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Über dieses Buch:

Immobilienmaklerin Ellen könnte so glücklich mit ihrem Liebsten sein. Eigentlich. Aber als Andrew plötzlich mit dem Ehering droht, gerät sie in Panik: Ist sie wirklich schon bereit, den Bund fürs Leben einzugehen – und ist Andrew der Richtige dafür? Schließlich gibt es ja auch noch den charmanten Gauner Tony und den reichen Herzensbrecher Spencer Alexander, dem sie bei der Suche nach einem neuen Domizil behilflich ist. Zu allem Überfluss wird sie auch noch in den Skandal ihrer neusten Klientin hineingezogen … Wird es Ellen trotz dieser turbulenten Entwicklungen gelingen, sich fest zu binden – und an wen eigentlich?

Über die Autorin:

Sarah O'Brien ist das Pseudonym der Lehrerin Trisha Rainsford und der PR-Beraterin Helena Close, die aus dem irischen Limerick kommen.

Von Sarah O'Brien erschien bei dotbooks außerdem: »Küss mich doch einfach«.

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eBook-Neuausgabe Juli 2020

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2004 unter dem Originaltitel »Gazumped!« bei Hodder Headline, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 2006 unter dem Titel »Zwei Zimmer, Küsse, Bad« bei Knaur.

Copyright © der englischen Originalausgabe 2004 by Sarah O'Brien

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2006 by Knaur Taschenbuch. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München.

Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Derya Draws, Gange, james weston

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-96148-861-2

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Sarah O'Brien

Ich probier's nochmal mit Liebe

Roman

Aus dem Englischen von Dr. Ingrid Klein

dotbooks.

Den üblichen Verdächtigen

Kapitel 1

Wenn du nicht nur den dreißig ins Auge siehst, sondern überhaupt immer älter wirst, solltest du mittlerweile beruflich wahnsinnig erfolgreich sein. Du solltest vertraut sein mit Kinderbetten und Kinderhorten, ein inniges Verhältnis haben zu deinem nächstgelegenen Baumarkt und dir dazu gratulieren können, den Mann deiner Träume geangelt zu haben. Das jedenfalls wollen mir meine Mutter und die einschlägigen Frauenzeitschriften weismachen.

Das Einzige, was ich mit achtundzwanzig Jahren geschafft hatte, war die Sache mit dem Älterwerden. Statt der Norm zu entsprechen, jagte ich Psychopathen, und zwar mit Exkriminellen, die auch Exlover waren – nicht gerade die beste Idee, um sich häuslich niederzulassen. Vielleicht sollte ich einfach akzeptieren, dass ich, Ellen Grace, eine schlaksige Immobilienmaklerin aus Limerick, von Arger und Chaos so magisch angezogen wurde wie Frauen meines Alters von Seelenverwandten und Polstermöbeln. Aber Sie würden nie und nimmer glauben, dass am Tag der Hochzeit ...

Ich erwachte aus unruhigem Schlaf und starrte an die weiße Decke des Hotelzimmers, während ich Andrew zuhörte, der am Telefon mit jemandem über die Klimaanlage sprach. Als Bruchstücke seines schlechten Spanisch mein schlaf- und hitzebenebeltes Hirn erreichten, hätte ich bei der Erinnerung an letzte Nacht vor Glück schier aus der Haut fahren können. Der Widerschein des Mondes auf der Meeresoberfläche. Der silbrige, beinahe phosphoreszierende Sandstrand, der unsere Füße umschmeichelte. Das faszinierende Geräusch der Grillen und ... oh mein Gott! ... wie spät war es? Welcher Tag war heute? Donnerstag – genau, Donnerstag. Es war definitiv Donnerstag, und da war doch was mit Donnerstag, oder? Etwas Wichtiges? Oh Gott! Donnerstag war der Tag der Hochzeit.

Ich sprang aus dem Bett, rannte ins Badezimmer und schaffte es schließlich, die Uhrzeit auf meiner Armbanduhr zu entziffern, wieder zu Atem zu kommen und mich zu beruhigen. Sechs Uhr. Das war hervorragend – es sei denn, es war sechs Uhr abends, und wenn es das wäre, wäre es eh zu spät und alle wären auf der Hochzeit, hätten sich fein angezogen und würden auf uns warten ...

»Ellen?«

Ich sah Andrew an.

»Geht es dir gut?«

Ich nickte.

»Bist du sicher?«

»Natürlich bin ich sicher. Wie kommst du darauf, dass es mir nicht gut geht?«

»Nun ja, es könnte etwas damit zu tun haben, wie du eben aus dem Schlafzimmer geschossen kamst.«

Ich gähnte.

»Machst du dir Sorgen wegen der Hochzeit?«, fragte Andrew. »Nein. Mir war nur so heiß geworden im Schlaf, und ich brauchte endlos, um richtig wach zu werden, und ... es ist doch sechs Uhr morgens, ja?«

Andrew nickte.

»Gut. Dann sind es noch elf Stunden bis zur Hochzeit, richtig?«

Andrew nickte wieder.

»Wer war das am Telefon?«, fragte ich.

»Ich habe mit der Rezeption wegen der blöden Klimaanlage telefoniert. Die halbe Nacht habe ich wach gelegen – die Hitze war unerträglich. Sie sagen, sie schicken heute jemanden, der sie repariert.«

»Das haben sie uns gestern auch schon versprochen«, sagte ich, stellte die Dusche an und trat einen Schritt zurück, als sie losspritzte. »Wir sind bestimmt schon wieder zu Hause, bis sie das hingekriegt haben.«

»Vielleicht schaffen sie es ja heute«, meinte Andrew und schlang mir von hinten die Arme um die Taille. »Ist das eine Dusche, die da läuft?«

»Als ich das letzte Mal hingesehen habe, war's jedenfalls noch eine.«

»Ich finde, wir sollten gemeinsam duschen, um Wasser zu sparen.«

Er unterbrach sich, um meinen Nacken zu küssen, und ich stöhnte leise.

»Was meinst du?«, erkundigte er sich und glitt mit seinen Lippen sanft über meinen Nacken. »Bist du nicht schwer beeindruckt von meiner Umweltfreundlichkeit?«

»Also«, erwiderte ich und zog ihn unter die kühle Dusche. »Wie aufrichtig du die Sache mit der Umwelt meinst, weiß ich zwar nicht, aber freundlich bist du auf jeden Fall.«

India hatte bereits gefrühstückt, als wir in den Speisesaal des Hotels kamen. Sie winkte uns, damit wir uns zu ihr an den Tisch setzten. Andrew und ich umkreisten das Büfett in der Mitte des Raums. Wir beluden unsere Teller mit Früchten und Käse und Brot und schenkten uns jeweils Riesengläser Saft ein, bevor wir zu ihr gingen. Sie strahlte übers ganze Gesicht, als wir uns zu ihr gesellten.

»Wo ist Tim?«, fragte Andrew.

»Macht einen Spaziergang«, antwortete India und stibitzte ein Stück Melone von meinem Teller. »Ich konnte mich nicht dazu aufraffen – zu heiß. Ich gehe nachher schwimmen, und das muss ausreichen für mich als sportliche Betätigung.«

»Du betätigst dich auch so schon reichlich«, meinte ich zwischen mehreren Bissen köstlicher kühler Früchte. »Wenn man's recht bedenkt, India, sogar wenn du nichts tust, tust du was.«

Ich beugte mich vor und tätschelte die noch kaum sichtbare Schwellung unter ihrem langen weißen Kleid.

India lehnte sich zurück auf ihrem Stuhl und lächelte mich an. Andrew wischte sich mit der Serviette Saft vom Mund und meinte: »Ich finde es toll von dir, dass du wegen der Hochzeit die weite Reise gemacht hast, obgleich du schwanger bist.«

»Um nichts in der Welt hätte ich die Hochzeit versäumen wollen – ich wäre auf den Mond geflogen, um dabei zu sein!«

Wir lachten. Andrew und ich machten uns wieder über unser Frühstück her, und India streichelte gedankenverloren ihren Bauch. Es war wunderbar, einfach nur schweigend so zusammenzusitzen, nach allem, was wir hinter uns hatten. Einfach etwas so Normales zu tun, wie in diesem spanischen Hotelrestaurant in der Morgensonne zu sitzen, die durch helle Voilegardinen schien, um uns herum ganz normale Leute, die ebenfalls frühstückten, das war schlicht wundervoll.

Kaum zu glauben, dass ich noch vor wenigen Monaten mit turbulenten kriminellen Verwicklungen und Mord zu tun hatte. Genauso schwer war zu glauben, dass ich auch mit Tony Jordan zu tun hatte. Ich verbannte diesen Gedanken auf der Stelle. Vor allem heute wollte ich nicht an Tony Jordan denken. Monatelang hatten mich die Gedanken an ihn verfolgt. Wo er war? Ob es ihm gut ging? Mit wem er zusammen war? Irgendwie war letzterer Gedanke am störendsten. Aber mein Entschluss stand felsenfest: Ich würde keine weiteren Gedanken an Tony Jordan verschwenden. Meine gesamte Aufmerksamkeit würde ich Andrew widmen.

Wie auf Stichwort, als ich Ablenkung gerade am dringendsten gebrauchen konnte, wurde die Speisesaaltür geöffnet, und Ruth und Emerson erschienen. Ruth trug einen kirschroten Sarong, ihr blondes Haar leuchtete in der Sonne in allen möglichen Schattierungen, und ihre Haut glänzte wie Bernstein. Alle Köpfe im Raum drehten sich nach ihr um, um zu beobachten, wie sie auf hohen, blockartigen Holzsandalen zu unserem Tisch wankte.

»Mommy – da ist Kylie Minogue, und sie bekommt ein Baby, sieh nur!«, flüsterte ein pausbäckiges kleines Mädchen deutlich hörbar. Alles lachte, als ihre Mutter schsch machte und uns verlegen zulächelte.

»Schön wär's«, kommentierte Ruth und setzte sich. »Es ist eine Weile her, dass ich aussah wie Kylie.«

Emerson beugte seinen Blondschopf über Ruth und küsste sie auf die Stirn.

»Tausendmal schöner«, versicherte er ihr. Sie lächelte hoch zu ihm.

»Lauf schnell los und hol mir was zu essen, bevor ich umkippe vor Hunger.« Sie hielt inne und zwinkerte ihm zu – »Darling.«

Emerson nickte und verschwand in Richtung Büfett.

»Mann, ich würde ja zu gern rauchen«, meinte Ruth und stieß ihren Stuhl weiter weg vom Tisch, um Platz zu schaffen für ihren dicken runden Bauch.

»Wieso das denn?«, fragte ich. »Du hast doch nie geraucht.«

Ruth seufzte und nickte. »Ich weiß, aber ich komme mir so verdammt tugendhaft vor – kein Alkohol, keinerlei Action und die ganze Nacht durchfeiern, und ... und ...«

»überhaupt«, sprang ich ihr bei.

»Genau. Und überhaupt. Plötzlich bin ich ein Muster an Tugendhaftigkeit und weiß nichts mit mir anzufangen. Also wenn ich wenigstens angefangen hätte zu rauchen –«

»Man soll nicht rauchen, wenn man schwanger ist, Ruth«, mischte India sich ein.

Ruth und ich musterten sie wortlos.

»Tschuldigung«, sagte India. »Ich meine ja bloß.«

»Egal«, fuhr Ruth fort, »es sieht so aus, als hätte ich nicht mal mehr genug Zeit, um mit Rauchen anzufangen, weil es sich so anfühlt, als würde das Baby jede Minute kommen.«

»Nicht heute, Ruthie«, kreischte ich. »Um Himmels willen, nicht heute. Was ist mit der Hochzeit?«

Ruth zuckte die Achseln. »Möglicherweise habe ich keine Wahl.«

»Halte wenigstens durch bis morgen«, beschwor ich sie. »Sonst ruinierst du uns den Tag.«

»Danke für dein aufrichtiges Mitgefühl, Ellen«, sagte Ruth. »Nur noch einen Tag«, bettelte ich. »Ich finde nicht, dass das zu viel verlangt ist. Wenn du eine echte Freundin wärst, würdest du noch einen Tag länger durchhalten, nachdem wir alle wegen der Hochzeit so weit gereist sind.«

»Was ist mit der Hochzeit?«, fragte Emerson, der einen vollen Teller vor Ruth auf den Tisch stellte, die sich mit Heißhunger darauf stürzte.

»Wäre gut möglich, dass ich Wehen bekomme ... und die Hochzeit verpasse«, sagte Ruth undeutlich, den Mund voll mit Nektarine.

Emerson setzte sich auf den freien Stuhl neben sie und legte ihr seinen langen gebräunten Arm beschützend um die Schultern. »Wirklich, Liebling?«

Ruth nickte und schluckte. »Hatte die ganze Nacht diese verdammten Wehen, Schatz. Habe ich dir doch gesagt.«

Emerson lehnte sich zurück auf dem Stuhl. »Braxton-Hicks-Wehen«, lächelte er mit Kennermiene und sah uns an. »Nichts, worüber man sich Sorgen machen muss – falsche Wehen –, obgleich ich sie eher als vorbereitende Wehen statt als falsche Wehen betrachte.«

»Dass Emerson diesen Film über Geburtspraktiken in Südamerika gedreht hat, erweist sich jetzt wirklich als nützlich«, wandte ich mich an Ruth, und wir musterten ihn. Emerson errötete leicht und zuckte zusammen. Ruth schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen.

»Nun ja«, meinte sie und tätschelte seinen Arm. »Was das angeht, weiß ich nicht so recht, aber Tatsache ist, dass er dort sein Spanisch gelernt hat, was hier in Südspanien ganz gewiss nützlich ist. Mehr als sein Wissen über Geburtshilfe – was, Liebling?«

Emerson entspannte sich sichtlich und strahlte wie ein kleiner Junge übers ganze Gesicht, als er seinen dampfenden Kaffee trank. Die blauen Augen blitzten in dem dunkel gebräunten Gesicht, als er Ruth anblickte, und die gegenseitige Zuneigung war beinahe mit Händen greifbar. Ich freute mich für Ruth. Sie verdiente jemanden, der sie so sehr liebte wie Emerson. Ruth zog eine Grimasse und lehnte sich zurück.

»Au«, sagte sie. »Das tat weh.«

Emerson massierte ihre nackten Schultern.

»Hör sofort damit auf, Ruth Joyce«, befahl ich. »Jeder Gedanke an Geburt hat in deinem Kopf absolut nichts zu suchen, jedenfalls nicht vor der Hochzeit.«

»So oder so besteht wirklich kein Grund zur Sorge, Ruth«, beruhigte India sie. »Sollten die Wehen einsetzen, brauchst du bestimmt achtzehn Stunden oder mehr bis zur Geburt. Also müsstest du ohne jede Schwierigkeit die Hochzeit überstehen.«

Ruth schälte sich eine kleine Orange, und dabei tropfte Saft auf ihren Bauch. »Wahnsinn, India«, erwiderte sie, »wieso hebt das eigentlich nicht meine Stimmung?«

»Aber meine«, sagte ich. »Also, ich muss jetzt los und mich schön machen lassen für den großen Tag. Und was hast du vor, Andrew?«

»Ich glaube, Tim und ich gehen um zwölf eine Runde schnorcheln.«

»Viel Spaß und ertrinkt nicht«, sagte ich, beugte mich über den Tisch und küsste ihn. »Bis später.«

Im Schönheitssalon ließ ich mich nicht nur frisieren, sondern genehmigte mir auch eine Maniküre und eine Pediküre. Und von einer winzigen, zartknochigen, orientalischen Frau, neben der ich wie Arnold Schwarzenegger im Kleid wirkte, ließ ich mir sogar eine schwedische Kopfmassage verpassen. Ich war hoch zufrieden, dass wir für die Hochzeit nach Spanien gereist waren, als sie meinen Kopf so lange bearbeitete, dass ich schier zerfloss vor Entspannung. Es war irgendwie richtig, hier zu sein: nur Freunde, alle zusammen und – erstmals – alle glücklich.

Ich lehnte mich in dem ledernen Salonsessel zurück und dachte zum zigsten Mal, wie glücklich ich doch war. Alles lief so gut zwischen Andrew und mir, dass ich mich manchmal kaum noch an die Zeit erinnern konnte, in der wir getrennt waren, und kaum glauben konnte, dass es Wirklichkeit war. Eines war jedenfalls sicher – ich hatte meine Lektion gelernt. Von jetzt an würde ich genießen, was ich hatte, und nicht ständig nach etwas Besserem Ausschau halten.

Nach allem, was passiert war, war ich jetzt hier, in einem wunderschönen spanischen Ort mit goldenem Sand, azurblauem Mittelmeerwasser und Afrika in Rufweite. Und als ob das noch nicht genug wäre, war ich hier mit Andrew und meinen liebsten Freunden. Alles war so perfekt, dass ich hätte weinen mögen, allerdings war ich viel zu glücklich zum Weinen.

Nach dem Besuch im Schönheitssalon ging ich einkaufen und erstand zwei Handtaschen und ein Paar rote Lederschuhe. Dann ging ich zurück zum Hotel. Jemand hatte die Klimaanlage repariert, so dass die Luft im Zimmer so erfrischend war wie ein kurzes Bad im Ozean. Ich schaute auf die Uhr neben dem Bett: 3 Uhr 30. Das war prima – jede Menge Zeit, um mich fertig zu machen. Auf dem Toilettentisch lag eine Notiz von Andrew.

Zurück vom Schnorcheln – bin nicht ertrunken. Tim und ich haben noch was zu erledigen – müssen ein Fax und einen Computer auftreiben. Keine Sorge, bin schon angezogen und fertig – ich komme nicht zu spät.

Bis nachher. Alles Liebe, Andrew

Ich stieß meine Sandalen weg, während ich die Notiz las, und ließ mich aufs Bett fallen. Die sauberen weißen Laken waren wie Balsam für meine heiße Haut. Hoffentlich kam Andrew nicht zu spät zur Hochzeit. Verdammte Arbeit! Es ist immer problematisch, wenn man Privates und Geschäftliches vermischt, nicht wahr? Tim Gladstone war nicht nur mit einer meiner besten Freundinnen verheiratet, sondern auch der Eigentümer von Gladstone & Richards Immobilienmakler – für die Andrew und ich arbeiteten. Was ihn zu unserem Chef machte. Dennoch, während unseres Aufenthalts hier in Spanien zu arbeiten, das war blödsinnig. Es wäre echt peinlich, wenn Andrew zu spät zur Hochzeit käme.

Mir tat alles weh vor Erschöpfung, und ich sank tiefer und tiefer ins Bett. Ich würde meine Augen nur einen Augenblick schließen, sagte ich mir. Nur ein kurzes Nickerchen machen zur Erfrischung. Nur ein paar Minuten, bevor ich mich duschte und anzog und schminkte und zu dem schönen Hotelgarten ging, der für die Hochzeit reserviert worden war.

Wir hatten ihn uns gestern Nacht angesehen, Andrew und ich. Sehr schön. Eine großer, runder Springbrunnen plätscherte auf weiße Marmorkiesel. Mehrere Lauben, umrankt von riesigem rotem Hibiskus, grünem Efeu und violetten Glyzinen. Ein Märchengarten. Genau der richtige Ort für eine Märchenhochzeit.

Als ich langsam in den Schlaf glitt, sah ich Andrew in diesem Garten stehen und auf mich warten. Groß und gut aussehend in seinem cremefarbenen Leinenanzug, eine Hibiskusblüte im Knopfloch und ein strahlendes Lächeln in dem geliebten, schönen Gesicht.

Kapitel 2

Der Traum, in diesem Gartenparadies zu heiraten, war so angenehm, dass ich versuchte, das Gebimmel irgendwo da draußen zu überhören. Eine Kirchenglocke, sagte ich mir, als es in meinem Traum immer heftiger klingelte. Eine Schulglocke. Schlittenläuten. Eine Türklingel. Ein klingelndes Telefon. Telefon?

»Oh Mist!« Ich machte einen Satz aus dem Bett zum Telefon und schnappte mir den Hörer.

»Hallo?«, meldete ich mich mit langsamer, schläfriger Stimme. Ich hustete mich frei. »Hallo?«, wiederholte ich.

»Ellen!«

»Ruth?«

»Wo bleibst du denn? Es ist zwanzig vor fünf, um Himmels willen, und du müsstest längst hier sein.«

»Okay«, sagte ich und bemühte mich, einen klaren Kopf zu bekommen. »Beruhige dich. Ich komme schon. Ist Andrew da?«

»Natürlich ist Andrew hier. Wo warst du? Hast du geschlafen? Wir haben immer wieder im Zimmer angerufen. Andrew und Tim sind gerade gekommen, und ich wollte Andrew schon losschicken, um dich zu holen.«

»Okay, okay. Bin schon unterwegs. Ich komme rechtzeitig, versprochen.«

»Das will ich schwer hoffen.«

»Ganz bestimmt. Hast du immer noch Wehen?«

»Im Moment nicht. Komm jetzt, Ellen. Ich fasse es einfach nicht.«

»Ich bin sofort unten.«

Ich warf den Hörer auf die Gabel und rannte ins Badezimmer. Ein Blick in den Spiegel, und – du liebe Güte! – das sollten meine Haare sein? Dieses Gestrüpp? Und das nach all der Zeit im Schönheitssalon. Was hatte ich im Schlaf nur mit meinen Haaren gemacht? Ich drehte die Dusche an und stellte mich gleich darunter, wartete nicht einmal, bis das Wasser warm war. Oh mein Gott! Ich würde zu spät kommen! Es war kaum zu glauben.

Nachdem ich mich hastig abgetrocknet hatte, klatschte ich mir Make-up ins Gesicht und hantierte mit dem Fön herum. Ich betete, dass mein Haar nicht verrückt spielen würde, wie es das gewöhnlich tat, wenn es absolut nicht angesagt war. Fast hätte ich gelacht, als ich an mein ursprüngliches Vorhaben dachte, mir vor der Zeremonie einige schöne Blumen aus dem Hochzeitsgarten ins Haar zu flechten. Jetzt konnte ich mich schon glücklich schätzen, wenn mir nicht im Verlauf des Nachmittags ständig Wasser auf den Rücken tropfte.

Ich schüttelte das dünne Einwickelpapier von meinem Seidenkleid ab, und ohne mir auch nur einen bewundernden Blick darauf zu gönnen, streifte ich es mir über den Kopf. Dann schnappte ich mir eine große silberne Haarspange, drehte mein Haar zu einem Knoten und befestigte ihn damit. Ich überprüfte mich im Spiegel. Immer noch sah ich aus, als hätte ich den ganzen Nachmittag geschlafen, aber es musste eben so gehen. Ich schlüpfte in hochhackige Sandalen und eilte hinaus. Man würde mich umbringen. Wie konnte mir das nur passieren? Was würden die anderen sagen? Was würde Andrew denken?

Die Hotellobby war voll von neu angereisten Gästen, die mir nachstarrten, als ich an ihnen vorbei aus der Tür und ums Hotel herum zu dem Hochzeitsgarten flitzte. Das Wichtigste war meine Anwesenheit, redete ich mir ein. Es wäre zwar schön, wenn ich nicht gerade wie ein weibliches Katastrophengebiet aussehen würde, aber wenigstens wäre ich pünktlich. Ich schaute auf die Armbanduhr. Eine Minute nach fünf. Okay – beinahe pünktlich.

»Ellen«, begrüßte mich India, als ich in dem grünen Tunnel auftauchte, der zu dem plätschernden Springbrunnen im Zentrum des Gartens führte.

»India«, keuchte ich.

»Hier«, sagte sie. »Hier entlang. Alle warten schon.«

Wir erreichten die letzte Laube, und da waren sie, alle anderen Teilnehmer der Hochzeitsfeier standen vor mir, alle warteten auf mich. Der Anblick von ihnen allen trieb mir die Tränen in die Augen, aber ein Blick in Ruths Gesicht, und jegliches sentimentale Gefühl löste sich in Luft auf. Ich rannte zu ihr hinüber.

»Du siehst wunderschön aus«, sagte ich. Und das war die reine Wahrheit. Ruth trug ein langes weißes Wickelkleid aus Seide mit zarter pastellfarbener Stickerei am Halsausschnitt und an den Manschetten der langen Ärmel. Sie sah mich mit großen blauen Augen an und blinzelte langsam.

»Ich war kurz davor, Andrew hinaufzuschicken, um die Tür einzutreten«, sagte sie.

»Er hat einen Schlüssel«, erwiderte ich.

»Oh Mann! Nie um eine Antwort verlegen. Du weißt genau, was ich meine.«

Sie hatte Recht. Andrew trat neben mich und sah in dem cremefarbenen Leinenanzug genauso gut aus wie in meinem Traum.

»Du bist wunderschön«, flüsterte er. »Geht es dir gut?«

Ich nickte und sah immer noch Ruth an.

»Es tut mir Leid, dass ich zu spät dran bin«, sagte ich und küsste sie auf die Wange. »Wollen wir anfangen?«

Ruth starrte mich an, und ich fragte mich, ob sie gleich weinen würde. Sie hatte manchmal so seltsame Anwandlungen – man konnte sich bei ihr nie sicher sein. Dann nickte sie und lächelte ihr strahlendes, schönes Ruth-Lächeln.

»Das sollten wir wohl besser tun«, stimmte sie mir zu und griff nach Emersons Hand. »Ich bin wild entschlossen, verheiratet zu sein, bevor dieses Baby seinen Auftritt hat, und ehrlich gesagt kann das jeden Augenblick der Fall sein.« Andrew küsste mich auf die Wange und nahm dann neben Tim Gladstone Platz, der winkte und mir zuzwinkerte. India und ich nahmen Seite an Seite hinter Emerson und Ruth Aufstellung. Eine kleine, dunkelhaarige Frau mit einem beginnenden feinen Schnurrbart sprach die wunderschönen spanischen Worte. Und so wurden Emerson Burke und Ruth Joyce in diesem duftenden, blumenüberfüllten Garten getraut, mit India und mir als Trauzeugen und Tim und Andrew als Gästen.

Sobald die Zeremonie beendet war und das Küssen und Umarmen begonnen hatte, stieß Ruth einen Schrei aus und taumelte.

»Ups!«, sagte ich und fing sie auf.

Sie sah hoch zu mir. »Ellen.«

»Es tut mir Leid, dass ich zu spät gekommen bin«, entschuldigte ich mich noch einmal.

»Das ist es nicht. Ich glaube, meine Fruchtblase ist gerade geplatzt.«

»Oh Gott!«, kreischte ich. »Emerson! Ein Krankenwagen! Sofort!«

Emerson hielt den Bruchteil einer Sekunde inne und sah seine frischgetraute Ehefrau an. »Aber –«

»Emerson«, murmelte Ruth und holte mehrfach tief Luft, »vergiss Braxton-Hicks – ruf die 999 an.«

Emerson nickte und rannte zum Hotel.

Die Standesbeamtin half mir, Ruth zu einem Stuhl zu führen, und Andrew und Tim führten sich auf wie zwei Hennen, die kurz davor waren, Eier zu legen. India und ich setzten uns links und rechts neben Ruth und hielten ihre Hände. Ruth holte tief Luft.

»Mist!«, sagte sie und beugte sich vor. »Mist, Mist, Mist!« Sie sah India und mich an, und wir mussten alle lachen. Tim und Andrew betrachteten uns, als hätten wir den Verstand verloren, aber das brachte uns nur dazu, noch lauter zu lachen.

Der Krankenwagen kam innerhalb von Minuten, und India und ich gaben Ruth einen letzten Kuss, bevor sie ins Krankenhaus gefahren wurde. Wir standen schweigend vor dem Hotel und schauten dem Krankenwagen nach. Andrew legte den Arm um mich.

»Alles okay bei dir?«, fragte er.

Ich zuckte die Achseln. »Ich fasse es nicht.«

Er nickte. »Es ist schon ein bisschen überraschend – wann sollte das Baby noch mal kommen?«

»Das doch nicht«, wehrte ich ab. »Du meine Güte, Andrew! Sie hat den ganzen Tag davon geredet, dass sie Wehen hat. Ich meine, ich fasse es nicht, dass Ruth tatsächlich verheiratet ist.«

»Oh«, sagte er. »Warum nicht?«

Ich zuckte die Achseln. »Ich weiß auch nicht. Weil sie eben Ruth ist, schätze ich. Flatterhaft und leichtlebig.«

Andrew lachte. »Ich finde das gar nicht so überraschend. Ruth ist sehr viel vernünftiger, als sie aussieht.«

»Dich hat sie immer gemocht«, sagte ich.

Andrew zuckte die Achseln. »Wie ich schon sagte – sie strotzt vor Vernunft. Aber eines wüsste ich gern.«

»Was?«

»Warum hat sie heute geheiratet, wenn sie bereits Wehen hatte?«

»Ganz einfach«, klärte ich ihn auf. »Ruth ist ein Adoptivkind, und das war für sie immer irgendwie ein Problem. Nicht dass die Joyces keine tollen Eltern waren, das waren sie, und sie liebte sie heiß und innig und war am Boden zerstört, als sie starben.«

»Ich wusste gar nicht, dass sie adoptiert worden ist.«

»Sie sagte mir einmal, wenn sie je ein Kind erwartete, würde sie, verdammt noch mal, dafür sorgen, dass zwei Elternteile zur Stelle sind, um es aufzuziehen. Allerdings wusste selbst ich nicht, wie entschlossen sie war.«

Andrew berührte mein Gesicht mit seiner Hand. »Willst du mich heiraten, Ellen Grace? Wir können doch Ruth und Emerson nicht den ganzen Spaß überlassen.«

Ich starrte ihm in die Augen und konzentrierte mich darauf, wie die schwüle Mittelmeerluft sein Haar leicht kräuselte. »Ich liebe dich, Andrew«, sagte ich. Weil das die Wahrheit war und mich ablenkte von dem schrecklichen Gefühl, das sich in meiner Magengrube breit machte.

Er küsste mich sanft auf den Mund. »Ich liebe dich auch, Ellen. Ist das ein Ja?«

Wir wurden von India unterbrochen, die gerade zu uns herüberkam. »Oh mein Gott!«, sagte sie. »Ich fasse es nicht – ich werde Tante.«

Ich umarmte sie, dankbar für diese Ablenkung von den absurden Gefühlen, die mich überfluteten. Es war schließlich nur ein Heiratsantrag. Eine Liebeserklärung. Daran war absolut nichts Falsches. Ich liebte Andrew wahnsinnig. Ich umarmte India erneut.

»Tante India«, neckte ich sie. »Klingt wie eine politische Bewegung.«

»Sehr komisch. Ich hoffe, Emerson hat in der Aufregung nicht die Kamera vergessen.«

»Warum?«, fragte Andrew.

»Weil er hofft, die Geburt filmen zu können.«

Ich lachte. »Ich hoffe, er hat sie vergessen.«

India sah mich überrascht an. »Wieso das denn?«

»Also, ich würde sagen, Tim ist beim Filmen einer Prügelei unter Zigeunern weniger in Gefahr, als wenn er sich Ruth in Wehen mit einer Kamera nähert.«

India lachte und zog eine Grimasse.

»Kommt«, sagte ich und ging vor durch die duftenden Gartenlauben. »Genießen wir das Hochzeitsessen, das Ruth und Emerson bereits bezahlt haben, und dann fahren wir ins Krankenhaus und schauen, ob Baby Burke schon da ist. Wir können Ruthie ein Doggy Bag mitnehmen.«

Ruth hatte einen Jungen bekommen. Er hatte die hellen Haare und die helle Haut seines Vaters und die riesigen blauen Augen seiner Mutter. Ruth hielt ihn uns entgegen, sobald wir das Krankenzimmer betraten.

»Du meine Güte!«, flüsterte India. »Sieh dir nur meinen schönen Neffen an.«

»Er ist wirklich wunderschön«, stimmte ich ihr zu.

»Selbstverständlich«, sagte seine Mutter.

»War es sehr schlimm?«, fragte ich, als wir uns auf Ruths Bettende setzten.

»Das nackte Grauen«, sagte Ruth. »Lass dir bloß ein Schmerzmittel spritzen, India. Ich war schon kurz vor der Geburt, als wir im Krankenhaus ankamen, so dass es zu spät für irgendwelche Medikamente war. So dauerte die Tortur zwar nicht lange, war aber schrecklich – und seht nur, was ich bekommen habe.«

Ruth wiegte das Baby in ihrer Armbeuge und küsste es auf den Kopf

»Wie soll er heißen?«, frage ich.

»Weiß ich noch nicht, aber ich suche den Namen aus – das soll keine Beleidigung sein, India, aber ihr Burkes habt einen abstrusen Geschmack bei Namen.«

Wir lachten. Außer India und Ruths neuem Ehemann Emerson gab es noch drei Burke-Schwestern Isis, Saffron und Venus – und zwei Brüder – Lake und Palmer.

Das Baby gurgelte und machte die Augen zu. Ruth sah es derartig hingerissen an, dass ich lächeln musste. Andrew hatte Recht, was Ruth betraf – nichts als Fassade, das Flatterhafte und Leichtlebige. Hier auf einem Gummiring in einem spanischen Krankenhausbett sah sie glücklicher aus, als ich sie je im Leben gesehen hatte. Schweigend saßen wir eine Weile da, jede in ihre eigenen Gedanken versunken.

»Du liebe Zeit!«, brach Ruth plötzlich das Schweigen. India und ich sahen sie an.

»Was?«, fragte ich alarmiert. »Was ist los?«

»Ich habe es vergessen, weil ich in den Wehen lag – Tony und Wolfie. Als ich durch das Krankenhaus in den Kreißsaal geschoben wurde, habe ich Tony und Wolfie gesehen.«

»Nein, hast du nicht!«, widersprach ich. »Wie kannst du sie gesehen haben?«

»Tony Jordan?«, fragte India. »Hier?«

»Er kann nicht hier sein«, protestierte ich, während mein Herz bei dieser Vorstellung einen Satz machte. Ich zwang mich zur Ruhe. Wenn er wirklich hier wäre, hieße das, dass er wenigstens in Sicherheit wäre.

»Wieso nicht?«, fragte Ruth. »Irgendwo müssen sie schließlich sein, nicht wahr? Sie sind nicht in Irland – warum also nicht in Spanien, Ellen? Hast du mir nicht gesagt, dass Tony davon gesprochen hat, möglicherweise nach Spanien zu gehen?«

Das stimmte, das hatte ich ihr gegenüber erwähnt. Aber in der Nacht war alles so verwirrend gewesen. Schließlich hatte gerade eine Bande Drogendealer versucht, ihn umzubringen. »Ja, er hat Spanien erwähnt ... aber er kann nicht hier sein ... woher willst du wissen, dass es die beiden waren? Hast du mit ihnen geredet?«

Ruth lachte. »Ich war anderweitig beschäftigt, und sie gingen in die andere Richtung. Es sah aus, als sei Tonys Arm in einem Gipsverband, wenn ich so darüber nachdenke.«

»Was erklären würde, was sie in einem Krankenhaus zu suchen hatten«, warf India ein.

Ruth nickte. »Genau.«

»Aber du hast nicht mit ihnen geredet, also weißt du nicht hundertprozentig, dass sie es waren?«

Ruth rückte das Baby zurecht und küsste wieder. sein Köpfchen. »Ich weiß genau, dass es Wolfie war, Ellen. Und ich bin ziemlich sicher, dass Tony bei ihm war – wer sollte es sonst gewesen sein?«

»Es könnte jeder gewesen sein. Sie haben dir den Rücken zugedreht, und du lagst in den Wehen.«

Ruth schüttelte den Kopf und schürzte die Lippen. »Ich glaube, ich würde Bobby Wolfe immer und überall erkennen. Es gab eine Zeit – vor meiner Wiedergeburt als ehrbare Frau –, wo ich jeden einzelnen Körperteil von Wolfie durch bloße Berührung hätte identifizieren können, ganz zu schweigen von Betrachtung ...«

»Hör auf!«, kreischte India. »Das reicht jetzt an Information! Ich glaube dir ja.«

Ruth grinste. »Okay, aber wie steht's mit dir, Ellen? Glaubst du mir auch?«

Ich zuckte die Achseln.

»Du kannst mir glauben«, fuhr Ruth fort. »Bobby Wolfe hat wahrscheinlich den knackigsten Arsch, den ich je gesehen habe. Und ich habe weiß Gott einige zu sehen gekriegt. Ich würde diesen Hintern immer und überall wieder erkennen, Ellen, so dass ich hundertprozentig sicher bin, dass er es war.«

»Oh mein Gott!«, sagte ich. »Also, Ruth, wenn es sich um den Hintern-Erkennungstest handelt – wie kann ich da an dir zweifeln?«

Ruth zwinkerte mir zu und sah mich unverwandt an. »Verdammt richtig. Aber es spielt eh keine Rolle, ob Wolfie und Tony hier in Spanien sind – oder, Ellen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, natürlich nicht. Warum sollte es eine Rolle spielen? Ich bin nur neugierig, das ist alles.« Wir schwiegen eine Weile, bevor ich fortfuhr. »Du könntest ihm begegnen, während du hier bist, Ruthie – wenn er es ist. Wie geht es dir dabei?«

»Wobei?«

»Dabei, Wolfie zu begegnen?«

Ruth lachte und schmiegte sich an ihr Baby. »Das ist absolut null Problem. Ich glaube, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Wolfie und ich alles bekommen haben, was wir wollten, als wir eine Beziehung hatten.«

»Wie lange hat Emerson noch mit der Dokumentation über die rumänischen Zigeuner zu tun?«, fragte India.

»Auf jeden Fall noch drei oder vier Monate. Soll ich Tony sagen, dass du dich nach ihm erkundigt hast, wenn ich ihn treffe? Soll ich, Ellen?«

Ich sah sie an, und sie hielt meinen Blick fest. Ich liebe Andrew. Ich liebe Andrew. Ich liebe Andrew. Ich wiederholte das im Geiste wie ein Mantra. Und es stimmte ja auch – ich liebte Andrew. Aber irgendwie hatte sich Tony Jordan tief in mein Herz eingenistet. Ich konnte sehen, dass Ruth das wusste. Sie lächelte.

»Diese beiden Kerle sind schon was Spezielles, nicht wahr?«, sagte India. Ruth und ich drehten uns überrascht zu ihr um. »Wolfie und Tony Jordan, meine ich«, lächelte sie.

»Wir wissen, wen du meinst, aber nicht, was du meinst?«, sagte ich.

India zuckte die Achseln. »Sie sind wie exotische Vögel oder wahnsinnig hohe Schuhe – wirklich unglaublich schön anzusehen, aufregend, und man würde sie um alles in der Welt gern haben, aber, ich weiß auch nicht, irgendwie sind sie nicht geschaffen für das ganz normale Leben.«

Ruth lachte. »Du bist verrückt, India Burke, und jetzt, wo mein Sohn mit dir verwandt ist, bete ich inständig, dass es nicht erblich ist.«

»Dennoch habe ich Recht«, sagte India und sah mich an. »Sie sind wie heiße Ware, genau das sind sie, schön, teuer, gefragt, aber für die meisten Menschen langfristig keine praktische Alternative. Zu viel Risiko dabei letzten Endes. Ist es nicht so, Ellen?«

Ich lächelte und nickte, und unser Gespräch wandte sich wieder Babys zu. Aber meine Gedanken drehten sich nach wie vor um diese neue Wendung der Geschehnisse. India hatte Recht, was Tony betraf. Und ich vermisste ihn nicht einmal – na ja, meistens jedenfalls nicht. Ich kapierte nicht, warum es mich so durcheinander brachte, zu hören, dass er in der Nähe war. Es machte keinen Sinn. Und besonders machte es keinen Sinn, weil ich India von ganzem Herzen zustimmte.

»Eines möchte ich allerdings noch anmerken zu Tony und Wolfie«, nahm Ruth das Thema plötzlich wieder auf und hatte meine volle Aufmerksamkeit. Ich sah sie gespannt an. Sie gab India das Baby, die entzückt war, ihren neuen Neffen halten zu dürfen. Dann wühlte sie in ihrem Nachttisch nach einem kleinen Spiegel und rotem Lippenstift, den sie in aller Ruhe auftrug, als hätte sie nicht mitten im Satz aufgehört, weiterzureden.

»Was?«, drängte ich.

Ruth holte einen Mascarastift heraus und begann, ihre Wimpern zu schminken. »India hat Recht, sie sind ein echtes Risiko, und das ist nicht gut. Aber eines muss man ihnen lassen – sie sind das Risiko absolut wert, weil es fantastisch ist, mit ihnen zu schlafen!«

Ich lachte. India prustete. Ruth zwinkerte. Das Baby machte ein schmatzendes Geräusch, die Tür öffnete sich, und unsere drei Männer stürzten herein, bewaffnet mit Blumen, Pralinen und einer Flasche Champagner. Das war das wirkliche Leben, dachte ich, als wir mit Pappbechern auf die Geburt des Babys anstießen. Das richtige Leben war gut und sicher – und auch glücklich –, und das war es, was ich wollte. Oder?

Kapitel 3

Nach all den dramatischen Verläufen bei Ruths und Emersons Hochzeit im Mai, verlief das Leben den Rest des Sommers ziemlich ruhig. Was mir sehr entgegenkam. Andrew und ich richteten uns in seinem großen roten Backstein-Reihenhaus ein. Wir arbeiteten bei Gladstone & Richards. Wir gingen einkaufen und essen und besuchten unsere Familien.

Andrews Eltern waren nach seinem Auszug von zu Hause nach Donegal gezogen, so dass wir sie nicht allzu häufig besuchten. Darüber war ich alles andere als unglücklich. Ich fürchtete mich mindestens ebenso vor Andrews großer, streitbarer Mutter mit ihrem ständigen Gerede über Schicklichkeit und Etikette, wie mich sein Vater langweilte, der anscheinend vierundzwanzig Stunden täglich Golf spielte.

Aber sie waren Andrews Eltern, so dass ich meine Meinung für mich behielt. Und außerdem war ich die Letzte, die sich über verrückte Familien mokieren durfte. Andrew besuchte klaglos meine Eltern und vertilgte sogar das Essen, das meine Mutter uns vorsetzte, als handelte es sich allen Ernstes um etwas Genießbares. Ich fand, das Wenigste, was ich ihm schuldete, war, mich in Bezug auf meine Gefühle für seine Familie ein wenig zurückzuhalten.

Die absolut netteste Verwandte von uns war außer meinem Neffen Kieran Andrews drei Jahre alte Tochter Katie. Katie besuchte ihren Vater jeden Sonntag. Darüber hinaus fuhr Andrew mindestens zweimal die Woche zu ihrer Mutter, um seine Tochter zu sehen.

Katie schien von beiden Elternteilen nur die besten Gene geerbt zu haben. Sie war so dunkel und gut aussehend wie ihr Vater und so zartgliedrig wie ihre Mutter. Unabhängig von der Tatsache, dass sie zu Andrew gehörte, war Katie allerdings auch eine sehr unterhaltsame kleine Persönlichkeit, und sie und ich hatten viel Spaß, wenn wir uns bei ihren Besuchen jedes Mal Toy Story ansahen.

Ich bewunderte Andrews innige Zuneigung zu Katie aufrichtig. Genau genommen gab ich oft damit an, dass er nur deswegen zurück nach Irland gezogen war, um in der Nähe seiner Tochter zu sein, obwohl er keine Beziehung mit ihrer Mutter hatte. Katie war das Ergebnis eines One-Night-Stands. »Was für ein Mann!«, sagten meine Freundinnen und Bekannten in der Regel, wenn ich damit prahlte, was für ein Typ mein neuer Freund war. Ja, tatsächlich. Was für ein Typ. Es kam mir nie in den Sinn, dass er derjenige sein könnte, an dem ich mir die Zähne ausbeißen würde.

In dem Sommer genoss ich einfach mein Leben mit Andrew – unsere traute Routine des gemeinsamen Arbeitens, Essens, Sex und Spaßhabens. Und um ehrlich zu sein, es war nicht nur eine traute Routine – es war eine wunderbare Routine. Aber dennoch konnte ich das Gefühl, dass mir irgendetwas im Leben fehlte, nicht ganz abschütteln.

Ruth, Emerson und ihr Baby, das sie Paddy getauft hatten, kamen Mitte August zurück aus Spanien. Sie hatten sich mit dem Geld, das Emerson für seine Dokumentation über die rumänischen Zigeuner bekommen hatte, ein wunderschönes, wenn auch schlichtes Cottage in County Clare gekauft. Ich lachte, als Ruth mir erzählte, wie viel er verdient hatte.

»Das ist nicht wahr«, staunte ich. »Für einen Film über Zigeuner, die sich ständig nur prügeln und singen?«

»Ich schwöre es bei Gott«, sagte Ruth. »Ich kann es selbst kaum glauben, aber offenbar ist mein Mann ein großer Künstler und Staatenloses Glück ein Kunstwerk.«

»Staatenloses Glück?«

»So heißt der Film. Alle sind begeistert.«

»Und bist du auch begeistert?«

Ruth grinste. »Tja, ich will es mal so ausdrücken. Ich glaube, es ist ein guter Film, und ich bin hoch zufrieden, dass er uns genug eingebracht hat, um dieses Haus zu kaufen. Was kann ich mehr verlangen?«

Nichts. Der Blick auf ihr Gesicht und die Aura von Zufriedenheit, die sie ausstrahlte, sagten alles.

Der September begann mit einem Knaller. Oder, präziser ausgedrückt, mit einem Telefonanruf von Tim Gladstone um drei Uhr morgens am ersten September. Ich ging ans Telefon und versuchte verzweifelt, die neurotischen Ängste zu unterdrücken, die mitternächtliche Telefonanrufe nun mal begleiteten. Wer war tot, lag im Sterben, war verunglückt oder gekidnappt worden?

»Hallo?«, presste ich schließlich hervor.

»Ellen?«

»Ja?«

»Hier ist Tim Gladstone. Tut mir Leid wegen der Störung. Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt?«

»Ist schon okay, Tim. Ist alles in Ordnung?«

»Du liebe Güte, ich sehe gerade, dass es drei Uhr vierzehn ist. Es tut mir echt Leid, Ellen. Du musst geschlafen haben. Wie gedankenlos von mir, ich habe nicht mal auf die Uhr geschaut. Habe jedes Zeitgefühl verloren ...«

»Tim? Ist alles in Ordnung? Geht es India gut?«

»Oh ja, India geht's prima. Danke der Nachfrage. Ich würde sagen, dass sie jetzt wohl eingeschlafen ist, da ich mir einen Kaffee geholt habe, nachdem ich sie allein gelassen habe. Also, wenn ich Kaffee sage, meine ich dieses schreckliche Zeugs, das du aus diesen großen Apparaten kriegst – abscheulich. Und teuer, wenn man bedenkt, dass es Geschirrspülwasser ist.«

»Tim«, drängte ich ihn, inzwischen ganz krank vor Sorge. Ich musste schwer schlucken. »Tim, warum hast du angerufen, wenn du die Frage gestattest?«

»Habe ich das nicht gesagt? Oh, tut mir Leid. Ich dachte ...«

»Tim?«

»India hat das Baby bekommen.«

»Oh mein Gott! Wann? Wie? Geht es ihr gut? Was ist es? Ist alles in Ordnung?«

Ich hörte Tim leise lachen. »Heute Nacht – ungefähr vor einer Stunde. Wir haben eine wunderschöne Tochter – Alyssa, und sie ist rundum gesund. Beiden geht es gut – nein, es geht ihnen besser als gut –, es geht ihnen prächtig. Meinen beiden Mädels.«

»Oh Tim.« Meine Augen füllten sich mit Tränen, und ich war einen Moment lang einfach sprachlos.

»Also, tut mir Leid, dass ich dich erschreckt habe, Ellen. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es ist.«

»Ich bin heilfroh, dass du angerufen hast. Grüße India bitte ganz lieb von mir. Sag ihr, dass ich sie und die hübsche Alyssa morgen besuchen komme.

»Mach ich. Gute Nacht.«

»Gute Nacht, Tim ... oh, und Tim?«

»Ja?«

»Herzlichen Glückwunsch – Daddy.«

Tim lachte und legte auf. Ich schlüpfte zurück in mein warmes Bett neben Andrew.

»Wer war das?«, murmelte er schläfrig.

»Tim. India hat ein Mädchen bekommen – Alyssa.«

»Das sind ja tolle Neuigkeiten – alles okay?«

»Bestens. Alles ist einfach bestens.«

Ich kuschelte mich enger an Andrews Rücken und umschlang seine Taille.

»So etwas müssen wir uns auch gelegentlich anschaffen«, murmelte Andrew.

»Was, ein Baby?«

»Hm-mm«, sagte er, und seine Stimme wurde wieder ganz schläfrig. »Was meinst du?«

Ich bohrte mein Gesicht in seinen Rücken, und er schlummerte ein. Als ich ebenfalls kurz vor dem Einschlafen war, dachte ich an Babys und Freunde und Liebe und Glück, und ich war mir nicht sicher, was ich von all dem halten sollte.

Am nächsten Morgen besuchte ich als Erstes India und ihre schöne neue Tochter. Ich blieb nicht lange, weil ich einen arbeitsreichen Tag vor mir hatte, und außerdem war India jenseits ihres Entzückens auch schwer erschöpft. Ich setzte mich gerade wieder ins Auto auf dem Krankenhausparkplatz, als mein Handy klingelte. Dummerweise ging ich ran, ohne vorher auf das Display zu sehen.

»Du wolltest doch noch anrufen und den Termin bestätigen«, ertönte die fröhliche Stimme meiner Mutter.

»Ich habe es vergessen«, sagte ich. Den Termin? Welchen Termin? Wovon? »India hat gerade ihr Baby bekommen, und irgendwie habe ich alles andere vergessen.«

»India hat ihr Baby bekommen? Das ist wundervoll. Was ist es denn?«

»Ein Mädchen.«

»Oh Ellen, ist das nicht wunderbar? Sie müssen überglücklich sein.«

»Außer sich vor Freude.«

»Du bist die Nächste. Ich habe Ruth letzten Donnerstag in der Stadt getroffen. Ist Baby Paddy nicht entzückend?«

»Entzückend.«

»Deine Zeit kommt auch noch«, ließ meine Mutter ihr ganzes Feingefühl an mir aus.

»Ich weiß«, sagte ich und hätte die Unterhaltung gern weggelenkt von Themen, über die ich möglichst überhaupt nicht nachdenken und erst recht nicht sprechen mochte.

»Alison hat gerade angerufen.«

»Toll«, sagte ich. »Das ist toll.«

Ich liebe meine Schwester Alison wirklich, aber sie ist so perfekt, dass ich mich neben ihr ständig unzulänglich fühle. Sie und ich sind so verschieden, dass man echt Mühe hat, zu glauben, dass wir verwandt sind, ganz zu schweigen davon, dass wir Schwestern sind. Ich bin ein Meter fünfundsiebzig groß, dunkelhaarig und ziemlich schlaksig. Alison ist so zierlich, blond und hübsch wie eine amerikanische Cheerleaderin.

Ich bin eine einigermaßen zufriedene Immobilienmaklerin, während Alison als Lehrerin, die demnächst Schulleiterin wird, zu den Sozialaufsteigern gehört. Seit der Pubertät sind alle meine zögerlichen und unschlüssigen Beziehungen in die Hose gegangen, während Alison ständig mit den passenden Jungs befreundet war, was schließlich in ihrer Heirat mit Dermot gipfelte – einem netten wenn auch langweiligen Rugbyspielenden Arzt aus dem County Wicklow. Gut, okay, sie hat auch den Menschen geboren, der mein absoluter Liebling ist – meinen zwei Jahre alten Neffen Kieran. Es war mir ausgesprochen recht, dass Alison in Dublin lebte, so dass ich nicht unentwegt an meine Mängel erinnert wurde. Die Schattenseite davon war, dass ich Kieran kaum zu sehen bekam.

»Hör mal, Ma, ich mache jetzt besser Schluss. Ich bin unterwegs im Auto und darf eigentlich gar nicht mit diesem Ding telefonieren. Wir reden später.«

»Okay, Liebes. Ich wollte nur noch mal nachfragen, ob sechs Uhr morgen in einer Woche immer noch passt bei euch?«

»Oh sicher«, sagte ich und konnte mich partout nicht daran erinnern, irgendeine Verabredung mit meiner Mutter getroffen zu haben.

»Das ist großartig«, sagte sie. »Ich mache einen schlichten Lammbraten – ich weiß, wie gern Andrew den isst. Aber verrate es ihm nicht. Es wird eine hübsche Überraschung sein, wenn er sieht, was es zum Dinner gibt.«

»Oh, ich denke nicht daran«, versprach ich grinsend. »Andrew liebt Überraschungen. Jetzt muss ich aufhören. Bis später.«

Ich startete den Motor und fuhr vom Krankenhausparkplatz, was letztendlich aus der Lüge, die ich gerade meiner Mutter aufgetischt hatte, Wirklichkeit machte. Armer Andrew, dachte ich, als ich mich vor einen silbernen Mercedes quetschte und dem korpulenten Fahrer mein verführerischstes Lächeln zuwarf. Ich muss es Andrew schonend beibringen, dass wir bei meinen Eltern zum Essen eingeladen sind. Aber so schlimm war es auch wieder nicht. Wir konnten uns jederzeit auf dem Heimweg etwas vom Chinesen holen, wie wir es gewöhnlich taten, nachdem wir einer der ungenießbaren Kreationen meiner Mutter ausgesetzt gewesen waren. Ich überprüfte die Liste meiner Verabredungen, die am Schalthebel befestigt war, und sah, dass ich heute eine Reihe von Besichtigungen hatte, die alle im selben Stadtteil stattfanden – in Hollyfields. Hollyfields war eine Siedlung mittelgroßer, von der Kommunalverwaltung in den späten fünfziger Jahren gebauter Häuser. Heutzutage war Hollyfields eine ziemlich attraktive Wohnlage, wie wir es bezeichnen. Ein nicht überlaufener Stadtteil mit großen Grünflächen und vielen Bäumen und nicht weit vom Stadtzentrum entfernt. Und erschwinglich für durchschnittliche junge Paare, die verzweifelt versuchen, genug Geld zusammenzukratzen, um ein Haus zu kaufen. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Häuser bequem und geräumig waren im Vergleich zu den Neubauten, die in der gleichen Preiskategorie angeboten wurden.

Im Moment gab es eine Flut von Verkäufen in Hollyfields. Ich nahm an, dass es mit dem Alter des Stadtteils zu tun hatte. Die meisten der ursprünglichen Anwohner waren gestorben oder alt und lebten inzwischen in Pflegeheimen oder bei ihren Kindern. Und es ging das Gerücht um (jedenfalls in Immobilienhändlerkreisen), dass das riesige grüne Gelände hinter Hollyfields – wo traditionsgemäß die Kinder der Siedlung spielten – vorgesehen war als Baugelände für ein Hotel und Freizeitzentrum.

Bisher war dort allerdings noch nicht ein Rasenstück umgegraben worden, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass es je passieren würde. Die Grünzone war enorm groß und hatte eine sehr schöne Flusslage. Aber wenn man nicht vorhatte, sie per Boot zu erreichen, gab es keinen richtigen Zugang dazu. Ungeachtet der Gerüchte, erwartete ich keine großen Probleme, einige Häuser in dieser Gegend zu verkaufen.

Das erste Haus, das ich vorführen sollte, war die Nummer 14 – Sacre Coeur.