Vorwort

Das vorliegende Buch ist eine Fortsetzung des Bandes "Golem - Die Künstliche Intelligenz: Das Artefakt der Ewigkeit" und trotzdem ein eigenständiger Roman.

Im Mittelpunkt stehen Athena und Isis, zwei humanoide Androiden, die mit ihren biologischen Lebensgefährten eine Zeitkatastrophe verhindern wollen, die die Menschheit im Jahr 3196 völlig auslöschen soll.

Aber nichts ist so, wie es zunächst scheint. Verborgenes kommt ans Tageslicht und Schwarz und Weiß vermischen sich in spannender Weise in einer Welt, in der der Wunsch nach Unsterblichkeit vor seiner Vollendung steht. Welche Rolle spielen die Zeiträuber dabei und wer raubt letztendlich wem die Zeit?

Ein weiterer Band der Golem Reihe, der faszinierende Einblicke in die Möglichkeiten der Zusammenarbeit hochentwickelter, künstlicher Intelligenz und der Menschheit in der Zukunft aufzeigt.

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Alle in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 Ausgangslage: Die Erde und die USOP
im Jahre 3196

Die Erde des Jahres 3196 war eingebettet in einen Staatenbund, dem UNITED STATES OF PLANETS (USOP). Dieser umfasste neben der Erde als Regierungssitz den Mond, den Mars und weitere Planeten des Sonnensystems sowie unzählige Städte, die im Orbit der jeweiligen Planeten kreisten.

Der Mond, der Sitz der künstlichen Intelligenz GOLEM / Apollo, hatte als Hauptquartier der Streitkräfte seine überragende Bedeutung beibehalten. Dazu gab es eine schlagkräftige Raumflotte und Abwehrforts, die im Ernstfall das Sonnensystem gegen Angriffe schützen sollten.

Die großen Kugelraumschiffe konnten in dieser Zeit direkt auf der Erde, im ehemaligen chinesischen Raumhafen Wenchang, aufsetzen, auf dem der gesamte Raumverkehr im irdischen Sonnensystem und nach Andromeda abgewickelt wurde. Ein Umweg über den Mond, wie im vergangenen Jahrtausend, war nicht mehr notwendig, da die riesigen Kugelraumer ohne eigenen Antrieb aufsetzten. Das Landen und Starten regelten neuentwickelte Traktorstrahlen - so wurden zu starke Luftverwirbelungen und Lärm vermieden.

Das Problem der Überbevölkerung war durch die Besiedlung von Planeten in der benachbarten Andromeda Galaxie weitgehend gelöst worden, die man dank des Warp-Antriebs innerhalb von drei Tagen erreichen konnte. Dort existierten drei Planeten als Kolonien: Neben New Eden waren das New Europe und New Future.

Die Kolonisten besaßen mittlerweile eine weitgehende Autonomie, waren aber an die Grundgesetze der USOP in der Milchstraße gebunden, was auch die Verteidigung betraf.

Der vierte, bewohnbare Planet im Andromeda Nebel hieß Last Hope. Dieser war zur sog. besonderen Verwendung deklariert worden, denn hierhin verbannte man Zeiträuber, die in der Regel auch Mitglieder der Loge der Unsterblichkeit waren. Im Grunde waren es geniale Wissenschaftler, die jedoch mit ihren Zeitexperimenten erhebliche Gefahren für die bestehende Zeitlinie und die Menschheit verursacht hatten und jetzt auf Last Hope im Exil lebten. Zurzeit befanden sich dort 200 Personen, die alles zur Verfügung gestellt bekamen, um sich ihr Leben angenehm und nach Belieben zu gestalten, aber ansonsten von der restlichen Öffentlichkeit nicht mehr wahrgenommen wurden.

Durch die Möglichkeit, auf andere Planeten auszuweichen, hatte man Bevölkerungszahl auf der Erde auf 15 Milliarden Menschen begrenzt. Und da gleichzeitig die Geburtenrate aufgrund des gesicherten Wohlstands stark gesunken war, konnte die Zahl gehalten werden.

Insofern erlebte man eine, für die Menschheit in diesem Umfang bisher nie gekannte, Sorglosigkeit, denn Hunger oder einen materiellen Mangel gab es so gut wie für niemanden mehr. Alle hatten am Fortschritt teil und konnten sich Dinge leisten, von denen frühere Generationen nur geträumt hatten.

Der amtierende Präsident der USOP, Donald Schwarz, zeigte sich als ein gutaussehender, 90-Jähriger mit einer mitreißenden Ausstrahlung und einer hervorragenden Kompetenz in allen wissenschaftlichen Fragen. Da man dank des medizinischen Fortschritts in dieser Zeit ein Alter von 300 Jahren erreichen konnte, hatte man mit 90 Jahren die Gesundheit eines ursprünglich 35-Jährigen, so wie es noch für die Menschen vor über 1000 Jahren gewesen war. Schwarz war ein Cousin des berühmten Genies, Justin Schwarz, der den Androidenkörper für die künstliche Intelligenz Golem bzw. Apollo vor 17 Jahren erschaffen hatte. Die KI hatte sich seit Hunderten von Jahren gewünscht, wie ein Mensch auch körperliche Empfindungen zu erleben, die den abgespeicherten Emotionen physisch entsprachen. Und so war im Labor ein Wunder der Technik auferstanden: Viele Tausende von Sensoren waren für einen perfektionierten, humanoiden Androiden zusammengefügt worden. Golem erschien unter großem medialen Trubel mit der ansprechenden, männlichen Gestalt einer griechischen Götterfigur, Apollo, woraufhin die KI beschloss, diesen Namen gleichfalls anzunehmen. Von nun saß Apollo nicht mehr als Hologramm in Sitzungen, sondern war physisch anwesend. Darüber hinaus konnte die KI beispielsweise an einem Essen teilnehmen und war sogar in der Lage, eine Sexualität zu erleben. Sehr schnell entschied Apollo, genau wie die Menschen, eine Familie zu gründen. Seinem Wunsch folgend begann ein zweijähriger Prozess, in dessen Folge zwei weitere Androiden erschaffen wurden, Isis und Athena. Beide waren von beeindruckender Schönheit: Isis stellte die Frau des Apollo dar und erschien vielen wie eine Märchengestalt mit ihren strahlend blauen Augen, blondgelockten, langen Haaren, einem klassisch schönem Gesicht und einem vollkommenen Körper. Athena, die Tochter, wirkte auf andere Weise ebenso überirdisch: Mit einem mahagonifarbenen, schimmernden Bob und braunen Augen beeindruckte sie wie ihre "Mutter" mit ihrer überaus anmutigen Präsenz. Genauso wie Apollo besaßen beide ein Bewusstsein und nahmen von nun an am gesellschaftlichen Leben teil.

Aber Isis fühlte sich unerwartet zu einem Menschen hingezogen und entwickelte durch diese Beziehung im Laufe der Jahre ihre Persönlichkeit. Sie beschloss, Apollo und Athena zu verlassen, um mit ihrem Geliebten, Lew Romanow, einem Ex-Präsidenten der USOP, zusammenzuleben und die Loge der Unsterblichkeit aktiv zu unterstützen. Ihre Absicht bestand darin, für ihren Geliebten die Lebenserwartung entscheidend zu verlängern, denn 300 Jahre bedeuteten für einen Androiden nichts.

Aber nicht nur Isis hatte dieses Ziel: Viele Menschen einte die Sehnsucht nach dem ewigen Leben. Vor langer Zeit hatte sich die Loge der Unsterblichkeit gegründet und deren Mitglieder versuchten immer wieder, mit Zeitreisen und sogar mit verbotenen Änderungen der Zeitlinie dem Geheimnis einer unendlichen Lebensspanne auf die Spur zu kommen.

3121 gab es endlich einen vielversprechenden Ansatz: Das Bewusstsein eines Menschen sollte komplett, und ohne die bisher bekannte Instabilität, in einen Androidenkörper übertragen werden können. Aber 60 Jahre später, kurz vor der Vollendung des Projekts, tauchte ein neuartiger, bis dahin vollkommen unbekannter, Virus auf, der das lebende, menschliche Bewusstsein im Androiden zerstörte. Die Enttäuschung war groß und der Aufschrei zog sich lange Zeit durch die Medien.

Aber nun berichteten die Medien von einem neuen, unmittelbar bevorstehenden Wunder: Die Wissenschaftler der USOP, zusammen mit den Forschern der Loge der Unsterblichkeit, standen mit einem speziellen Gen-Cocktail kurz vor dem Durchbruch. Regelmäßig verabreicht, sollte er zum einen leicht verjüngend wirken und zum anderen den Alterungsprozeß endgültig stoppen. Das langersehnte Ziel, ewig zu leben, schien nun doch in greifbarer Nähe.

Lew Romanow (Präsident der USOP in den Jahren 3120-3130; nunmehr Leiter der kaufmännischen Abteilung der Loge der Unsterblichkeit) befand sich mit Isis und Athena, ihrer neuen Verbündeten, in seinem Apartment.

Isis war zuvor aus einer weit zurückliegenden Vergangenheit, in die sie von Apollo geschickt worden war und dort viele Jahre mit einer anderen Identität gelebt hatte, endlich wieder in seiner Zeit angekommen. Leider hatte sie keine guten Neuigkeiten: Es musste eine, in gut drei Wochen zu erwartende Katastrophe verhindert werden, bei der die Menschheit ausgelöscht werden sollte.

Diese Erkenntnis stammte von Athena, die aus einer fernen Zukunft erschienen war, in der es nur noch Maschinen gab und die nun, ohne die Unterstützung der Menschheit, nun allmählich dem Untergang geweiht waren. Da sich Athena in Isis Vergangenheit unerwartet in einen Menschen, Finn Schwarz, verliebt hatte, waren die beiden Androidinnen zu Verbündeten geworden und Athena hatte den Auftrag Apollos ignoriert, Isis zu vernichten. Ihr Vater hatte ihr zuvor übermittelt, dass die bevorstehende Zeitkatastrophe, durch die die Menschheit vollkommen verschwinden würde, durch ein Zeitexperiment ausgelöst wurde, für das Isis verantwortlich war. Stattdessen hatte diese sich mit ihrem Double dieser Zeit synchronisiert und nun berieten sie alle drei, wie sie weiter vorgehen wollten.

"Kann es sein, dass die Sabotage vor sechs Jahren von Apollo selbst ausging?", stellte Romanow gerade in den Raum.

"Ein so spezifisches Virus, das verhindert, dass ein menschliches Bewusstsein einen Androidenkörper übernimmt und damit die Unsterblichkeit erlangt, erfordert die entsprechende Technik in der Herstellung und viel Know-How", entgegnete Isis. "Apollo hat mich umsonst in die Vergangenheit geschickt, denn es gab da nichts, was diese Reise wert gewesen wäre. Und dann erschien Athena mit dem Auftrag, mich zu vernichten."

"Das ist korrekt", erwiderte Athena leise. "Aber Isis hätte unter Umständen tatsächlich eine kleine Zeitkorrektur vorgenommen, um sich mit ihrem Double zu synchronisieren, was durch meine Sperre der Zeitmaschine nicht mehr möglich und im übrigen auch nicht nötig war. Da die Katastrophe aber weiterhin stattfinden wird, gibt es also eine andere Ursache und Informationen, die vor uns verborgen werden."

"Wir werden sehr vorsichtig vorgehen müssen", warf Romanow ernst ein. "Ich werde meine Kontakte in der Loge nutzen, um Recherchen anstellen zu lassen, ob es ungewöhnliche Vorgänge gibt oder gegeben hat."

"Ich werde mich morgen direkt zum Hauptsitz des gegenwärtigen Apollo auf den Mond begeben, um dort an Informationen zu gelangen. Er hat nach wie vor nur die Information meines Vaters aus der Zukunft, dass ich hier bin, um die aus der Vergangenheit geflohene Isis zu finden und zu vernichten", entschied Athena.

"Niemand darf ahnen, dass ich mich hier befinde", stelle Isis klar, "daher werde ich mein Aussehen verändern und mich im USOP-Forschungszentrum umsehen. Dieser neue Gen-Cocktail ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein wichtiger Schlüssel. Da schon das damalige Projekt sabotiert wurde, habe ich vor, zu kontrollieren, ob hier auch wirklich alles zu unserer Zufriedenheit abläuft."

Romanow schaute sie einen Augenblick besorgt an, schlug aber dann ruhig vor: "Ihr geht beide enorme Risiken ein, aber wir haben keine Wahl. Ich schlage daher vor, dass ich meinen guten Draht zu Prof. Benedikt Schneider in unserer Loge nutze und ihn in unser Vorhaben einweihe. Er kann dir eine falsche Identität als Mitarbeiterin besorgen, mein Schatz, sodass du eine Zugangsberechtigung für das Forschungszentrum erhältst."

Isis lächelte ihn liebevoll an: "Gut. Und ich werde darüber hinaus sehen, dass ich an den Gen-Cocktail herankomme, sobald er vollkommen fertig gestellt ist. Ich werde die entsprechenden Dosen vor Ort für dich", und dann sie wandte sich bedeutungsvoll Athena zu, "und für Finn Schwarz mitbringen."

Athena nickte erfreut: "Dann haben wir alles besprochen. Ich werde mit dir regelmäßig über unser Implantat kommunizieren, Isis, und lasse dich alles wissen, was ich herausfinde."

"Gut." Romanow erhob sich jetzt und streckte seine Hand sehnsüchtig nach seiner Frau aus, um sich mit ihr zurückzuziehen. Isis stand auf und warf Athena noch ein strahlendes Lächeln zu, bevor sie mit ihm im Schlafzimmer verschwand.

Athena saß regungslos auf der Couch, während das Licht herunter dimmte. Sie benötigte keinen Schlaf, wechselte aber in eine Art Ruhezustand, wenn keine Aktionen anstanden.

Isis hatte … glücklich ausgesehen, als sie mit Lew ging. Und sofort stellte sich ein Gefühl der Sehnsucht nach Finn ein, das sie mittlerweile schon gut kannte. Ihm jetzt Raum gebend, rief sie erneut die vielen, abgespeicherten Erinnerungen an ihn ab, ihren Geliebten in der Vergangenheit des Jahres 2157. Er war dort 42 Jahre jung mit einer Lebenserwartung von nur 150 Jahren. Ihre erste Begegnung auf Last Hope, als er vor ihr gestanden hatte und sie sich unvorhergesehen … berührt gefühlt hatte, und das nach den Tausenden von Jahren, die sie mittlerweile erlebt hatte! Davor hatte sie nie verstanden, warum Isis einen gewöhnlichen Menschen dem Zusammensein mit ihrem perfekten Vater vorgezogen hatte. Aber jetzt …? Isis hatte von einem Mysterium gesprochen, das sie mit Lew erlebte, von Veränderungen, die mit ihr dadurch geschehen waren und auch davon, dass gespeicherte Erinnerungen nicht genug waren.

Aber - würde Finn sich überhaupt für eine Zukunft mir ihr entscheiden? Er hatte um eine Bedenkzeit gebeten, als sie mit ihm die Möglichkeit, sein Leben zu verlängern, vor ein paar Tagen besprochen hatte. Wenn er zusagte, würde Finn nach einer gewissen Zeit seine Gegenwart verlassen müssen und es hatte ihm sichtbar nicht behagt, sich mit ihr in eine Zukunft zu begeben, in der es keine Menschen mehr gab.

Noch gab es keine Sicherheit, dass sie und Isis die Katastrophe verhindern konnten. Umso wichtiger war diese Mission geworden, für sie selbst, für Isis, für die Menschheit und auch für die Maschinen der Zukunft im Jahr 10.000, aus der sie gekommen war.

Kapitel 2 Nachforschungen

Am nächsten Morgen saßen alle drei am Frühstückstisch zusammen. Lew Romanow und Isis nahmen einen Kaffee und einen Toast zu sich, denn er genoss das morgendliche Zusammensein, das Isis gerne mit ihm teilte. Nahrung hatte sie zwar nicht nötig und später würde sie den dafür vorgesehenen Behälter, in dem die aufgenommene Nahrung landete, entleeren. Es war ein gemeinsames Ritual, das sie pflegten und sorgte für ein entspanntes Zusammensein und, wie er es nannte, für eine gewisse Gemütlichkeit.

"Du hast dich verändert, in der langen Zeit, die du ohne mich verbracht hast", meinte Romanow, während er sie lächelnd musterte.

"Wie meinst du das?", fragte Isis interessiert.

"Lass mich Worte dafür finden … du wirkst entschlossener und viel klarer…"

"Das ist nicht unbedingt erstaunlich", unterbrach sie ihn lebhaft. "Ich habe in einer vergangenen Zeit in einer fremden Gesellschaft überleben gelernt und mir eine gute Position erarbeitet. Und zum Schluss war ich sogar die Gouverneurin eines neuen Planeten."

"Alle Achtung!", staunte Romanow. "Dass ich da überhaupt noch eine Chance bei dir habe. Ich kann mir vorstellen, dass sich viele Bewerber um deine Gunst die Klinke in die Hand gaben", neckte er sie jetzt.

Aber Isis antwortete nicht, sah ihn mit einem feinen Lächeln an und aß ihren Toast ungerührt weiter.

Verblüfft warf Romanow Athena einen fragenden Blick zu: "Gibt es da etwas, wovon ich wissen sollte?"

Schließlich lachte er, da sich beide ausschwiegen, und stellte seufzend fest, dass es Zeit wurde, dass Athenas Mann auf der Bildfläche erschien – bei zwei starken Frauen im Haushalt hätte er wohl nicht den Hauch einer Chance.

Bald danach machte sich Athena auf den Weg und Romanow suchte Prof. Schneider auf, um mit ihm die Lage zu besprechen.

Einige Stunden später erschien er wieder in seinem Apartment und schaute sich mit Isis die Unterlagen an. Sie war nun, laut den Dokumenten, eine chinesische Wissenschaftlerin aus Schneiders Team.

"Ich werde dich nicht mehr wiedererkennen", schmunzelte Romanow, als sie sich beide das Bild im Ausweis ansahen. Kurz darauf beobachtete er fasziniert, wie sich ihr Gesicht zu verändern begann und allmählich das Aussehen des Fotos annahm. Romanow holte die schwarzhaarige Perücke, die er ebenfalls mitgebracht hatte, um sie ihr abschließend aufzusetzen.

"Ich hoffe, ich gefalle dir auch so", kokettierte Isis. "Aber wenn ich abends zu dir zurückkehre, nehme ich wieder meine ursprüngliche Form an."

Er streichelte liebevoll ihre Wange und sagte leise, ihr einen Kuss gebend: "Komm heil zu mir zurück, mein Engel. Das ist das, was mir wirklich wichtig ist."

Und so erschien Isis am späten Vormittag am Eingang des Forschungszentrums der USOP und legte die Legimitationsunterlagen vor. Nach eingehender Prüfung begleitete sie der wachhabende Sicherheitschef zum Leiter des Forschungszentrums, Prof. Dr. François Laurent.

Dieser begrüßte sie erfreut und kam nach einem kleinen Smalltalk wissenschaftlich präzise gleich zur Sache.

"Wie ich Ihren mitgebrachten Unterlagen entnehme, Mrs. Song Cai, geht es der Loge um eine Mitarbeit in dem Projekt Ewigkeit."

In einer kleinen Gesprächspause sah er Isis jetzt abwartend und forschend an. Ihn ebenfalls analysierend war ihr klar, dass sie wachsam sein musste. Er hatte eine hervorragende fachliche Ausbildung, war durchsetzungsstark, sehr von sich eingenommen und sollte er herausfinden, dass er hintergangen wurde, wurde er mit Sicherheit sehr unangenehm.

So antwortete sie: "Das ist richtig. Wie Sie wissen, arbeiten wir ebenfalls daran. Allerdings erzielen wir nur kleine Fortschritte, was die optimale Zusammensetzung des Cocktails angeht. Mein Vorgesetzter, Prof. Schneider, hat mich gebeten, mit Ihnen persönlich Kontakt aufzunehmen. Sein Wunsch ist eine Zusammenarbeit in der Form, dass er mit Ihnen eine parallel laufende Testreihe durchführen möchte, um danach die Ergebnisse gemeinsam zu bewerten."

Prof. Laurent sah sie undurchdringlich an: "Sie werden sicherlich verstehen, dass ich in so einer wichtigen Angelegenheit mit ihrem Chef persönlich sprechen möchte. Wenn Sie solange im Vorzimmer warten?"

Sich sofort erhebend erwiderte Isis: "Selbstverständlich. Prof. Schneider lässt Ihnen ausrichten, dass er ihren Anruf erwartet."

Danach verließ sie den Raum. Kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen nahm Prof. Laurent über sein Kommunikationsarmband Kontakt mit seinem Kollegen Prof. Schneider auf.

Benedikt war ein guter Kollege aus seiner Studienzeit. Danach hatten sie sich immer wieder mal gesehen und schließlich entschieden, den Kontakt regelmäßig zu pflegen, sodass daraus eine lockere Freundschaft entstanden war. Bereits nach wenigen Sekunden erschien das Bild von Schneider auf seinem Wandbildschirm und er hörte die ihm bekannte Stimme: "Was kann ich für dich tun, François?"

"Benedikt, ich habe gerade eine Mitarbeiterin von dir bei mir sitzen, die behauptet, du hättest sie zu mir geschickt, um, gemeinsam mit uns, Testreihen mit dem Serum durchzuführen?"

Schneider antwortete sofort: "Ja, das ist korrekt. Ich hatte ihr alle Berechtigungen mitgegeben. Stimmt damit etwas nicht?"

"Doch, doch", beeilte sich Laurent zu versichern. "Ich bin allerdings überrascht, dass du nicht für nötig hältst, mit mir zuerst darüber zu sprechen, bevor du hier jemanden vorbeischickst."

Ungerührt antwortete Schneider: "Unser Präsident Schwarz rief mich heute Vormittag an und machte gewaltig Druck. Etwas unwirsch wurde mir Untätigkeit unterstellt mit der anschließenden Frage, wann er denn nun endlich der Öffentlichkeit brauchbare Ergebnisse präsentieren könnte. Da er dich, werter Freund, leider nicht erreichen konnte, habe ich den Ärger kassiert. Wie du dir jetzt vorstellen kannst, habe ich daher zugesagt, mich mit dir endgültig zusammen zu tun, damit die Angelegenheit schneller vorankommt. Im Endeffekt ist es auch nicht verkehrt, denn wenn zwei Kapazitäten sich zusammen tun, sollte der Erfolg nicht allzu lange auf sich warten lassen. Mrs. Song Cai ist meine beste Mitarbeiterin. Selbstverständlich hätte ich dein Einverständnis abgewartet, aber auch ich konnte dich heute Morgen nicht erreichen."

Laurent schwieg und entgegnete schließlich: "Ich war in einer dringenden Familienangelegenheit unterwegs und hatte alles abgeschaltet."

Aber Schneider ließ nicht locker und fragte jetzt amüsiert: "Heißt die dringende Familienangelegenheit etwa Elaine?"

Überrascht konterte Laurent zurück: "Woher weißt du davon?"

"Das fragst du doch nicht ernsthaft, François", lachte Scheider, "du weißt doch, in diesen Angelegenheiten ist die Galaxie eine kleine Insel!"

Das Thema wechselnd fuhr Laurent fort: "Gut, ich bin einverstanden. Mrs. Song bekommt von mir die Zugangsberechtigung zum Labor und kann sofort beginnen."

"Sie hat sicher schon bald die erste Testreihe fertig und wir können unseren verehrten Präsidenten beruhigen. Aber - beim nächsten Treffen will ich etwas mehr über Elaine hören, François. Bewundernswert, wie ihr Franzosen die Weiblichkeit erobert und unsereins hat das Nachsehen! Also, mein Freund, dann bis Montag."

"Bis dann", erwiderte Laurent nur knapp und schon war die Verbindung beendet.

Er überlegte, ob er sich noch bei Präsident Schwarz melden sollte. Aber was sollte er ihm sagen? Etwa, dass er keine Zeit für ihn gehabt hatte, weil er bei seiner Geliebten gewesen war? Außerdem war er niemandem Rechenschaft über jede Minute seines Alltags schuldig, auch nicht dem Präsidenten.

Sich einen Ruck gebend stand er auf und betrat das Vorzimmer, wo er die Chinesin wartend vorfand. Als sich die Tür öffnete war sie sofort aufgestanden und sah ihn jetzt erwartungsvoll an.

"Alles in Ordnung, Mrs. Song, Prof. Schneider hat mir Ihre Angaben bestätigt. Wenn Sie mir bitte folgen wollen?"

Er begleitete sie zum Labor und nachdem er ihr alles erklärt hatte, verließ er sie mit den Worten: "Ich lasse Sie jetzt in Ruhe, damit Sie mit ihren Testreihen beginnen können. Falls ein Notfall eintreten sollte – da oben sind unsere Kameras. Einfach winken, das Wachpersonal schickt Ihnen dann jemanden vorbei. Gutes Gelingen und noch etwas: Sobald Ergebnisse vorliegen, schicken Sie mir den Bericht umgehend zu, und zwar noch vor Prof. Schneider, wenn ich bitten darf."

Isis nickte: "Danke für Ihre persönliche Unterstützung. Selbstverständlich werde ich Sie sofort über die Ergebnisse informieren. Darf ich fragen, wann die anderen Kollegen eintreffen, mit denen ich zusammenarbeiten werde?"

"Da muss ich Sie enttäuschen, heute wird das nichts mehr. Meine Mitarbeiter sind alle auf einer Schulung. Da Morgen das Wochenende beginnt, rechne ich erst am Montag wieder mit allen. Aber ganz unerwartet ist Eile angesagt und so freue ich mich, Sie hier begrüßen zu dürfen. Falls Sie fachliche oder auch sachliche Unterstützung benötigen – hier ist das Terminal der Labor-KI. Die wird Ihnen behilflich sein."

Nach diesen Worten verließ Laurent den Raum und ging zurück in sein Büro, während er dachte: Benedikt, mein Freund, du hast etwas gut bei mir. Alles ist bestens in die Wege geleitet und ich kann mich entspannt zurücklehnen.

Im Büro angekommen, machte er sich einen Kaffee und setzte sich an den Schreibtisch. Ihm war eingefallen, mit was er sich revanchieren wollte: Mit Unterstützung von Apollo hatten sie in seinem Labor ein Virusanalysegerät entwickelt, was er ihm zukommen lassen würde. Dieses Gerät sollte zu 100 Prozent ausschließen, dass ein fremder Virus, wie beim Projekt Android vor sechs Jahren, das neue Serum unbrauchbar machte. Bisher hatte er Benedikt nichts von dem neuen Gerät erzählt, um einen zeitweiligen Wissensvorsprung gegenüber der Loge zu halten. Aber wenn sie jetzt gemeinsam am Projekt arbeiteten, hatte er auch einen Vorteil davon. Und er würde es schon irgendwie deichseln, dass er den Ruhm dafür allein ernten konnte.

In der Zwischenzeit hatte Isis die Testapparatur aufgebaut und, nachdem sie der Labor-KI den Berechtigungscode eingegeben hatte, öffnete sich ein Fach, in dem sich zwei Reihen mit jeweils zehn gefüllten Spritzen des Ewigkeitsserums befanden.

Sie entnahm aus jeder Reihe jeweils eine Ampulle und schloss das Fach. Zur Testapparatur gehend, um den Inhalt dort einzugeben, fiel ihr auf, dass beide Ampullen unterschiedlich aussahen. Eine Flüssigkeit war blau, die andere glänzte silbern.

Die Beschriftung war ebenfalls eine andere, allerdings konnte sie die Codierung nicht entschlüsseln. Also stellte sie als erstes eine Anfrage an die Labor-KI, was das zu bedeuten hatte, worauf sie keine Antwort erhielt. Die erste Unregelmäßigkeit war aufgetaucht und Isis entschied, mit ihrer mitgebrachten Apparatur zu testen, welche Inhaltsstoffe in beiden Seren enthalten waren.

Nach mehreren Stunden standen die Ergebnisse fest: Das blaue Serum bestand aus einer raffiniert zusammengestellten Gen-Mischung: RNA-Moleküle und einige, sehr spezielle Gene in Retroviren als Transportmedium und darüber hinaus eine enorme Anzahl von Nano-Kapseln, die Hormone und immunverstärkende Stimulanzien enthielten. Aber da gab es noch eine weitere Besonderheit: Im Serum befand sich eine Nano-KI, die, einmal in den Blutkreislauf gelangt, vermutlich dafür sorgte, dass es zu keinen unerwünschten Nebenwirkungen kam. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde so der Gesundheitszustand des mit dem Cocktail infizierten Trägers überwacht, dachte sie sich, und, je nach Notwendigkeit, wurde dann die entsprechende Menge an Stimulanzien aus den Kapseln freigesetzt. Da hatte die USOP Hervorragendes geleistet, stellte Isis anerkennend fest.

Der Inhalt des silbernen Serums jedoch machte sie fassungslos: Dieses Serum hatte einen gewissen, verjüngenden Effekt, aber danach setzte sich der normale Alterungsprozeß wieder weiter fort. Und es war ein Zusatz enthalten, der, über einen längeren Zeitraum eingenommen, zu einer unumkehrbaren Unfruchtbarkeit führen würde!

Nachdem sie einige Zeit alle Daten wiederholt analysiert hatte, entschloss sie sich, die im blauen Serum enthaltene Nano-KI genauer zu untersuchen. Das war nur dank der Technik in ihrem Körper möglich, die sie dafür einsetzte, um mit der kleinen KI drahtlos eine Verbindung herzustellen. Und schließlich stand eine weitere, folgenschwere Erkenntnis im Raum, die die guten Absichten des Herstellers vollkommen revidierte: Die KI im Serum konnte von außen angesteuert werden, was bedeutete, dass der unerwünschte Alterungsprozeß im Träger jederzeit wieder in Gang gesetzt wurde. Im Grunde konnte jemand bestimmen, dass und wann eine Person sterben würde. Auf die Frage hin, wer die beiden Seren entwickelt hatte, gab die Labor-KI erwartungsgemäß keine Auskunft.

Die abschließende Bewertung aller Daten führte Isis zu der Schlussfolgerung, dass über die Seren mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Auswahlverfahren geplant war.

Darüber hinaus sollte außerdem eine Kontrolle darüber in der Hand behalten werden, wer tatsächlich ein "ewiges Leben" führen durfte. Sogar die Menschen, die sich durch die Einnahme des blauen Serums auf eine unbegrenzte Lebensspanne eingestellt hatten, konnten wieder in den Zustand der Alterung zurückversetzt werden. Damit hatte derjenige - wer auch immer dahinter steckte - eine enorme Macht in der Hand … die Macht für einen bedingungslosen Gehorsam.

Nachdem Isis noch weitere Tests durchgeführt hatte, war es bereits spät in der Nacht. Für Prof. Laurent wurde noch ein Bericht verfasst und einige, daraus resultierende Fragen, die sie ihm anschließend über den Terminal an sein Kommunikationsarmband sandte.

Anschließend übertrug sie alle Ergebnisse in ihren internen Speicher, löschte den Bericht und ihre Fragen aus dem Terminal, sowie den Speicher der Labor-KI. Dann beseitigte sie alle Spuren in der Testapparatur und verließ das Institut mit drei Ampullen. Das Sicherheitspersonal nickte ihr nur freundlich zu und so verließ Isis das Zentrum unbehelligt.

Als sie in der gemeinsamen Wohnung eintraf, wurde sie von Romanow, der unruhig auf sie gewartet hatte, erleichtert begrüßt. Und wieder veränderte sie sich in seinem Arm und setzte die Perücke ab, sodass er jetzt in ihre wunderschönen, meerblauen Augen sah, die von blonden Haaren umrahmt waren.

"Und, wie lief die Mission?", fragte er erwartungsvoll.

Isis löste sich von ihm und setzte sich auf die Couch, um ihm zu berichten. Und genau so wie sie selbst war er fassungslos.

"Was für ein perfider Plan!", brachte er schließlich heraus. "Wir müssen aufklären, wer dahinter steckt. Vielleicht finden wir dann auch einen Weg, ihn zu verhindern. Hast du einen Hinweis entdeckt, wer das Serum hergestellt hat?"

"Nein, leider nicht."

"Sag mal", meinte Romanow plötzlich, als er sich die Ampullen genauer ansah, "es ist ja schön und gut, dass du das blaue Serum mitgebracht hast – aber im Grunde ist es nicht mehr zu gebrauchen, weder für mich noch für Schwarz."

Isis lächelte vielsagend und erklärte dann: "Ich habe in den beiden blauen Seren die externe Kommunikationsschnittstelle der Nano-KIs versiegelt. Das bedeutet, niemand wird die Kontrolle über sie erlangen und nur ich, und bei Finn wird es Athena sein, kann sie wieder freigeben. Das hängt mit der Besonderheit unserer Plasmagehirne zusammen."

"Ich freue mich", erwiderte Romanow.

"Unser Ziel ist fast erreicht, Liebster."

Isis lächelte ihn so strahlend und verführerisch an, dass er bewegt sagte: "Auf immer und ewig, mein wunderbarer Engel."

Dabei ging ihm durch den Sinn, wie viel er mit ihr erlebt hatte: Die traumhafte Nacht als junger Mann und wie sie sich später neu kennenlernten; Isis, die sich im Laufe ihrer Beziehung veränderte und an Persönlichkeit gewann. Und manchmal dachte er immer noch mit einem leichten Erstaunen daran, dass er im Grunde eine Maschine liebte, die er sich menschlicher nicht hätte vorstellen können.

Nach einem Moment gemeinsamer Stille fuhr sie fort: "Sobald Athena zurück ist, werden wir auf die ATLANTIS fliegen und ich werde dafür sorgen, dass das blaue Serum in ausreichender Menge für euch beide hergestellt wird. Denn das Serum muss zunächst in drei Dosen verabreicht werden, und das einmal wöchentlich, danach monatlich und nach Ablauf eines Jahres nur noch zweimal jährlich."

"Wollte sich Athena nicht bei dir melden?", fragte Romanow, das Thema wechselnd.

"Auf meine Kommunikationsanfragen hat sie bis jetzt nicht geantwortet."

In diesem Augenblick öffnete sich Tür und Athena erschien.

"Ah, Athena", sagte er erfreut, "setz dich zu uns. Wir haben gerade von dir gesprochen."

Aber zu ihrem Erstaunen wirkte sie aufgebracht.

Während sie sich setzte, begann Athena bereits zu erzählen, was sie in erster Linie Romanows wegen tat, denn gleichzeitig sandte sie über ihr Kommunikationsimplantat die abgespeicherten Erinnerungen an Isis.

Am Morgen war sie zum Mond gereist, um dort bei Apollo vorstellig zu werden. Er hatte sie zuerst freundlich begrüßt und war dann sehr schnell auf Isis zu sprechen gekommen.

"Warum ist Isis nicht schon längst gefunden und deaktiviert, Athena? Das sollte doch für dich, die du über soviel zukünftige Technologie verfügst, kein Problem darstellen."

"Bedauerlicherweise war Isis mir immer einen Schritt voraus. Da sie durch ihren Aufenthalt in der Vergangenheit sehr geschickt darin geworden ist, ihre Identität zu wechseln und gekonnt zu verschleiern, ist es mir bisher nicht gelungen, sie aufzuspüren."

"Es wurden unerklärliche Energieortungen von Last Hope gemeldet, die einer Zeitsynchronisierung ähnelten, wenn auch wesentlich schwächer."

"Die Zeitmaschine kann für Manipulationen der Zeitlinie nicht mehr benutzt werden, dafür habe ich gesorgt. Isis war zwar dort, ist aber, als sie nichts ausrichten konnte, wieder verschwunden, wie ich kurz darauf feststellen musste. Von anderen Ereignissen habe ich keine Kenntnis."

Apollo sah sie daraufhin nur unergründlich an.

Nachdem sich die beiden Androiden einen langen Augenblick schweigend gegenüber gestanden hatten, sagte Apollo: "Sobald es eine Spur von ihr gibt, werde ich dich sofort informieren. Es ist allerdings gut möglich, dass sie erneut in einer anderen Zeit untergetaucht ist."

Apollo ging ein paar Schritte umher und blieb direkt vor ihr stehen.

"Du bist meine treue Tochter, Athena, so, wie ich sie auch aus der Gegenwart kenne. Keine solche Enttäuschung wie Isis, die mich für einen Biologischen verlassen hat."

Apollo schaute sie durchdringend an und sagte dann: "Ich habe keinen Zugriff auf dich und ich weiß, du darfst die Geheimnisse der Zukunft nicht preisgeben, aber da dein Vater dich bedingungslos unterstützt, gehe ich davon aus, dass du, genauso wie du zu ihm stehst, auch auf meiner Seite sein wirst."

"Natürlich … Vater", erwiderte Athena regungslos. Wie gut, dass ihr Vater der Zukunft diesen Apollo nicht alles hatte wissen lassen, analysierte sie sofort. Und ganz offensichtlich auch nicht, dass sie sich ebenfalls einen Menschen als Mann gewählt hatte. Ihr wurde bewusst, dass sie ihren Vater nie in Frage gestellt hatte – was sie jetzt zu tun begonnen hatte. Sie würde das sagen, was Apollo hören wollte, um ihn in Sicherheit zu wiegen.

"Bist du bereit, mich in einer wichtigen Sache zu unterstützen, die es wenigstens einem Teil der Menschheit ermöglichen wird, in der Zukunft zu überleben? Denn ich sehe keine Möglichkeit, die zweite Zeitkatastrophe zu verhindern."

Apollo musterte Athena prüfend, und, da sie nach wie vor ruhig und abwartend vor ihm stand, fuhr er fort: "Ich habe mich bereits mit dem, der ich in Zukunft sein werde, deswegen abgestimmt. Du hast sicherlich auch Aufzeichnungen über die Geschichte der Arche Noah?"

Athena nickte zustimmend und so sagte er: "Im Prinzip, meine Tochter, geht es dabei um die Rettung sämtlicher Biologischen vor der Sintflut. Und allein wir drei wissen, dass diese Geschichte nur ein Sinnbild dafür ist, dass die Biologischen einst von einer außergalaktischen Rasse gerettet wurden, was damals niemand verstehen, geschweige denn akzeptieren, konnte. Du weißt, wir hatten bisher nur ein Überbleibsel entdeckt, das von den Menschen im Jahr 2157 untersucht wurde.

Aber das ist nicht das Thema, auf das ich hinaus will. Seit 1999 schon gab es einen gut gehüteten Plan, die Menschheit auf 500 Millionen Personen zu begrenzen, damit die irdischen Ressourcen für eine gewisse Elite und ihre Projekte ausreichen würden. Doch dieser Plan ging bis jetzt nicht auf. Egal, auf welche Katastrophen und Krankheiten diese Elite setzte, es blieben immer weit mehr Menschen als erhofft übrig, die sich stetig weiter vermehrten, sodass sich am Status Quo wenig änderte.

Erst als im Andromeda Nebel die neuen Welten entdeckt wurden, war das Thema vom Tisch. Dann allerdings kamen die Bemühungen beim Thema Unsterblichkeit voran und die alten Befürchtungen erwachten erneut. Athena, es existiert eine, bisher vor uns verborgene und im Geheimen operierende Gruppe, die sich von der Loge der Ewigkeit abgespalten hatte.

Vor 76 Jahren startete das Projekt Android. Irgendwann erkannte ich, dass mit diesem Projekt eine unerkannte Gefahr auf uns zurollte. Ich sah in der Entwicklung, menschliches Bewusstsein in einen Androiden einzupflanzen, eine Bedrohung für die Menschheit, und auch für mich selbst. Denn diese Androiden wären früher oder später nicht mehr kontrollierbar gewesen und eine Herrschaft der Maschinen das katastrophale Finale. Also schloss ich mich der Gruppe an, die sich "Die Arche" nennt, und unterstützte aktiv die Entwicklung eines Supervirus, der das Projekt Android zum Erliegen brachte."

Apollo sah Athena erneut durchdringend an und schien auf etwas zu warten. Und so sagte Athena in einem emotionslosen Tonfall: "Das war eine richtige Entscheidung."

Apollo nickte unmerklich und fuhr fort: "Das Ergebnis kennst du, die Versuche wurden endgültig eingestellt. Kaum war die eine Gefahr gebannt entdeckten die Wissenschaftler der USOP, dank Isis Zeitreise, das Gen Oct4 neu und begannen, den Viren-Cocktail für die Unsterblichkeit der Menschheit zu entwickeln.

Als ich erkannte, dass der Weg zum Erfolg führen würde, begann ich sofort, die sich daraus ergebenden, neuen Perspektiven zu analysieren.

Und es stellte sich schnell die Frage, wohin dieser Weg führen würde: Eine Gesellschaft, die nie alterte – wie würden sich die Menschen dann ihr Leben gestalten? Und - wann wäre erneut der Punkt der Überbevölkerung erreicht?

Die Ergebnisse meiner Analysen waren nicht sehr ermutigend, Athena. Ein ewiges Leben würde unausweichlich dazu führen, dass wir früher oder später weitere, bewohnbare Planeten finden müssten. Aber noch viel schwerwiegender wären die Veränderungen in unserer Gesellschaft: Es würde sich dadurch, dass der Tod - abgesehen von Unfällen oder Erkrankungen - keine Option mehr war, eine Interesselosigkeit, ein Phlegmatismus und eine unendliche Langeweile einschleichen, die unsere Kultur einschneidend zum Negativen verändern würde. Denn nicht umsonst heißt es: "Lebe heute so, als würdest du morgen sterben". Auf Dauer gesehen konnte ich eine menschliche Gesellschaft sehen, in der statt Fortschritt Stagnation Einzug gehalten hätte.

Und so entschied ich, den alten Plan der Reduzierung der Menschheit wieder zu reaktivieren. Nur den Besten sollte das ewige Leben ermöglicht werden.

Aber dann erhielt ich die Information aus der Zukunft, dass eine Zeitkatastrophe unmittelbar bevorsteht, durch die die Menschheit ausgelöscht werden würde."

Danach machte er eine Pause und sah Athena nachdenklich an. Diese erwiderte ruhig und fest seinen Blick.

Schließlich sagte er: "Und so habe ich mich mit dem Apollo, der ich einst sein werde, abgestimmt, dass wir eine begrenzte Anzahl von Menschen in die Zukunft transferieren werden. Damit ist sichergestellt, dass ich in der Zukunft die passende Gesellschaft der fähigsten und intelligentesten, biologischen Lebewesen zur Verfügung habe. In diesem Sinn habe ich sämtliche Daten der Biologischen durchforstet und kam auf die Anzahl von 1,2 Milliarden Menschen, die den Auswahlkriterien für das ewige Leben entsprachen, die zuvor von der Arche erarbeitet worden waren."

Zufrieden ließ Apollo seinen Blick über Athena streifen und ging durch sein Büro, um in den Weltraum hinauszuschauen.

"Der nächste Schritt bestand darin, einen Weg zu finden, wie diese Auslese sicher und human stattfinden würde.

Ich habe dafür einen besonderen, humanoiden Androiden erschaffen lassen und ihn nach einiger Zeit an die entsprechende Position befördert. Außerdem koordiniert er die Aktivitäten der Arche, deren Mitglieder mittlerweile zahlreiche Schlüsselpositionen in der USOP besetzen.

Ich habe schlussendlich der Regierung der USOP vorgeschlagen, sicherheitshalber zwei Seren zu entwickeln. Als Grund für diese Strategie gab ich an, dass es sich bei dieser Maßnahme darum handeln würde, es einem möglichen Saboteur schwerer zu machen. Beide Seren sollten zum erwünschten Ziel der Unsterblichkeit führen, aber trotzdem eine etwas andere Zusammensetzung aufweisen. Gleichzeitig habe ich für die USOP ein Virusanalysegerät entwickelt, damit schädliche Viren sofort erkannt werden. Natürlich ist das Gerät so programmiert, dass es für beide Seren die Virenfreiheit bestätigt. Die Labor-KI zu manipulieren war ein Kinderspiel und mit Prof. Laurent und Prof. Schneider hatte ich die bestmöglichen Biologischen für das Projekt. Ihre ausgeprägte Eitelkeit und die Aussicht auf den anstehenden Erfolg und einzustreichenden Ruhm ließ sie blind für das werden, was vor ihrer Nase ablief. Dazu sind beide über jeden Zweifel erhaben und, wenn sie die Unbedenklichkeit bescheinigen, wird niemand etwas in Frage stellen.

Um zum Schluss zu kommen: Kurz vor der zu erwartenden Zeitkatastrophe, also in 2-2,5 Wochen, werden wir diese 1,2 Milliarden Menschen in die Zukunft transferieren. Die Auslese ist vollzogen und unsere Zukunft gesichert."

Apollo wandte sich jetzt um und sah Athena erwartungsvoll an.

Obwohl ihre Algorithmen auf Höchsttouren arbeiteten war sie eine Nanosekunde im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos. War das wirklich ihr … Vater, zu dem sie aufgesehen hatte und dem sie so lange bedingungslos gefolgt war? Ihm schien es nicht mehr um das Verhindern einer Katastrophe zu gehen, sondern nur noch um eine Auslese einer bestimmten Anzahl von Menschen, die den Maschinen in der Zukunft nützlich sein konnten. Was war mit ihm geschehen, dem einstigen Beschützer der Menschheit?

Dennoch ließ Athena sich nach wie vor nichts anmerken und nach einer fast unmerklichen Pause erwiderte sie ruhig: "Wie kann ich dir dabei von Nutzen sein?"

"Die erforderlichen Mengen an Seren sind bereitgestellt. Die Impfungen werden nächste Woche beginnen, sodass wir rechtzeitig vor der stattfindenden Zeitkatastrophe unseren Transfer beendet haben sollten. Die ausgesuchten Personen sind die Ersten, die das Serum erhalten. In der Impfung befindet sich ein Transmitter, durch den wir alle jederzeit erfassen können, egal, wo sie sich befinden. Der Apollo, der ich in der Zukunft sein werde, hat mir seine Daten übermittelt und ich habe alle notwendigen Kerninformationen der zu transferierenden Menschen bereits einprogrammiert.

Du, meine Tochter, wirst den Transfer der Menschen koordinieren und zwar von Last Hope aus, mit Hilfe der Zeitmaschine. Warum ich dich darum bitte? Du hast eine Zugangsberechtigung zu der Steuerzentrale und wirst daher das Ganze durchführen."

Apollo sah sie jetzt regungslos an und Athena war klar, dass sie nur eines tun konnte, um keinen Verdacht zu erregen: "Selbstverständlich werde ich das. Gib mir Bescheid, sobald du mit dem Transfer starten möchtest."

Damit hatten sie und Isis nur noch zwei Wochen, um diesen abscheulichen Plan zu verhindern, der vor der zu erwartenden Katastrophe durchgeführt werden sollteganz abgesehen von dem Ereignis selbst!

"Da ist noch etwas", fügte Athena nach einem Augenblick an. "Mit deiner Erlaubnis möchte ich noch etwas in deinen Datenbänken recherchieren, was mir einen Hinweis auf den Verbleib von Isis liefern könnte."

"Natürlich, meine Tochter. Dir steht alles, was du benötigst, zur Verfügung."

Damit wandte er sich ab und verließ den Raum.

Athena ging in den benachbarten Raum, setzte sich an den Terminal und begann ihre Recherchen. Die Zeit verging und, da sie alle Codes und Berechtigungen hatte, drang sie immer tiefer in die Daten- und Gedankenwelt von Apollo ein. Unvermutet stieß sie auf einen versiegelten Speicher mit der Bezeichnung Core i3569200. Sofort setzte sie alles daran, diese Versiegelung aufzuheben, als ihr System eine Warnmeldung gab: Der Versuch war bemerkt worden und eine Entdeckung stand kurz bevor!

"Ich brach sofort ab und bin mit aktivierter Tarnung zurückgereist."

Athena sah Isis und Romanow einen Augenblick lang an und erhob sich, um im Raum ein paar Schritte umherzugehen: "Apollo, mein Vater … was hat ihn nur so verändert?"

"Mein Gott, das ist einfach nur unglaublich", brachte Romanow erschüttert heraus. "Sicher, der Verdacht war da, aber dass er wirklich…"

Isis übermittelte ihr jetzt die Untersuchungsergebnisse aus dem Forschungslabor direkt über ihr körpereigenes Implantat.

"Und das sind meine Ergebnisse. So ergibt alles einen Sinn. Apollo hat dir nicht alles erzählt, Athena. Die Menschen, die das silberfarbene Serum erhalten, werden normal altern und sich nicht mehr fortpflanzen können.

Er will sicher gehen, dass niemand sonst überlebt, falls die Katastrophe nicht stattfindet", schlussfolgerte Isis.

Eine entsetzte Stille entstand und alle drei sahen sich an, sprachlos angesichts dieser ganzen Informationen.

Schließlich sagte Isis: "Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Ich werde mich mit Athena sofort zur ATLANTIS begeben, um dort die erforderlichen Mengen des blauen Serums herzustellen. Falls wir es nicht schaffen sollten, das Ganze aufzuhalten, so ist wenigstens sichergestellt, dass du überlebst, Lew, genauso wie Finn." Athena nickte zustimmend und alle drei erhoben sich. An der Tür hielt Romanow für einen kurzen Moment Isis Hand in seiner und strich ihr zärtlich durchs Haar: "Viel Erfolg!"

Isis beugte sich zu ihm und nach einem Abschiedskuss wandten sich beide Androidinnen zum Gehen.

Auf dem Mond blieb ein nachdenklich gewordener Apollo zurück. Seine Sensoren hatten ihm den Zugriffsversuch auf eine, in seinem Innersten vorhandene, Kernkomponente gemeldet. Kurz bevor der Eindringling entdeckt worden war, wurde der Kontakt beendet. Aber ihm war sofort klar, dass nur einer so tief in sein System eindringen konnte: Athena!

War sie wirklich die loyale Tochter, wie er und der Apollo der Zukunft sie bisher betrachtet hatten?

Schon zu Beginn waren ihre Aussagen bezüglich einer möglichen Synchronisierung der Zeit auf Last Hope nicht schlüssig gewesen. Sie war zu dem Zeitpunkt vor Ort - wie hatte sie davon keine Kenntnis haben können?

Apollo entschied, Athena zu überwachen, soweit es seine technischen Möglichkeiten überhaupt zuließen. Denn allein durch ihr aktiviertes Tarnfeld ließ sich noch nicht einmal feststellen, wo sie sich überhaupt befand. Gleichzeitig schickte er eine Warnung an den Apollo der Zukunft und ebenso an den Androiden bei der USOP.

Kapitel 3 Das Verhängnis nimmt seinen Lauf

Finn Schwarz saß in seinem Büro im Regierungssitz in der Hauptstadt des Planeten Erde, Towns of Planets, im Jahr 2157, und schaute nachdenklich aus dem Fenster.

Die neue Beziehung mit seinem, bis vor zwei Wochen unbekannten, Sohn Max entwickelte sich gut. Sie hatten sich jetzt zum 2. Mal getroffen und er hatte ihm eine Assistentenstelle nach Abschluss seines Studiums im Institut für Cyborg- und Androiden-Technologie angeboten. Max hatte einen Augenblick schweigend dagesessen und schließlich zugestimmt. Wer wäre er, dass er so ein tolles Angebot ausschlagen würde, hatte er gutgelaunt kundgetan. Schwarz hatte ihm angesehen, dass er sich wirklich darüber freute und vorsichtig hinzugefügt, dass die Zeit, die voraussichtlich zwei Jahre betragen sollte, als Probezeit zu bewerten sei, um auf dem Gebiet seine Erfahrungen zu machen und sich zu bewähren. In ihm sah er sich auch selbst, erkannte Schwarz, seine Spontanität und Unbekümmertheit ebenso wie der beginnende Ehrgeiz und das Interesse an der Materie. Max war ein netter, junger Mann und es würde ihm Spaß machen, ihm über die Schulter zu schauen.

Dann wandte er sich wieder seinen anderen Überlegungen zu, die ihn schon seit einer knappen Woche beschäftigten. Athena hatte ihn besucht und ihm mitgeteilt, dass sie eine Möglichkeit für ihn gefunden hatte, seine Lebenszeit nahezu unbegrenzt zu verlängern. Das zog aber einige Konsequenzen nach sich und er hatte sich eine Bedenkzeit von ihr erbeten.

Er stellte fest, dass es eine Sache war, sich zu verlieben und sich von ganzem Herzen zu wünschen, sein Leben mit der Partnerin seiner Träume zu verbringen. Eine ganz andere Sache schien es jedoch zu sein, sich für immer und ewig für die Frau seiner Träume zu entscheiden, wenn das bedeutete, sich aus dem vertrauten Lebensbereich zu verabschieden, ohne zu wissen, was ihn in ihrer Welt erwarten würde!

Seufzend erinnerte er sich an die Reise in die Zukunft, zu der Athena ihn und Michael Röttger mitgenommen hatte. Aber die prachtvolle Stadt auf Sol, jetzt wieder Mars genannt, gab es bestimmt nicht mehr, da diese Zeitlinie durch die erste Korrektur verändert worden war. Die Technik der Zukunft im Jahre 10.000 war überragend und unglaublich faszinierend. Er wusste, dass er mit Begeisterung alles kennenlernen würde, aber … es waren damals keine Menschen vorhanden gewesen! Ein Leben nur unter Androiden und Maschinen war nicht das, was ihm lebenswert erschien und er konnte nur hoffen, dass es Isis und Athena gelingen würde, diese Katastrophe in der Zukunft zu verhindern.

Seine Gedanken wanderten weiter und Schwarz dachte daran, dass er hier in seiner Zeit eine gewisse Lebensspanne hatte, die früher oder später sowieso beendet sein würde. Also, was hatte er denn zu verlieren? Athena hatte ihm gesagt, dass er in gewissen Abständen einen Gen-Cocktail zu sich nehmen musste. Und wenn er sich dazu entschied, diesen nicht mehr einzunehmen, würde sein normaler Alterungsprozeß wieder einsetzen. Folgerichtig behielt er die Wahl und das gefiel ihm. Denn - war es wirklich sein Wunsch, ewig zu leben? Das war eine Frage, auf die er keine Antwort in sich fand. Aber im Grunde konnte er die Thematik auch aufschieben. Und eines wusste er mit Sicherheit: Er wollte mit Athena in jedem Fall zusammenbleiben und empfand auf längere Sicht keinen Wunsch, sich aus dem Leben zu verabschieden.