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Veronica Frenzel

Ein Jahr
in Andalusien

Reise in den Alltag

Originalausgabe



© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2010

Alle Rechte vorbehalten

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Datenkonvertierung eBook: le-tex publishing services GmbH, Leipzig



ISBN (E-Book) 978-3-451-33436-8

ISBN (Buch) 978-3-451-06171-4

September
Tausendundeine Nacht

Der Fahrtwind bläst mir heiß ins Gesicht, meine Oberschenkel kleben an den Kunststoffbezügen der Sitze, meine Augen brennen. Es ist Anfang September, und gerade bin ich über die Grenze zwischen Kastilien-La Mancha und Andalusien gefahren, durch die Schlucht von Despeñaperros. Vor mir ein Meer von Olivenbäumen, ab und zu taucht dazwischen ein weiß getünchtes Cortijo, ein Bauernhaus, auf. Ich drehe die Musik auf volle Lautstärke. Die Klänge der Flamenco-Fusion-Band Chambao dröhnen aus den kleinen Boxen, „Volando voy“ singt Frontfrau La Mari, ich fliege. Es ist eine Coverversion des Lieds der Flamenco-Legende Camarón de la Isla. In meinem knallroten VW-Bus bin ich auf dem Weg nach Granada. Später Nachmittag, die Sonne steht tief, der Asphalt der Autobahn flimmert in der Hitze. Die gefühlte Temperatur in meinem Bus liegt bei über vierzig Grad. Ich greife nach der Wasserflasche auf dem Beifahrersitz; sie ist kochend heiß. Ohne zu zögern, schütte ich mir den Rest des Wassers einfach über den Kopf. Aber die Erfrischung hält nur kurz an, schon nach wenigen Minuten hat der Fahrtwind mein T-Shirt wieder staubtrocken geblasen.

Drei Jahre ist es her, dass ich ein Jahr lang in Granada studiert und in dem arabischen Viertel Albayzin gelebt habe. Ein Anruf genügte, um mich wieder in die lebensfrohe Stadt am untersten Rand von Südspanien zu locken. Eine befreundete Regisseurin rief mich an, sie plane einen Dokumentarfilm über die spanische Frau. „Am liebsten würde ich in Andalusien drehen“, sagte sie und fügte schnell hinzu, ich würde mich dort doch sehr gut auskennen. Ob ich nicht die Vorrecherche und die Produktion übernehmen wolle. Mehr war nicht nötig, meine Entscheidung war gefallen. Den Job als Reporterin bei der Lokalausgabe einer Münchner Zeitung gab ich kurzerhand auf. Mein wichtigstes Hab und Gut packte ich in den Bus, und schon ging es los. Innerhalb von zwei Tagen hatte ich Frankreich und Nordspanien durchquert, nach einem Zwischenstopp bei einem Bekannten in Madrid ging es dann weiter nach Andalusien. Jetzt sitze ich in meinem Auto, singe laut „Volando voy“ mit der Sängerin von Chambao und beschließe, die vierzig Grad im Schatten zu genießen, während mein Blick immer wieder von der Straße in die von der Sonne golden angestrahlten Ölbaumhaine schweift.



In ein weiches Orangerot hat die Abendsonne die Stadt getaucht, als ich in Granada ankomme. Selbst die hässlichen Vorortsiedlungen, die ich auf dem Weg in die Altstadt passieren muss, bekommen in diesem Licht einen schönen Anstrich. Für die letzte Etappe der Fahrt habe ich echten Flamenco aus meiner CD-Sammlung gefischt, die sich während der drei Tage Fahrt auf dem Beifahrersitz und auf dem Boden verteilt hat. Camarón de la Isla singt jetzt „Como el Agua“. Auf der Hauptstraße Gran Vía de Colón empfangen mich der vertraute Lärm der röhrenden Vespas und die Halbwüchsigen, die auf ihren Mopeds ohne Helm und mitten im dichtesten Verkehr waghalsige Kunststücke vollführen. Touristen und Granadinos in luftigen Sommerkleidern drängen sich auf den Gehsteigen. Die ersten Nächte in meiner alten Heimat will ich bei meiner Freundin Esther verbringen. Sie wohnt mitten im Albayzin, meinem alten Viertel, das genau gegenüber der maurischen Palastanlage Alhambra liegt. Während ich im chronischen Stau an der Gran Vía stehe und aus dem Fenster das bunte Treiben auf den Gehwegen verfolge, erinnere ich mich an einen Schleichweg, der einem die lästige Parkplatzsuche in der Innenstadt erspart. In dem Viertel Haza Grande, genau oberhalb des Albayzin gelegen, gab es immer ausreichend Platz. Und auch jetzt enttäuscht mich der Geheimtipp nicht: Kaum bin ich in Haza Grande angekommen, stehe ich auch schon vor einer großen Parklücke. Ich packe Wäsche zum Wechseln, die Zahnbürste und die Kamera in meine Umhängetasche.

Bevor ich in die Gassen des Albayzin eintauche, halte ich kurz am Aussichtspunkt San Cristóbal an. Die Alhambra glüht jetzt rot, die letzten Sonnenstrahlen fallen auf die Stadt, dahinter liegen die grünen Gartenanlagen des Generalife bereits im Dunkeln, die Dachziegel des Häusermeers leuchten. Ich atme die Stimmung ein, jeden Moment, so scheint es, könnte hinter einer Ecke ein dunkelhäutiger Maure mit Kopftuch auftauchen. Ein Hochgefühl macht sich in mir breit, und die Müdigkeit der Autofahrt ist plötzlich von mir abgefallen. Beschwingt laufe ich die Gassen hinunter.

An der Plaza Larga, wo Esther wohnt, tobt jetzt in den frühen Abendstunden das Leben. Ein junger Mann mit Thaihosen und Rastazöpfen, der auf einer Bank sitzt, spielt auf seiner Gitarre eine Bulería, ein Mädchen in kurzem Sommerkleid steht daneben und begleitet ihn mit ihren Händen – die Palmas, die Handflächen, sind eines der wichtigsten Instrumente beim Flamenco. Ein paar der Tische auf dem Platz sind schon besetzt, die Kellner tragen Cañas, kleine Gläser mit Bier, heraus, dazu gibt es riesige Portionen Ensaladilla Rusa – Kartoffel-Mayonnaise-Salat – oder Weißbrot mit Chorizo, scharfer spanischer Paprikawurst. Wer in Granada ein Bier trinken geht, muss sich um sein Abendessen nicht mehr sorgen. Zu jedem Getränk gibt es ungefragt eine Tapa dazu.

Ich klopfe an der niedrigen Holztür. Es dauert ein bisschen, bis Esther mit verschlafenem Gesicht öffnet. „Hola!“, ruft sie mir entgegen und fällt mir um den Hals. Ein riesiger Hund drängt sich zwischen uns, „der gehört meinem neuen Freund“, sagt sie, als sie mich wieder aus der Umarmung entlässt, und da sehe ich schon schemenhaft hinter ihr in der Dunkelheit des Wohnzimmers einen langhaarigen Mann mit nacktem Oberkörper auf dem Sofa sitzen. „Wir haben gerade Siesta gehalten“, sagt sie entschuldigend und reibt sich die Augen. Seit ich Esther vor ein paar Jahren kennengelernt habe, wechselt sie ihre Freunde genauso oft wie ihre Jobs. Immer ist es die große Liebe, und immer hält sie höchstens ein paar Monate. „Komm rein, das ist Pedro“, stellt sie uns vor. Zwei Küsschen, und ich nehme neben ihm auf dem Sofa Platz. Während Pedro sich einen Tee macht, klärt Esther mich über die wichtigsten Veränderungen in ihrem Leben auf. Esther ist Sozialarbeiterin und wieder einmal auf der Suche nach dem nächsten Aushilfsjob, Pedro ist seit ein paar Monaten da – ein kleiner Rekord – und es hört sich alles so an, als würde er auch länger bleiben.

Eine Hand dreht eine Zigarette, die andere sucht zwischen den Sofaspalten nach einem Feuerzeug. Esther inhaliert tief und sagt dann wie nebenbei: „Du hast übrigens schon ein Zimmer. Bei Charo ist was frei. Nachher schauen wir bei ihr vorbei.“ „Das ist ja wunderbar!“ Charo ist eine junge Künstlerin, die in einem wunderschönen alten Haus mit Blick auf die Alhambra wohnt, nur ein paar Straßen weiter. Als ich in Granada studierte, war ich oft bei ihr auf der Dachterrasse. Es war damals so etwas wie der Treffpunkt unseres Freundeskreises nach der Uni. Wenn ich in Deutschland an Granada zurückdachte, erinnerte ich mich unweigerlich an Charos Terrasse.

Am liebsten würde ich gleich zu ihr gehen und alte Zeiten wieder aufleben lassen, aber erst einmal setzen wir uns an einen der Tische an der Plaza Larga und bestellen uns ein paar Bier. Kaum haben wir uns niedergelassen, springt Esther schon wieder auf und begrüßt ein Pärchen, das nebenan auf einer Bank sitzt. Die beiden gesellen sich dazu, und innerhalb weniger Minuten hat sich eine große Gruppe um uns geschart. Granada, wie es in meiner Erinnerung lebt. „Das ist Veronica“, stellt Esther mich vor, und ich begrüße jeden Neuankömmling mit zwei Wangenküsschen. Alle reden durcheinander, langweilig wird es nie, ich fühle mich wieder mitten in mein Studentenleben zurückversetzt. Nach zwei Bier sind wir satt und einer schlägt vor, zum Aussichtsplatz Mirador de San Nicolás zu gehen.

Auf dem Spaziergang durch die verwinkelten Gassen des Viertels erzähle ich Eva, einer jungen Frau aus der Gruppe, dass ich auf der Suche nach Protagonistinnen für einen Dokumentarfilm über die andalusische Frau bin. Gleich ist sie von der Idee begeistert und sieht sich anscheinend schon in der Rolle der Protagonistin, denn sie erzählt mir von der eigenen Familie, vor allem von ihrer Großmutter. Die Geschichte klingt wirklich spannend. Seit sie Witwe ist, ist die alte Dame anscheinend richtig aufgeblüht. „Sie tanzt Flamenco, spielt Theater und trifft sich mit Freundinnen zum Kaffee. Als mein Opa noch lebte, wirkte sie hingegen, als wäre sie schon fast tot. Sie ging nie raus, war den ganzen Tag mit Kochen und Putzen beschäftigt und war ihm zu Diensten.“ Eva selbst hat Regie in Barcelona studiert und versucht sich jetzt mit Kurzfilmen über Wasser zu halten. Ich notiere sofort ihre Telefonnummer und wir verabreden uns vage auf einen Tee in den nächsten Tagen.

Vom Mirador San Nicolás blickt man direkt auf die Alhambra. Jetzt, im Dunkeln, sieht die gelb angestrahlte Palastanlage aus, als würde sie über der Stadt, in der nur ein paar Lichter brennen, schweben. Auf dem Platz spielt jemand auf der Gitarre, ein Mädchen jongliert mit Feuerbällen, ein Junge trommelt auf einem afrikanischen Djembé. Zur fortgeschrittenen Stunde verirrt sich kaum ein Tourist auf den Platz, der weit oben im Albayzin liegt, die Bewohner, fast ausschließlich junge Alternative und Gitanos, spanische Roma, haben ihn jetzt ganz für sich. Als es schon fast zwölf Uhr ist, packt mich Esther am Arm. „Lass uns zu Charo gehen.“ Pedro lässt sie auf dem Platz zurück, er ist gerade in ein Gespräch vertieft.

Nur ein paar hundert Meter entfernt liegt das einstöckige Häuschen, in dem Charo in einer Zweier-Wohngemeinschaft lebt. „Tanto tiempo! – So viel Zeit ist vergangen“, begrüßt sie mich stürmisch und drückt mich fest. Als wir uns wieder loslassen, steuert sie in die Küche, holt eine große Bierflasche aus dem Kühlschrank und lotst uns auf die legendäre Dachterrasse. „Das passt perfekt, mein letzter Mitbewohner ist gerade ausgezogen“, sagt sie, nimmt einen großen Schluck aus der Flasche und reicht mir dann das Bier. Ich erzähle ihr von meinen Plänen, ein paar Monate in Granada zu bleiben, um für den Dokumentarfilm zu recherchieren. „Hier gibt es eine riesige Auswahl an interessanten Andalusierinnen“, sagt sie augenzwinkernd, Charo steht auf Frauen, und: „Du kannst gleich morgen früh mit deinen Sachen vorbeikommen.“ Dann erzählt sie von ihrem neuen Projekt, im Rathaus soll sie einen Saal bemalen. Esther und ich lauschen begeistert, doch plötzlich überkommt mich eine große Müdigkeit. Ich merke jetzt doch, dass ich fast drei Tage lang hinterm Steuer gesessen bin.



Am nächsten Morgen schlafen Esther und Pedro noch, als ich aus dem Haus gehe. In den Gassen des Albayzin ist es still, die Sonne brennt auch im September schon um neun Uhr gnadenlos auf die Stadt herunter. Obwohl ich nur ein leichtes Sommerkleid anhabe, bilden sich Schweißperlen auf meiner Stirn. Meine neue Mitbewohnerin ist bestimmt auch noch nicht wach, weshalb ich beschließe, erst einmal zu frühstücken. In einer kleinen Bar hinter dem Mirador San Nicolás bestelle ich am Tresen einen Café con Leche und ein getoastetes Weißbrot mit geriebener Tomate und Olivenöl. Der Kellner scheint ein Morgenmuffel zu sein, meine Bestellung nimmt er entgegen, ohne die Miene zu verziehen, und als ich nach der Tageszeitung frage, legt er sie mir wortlos neben den Kaffee. Trotzdem kann ich mir gerade keinen besseren Start in den Tag vorstellen.

Als ich wieder aufblicke, lässt sich eine Gruppe Marokkaner an einem der Tische auf der Terrasse nieder. „Sie waren bestimmt gerade beim Morgengebet in der Moschee von Granada“, sage ich halblaut vor mich hin. Mit einer Antwort des Kellners rechne ich nicht. In der Nähe des bekannten Aussichtspunkts hat die islamische Gemeinde der Stadt im Jahr 2003 den Tempel eingeweiht, mitten im arabischen Viertel Albayzin. Mehr als fünfhundert Jahre waren da seit der christlichen Rückeroberung der Stadt durch die Katholischen Könige im Jahr 1492 vergangen; in all den Jahren hatte es keine Moschee in der Stadt gegeben. In den engen Straßen von Granada war der Geist der Mauren, der mittelalterlichen islamischen Besatzer der Iberischen Halbinsel, zwar stets präsent, aber erst in den letzten Jahren kamen auch die Muslime zurück. Den Anfang machten die Marokkaner, die im unteren Albayzin Teehäuser eröffneten und Schmuck und Kleider aus ihrer Heimat verkauften. Zu der islamischen Gemeinschaft gehören heute aber auch viele Spanier und Europäer, die zum Islam konvertiert sind.

„Cuánto es? – Wie viel macht das?“, frage ich den Kellner. Nachdem er kassiert hat, frage ich ihn noch, ob man die Moschee einfach so besuchen könne. „Ja“, sagt er mürrisch. Es scheint nicht sein Lieblingsthema zu sein. „Gleich gegenüber ist der Eingang.“

Die Architekten des Tempels haben sich an der alten maurischen Bauweise orientiert. Überall sind Sterne und Halbmonde versteckt, auch der Garten ist sternförmig angelegt, in der Mitte plätschert ein kleiner Brunnen, verziert mit bunten maurischen Kacheln. Die Moschee selbst ist ein riesiger runder, mit Teppichen ausgelegter Raum. Ein paar Männer in weiten weißen Hosen und Hemden reden und gestikulieren wild in einer Ecke. Auf einem schwarzen Brett sind verschiedene Termine angeschlagen. Ganz unten steht, dass Besucher nur auf Anmeldung empfangen werden. Bevor ich die Moschee eilig verlasse, sehe ich noch, dass am nächsten Dienstag ein Vortrag über den modernen Islam in Granada stattfindet. Klingt spannend, ich notiere mir den Termin im Notizbuch.

Als ich bei Charo klopfe, macht sie sofort auf. Sie trägt einen weißen Kittel, voller Farbtupfer, und auch ihre Hände haben ein paar Spritzer abbekommen. „Ich habe gerade meine kreative Phase“, sagt sie und lacht verlegen. „Willst du einen Kaffee?“ Sicher, auch wenn ich gerade einen getrunken habe, sage ich nicht nein. Denn das ergibt eine gute Gelegenheit, mit Charo zu plaudern. Während sie sich in der Küche zu schaffen macht, schaue ich mir die Wohnung genauer an. Obwohl ich schon so oft da war, habe ich mir die Zimmer nie genau angesehen. Die Wände sind innen genauso weiß gekalkt wie außen. Das Wohnzimmer, wo ich schon so oft gesessen bin, hat einen großen offenen Kamin, davor sind zwei gemütliche Sofas angeordnet, dahinter ein großer Esstisch und ein Bücherregal. Eine schmale Treppe führt von hier hinauf auf die Dachterrasse, ein Gang zu den übrigen Zimmern. „Deines ist das auf der linken Seite!“, ruft Charo mir aus der Küche zu; anscheinend hat sie mitbekommen, dass ich die Wohnung inspiziere. Ich öffne die Tür und stehe in einem winzigen Raum, der fast vollständig von einem Doppelbett ausgefüllt ist. Unter einem Fenster stehen ein kleiner Schreibtisch und ein Stuhl, rechts ein Bücherregal, links eine Kommode. Eigentlich ist das Zimmer viel zu klein, um sich wohlzufühlen, aber der Blick aus dem Fenster überzeugt mich sofort. Außerdem ist es bestimmt spannend, mit Charo zusammenzuleben. Vor mir sehe ich die Alhambra, dahinter das Gebirge Sierra Nevada. „Die Aussicht ist ja unschlagbar“, sage ich zu Charo, als ich wieder in der Küche bin. Wir bleiben an dem runden Tisch sitzen, auf der Dachterrasse ist es jetzt um elf Uhr schon viel zu heiß.

Ich verrate Charo nicht, wie sehr es mich auch reizt, ihr Künstlerleben in Nahaufnahme zu sehen. Vielleicht lerne ich von ihr ja, ein bisschen mehr in den Tag zu leben und nicht immer alles so genau zu planen. „Darf ich deine Bilder sehen?“, frage ich sie also. Charo ziert sich erst ein wenig, führt mich dann aber doch in ihr Atelier. Ein kreatives Chaos. An den Wänden lehnen bunte Farbexplosionen. Anstatt auf Leinwände malt sie ihre lebensfrohen Gemälde auf ausrangierte Holztüren. Am Boden stehen Töpfe mit einem großen Vorrat an Grundfarben. „Que original!“, sage ich, und Charo sieht unsicher zu Boden. „Findest du?“ Ihre kreative Phase scheint vorbei zu sein, sie blickt skeptisch auf ihr Werk. „Ich muss weg, um zwölf Uhr fange ich zu arbeiten an“, sagt sie dann unvermittelt. Charo klärt mich auf, dass sie drei Tage in der Woche in einer Tetería, einer Teestube, aushilft, um überleben zu können. Der Job im Rathaus ist vermutlich nur ein einmaliger Großauftrag. Auch meine Miete wird ihr Einkommen bestimmt aufbessern. In Granada ist es üblich, sich von Mitbewohnern mehr als die Hälfte des Mietpreises bezahlen zu lassen. Sie gibt mir den Schlüssel und ist schon im Bad verschwunden.

Auf dem Weg zu meinem VW-Bus klopfe ich bei Esther. Die beiden sind gerade mit dem Frühstück fertig geworden. „Gefällt es dir?“, fragt sie mich. „Das Zimmer ist zwar klein, aber der Ausblick ist einmalig“, antworte ich. „Wir helfen dir, deine Sachen in dein neues Heim zu bringen“, sagt sie und stößt Pedro an. „Es ist gerade total heiß“, merke ich an, aber die beiden haben anscheinend keine Angst vor der Hitze. Voller Tatendrang laufen sie mit mir zu meinem Auto. „Que guay! – Wie cool“, sagt Pedro, als er meinen Bus sieht. „Ich wollte auch immer so einen haben.“ „Der ist nur etwas für jemanden, der etwas von Motoren versteht“, erkläre ich ihm, und damit es keine Missverständnisse gibt, füge ich gleich an: „Ich glaube, ich sollte ihn bald abgeben.“ Auf den letzten Kilometern vor Granada hat der Motor verdächtig gequalmt – obwohl ich alle paar hundert Kilometer den Kühlwasserstand überprüft habe. Zwei große Rucksäcke und zwei Kisten warten im hinteren Teil, die Fenster hatte ich für die Reise mit Tüchern verdeckt, damit keiner auf dumme Gedanken kommt. Ich hänge mir beide Rucksäcke um, Esther und Pedro schnappen sich die Kisten.

Wieder alleine, verstaue ich meine Siebensachen in dem Minizimmer. Als ich Fotos und Bücher im Regal platziere, fällt mir eine Postkarte entgegen. Die Alhambra ist zu sehen und auf der Rückstücke steht in sorgfältiger Schrift: „Para Veronica. Para que no me olvide. – Für Veronica. Damit sie mich nicht vergisst.“ Die Karte ist nicht unterschrieben. Jaime, meine Romanze aus der Studienzeit, hat sie mir geschickt, als ich gerade wieder zurück in Deutschland war. Ich habe den schmalen jungen Mann mit den langen braunen Locken und dem verschmitzten Lachen nicht vergessen. Vielleicht hat die Erinnerung an ihn sogar dazu beigetragen, dass ich so Knall auf Fall nach Andalusien aufgebrochen bin, als sich die erste Gelegenheit bot? Aber ich zweifle daran, dass er sich überhaupt noch an mich erinnert. Romantische Sprüche hatte er ständig auf den Lippen, mich machte er damit ganz schwach. Doch ich erinnerte mich immer wieder daran, dass ich bestimmt nicht das erste Nordlicht war, das er damit bezirzte. Nachdem wir uns in einer Nacht in der Flamencobar Eshavira kennengelernt hatten, besuchte er mich noch ein paar Mal in Granada. Jaime lebt in Málaga, rund hundert Kilometer weiter südlich, an der Costa del Sol. Als ich zurück in München war, schickten wir uns noch ab und zu eine Postkarte, aber irgendwann brach der Kontakt ab.

Mein Ausflug in die Vergangenheit erinnert mich daran, dass ich Flamenco tanzen lernen will. Vielleicht entdecke ich dort auch gleich ein paar mögliche Protagonistinnen für den Film. Also mache ich mich auf in das Viertel Sacromonte, dorthin, wo die meisten Gitanos der Stadt leben. Sie sind die Schöpfer des andalusischen Blues. Die Leidenschaft, mit der sich die Sänger in die Geschichten der Lieder hineinversetzen, fasziniert mich, seit ich das erste Mal in einem Flamenco Tablao war. Jaime war es, der mir damals in der Bar Eshavira erklärte, um was es in den Stücken ging. Die Zutaten waren immer die gleichen: eine schwache, wunderschöne Frau, ein weiser, leidenschaftlicher Mann und ein große, aber meist unmögliche Liebe. Jaime ist ein Liebhaber des Flamenco, deshalb kam er oft sonntags nach Granada, wenn im Eshavira eine Aufführung anstand. Das ernsthafte Mienenspiel und die filigranen Handbewegungen der Tänzerinnen, die in Andalusien jedes kleine Mädchen nachahmt, wenn Flamenco ertönt, wollte ich seitdem auch können.

In dem Viertel Sacromonte drängen sich niedrige Häuser an die steilen Hänge des Tals Valparaíso, im Osten von Granada. Die flachen Häuser sind aber nicht so klein, wie sie aussehen: Die Gitanos haben den Fels ausgehöhlt, um mehr Platz zu schaffen. Im 16. Jahrhundert ließen sich hier die Ausgegrenzten der damaligen Gesellschaft nieder. Dazu gehörten neben Mauren und Juden auch die Gitanos, die gerade in Andalusien angekommen waren – angeblich aus Indien. Der Legende nach sollen die Andersgläubigen ihre Schätze zwischen den Olivenbäumen im Tal Valparaíso versteckt haben, als die Katholischen Könige sie im Jahr 1570 endgültig aus Spanien vertrieben, weil sie nicht alles mitnehmen konnten und weil sie davon ausgingen, bald wiederzukommen. Als die Gitanos dann allein zurückblieben, sollen sie auf der Suche nach den Schätzen die Höhlen in den Berg gegraben haben, in denen sie heute noch immer leben. Auch jetzt noch sind die Gitanos eine Randgruppe in der spanischen Gesellschaft. Die Arbeitslosenzahl liegt bei ihnen wesentlich höher als in der übrigen Gesellschaft, sie machen viel seltener Abitur als die Payos, wie die Gitanos die übrigen Spanier nennen, und auch die Statistik der Drogenabhängigen führen sie an. Flamencospektakel für Touristen locken heute in Scharen Urlauber nach Sacromonte; die Gitano-Folklore ist gefragt. Aber auch wenn tatsächlich viele Lokale für die Touristen eingerichtet worden sind, schlägt hier wirklich das Herz des Flamenco.

In den Gassen von Sacromonte fühle ich mich wie in einem Dorf. Kaktusfeigen krallen sich an die Felswände, die Häuser haben alle nur eine Etage, auf den flachen Dächern flattert zum Trocknen aufgehängte Wäsche im Wind. Auf einem der kleinen Plätze des Viertels treffe ich auf eine Gruppe junger Mädchen, die zusammensitzen und plaudern. „Hola, kennt ihr jemanden, der Flamenco-Unterricht gibt?“, frage ich sie. Die Mädchen kichern. Anscheinend finden sie die Vorstellung, dass ich als Ausländerin Flamenco lernen will, komisch. Kurz bin ich verunsichert, aber so schnell lasse ich mich nicht von meinem Vorhaben abbringen. Nachdem ich noch mal nachfrage, erbarmt sich eines der Mädchen meiner. „Ven! – Komm mit“, sagt sie und führt mich zu einem der niedrigen Häuser gleich in der Nähe.

„Amaraaa!“, schreit sie, die letzte Silbe des Namens zerrt sie in die Länge, gleichzeitig klopft sie energisch an die Tür. Eine ältere Frau mit argwöhnischem Blick öffnet. „Sie will Flamenco lernen“, sagt das Mädchen und zeigt auf mich. Die Frau mustert mich von oben nach unten, dann gibt sie mir anscheinend das Placet, denn mit einer kurzen Kopfbewegung gebietet sie mir, hereinzukommen. Das Mädchen verschwindet, und einen Moment lang wundere ich mich über meine eigene Courage. Im Halbdunkel der Höhlenwohnung erkenne ich vage Schwarz-Weiß-Fotografien einer Flamencotänzerin. Der Fernseher läuft, und eine große schwarze Katze räkelt sich auf dem Esstisch. Die Frau setzt sich auf einen Sessel, die Katze springt auf ihren Schoß, und sie beginnt, das Tier zu kraulen. „Du willst also Flamenco tanzen“, sagt sie, ohne aufzublicken. Ich bin nervös wie bei einem Bewerbungsgespräch. „Sí“, mehr bringe ich nicht heraus. „Setz dich doch“, sagt die alte Gitana plötzlich freundlich, und das Eis ist gebrochen. Sie erklärt, dass sie Amara heißt, was auf Kalé, der Sprache der Gitanos, die Frau mit den braunen Füßen heißt. Früher sei sie eine bekannte Tänzerin gewesen und sogar in Madrid aufgetreten. „Die Aufnahmen sind von mir“, sagt sie stolz und zeigt auf die Fotos an der Wand. Meine Augen haben sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt, eine wunderschöne Frau mit schwarzen Augen, dunkler Hautfarbe, markanter Nase und schwarzem, streng nach hinten gebundenem Haar blickt mir von den Bildern entgegen. Auf keiner der Fotografien lächelt sie, ihr Blick ist immer todernst. „Geben Sie Unterricht? “, frage ich. „Ja, aber nur einer Handvoll Mädchen aus dem Viertel“, sagt sie. „Du solltest zu einer der großen Schulen im Zentrum gehen“, rät sie mir. Doch dass ich bei einer echten Gitana Flamenco lernen will und nicht in einer der modernen Ausbildungsstätten in der Altstadt, habe ich mir fest vorgenommen. „Kann ich es nicht einmal bei Ihnen versuchen?“, frage ich nachdrücklich und setze meinen nettesten Blick auf. „Vale – Also gut“, sagt sie schließlich, „komm morgen um sieben Uhr hier vorbei.“

Als ich am nächsten Tag zu der abgemachten Zeit an ihrer Tür stehe, höre ich schon die rhythmische Musik und das Stampfen der klobigen Absatzschuhe auf dem Steinboden der Höhle. Ich habe mir zu dem Anlass trotz der Hitze extra einen langen Rock und feste Schuhe angezogen. Als ich in die Höhle trete, sehe ich drei wunderschöne Gitanas mit Flamencoschuhen, schwarzen, gerafften Kleidern und elegant bestickten Dreieckstüchern, den Mantones. Sie drehen sich grazil um sich selbst, bewegen ihre Hände mit einer unnachahmlichen Grazie. Am liebsten würde ich gleich wieder rückwärts aus der Tür gehen, aber Amara hat mich schon entdeckt. „Hast du etwa keine anständige Kleidung?“, fragt sie forsch. Sie verschwindet im hinteren Teil der Höhle und kramt einen Flamenco-Rock hervor. Doch sofort wandert ihr Blick zu meinen Füßen. „Hier, zieh das an. Und richtige Schuhe brauchst du auch unbedingt.“ Sie schnalzt ein paar Mal laut mit der Zunge. Kleinlaut sage ich: „Ich glaube, am besten schau ich heute nur zu …“ „Nichts da“, unterbricht mich Amara hart und herrscht mich dann an: „Venga! – Auf geht’s.“ Ich reihe mich also neben den drei Grazien ein, Amara richtet sich vor uns auf und blickt herausfordernd geradeaus. Ihren Rock lüpft sie mit beiden Händen hoch, damit wir ihre Füße sehen können. Dann geht es los. Wie ein Wirbelwind stampft sie im Takt der Musik auf den Boden, den übrigen Körper hält sie steif, nur die Füße sind in ständiger Bewegung. Dann lassen ihre Hände den Rock fallen und beginnen wie Wellen um ihren Körper zu tanzen. Die Finger spreizen sich grazil ab. Meine drei Mitstreiterinnen tun es ihr gleich, nur ich bleibe wie ein Stock stehen. Amara korrigiert die Bewegungen der Mädchen scharf, an denen in meinen Augen nichts zu bemäkeln ist. Für mich hat sie kein Wort übrig. Ich versuche alles nachzuahmen, fühle mich aber eher wie ein Trampeltier als wie eine Flamencotänzerin.

Die Stunde vergeht wie in Zeitlupe. Ich warte, bis die drei Mädchen sich verabschiedet haben, dann sage ich: „Amara, ich glaube, ich muss Einzelstunden nehmen. In deine Gruppe kann ich nicht einsteigen.“ Ich scheine ihr wirklich sympathisch zu sein, denn sie bietet mir tatsächlich an, sich meines hoffnungslosen Falles anzunehmen. Dann gibt sie mir noch den Namen eines Geschäfts mit, in dem ich mir die notwendige Ausrüstung kaufen kann. Das Abenteuer Flamenco wird ernster als erwartet. Aber jetzt kann ich keinen Rückzieher mehr machen. Ich lasse die Höhlen des Sacromonte zurück, durchquere die Gassen des Albayzin und nehme Kurs auf die moderne Stadt, um mich als Flamenca auszustatten. Ich bin mitten im Leben von Granada angekommen.

Oktober
Die Liebe im Flamenco-Lokal

Schon ein paar Mal war ich im Eshavira, seit ich in Granada angekommen bin. Doch jedes Mal schlägt mein Herz höher, wenn ich die Holztreppe erklimme, die zu dem niedrigen Raum führt, in dem die Bühne des Lokals liegt. Mein Blick erfasst dann sofort alle Gesichter, und erst wenn ich sicher bin, dass ER nicht da ist, suche ich mir einen Platz, am besten mit Blick auf den Eingang. Das Lokal, in dem jeden Sonntag ab elf Uhr abends Flamenco live zu sehen und hören ist, ist für mich untrennbar mit Jaime verbunden. Kaum betrete ich die verrauchte Kneipe, taucht sein Lockenkopf vor meinem inneren Auge auf. Heute Nacht ist es nicht anders. Nur dass dieses Mal mein Herz zu rasen beginnt, als ich die letzte Stufe überwunden habe. Denn da sitzt er in einer Ecke, ganz in die Musik versunken, und klopft den Rhythmus mit der flachen Hand auf den Tisch. Ich bleibe zuerst wie versteinert stehen, alle andalusische Leichtigkeit, die ich nach ein paar Wochen Granada verinnerlicht zu haben glaubte, ist auf einen Schlag von mir gewichen. Schließlich reiße ich mich zusammen und gehe auf ihn zu. „¡Hola, que sorpresa! – Was für eine Überraschung!“, sage ich möglichst beiläufig. Jaime blickt mich mit großen, dunklen Augen an und lächelt, schnell setze mich neben ihn, damit er meine Aufregung nicht gleich bemerkt. Wir sind beide alleine da, so wie damals, als wir uns vor drei Jahren kennengelernt haben. „¿Qué tal? ¿Qué haces en Granada? – Wie geht’s? Was machst du in Granada?“, fragt Jaime mich sofort. Offensichtlich ist er überrascht, mich wiederzusehen. Er hat sich gar nicht verändert. Ich entspanne mich, und ehe ich mich versehe, tauschen wir uns lebhaft über die vergangenen drei Jahre aus, und gerade als wir zu unserem jeweiligen Beziehungsleben gelangen, treten der Flamencosänger und die Tänzerin auf die Bühne.

Als der letzte Handschlag der Palma erklingt, verlassen wir das stickige Lokal und nehmen Kurs auf den Platz vor der Kathedrale von Granada, wo immer ein paar Studenten jonglieren und andere Kunststücke vollführen, marokkanische Einwanderer, die tagsüber ihre Waren im Albayzin verkaufen, beim Bier mit Granadinos plaudern. Jetzt, Mitte Oktober, wird es nachts schon kühl am Fuß der Sierra Nevada. Jaime erzählt mir wieder von den Flamencoliedern, deren Texte ich leider nur selten verstehe, weil die Cantaores, die Sänger, die Silben so lange halten, bis sie für mich jeden Sinnzusammenhang verlieren. Dann wage ich es tatsächlich, ihm das Ergebnis meiner wöchentlichen Bemühungen, den Flamencotanz zu lernen, vorzuführen. Er sieht mir mit ernsthaftem Gesichtsausdruck dabei zu, wie ich meine Hände in der Luft winde und versuche, ein paar Taconazos, ein paar feste Schritte im Flamenco-Rhythmus, auf das Kopfsteinpflaster des Kathedralenplatzes hinzulegen; plötzlich prustet er los. Sofort ringt er um Fassung und entschuldigt sich, doch auch ich breche in Lachen aus. Ein Blick in sein Gesicht genügt und ich kann mir genau vorstellen, wie meine Darbietung ausgesehen haben muss. Mit meinem Trampeltier-Gefühl lag ich vermutlich gar nicht falsch. Rhythmus und Koordination waren noch nie meine Stärke. Bei meinen Versuchen, Jazztanz, Salsa oder Standardtänze zu üben, bin ich irgendwann immer frustriert vom Parkett gezogen. Wieso sollte das beim Flamenco – wo es nicht nur auf die Schrittfolge, sondern auch noch auf das richtige Gefühl, „El Arte“, wie es die Andalusier nennen, ankommt – anders sein? „Ich frage mich wirklich, wieso Amara sich so viel Mühe mit mir gibt. Meinst du, sie hat einen siebten Sinn und mein verborgenes Talent entdeckt?“, frage ich, und wieder müssen wir lachen. „Vielleicht sieht sie deinen Fall ja als besondere Herausforderung an?“ Aufgeben werde ich meine Tanzstunde aber trotz mangelnden Talents nicht, der andalusische Ausdruckstanz fasziniert mich viel zu sehr, als dass ich schon jetzt einen Rückzieher machen würde.

Gott sei Dank hatte Jaime nicht erwartet, dass ein Flamencostar in mir schlummert. Auch den Rest des Abends ist er witzig und charmant, bietet mir seine Jacke an und kündigt an, als die Kirchturmglocken zwei Uhr schlagen, er werde jetzt zurück nach Málaga fahren. Mein Angebot, zu so später Stunde das Auto lieber stehen zu lassen und bei mir zu übernachten, schlägt er aus. Dafür besteht er darauf, mich bis zu meiner Haustür zu begleiten und dass ich ihn bald in Málaga besuchen kommen soll. Bevor ich mich schlafen lege, ziehe ich mir einen dicken Pullover über und setze mich auf die Terrasse. Vor mir liegt die beleuchtete Alhambra. In ein paar Wochen werde ich mich auf den Weg nach Málaga machen und mir Jaimes Zuhause näher ansehen.

Als ich am nächsten Morgen zu meiner Lieblingsbar schlendere, die Tageszeitung El País unterm Arm, begegnet mir Esther. „Hola Gordi“, sagt sie. Als sie mich das erste Mal mit „Hallo Dicke“ ansprach, musste ich schlucken. Doch als ich sie fragte: „Meinst du das ernst?“, musste sie loslachen. Mittlerweile weiß ich, dass es sich dabei um eine liebevolle Anrede unter Freunden handelt. Dennoch zählt Gordi eindeutig nicht zu meinen liebsten andalusischen Kosenamen. Guapa – Hübsche, Chula – Coole oder Chiqui – Kleine höre ich viel lieber. Esther ist auf dem Weg zu einem Bewerbungsgespräch, doch in Gedanken schon beim nächsten Wochenende. Sie lädt mich ein, gemeinsam mit Pedro und ihr Freunde in der Alpujarra zu besuchen. Ich sage sofort