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DAMARIS KOFMEHL

KÄMPFER

Seele

Die Stürme
meines Lebens

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SCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-7751-7492-3 (E-Book)

Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck

© 2020 SCM Hänssler in der SCM Verlagsgruppe GmbH

Kontakt zur Autorin: kofmehl@hotmail.com / www.damariskofmehl.ch

Lektorat: Christina Bachmann

Im Gedenken an Demetri

Ich widme dieses Buch meiner Mutter und meiner Schwester Mirjam, die in all den Stürmen meines Lebens immer zu mir gehalten haben und es noch immer tun.

Dieses Buch erzählt meine Geschichte. Was ich schreibe, ist meine persönliche Perspektive und muss nicht unbedingt die Ansichten oder die Empfindungen von Dritten widerspiegeln. Einige Namen, Organisationen, Orte und Details wurden aus Gründen der Sicherheit und des Persönlichkeitsschutzes geändert.

Inhalt

Über die Autorin

Vorwort

TEIL 1 | Meine Jahre als Single

Auf ins Abenteuer!

Bücher schreiben

Die Reise auf der Calbuco

São Paulo

Es muss mehr sein als nur ein Buch

Der alltägliche Wahnsinn

Marcio und Valdir

Ein falsches Spiel

Ausgeraubt

Am Anschlag

Düstere Weihnachten

Rogérios Rache

Der Wille Gottes

Ein unerwartetes Angebot

Ich steige aus

Flughafenprobleme

Gottes Plan

TEIL 2 | Meine Jahre mit Demetri

Die Drogenreha im Wald

Verliebt

Antrag am Spuckeimer

Turbulente Hochzeit

Leonardos Abkehr

Ups …

Auf den Straßen São Paulos

Üble Gerüchte

Die Büchse der Pandora

Paranoia

In der Psychiatrie

Ich strample mich frei

Gochsheim

Im Visier der Staatsanwaltschaft

Das Verhör

Die Flucht

Der letzte Verrat

TEIL 3 | Meine Jahre ohne Demetri

Neue Herausforderungen

Tod und Schmerz

Walderdbeeren

Früchte ernten

Der Engel mit den rot lackierten Fingernägeln

Versöhnung

Andauernde Heilung

Ein paar abschließende Worte

Bücher von Damaris Kofmehl

Kontakt

Über die Autorin

DAMARIS KOFMEHL ist Bestseller-Autorin und erzählt wahre Begebenheiten als »True-Life«-Thriller, Fantasy und Biografien. Ihre Buchrecherchen führten sie unter anderem nach Brasilien, Pakistan, Guatemala, Chile, Peru, Australien und in die USA. Sie lebte lange unter Straßenkindern in Brasilien und wohnt heute wieder in ihrem Heimatland, der Schweiz.

Vorwort

»Wann schreibst du endlich ein Buch über dich selbst?«

Ehrlich gesagt habe ich es bereits Jahre vor mir hergeschoben. Nicht, weil ich nichts zu erzählen hätte. Im Gegenteil. Ich habe eine ganze Menge zu erzählen. Aber ehrlich gesagt ist es tausendmal leichter, die krassen Geschichten anderer Menschen aufzuschreiben, als in meinem eigenen Leben herumzustochern. Da kommen nämlich Dinge wieder hoch, die ich längst begraben habe und an die ich mich eigentlich nicht mehr erinnern möchte. Da war so viel Ungerechtigkeit, Verzweiflung, Verleumdung, Verrat, Bedrohung, Lüge, Zerbruch, Trauer und Leid, dass ich manchmal selbst kaum glauben kann, wie ich das alles überlebt habe.

Es muss Gottes unendliche Gnade und Barmherzigkeit sein, die mich gehalten hat. Denn menschlich kann ich mir nicht erklären, warum ich allen Umständen zum Trotz ein fröhlicher Mensch geblieben bin. Denn das bin ich! Ich lache wahnsinnig gerne und trage Gottes Freude und Zuversicht in mir. Ich bin weder verbittert geworden, noch habe ich meinen Glauben verloren. Ich habe mich mit meiner Vergangenheit versöhnt. Es ist ein riesiges Geschenk des Himmels, dass ich dies so sagen kann.

Wenn ich also in diesem Buch in teils düstere Kapitel meines Lebens eintauche, so tue ich dies nicht aus Bitterkeit heraus. Ich tue es einerseits, weil ich diesen Teil meines Lebens ganz bewusst für mich abschließen will, um offen für Neues zu sein. Aber vor allem tue ich es für dich, lieber Leser, weil ich glaube, dass auch du Dinge erlebt hast, die schwer zu ertragen sind. Weil ich glaube, dass du das Gefühl kennst, wenn die Seele einfach nur noch schreien will vor lauter Schmerz. Durch meine Geschichte möchte ich dir Mut machen. Wenn ich es geschafft habe, das alles durchzustehen, ohne die Hoffnung zu verlieren, dann schaffst du es auch! Du schaffst es! Hörst du mich?

Ein paar erklärende Bemerkungen zu Beginn:

Im Buch »Seid stark, Frauen!«, das 2008 veröffentlicht wurde, habe ich Teile meiner Geschichte bereits aufgeschrieben. Damals waren viele Dinge noch so frisch, dass ich einiges davon zum Schutz der Betroffenen bewusst modifiziert habe. In diesem Buch habe ich es nun aber endlich so aufgeschrieben, wie es wirklich war. Einige Namen von Personen und Organisationen sind allerdings auch hier abgeändert, denn es geht mir nicht darum, irgendjemandem zu schaden.

Im Buch »Wilder Himmelskrieger«, dem dritten Buch, das ich über meinen geliebten Mann Demetri geschrieben habe, komme ich selbstverständlich auch drin vor, weil wir ja verheiratet waren. Darum werden dir ein paar Storys nicht ganz fremd sein, die ich hier nochmals aus meiner Perspektive aufgreife. Doch dies alles ist nur ein winziger Teil im Vergleich zu dem, was ich noch nie veröffentlicht und von mir preisgegeben habe.

Es hat mich viel Überwindung gekostet, dieses vorliegende Buch zu schreiben. Doch ich tat es in der Überzeugung, dass es dir, lieber Leser, zum Segen dienen kann. Also schnall dich gut an und lass dich mit hineinspülen in die Stürme meines Lebens.

Dies ist die Geschichte hinter all den Büchern. Meine eigene Geschichte. Mein ganz persönlicher True-Life-Thriller.

Damaris Kofmehl, im November 2018

TEIL 1

Meine Jahre als Single

Auf ins Abenteuer!

22. Februar 1996. Ein Uhr nachts. Das Meer rauschte. Die Wellen vor der Küste Chiles schlugen unablässig gegen das schlecht beleuchtete Dock, wo ich mir seit Stunden die Füße abfror. Ein eisiger Wind peitschte mir ins Gesicht, als die Calbuco endlich anlegte und ich das Schiff über eine schmale Brücke betrat.

»Wo muss ich hin?«, fragte ich auf Spanisch.

»Da vorne, in den Container da.«

Ich nickte und folgte den anderen Passagieren, die auf eine Art Bunker vorne im Bug zusteuerten. Nie werde ich den Anblick vergessen, der sich mir bot, als ich mein zukünftiges Schlafquartier betrat: In einem spärlich beleuchteten Raum von vielleicht sechs mal zehn Metern befanden sich vierzig Sitze, angeordnet wie in einem Kino. Ungefähr dreißig Leute hatten sich bereits mehr schlecht als recht auf den zerschlissenen Sitzen zusammengerollt wie junge Kätzchen. Einige lagen in Decken gehüllt auf dem Boden und schliefen. Viele standen im Mittelgang, alle mit dicken Jacken, Halstüchern und Wollmützen bekleidet, und unterhielten sich raunend. Ich kam mir vor wie in einem Flüchtlingslager. Unschlüssig blieb ich stehen, bis mich ein älterer Herr zu sich herüberwinkte.

»Señorita, hier ist noch ein Platz frei.«

»Oh, danke.«

Ich setzte mich neben ihn.

»Du bist keine Chilenin, hab ich recht?«

»Nein, Schweizerin. Ich trampe gerade durch Chile.«

»Alleine?!«

»Ja.«

»Als Frau?!«

»Ja.«

»Alle Achtung. Dann bist du aber auf dem falschen Schiff gelandet.«

»Wieso?«

»Nun, die Calbuco ist ein Frachtschiff, wie dir vielleicht aufgefallen ist. Hier gibt es nur Matrosen und Einheimische.«

»Wirklich? Das hat mir im Reisebüro keiner gesagt, als sie mir das Ticket verkauften.«

»Ja, ist so ziemlich die billigste Reiseklasse hier. Die Matrosen haben ihre Kojen, und wir Mitreisenden müssen mit diesen Sitzen vorliebnehmen. Viel Schlaf wirst du nicht kriegen in den nächsten Tagen.«

»Auch egal«, meinte ich achselzuckend. »Ich mag Abenteuer.«

»Sieht ganz so aus. Wo ist eigentlich dein Gepäck?«

»Hier.«

Die Augen des alten Mannes weiteten sich. »Eine Plastiktüte?!«

Ich grinste. »Ich wollte herausfinden, mit wie wenig Gepäck man drei Monate lang auskommen kann. Den Rest habe ich in einem Schließfach in Santiago de Chile deponiert.«

»Du reist allen Ernstes mit einer Plastiktüte durch ganz Chile? Und das alleine als Frau? Hast du keine Angst, dass dir etwas zustößt?«

»Eigentlich nicht. Zugegeben, es hat mich anfangs einiges an Überwindung gekostet. Aber ich dachte mir, ich probier’s einfach. Ich will sehen, ob ich das schaffe, als Frau alleine durch Südamerika zu reisen. Und das mit einer Plastiktüte.«

»Du hast echt Nerven.« Er streckte mir die Hand entgegen. »Ich bin übrigens Emilio.«

»Damaris«, sagte ich und schüttelte seine Hand.

Draußen hörte ich, wie die Matrosen sich auf Spanisch Befehle zuriefen. Ich spürte, wie das Schiff den Hafen verließ. Die Reise ging los! Emilio kramte eine Wolldecke aus seinem Gepäck.

»Wo hast du so gut Spanisch gelernt, Damaris?«

»In Costa Rica. Ich hab dort eineinhalb Jahre im Dschungel bei den Indianern gelebt und Missionarskinder unterrichtet.«

»Du lässt dir aber auch kein Abenteuer entgehen.«

Ich lachte. »Ich hatte noch nie Bock auf ein gewöhnliches Leben als Grundschullehrerin.«

»Du bist Lehrerin?«

»Und Schriftstellerin. Das ist auch der eigentliche Grund meiner Chile-Reise. Ich recherchiere für mein neustes Buch.«

»Du schreibst Bücher? Was für welche?«

»Jugendbücher. Geschichten, wo die Kids immer ein wenig schlauer sind als die Polizei. Das hier wird mein achtes Buch. Und wenn ich das geschrieben habe, reise ich für drei Monate nach Brasilien für die nächste Buchrecherche. Mein Verlag sagte, ich solle ein Buch über Straßenkinder schreiben. Also dachte ich mir, ich reise nach Brasilien. Da soll es ja eine Menge Straßenkinder geben.«

»Ja, das ist wohl wahr.« Emilio nickte bedächtig. »Na, dann viel Erfolg bei deinen Recherchen und Abenteuern. Ich haue mich jetzt aufs Ohr. Gute Nacht.«

»Gute Nacht.«

Er drehte sich von mir weg, kuschelte sich in seine Decke und schlief kurz darauf bereits tief und fest. Ich beneidete ihn. Ich hatte keine Decke dabei und es war eisig kalt in dem Bunker. Kaum erreichte der Kahn das offene Meer, war der Wellengang so hoch, dass die Einheimischen ständig auf die Toilette rannten, wo sie sich übergeben mussten. Gott sei Dank wurde ich selbst nicht seekrank. An Schlafen war allerdings nicht zu denken. Die Menschen unterhielten sich die ganze Nacht, das Neonlicht brannte, die Schiebetür der Toilette knallte ständig auf und zu und vom Bug her drang beißende Kälte zu mir hindurch. Da hatte ich mir ja was Schönes eingebrockt! Wie war ich bloß hier gelandet, mitten auf einem Fischkutter im Südpazifik? Alleine als Frau? Mit einer Plastiktüte als einzigem Gepäckstück? Meine ehemaligen Mitstudenten hatten es kommen sehen.

»Damaris, du wirst nie ein gewöhnliches Leben führen.«

»Meint ihr?«

»Ein normaler Job, ein Häuschen, ein Garten, ein Mann, zwei Kinder, einen Hund, Strandurlaub auf Mallorca. Du? Nee, ganz bestimmt nicht. Das liegt dir nicht im Blut.«

Sie hatten wohl recht. Ich hatte schon immer irgendwie anders getickt. Und während ich fröstelnd auf dem zerschlissenen Sitz in dem Container saß, schweiften meine Gedanken in die Vergangenheit.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Bücher schreiben

Am 10. August 1970 wurde ich in Zürich geboren. Ich wuchs in einem christlichen, wohlbehüteten Elternhaus zusammen mit meiner drei Jahre älteren Schwester Mirjam auf. Jeden Sonntag besuchten wir den Gottesdienst in der Heilsarmee in Zürich. Im Teenageralter war ich bei den Pfadfindern. Ich habe nie geraucht, ich war nie betrunken, ich hatte nie Probleme in der Schule, ich hatte nie eine rebellische Teenagerphase, ich war nie in der Disco, ich hatte nie einen Freund. Ich war wirklich ein sehr anständiges Mädchen und es gab eigentlich nur eines, was mich interessierte: Schreiben.

Meine erste Geschichte erfand ich, als ich noch nicht schreiben konnte, und diktierte sie meiner Mutter. Ich war fünf Jahre alt und schmückte die Geschichte mit selbst gemalten Bildern aus. Mit sieben Jahren kam ich in die Schule und konnte meine Geschichten endlich selber aufschreiben. Es waren richtige Kunstwerke. Jeder Buchstabe hatte eine andere Farbe. Sowohl meine Eltern als auch meine Grundschullehrerin förderten mein Talent. Meine Eltern ließen meine Geschichten zu kleinen Büchlein binden und meine Lehrerin erlaubte mir, alle Aufsätze nach dem Unterricht mit nach Hause zu nehmen, damit ich sie dort fertig schreiben konnte. In der fünften Klasse gab sie mir ein Erwachsenentheater von Momo, damit ich es für die Klasse umschrieb, was ich mit Begeisterung tat. Es folgten Theaterstücke, Hörspiele für das Schweizer Radio und immer längere Geschichten, die stets genauso lang waren wie die Schulhefte dick.

Erstaunlicherweise las ich sehr wenig. Ich fand die Bücher immer furchtbar langweilig. Wenn es nicht auf den ersten drei Seiten spannend wurde, legte ich das Buch wieder weg.

Langweilig! Das könnte man besser schreiben!, dachte ich jeweils.

Längst stand für mich fest: Eines Tages werde ich selbst ein Buch veröffentlichen. Meine Lieblingsschriftstellerin Federica de Cesco hatte mit 16 Jahren ihr erstes Buch herausgegeben. Also beschloss ich, mit 15 Jahren mein erstes Buch zu veröffentlichen, nur, um sagen zu können, ich hätte Federica de Cesco geschlagen. Gesagt, getan: Mit 15 Jahren schrieb ich mein erstes Manuskript, das ich sechs Verlagen vorlegte. Drei der Verlage waren christlich, die anderen nicht. Ich war wahnsinnig gespannt, ob einer der Verlage sich dafür interessieren würde. In einer Zeitschrift hatte ich gelesen, wie schwierig es sei, einen Verlag zu finden. Es hieß, man solle sich keine großen Hoffnungen machen. Verlage bekämen täglich Hunderte von Manuskripten zugeschickt. Die Chance, dass sie sich ausgerechnet für deines entscheiden würden, sei sehr gering.

Tja, und dann kam die unglaubliche Antwort: Nicht nur einer, sondern gleich drei Verlage wollten mein Buch! Ich fiel aus allen Wolken. Zwei der Verlage waren nicht christlich, einer war christlich. Jetzt stand ich vor der schwierigen Wahl, welchem der drei ich mein Buch geben sollte. Der christliche Verlag schrieb, sie würden die Story gerne als ersten Band einer Jugendbuchserie veröffentlichen. Die anderen Verlage wollten es als Einzelbuch bringen, stellten allerdings eine Bedingung: »Wir nehmen dein Buch, aber du musst Gott herausstreichen.«

Gott herausstreichen? Das war eine Bedingung, die mich ziemlich herausforderte. Gott spielte in meinem Leben schon immer eine wichtige Rolle. Ich glaubte an ihn, seit ich denken konnte. Mit 13 Jahren hatte ich ihm ganz bewusst mein Leben gegeben, weil mir klar geworden war, dass es nicht reichte, jeden Sonntag in den Gottesdienst zu gehen. Mir war klar geworden, dass eine Entscheidung von mir nötig war. Entweder, ich folgte Jesus nach, und zwar radikal und mit allen Konsequenzen, oder ich ließ es bleiben. So kniete ich mich eines Abends ganz unspektakulär vor meinem Bett nieder und bat Jesus, in mein Herz zu kommen. Das war vor zwei Jahren gewesen. Und nun stand ich als 15-Jährige vor der schwierigen Entscheidung, ob ich Gott aus meinem Buch herausstreichen sollte oder nicht, eine Entscheidung, die sich auf mein ganzes Leben auswirken würde.

Veröffentliche ich mein Buch in einem weltlichen Verlag, wird es vielleicht ein Bestseller und ich werde eine berühmte Schriftstellerin. Das Einzige, was ich dafür tun muss, ist, Gott herauszustreichen. Soll ich das tun? Oder soll ich Gott drinlassen, ein kleineres Publikum erreichen, vielleicht nicht so berühmt werden, dafür aber eine Karriere mit Gott einschlagen?

Gott war es, der mir die Gabe des Schreibens gegeben hatte. Daran hatte ich keinen Zweifel. Ich kam aus einer künstlerischen Familie, sowohl mütterlicher- wie väterlicherseits. Meine Großmutter war eine begnadete Porzellan-Malerin gewesen. Mein Großvater hatte in den Siebzigern alleine ein Haus gebaut und es von außen isoliert, wofür ihn damals alle auslachten, weil man so etwas noch nie gesehen hatte. Meine Mutter vollbrachte wahre Kunstwerke mit der Nähmaschine. Mein Vater hatte ständig irgendwelche Dinge erfunden, einmal eine Uhr für Modelleisenbahnen, die um ein Vielfaches schneller lief, damit die Modelleisenbahn vom einen zum anderen Bahnhof eine Stunde brauchte und nicht 15 Sekunden. Einer meiner Onkel ist ein hochbegabter Musiker und spielte viele Jahre im Tonhallenorchester in Zürich. Mein Patenonkel hat den berühmten Singing Christmas Tree an der Bahnhofstraße in Zürich ins Leben gerufen, eine Bühne in Form eines überdimensionalen Weihnachtsbaumes, wo während der Adventszeit als Christbaumschmuck verkleidete Chöre Weihnachtslieder singen. Mein Cousin ist ein Künstler, der bewegliche, maschinenähnliche Skulpturen baut wie der berühmte Schweizer Bildhauer Jean Tinguely. Meine Schwester schneidert vom Foto die wildesten Kostüme. Kunst und Kreativität scheinen irgendwie in unseren Genen zu liegen. Bei mir war und ist es das Schreiben.

Nun musste ich mich also entscheiden, wie ich mein Talent in Zukunft einsetzen würde: für mich oder für Gott. Ich entschied mich für Gott. Und so kam mein allererstes Buch auf den Markt. Es hieß Conny reißt aus und wurde vom christlichen Verlag Schulte & Gerth – heute Gerth-Medien – verlegt. Wow. Mein erstes Buch! Es war ein unbeschreibliches Gefühl. Es verkaufte sich so gut, dass der Verlag schon bald einen zweiten Band herausgeben wollte. Die Serie nannte sich Die Abenteuerklasse. Jetzt hatte ich ein Problem. Ich war Schülerin im Gymnasium und hatte eigentlich überhaupt keine Zeit, ein zweites Buch zu schreiben. Doch der Verlag drängte mich geradezu und rief mich mehrmals an.

»Wann kannst du uns das nächste Manuskript abliefern?«

»Ich weiß es nicht! Ich schreibe jede freie Minute, ehrlich!«

Das war nicht gelogen. Meine ganze Freizeit ging dafür drauf, sogar meine Ferien. Schließlich begann ich, während des Unterrichts zu schreiben, vor allem in den langweiligen Mathestunden. Unser Mathelehrer war gar nicht erfreut darüber und setzte mich mehrmals vor die Tür. Das fand ich gut, so hatte ich noch mehr Zeit zum Schreiben!

Eines Tages hielt mich unser Geschichtslehrer nach der Stunde zurück, um mit mir zu reden. Seiner Miene nach ging es um etwas Gravierendes.

»Damaris«, sagte er. »Ich mache mir ernsthaft Sorgen um dich.«

»Ach ja? Meine Noten sind doch gut.«

»Es geht nicht um die Noten. Es geht um dich, darum, dass du dich nicht wie ein normaler Teenager verhältst.«

Ich schaute ihn verdutzt an. »Was genau meinen Sie damit?«

»Du rauchst nicht, du trinkst nicht, du hängst nicht mit den anderen ab. Alles, was du tust, ist schreiben. Das ist doch nicht normal. Warum amüsierst du dich nicht wie alle anderen in deinem Alter? Gehst mal in die Disco? In ein Konzert? Angelst dir einen Freund?«

»Äh …« Ich zuckte die Achseln. »Ich schreibe eben gerne. Was ist falsch daran?«

»Nichts, es ist nur … sehr ungewöhnlich.«

»Hmm …«

Ehrlich gesagt verstand ich überhaupt nicht, was sein Problem war. Und er verstand offenbar genauso wenig, warum ich nicht verstand, wie ernst die Lage war. Jedenfalls ignorierte ich all seine gut gemeinten Ratschläge und schrieb munter weiter. Mein zweites Buch hieß Der Banküberfall und kam 1988 auf den Markt.

1989 machte ich mein Abitur. Ein Jahr später, an Pfingsten, starb mein Vater ganz überraschend an einem Herzinfarkt. Er war gerade mal 44 Jahre alt gewesen und kerngesund. Das war ein sehr einschneidendes Erlebnis für mich. Mein Vater war der beste Vater gewesen, den ein Kind sich wünschen konnte. Er war immer für mich da gewesen. Er hatte sich immer Zeit für mich genommen und mich immer unterstützt bei all meinen ausgefallenen Ideen und Projekten.

An dem Nachmittag, als mein Vater ins Krankenhaus gefahren wurde, kniete ich mich in unserem Wohnzimmer auf den Boden und dankte Gott für meinen Papa. Zu diesem Zeitpunkt war noch alles offen, aber irgendwie spürte ich, dass ich ihn loslassen musste. Ich spürte, dass ich ihn verlieren würde. Und so weinte ich und dankte Gott für die 19 wundervollen Jahre, die ich mit ihm hatte verbringen dürfen. Als ich dann Stunden später erfuhr, dass mein Vater gestorben war, empfand ich keinerlei Bitterkeit gegenüber Gott. Ich war nicht wütend auf Gott, dass er mir meinen Vater so früh genommen hatte. Ich war dankbar, dass ich einen Vater gehabt hatte. So viele Menschen haben keinen Vater oder einen, der sie vernachlässigt oder misshandelt. Ich hatte das Privileg, einen Papa haben zu dürfen, der mich über alles geliebt hatte. Und das 19 Jahre lang. Natürlich vermisste ich ihn. Ich hatte ihn geliebt und er hinterließ bei uns allen eine große Lücke, die niemand wieder zu füllen vermochte. Doch über all der Trauer stand eine tiefe Dankbarkeit für die kostbare Zeit mit ihm.

Eine Sache gab es allerdings, die mir unmittelbar nach dem Tod meines Vaters sehr zu schaffen machte: Durfte ich jetzt nie mehr lachen? Weil sonst alle dachten, ich hätte meinen Vater nicht geliebt?

Diese Frage beschäftigte mich wirklich sehr. Ich lache sehr oft, sehr gerne und manchmal auch sehr laut. In der Heilsarmee meiner Heimatgemeinde sind mir deswegen von den älteren Leuten oft böse Blicke zugeworfen worden. Ein Prediger fragte mich sogar einmal, ob alles in Ordnung mit mir sei. Er meinte, oft würde sich hinter einer so überschwänglich guten Laune eine tiefe Depression verbergen. Aber ich war nicht depressiv. So bin ich nicht veranlagt. Ich bin von Natur aus ein fröhlicher Mensch. Das war schon immer so. Doch jetzt, wo mein Vater gestorben war, war ich mir nicht sicher, ob ich das noch sein durfte.

Meiner Mutter und meiner Schwester ging es ähnlich. Wir hielten diese Trauerstimmung kaum noch aus. Also suchten wir uns die lustigste Komödie aus, die wir auf Video hatten, ließen alle Rollläden herunter, damit uns ja keiner sah, und dann schauten wir uns einen Film mit Bud Spencer und Terence Hill an und lachten uns einen Abend lang kaputt. Es war wie Balsam für unsere Seelen.

Von 1990 bis 1993 machte ich die Ausbildung zur Grundschullehrerin. Daneben schrieb ich weitere Bände der Abenteuerklasse: Der Schatz auf der Insel, Gefahr im Zeltlager und den fünften und letzten Band der Serie, Die geheimnisvolle Brosche.

Die Ausbildung machte mir großen Spaß mit Ausnahme von einigen Fächern, die meiner Meinung nach wirklich überflüssig waren, zum Beispiel der Zeichenunterricht, wo wir uns als Bäume fühlen mussten, oder das Fach Politik und Umwelt. Da langweilte ich mich zu Tode. Am meisten nervte es mich, dass wir stundenlang darüber diskutierten, wie man die Welt verbessern könnte.

Da saßen wir in unserem schönen beheizten Klassenzimmer und glaubten, wir hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen. Was wussten wir schon von Armut? Von Krieg? Von den echten Problemen dieser Welt? Und wer von uns war bereit, auch nur einen Finger dafür zu krümmen, um die Welt wirklich zu verändern? Wer von uns war bereit, selbst anzupacken, um etwas zu bewirken in dieser Welt, und nicht nur darüber zu quatschen?

Während die Diskussion immer heftiger wurde, fasste ich innerlich einen Entschluss: Wenn ich mit der Ausbildung fertig bin, will ich mir die Hände schmutzig machen. Ich will nicht länger debattieren, ich will handeln!

1993 setzte ich meinen Entschluss in die Tat um. Anstatt wie alle anderen aus meiner Klasse eine Lehrerstelle im Kanton Zürich anzutreten, meldete ich mich für einen Dschungeleinsatz in Südamerika. Ich reiste nach Costa Rica, wo ich eineinhalb Jahre im Dschungel bei den Indianern lebte und drei Missionarskinder unterrichtete. Was für ein Abenteuer! Ich liebte es! Jeden Morgen wurden wir von Brüllaffen geweckt. Wir unternahmen Ausritte zu versteckten Wasserfällen im Dschungel, spielten mit den Indianern Fußball. Ich fing eine giftige Korallenschlange und häutete sie mit meiner Nagelschere. Ich legte mir eine Sammlung aus handflächengroßen Schmetterlingen, Stabheuschrecken, Vogelspinnen, geflügelten, faustgroßen Monsterkäfern und Skorpionen an. Ich schlachtete mein erstes Huhn, wanderte mit meinen drei Zweitklässlern mit der Machete bewaffnet durch den Urwald, campierte unter Palmen an einsamen Stränden, kletterte in drei Tagen auf den 3820 Meter hohen Cerro Chirripó und reiste durch ein von Guerillakämpfern besetztes Kriegsgebiet in Guatemala. Natürlich kam auch das Schreiben nicht zu kurz. Ich begann eine neue Jugendbuchserie: Abenteuer in Südamerika. Selbstverständlich baute ich all meine spannenden Erlebnisse mit ein. Der erste Band spielte in Costa Rica und hieß Gejagt durch Costa Rica. Der zweite spielte in Guatemala und hieß Das Geheimnis des Maya-Tempels. Der dritte Band stand noch aus.

Als ich im Frühjahr 1995 in die Schweiz zurückkehrte und am Flughafen von meiner Familie und meinen Freunden stürmisch begrüßt wurde, merkte ich erst, wie sehr ich mich in den eineinhalb Jahren verändert hatte. Ich hatte Feuer gefangen, ich brannte für Südamerika, für wilde Abenteuer und die Arbeit als Missionarin. Ich konnte mir beim besten Willen nicht mehr vorstellen, ein gewöhnliches Leben in der Schweiz zu führen, zu unterrichten, zu heiraten und Kinder zu haben. Ich wollte wieder weg! Ich musste wieder weg oder die Normalität hätte mich erschlagen. Aber wohin?

Die Antwort kam von unerwarteter Seite. Mein Verlag wollte sich mit mir treffen, um darüber zu reden, was für Buchprojekte ich als Nächstes in Angriff nähme. Ich fuhr nach Wetzlar und traf mich mit dem Cheflektor.

»Nun, Damaris, die beiden Serien von dir verkaufen sich ganz gut. Was ist als Nächstes geplant?«

»Ich will auf jeden Fall noch einen dritten Band von Abenteuer in Südamerika anhängen. Ich dachte an ein Abenteuer in Chile. Dieses Land fasziniert mich schon lange.«

»Klingt gut. Und danach?«

»Danach ist alles offen. Ich weiß es nicht.«

»Wie wär’s mit einer Jugendserie über Pferde?«

»Pferde?!«

»Ja, alle Mädchen lieben Pferdegeschichten. Du bist als Mädchen bestimmt auch geritten.«

»Nein.«

»Nicht? Jedes Mädchen will doch irgendwann ein eigenes Pony haben.«

»Ich nicht.«

»Eine Serie über Pferde würde sich gut verkaufen.«

»Das mag ja sein. Aber ich verstehe rein gar nichts von Pferden. Das ist nicht meine Welt.«

»Und was ist deine Welt?«

Meine Welt? Einmal mehr wurde mir bewusst, wie anders ich doch tickte. Ich hatte mich nie für Mädchenkram interessiert. Ich hatte nie mit Puppen gespielt, sondern lieber gebastelt oder geschrieben. Ich wollte nie zum Ballett gehen, sondern lieber Fußball und Rugby mit den Jungs aus der Nachbarschaft spielen. Ich hatte nie Röcke getragen, immer nur Hosen. Eigentlich wollte ich immer ein Junge sein, denn ich fand es total unfair, dass Jungen so viele tolle Sachen machen durften und Mädchen nicht. Mädchen liefen Jungs nach, kicherten meiner Meinung nach viel zu viel und redeten andauernd nur über Mode, Schminke, Nagellack und Schuhe. Nichts davon bedeutete mir etwas. Ich wollte cool sein, nicht hübsch. Ich wollte mutig sein, kein Weichei. Es war nicht so, dass ich mich im falschen Körper fühlte oder auf Frauen stand. Bloß fand ich es ungerecht, dass es für Mädchen nicht angebracht war, aus ihrer Rolle zu fallen, während den Männern die Welt offenstand. Dabei war es genau das, was ich wollte: Ich wollte meine Grenzen austesten. Ich wollte Dinge tun, die man als Mädchen oder Frau eben nicht tat. Genau das wollte ich!

Die Frage des Cheflektors blieb im Raum hängen. Und dann sagte er etwas, was mein Leben von Grund auf verändern sollte. Radikal. Mit Folgen, die weder er noch ich zu diesem Zeitpunkt auch nur im Entferntesten ermessen konnten.

»Also gut, keine Pferdebücher. Wie wär’s mit einem Buch über Straßenkinder?«

»Straßenkinder?«

»Ja, ich denke, das wäre ein interessantes Thema für ein Buch.«

»Stimmt«, sagte ich und nickte bedächtig. Keine Ahnung, wie er überhaupt auf dieses Thema gekommen war. Doch sein Vorschlag traf mitten ins Schwarze. Straßenkinder. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr faszinierte mich die Idee. Ein Buch über Straßenkinder. Warum eigentlich nicht? Ich beschloss, die Sache in Angriff zu nehmen. Wieder zu Hause holte ich einen Atlas hervor. Straßenkinder gibt es ja überall auf der Welt. Also ließ ich meinen Finger in der Luft kreisen und zielte dann willkürlich auf irgendeinen Punkt auf der Weltkarte. Meine Fingerspitze landete auf São Paulo, Brasilien.

Alles klar, dann soll es also Brasilien sein!, dachte ich. Jetzt brauche ich bloß noch irgendeinen Kontakt vor Ort, dann kann es losgehen.

Ein paar Monate später traf ich bei einem Vikariat, das ist in der Schweiz eine Stellvertretung an der Schule, eine Lehrerin namens Erna Thoma, die mir in der großen Pause erzählte, sie sei gerade auf Heimaturlaub und würde nächste Woche zurück an den Amazonas reisen. Sie unterrichtete in Belém, im Norden Brasiliens, Missionarskinder. Unser Gespräch dauerte gerade mal 15 Minuten, doch in diesen 15 Minuten tauschten wir Telefonnummern und E-Mail-Adressen aus und ich hatte meinen Kontakt in Brasilien.

Ich plante meine Reise wie folgt: Am 28. Dezember würde ich nach Costa Rica fliegen, um dort mit ein paar jungen Männern ein neues Missionarshaus im Dschungel zu bauen. Am 11. Februar 1996 würde ich für zwei Monate Chile bereisen, um Material für den dritten Band meiner Abenteuerserie zu sammeln. Am 10. April würde ich für drei Monate nach Brasilien reisen, erst zwei Monate nach Belém, um Portugiesisch zu lernen, und dann noch einen Monat nach São Paulo für die eigentliche Recherche über Straßenkinder. Am 10. Juli 1996 würde ich dann wieder in die Schweiz zurückkehren, meine Abenteuer in Südamerika beenden und irgendwie versuchen, wieder Fuß in meiner Heimat zu fassen.

Das war der Plan.

Natürlich kam alles anders …

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Die Reise auf der Calbuco

Ein durchdringender Hornstoß riss mich aus meinem Halbschlaf. Es war sieben Uhr morgens. Die erste schlaflose Nacht war überstanden. Ich rekelte mich auf meinem Sitz im Container und ging nach draußen. Die Calbuco war zwischen den Inseln an der Südküste Chiles vor Anker gegangen. Im Mittelteil des Schiffes wurden die Vorräte aufgefüllt. Ich hatte mir abends zuvor am Pier einen halben Liter Coca-Cola und eine Packung Kekse gekauft. So genoss ich mein Frühstück aus Cola und Keksen und sah den Matrosen bei der Arbeit zu.

Ist doch ganz gut, dass ich auf keinem Touristenschiff gelandet bin, dachte ich. Das hier ist viel spannender.

Warum man mir im Reisebüro eine Fahrt auf der Calbuco verkauft hatte, war mir nach wie vor ein Rätsel. Ich hatte einfach gesagt, ich wolle die sechstägige Schiffreise zur berühmten Laguna San Rafael buchen, wo der äquatornächste Gletscher in einen von treibenden Eisschollen gefüllten Zungenbeckensee mündet. Nun, egal. Ich wollte ein Abenteuer erleben, hier hatte ich eins. Und was für eins!

Nach zwei Stunden ging die Fahrt weiter, immer zwischen den vielen Inseln hindurch Richtung Süden. Das Wetter war launisch. Mal schien die Sonne von einem azurblauen Himmel und die vielen Inseln lagen in sanften Blautönen hintereinander. Dann wieder regnete oder hagelte es. Ab und zu sah ich Seehunde und Delfine.

Es war immer noch eisig kalt. Ich war dankbar für meine Thermounterwäsche, fror aber trotzdem die ganze Zeit. Zur durchdringenden Kälte kam seit unserem Zwischenstopp ein penetranter Gestank nach Muscheln hinzu. Sie lagen in großen Säcken direkt beim Eingang unseres Bunkers, sodass man in dem Raum kaum noch atmen konnte. Ja, ein paar Unannehmlichkeiten brachte die Reise auf dem Frachter schon mit sich. Zum Beispiel waren die sanitären Einrichtungen eine absolute Katastrophe. Die Toilette stank fürchterlich. Papier gab es sowieso keines, der Boden war nass und das Wasser stand im Waschbecken.

Noch schlimmer war die Dusche. Sie war nicht größer als eine Telefonkabine. Der Ablauf war gleich neben dem Eingang, was zur Folge hatte, dass das Wasser erst abfließen konnte, wenn das Schiff sich auf die entsprechende Seite neigte. Schaukelte es zurück auf die andere Seite, standen dafür meine Schuhe im Wasser. Der einzige Kleiderhaken befand sich direkt neben dem Duschkopf. Keine Ahnung, wer auf diese glorreiche Idee gekommen war. Also klemmte ich meine Kleider zwischen ein paar Rohre und Kabel unter der Decke, damit sie trocken blieben. Das würde das erste und letzte Mal sein, dass ich hier duschte! Doch zumindest hatte ich mal wieder saubere Haare.

Mangelnde Hygiene und stinkende Muscheln waren aber bei Weitem nicht meine größten Sorgen. Im Reisebüro hatte man mir versichert, dass man auf dem Schiff Essen kaufen könne. Dem war aber nicht so, wie ich nun herausfand, als ich gegen Mittag die Kantine aufsuchte. Das Einzige, was man kaufen konnte, war Kaffee!

»Gibt es wenigstens eine Möglichkeit, irgendwo an Land zu gehen, um etwas einzukaufen?«, fragte ich den Mann hinter der Theke. Er verneinte.

Na toll, dachte ich. Jetzt habe ich ein echtes Problem.

Ich kaufte mir einen Kaffee, wärmte meine klammen Finger an dem Becher und spürte, wie wohlige Wärme sich in meinem durchfrorenen Körper ausbreitete.

Wie um alles in der Welt soll ich sechs Tage mit drei Deziliter Cola und einer drei Viertel vollen Schachtel Kekse auskommen?, überlegte ich. Hätte ich bloß nicht so viele davon zum Frühstück gegessen! Warum hatte mir keiner gesagt, dass man auf dem Schiff nichts zu essen bekam?

Ich rechnete mir aus, dass ich pro Tag zwei Kekse essen und etwa 50 Milliliter Coca-Cola trinken durfte. Irgendwie werde ich das schon überleben, dachte ich und schlürfte an meinem Kaffee.

Die zweite Nacht im Container war noch kälter als die erste. An Schlafen war nicht zu denken. Außerdem quälten mich Hunger und Durst. Meine Zuversicht schwand langsam dahin. Am nächsten Morgen gegen elf Uhr ging ich mich in der Kantine aufwärmen, als mich ein chilenischer Matrose ansprach.

»Woher kommst du?«

»Aus der Schweiz«, sagte ich.

»Oh, aus Schweden!«

»Nein, nicht Schweden. Schweiz. Das sind zwei verschiedene Länder.«

»Ah«, sagte der Mann und streckte mir seine schwielige Hand entgegen. »Ich heiße Pepe. Ich arbeite als Maschinist auf der Calbuco

»Damaris«, stellte ich mich vor.

»Damaris. Schöner Name. Wieso reist eine junge hübsche Frau wie du auf einem Frachtschiff wie diesem?«

Ich schmunzelte und erklärte es ihm.

»Unfassbar. Die hätten dir überhaupt kein Ticket verkaufen dürfen. Kannst du überhaupt schlafen in dem Bunker?«

»Nicht wirklich, um ehrlich zu sein.«

»Hey, hättest du Lust, dir den Maschinenraum anzusehen?«

»Ja, sehr gerne!«

»Dann komm mit.«

Ich folgte dem Matrosen aus der Kantine, durch einen schmalen Korridor und durch eine schwere Eisentür. Über eine Metallleiter gelangten wir in den Maschinenraum. Es war laut und warm. Die Maschinen dröhnten, dass man kaum sein eigenes Wort verstehen konnte. Es roch nach Öl und Metall. Pepe stellte mich all seinen Freunden vor und brachte mich dann wieder nach oben. Ich bedankte mich für die Führung und ging Richtung Bug, um ein paar Fotos von der Landschaft zu machen. Mein Magen knurrte. Wenn ich doch bloß etwas zu essen hätte! Diesen Teil der Geschichte hatte ich Pepe gegenüber absichtlich nicht erwähnt. Ich wollte kein Mitleid erregen.

Es war noch keine Stunde vergangen, als ein anderer Matrose auf mich zukam und mich mit Namen ansprach.

»Damaris?«

»Ja!«

»Der Kapitän möchte dich sehen.«

»Der Kapitän?!«

Verwirrt folgte ich dem Mann. Wieso wollte der Kapitän mich sehen? Er kannte mich doch überhaupt nicht. Der Matrose führte mich in den Mannschaftsessraum, wo mehrere Männer an einem Tisch saßen und eine Suppe schlürften. Pepe war auch da, ebenso der Kapitän, der leicht an seiner Uniform zu erkennen war.

»Ah, da ist sie ja!«, rief Pepe begeistert. »Käpt’n, das ist die junge Schwedin, von der ich dir erzählt habe.«

»Schweizerin.«

»Sag ich doch«, grinste Pepe und deutete auf einen leeren Stuhl. »Setz dich zu uns.«

Der Kapitän reichte mir seine Pranke und begrüßte mich herzlich. »Hast du Hunger?«

»Und wie!« Wenn ihr wüsstet …!, dachte ich.

Der Kapitän gab einem der Matrosen einen Wink, der verschwand in der Kombüse und kam mit einem prall gefüllten Teller mit Fleisch und Kartoffeln zurück. Ich glaubte zu träumen.

»Guten Appetit!«, sagte der Kapitän. »Lass es dir schmecken.«

Das brauchte er mir nicht zweimal zu sagen. Gierig machte ich mich über den Teller her. Ich hatte einen Kohldampf, ich hätte ein ganzes Pferd verspeisen können. Das Fleisch war zwar mehr Fett als Fleisch, aber das war mir egal. Ich aß den ganzen Teller leer, auch wenn mir die halbe Portion bei Weitem gereicht hätte. Doch ich wollte nicht unhöflich sein, außerdem wusste ich nicht, wann ich das nächste Mal ein anständiges Essen zwischen die Zähne kriegen würde.

Es kam noch besser. Nachdem ich aufgegessen und lange mit der Mannschaft geplaudert und gelacht hatte, bat mich Pepe, mit ihm mitzukommen. Er führte mich in seine Kajüte, die er mit einem anderen Maschinisten teilte.

»Wenn du willst, kannst du meine Koje haben. Vorne im Bunker ist es viel zu kalt.«

Ich glaubte, mich verhört zu haben. Er stellte mir seine eigene Schlafkoje zur Verfügung? Zugegeben, der Gedanke an ein warmes Bett war verführerisch. Doch bei so viel Freundlichkeit gab es bestimmt einen Haken. Wollte er im Gegenzug vielleicht etwas von mir?

»Und wo schläfst du dann?«, fragte ich vorsichtig.

»Mein Kumpel und ich teilen uns die obere Koje. Wir arbeiten sowieso in Schichten. Du kannst also gerne in der unteren schlafen.«

»Bist du sicher?«

»Absolut. Es sei denn, du ziehst es vor, mit den anderen Reisenden im Container zu bleiben.«

Ich überlegte. Natürlich war es ziemlich naiv, einem wildfremden Matrosen einfach so zu vertrauen. Aber eine weitere Nacht im Bug durchschlottern wollte ich auch nicht. Und so nahm ich sein Angebot an. Ich bereute es nicht. Pepe und auch alle anderen Matrosen hatten offenbar einen Narren an mir gefressen. Ich wurde ihr VIP. Ich durfte jeden Tag mit dem Kapitän und der Mannschaft zu Mittag essen und konnte in einem warmen Bett schlafen. Was wollte ich mehr?

Von nun an konnte ich die Reise auf der Calbuco in vollen Zügen genießen. Je weiter wir nach Süden vorstießen, desto kälter wurde es. Das Wetter war regnerisch und ungemütlich. Am dritten Tag erreichten wir die berühmte Laguna San Rafael. Pepe lieh mir eine dicke Jacke, Handschuhe und Wollmütze aus. In zwei kleinen Rettungsbooten tuckerten wir in die Nähe der gewaltigen Gletscherzunge. Zu nahe durfte man nicht heran, denn mehr als einmal lösten sich riesige Eisbrocken vom Gletscher und stürzten krachend ins Meer. Es war absolut eindrücklich. Zur Krönung des Ausflugs wurde Whisky ausgeschenkt, der traditionsgemäß mit tausendjährigen Eiswürfeln getrunken wurde, die man sich selbst vom Boot aus angeln konnte.

Die dreitägige Rückreise war ebenfalls unvergesslich. Wir liefen die verschiedensten kleinen Häfen an, wo Einheimische an Land gingen und neue Fracht an Bord kam oder den Inselbewohnern übergeben wurde. Ich liebte es, der Schiffscrew beim Entladen und Verladen zuzusehen. Die Inselbewohner ruderten in kleinen Holzbooten herbei, um die Nahrungsmittel, Muscheln, Fische und Früchte in Empfang zu nehmen oder der Calbuco zum Transport mitzugeben. Einmal wurden ein Bett, eine Tür und zwei Fenster mit dem Kran auf ein Ruderboot gehievt, ein anderes Mal kam ein ganzes Motorboot an Bord und einmal wurde sogar ein Lama aufgeladen. Sehr eindrücklich war auch ein Dorf am Rand einer Insel, das man Plastikstadt nannte, weil alle Häuser aus Plastik waren.

In Puerto Montt verabschiedete ich mich von Pepe und der ganzen Besatzung und ging von Bord. Von all den Abenteuern, die ich bisher in Südamerika erlebt hatte, war dieses eindeutig das spektakulärste gewesen. Ich hatte ja keinen Schimmer, dass die Abenteuer, die mich in Brasilien erwarteten, noch um einiges heftiger würden. Vor allem um einiges gefährlicher …

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São Paulo

Donnerstag, 4. Juni 1996. São Paulo, Brasilien. Mit 20 Kilogramm Gepäck auf dem Rücken und acht Kilogramm am Bauch, der Wegbeschreibung in der einen und der Armbanduhr in der anderen Hosentasche – damit sie nicht geklaut würde – schlug ich mich mit Bus und Metro zur Rua Vergueiro durch.

Wenn bloß niemand auf die Idee kommt, mich auszurauben!, dachte ich die ganze Zeit und gab mir Mühe, einen möglichst unauffälligen Eindruck zu erwecken. Man hörte schließlich allerhand Horrorgeschichten von Überfällen in dieser Millionenstadt.

Hier war ich nun also. Im Stadtzentrum von São Paulo, der letzten Station auf meiner sechsmonatigen Südamerikareise. Ich schaute dieser Zeit mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Einen Monat würde ich in dieser kriminellen Metropole verbringen. Wie würde ich das bloß überstehen? Würde mich Gott auch hier zur rechten Zeit an den rechten Ort führen? Alles, worauf ich mich stützte, waren eine Adresse der Hilfsorganisation Hope in Christ International1, kurz HCI, und ein Telefongespräch mit Roland, einem Pastor dieser Organisation, der mir vor einem Monat in gebrochenem Deutsch ein Bett in ihrem Studentenheim in São Paulo zugesichert hatte.

Eigentlich hatte ich keinen Grund zur Sorge. Wenn es etwas gab, was ich in den vergangenen fünf Monaten gelernt hatte, dann, dass Gott mich nie im Stich ließ. Er war der beste Reiseleiter, den man sich wünschen konnte. Er hatte mir auf der Calbuco ein Bett und zu essen gegeben. Er hatte mir in einem Bus die Schwester des Schweizer Skirennfahrers Daniel Mahrer über den Weg geschickt, die mich anschließend für einen Monat in Santiago de Chile bei sich beherbergt hatte, damit ich mein Buch über Chile (Kampf um den Regenwald) schreiben konnte. Er hatte mich in einer 15-minütigen Pause mit Erna Thoma bekannt gemacht, durch die ich zu einem zweimonatigen Aufenthalt in Belém an der Mündung des Amazonas gekommen war, wo ich Portugiesisch gelernt und eine deutsche Straßenkindermissionarin kennengelernt hatte, die mir die Adresse von HCI in São Paulo gegeben hatte.

Gott hatte meine ganze Südamerikareise perfekt orchestriert und mich vor Hunderten von Gefahren bewahrt, wie zum Beispiel in der chilenischen Wüste, als ich mitten im Nirgendwo am Straßenrand stand, weil ich zu früh aus einem Bus ausgestiegen war. Irgendjemand hatte mir geraten, ich solle hier in einen anderen Bus umsteigen, was völliger Quatsch war. Es gab überhaupt keinen anderen Bus, nur Wüste, so weit das Auge reichte. Mehrere Stunden stand ich in der sengenden Sonne, 60 Kilometer von jeglicher Zivilisation entfernt, bis endlich ein Auto kam und mich in die nächste Stadt mitnahm.

Oder da war die Geschichte mit meinem 26-Kilometer-Marsch durch den Nationalpark Alerce Andino, ein Naturreservat mit schmalen, morastigen Pfaden. Mutterseelenallein, ohne irgendeinen Kontakt zur Außenwelt, wanderte ich durch diesen chaotischen Naturwald, kletterte über tausend Jahre alte umgestürzte Bäume und kämpfte mich durch Sümpfe und Gestrüpp. Hätte ich den Pfad verloren oder mir den Fuß verknackst, ich glaube, niemand hätte mich je gefunden.

Ja, Gott hatte in Chile die Hand über mir gehalten und nicht zugelassen, dass mir irgendetwas zustieß. Er würde auch in São Paulo bei mir sein.

Nervös war ich trotzdem.

Hope in Christ International (HCI) ist eine weltweite christliche Organisation, die in vielen Ländern der Welt tätig ist und ihren internationalen Sitz in Atlanta hat. Es gibt sowohl christliche Gemeinden als auch soziale Einrichtungen von HCI, die meist Hand in Hand laufen und von Pastoren derselben Organisation geleitet werden. Jedes Land funktioniert eigenständig und hat seine eigene Bibelschule für seine zukünftigen Pastoren. Anders als bei anderen kirchlichen Organisationen dürfen die Pastoren ihren Einsatzort nicht frei wählen. Er wird ihnen von der Landesleitung zugeteilt und ändert sich im Schnitt alle vier bis sechs Jahre, je nach Bedarf. An der Spitze des jeweiligen Landes steht der Landesleiter. Gleich unter ihm in der Hierarchie kommt der Vize-Landesleiter, dem wiederum mehrere Gebietsleiter unterstellt sind. Jeder Gebietsleiter ist zuständig für einen einzelnen Staat und hat die Leitung über sämtliche Pastoren dieses Staates inne. Da es in ärmeren Ländern oft zu wenig einheimische Pastoren gibt, sendet HCI auch Pastoren aus Europa und den USA in diese Länder, wo sie dann unter der jeweiligen nationalen Landesleitung dienen.

So auch die Schweizer Pastoren Rosa und Roland. Sie kamen aus dem Welschland, dem französisch sprechenden Teil der Schweiz, und leiteten in São Paulo eine Kirchengemeinde und ein Sozialhilfeprogramm von HCI Brasilien. Sie hießen mich mit offenen Armen willkommen, gaben mir ein Bett in einem Viererzimmer im Studentenheim und luden mich gleich zum Mittagessen ein.

»Du willst also ein Buch über Straßenkinder schreiben?«, fragte mich Roland interessiert.

»Ja. Ich habe dafür extra Portugiesisch gelernt«, sagte ich in meinem sehr gebrochenen Portugiesisch. »Ich hoffe, ich kann hier genug Material sammeln.«

»Das kannst du auf jeden Fall«, sagte Rosa. »Und dein Timing ist perfekt: Wir stehen seit zwei Jahren in der Planung eines Straßenkinderprojektes. Und in einer Woche wird es eröffnet.«

»In einer Woche? Das ist ja unglaublich!«

»Es wäre toll, wenn du im Projekt mithelfen könntest, solange du hier bist.«

»Aber klar! Auf jeden Fall!«

Ich war hellauf begeistert. Wieder staunte ich über die präzise Reiseplanung von oben. Einen besseren Zeitpunkt für meinen Aufenthalt in São Paulo hätte ich nicht wählen können.

»Wir können dich auch mit einem Straßenmissionar in Kontakt bringen, der dich mit zu den Straßenkindern nimmt, wenn du das möchtest.«

»Ja, großartig! Das ist … Wow! Vielen Dank!«

Der Missionar, von dem sie sprachen, hieß Virgilio. Er war nicht bei HCI, aber Rosa und Roland arbeiteten mit den verschiedensten Sozialwerken zusammen und waren gut vernetzt. Virgilio war ein ungefähr 40-jähriger Brasilianer, der Tag für Tag auf den Straßen São Paulos unterwegs war und dort die Straßenkinder besuchte. Ich traf ihn am Montag bei einer Metrostation und er gab mir eine Stadtführung, die ich mein Leben lang nicht vergessen werde.

Als Erstes machten wir bei einer Brücke halt. Unter der Brücke war ein riesiger Hohlraum, rundum von hohen Betonmauern umgeben. Virgilio schwang sich über das Brückengeländer und hangelte sich entlang eines Gitters bis zu einem steilen, glitschigen Abhang.

»Komm!«, rief er mir zu. »Keine Angst.«

Zögerlich folgte ich ihm, während die Passanten verwundert stehen blieben und sich wohl fragten, was zum Geier wir da machten. Mehrere schauten neugierig über das Geländer und beobachteten, wie wir im miefenden Dreck den Hügel hinabkraxelten. Wir erreichten ein Loch in der Betonmauer, der Einstieg zum Unterschlupf der Straßenkinder. Er war ungefähr einen Meter hoch und 50 Zentimeter breit. Virgilio zwängte sich hindurch, ich tat es ihm gleich. Dahinter war es düster. Unter uns, am Fuße des Abhangs, war alles mit Müll übersät. Aber ich sah keine Kinder.

»Hier übernachten die Straßenkinder«, erklärte mir Virgilio. »Hier nehmen sie Drogen, schlafen miteinander. Es gibt auch Ratten, die beißen. Ich komme hier öfter des Nachts her, um mit den Kindern zu reden und ihnen von Jesus zu erzählen.«

»Hast du keine Angst vor ihnen? Ich habe in einem Buch gelesen, dass Straßenkinder sehr gefährlich sein können.«

»Nicht, wenn du ihnen Liebe schenkst. Anfangs war es schon etwas schwierig und es kam vor, dass sie mir ein Messer an den Hals hielten. Doch in der Zwischenzeit kennen sie mich. Sie umarmen mich, schmutzig wie sie sind. Und stell dir vor, ich habe noch nie Läuse bekommen.« Er lachte. »Das ist ein Wunder von Gott, sage ich dir. Keine Läuse!«

»Warst du früher auch ein Straßenkind?«

»Nein. Ich war ein Schläger in Rio de Janeiro. Allein Gottes Gnade hat mich daran gehindert, Menschen zu töten. Ich habe ein paar hübsche Narben aus meinem alten Leben davongetragen.«

»Was war dein gefährlichstes Erlebnis auf der Straße?«

»Oh, da gibt es ständig welche. Kürzlich, als ich mit einer Gruppe von Straßenkindern redete, kam ein Polizist und drohte mir mit vorgehaltener Waffe, mich zu erschießen.«

»Was?« Meine Augen weiteten sich. »Wie hast du reagiert?«

»Nun, ich habe innerlich gezittert, ihn angeschaut und gesagt: ›Sie können mich erschießen, denn ich weiß, wohin ich gehe. Aber wenn Sie das tun, wer wird dann diesen Kindern von der Liebe Gottes erzählen, diesen Kindern, die ihr Polizisten schlagt und misshandelt?‹ Da hat er mich gehen lassen.«

»Meine Güte. Ich dachte, die Polizisten wären die Guten. Und du sagst, sie misshandeln die Kinder?«

»Sie bringen auch viele um.«

»Bitte was?!«