclub«, sagte Artur sinnierend und ließ die Zeitung sinken.

»Wo denn das?«

»Na, in der Kirche natürlich. Über die reden wir doch gerade. Schließlich gibt es eine Orgel, auf der sie spielen können, und vielleicht können sie ja den Abendmahlswein gleich mit übernehmen.«

Selma kicherte und setzte sich an den Küchentisch. Sie nahm sich einen Zahnstocher aus einem kleinen Glas und begann, ihre Nägel zu reinigen.

Die Küche war sauber und ordentlich und von einer menschlichen Wärme geprägt, die sie trotz ihrer Mängel gemütlich wirken ließ.

Draußen war es umso düsterer. Der graue Nebel lag wie ein dunkles Leintuch über der Gegend. Dieses Jahr war die Finsternis des Februars besonders undurchdringlich gewesen. Davon, dass die Tage laut Kalender allmählich heller werden sollten, war noch nichts zu spüren.

Mitten auf dem Hofplatz stand der ausrangierte Traktor, wie ein Monument vergangener Zeiten. Auf der Pfütze unter dem Fahrzeug schimmerte eine Ölschicht in Blau, Lila und Grün und erinnerte an die Innenseite einer Muschel. Ein Milan segelte dicht über dem Hof, leicht zu erkennen an seiner charakteristischen Schwanzform.

Selma stand auf und sah hinaus. Ihr Blick fiel auf das Geländer der Küchentreppe, wo ein beigefarbenes Geschirrtuch aus Leinen mit hellblauem Muster und dem Monogramm SN zum Trocknen hing. Es stammte aus Selmas Mitgift, und die Initialen standen für ihren Mädchennamen, Selma Nilsson. Sie selbst hatte das Tuch seinerzeit bestickt. Spaß hatte ihr das nicht gerade gemacht als junges Mädchen. Aber es hatte sich so gehört. Man musste etwas in sein neues Zuhause mitbringen, und einen Teil davon sollte man selbst angefertigt haben. Wenn die Küchentücher fadenscheinig wurden, benutzte Selma sie als Lappen, um hier und da etwas abzuwischen, wo es gerade nötig war.

Sie starrte das Geschirrtuch dort draußen auf dem Geländer wütend an und ärgerte sich, wenn sie an die Mühe dachte, die sie investiert hatte. Diese ganzen Kreuzstiche! Sie ärgerte sich nicht nur über die Kreuzstiche, sondern auch über den aufwendigen Saum und die Aufhänger, die sie mühevoll angenäht hatte ... Und jetzt hing das Geschirrtuch auf dem Geländer als alter, bald völlig ausgedienter Lappen.

»Hast du eine Ahnung, wofür diese Stickereien eigentlich gut waren?«, fragte sie ihren Mann.

»Was denn für Stickereien?« Artur legte die Zeitung ein weiteres Mal aus der Hand.

»Auf den Geschirrtüchern. Meine Güte, ich weiß doch, dass es meine Tücher sind, ohne das meine Initialen darauf stehen. Dann hätte ich ja genauso gut ›Meins ‹ draufsticken können.«

Artur sah sie hellwach an, doch er verstand beim besten Willen nicht, wovon sie sprach. Selma sagte lauter und mit irritiertem Unterton: »Und natürlich stehen auf den Geschirrtüchern nur die Initialen der Frauen, weil ihr Kerle sie sowieso nie in die Hand nehmt, oder?«

»Aber auf unseren Bettlaken steht mein Name«, sagte Artur schnell, um eine unangenehme Diskussion zu verhindern.

»Hast du die etwa selbst bestickt?«, fuhr Selma fort. »Das Bett benutzen, das tut ihr Männer natürlich. Und ihr braucht auch keine Monogramme, um hinzufinden. Schlaf und Liebe ist das Einzige, woran ihr denkt. Und wenn ihr das nicht kriegt, werdet ihr in beiden Fällen ziemlich unleidlich.«

»Jetzt reicht es aber!« Artur stand auf. »Hörst du nicht selbst, wie albern das klingt? Du regst dich über einen alten Lappen auf, der draußen zum Trocknen hängt, und auf einmal stecken wir mitten in einer Diskussion über unser Zusammenleben.« Heftig schob er einen Stuhl zur Seite, der im Weg stand, setzte die Schirmmütze auf und ging hinaus.

Selma stellte sich erneut ans Küchenfenster. Ihre schlechte Laune war verschwunden, und sie lächelte, als sie ihren Mann über den Hofplatz marschieren sah. Ja, da gehst du, Artur Jacobsson, mit deiner schlimmen Hüfte und deinen schmerzenden Knien, dachte sie. Aber wenn du zu mir ins Bett springst, bist du noch immer geschmeidig wie ein Panther und allzeit bereit.

Natürlich war sie dankbar und froh, dass er sie immer noch begehrte, denn ihre Schönheit hatte sich längst nach innen verlagert. Ein bisschen überempfindlich war Artur mit den Jahren schon geworden, aber meistens war er nett und freundlich und ganz und gar nicht nachtragend. Sie wusste, dass die heutige Diskussion höchstens noch ein paar scherzhafte Kommentare nach sich ziehen würde.

Selma kniff die Augen so fest zusammen, dass sie auf den Innenseiten der Lider Sternchen sah. Den ganzen Sternenhimmel sah sie, kleine, funkelnde Sterne, die ihren Charakter änderten, je nachdem, wie fest sie die Augen schloss. Sie öffnete das linke Augenlid und sah zum Wecker hinüber. Es war einer dieser seltsamen Abende, an denen sich der Schlaf nicht einstellen wollte. Der Körper war müde und schwer, doch das Gehirn schien auf Hochtouren zu laufen. Wirkliche Sorgen, die sie wach gehalten hätten, hatte Selma eigentlich nicht, aber dennoch kam ihr alles dramatischer vor, wenn die Dunkelheit sie umschloss.

Die Sache mit Bloms Fenster ging ihr einfach nicht aus dem Kopf. Es war nicht nur die Tatsache, dass sie glaubte, jemanden gesehen zu haben, nein, sie war überzeugt davon, dass auf dem Fensterbrett ein Blumentopf gestanden hatte, der bis vor Kurzem noch nicht dort gewesen war. Nils Blom und seine Frau Nancy waren seit vielen Jahren tot. Sie hatten zwar eine Tochter, die das Haus geerbt hatte, aber die war höchstens mal im Sommer kurz da gewesen. Aber, Herrgott, die Tochter hatte doch das gute Recht, auch zu anderen Jahreszeiten ihr Elternhaus zu besuchen.

Trotzdem ließ sie der Gedanke ans Nachbarhaus nicht los. Vielleicht war es verkauft worden? Artur und sie hatten oft darüber gesprochen, was wohl geschähe, wenn das Haus in andere Hände geriete. Wer zöge dort ein, und wäre es vorbei mit der Ruhe in ihrer kleinen Dorfstraße?

Ein weiteres Haus, das ein Stück entfernt an derselben Straße lag, war vor nur einem Monat an neue Bewohner vermietet worden. Selma und Artur hatten sie noch nicht gesehen, aber irgendwas Komisches schien dort im Gange zu sein. Die neuen Mieter hatten ein großes Kreuz im Garten aufgestellt und davor etwas hingebaut, was einem Altar ähnelte. Was hatte das hier zu suchen? Gott sei Dank wohnten hier ja sonst nur »normale« Leute, wie Artur zu sagen pflegte.

Selma kniff die Augen wieder zusammen und versuchte nachzudenken. Wie hieß Bloms Tochter noch mal? Genau, Disa. Sie öffnete die Augen und starrte an die Decke. Ein bisschen merkwürdig war Disa ja immer schon gewesen. Sie war nach Stockholm gezogen, sobald sie mit der Schule fertig gewesen war. Auf irgendeine Kunsthochschule war sie gegangen, erinnerte sich Selma. Ihre Eltern hatte sie nicht gerade häufig besucht, aber jedes Mal, wenn sie in Tommarp gewesen war, hatte die Dorfbevölkerung ihre seltsame Kleidung kommentiert: lange Röcke und Tücher, die sie sich mehrmals um den Hals gewickelt hatte. Dazu komische Sandalen mit einem eigenartigen Stab zwischen den Zehen. Soweit Selma wusste, war Disa unverheiratet geblieben, und außerdem war sie ins Ausland gezogen, in die USA, und zwar schon in jungen Jahren.

Oje, oje, jetzt war Selma so aufgekratzt, dass sie dringend aufstehen und ein Glas Wasser trinken musste. Auf dem Weg in die Küche entdeckte sie Artur, der auf dem Sofa vor dem Fernseher eingeschlafen war.

»Aufwachen, Artur, Bettgehzeit!«

Artur zuckte zusammen. »Ich schlafe doch gar nicht, Selma. Ich habe nur kurz die Augen zugemacht ... aber ich höre schon noch zu, jawohl.«

»Alles klar, du hast einfach die Musik genossen, oder? Dieses Rockgeschrammel hast du ja immer schon besonders gern gemocht.«

»Das hat doch gerade eben erst angefangen. Davor kam nämlich eine interessante Tiersendung.«

»Ja, ja, ab ins Bett jetzt«, brummte Selma.

Ein bisschen genervt war sie schon. Artur konnte einfach nicht zugeben, dass er einschlief, sobald er vorm Fernseher saß. Selbst wenn er schnarchte, dass die Kaffeetassen auf dem Couchtisch nur so klapperten – er hätte es niemals zugegeben. »Man wird doch wohl die Augen kurz schließen dürfen, ohne gleich zu schlafen«, pflegte er zu sagen. Natürlich konnte er auf dem Sofa schlafen statt im Bett, wenn er wollte, aber das Geschnarche störte Selma. Manchmal, wenn sie eine Talkshow sehen wollte, musste sie die Lautstärke hochdrehen, um die Leute im Fernseher zu verstehen.

Sie trank ein Glas Wasser und füllte es gleich noch mal nach, ehe sie es mit ins Schlafzimmer nahm. Ein bisschen Bettwärme war noch da. Selma seufzte zufrieden und zog die Decke bis zum Kinn.

»Hast du die kleinen Lampen ausgeschaltet, Artur?«, fragte sie, als ihr Mann ins Schlafzimmer kam.

»Es ist so wie immer: Du schaltest sie an, und ich schalte sie aus.«

Die gemütlichen kleinen Lampen waren schon immer Gegenstand lebhaftester Diskussionen zwischen den beiden gewesen. Auch wenn Artur kein Geizkragen war, bemühte er sich doch um Sparsamkeit und mochte keine unnötigen Ausgaben.

Inzwischen hatten sie ihre Felder verpachtet, und sie hielten auch keine Tiere mehr, abgesehen von ein paar Hühnern, die im alten Stall untergebracht waren. Früher, als sie noch beide auf dem Hof arbeiteten, den sie seinerzeit von Arturs Eltern übernommen hatten, pflegte Selma abends vor Artur ins Wohnhaus zu gehen, um das Essen vorzubereiten. Als Erstes hatte sie die gemütlichen kleinen Lampen angeschaltet – sogar im Esszimmer, das sie nur selten nutzten, weil sie meist in der Küche aßen. Dort gab es eine Fensterbeleuchtung in Form kleiner grüner Glaskegel, deren Lichtschein Selma sehr anheimelnd fand. Sobald Artur ins Haus gekommen war, hatte er dieselbe Runde wie kurz zuvor seine Frau gedreht und alle Lampen wieder ausgeschaltet.

»Vierzig Watt mal neun Lampen. Das sind fast zwölf Kronen die Woche«, sagte Selma spöttisch, denn sie hatte sich beinahe jeden Abend Arturs Rechenbeispiele anhören müssen.

»Ja, da siehst du mal«, sagte Artur sichtlich zufrieden darüber, dass seine Informationen offenbar bei Selma angekommen waren.

»Oho, das wären zwölf Kronen die Woche auf mein Vergnügungskonto«, sagte Selma beleidigt.

Artur war nicht mehr dazu in der Lage, ihre Antwort angemessen zu kommentieren, denn er hatte schon begonnen, den ersten Baum zu zersägen. Sein Schnarchen füllte das Zimmer.

»Dafür sind die Lampen im Sommer ja nicht so lange angeschaltet«, fuhr Selma schläfrig fort.

Artur zuckte zusammen und hörte auf zu schnarchen. »Was hast du gesagt?«

»Ich habe gesagt, dass die Lämpchen im Sommer nicht so lange brennen.«

»Siehst du, dann hast du sogar noch Geld übrig für ein heißes Würstchen auf dem Marktplatz, Selmaschatz.« Er tätschelte etwas unbeholfen über ihre Bettdecke, drehte sich um und zog die Decke über die Schultern.

Selma lag noch eine Weile wach. Die roten Ziffern auf dem Radiowecker leuchteten im Dunkeln wie Glühwürmchen. Auf dem alten Schaukelstuhl mit dem gestreiften Kissen lag ordentlich zusammengefaltet die gehäkelte Tagesdecke. Selma hatte sie selbst angefertigt. Es hatte einige Jahre gedauert, die vielen kleinen Quadrate einzeln zu häkeln und sie dann zusammenzufügen. Artur war manchmal sogar ein bisschen genervt von ihrem ständigen Gehäkel gewesen, aber hatte doch zugeben müssen, dass das Ergebnis gelungen war, als die Decke schließlich fertig auf dem Bett lag. Die wenigen Male, wenn er selbst das Bett machte, beschwerte sich Artur natürlich über das Gewicht der Tagesdecke, für die man fast ein Hubwerk brauche, um sie an den richtigen Platz zu schaffen. Aber dennoch lag sie jeden Tag sauber und ordentlich auf den Betten ausgebreitet.

Am Kopfteil thronte tagsüber eine Zigeunerpuppe, die ein hübsches rotes Seidenkleid mit Volants trug. Selma achtete darauf, das Kleid jeden Morgen dekorativ um die Puppe herum zu drapieren. Wenn Artur hingegen das Bett gemacht hatte, lag die Puppe achtlos hingeworfen da, manchmal sogar mit dem Kleid über dem Gesicht.

Als die Digitalziffern der Uhr auf 23:15 umsprangen, schlief auch Selma ein.

Draußen fraß sich der Nachtfrost in die Zweige der großen Ulme an der Hofeinfahrt. Der Mondschein spiegelte sich im Eis der Wasserpfütze unterhalb der Küchentreppe, auf dem Geländer flatterte noch immer das bestickte Geschirrtuch im Wind, und wer genau hinschaute, entdeckte in den beiden Nachbarhäusern Gestalten, die sich im Kerzenschein bewegten.

»Siehe, der Herr kommt! Mach dich bereit!« Arne Hernemo kniff die Augen genauso fest zusammen, wie er seine Hände faltete. Er stand vor einem Tisch, der mit einem goldfarbenen, bodenlangen Seidentuch bedeckt war. Auf der Tischfläche befanden sich ein Kruzifix und ein großer Kandelaber mit brennenden Kerzen sowie eine Bibel und einige weitere Schriften.

Arnes Ehefrau Britt stand ebenfalls mit gefalteten Händen da, allerdings wirkte sie eher nervös. Sie trug einen grauen Faltenrock und dazu eine grün geblümte Bluse aus Polyester, die am Hals mit einer Schleife geschlossen wurde. Ihre Haare waren kurz und dauergewellt, und an den Füßen hatte sie kräftige, aber gut gepflegte Spazierschuhe.

Das Haus war spartanisch eingerichtet: mit einfachen Möbeln und in Farbkombinationen, angesichts deren es einem Einrichtungsexperten so richtig in den Fingern gejuckt hätte. Die Wände waren kahl – abgesehen von zwei großen Porträtfotos der bekannten Prediger Arne Imsen und Målle Lindberg in schweren Goldrahmen.

»Bist du bereit, den Herrn zu empfangen, Britt?«, fragte Arne in beinahe vorwurfsvollem Ton.

»Ich bin bereit«, antwortete Britt mit dünner und kläglicher Stimme.

Arne murmelte ein Gebet, während Britt ernst und mit gebeugtem Kopf dastand, die Hände noch immer fest gefaltet.

Ihr Mann fuhr fort, indem er etwas Unverständliches herunterleierte. Er schloss mit einem langen und nachdrücklichen »Aaamen«. Dann blies er heftig die Kerzen aus, woraufhin er eine andere Gestalt anzunehmen schien. Seine bisher so straffe Haltung sackte in sich zusammen, der Heiligenschein, der ihn vorher zu umgeben schien, verschwand plötzlich, und seine ungepflegten, fettigen Haare standen im krassen Kontrast zu Britts beinahe pedantischem Aussehen.

Arne schaltete den Fernseher an, in dem gerade ein alter Western lief, und setzte sich zufrieden aufs Sofa, dessen schlimmste Mängel von einem karierten Wollplaid bedeckt wurden. Seine Frau ging leise und vorsichtig aus dem Zimmer.

Als die rote Ziffernanzeige von Selmas und Arturs Radiowecker auf 6:00 umsprang und die Morgendämmerung allmählich heranschlich, wusste keiner von ihnen, was der neue Tag bringen würde.

»Hab ich's nicht gesagt?«, meinte Selma, als sie mit der Tageszeitung, die sie gerade aus dem Briefkasten gefischt hatte, in die Küche trat.

»Was hast du gesagt?«

»Dass jemand in Bloms Haus ist.«

»Nicht zu fassen.« Artur eilte zum Küchenfenster, gerade noch rechtzeitig, um eine Frau auf der Straße davonspazieren zu sehen.

»Da siehst du mal. Auf meine Intuition kann man sich verlassen.«

Artur sah seine Frau mit großen Augen an, fragte aber lieber nicht nach, was Intuition bedeutete, denn er ahnte ohnehin, was sie gemeint hatte. Er fand, dass Selma nicht schon so früh am Morgen Oberwasser haben musste.

Als sie sich an den Frühstückstisch setzten, lag Arturs Stirn in tiefen Falten.

»Hast du gesehen, wer das war?«, fragte er.

»Na ja, ich habe Disa ja schon jahrelang nicht mehr gesehen, aber die Frau sah zumindest so aus wie sie ... Hör auf, Artur!«

Selma hielt sich die Ohren zu und kniff die Augen zusammen.

Artur hatte sich angewöhnt, an seinen Fingern zu ziehen, langsam und nacheinander, bis die Gelenke knackten. Manchmal weigerte sich ein Finger, da packte er ihn noch einmal fester an. Er gab nicht auf, ehe nicht alle Finger ein vernehmbares Geräusch von sich gegeben hatten.

»Bist du dir sicher, Selma?«

»Ja, ich bin mir sicher. Hör auf, um Gottes willen!«

»Dass es Disa war, meine ich.«

»Ich habe doch gar nicht gesagt, dass es Disa war, ich habe nur gesagt, sie hat ausgesehen wie Disa ... Artur, wenn du so weitermachst, werden deine Finger eines Tages herunterhängen wie Kuhzitzen.«

Selma blätterte hektisch in der Zeitung und riss dabei die Seiten beinahe auseinander. Artur hingegen bestrich sorgfältig sein Brot und schüttete sich noch mehr Dickmilch auf den Teller. Er spürte, dass er Selma irritiert hatte, weshalb es am besten war, das Thema zu wechseln. Während er mit dem Löffel in der Dickmilch rührte, sagte er ruhig: »Die Dickmilch ist auch nicht mehr das, was sie früher mal war.«

»Inwiefern?« Selma legte die Zeitung aus der Hand.

»Weißt du noch, als wir im Sommer die Milch ins Fenster stellten und unsere eigene Dickmilch herstellten?«

»Na, lecker war sie schon, aber es war schon ziemlich unhygienisch mit den ganzen Fliegen und dem anderen Getier, das bei den Dickmilchschüsseln herumkrabbelte.«

»Stimmt, aber damals hat man das nicht so eng gesehen. Zu der Zeit waren die Kinder auch nicht so oft krank. Dabei hat ein bisschen Dreck noch keinem geschadet. Kajsa und Björn zum Beispiel sind ständig krank.«

»Ach, so schlimm ist es auch wieder nicht.«

»Viren, Allergien und anderes Teufelszeug. Elna muss doch andauernd in der Arbeit fehlen, weil die Kinder krank sind.« Als Selma nicht antwortete, fuhr er fort: »In diesen Zeiten will man wirklich nicht Arbeitgeber sein.«

»So ist es eben heutzutage«, versuchte Selma ihn zu beschwichtigen.

Ihr gemeinsamer Sohn Klas und die Schwiegertochter Elna wohnten in einem modernen Einfamilienhaus bei Simrishamn. Sie hatten zwei Kinder, den zehnjährigen Björn und die fünfjährige Kajsa. Da Selmas und Arturs Haus in Tommarp nur knapp zehn Kilometer entfernt lag, sahen sie sich oft, und die Großeltern sprangen häufig als Babysitter ein. Natürlich liebte Artur seine Enkel, aber er fand, dass sie von den Eltern verzogen wurden. Unruhig und laut waren sie außerdem. Manchmal musste Artur sich zurückziehen und seine Ohren ausruhen, wenn sie zu Besuch gewesen waren.

»Übrigens fahre ich heute mit dem Bus nach Simrishamn.« Selma faltete die Zeitung zusammen. »Ich muss zur Bank, und außerdem brauche ich ein Paar neue Schuhe.«

»Ich kann dich auch hinfahren.«

»Ach, mit dem Bus ist es billiger, und es zerrt so an meinen Nerven, mit dir durch die Läden zu ziehen.«

»Immer musst du übertreiben. Wenn du nicht so alt wärst, könntest du dich beim Dramatischen Theater in Stockholm bewerben.« Artur streichelte Selma liebevoll über die Wange.

Dabei hatte Selma tatsächlich viele Erinnerungen an verrückte Einkaufstouren mit Artur. Als sie einmal bei Ikea gewesen waren, um neue Matratzen zu kaufen, war ihr Artur plötzlich abhandengekommen. Sie hatte überall nach ihm gesucht, bis sie eine Traube von Menschen erblickte, die in einer Wohnzimmerausstellung standen und kicherten. Als sie näher kam, sah sie Artur in einem Sessel sitzen und schnarchen. Die Füße hatte er auf den dazugehörigen Fußschemel gelegt, und das Schnarchen war schon von Weitem zu hören. Nun ja, Artur war beim Einkaufen eben eher unengagiert, deshalb vermied sie es, ihn in die Stadt mitzunehmen.

Auf dem Weg zur Bushaltestelle versuchte Selma möglichst unauffällig einen längeren Blick auf Bloms Haus zu werfen. Doch, sie hatte recht gehabt: Es stand tatsächlich ein Blumentopf am Fenster, und so einen stellte man doch nicht hin, wenn man nur vorbeikam, um mal eben nach dem Rechten zu sehen, oder? Sie seufzte. Nun ja, Bloms waren ordentliche Leute gewesen, und Disa war sicher auch völlig in Ordnung, auch wenn sie immer ein bisschen anders gewesen war als die anderen.

Mehr Sorgen machte sie sich wegen des Ehepaars, das das andere Haus gemietet hatte. Die beiden wirkten scheu und hatten sich nicht einmal vorgestellt. Selma und Artur hatten sich mit den anderen Dorfbewohnern unterhalten, doch niemand wusste irgendwas über die neuen Mieter. Als Selma an deren Haus vorbeiging, sah sie, wie sie gerade ein großes Zelt im Garten aufbauten. Kein normales Campingzelt, sondern ein richtig großes, fast wie ein Zirkuszelt.

Plötzlich drehte Selma ruckartig den Kopf, bis sie die Rückseite ihrer Beine betrachten konnte. Das war eine Bewegung, die seit Jahrzehnten in ihr steckte, beinahe so, als sei sie darauf programmiert worden. Seit der Ära der Nylonstrümpfe. Das war schon ein Elend gewesen mit den Nylonstrümpfen damals. Die Naht hinten war ständig verrutscht und hatte manchmal sogar auf der Innenseite der Beine gesessen. Seinerzeit waren die Frauen oft mit verdrehtem Hals und diesem Kontrollblick herumgelaufen und hatten ständig nachgeprüft, ob die Naht auch mittig saß, um sie gegebenenfalls gleich zu korrigieren.

Die Strumpfbänder waren auch nicht viel besser gewesen. Selma hatte sich bemüht, die Strümpfe so fest wie möglich zu spannen, und dabei die Strumpfbänder bisweilen so weit unten an den Strümpfen befestigt, dass diese kaputtgegangen waren und die Maschen wie kleine Rinnsale die Beine entlanggelaufen waren. Solange sie noch nicht den Kleidersaum erreicht hatten, griff man schnell zu einer Flasche Nagellack, um die Maschen am Weiterlaufen zu hindern.

Es war ein angenehmer Spaziergang hinunter zur Landstraße, wo die Bushaltestelle lag. Es gab sogar ein Wartehäuschen, in dem man unabhängig vom Wetter bequem auf den Bus warten konnte. Die Gegend war für ihre beißenden Winde bekannt, und es hieß, dass fünf Grad minus im südschwedischen Schonen sich genauso kalt anfühlten wie zwanzig Grad unter null in Nordschweden. Der Frost war dieses Jahr Gott sei Dank nicht so schlimm gewesen, aber die Winde und der graue Nebel waren so unangenehm, dass Selma mit einer gewissen Erleichterung am Buswartehäuschen eintraf. Sie setzte sich auf die Bank und stellte sich die Tasche auf die Knie.

Manchmal machte sie sich Sorgen um sich selbst. Ständig kontrollierte sie alles doppelt und dreifach. Hatte sie den Busfahrschein dabei ... und das Portemonnaie? Wo hatte sie das Taschentuch hingetan, für den Fall, dass ... und den Spiegel? Und hatte sie womöglich die Handcreme vergessen?

Selma wühlte in der Tasche herum, und erst als sie die Lage wieder im Griff hatte, entspannte sie sich. Nach wenigen Minuten wiederholte sich das Ritual. Manchmal fragte sie sich, wie es wohl wäre, wenn Artur und sie eine Flugreise unternehmen müssten: Wie sollte sie da den Überblick über die Reisetaschen, Fahrkarten und Hoteladressen behalten? Aber das war zum Glück nie der Fall gewesen, denn sie machten höchstens mal eine Busreise, und die waren so gut organisiert, dass man nicht einmal nachzudenken brauchte, ob man mal austreten musste. Pinkelpausen, Ausflüge und Mahlzeiten – alles wurde von den Busfahrern geplant. Ja, Busreisen konnten Selma und Artur wirklich gut leiden.

Als der Bus an der Kurve zu sehen war, stand Selma auf. Und ehe sie einstieg, kontrollierte sie ein letztes Mal, ob sie alles dabeihatte.

Kapitel 2

Disa Blom stolperte über einen Karton, der auf dem Küchenfußboden stand, und trat ihn mit ihren kräftigen Boots beiseite. Abgesehen von den drei Kerzen auf dem Tisch gab es keinerlei Beleuchtung. Es roch etwas modrig in dem alten Haus. Vom Transistorradio auf dem Büfett ertönte Bob Dylans »Blowin' in the wind«. Die weiche Stimme des Sängers wirkte in der altmodischen Küche ein bisschen deplatziert, half Disa aber dabei, sich zu entspannen und positiv zu denken. Während sie sich an den Küchentisch setzte, klirrten ihre vielen Armbänder, die das Handgelenk und ein Stück des Unterarms bedeckten, und blitzten auf, sowie das Licht der Kerzenflammen sie traf.

Gerade hatte sie die Augen kurz geschlossen, als es in der einen Zimmerecke knallte. Ihre Gesichtszüge verhärteten sich, und sie stand auf, um eine Taschenlampe zu holen. Dann hockte sie sich in die Ecke, von wo der Knall gekommen war. Sie nahm vorsichtig und angewidert die tote Maus aus der Falle, öffnete die Tür zum Garten und warf den unwillkommenen Gast ins Gebüsch.

Disa hatte auch andere ungebetene Gäste: Kellerasseln in den Küchenschränken und Silberfischchen in der Spüle. Wenn sie etwas nicht leiden konnte, dann waren es Ungeziefer und natürlich die verfluchten Mäuse, die sie oben auf dem Dachboden nagen hörte.

Plötzlich kam ihr ein Gedanke. In einem der indischen Aschrams, in denen sie eine Zeit lang gelebt hatte, gab es eine Art Ritual, um Ungeziefer zu verjagen und auszurotten. Sie meinte es irgendwo aufgeschrieben zu haben. Vielleicht lag der Zettel ja in ihrem Yogabuch? Disa verschwand so schnell, dass der Perlenvorhang rasselte, der die Wohnzimmertür ersetzte.

Als sie zurückkam, lächelte sie. Das Ritual hatte in Indien funktioniert, und jetzt würde sie ausprobieren, ob es auch in Tommarp funktionierte. Laut Anweisung sollte man sich ein Tuch um die Brust knoten und Brotkrümel hineinstecken. Danach sollte man abwechselnd Kerzen und Räucherstäbchen in einem Kreis aufstellen und anzünden. Räucherstäbchen hatte sie mehr als genug.

Disa las weiter auf ihrem Zettel: Anschließend sollte man mit Lockrufen um die Kerzen und Räucherstäbchen herumtanzen. Dahinter steckte der Gedanke, dass die Brotkrümel und das Ritual beim Ungeziefer irgendwelche Instinkte weckten. Das Ganze beendete man, indem man das Zelt oder in diesem Fall das Haus verließ und die Brotkrümel ausleerte, die letztlich die Tiere anlocken sollten.

Sie setzte sich an den Küchentisch. Leichte Zweifel befielen sie. Aber warum eigentlich? Niemand würde sie sehen, und einen Versuch war es doch wert.

Disa legte das Tuch ab, das sie um den Hals gewickelt hatte, hob den Pullover und band es sich stattdessen um die Brust. Dann zerkrümelte sie zwei Brotscheiben und verteilte die Brösel gleichmäßig auf ihrem Busen. Anschließend zündete sie die Kerzen und die Räucherstäbchen an und begann in der Küche herumzutanzen.

An die Lockrufe konnte sie sich nicht mehr ganz genau erinnern. Sie gab Laute von sich, die ein bisschen an die Joikes der samischen Urbevölkerung erinnerten. Dazu tanzte sie und tanzte, und auf einmal hatte sie das Gefühl, in Trance zu geraten. Ihr Atem ging immer schwerer, und die Schatten spielten an den Wänden.

Nach einer Weile löschte sie alle Kerzen und ging hinaus auf die Vortreppe. Dort blinzelte sie ein bisschen ins Gegenlicht und schob dann den Pullover hoch, nahm das Tuch ab und versuchte, die Brösel abzuschütteln. Aber Disa hatte beim Tanzen geschwitzt, und die Brotkrümel saßen ziemlich fest an ihren Brüsten. Sie klemmte sich den Pullover unters Kinn, sodass ihr Busen unbedeckt war, und versuchte die Krümel einzeln zu entfernen. Es war ziemlich mühsam, und am Ende wackelte sie ein bisschen mit den Brüsten, um die letzten Krümel loszuwerden. In dem Moment kam das Postauto vorbei, und Disa erhaschte gerade einen Blick auf den sichtlich erstaunten Briefträger Arvartsson.

Voller Zufriedenheit, weil sich die juckenden Brotkrümel endlich gelöst hatten, sah Disa in ihren Garten. Er war verwildert, und man konnte nur schwer erkennen, wo einst die Blumenbeete gewesen waren. Das oberste Scharnier der Schuppentür hatte sich gelöst, weshalb diese schief hing und jedes Mal ein quietschendes Geräusch von sich gab, wenn der Wind sie ergriff. Der Schuppen war vollgestellt mit Packkisten, einem rostigen Fahrrad und Unmengen an Feuerholz. Über dem Rahmen des undichten Sprossenfensters hingen Spinnweben wie eine Tüllgardine, und auch bei Tageslicht konnte man kaum hindurchschauen.

Doch die Kisten im Haus und im Schuppen kündeten davon, dass sich schon bald einiges tun würde.

Wie immer, wenn Selma weggefahren war, wanderte Artur ruhelos durchs Haus. Erst setzte er sich aufs Sofa im Fernsehzimmer. Mit geradem Rücken und verlorenem Blick. Dann spazierte er ins Esszimmer, um anschließend eine Runde durch die Küche zu drehen und ins Schlafzimmer zu gehen. Dort legte er sich aufs Bett, nur um gleich wieder aufzustehen und den gleichen Rundgang in der umgekehrten Reihenfolge zu machen.

Er verstand selbst nicht, warum er so rastlos war, sobald Selma das Haus verließ. Manchmal grübelte er darüber nach, wie es wohl wäre, wenn sie vor ihm sterben würde. Der Gedanke machte ihm Angst.

Erst als er mehrmals nacheinander dieselbe Runde gedreht hatte, ging er hinaus. Auf dem Weg griff er sich die Mülltüte, die Selma auf die Vortreppe gestellt hatte, und warf sie in die Mülltonne.

Plötzlich blieb er stehen. Was um alles in der Welt war denn das? Kirchliche Gesänge am helllichten Tag, und zu allem Überfluss laut und unschön gesungen. Ob das wohl diese Disa war? Er wollte nicht zur Straße hinuntergehen, weil ihm das neugierig vorgekommen wäre. Stattdessen stand er eine ganze Weile da und lauschte.

Jetzt hörte er es hämmern und klopfen. Das war schon seltsam. Sonst war es hier doch immer so ruhig und friedlich. Irgendwann verstummte die Musik, und Artur hörte nur noch das Hämmern – und die Katze, die maunzend vor dem leeren Milchschälchen auf der Treppe stand.

Auf einmal wurde die Stille wieder unterbrochen. Ob es ein Lied aus dem Gesangbuch war? Nein, es klang eher wie von der Heilsarmee. Artur hielt seine Hand wie einen Trichter ans Ohr. »Wenn meine Wand'rung endet, der klare Glanz mich blendet, der hell erstrahlt im himmlischen Morgenlicht«, ertönte es.

»Nee, verdammt«, brummte Artur und trat wütend gegen das leere Milchschälchen, woraufhin die Katze erschrocken unter der Treppe verschwand.

Dann ging er zurück zum Wohnhaus und stieg die Treppe zum Dachboden hinauf. So aufgeregt war er, dass er ganz vergaß, seine schmutzigen Schuhe auszuziehen. Die Holzdielen knarrten, als er zum Giebelfenster hinüberging und es zu öffnen versuchte. Es war schon seit vielen Jahren nicht mehr offen gewesen, und er musste seine ganze Kraft hineinlegen, ehe es ihm gelang, das Fenster krachend aufzustoßen.

»Ich hab ein Heim, ein wunderbares Heim – jenseits der goldenen Sonne«, dröhnte es von draußen. Artur streckte den Oberkörper hinaus und konnte so den ganzen Schotterweg bis zur Straße überblicken. Erst schaute er zu Disas Haus hinüber, doch dort war alles ruhig. Dann wanderte sein Blick zum Haus der Hernemos. Arturs Augen weiteten sich, und er hielt den Atem an.

»Ich hab ein Heim, ein wunderbares Heim«, äffte Artur die Musik nach. Oder vielleicht eher : »Ich hatte ein wunderbares Heim«, dachte er. Was in Gottes Namen war das für ein Spektakel? Ein riesiges Zirkuszelt mitten in Tommarp? Nein, das war mehr, als er aushalten konnte ... und dann noch dieses verfluchte Gejaule.

Er setzte sich auf einen alten Koffer, der unter dem Fenster stand. Sein Blick flackerte ruhelos durch den Dachboden. Leere Kartons, Teppiche, ein Kleiderständer mit seinem alten Frack und Selmas abgelegten Kleidern.

»Den Herrn will ich loben für seine großen Gaben!«, wurde draußen gerade gesungen.

Artur knirschte mit den Zähnen, erhob sich und knallte das Fenster zu. Dann sank er wieder hinunter auf den Koffer.

Als unten die Haustür ging, zuckte er zusammen.

»Was machst du da oben, Artur?« Selmas Stimme klang erstaunt.

Ein bisschen ertappt fühlte er sich schon und stellte sich schnell an die Treppe.

»Und die schmutzigen Schuhe hast du auch angelassen!« Der Ton seiner Frau war anklagend, und er bückte sich schuldbewusst, zog sich die Schuhe aus und hielt sie in der Hand, während er die Treppe hinunterschlich.

»Na, hast du Schuhe gefunden in der Stadt?«, fragte Artur mit angespannter Stimme.

»Schon, aber keine Schuhe für drinnen«, brummte Selma. Artur streckte seinen Rücken durch und meinte: »Es gibt jetzt wichtigere Dinge zu besprechen als Schuhe.«

Selma hängte ihre Jacke auf, stellte die Lebensmittel in den Kühlschrank und setzte sich mit Artur an den Küchentisch.

»Meinst du das Haus gegenüber von Disa?«, erkundigte sich Selma.

»›Jenseits der goldenen Sonne‹. Das ist wirklich nicht zu fassen.« Artur raufte sich sein dünnes, graues Haar.

»Geh mit dem bisschen Haar, das du noch hast, lieber vorsichtig um«, meinte Selma und betrachtete verwundert Arturs fahriges Haareraufen.

»Hast du es denn nicht gehört?«, fragte er und legte die Hände auf den Tisch.

»Schwerhörig bin ich nicht, und das Gejaule ist für einen normalen Menschen wohl kaum zu überhören. Und das Zelt sieht auch jeder. Glaubst du, das sind solche Freikirchlichen?«

»In dem Fall sind ihre freien Tage gezählt, so wahr ich Artur Jacobsson heiße.«

»In Bloms Fenster steht übrigens tatsächlich ein Blumentopf. Ich bin mir sicher, dass Disa hierher gezogen ist.«

»Na, ein Unglück kommt ja selten allein.« Artur zog sich seinen alten, zerschlissenen Parka über.

»Wo willst du hin?« Selma sah besorgt aus.

»Ich gehe runter und erkundige mich, ob sie eine Verstärkung für ihren Hallelujachor gebrauchen können.«

»Artur!«

»Willst du etwa, dass hier solche verdammten Erweckungsveranstaltungen stattfinden? Um unseren Nachtschlaf ist es dann jedenfalls geschehen.«

»Sag bitte nichts Dummes, Artur. Wir wissen doch gar nicht, was das Ganze ist oder werden wird.«

»Eben, und genau das will ich ja herausfinden.«

Selma stand auf, als wollte sie ihn am Gehen hindern. Doch er ignorierte sie, atmete tief durch und knallte die Küchentür hinter sich zu.

Jetzt war es an Selma, unruhig auf und ab zu gehen. Sie sah auf den Weg hinaus, seufzte und setzte sich wieder an den Küchentisch. Dann holte sie ihren beigefarbenen Stoffbeutel, den sie irgendwo umsonst bekommen hatte und gerne mitnahm, wenn sie in die Stadt fuhr. Sie hatte die Gelegenheit genutzt, in die Stadtbibliothek zu gehen, wenn sie schon mal in Simrishamn war. Die war so praktisch gelegen, genau neben der Bushaltestelle.

Sie mochte die schönen Räumlichkeiten und setzte sich manchmal eine Weile hin, um in einer Illustrierten zu blättern, während sie auf den Bus wartete. Sie hatte zwar noch ein angefangenes Buch aus der Bücherei zu Hause herumliegen, war aber dennoch der Versuchung erlegen, eine weitere Neuerscheinung eines englischen Autors auszuleihen, die sie interessant fand.

Vorsichtig blätterte sie im Leihbuch und schnaubte plötzlich verächtlich, weil sie an Brita Olofsson denken musste, die ebenfalls in Tommarp wohnte. Ein paarmal, wenn sie ihr im Bus begegnet war, hatte Selma versucht, mit ihr über Literatur zu sprechen, weil sie wusste, dass Brita viel las.

Kürzlich hatte Brita erzählt, dass sie gerade ein ganz schlechtes Buch gelesen habe. Als Selma hörte, um welches es sich handelte, meinte sie ganz erstaunt: »Aber das Buch ist doch so beliebt!« Da hatte Brita geantwortet: »Die Kapitel sind zu lang.« Sie blätterte offenbar immer als Erstes ganz ans Ende des Buchs, um festzustellen, wie viele Seiten es insgesamt hatte und wie es sich mit der Kapiteleinteilung verhielt. Mehr als vier Seiten dürfe ein Kapitel nicht haben, fand sie. »Wenn das Buch zu dick ist, die Kapitel zu lang und es zu wenig Dialoge gibt, verliere ich gleich die Lust am Lesen«, hatte Brita erklärt.

Über den Inhalt von Büchern hingegen verlor sie nur selten ein Wort. Ebenso wenig über die Handlung oder darüber, wie sich die Romanfiguren entwickelten. Selma war immer völlig erschöpft, wenn sie mit Brita über Literatur gesprochen hatte.

Also wirklich, zu lange Kapitel, dachte sie. Brita Olofsson war schon ein Kapitel für sich.

Artur ging mit entschiedenen Schritten den Weg entlang. Der Gesang war verstummt, und es waren nur noch emsiges Hämmern und leise Stimmen aus dem Garten zu hören. Artur zögerte, dann klopfte er fest an die Tür, die zum Weg hin lag. Vorsichtig wurde geöffnet, und eine Frau sah erschrocken heraus.

»Das ist also die Stelle, wo der Zirkus eröffnet werden soll, ja? Freikarten brauchen wir keine, denn das ganze Elend ist bis zu uns nach Hause zu hören. Als würdet ihr in unserer Küche sitzen und singen«, knurrte Artur.

Die Frau kniff die Augen zusammen, als wollte sie sich nicht mit ihrem Gegenüber konfrontieren. Doch dann überlegte sie es sich offenbar anders.

»Aha, Sie sind also der Nachbar von dort drüben«, sagte sie mit freundlicher Stimme und streckte die Hand aus. »Ich heiße Britt Hernemo, und wir sind gerade erst hierhergezogen.«

Artur kam die Frau vor ihm so schwach und ängstlich vor, dass er sich schämte, sie so erschreckt zu haben. In seiner Hitzköpfigkeit hatte er sich wohl ein bisschen zu sehr ereifert. Auch er streckte seine Hand aus und sagte: »Artur Jacobsson ... Meine Frau heißt Selma.« Dazu lächelte er etwas schief.

Plötzlich kam ein Mann von hinten aus dem Haus und schob Britt auf brutale Art und Weise beiseite.

»Worum geht es?«, fragte er.

Artur fiel es nicht schwer, seine Wut wiederaufwallen zu lassen, als er den arroganten Gesichtsausdruck des Mannes sah und wie er seine Frau wegschubste.

»Worum es geht? Genau das wollte ich Sie fragen!«, gab Artur zurück.

»Arne, das ist unser Nachbar«, erklärte Britt vorsichtig.

»Das heißt noch lange nicht, dass der sich so aufdrängen kann.« Arne warf seiner Frau einen Blick voller Verachtung zu, und schob sie gleichzeitig weiter in den Flur zurück.

»Könnte ich gefälligst eine Antwort auf meine Frage bekommen, was hier vor sich geht? Haben Sie eine Baugenehmigung für das Zelt? Und was diese Musik betrifft, ist sie wirklich mehr als störend ...«

»Das ist keine Musik ...«, unterbrach Arne Hernemo ihn.

»Na, zumindest in dem Punkt sind wir uns einig. Das ist keine Musik, das ist Lärm.«

»Ich meine, das sind Kirchenlieder ... oder besser gesagt religiöse Lieder«, fügte Hernemo rasch hinzu.

»Das gilt aber nicht als mildernder Umstand, das ist nämlich ein Höllenlärm!«

»Der Herr hört dich«, sagte Hernemo mit ernster Miene. Als Artur nicht reagierte, fuhr er fort: »Der Herr wird kommen.«

»Ja, es sind bestimmt mehrere Herren nötig, um das Riesenteil abzureißen, das ihr dort im Garten aufgestellt habt.«

Arne Hernemo schnappte nach Luft und schlug die Tür zu.

Artur ballte seine Hand in der Hosentasche zur Faust. Dieser Mensch war obendrein auch noch unfreundlich. Auf dem Heimweg ärgerte er sich. Jedes Mal, wenn er etwas Wichtiges sagen wollte, war es das Gleiche: Im Kopf waren die Gedanken so schön formuliert, aber sobald sie das Hirn verließen, verwandelte sich alles in ein einziges Kuddelmuddel.

Am Küchenfenster sah er Selmas blasses Gesicht. Als er das Haus betrat, sagte er mit lauter Stimme: »Jetzt gibt es Krieg, Selma, glaub's mir! Der Herr wird kommen! Ja, Dinge muss man sich anhören ...«

Kapitel 3

»Nimm dir einen Apfel, bevor sie vergammeln, Artur.« Selma reichte ihm die Obstschale. Er antwortete nicht, sondern hielt seinen Blick starr auf die Mattscheibe gerichtet, wo eine Antiquitätensendung lief.

»Du sagst immer, dass ich Äpfel kaufen soll, und dann isst du keine«, fuhr Selma fort.

Nun griff Artur tatsächlich nach einem Apfel. Er polierte ihn sorgfältig an seinem Pullover, ehe er ein großes Stück abbiss.

»Mund zu beim Kauen! Du klingst wie ein Häcksler«, witzelte Selma. »Pst, schau mal, zwanzigtausend Kronen für eine alte abgenutzte Vase.«

»Ist das nicht so eine, wie wir im Regal stehen haben?«, meinte Artur hoffnungsvoll.

»Ach Quatsch, die haben Klas und Elna uns aus Tunesien mitgebracht. Aber du hast recht, die erinnert wirklich an unsere.«

»Das ist schon komisch mit diesen Antiquitäten. Man hat den Eindruck, je fleckiger und abgestoßener das Zeug aussieht, desto wertvoller ist es.«

»Wir haben doch jede Menge alten Plunder auf dem Dachboden stehen. Vielleicht sollten wir das mal versteigern?«

Artur hob vorsichtig seine Füße auf den Couchtisch, aber nahm sie wieder weg, sobald er Selmas strengen Blick sah.

Das Fernsehzimmer war ursprünglich Klas' Kinderzimmer gewesen, das sie nach seinem Auszug neu eingerichtet hatten. Der alte grüne Teppichboden lag noch da, aber sie hatten neu tapeziert: Mittlerweile schmückte eine grün geblümte Tapete die Wände. Der Raum war mit einem hellbraunen Sofa in Lederimitat und zwei Sesseln mit einem beigefarbenen groben Stoffbezug eingerichtet.

Richtig zufrieden war Selma nicht mit dem Sofa. Sie fand, dass das Material sich am Hintern zu kühl anfühlte und außerdem leicht feucht wurde, wenn sie darauf saß. Deshalb legte sie sich eine karierte Mohairdecke unter, wenn sie fernsah oder strickte.

In dem kleinen Zimmer war kaum Platz für weitere Möbel, abgesehen vom Fernseher und dem Couchtisch, der aus Teakholz war und eine kleine Zeitungsablage hatte. Auf der Längsseite, die zum Hofplatz hinausging, befanden sich zwei Fenster, und unter dem einen davon stand ein schön dekorierter Blumenkasten. An die fensterlose Giebelwand hatten sie den Fernseher gestellt. Darüber hing ein ausgeblichenes Luftbild von ihrem Hof, und neben dem Fernsehgerät leuchteten zwei kleine Lämpchen aus Rauchglas.

»Ich hoffe, dass du dich nicht gleich mit unseren neuen Nachbarn angelegt hast?« Selma sah Artur anklagend an.

»Ich habe sie nur gefragt, was bei ihnen los ist ... Das ist ja wohl mein gutes Recht! Richtig unfreundlich war der Kerl. Seine Frau, ich glaube, sie heißt Britt Hernemo, tut mir leid. Du hättest mal sehen sollen, wie verschreckt sie geguckt hat. Er hat sie in den Flur geschubst, bevor er die Tür zugeworfen hat. Diese scheinheiligen Typen sind die Allerschlimmsten. Schau dir nur mal die ganzen Kriege auf der Welt an. Die haben sich doch auch immer wegen der Religion in der Wolle.«

»Artur Jacobsson, wie du dich wieder auskennst. Was weißt denn du von den Kriegen auf der Welt? Das Einzige, was du liest, sind doch die Lokalseiten in der ›Ystads Allehanda‹ – von den Grundbucheinträgen bis zu den Familienanzeigen.«

Selma machte Artur oft zum Vorwurf, dass er sich nicht für die Weltereignisse interessiere. Er verteidigte sich damit, dass er es nicht aushalte, sich Krieg und anderes Elend anzusehen. Da musste ihm Selma sogar recht geben. Ihr Mann war wirklich weichherzig: Sobald ein Bericht über hungernde Kinder oder Armut gezeigt wurde, kullerten Artur die Tränen über die rauen Wangen. Richtig große Tränen sogar, das war schon ein rührender Anblick.