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Die Autoren

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Dr. Ulrich Binder ist Professor für Allgemeine Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.

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Dr. Johannes Drerup ist Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Technischen Universität Dortmund und Gastprofessor an der Freien Universität Amsterdam.

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Dr. Jürgen Oelkers ist Professor em. für Allgemeine Pädagogik an der Universität Zürich.

Ulrich Binder, Johannes Drerup, Jürgen Oelkers

Pädagogische Debatten

Themen, Strukturen und Öffentlichkeit

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2020

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-036040-2

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-036041-9

epub:   ISBN 978-3-17-036042-6

mobi:   ISBN 978-3-17-036043-3

Inhalt

 

 

  1. Einleitung
  2. I      Kommunikationstheoretische Beobachtungen von pädagogischen Fachdebatten
  3.    Ulrich Binder
  4. 1     Auffälligkeiten der Debatten im ersten Überflug
  5. 1.1   Das (momentane) Verschwinden von Debatten-Klassikern
  6. 1.2   Das Fehlen von (anzunehmenderweise) brisanten Themen
  7. 1.3   (Fast) keine Dualismen, oder: multikonfrontativ plus contraria sunt complementa (›Gegensätze ergänzen einander‹)
  8. 1.4   Neuformierungen und ›friedliche‹ Ko-Existenzen
  9. 1.5   Neuer – nicht nur neuerlicher – Wandel
  10. Boxenstopp a: Abwärts, aufwärts, geradeaus. Drei Deutungsrahmen für ›Wandel‹
  11. 2     Die Debatten im Kontext von gesamtgesellschaftlichen Transformationen
  12. 2.1   Wandel im Bereich der Geschlechterdefinierung und des Geschlechterverhältnisses
  13. 2.2   Wandel im Bereich der Behinderungsentsprechung
  14. 2.3   Wandel in (der Sicht auf) Migrationsbewegungen
  15. 2.4   (Die Frage nach) Ökonomisierung
  16. 2.5   Internationalisierung
  17. 2.6   Politische Veränderungen
  18. Boxenstopp b: Die pädagogischen Modernisierungsdebatten modernisierungstheoretisch gelesen
  19. 3     Drei große Debattenherde
  20. 3.1   Gerechtigkeitsfragen
  21. Boxenstopp c: Die pädagogische (Non-)Egalistarismusdebatte am Beispiel ›Geschlecht‹
  22. 3.2   Wissenschaftsfragen
  23. Boxenstopp d: Die pädagogischen Debatten (und Wissenschaften) im Reich der Mitte von Wahrheit und Nützlichkeit
  24. 3.3   Qualitäts- und Steuerungsfragen
  25. Boxenstopp e: Über die Verbindungen von Bildungstheorie und Bildungskonzept im Qualitätskontext
  26. Boxenstopp f: Rechtspolitische Hintergründe der Neuen Steuerung im Bildungssystem
  27. Literatur
  28. II    Pädagogische Debatten: Beobachtungen an historischen Beispielen
  29.    Jürgen Oelkers
  30. 1     Zugang und Begrenzung des Themas
  31. 2     Zum Format ›pädagogische Debatte‹
  32. 3     Richtungskämpfe, Radikalität und Öffentlichkeit
  33. 4     Pädagogische Verbesserungsideale und ihre Reichweiten
  34. 5     »Schulzwang« oder eine spät wiederkehrende Diskussion
  35. 6     Kind oder Curriculum: Eine epische Auseinandersetzung
  36. 7     Begabung und Lernen: Eine politische Weichenstellung
  37. Literatur
  38. Quellen
  39. Darstellungen
  40. III   Debatten in der Erziehungs- und Bildungsphilosophie: Versuch einer Bestandsaufnahme
  41.     Johannes Drerup
  42. 1     Einleitung
  43. 2     Methodologische Vorüberlegungen
  44. 3     Orientierungsprobleme der Erziehungs- und Bildungsphilosophie: Konzeptuelle Vorgaben und disziplinäre Debatten
  45. 3.1   Das Ethos der Transformation: Bildung und die Debatte über Normativität
  46. 3.2   Kritik und ihre Illusionen: Subjektivierung und die Debatte über Macht
  47. 3.3   Erziehung und Bildung zwischen Transformation und Subjektivierung: Bilanzen und Vorschläge
  48. 4     Import – Export – Identität: Erziehungs- und bildungsphilosophische Explorationen
  49. 4.1   Libertärer Paternalismus: Ein erziehungsphilosophischer Exportschlager
  50. 4.2   Resonanz: Bildungstheorie auf Ab- und Umwegen
  51. 4.3   Import – Export – Identität: Bilanzen und Vorschläge
  52. 5     Debatten über erziehungs- und bildungsphilosophische Debatten: Ein Blick nach vorn
  53. Literatur
  54. Pädagogische Debatten: Fazit und Ausblick

Einleitung

 

 

Überfliegt man die pädagogischen Kongresse, Tagungen und Symposien der letzten Jahre, lassen sich beinahe durchweg strittige Themen erkennen, z. B.:

•  Fragen zu Inklusion und Exklusion,

•  Leistung und Anerkennung,

•  Migration und Integration,

•  zu Bildungsverlierern und Begabtenförderung im Kontext von Gerechtigkeit,

•  allerlei Fragen rund um politische, kulturelle und ethische Bildung,

•  Fragen zum Genderkomplex,

•  ohnedies Fragen zu straffer vs. loser Führung, zu offenen vs. frontalen Lehr- und Lernarrangements,

•  Fragen zu Möglichkeiten der Leistungsstandardisierung und -evaluation,

•  zudem Steuerungs- und Organisationsfragen im Kontext von New Governance, Gewährleistungsstaat und Bildungsföderalismus,

•  Fragen zu öffentlichen und privaten Bildungsinstitutionen,

•  selbstverständlich Fragen zu Modernisierungsprozessen wie Internationalisierung und damit verbundenen neuen pädagogische Playern, oder Ökonomisierung und damit verbundenen Problemen der pädagogischen Autonomie,

•  ferner Fragen zu Identität und Status von pädagogischen Berufen und Disziplinen,

•  und nicht zuletzt zu Wissenschaftsbelangen, man denke nur schon an die Thematisierungen der Wissensproduktion im sog. Mode 2 (hierzu: Binder 2015a).

Es gibt darüber hinaus selbstverständlich viele weitere Debattenherde. Die Freitextabfrage in der FIS-Literaturdatenbank des Fachportals Pädagogik liefert beim Suchbegriff »Debatten« fast 1.500 Treffer. An Debatten zu unterschiedlichsten (bisweilen exotischen) pädagogischen Fragen mangelt es gegenwärtig wahrlich nicht.

Auch an erziehungswissenschaftlichen Zugriffen auf Debatten mangelt es nicht.1 An Debatten werden historische Brüche bzw. Stabilitäten untersucht, sie werden als Seismograph für Konjunkturen und Moden herangezogen. In ihnen werden etablierte Argumentationsusancen, kulturelle Bündelungen und Machtformationen, ebenso wissenschaftliche Paradigmen und Verfassungen, identifiziert. Analysiert wird, wie pädagogische Debatten in anderen Bereichen wahrgenommen werden, und nicht zuletzt werden sie auf erfolgversprechende Argumentationsstrategien hin geprüft. Es sind also verschiedene Erkenntnisinteressen und Ziele, die mit Debattenanalysen verbunden werden. Für die im vorliegenden Buch angestellten Überlegungen ist relevant,

a)    wie die Pädagogik ihre Umwelten beobachtet und wie Umwelten die Pädagogik beobachten und Erwartungen formulieren,

b)    wie Probleme kristallisiert, transformiert und bearbeitet werden,

c)    welche disziplinären Verfassungen das indiziert

d)    und, insgesamt, welche Wirkungen mit einem derartigen »Problem-Verschiebebahnhof« (Paetow 2004, S. 136) verbunden sind.

Debatten sind in vielen Fällen zunächst eine Reaktion auf diverse soziopolitische, -kulturelle, -ökonomische und -moralische Entwicklungen samt den öffentlichen Verhandlungen, die die Pädagogik konfrontieren. Aber nicht alles wird zum Debattengegenstand gekürt; der diskursiven Verarbeitung geht eine spezifische Selektion von Problemlagen voraus. Und schließlich läuft eine Co-Konstruktion ab: als eigene epistemische Praxen bringen Debatten die in ihnen verhandelten Gegenstände neu hervor.

Das zeitigt Effekte, die auf bestimmte Funktionen und Leistungen von Debatten schließen lassen. Sie sind, systeminnenbezogen, nicht nur theorie- und erfahrungsgeleiteter Austausch, sondern ihrerseits theorie- und erfahrungsbildend. Systemaußenbezogen sind sie fortdauernd Anlassfall und Lösung für anders (-wo) platzierte Kommunikationen. In beiden Fällen werden Paradoxien bearbeitet – um genau damit neuerlich Paradoxien zu erzeugen (Strulik 2004; Binder 2016).

In dieser grobkörnigen und noch abstrakten Beschreibung stecken einige der Fragen und Problemvorgaben, die im Folgenden in kommunikationstheoretischer, historischer und philosophischer Perspektive bearbeitet werden.

Ein erster Fragenkomplex lautet demnach:

•  Welches sind Anlässe, die eine Debatte in Gang setzen und nähren – gibt es prototypische Stimuli –, und welche Deutungsraster und Motive, Agenda-Settings und zeitdiagnostisch ambitionierte Frames kommen zum Tragen?

Ein zweiter Fragenkomplex lautet:

•  Wie sind pädagogische Debatten strukturiert? Welche Gestalt und Gestaltung der Debattenformierung lässt sich beobachten, welche Mechanismen und Praktiken der Kommunikation in Bezug auf Argumentationsstrategien (vgl. paradigmatisch Toulmin 1975; instruktiv Bayer 1999; für erziehungswissenschaftliche Einsätze Wigger 2013) und Sprachmittel (Logik und Komposition, Leitmetaphoriken, Deutungsketten usw.)?

Ein dritter Fragenkomplex lautet:

•  Wie agiert die Pädagogik mit Bezug auf ihre Formen der Problemerzeugung und -lösung, welche Rückschlüsse lassen sich hieraus für ihre disziplinäre Verfassung ziehen?

Ein vierter Fragenkomplex lautet:

•  Welche Funktionen und Leistungen von Debatten nach innen (sie sind ja z. B. nicht nur Ausdruck von theoriegeleiteten Kommunikationen, sondern ihrerseits theoriebildend) und nach außen (sie beliefern ja die Umwelten mit Informationen, die diese umcodieren können) sind erkennbar? Inwieweit lassen sich (nicht) intendierte Wirkungen ausmachen?

Ein fünfter Fragenkomplex lautet:

•  Welche historischen, nationalen und internationalen Vorläufe haben die Debatten, und wie werden die Themen öffentlich debattiert?

Das Buch ist in drei Hauptkapitel gegliedert, in denen diese Fragekomplexe aus jeweils unterschiedlicher Perspektive und mit unterschiedlichen Akzentuierungen bearbeitet werden.

Analyseobjekt des im ersten Kapitel gewählten kommunikationstheoretischen Zugangs ist die breite Fachkommunikation.2 Dabei ist es für die vorliegende Untersuchung nicht weiter erheblich, in praktische und wissenschaftliche Pädagogik, theoretische und empirische Forschungen, bildungsphilosophische, -soziologische, -historische, -psychologische usw. Heimatdisziplinen zu unterscheiden. Derlei gilt die Aufmerksamkeit nur dann, wenn Akteure und deren Provenienz elementare Aussagen zur Debattenstruktur zulassen.3

Die jeweiligen quantitativen Debatten werden zunächst eruiert und lokalisiert (die Aufzählung eingangs war ja lediglich ein erstes Überfliegen). Dies geschieht im besagten ersten Kapitel zunächst auf Basis der Publikationen in der Zeitschrift für Pädagogik, der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft und der Erziehungswissenschaftlichen Revue – Rezensionszeitschrift für alle Teilbereiche der Erziehungswissenschaft in den Jahren 2015 (inklusive) bis 2018 (inklusive). Das ergibt einen Korpus von ca. 240 Quellen.

Zusätzlich wird bisweilen zwecks ›Tiefenbohrungen‹ weitere Literatur, ermittelt im Fachportal Pädagogik (FIS-Literaturdatenbank), miteinbezogen.

Es interessieren die erzeugten Differenzen, manifest als Positionen – was nichts anderes meint als Prioritäten –, in Debatten. Bei diesen ist von großem Interesse, in welchen Kontexten sie emergieren. Es ist davon auszugehen, dass sie im Zusammenhang mit unterschiedlichen Modernisierungsprozessen stehen, welche letztlich Großfragen nach gesellschaftlichem Zusammenhang evozieren; die Pädagogik (deren Modi, deren Theorien und Programme, Methoden und Konzepte, Institutionen und Professionen) stellt diesbezüglich ja einen der Umschlagplätze schlechthin dar (vgl. Binder 2018a). Insofern kommen hinsichtlich der Interpretation von Debattenpositionen und -strukturen Gerechtigkeits-, Ethik-, Ökonomie-, Kulturtheorien usw. zum Einsatz. Des Weiteren interessiert, welche Ordnungsfiguren – z. B. politische, erziehungspraktische usw. – bei der Modernisierungsbearbeitung regulatorisch werden.

Im zweiten Kapitel werden in historischer Perspektive solche Debatten rekonstruiert, die gesellschaftliche Relevanz erhalten haben und öffentlich wahrgenommen wurden. Es sind in diesem Sinne pädagogische Debatten mit Außenbeziehungen und nicht Debatten, die in der Pädagogik verbleiben. Zwischen Innen und Außen ist nicht immer leicht zu unterscheiden, weil die Fallbeispiele selbst nicht so angelegt sind. Aber zumeist ist eindeutig, dass sie auf Resonanzen in der Umwelt angelegt sind und mit Rückwirkungen rechnen.

Der historische Schnitt ist so angelegt, dass Quellen aus gut zweihundert Jahren ausgewertet werden, deutsche wie angelsächsische. Damit ist auch gesagt, dass es sich um keine nationalen Besonderheiten handelt, sondern um Auseinandersetzungen, die im modernen Bildungssystem überall vorkommen können. Die Auswahl der Beispiele folgt der Idee einer historischen Kontinuität von Aussagen und Überzeugungen hin zur Gegenwart.

Neben der Frage, wie das Format ›pädagogische Debatten‹ entstanden ist und welche Öffentlichkeiten damit angesprochen werden, geht es um die Neigung zur entschiedenen Radikalisierung und wie damit umgegangen werden soll. Das Beispiel geht aus von Theodor Litts vergeblicher Diskussion mit Paul Oestreich. Radikalisierung hat zu tun mit der Vorstellung der unbegrenzten Reichweite pädagogischer Konzepte im Rahmen der Erziehung des Menschengeschlechts.

Ein weiterer Fall ist die Umwidmung von Konzepten in nachfolgenden Diskussionen, der dargestellt wird am Weg der katholischen Schulkritik Mitte des 19. Jahrhunderts zum liberalen Bildungsmarkt. Mit dem Aufkommen der kindzentrierten Pädagogik entsteht die Frage, wie Bedürfnis und Interessen des Kindes zum Lehrplan passen, dem Autorität zukommen soll. Profiliert wurde diese Diskussion in den 1930er-Jahren mit Robert Maynard Hutchins als Fokus.

Die pädagogische Diskussion mit der wohl stärksten und folgenreichsten Außenwirkung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ist die über das Verhältnis von »Lernen und Begabung«. Sie hat in der DDR nicht stattgefunden und auch nicht stattfinden können. Aber sie wirkt bis heute nach, weil die Frage »Anlage oder Umwelt« aus den Diskussionen nicht verschwunden ist und auch bald nach Heinrich Roth wieder präsent war.

Gegenstand des dritten Kapitels ist die Rekonstruktion von aktuellen Kontroversen der Erziehungs- und Bildungsphilosophie, in denen es darum geht, ihr inhaltliches und methodisches Selbstverständnis und ihre Aufgaben im Verhältnis zu erziehungswissenschaftlichen und den relevanten sozialwissenschaftlichen und philosophischen Disziplinen zu klären. Ausgehend von methodologischen Überlegungen zu dem Geltungsbereich und den Grenzen einer theoretischen Rekonstruktion von Eigenheiten, Strukturmerkmalen und Verlaufsmustern erziehungs- und bildungsphilosophischer Debatten, werden zunächst in zwei Einzelstudien aktuelle Kontroversen der Erziehungs- und Bildungsphilosophie auf den Prüfstand gestellt und methoden- und theoriekritisch analysiert.

Im Mittelpunkt der Analyse stehen doktrinär eingebundene Argumentationen, ihre theoretische Rahmung, normative Begründung und empirische Plausibilisierung. Ziel der Analyse ist die Rekonstruktion von Debatten, ihre Fortführung und in manchen Fällen auch die Ingangsetzung von Auseinandersetzungen, indem konstruktive Möglichkeiten zur Diskussion gestellt werden, um in eingefahrenen theoriepolitischen Situationen zu vermitteln. D. h. es geht zugleich um die Rekonstruktion der Art und Weise, wie in Debatten argumentiert oder nicht argumentiert wird, und um die systematische und problembezogene Bearbeitung konkreter Fragen, um die es in den Debatten geht oder gehen sollte. Die erste Einzelstudie beschäftigt sich mit der Debatte über die normativen Grundlagen der transformatorischen Bildungstheorie, die zweite mit Kontroversen zum Thema ›Subjektivierung‹. Das anschließende Teilkapitel behandelt tradierte Kontroversen über die Identität der Disziplin und unterschiedliche Modi und Funktionen von Theorieimporten und -exporten und damit immer auch verbundenen Leitmetaphoriken (Resonanz, Anerkennung u. a. aus dem disziplinären Kontext der Philosophie oder Soziologie), die Aufschluss geben über das Verhältnis philosophisch ambitionierter Erziehungswissenschaft zu ihren Nachbardisziplinen. Im Gegensatz zu in der Öffentlichkeit kursierenden Negativverdikten, denen man durch Selbstdeutungen vielleicht auch unfreiwillig selbst Vorschub geleistet hat, lässt sich am Beispiel der Debatten über Libertären Paternalismus und die bildungstheoretischen Überlegungen von Hartmut Rosa zeigen, dass man sich über die Import- und Exportbilanz der Disziplin in Zukunft kaum wird Sorgen machen müssen. Das Kapitel wird beschlossen mit einem kurzen Fazit, welches Möglichkeiten zur konstruktiven Weiterführung erziehungs- und bildungsphilosophischer Debatten (und auch von Debatten über diese Debatten) aufzeigt und nicht zuletzt dafür wirbt, die Erziehungs- und Bildungsphilosophie in Zukunft stärker und vor allem selbstbewusster im Konzert der philosophischen Disziplinen zu positionieren und ihre Themen und ihre Expertise konstruktiv in Debatten der wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Öffentlichkeit einzubringen.

Kurzum: Das vorliegende Buch gibt nicht nur darüber Auskunft, was debattiert wird, sondern auch in welchen Zusammenhängen das wie und warum geschieht. Die Analysen spiegeln zugleich die Vielfalt pädagogischer Debatten und auch die Vielfalt der Möglichkeiten, diese zu rekonstruieren, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, an sie anzuknüpfen und sie konstruktiv fortzuführen. In der Pluralität von Perspektiven auf Debatten zeigt sich so auch ein Stück weit das ›Faktum des Pluralismus‹ einer hochgradig ausdifferenzierten und spezialisierten erziehungswissenschaftlichen Forschung. Zugleich stehen die hier gewählten unterschiedlichen theoretischen und empirischen Zugänge zu Debatten in einem Verhältnis der wechselseitigen Korrektur und der Ergänzung zueinander. Jede für sich ermöglicht einen spezifischen Blick auf Debatten, und sie tragen so je für sich und alle zusammen zur (Selbst-)Aufklärung der Disziplin über den Zustand, die Entwicklung und die mögliche Weiterführung ihrer Diskussionen bei.

1     Vgl. zur »Tradition […], welche Erziehungswissenschaft als […] Analyse von Debatten, in denen das Phänomen Erziehung erst hervorgebracht wird«, begreift, Großkopf 2012 (hier: S. 211).

2     Im Auge zu behalten ist, dass Kommunikation noch nicht gleich Debatte ist, dass Meinungsgruppen (i. S.v. Kuhn 1962), die sich ihre Grundannahmen bestätigen, nicht zwingend in eine streitende Auseinandersetzung um Positionen und Argumente treten müssen. Den Eintritten in ›echte‹ Debatten gilt die Suche, will man nicht alle Dualismen als Debatte etikettieren. (Das bedeutet freilich keineswegs, dass der Echokammer-Effekt bei Meinungsgruppen als Untersuchungsaspekt uninteressant ist.)

3     Das kann z. B. in Bezug auf konkurrierende Paradigmen, Sach- und Statusansprüche und wissenschaftspolitische Interessen der Fall sein.

I           Kommunikationstheoretische Beobachtungen von pädagogischen Fachdebatten4

Ulrich Binder

4     Das Definitions-, Theorie- und Methodenpaket, wie es dieses Kapitel zu pädagogischen Ideenpopulationen (vgl. Toulmin 1978, S. 168) formatiert, lässt sich so darstellen:

•  Eine Debatte (franz. débattre: [nieder-]schlagen) ist ein Streitgespräch, das im Unterschied zur Diskussion formalen Regeln gehorcht bzw. solche erzeugt (die soziologische Bezeichnung ›Konversationskreise‹ ist aber unpassend, da diese verstetigte, in Bezug auf Orte, Zeitpunkte und Teilnehmende standardisierte Auseinandersetzungen meint).

•  Debatten erfolgen aus bzw. etablieren Diskurse, verstanden als Denksysteme, die eine Sinnordnung repräsentieren bzw. herstellen (vgl. zum [Nicht-]Zusammenhang von Debatten-Argumentationsanalyse und Diskursanalyse Kaufmann 2013; Saretzki 2014).

•  Diskurse nun können als soziale Systeme bezeichnet werden, hergestellt durch Kommunikation (vgl. Albrecht 2010). In differenztheoretischer Perspektive (und das inkludiert nicht zwangsläufig eine sklavische Orientierung an Luhmann‹schen Theoremen, vgl. Mölders 2012) wird ›Kommunikation‹ als eine Operation verstanden, mit der beobachtet wird – was hinwiederum beobachtbar ist.

•  Die alsdann hier kommunikationstheoretisch beobachtete Mitteilungsform ist die sprachliche kognitive Wirklichkeit (vgl. Rustemeyer 2005).

•  Die Beobachtung ist argumentations-, sinn- und bedeutungstheoretisch gerahmt und in funktionalistischer Perspektive ausgerichtet (zur Verquickung vgl. Schwinn 2011), mit dem Ziel, die strukturellen Formen und Charakteristika, Logiken und Funktionsweisen zu identifizieren.

1          Auffälligkeiten der Debatten im ersten Überflug

Die im Rahmen des Datenkorpus untersuchten jüngeren pädagogischen Fachdebatten sind von einigen Auffälligkeiten gekennzeichnet, die sie von solchen früherer Jahre unterscheiden.

1.1       Das (momentane) Verschwinden von Debatten-Klassikern

Zunächst ist das Fehlen von klassischen Auseinandersetzungen augenfällig. Einige Beispiele seien erwähnt. So spielen Debatten zum Anlage-Umwelt-Problem, die bislang immer wieder die Diskurse mitprägten (vgl. Lenz 2005), keine Rolle. Ebenso fehlen die herkömmlichen Spielarten der Kindheit-im-Wandel-Thematisierungen (vgl. Kränzl-Nagl/Mierendorff 2007; Baader/Eßer/Schröer 2014)5, wie auch der Klassiker Offener vs. Frontalunterricht (vgl. Schirmer 2005) samt der Frage nach Beurteilungsformen (vgl. Jachmann 2003) lediglich dahinlodert. Auch Lerntheorien (vgl. Faulstich 2013) spielen keine ausdrückliche Rolle.

Die bekannten Debatten zu Denkschulen gibt es (derzeit) ebenso nicht; weder werden zusammenhängend anthropologische, phänomenologische oder bildungsphilosophische Entwürfe debattiert noch wird die Frage nach geistes-, kultur-, human- oder sozialwissenschaftlicher Fassung thematisch, dito fehlen Auseinandersetzungen über Sozialisations-, Personalisations- oder Handlungstheorien, über Konstruktivismus (vgl. Terhart 1999), Poststrukturalismus (vgl. Fritzsche/Hartmann/Schmidt/Tervooren 2001) oder Neurobiologie (vgl. Becker 2014).

Auch vor kurzem noch hitzig debattierte Bereiche wie Burnout, nachhaltige Bildung, Wissensgesellschaft, Gouvernementalität oder Schulleistungsstudien fehlen weitgehend. Kaum vorhanden sind auch zusammenhängende Diskussionen von Forschungsmethoden, die bis vor kurzem immer wieder zu beobachten waren (etwa mit Bezug auf die Biografieforschung, ethnografische Methodenarsenale, Diskursanalyse, Grounded Theory usw.). Und disziplinäre Identitätsfragen – man denke an die Großdebatten von Allgemeiner Pädagogik (vgl. Kauder 2010; Binder 2015b) und von Sozialpädagogik (vgl. Birgmeier 2012), auch von Allgemeiner Didaktik (vgl. Rucker 2017; Coriand 2017), wie sie vor zwei, drei Jahrzehnten dominierten – spielen nur noch vereinzelt eine Rolle.

Als einzige der bekannten Themen halten sich das des Theorie-Praxis-Verhältnisses – allerdings ohne den Klassiker der Wert(freiheits)frage – und das der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität (zu beidem später).

1.2       Das Fehlen von (anzunehmenderweise) brisanten Themen

Einige der Gegenstände, von denen man annehmen könnte, an ihnen entzünden sich Debatten – von explizit bildungspolitischen über Finanzierungsfragen bis zu Schulfächerinhalten und -verhältnissen samt Lehrplanarbeit – werden allenfalls mitdebattiert, stellen aber keine eigenen Diskurse dar. Auch die massenmedialen Besprechungen von Pädagogischem, etwa in der Ratgeberliteratur (vgl. Schmid 2011), führen nicht zu Fachdebatten. Das betrifft auch solche zum Lehrerimage (vgl. Bastian/Combe 2007) oder zur Wertigkeit von Bildungsabschlüssen (vgl. Schneider 2015), und nicht einmal die jüngsten medialen Thematisierungen von Brennpunktschulen und von Gewalt gegen Lehrkräfte münden ausdrücklich in Fachdebatten.

Am stärksten fällt aber das diskursive Fehlen des Komplexes ›Digitalisierung‹ auf. Anderswo so heftig debattierte Entwicklungen wie die Algorithmisierung, Fake News, Social-Media-Mobbing usw. lassen sich (noch) nicht als explizites und durchgängiges Debattenthema beobachten.6 Nicht einmal die in bildungspolitischen Diskursen so forcierte ›Digitalisierung der Schule‹ wird ausführlich, z. B. in didaktischer oder professionaler Hinsicht, debattiert.

1.3       (Fast) keine Dualismen, oder: multikonfrontativ plus contraria sunt complementa (›Gegensätze ergänzen einander‹)

Im bisher Aufgezählten deutet es sich schon an: Wie in den meisten anderen gesellschaftlichen Bereichen ist auch in dem der Pädagogik schon beim ersten kursiven Überschauen der Debattenlage ein (vorläufiges) Ende der bisherigen Großen Erzählungen samt ihrer strukturellen und ideellen Ordnungen und handlungsleitenden Dispositive zu erkennen. Klassische Fronstellungen verflüchtigen sich entweder oder werden von neuen Lagerbildungen abgelöst. Insgesamt sind die ganz großen Demarkationslinien nicht mehr auszumachen. Es finden sich kaum mehr Debatten, die hitzig Gewährsleute oder -linien gegen disziplinintern stabilisierte Gewährsleute oder -linien stellen. Weder in Fachzeitschriften noch in Monografien und Sammelbänden wird auffällig oft/stark mit Einzelakteuren und dann z. B. mit dem Poststrukturalismus gegen den Neuhumanismus, mit der Soziologie gegen die Geisteswissenschaft, mit alltagshistorischen gegen ideengeschichtliche Verständnisse usw. argumentiert. An die Stelle von Eindeutigkeiten tritt (bisweilen verwirrende) Heterogenität.

1.4       Neuformierungen und ›friedliche‹ Ko-Existenzen

Das führt auch zu neuen Allianzen. Verschiedene Neuformierungen sind zu beobachten, wobei der Niedergang von Links-rechts-Schubladierungen als erstes ins Auge sticht. Konservierungen werden nun auch als progressiv (mit der Zeit gehen ist ein Zurückgehen zum Alten) oder Progressionen als konservativ (mit der Zeit gehen ist ein Angleichen des Alten) gehandelt. Auf einen beispielhaften Punkt gebracht: Eine Kritische Pädagogik linker Provenienz kann als Ausdruck eines neokonservativen Backlash betrachtet werden bzw. eine konservative als radikale Erneuerin. Bisherige handfeste, ordnende Beliefs verschwinden, sowohl in der Debattenstruktur als auch in der Beobachtung ebendieser.

Aber auch andere Bipolaritäten lösen sich auf. Die bis vor kurzem noch heftig geführte Debatte zum Verhältnis von theoretischer und empirischer Pädagogik hat deutlich an Brisanz verloren (image Kap. 3.2.1). Der Unterschied zwischen Innen und Außen und folglich die Frage der Ab- und Ausgrenzung von anderen Disziplinen oder Systemen wird nicht mehr explizit thematisch (die Ausnahme bildet der Bereich ›Ökonomie‹; image Kap. 2.4); »Oppositionswissenschaften« (Prange 2006, S. 311), die offensiv gegen die wissenschaftliche Wahrheits-Codierung optieren (vgl. dazu Binder 2016a), finden sich zwar ebenso noch wie Gesinnungspädagogiken (s. z. B. die Überzeugungs- und Haltungsdirektiven im Genderkontext), aber autoritative Ideologien geraten immer mehr ins Wanken (s. z. B. im Inklusionskontext).

1.5       Neuer – nicht nur neuerlicher – Wandel

Dieser erste kursive Überblick legt nahe, dass sich derzeitige pädagogische Debatten als Ausdruck und Mittel eines größeren und bisweilen ungekannten Umbruchs platzieren. Selbstverständlich sind es auch bei älteren pädagogischen Debatten stets Irritationen, die – genau das sind ›Debatten‹ – erstens in eine operable Form gebracht, zweitens am systemeigenen Bestand geprüft und drittens in eine Art der Auflösung überführt werden. Doch bei den jüngsten, soviel zeigt schon die erste Überschau, kommen bewährte Operationsangebote in der Bearbeitung von Diskrepanzen zwischen Umwelten und Disziplin oder innerdisziplinären Belangen abhanden. Stabilität ist ein Luxus, den es explizit und extensiv derzeit nicht zu geben scheint. Herkömmliche, bisher eingesetzte Patterns von Fear & Hope (Anlass & Aussicht oder Problematisierungs- & Problembearbeitungsmodi; vgl. Popkewitz 2008) verlieren an Plausibilität und Gültigkeit. Das prägt, davon ist auszugehen, die Debatten in Gegenstandsauswahl und Beschaffenheit und Leistung.

Boxenstopp a: Abwärts, aufwärts, geradeaus. Drei Deutungsrahmen für ›Wandel‹

An dieser Stelle sei exkursiv an drei historisch stabile kulturelle Möglichkeiten, Wandel allgemein zu interpretieren, erinnert, um im Hinblick auf den weiteren Untersuchungsgang zu fragen, welche Varianten in den jüngsten pädagogischen Debatten zur Anwendung kommen könnten.

Der erste Deutungsrahmen, in den Wandel ganz allgemein gestellt werden können, ist der einer Degenerationslehre. Geschichte wird in dieser Tradition als ein gleichsam kontinuierlicher Verfallsprozess interpretiert. Die berühmteste Version ist zweifellos die Erzählung vom Garten Eden respektive die Vertreibung aus diesem Paradies.

Es folgt eine lange Reihe an Varianten dieses Motivs. Platon z. B. verarbeitet es in mehreren Versionen, Ovid zeichnet für die römische Antike das Bild einer zurückliegenden Ära, von der sich die Menschheit degenerativ wegentwickle, und in Hesiods Dystopie folgt dem Goldenen Zeitalter ein Silbernes, ein Erzenes, und Hesiod endet mit den Worten: »Jetzt ja ist das Menschengeschlecht ein eisernes; niemals bei Tage ruhen sie von Mühsal und Leid« (zit. n. Schölderle 2017, S. 51).

Diese mythologische Verfallstheorie projiziert das Ideal stets in die Vergangenheit, ›Wandel‹ wird hier negativ konnotiert, ›Veränderung‹ als Entfernung von einem einstmals guten Zustand kommuniziert.

Unveränderlich sei dieser Degenerationsprozess aber denn doch nicht. Diese Erzählung ist nicht zwingend eine fatalistische, sondern inkludiert die Vorstellung, die Entwicklungen zwar nicht aufzuhalten, aber in ihrer Dramatik mildern zu können. Und sie bleibt nicht alleinig eine mythologische Figur. Morus‹ Utopia ist ein Beispiel dafür, wie der grundsätzlich unabdingbare Verfallsprozess doch mit Rationalität gesteuert werden soll. Hier zeigt sich die Transformation einer theologisch-mythischen Erzählung in säkulare, moderne Kontexte (vgl. Günther/Müller 1988, S. 192).

Ein zweiter großer Deutungsrahmen ist der eschatologische. Die kommenden Welten werden als Gegenwelten konstruiert, als grundsätzlich bessere. Der Mythos wird hier nicht auf Vergangenes, sondern Künftiges gerichtet.

Auch dieses mittelalterliche theologisch-religiöse Motiv der Heilserwartung transformiert sich in profane Kontexte (vgl. z. B. Thomas Müntzers revolutionären Chiliasmus). Die zunächst außerweltliche Fiktion wird auch zu einer innerweltlichen, wenn und indem am kommenden (göttlichen) Elysium die Menschen mitwirken. So wandelt sich das biblische Jesu-Diktum: »Mein Königreich ist nicht von dieser Welt« in die Vorstellung, den Himmel auf Erden anzupeilen. Infolge werden viele Utopien die Verlängerung der teleologischen Eschatologien in die profane Moderne (vgl. Manuel/Manuel 1979).

›Wandel‹ wird hier als Hoffnung, stärker: als Erwartung einer Erlösung von momentanen Problemlagen projiziert.

Ein dritter Deutungsrahmen ist jener, Wandel als Modalzeit zu interpretieren. Zugrunde liegt die Oszillation der Zeithorizonte Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; Gegenstände, Ereignisse und Subjekt befinden sich im Fluss, »Modalzeit ist gekennzeichnet durch das Nebeneinander der Ekstasen der Zeit« (Berdelmann 2010, S. 40). Vergangenheit und Zukunft werden immer wieder neu differenziert. Anders: Die modale Zeit ist die in der Gegenwart laufend erzeugte Zukunft, »eine ›schaffende‹ Zeit, die qualitativ Neues hervorbringt« (Herzog 1991, S. 20; vgl. v. a. Herzog 2002).

Hier wird ›Wandel‹ ausschließlich als Prozess verstanden, der durch das Element der Neuheit bestimmt ist. Ihm wohnt eine Fortschrittsvorstellung inne, die plural und kontingent ist.

Die jüngsten pädagogischen Debatten sind nun daraufhin zu beobachten, ob und inwiefern die drei exemplifizierten Deutungsrahmen in Verwendung sind.7

5     Dieses Themenfeld differenziert sich aus, und momentan beginnt sich eine Debatte zu Kindheit und Familie im Kontext von Urbanität zu entwickeln (vgl. Andresen/Fegter/Iranee/Bütow 2016).

6     Dass Fachdebatten weitgehend fehlen, heißt nicht, dass (einzelne) Thematisierungen fehlen. Gerade in populärpädagogischen Bereichen ist das Thema ›Digitalisierung‹ längst angekommen (vgl. ausführlich Hartong 2019). Aber dort wird eben mehr proklamiert und diktiert – ob pro oder contra – als fachlich debattiert.

7     Selbstverständlich könnte – andernorts – über diese Schematisierung hinausgehend gefragt werden, ob es bei allem eine Konstante gibt, und zwar in Form eines Gravitationszentrums. Etwas, das alle Deutungsrahmen zentriert. Man könnte aber das Augenmerk auch auf die Novitäten oder Abweichungen oder Mischformen richten, auf diskretere, nichtlineare Entwicklungen, Ereignisse oder zirkuläre oder spiralförmige Bewegungen in der Einordnung von ›Wandel‹. Und insgesamt stünde dann noch folgende, untersuchungswürdige Irritation im Raum: Wenn die Zustandsbeschreibung für unsere Kultur als permanente Gegenwart, die nicht in die Zukunft denkt und Vergangenes schnell vergisst, zutrifft, wäre wohl die Frage nach Wenden, Wechseln, Wandel ganz anders, ganz neu zu stellen. Was nämlich sind nun Bezugspunkte, an denen sich Wandel entzünden, und woran soll man sie erkennen?

2          Die Debatten im Kontext von gesamtgesellschaftlichen Transformationen

 

 

Die derzeit ablaufenden gesellschaftlichen Prozesse zeigen weitreichende Veränderungen in (Vorstellungen über) Ordnungen an (vgl. ausführlich Binder/Oelkers 2020). Das spiegelt sich auch in pädagogischen Debatten wider bzw. wird in ihnen bearbeitet.

Folgende Entwicklungen sind Debattenanlass und -gegenstand: Sex- und Genderfragen, politische Umwälzungen, neue Inklusionsvorstellungen, Migrationsbewegungen, Ökonomisierung, Internationalisierung.

2.1       Wandel im Bereich der Geschlechterdefinierung und des Geschlechterverhältnisses

In pädagogischen Fachdebatten werden Fragen eines »Teaching Gender« insgesamt und dann spezifischer im Kontext einer »Sexualpädagogik und Vielfalt« debattiert (Gebhardt/Gegenfurtner 2018; Hoffmann 2015; vgl. auch Graff/Kolodzig/Nikolas 2016; Plaß 2017; vgl. für eine »Queer Pädagogik« Kenklies/Waldmann 2017; Hartmann/Messerschmidt/Thon 2017; auch Kremer 2015) (die Me-Too-Debatte spielt in den ausgewerteten Quellen noch keine Rolle). Auffällig ist dabei zweierlei:

a) Die Wandel werden zugleich als empirische Beschreibung und normative Setzung kommuniziert. Die Streitpunkte laufen alsdann nicht entlang der Frage, ob eine neue Diversität in verschiedenere Hinsicht gewinnbringend ist – hier ist sich der pädagogische Mainstream einig –, als vielmehr entlang der, wie man dieser nunmehr pädagogisch entspricht (vgl. z. B. für die Lehrerbildung die Debatten in Barsch/Glutsch/Massumi 2017; Hoven 2018, für die in Kindertageseinrichtungen Kubandt 2016).

b) Die pädagogische Debatte ballt sich zu einer homogenen Konsenszone und stemmt sich gegen eine öffentliche Debatte zu sexueller Pluralität – die viel heterogener und kontroverser verfasst ist. Sie verfechtet nicht nur Gender-Studies und Gender-Mainstreaming, sondern eine kompakte Ideologie von Sex & Gender. Gerade in dem Kontext werden pädagogische Debatten direktiv soziopolitisch und soziomoralisch gewendet (vgl. Henningsen/Tuider/Timmermanns 2016).8 (Zu ›Gender‹ vgl. dann weiter die Thematisierungen image Kap. 3.1: »Gerechtigkeitsfragen«.)

2.2       Wandel im Bereich der Behinderungsentsprechung

Unter dem Schlagwort ›Inklusion‹ – »ohne Zweifel eine der größten Bewegungen […], mit der Bildungssysteme seit ihrer Entstehung konfrontiert sind« (Felder 2018), und wohl mit den »größten moralisch-politischen Ansprüchen und den höchsten pädagogischen Versprechen« versehen (Tenorth 2011, S. 1) – wird jüngst verstärkt debattiert, um »welche Inklusion« es sich eigentlich handle (Hopf/Kronauer 2016; vgl. auch Schmitt 2016; Felder 2018).

a) Die Inklusionsdebatte beginnt sich also auszudifferenzieren, wenn sich Debatten in Governanceperspektiven in Bezug auf Implementierungsprozesse von Inklusion, Professionalisierungsfragen im Kontext inklusiver Schul- und Unterrichtsentwicklung und die Messung inklusiver Entwicklungen in Schulen platzieren (vgl. Hopf/Kronauer 2016).

b) Bei der praxisorientierten Frage, wie das Bildungssystem samt seinen Theorien und Konzepten, Strukturen und Professionen der Inklusion entsprechen sollte, macht sich Irritation, Ratlosigkeit und Disparität breit (vgl. Biewer/Böhm/Schütz 2015; Kiel 2015; Riegert/Musenberg 2015; Werning/Avci-Werning 2015; Fischer/Markowetz 2016; Schäfer/Rittmeyer 2016; Gingelmaier/Müller 2018; Sturm/Wagner-Willi 2018). Nicht zuletzt, wenn sich die Debatte um konkrete Umsetzungsfragen dreht, wird Inklusion zum »verminten Gelände« (Tenorth 2011, S. 1). Vielerlei Klagen werden laut: »Wir brauchen viel mehr qualifizierte Leute, rufen die Lehrer, kriegen sie aber nicht«, »Inklusion könnte funktionieren – aber nur bei erheblich besserer Ausstattung«, »regulärer Unterricht ist kaum noch möglich« usw. (http://inklusion-als-problem.de). Die Debattenentwicklung zeigt, dass sich ein »Kontrast zu der seit Jahren propagierten Idylle einer inklusiven Beschulung« aufbaut (Ahrbeck 2017, o. S.). Letztlich bearbeitet die Debatte mittlerweile die Frage: »Thema verfehlt?« (Lagebericht der Bertelsmann-Stiftung zur Inklusion 2018).

c) Frühere pädagogische Inklusionsdebatten bauten eine gewisse Opposition zu Standpunkten in Umwelten auf, was mitunter darin mündete, diesen im Modus einer political correctness zu diktieren, wie eine vorgeblich richtige Sicht auf das Problem auszusehen habe (vgl. dazu die Rede von der »Inklusion als Ideologie«, so das Jahrbuch für Pädagogik 2015, »als politisch-weltanschauliche Bewegung« bei Giesecke 2018 oder gar als »säkulare Religion« bei Kiel 2018; vgl. auch die »Kritik der Inklusion« bei Winkler 2018). Diese Debattendynamik findet sich nur noch selten (etwa bei Puhr/Geldner 2017). Stattdessen öffnen sich auch in pädagogischen Debatten die Schleusen, und äußerst kritische Stimmen gewinnen die Überhand. Am auffälligsten ist wohl die seit Kurzem erörterte Frage, ob die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention nicht nur in professioneller, systemischer, gesellschaftspolitischer, moralischer usw. Hinsicht ein Fehler war, sondern auch in rechtlicher (vgl. z. B. Ahrbeck 2017).

Das Problemfeld der schulischen Inklusion von Menschen mit Behinderung strukturiert pädagogische Debatten ambivalent. Es eröffnet und verschließt zu gleicher Zeit Perspektiven, es zeigt Anpassungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten an und widerstrebt zu gleicher Zeit ebensolchen.

2.3       Wandel in (der Sicht auf) Migrationsbewegungen

Erwartungsgemäß greifen auch pädagogische Debatten die jüngsten Flucht- und Migrationsfragen, wie sie die Öffentlichkeit und verschiedenste Systeme vehement beschäftigen, auf. Dabei sind folgende Aspekte auffällig:

a) Pädagogische Diskurse unterscheidet von anderen, dass die großen soziokulturellen, -politischen, -ökonomischen und -moralischen Legitimations-, Definitions-, Kapazitätsfragen usw. kaum grundsätzlich thematisch werden. Sie kommen lediglich vereinzelt zum Vorschein, z. B. verpackt im Terminus ›Risiko‹, etwa in Bezug auf

•  »den Islamismus als pädagogische Herausforderung« (Edler 2017)

•  Diskriminierung und Gewalt in Jugendkulturen (Möller/Grote/Nolde/Schuhmacher 2016), Mehrsprachigkeit (Wegner/Dirim 2016; Poarch/Bialystok 2017; Schnitzer 2017; Fleckenstein/Möller/Baumert 2018)

•  Bildungsgerechtigkeit (Scherr/Janz/Müller 2015; Große 2015)

•  Professionalisierung und insgesamte schulpädagogische Herausforderungen (Fischer 2015; Harboe/Mainzer-Murrenhoff/Heine 2016; Heyse/Erpenbeck/Ortmann 2016; Barsch/Glutsch/Massumi 2017; Seibold/Würfel 2017; Ziese/Gritschke 2017).

Doch ›Risiko‹ wird stets mit ›Chance‹ gepaart, z. B. so: »Neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler – eine Gruppe mit besonderen Potentialen« (Benholz/Frank/Niederhaus 2016; vgl. derlei für »Lehrer*innen mit Migrationshintergrund« bei Akbaba 2017), und folglich diskursiv entdramatisiert.9

b) »Ein objektiver Anlass pädagogischer Debatten liegt darin, mit ihnen kulturelle und soziale Krisen bewältigen zu wollen. Vermutlich geben pädagogische Diskurse als Religionsersatz Trost in unsicheren Zeiten«, und das keineswegs nur sich selbst, sondern auch ihren Umwelten (Winkler 2006, S. 26). Man muss nicht gleich davon reden, dass »die entscheidende Absicht pädagogischer Debatten darin liegt, zu erziehen« (ebd.), aber die pädagogische Debatte zu Migration bietet sich anderen als lösungsorientiert bzw. Lösungsorientierung an: Wie immer das Problem heißt, es könne pädagogisch gelöst werden (vgl. zu dem Muster von »Klage und Verheißung« Weisser 1995; Oelkers 2005). Pädagogische Debatten tendieren gerade in dem Kontext dazu, gesellschaftlichen Desintegrationstendenzen mit pädagogischen Integrationsbemühungen zu begegnen. Im ersten Blick mag der »Anspruch, Pädagogik könne für alle Probleme der Gesellschaft […] eine Lösung anbieten, […] etwas von einer eschatologischen Heilslehre« haben (Kuld 2006, S. 26); nichtsdestotrotz sind hier pädagogische Debatten eine profane Problembearbeitungsinstanz. Ihre Funktion liegt darin, gesellschaftliche Paradoxien wie auf einem »Verschiebebahnhof« stetig und erfolgreich so zu verteilen, dass sie verschiedene Abläufe nicht weiter stören (Paetow 2004, S. 136). Die Politik beispielsweise kann auf der pädagogisch erörterten Grundlage weiter operieren (vgl. auch »Boxenstopp 4«).

c) Und vice versa: Maßnahmen aus den Umwelten, davon ist ja in dem Kapitel insgesamt die Rede, initiieren und speisen pädagogische Debatten. Das führt längst nicht nur dazu, das Außen zu kritisieren. Die debattenintern entworfenen Lösungen können – als interner Debattenbeitrag – ebenso in der Kritik stehen. »Bildung als Integrationstechnologie« wird dann hinwiederum abgelehnt (Böhmer 2016), die Zuständigkeit bzw. Leistungsfähigkeit pädagogische Institutionen problematisiert (vgl. Jergus/Thompson 2017) oder auf die eigenen Verstrickungen im Etikettieren, Kanonisieren und Reproduzieren beim »othering« hingewiesen (Bräu/Schlickum 2016).

Alle Akteure treffen sich im Signum von ›Kritik‹. Ob man das Außen kritisiert, das Innen wegen seiner spezifischen Reflexion des Außen oder das Innen wegen seiner Mitwirkung am Außen, die diskursinternen Operationen werden mit der folgenden Losung immer wieder akkordiert: »Aktualität der Kritischen Theorie für die Pädagogik« (Dammer/Vogel/Wehr 2016; vgl. auch Bierbaum/Bünger/Kehren/Klingovsky 2014; Schippling/Grunert/Pfaff 2016; Bünger/Sanders/Schenk 2018).

Alle Hinweise auf Pleonasmen, Tautologien und Aporien in der Kritik-Figur mal hintangestellt (vgl. Tenorth 2016; Drerup in diesem Band) und stattdessen auf die Funktionalität schielend: Das im Zeichen der Kritik Gedachte zeigt den Akteuren an, warum Kritik nötig sei, gegen wen sie zu richten und womit sie wofür zu bewerkstelligen sei. Das ist ständige hitzige Dauerstimulans einerseits, ständige kühlende Beruhigung der Debatten andererseits.

2.4       (Die Frage nach) Ökonomisierung

Der Prozess einer Ökonomisierung ist in den letzten Jahren zum Klassiker von pädagogischen Debatten avanciert. Konsens war, das dominante Eindringen der Wirtschaft (des Kapitals, des Markts, der Ökonomie) in pädagogische Belange und Bereiche zu unterstellen (vgl. z. B. Zymek 2005; Faschineder et al. 2005; Krautz 2007; Lohmann 2010; Höhne 2012).

Die bekannte Okkupations- oder Unterwanderungsthese, dass »die Eigenlogik und Eigennormativität der Pädagogik gegen das hegemoniale Rationalitätsmuster der Ökonomik ausgetauscht wurde«, wird auch in den jüngsten pädagogischen Debatten befeuert (Radtke 2016, S. 707).

Doch es finden sich zunehmend Stimmen, die diese Täter-Opfer-Figur anzweifeln (schon früh z. B. Bellmann 2001). Die Debatte wird in sich inhomogener und hitziger. Sie inkludiert nun auch Positionen, die zeigen wollen, dass Ökonomisierung nicht wirtschaftlich instruiert, sondern funktionssystem-intern selbst ausgebildet wird. Debattenirritierend wirken die Hinweise, dass sich im »Erziehungssystem selbst, d. h. auf operativer Ebene, ein Bezug zur wirtschaftlichen Kommunikation eröffnet« hat (Kröning 2007, S. 103). Ein ökonomisch instruierter Qualitätsbegriff evoluiere im System, lasse z. B. mit Schulrankings einen Quasi-Markt entstehen oder hole den ›Feind‹ selber an Bord, etwa in Form der privatwirtschaftlichen Evaluationsagenturen, aber auch wenn »die Entwicklung von Lehr- und Lernmitteln in weiten Teilen in die Wirtschaft ausgelagert« wird und alsdann Unterrichtsmaterialien innerhalb der »Industrie intentional geformt« würden (Lange 2018, S. 215).

Auf solche Arten der »allzu bequemen These von der Ökonomisierung der Pädagogik« (Cortina 2016) zu begegnen, ist eine Novität. Und sie verschärft sich, wenn gar ein Konvergieren ökonomischer und pädagogischer Ideen und Handlungslogiken eingeführt wird, wenn also, z. B. mit Blick auf die berufliche Bildung, »der vermeintliche Widerspruch zwischen Ökonomie und Pädagogik« gänzlich aufzulösen versucht wird (Käpplinger 2016, S. 12).

Im Kontext der Ökonomisierungsthese lässt sich eine zusätzliche Debattenstrukturierung beobachten. Nicht die Erziehung von Umwelten (s. Gender), nicht die Frage nach Umsetzungen vermeintlich prinzipiell guter Ideen (s. Inklusion), nicht die Durch-Pädagogisierung (s. Migration) sind hauptsächlicher Debattenmodus, sondern das Ringen mit der Einschätzung einer Entwicklung.

2.5       Internationalisierung

Seit den 1990er-Jahren sind die Prozesse der Internationalisierung beständiges Thema pädagogischer Debatten. Die Internationalisierung ist als solche Gegenstand bzw. fungiert als theoretisches Konstrukt für multiperspektivische Analysen zu epistemischen, institutionellen und wissenschaftspolitischen Entwicklungen.

Auch hier zeichnet sich eine Wende in den Debatten ab. Während bis zur Mitte der 2010er-Jahre die Internationalisierung durchwegs als »positiv bewertete Bewegung« (Caruso & Tenorth 2002, S. 19) eingeschätzt wurde (und bildungspolitischen Forderungen nach Internationalisierung der Hochschulen flächendeckend entsprochen wurde), werden neuerdings auch skeptische Stimmen in der Debatte laut. Die »Internationalisierung als Herausforderung für die Pädagogik« (Knobloch 2014) wird z. B. im Hinblick auf »die zunehmende Wettbewerbsorientierung des durch Kooperation und kulturellen Austausch geprägten Internationalisierungsgedankens« (Bloch/Mitterle/Peter 2016, S. 727; Zymek 2016) oder im Zusammenhang mit prekären Auswirkungen auf die pädagogischen Wissenschaften debattiert (vgl. Grunert/Ludwig 2016; Meseth/Dinkelaker/Neumann/Rabenstein/Dörner/Hummrich/Kunze 2016).

Neben den Ambivalenzen geraten auch die Paradoxien zunehmend in den Fokus, etwa dass in Internationalisierungsstrategien ›Reform‹ zum Dauerstimulus werden kann, weil de facto nicht drastisch reformiert wird (vgl. Binder 2016b), oder im Zuge der Internationalisierung, mit der ja letztlich die eigene Nation gesichert werden soll, das »Ausland zum Gegenargument« wird (Waldow 2016).

Die Debatten suchen im Kontext von Internationalisierung also zunehmend nach Verunreinigungen, nach Inkonsistenzen, nach offenen Zuweisungen usw. – und die Vermutung liegt nahe, dass genau das hernach in Internationalisierungskonzepte verpackt wird.

Das zeigt an, wie sehr die Debatten in Grundstruktur und Effekt selbst »ambivalox« werden (Degele & Dries 2014, S. 23). Im Gegensatz zu den ehemals affirmativen, glatten Auseinandersetzungen mit Internationalisierung, wird nunmehr Sicherheit auf Basis »selbsterzeugter Unsicherheit« hergestellt, weil Probleme bearbeitet werden, die erst als solche produziert wurden (Luhmann 1990, S. 103).

2.6       Politische Veränderungen