Über das Buch

Tori Bailey hat alles: Mit ihrem Selbsthilfebuch hat sie Millionen Frauen inspiriert, sie ist beliebt und erfolgreich und führt eine perfekte Beziehung. Zumindest glauben das alle und das muss auch so bleiben, denn sonst stimmt das Ende von Toris Buch nicht mehr. Und wäre sie dann nicht eine noch viel größere Lügnerin? Als dann auch noch Dee – ihre beste Freundin, Seelenverwandte und einzige Person, die sie und den ganzen Wahnsinn versteht – den Mann ihrer Träume trifft, scheint Tori endgültig auf der Strecke zu bleiben. Ihre innere Stimme sagt, dass man auch mit über 30 das Recht hat, kompliziert und nicht perfekt, aber glücklich zu sein. Aber traut Tori sich, ehrlich zu sein und auf sie zu hören?

Danksagung

Manchmal entsteht aus Traurigem Schönes. Danke an alle, die zu dieser Verwandlung beigetragen haben. An Maddy, die wieder mal mein Leben auf die beste, feministisch aufbauendste Art verändert hat – und an Alice, Hayley, Anna und Giles. Worte werden nie als Dank ausreichen, aber mehr steht mir nicht zur Verfügung.

Ich habe das Glück, nicht nur eine, sondern gleich zwei Wahnsinnslektorinnen in meinem Leben zu haben. Dank an Emily, die dieses Buch mit Haut und Haaren begriffen und es in Form gebracht hat. Und an Rebecca bei Usborne, die mir zugetraut hat, dass ich das hier schaffe, und überhaupt rundum großartig ist. Und das, obwohl für den Verlag von Das ist nicht mein Einhorn natürlich nie infrage kam, ein Buch zu veröffentlichen, in dem ein nicht-einvernehmlicher Blowjob und gleich zweimal das Wort »Fotze« vorkommen. Es hat mir so viel bedeutet, dich auf dieser Reise an meiner Seite zu wissen.

Dank an alle bei Hodder, dafür, dass ihr das Buch so unterstützt habt und so großartig gewesen seid – besonders Melissa, die mich von Anfang an angefeuert hat. Ich kann nicht glauben, dass wir inzwischen so richtig beruflich zusammenarbeiten. Toller geht es nicht mehr.

Ich danke auch den mutigen Frauen, mit denen ich für dieses Buch über ihre Erfahrungen mit seelischem Missbrauch und dem Zusammenleben mit Narzissten gesprochen habe. Ihr seid alle Superheldinnen, und ich hoffe, ich bin euren Geschichten gerecht geworden. Ich hoffe auch, dass dieses Buch einen kleinen Beitrag leistet, anderen Toris dabei zu helfen, ihren Tom zu verlassen. Ja, ihr habt etwas Besseres verdient, und Toms Verhalten ist überhaupt nicht okay. Ein Riesendank an Women’s Aid – dafür, dass es sie gibt und für die unersetzliche Arbeit, die dort geleistet wird.

Ich hätte dieses Buch nicht durchstehen können, hätte ich nicht die besten Freundinnen und die beste Familie. Also vielen Dank an Holly S., Lucy, Sara, Mel, Christi, Lexi, Rachel, Lisa G., Emma, Ruth, Emily S., Non, Lisa W., Harriet, Jess, Eleanor, Louie und Carina. Und wie immer – an Mum, Dad, Eryn und Willow. Ich bin der glücklichste Mensch auf Erden, euch zu haben.

Über Holly Bourne / Nina Frey

Holly Bourne, geboren 1986 in England, studierte Journalismus an der University of Sheffield und hat erfolgreich als Journalistin gearbeitet, bevor sie Autorin wurde. In ihren Büchern schreibt sie über Feminismus, starke Frauen, die erste Liebe und ernste Themen, die sie mit einer gewissen Portion Humor und Ehrlichkeit zu verpacken weiß. Als sie dreißig wurde, schrieb Holly ihren ersten Roman für Erwachsene.

Nina Frey studierte Anglistik und Germanistik in Hamburg. Sie arbeitete lange im Kunsthandel, bevor sie sich als Übersetzerin selbstständig machte.

Für Lexi, für das Telefonat

Olivia Jessen

Kugelalarm! Sechs Monate, und es wölbt sich, Leute, es wölbt sich!

#Bauchselfie #AndereUmstände

Gefällt 81 Mal

*

Harry Spears

… jetzt trau ich mich.

Harry Spears und Claire Rodgers sind verlobt.

Gefällt 332 Mal

*

Andrea Simmons

Kackbombe! Aber so ein süßer Frechdachs …

Gefällt 52 Mal

Kommentare:

Olivia Jessen: Oje, Andrea. Da hab ich ja was, worauf ich mich freuen kann.

Andrea Simmons: Zur Babyparty schenk ich dir ’ne Nasenklammer.

*

Einladung: Olivia Jessens super-geheime Babyparty

16 Zusagen

*

Toris VerdammtNochMalWerBinIchBloß? – Die offizielle Fanseite

Wer von meinen lieben Verdammten ist heut Abend in London dabei? Ausverkauftes Haus, ich pack’s nicht! Ich lieb euch alle. Wir sehen uns um sieben! Ich bin dann die mit dem Mikro auf der Bühne, die sich fragt, womit sie das alles überhaupt verdient hat …

Gefällt 2.434 Mal

234 Kommentare

*

Ich blicke hinaus in ein Meer von feierlich-ernsten Gesichtern.

Es sind zu viele, um sie einzeln auszumachen, doch es gibt einen kollektiven Blick. Ein kollektives Glühen. Ihre Augen sind feucht, ihre Hände gefaltet.

Sie hängen an meinen Lippen.

Und jetzt kommt sie. Die Stelle, auf die sie gewartet haben. Die Stelle, auf die ich hingearbeitet habe. Ich schreite in meinen Designer-Heels über die Bühne und streiche mir das Designer-Kleid glatt. Genau so muss sie aussehen, die Erfolgsfrau. Gepflegt, gestylt, gehighlightet, konturiert … aber immer so, dass es natürlich wirkt. Ich blicke sie geradewegs an. In die angespannten, hungrigen Gesichter. Und ich sage:

»Und da ist mir ein Licht aufgegangen.« Ich lupfe eine fadengezupfte Augenbraue: »Da sitz ich im Schneidersitz in diesem Scheißzelt in Sedona. Singe Scheißmantras mit einem Haufen von Wichsern, sogar noch mit Gebetskette um den Hals. Und da hab ich’s kapiert …«

Ich halte inne.

Das Publikum hält den Atem an. Die Spannung wabert so dick in der Luft, dass man sich drauflegen könnte.

»Ich hab versucht, mich auf dieselbe Weise zu finden wie alle anderen auch«, sagte ich. »Ich hab haargenau denselben Nervenzusammenbruch gehabt wie alle anderen und mir genau dieselben Allheilmittel gesucht wie alle anderen. Und da hab ich mir gesagt: SCHLUSS DAMIT.« Ich hebe die Hand wie zum Stoppsignal. Wieder eine Kunstpause, einen Takt lang. »›Verdammt noch mal, wer bin ich bloß?‹, hab ich mich da gefragt. ›Was will ich denn eigentlich wirklich?‹ Weil das Leben nämlich kein Malen nach Zahlen ist. Es gibt keinen Schema-F-Weg zur Selbsterkenntnis. Mal im Ernst, da hatte ich meine Quarter-Life-Krise hinter mir, ein ganzes Jahr mit Sinnsuche verbracht, und ich war immer noch fünfundzwanzig und machte immer noch genau das, was mir die Scheiße überhaupt erst eingebrockt hatte. Ich hab das gemacht, von dem ich glaubte, dass ich es tun sollte, statt das, was ich eigentlich gebraucht hätte.«

Ein verirrter Jubelruf. Die Anspannung im Publikum löst sich in sanftes Gelächter auf. Ich lache ebenfalls, und es hallt von den Wänden wider, dröhnt aus den zahlreichen Lautsprechern.

Ich nicke. »Genau.« Eine kurze Pause, damit sie sich beruhigen können, dann klappere ich einmal quer über die Bühne. Stille senkt sich über uns, und ich versuche, mich wieder in jenen Augenblick zu versetzen. Versuche, wieder den Triumph zu spüren. Vor sechs Jahren. An jenem Tag, jenem unglaublichen Tag. Dem Tag, an dem sich für mich alles zum Guten wendete.

»Also«, berichte ich. »Ich hab die Augen aufgeschlagen, mich aus dem Schneidersitz befreit und diese beknackte Meditationshütte verlassen. Und ich hab es nie bereut.«

Der Applaus ist ohrenbetäubend, wie immer. Es dauert rund fünf Minuten, bis sie sich wieder beruhigt haben, wie immer. Ich lasse mir Tränen in die Augen steigen, als kleine Bonuseinlage, auch wie immer. Und dann erzähle ich ihnen noch den Rest meiner Geschichte. Die Geschichte, die sie alle schon längst kennen. Weil sie alle mein Buch umklammert halten und darauf warten, dass ich ihnen hinterher etwas reinschreibe. Weil sie auf ihren Augenblick mit mir warten. Um mir von ihren eigenen grauenhaften Zwanzigern zu erzählen, ihren eigenen Horrorfreunden, ihren eigenen Scheißjobs, ihren eigenen schmerzhaften Tiefschlägen. Und davon, wie mein Buch, meine Worte, meine Geschichte ihnen da durchgeholfen haben. Ihnen noch immer durchhelfen.

Total verrückt eigentlich. Manchmal vergesse ich, wie verrückt.

Viele Bücher verkaufen wir nicht, trotz der Schlange, die sich durch die etlichen Gänge windet. Sie haben alle schon ein eigenes Exemplar. Zerlesene Bände mit verschlissenen Rücken und Post-its, mit denen sie ihre Lieblingsstellen markiert haben. Über drei Stunden lang signiere ich, das Grinsen fest ins Gesicht getackert, versuche, meine Kraft zusammenzuhalten für diese ganzen Frauen, die so lange auf diesen Moment gewartet haben.

Diesen Moment mit mir.

Als wär ich was Besonderes oder so.

Also lächle ich unentwegt und klatsche mit ihnen ab, wenn sie mir von ihren eigenen Abenteuern berichten. Ich umarme sie, wenn sie in Tränen ausbrechen. Ich rücke näher und spitze die Ohren, wenn sie mir ihre Geheimnisse zuraunen. Meine Presseagentin schaut mit Argusaugen zu und fragt, ob es mir gut geht. Ob ich eine Pause brauche. Oder ein Wasser. Ich lächle sie an und winke ab. Alles okay. Mir geht’s gut. Ich schaff das schon. Aber danke.

Und jede Einzelne in der Warteschlange fragt dasselbe:

»Wann kommt dein neues Buch raus?«

»Woran schreibst du grad?«

»Ich kann’s kaum noch erwarten. Wie lang dauert’s denn noch?«

Mein Lächeln wird dünn, und ich tippe mir an die Nase und sage: »Wird sich zeigen« und »Ich halt euch auf dem Laufenden«.

Und dann wollen sie natürlich noch wissen:

»Und, seid ihr noch zusammen?«

»Der Typ, den du am Ende des Buchs kennenlernst? Bist du noch mit dem zusammen?«

»Liebt ihr euch noch?«

Sie sind wie Kinder, die die Eltern fragen, ob es den Nikolaus wirklich gibt – Augen groß wie Untertassen, voller Aufregung und Angst. Ich weiß, warum sie so aufgeregt sind, und ich weiß, wovor sie sich fürchten. Wenn ich ihn gefunden habe, dann können sie ihn auch finden – daher die Aufregung. Wenn ich das hingekriegt habe, dann können sie es auch hinkriegen. Wenn mir das Wunder widerfahren konnte, dann auch ihnen. In mir sehen sie alles, was sie sich für ihr eigenes Leben ersehnen. Ich bin quasi ihr Spiegel Nerhegeb.

Und Angst haben sie, weil ich genauso ihre Unglücksbotin sein könnte. Wenn es bei mir nicht klappt, bei wem dann? Wenn das Wunder bei mir nicht funktioniert, dann bei ihnen erst recht nicht.

Ich nicke und gurre, lächle gekünstelt und tue verlegen. Ich sage immer wieder dasselbe. »Ja, wir sind noch zusammen. Sind zusammengezogen.«

Ach, macht sie das glücklich. Sie jauchzen. Sie verlangen Fotos. Sie schmelzen dahin, seufzend. Ihre Augen werden noch größer und noch feuchter vor lauter Erleichterung. Das bringt meine eigenen zum Tränen, und ich blinzle wie verrückt, weil es mich wieder an Uns erinnert. Uns, wie wir waren. Uns, wie wir zu dem Zeitpunkt waren, an dem die Geschichte, die sie sich da ans Herz pressen, aufhört. Ich weiß es noch so genau – vielleicht, weil ich seit sechs Jahren ununterbrochen davon erzählen muss …

»Alles in Ordnung?«

»Hm?«

Ich blinzle und blicke ins Gesicht der Frau über mir. Sie bebt am ganzen Leib vor Anspannung. Ihre Finger umklammern zitternd ihr Exemplar meines Buchs, in dem sicher über hundert Post-its kleben.

»’tschuldigung.« Ich lächle und nehme ihr das Buch ab. »Also, wie heißt du?«

»Rosie.«

»Ach, was für ein wunderschöner Name«, sage ich. Das sage ich immer.

»Danke.«

Ich schreibe ihr dieselbe Widmung wie allen anderen:

Liebe Rosie,

leb das Leben, das du verdammt noch mal brauchst.

Alles Liebe

Tori xx

Jetzt weint sie.

»Oh, wow, danke«, stammelt sie zwischen ihren Schluchzern. »Kann ich … darf ich ein Foto machen?«

Ich reiche ihr das Buch zurück. »Na klar, klar doch. Alles okay mir dir?«

Sie lacht kurz und sagt: »Mir geht’s gut, ich find es nur einfach so einen Wahnsinn, dich zu treffen.«

Ich strecke ihr voll Herzlichkeit die Arme entgegen »Komm, Umarmung und Foto!«

Rosie reicht meiner Presseagentin ihr Handy und ist derart von ihren Gefühlen überwältigt, dass sie noch nicht mal fragt, ob die überhaupt das Foto schießen möchte. Dann stolpert sie auf meine Tischseite herüber und schlottert neben mir. Ich ziehe sie an mich, lege den Arm um sie. Sie ist heiß und verschwitzt. Die Feuchtigkeit sickert ins glatte Gewebe meines Kleids, aber dieser Moment ist mehr wert, als es jedes Kleid sein könnte.

»Bitte recht freundlich!«, sagt meine Pressefrau und hält mit der Kamera drauf.

Ich lächle mit meiner Schokoladenseite in die Kamera – Kinn gesenkt, damit die Partie definierter wirkt, die Augenbrauen entspannt, damit die Stirnfalten unsichtbar bleiben. Ein Blitz, und Rosie kichert und kehrt auf ihre Tischseite zurück, nimmt sich ihr Handy wieder und prüft das Foto.

»Vielen Dank, dass du gekommen bist.« Ich reiche ihr ihr Buch.

»Nein, ich habe dir zu danken. Vielen, vielen Dank, dass du es geschrieben hast. Du weißt gar nicht … Damals, mit dreiundzwanzig, da war alles so ein Horror … und dann hab ich dein Buch in die Hände gekriegt und … und das hat mein Leben verändert … aber wirklich.«

Das Gelächle steht mir bis hier, aber ich muss lächeln, weil es ihr so viel bedeutet. »Wow, das freut mich aber wirklich. Wie alt bist du jetzt?«

»Fünfundzwanzig.«

Fünfundzwanzig ist die erst, verdammt noch mal. Die werden einfach … immer jünger.

»Also, ich freu mich, dass es dir gefallen hat.«

Ich blicke an ihr vorbei, zur nächsten in der Reihe. Weil es schon nach zehn ist und ich morgen auf die Hochzeit muss. Aber gerade, als ich meinem nächsten zitternden Fan das Buch aus der Hand nehmen will, kratzt Rosie noch mal allen Mut zusammen.

»Hey, Entschuldigung. Aber, darf ich einfach noch was fragen? Der Felsenmann? Der aus dem Buch? Ihr seid noch zusammen, oder?«

Der Felsenmann.

Der Mann, der mich auf dem Felsen gefunden hatte. Der mich entdeckt hatte, wie ich in Sedona mitten im kosmischen Kraftfeld stand und plötzlich »SCHEIIIISSEEE« brüllte und meine Gebetsperlen in die Weite schleuderte, und das irgendwie niedlich gefunden hatte.

Tom …

Der Mann, der an jenem Tag überall auf der ganzen Welt hätte sein können, aber dank einer Riesenladung Schicksal wie ich in Arizona gelandet war. Wie ich in Sedona. Und zum selben kosmischen Kraftfeld hochgeklettert war.

Mein Märchenprinz.

Der, mit dem man in Geschichten immer belohnt wird, wenn man endlich mal was riskiert.

»Ja«, bestätige ich und spüre, wie mein Lächeln zu entgleisen droht. »Wir sind noch zusammen.«

Sie jauchzt und jubelt und wirft die Arme in die Luft. Dann läuft sie rot an. »Sorry. Das Fangirl in mir dreht gerade durch.«

»Darf es, darf es.«

Ich spähe wieder an ihr vorbei, weil sie auf denkbar netteste Weise jetzt doch ziemlich den Laden aufhält. Hinter ihr warten noch mindestens fünfzig Frauen mit zusehends dünner werdendem Geduldsfaden. Rosie bekommt nichts mit. Meine Antwort hat sie nur noch mehr bestärkt. Sie führt die Unterhaltung, die sie braucht. In ihrem Kopf sind wir jetzt Freundinnen. Richtig gute Freundinnen.

»Und ihr seid noch unfassbar glücklich?«

Ich schließe die Augen eine Sekunde länger als angebracht. Als ich sie öffne, ist das Lächeln noch intakt. Muss es auch. Ich brauche es noch für die nächsten fünfzig Leute. Ich beschieße Rosie mit meinen Grübchen, meinem Charme und meinem glänzenden güldenen Glück. Meiner Weisheit. Meiner Abgeklärtheit. All dem, was sie erwartet. All dem, wofür sie mit ihrer Eintrittskarte gezahlt hat.

»Aber natürlich«, sage ich ihr. »Wir sind noch unfassbar glücklich.«

*

Im Taxi nach Hause sickert das Adrenalin langsam aus mir heraus. Ich kann jeden einzelnen Muskel spüren, wie er sich anspannt und wieder loslässt. Wie der Cocktail aus Schauspielhormonen langsam aus meinem zugeschnürten Bauch herauströpfelt, meine Innereien nach und nach auseinanderdröselt. Ich lehne den Kopf gegen die schwarz getönte Scheibe und sehe draußen London leuchten. Diese Stadt wächst einfach immer höher, nichts kann, nichts darf ihr Wachstum hemmen – ähnlich den Menschen, die oben in ihren Türmchen leben.

Mein Handy leuchtet auf und surrt aggressiv in meiner Hand.

Dee: Hilf mir, der Typ ist irre!!!

Ich lächle, als das Taxi am dramatisch beleuchteten Big Ben vorbeifährt, dann über die schwarze Themse. Was wäre ich ohne Dees Date-Zwischenmeldungen?

Tori: So schlimm wie der von letzter Woche kann er ja wohl kaum sein?

Dee: Der ist verheiratet, Tor. VERHEIRATET!!

Tori: Was verabredet er sich dann mit dir?

Dee: Er sagt, er WÜRDE sich ja scheiden lassen, aber ER KANN SEINE FRAU NICHT FINDEN. VERSCHWUNDEN SAGT ER!

Ich tippe an möglichen Antworten. Unterdessen wühlt das Taxi sich durch die düsteren Tiefen Südlondons, wo funkelnde Lichter den Betonwänden sogenannten bezahlbaren Wohnraums weichen – bezahlbar, solange einem die Eltern mit der Kaution unter die Arme greifen und gleichzeitig noch die Erbschaftssteuer umgehen können. Ich ringe um die angemessene Mischung aus Mitgefühl, Sorge und Verarsche.

Tori: Mal im Ernst, alles okay? So was passiert auch nur DIR. x

Dee: Bin in Sicherheit. Daheim! Würde eigentlich noch mit meinen aufgeweckten jungen Mitbewohnern Merlot trinken, aber morgen wartet ja die Hochzeit des Grauens.

Tori: Erinner mich nicht dran. Um 9 bei dir, oder? x

Dee: So ist es.

Und fünf Minuten später:

Dee: Und es liegt nicht an mir. So ist es einfach da draußen, Tor. Jeder außer mir ist entweder langweilig oder komplett durchgeknallt.

Wir umrunden den Park. Das Taxi bremst ab, und ich stecke das Handy ein. Der Gehweg ist völlig verstopft von Rauchern und Besoffenen, die aus den Bars geschwemmt werden, sich mit Pappschachtelladungen frittiertem Hähnchen vollfressen, schrill auflachend aneinander Halt suchen, sich an fremden Brustkörben abstützen. An einer roten Ampel bleiben wir stehen. Sanft pulsiert das Taxi zur Musik, die oben aus einer Wohnung wummert. London macht nie Pause. Weder geht es zu Bett noch hält es Nickerchen, noch nicht mal dösen tut es gelegentlich. Wie einen das fertigmacht: an einem Ort zu leben, der so beharrlich wach ist.

Der Gedanke, zu Tom nach Hause zu kommen, gibt mir das Gefühl der Sicherheit. Der Gedanke, dass er da sein wird, dass er sagt, dass er mich liebt; der Gedanke, dass ich nicht zurückmuss in die Welt des Ghostings und der Schwanzfotos und der Botschaften mit zwei Häkchen, aber null Antworten. Der Gedanke an keinen Tom dagegen … Ich erschauere. Der Gedanke an die Alternative. Der Gedanke, noch mal von vorn anzufangen. Einunddreißig, alleinstehend. Einunddreißig und diese Zahl in ein Dating-Profil einzugeben. Zu wissen, welche Schlüsse die Leute aus dieser Zahl ziehen. Die verdorrenden Eierstöcke vor ihrem inneren Auge. Die Verzweiflung, die sie wittern. Der Sand, den man auf Stühlen hinterlässt, weil er durch die Sanduhr von oben nach unten durchrieselt …

Tom liebt mich, und ich liebe Tom. Das ist was Besonderes. Das ist seltener, als man glaubt. Mehr braucht man einfach nicht.

Als der Fahrer schließlich hält und die Handbremse anzieht, bin ich hin und weg von Tom. Ich bin so dankbar, Tom zu haben. Ja, ich kann es kaum erwarten, ihn zu sehen, mich an ihn zu kuscheln und ihm meine Liebe, meine Erleichterung zu zeigen. Ich krame den Schlüssel zu unserer sterilen modernen Anlage heraus. Tom hatte gemeint, ein Neubau sei besser als ein renovierter viktorianischer Altbau. Ich hatte zugestimmt, weil es so einfacher war, obwohl es hauptsächlich mein Geld war, mit dem wir zahlten. Aber ich will nichts Schlechtes von Tom denken. Nicht nach diesem Abend. Nicht, wo ich weiß, wie viele Leute an uns glauben. Er ist die Liebe meines Lebens, und ich liebe ihn, und ich will nicht allein sein.

Katz empfängt mich an der Tür, hängt sich mir ans Bein und umkreist es wie einen Maibaum, schnurrt schon, bevor ich überhaupt mein Zeug abgelegt habe.

»Bin wieder da!«, rufe ich überflüssigerweise.

Keine Antwort.

Ich weiß, dass er da ist – die Lichter sind an, seine Jacke hängt am Haken, ich kann ihn in der Wohnung förmlich spüren – , und doch antwortet er nicht. Ich lasse meine Sachen fallen und hebe Katz hoch. Sie will nicht, windet sich in meinen Armen und versucht, mich zu beißen, also gebe ich nach und setze sie wieder ab. Sie flüchtet ins Schlafzimmer, und ich folge ihr, ziehe im Gehen den Mantel aus.

»Hey«, sagt Tom vom Bett aus. Sein Gesicht leuchtet iPad-blau, seine Schultern sind gekrümmt. Er blickt noch nicht mal auf beim Sprechen. »Wie lief’s?«, fragt er den Bildschirm.

»Echt gut.«

»Super«, sagt er dem Pad.

Und einfach so rinnt alle meine Liebe den Abfluss runter. Als hätte jemand den Stöpsel aus einer Wanne mit kaltem Wasser gezogen.

Katz springt aufs Bett und auf den unförmigen Klumpen, den Tom unter der Decke bildet. Sie stößt mit dem Kopf gegen sein iPad, wie in einer exotischen Katzenvariante des Schleiertanzes. Sie kann sich besser durchsetzen als ich.

Auf Toms Gesicht breitet sich ein Lächeln aus. »Hallo, du Satansbraut.« Er legt das iPad beiseite und krault Katz unterm Kinn. Ich stehe quasi unbeachtet in der Tür und sehe, wie die Liebe nur so aus ihm herausquillt, spüre, wie mich die Eifersucht durchpumpt. Das ist mal was Neues. Etwas Neues, das ich mir kaum selbst eingestehen kann, so furchtbar erbärmlich ist es.

Ich bin eifersüchtig auf meine eigene Katze.

Mein Freund liebt meine Katze mehr als mich.

Jedenfalls fasst er sie nachweislich mehr an …

Ich frage Tom nach seinem Tag, und er sagt, er war okay. Ich frage, wie die Arbeit lief, und er sagt, sie war okay. Ich frage, was er gegessen hat, und er sagt mir, was es war und dass noch Reste davon im Kühlschrank stehen, falls ich Hunger habe. Dann wird er wieder von Katz abgelenkt, die sich auf den Rücken gerollt hat und seine Hand wegtritt.

»Was machst du denn da? Du kleines Dummchen du. Aua, Autsch! Das tut weh!«

Meine Katze und mein Freund genießen einen innigen Moment, und ich stehe außen vor. Also schäle ich mich aus meinem Kleid, pelle mir das Unterwäsche-Ensemble ab und steige in meinen Schlafanzug. Sie spielen noch immer herum, als ich ins Bad gehe, um mir die Zähne zu putzen und mich bettfertig zu machen. Erst schminke ich mich mit in Mizellenwasser getränkten Wattepads ab, bevor ich mir zwei Minuten lang einen Bio-Creme-Cleanser einmassiere und ihn dann mit einem Waschlappen abrubble. Dann spüle ich mir das Gesicht mit eiskaltem Wasser, als Tonerersatz, und tupfe es mit einem Handtuch ab. Gebe mir etwas Anti-Aging-Serum mit Retinol auf die Fingerspitzen, betupfe mir das Gesicht und massiere es sanft ein. Wiederhole den Vorgang mit meinem Minigläschen Augencreme. Dann setze ich mich auf die Toilette, während alles einzieht. Nachdem ich mir die Hände gewaschen und mir die Zähne mit meiner Ultraschallzahnbürste geputzt habe, kommt noch eine Abschlussschicht nährende Nachtcreme drauf. Ich ziehe den Spiegel an seinem Scherenarm zu mir und wende ihn auf die Vergrößerungsseite, um mein Gesicht unter die Lupe zu nehmen. Ich drehe mich hierhin und dorthin, hebe die Augenbrauen und senke sie mindestens zehnmal. Immer noch überrascht von den Falten. Jetzt schon. Aber ohne die Cremes wäre es noch schlimmer, heißt es.

Toms Licht ist schon aus, als ich zurückkomme. Er hat sich auf die Seite gerollt, und zu seinen Füßen kringelt sich Katz wie ein frischer Bagel. So schlicht die Geste, so gewaltig meine Enttäuschung. Aber es ist spät, und ich muss morgen auf die Hochzeit, und ich habe so ein Glück, nicht mehr allein da draußen zu sein und mich mit Männern mit verschwundenen Gattinnen verabreden zu müssen, und ich will mich jetzt nicht in etwas hineinsteigern, so kurz vor dem Schlafen. Also steige ich einfach ins Bett und sage: »Dann gute Nacht.«

Tom schläft schon halb. Er kann immer und überall schlafen. Ich witzle immer, er sei wie eine dieser Puppen, der die Augen zufallen, sobald man sie hinlegt. Aber er grunzt nur einmal zufrieden und zieht mich an sich heran. Sein Körper ist vertraut und stark und warm. Ich hülle mich in seinen Geruch, schließe die Augen, fühle mich geliebt und geborgen – ganz anders als noch eben gerade. Er rückt näher und schiebt mir seinen Hintern gegen die Schenkel, und ich lache leise auf und nehme gehorsam die Position des großen Löffels ein. Mein Freund. Über eins achtzig groß. Und trotzdem beharrlich immer der kleine Löffel. Ich atme den Duft seines Rückens ein und lasse mich von seinem Körper wärmen. Ich wickle meinen Oberarm um seinen Bauch und streiche sanft mit der Hand über seinen nackten Körper, streife seinen reglosen Penis. Vielleicht nur, um zu prüfen, ob es ihn überhaupt noch gibt. Er ist wärmer als der Rest von Tom. Ich weiß nicht, was ich mit meinem anderen Arm anfangen soll, der in einem unbequemen Winkel unter meinem Körper klemmt.

Das ist das erste Mal, dass wir uns heute überhaupt berühren. Und klar, vielleicht ist er nur noch halb wach, aber immerhin …

… ach, Moment mal. Er schnarcht schon. Von wegen wach.

Das ist das erste Mal, dass wir uns heute berühren, und er ist noch nicht mal wach dabei.

Ich liege eine Weile da und versuche noch nicht mal, zu schlafen. Nur, die Nähe zu genießen. Doch als könne er meine Bedürftigkeit spüren, rollt er sich auf den Bauch. Wieder ist da diese Lücke zwischen uns, wo die kalte Luft eindringt. Ich kaue auf meiner Unterlippe. Das war schon mal ein Zankapfel zwischen uns. Dass es »unsinnig« von mir ist, seine Körpersprache beim Schlafen deuten zu wollen.

Ich warte noch weitere zehn Minuten ab, bevor ich mich aufsetze und mein Handy hervorhole.

Mein Feed quillt über von der Veranstaltung vorhin.

@rosianna_90: OMG. Muss immer noch weinen. ICH GLAUBS NICHT, dass ich @EchtTori treffen durfte. Ich weiß jetzt, wer ich bin, verdammt noch mal – und bin stolz drauf xxx

@VerdammtNochMalFanGirl: DANKE DANKE DANKE FÜR HEUTE ABEND. Ich freu mich so, dass es dich gibt. Ich hab über den Abend gebloggt. Bitte, bitte lesen xx

Ich beantworte so viele, wie ich kann, und bedanke mich. Viele haben ihre Selfies hochgeladen, und ich klicke jedes einzelne an. Ich betrachte nur mein eigenes Gesicht, versuche zu entscheiden, ob meine Stirn ohne Pony zu groß aussieht. Mann, auf dem hier kommt sie wirklich riesig rüber. Ich zoome mich so nah heran, dass ich das ganze Display ausfülle, und hake einen Makel nach dem anderen ab. Die Gesichter der anderen würdige ich keines Blickes. Nur mein eigenes. Irgendwann zeigt das ganze Display gar nichts anderes mehr als meine gezoomte Stirn. Dann google ich »Haarschnitte große Stirn kaschieren« und scrolle mich ziellos durch, denn alle Bilder sehen dem Schnitt, den ich gerade zwei Jahre mühsam habe rauswachsen lassen, verflucht ähnlich.

@EchtTori: Ach, meine lieben Verdammten. Ich habe EUCH zu danken. Es war ein unfassbar toller Abend mit euch und euren ganz eigenen Reisen zu euch selbst xx

Im selben Moment, in dem ich auf »Senden« tippe, leuchtet mein Handy auf mit lauter neuen Benachrichtigungen, weil es allerorten gefällt und geteilt wird. Ich melde mich ab und finde mich aus unerfindlichen, idiotischen Gründen auf der Website des Bösen wieder.

»Du musst damit aufhören«, betet Dee mir immer wieder vor. »Bei kinderlosen Über-Dreißigjährigen kommt das selbstverletzendem Verhalten gleich!«

»Ich bin da doch nur wegen meiner Fanseite drauf!«

»Ach ja? Und warum kommst du dann immer wieder zu mir gerannt und jammerst, dass alle Fotos aus ihrem Bauchinneren posten?«

»Dafür kann doch ich nichts! Und was soll das bitte überhaupt mit diesen ganzen Ultraschallbildern? Seit wann interessiert das irgendwen?«, fragte ich zum abertausendsten Mal.

»Keine Ahnung, aber mittlerweile gibt’s derart viel monochrome Scans, dass ich mir vorkomme, als wär ich in Pleasantville aufgewacht!«

»Dee?«, frage ich dann immer. »Warum kriegen auf einmal alle Babys und wir nicht?«

»Jede Idiotin mit einer funktionstüchtigen Vagina und Zugang zu Sperma kann ein Scheißbaby aus sich rauspressen, Tor«, entgegnet sie dann immer. »Es ist jetzt nicht so, als wär das eine Leistung.«

»Wie kommt’s noch mal, dass du Grundschullehrerin sein darfst?«

Aber jetzt ist Dee nicht da, um mich zu bremsen, und so scrolle ich mich durchs Unvermeidliche. Scroll-scroll-scroll. Bewert-bewert-bewert. Fühl-mich-leer-fühl-mich-leer-fühl-mich-leer. Selbstzufriedene Pärchenbilder von selbstzufriedenen Paaren, die selbstzufrieden auf ein selbstzufriedenes Date gehen, um dann selbstzufriedene Fotos von sich und ihrer Selbstzufriedenheit zu schießen. Die endlosen, endlosen Babyfotos und Updates über sämtliche Entwicklungsschritte, die das besagte Baby absolviert hat. (›GUCKT MAL, WIE SIE LÄCHELT.‹ ›WER LÄUFT DENN DA SCHON FAST?‹ Und sogar: ›JA, WER HAT DENN DA HEUTE SEIN ALLERERSTES EI GEKOSTET?‹)

Endlose Gefällt mirs und endlose Kommentare – die pflichtschuldige Anerkennung für gesellschaftlich anerkannte Entscheidungen, getroffen im dafür gesellschaftlich anerkannten Lebensalter. Gut gemacht, gut gemacht. Mach nur weiter so. Gratuliere. Toll, wie du den Menschen gefunden und das Verlobungsfotoshooting gemacht und die Wohnung gekauft und das Baby reingesetzt hast. Gut gemacht, gut gemacht. Genau so sollte es sein, also gut gemacht, gut gemacht.

Es gibt ein Foto von Jessica und ihren Brautjungfern bei der Vorbereitung auf den morgigen Tag. Alle tragen den gleichen Bademantel, bestickt mit ihren Namen, und trinken aus Champagnerflöten. Sie stehen alle in einer Reihe, eine Hand in die Hüfte gestemmt, das vordere Bein jeweils abgewinkelt, damit es dünner aussieht. Ich spüre einen wütenden Stich, weil Jess mich nicht gebeten hat, ihre Brautjungfer zu sein, gepaart mit Erleichterung, keinen namensbestickten Bademantel tragen zu müssen.

Jessica Headly

Wir stoßen an auf meine letzte Nacht als Single! Ich fass es immer noch nicht, dass ich morgen meinen besten Freund heiraten darf und MRS Jessica THORNTON werde!

Hier eine Auswahl meiner Gedanken:

Du bist eine Verräterin, weil du seinen Namen annimmst.

Du hast vor deiner Hochzeit total viel abgenommen und bist jetzt entweder genauso dünn wie ich oder sogar dünner, und jetzt muss ich mir ganz früh den Wecker stellen und noch schnell ein Workout einschieben.

Wenn ich noch einmal höre, dass wer seinen besten Freund heiratet, kann ich nicht mehr so viel essen, wie ich kotzen möchte.

Wer ist das dritte Mädchen von links? Die ist hübscher und dünner als ich, und ich hasse sie. Vielleicht sollte ich ihr Profil anklicken und mir jedes Foto anschauen, das mir ihre Einstellungen erlauben, und mich damit quälen, wie sie hübscher und dünner sein kann als ich?

Wen würde ich mir als Brautjungfer aussuchen? Nein, Tori. Du glaubst doch nicht an die Ehe, schon vergessen? Aber so ganz stimmt das ja nicht, was, Tori? Tom ist derjenige, der nicht an die Ehe glaubt. Also, so direkt hat er das zwar nie gesagt, aber er scheint ziemlich überzeugt, dass es keine wahnsinnig gute Idee wäre, dich zu heiraten. Was ja völlig in Ordnung ist, weil du mit diesem veralteten Scheiß ohnehin nichts am Hut hast.

Ich tippe auf »Gefällt mir« und schalte das Handy aus.

*

Mein Wecker schrillt zu überaus schmerzhafter Stunde um sechs, und ich haue einmal fest drauf, damit er nicht noch Tom weckt. Während ich zur Toilette stolpere, windet Katz sich um meine Beine und stellt das Achterziehen erst ein, nachdem ich ihr den Napf mit einer großzügigen Ladung Stinkfutter gefüllt habe. Im Gästezimmer steige ich in die teuren Trainingsklamotten, obwohl ich nicht vorhabe, mich draußen sehen zu lassen. Dann schleiche ich ins Wohnzimmer, schließe die Tür und verbinde mein Handy mit dem Fernseher, dämpfe die Lautstärke. Dann wähle ich aus meinem Abopaket ein Intervalltraining aus der Rubrik »Fat-Burning«.

Ich drücke auf Play.

Ausfallschritt, Ausfallschritt, Ausfallschritt. Kniebeuge, Kniebeuge, Kniebeuge. »Jetzt ganz weit runter – tiefer, tiefer.« Ich entkrümme den Rücken, sobald die Trainerin mich daran erinnert. »Bauch anspannen!« Ich ziehe ihn ein. »Und jetzt so richtig was fürs Waschbrett.« Press, press. »Beim Hochkommen nicht am Nacken ziehen.« »Jetzt noch ein paar gesprungene Lunges.« Bei jedem Ausfallschritt stelle ich mir vor, was er mit meinen Beinen anstellen wird. Wie sie hinterher aussehen werden. Straff und dellenfrei und genau so, wie es heißt, dass sie es sollen. Ich werde im Sommer kurze Röcke tragen können, und die Leute werden auf meine Beine schauen und wissen, dass ich meinen Körper im Griff habe. »Tief, tief, tief, hinteres Knie tief runter. Runter statt vor!« Die beängstigend quirlige Trainerin japst mich an vor Begeisterung, ohne eine Schweißperle zu verlieren. Sie treibt das Wort »munter« auf ein ganz neues infernalisches Niveau.

Hinterher probiere ich ein Nach-Trainings-Selfie in meinem monströsen Badezimmerspiegel. Aber ich bin zu rot und zu verschwitzt, und ich vergesse immer, wie schlimm ich ohne nachgezogene Augenbrauen aussehe – wie ein Ei, das man auf ein Schulterpaar gesetzt hat. Ich greife nach meiner Schminktasche und strichle nach. Dann noch ein Hauch Mascara, etwas Concealer unter die Augen und ganz wenig Farbe auf die Lippen. Noch ein Foto. Wesentlich besser. Trotzdem brauche ich zwanzig Anläufe, um die perfekte Mischung zu erzeugen aus Leichtigkeit, Selbstermächtigung und natürlicher Schönheit, von der ich ja selbst gar nichts ahne. Noch das Foto ein wenig mit der App aufgehellt, während mein Schweiß trocknet und den Stoff verkrustet. Dann suche ich noch einen guten Filter raus, der mich noch schöner macht, aber ohne dass es nach Filter aussieht.

Ich poste es.

Nervige Wahrheiten, die nervig wahr sind: Folge 256

Körperliche Anstrengung sorgt wirklich dafür, dass es einem seelisch gut geht – verdammte Scheiße noch mal. Kann euch gar nicht sagen, wie sehr ich Cardio-Training hasse. Wie sehr es mir davor graut. Aus mir wird nie mehr ein Mensch, der sich aufs Joggen freut. Aber Sport hilft mir dabei, meinen Kopf in Schach zu halten, und das ist der einzige Grund, weshalb ich mich abquäle. Nicht um gut auszusehen, sondern um mich gut zu fühlen. Wenn es irgendeine Methode gibt, gesunde Endorphine auszuschütten, OHNE dabei ins Hecheln zu geraten – bitte, HIMMEL, sagt es mir …. #NachDemTraining #SeelischeGesundheit

Das gefällt bereits über sechshundert Leuten, als ich frisch rasiert und volumenshampooniert der Dusche entsteige. Beim Föhnen scrolle ich mich durch die Lobeshymnen, kopfüber, zwecks zusätzlicher Fülle. Nur wunderbare Kommentare, wie immer. Die meisten preisen mich für mein entschiedenes Eintreten für seelische Gesundheit. Das ist gut. Genau das war Sinn der Übung. Aber ich kann auch nicht leugnen, dass es meine Endorphine in die Höhe treibt, wenn manche nichts kapiert haben und mir schreiben, was für einen heißen Körper ich habe:

»Wow – du bist so hübsch.«

»Nicht üüüüüübel, Tori – #WerIstDeinVerdammterTrainer?«

»Wie kriegt man bitte solche Schenkel?«

Und genau darauf habe ich insgeheim gehofft, und ich bin froh, dass es passiert ist, weil niemand es je erfahren wird und es mir danach wirklich besser geht.

Doch mein Körper verfehlt seine Wirkung auf Tom, der im Bett Kaffee trinkt, als ich wiederkehre. Mein heutiger jämmerlicher Versuch, sein sexuelles Interesse zu erregen, ist der jämmerlichste aller jämmerlichen Versuche. Zielstrebig komme ich in der Wahnsinnsunterwäsche, die ich extra für die Hochzeit angeschafft habe, ins Schlafzimmer geschlendert. Die Wäsche ist rot und spitzenbesetzt und nuttig, aber auf edle Art. Meine Brüste sehen darin aus wie rote Samtcupcakes – die Sorte, die man vor dem Essen fotografiert, weil sie aus einer angesagten Bäckerei stammen. Der BH streift gerade meine Brustwarzen, und der Slip ist so durchsichtig, dass man seine Existenz anzweifeln könnte. Ein Nieser, und ich stünde womöglich in nicht mehr als ein paar Fetzen da.

»Morgen«, sagt Tom und schlürft seinen Kaffee. Er hängt schon wieder am iPad, holt den Rummel nach, den er beim Schlafen verpasst hat. »Gut geschlafen?«

Noch ein letzter Anlauf. Ich stemme die Hand in die Hüfte, präsentiere meinen Körper am Fußende des Bettes. »Sehr gut geschlafen«, antworte ich und nehme eine weitere unnatürliche Pose ein. »Hast du das Ladekabel gesehen?«

Er deutet neben sich auf seine Bettseite. Ich gehe nicht ums Bett herum, um das Kabel aus der Steckdose zu ziehen. Stattdessen gehe ich auf alle viere und recke mich über Tom hinweg danach. Meine roten Samttitten machen praktisch einen Tauchgang in seinem Kaffee.

»Vorsicht, Tor. Ich schütte hier fast die Tasse aus.«

Ich schnappe mir das Ladekabel und lehne mich zurück. Nicht weinen, nicht weinen. Du hast nur eine Stunde für Haare und Schminken, du hast keine Zeit zum Heulen. Ich stecke mein Telefon ein und lasse alle Hoffnung fahren, mich in dieser Beziehung je wieder wohlzufühlen. Und da – da gibt mir Tom einen spielerischen Klaps auf den Po.

»Schick, Tor. Du weißt, dass ich diesen Arsch immer geliebt habe.«

Ich strahle zurück – auf wundersame Weise geheilt von meiner Traurigkeit – , und da ist das Grinsen. Das Grinsen, das mir so gefehlt hat. Wie ein Schuljunge, der gerade meinen Zopf ins Tintenfass getunkt hat. Ich werfe mich ihm an den Hals. Zum Heulen hab ich keine Zeit, aber für Sex schon. Sex macht weniger Sauerei als Weinen. Ich steige wieder auf Tom und küsse ihn mit aller Macht. Ganze zehn Sekunden küsst er mich zurück, bevor er mich an den Schultern wegschiebt.

»Ich will nicht, dass du zu spät zur Hochzeit kommst.«

Vor Jahren, am Anfang, da hätte Tom sich überhaupt nicht darum geschert, ob man zu spät zu einer Hochzeit kommt – nicht, dass wir damals auf viele Hochzeiten eingeladen gewesen wären. Sex mit mir stand immer an erster Stelle. Sex mit mir, obwohl wir dann zu spät kamen. Sex mit mir, obwohl wir an dem Tag schon zweimal Sex gehabt hatten. Sex mit mir, weil er die Sendung, die wir schauten, langweilig fand. Einmal sogar Sex mit mir auf der Toilette bei einer Hochzeit.

Und jetzt: Kein Sex, weil du sonst zu spät zur Hochzeit kommst, auf die ich dich noch nicht mal begleite.

Ich lächle, überspiele, wie erniedrigt ich mich fühle. Ich klettere von ihm herunter und kasteie mich dafür, die Sache falsch aufgezogen zu haben. Sexuelle Bedürftigkeit ist nie sexy. Ich hab’s an die Wand gefahren. Er hat meine roten Samtnippel gleich durchschaut. Ich bin zu leicht zu haben. Vielleicht sollte ich es mal wieder mit Rückzug versuchen. Die Hitze runterdrehen, den Druck aus dem Spiel nehmen. Damit er sich fragt, wo alles geblieben ist. Ihn sich dafür anstrengen lassen. Das ist doch sexy, nicht wahr? Letztes Jahr habe ich tatsächlich versuchsweise auf schwer zu kriegen gemacht, mit dem einzigen Resultat, dass wir einen Monat lang keinen Körperkontakt hatten. (Nicht, dass es ihm aufgefallen wäre. Er hat höchstens erleichtert gewirkt, dass ich ihn in Ruhe lasse.) Aber vielleicht hab ich es nicht richtig gemacht.

»Nein«, sage ich. Ich ziehe mein Kleid vom Haken und lasse es mir über den Körper fließen. Hole etwas Bodylotion und schmiere mir die frisch rasierten Beine ein. »Zuspätkommen ist nicht. Jess würde mich umbringen.«

*

Ich halte vor Dees Wohnung und schicke eine Nachricht.

Tori: Stehe draußen. Komm nicht ohne den Moulin-Rouge-Soundtrack x

Aus einem Häkchen werden zwei, aber ich stelle trotzdem den Motor ab. Dee kommt immer mindestens zehn Minuten zu spät, und zwar so ausnahmslos, dass sie sich noch nicht mal mehr dafür entschuldigt. Ich stehe im Halteverbot, aber die Straße ist so leer gefegt wie in der Eröffnungsszene eines postapokalyptischen Films. In Brixton herrscht nur am frühen Wochenendmorgen Ruhe. Die sanierten viktorianischen Reihenhäuser wirken leblos. Hinter jedem Erkerfenster ein zugezogener Vorhang. Alles schläft. Überall verstreut liegen die Zeugen der letzten Nacht herum: Take-away-Packungen speien verschmähte Pommes und Chicken Wings über den Gehweg. Eine klumpige kleine Kotzpfütze trocknet in der Frühlingssonne. Wir sind hier in London, also wird sie niemand wegputzen. Sie wird bleiben, wo sie ist, bis es regnet oder irgendwelche verzweifelten Tauben sie beseitigen. Ich grinse einer leeren Flasche Erdbeersekt zu, die auf einer fremden Eingangstreppe steht. Doch das Grinsen verwandelt sich rasch in einen stechenden Schmerz. Darüber, einmal jünger gewesen zu sein. Jünger im Sinne von: auf der Eingangstreppe einen Erdbeersekt leeren, heftig an einer Kippe ziehen und sich wild gestikulierend mit den ganzen Freunden unterhalten, die sich neben einem, genauso besoffen, rauchend und fuchtelnd über ihre unentwegt dramatischen Leben ausbreiten. Ich weiß, dass das nicht so spaßig ist, wie es aussieht – ich habe ein ganzes Buch darüber geschrieben, dass es weniger spaßig ist, als es aussieht – , aber es ist auch nicht der Spaß, den ich vermisse, es ist das Unberechenbare. Wie eine Zufallsbegegnung oder ein spontaner Ausgehabend oder eine falsche Entscheidung oder eine Last-Minute-Reise irgendwie alles verändern konnten, einen auf einen völlig anderen Weg befördern – ohne dass es jemals zu spät war, den Kurs wieder zu ändern, wenn einem die aktuelle Aussicht nicht mehr gefiel. Ja, damals habe ich mich verloren gefühlt, aber jetzt fühle ich mich dermaßen gefangen.

Lieber verloren als gefangen …

Türenknallen, und da kommt Dee unter einem wackligen Gepäckturm herangewankt. Sie stolpert, und eine Tasche fällt zu Boden. Beim Aufheben verliert sie noch eine weitere. Sie flucht ausgiebig.

Ich lasse die Scheibe runter. »Wir bleiben nur eine Nacht, das ist dir schon klar, oder?«

»Durchaus«, funkelt sie mich an. »Aber ich hab eine akute Klamottenkrise und brauche deinen Rat.«

Ich lasse den Kofferraum aufschnappen, und sie schleudert ihr Zeug so ungehemmt hinein, dass das ganze Auto wackelt. Dann wirft sie sich in den Beifahrersitz, lässt das Fenster herunter und stürzt sich übergangslos in ein detailversessenes Protokoll des vergangenen Abends.

»Also dieser Typ. Von gestern. O Gott, Tor. Das war der Vielversprechendste, den ich seit Ewigkeiten hatte. Kein Foto von seinem schlaffen Penis. Und auch keins von seinem erigierten – was noch besser gewesen wäre, aber trotzdem ein Warnsignal. Und dann hat er mich tatsächlich in einen halbwegs anständigen Laden ausgeführt. Nicht in Gordons Wein-Bar. Ich schwöre dir, wenn noch ein einziger verdammter Kerl es für originell hält, mich zu Gordon’s zu schleppen – wo wir nichts tun als verkrampft rumzustehen und allen anderen mit ihren Scheißdates beim Verkrampft-Rumstehen zuzusehen – , dann häng ich das Weintrinken womöglich für immer an den Nagel. Aber nein. Er ist mit mir in ein richtig nettes Restaurant, mit richtigen Servietten …«

Ich komme nur mühsam mit, weil ich gleichzeitig um zischende, schlingernde Busse herumnavigieren muss und um blindwütige Jogger, die mir vor die Kühlerhaube sprinten. Als das Date sich dem Ende zuneigt, sind wir auf der überraschend verkehrsfreien Ausfallstraße nach Süden. Ich brause nur so dahin; Dee wird das Haar durchs offene Fenster wild ums Gesicht gepeitscht.

»Also, und dann der Abschied«, fährt sie fort. »Und zum ersten Mal seit Ewigkeiten will ich tatsächlich auch, dass mich wer küsst. Ich will, dass er mich küsst. Und darauf läuft es schon den ganzen Abend hinaus. Vorbeugen und sich in Stellung bringen und Kinn kippen – das volle Programm eben. Und dann, kurz vorm Absprung, da stoppt er, und es heißt: ›Da gibt’s noch was, das ich dir sagen muss.‹«

»O Gott!« Ich blinke nach links und verfluche einen Bus, der mich nicht reinlässt. »Immer ein übles Zeichen.«

»Genau. Und ich denk noch, na ja, vielleicht muss er im Morgengrauen in den Krieg ziehen oder so was.«

»Wir haben gerade keinen Krieg, Deeschätzchen.«

»Du machst mir immer die schönsten Fantasien kaputt.« Sie wirft den Kopf in den Nacken und lacht. »Gut, also da steh ich und denk noch, das ganze Kriegsdings könnte ja ziemlich sexy werden. So eine Soldatenfrauenexistenz würde eigentlich ganz gut zu mir passen. Monatelang Ruhe, vom Regiment ein nettes Haus zum Leben …«

»Süß, wie ihr schon quasi verheiratet wart!«

»ES WAR EIN GUTES ERSTES DATE! Du verstehst nicht, was das bedeutet, Tor. Eeegaaal, ich bin also schon voll bereit, ihm zu verzeihen und ihm zu sagen, dass ich auf ihn warten werde, während er im Feld ist oder wo auch immer. Und dann er: ›Tja, also ich weiß nicht, wie ich’s jetzt besser formulieren soll, aber ich bin verheiratet.‹«

Ich schüttle den Kopf und schaue in den Rückspiegel. Wünschte, ich könnte mehr Überraschung aufbringen. Aber ich habe von Dee viele, viele Dategeschichten gehört, und meine Überraschungsschwelle liegt ziemlich hoch.

»Und ich so, ›okayyyy …‹, und er wird ganz panisch und sagt: ›Es ist jetzt nicht, wie du denkst, versprochen! Ich bin nicht auf eine Affäre aus.‹ Also frage ich ihn, weshalb er noch nicht geschieden ist, und er meint: ›Tja, klar will ich mich scheiden lassen, nur, ich kann sie nicht finden.‹«

»Er kann sie nicht finden?«

»Ja.«

»Als wär sie sein Autoschlüssel?«

»Als wär sie ihm weggelaufen und hätte sich in Luft aufgelöst. So hat er’s mir erzählt.«

Ich blende sie einen Moment lang aus, um auf die M4 aufzufahren. Eine rollende Todesfalle von einem Lkw will mich nicht reinlassen, und ich muss noch in der Auffahrt auf 140 beschleunigen, um ihn zu überholen. Ich fädle mich ein in die Blechschlange derer, die aus London zu ihren banalen Samstagsaktivitäten hinausbrettern, und mein pochendes Herz erholt sich allmählich von unserer Beinahe-Katastrophe.

»Also, genau«, fährt Dee fort, ohne zu ahnen, wie knapp sie eben mit dem Leben davongekommen ist. »Was muss er wohl veranstaltet haben, dass sie sich einfach in Nichts auflöst? Und dann versucht er noch zu behaupten, sie wär die Irre von ihnen beiden. Total durchgeknallt. In einer Tour hat er davon gelabert, wie gestört sie doch sei und wie ›absolut typisch‹ das für sie wäre, einfach abzuhauen.«

»Wetten, die war nicht verrückt, bis sie ihn getroffen hat«, gebe ich zu bedenken.

»Genau!« Sie wedelt beim Sprechen mit der Hand, und ihr goldener Nagellack glänzt in der Sonne. Er betont ihr kastanienbraunes Haar perfekt, und in mir meldet sich die Eifersucht, die sich beim Gedanken an Dee und ihr Haar immer in mir meldet. »Alle sechs Typen, mit denen ich mich zuletzt getroffen habe, sind mir mit dem ›Alle meine Exfreundinnen waren irre‹-Spruch gekommen. Und ich so: ›Alter – und wer ist der kleinste gemeinsame Nenner in diesem Muster? DU!‹ Egal, scheiß drauf. Können wir jetzt bitte das ›Elephant Love Medley‹ singen?«

»Nur, wenn ich Nicole sein darf.«

»Immer darfst du Nicole sein!«

»Tja, dafür sitz ich auch am Steuer.«

»Und ich komm überhaupt nur dir zuliebe mit!«

M40