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Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

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20.

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2489

 

Schach dem Chaos

 

Perry Rhodans wagemutiger Plan – eine Superintelligenz im Visier

 

Michael Marcus Thurner

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

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Die Lage für Perry Rhodan und die Menschheit ist verzweifelt: Eine gigantische Raumflotte, die Terminale Kolonne TRAITOR, hat die Milchstraße besetzt. Sie wirkt im Auftrag der Chaotarchen, und ihr Ziel ist kompromisslose Ausbeutung.

Die Milchstraße mit all ihren Sonnen und Planeten soll als Ressource genutzt werden, um die Existenz einer Negasphäre abzusichern. Dieses kosmische Gebilde entsteht in der nahen Galaxis Hangay – ein Ort, an dem gewöhnliche Lebewesen nicht existieren können und herkömmliche Naturgesetze enden.

Mit verzweifelten Aktionen gelingt es den Menschen auf Terra und den Planeten des Sonnensystems, dem Zugriff der Terminalen Kolonne standzuhalten. Sie verschanzen sich hinter dem TERRANOVA-Schirm und versuchen, die Terminale Kolonne zu stören.

Um die Milchstraße zu retten, muss zuerst Hangay in eine normale Galaxis zurückverwandelt werden: Die Retroversion der dort entstehenden Negasphäre ist folglich oberstes Gebot. Perry Rhodan bricht, wie zuvor Atlan, in die benachbarte Galaxis auf. In der Kernzone angekommen, sammeln sich die Verbündeten zum SCHACH DEM CHAOS …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner erhält Besuch in der Sauna.

Dao-Lin-H’ay – Die Kartanin muss sich um eine Friedensfahrerin und um Unterstützung aus Hangay kümmern.

Log-Aer-M’in – Die Hangay-Kartanin sammelt und schätzt alte Werke über den Krieg, nicht aber den Krieg an sich.

Ejdu Melia – Die Friedensfahrerin unterliegt einer verhängnisvollen Metamorphose.

Einsamkeit ist der Lohn für den siegreichen Strategen

 

 

1.

Log-Aer-M’in

 

»Die Legende der Ach-Mar-T’an besagt: Am Ende, wenn Schmerz und Furcht überwunden sind, wird es nur noch ein Volk geben: die Kartanin«, las Log-Aer-M’in mit lauter Stimme. »Es ist ihre Pflicht, die dunklen Zeiten zu durchwandern, um gestärkt aus den Schlachten hervorzugehen. Erst wenn sie das Elend des tiefsten, grässlichsten Jammertals durchlebt haben, werden sie weise und gerecht zu herrschen wissen.«

Log-Aer-M’in legte den »Almanach der Kampfesweisheiten« beiseite. Das Buch, zwölfte Auflage aus der Zeit der Dynastie der N’amh und inspiriert durch eine Historikerin der Ardustaar-Kartanin, war ihr wertvollster Schatz. Die Aphorismen in dieser Melange aus Hangay und M 33 erschienen ihr zu pathetisch und allgemein formuliert. Doch es steckte viel Wahrheit in ihnen.

Zufrieden lehnte sie sich zurück und ließ ihre Blicke über die aus Dacoskernholz gefertigten Bücherborde wandern. Die geschicktesten Schreiner, Tischler, Intarsienkünstler, Beizer und Regeltechniker hatten sich mit diesem Wunder beschäftigt, das in jedem Standardwerk über Innenarchitektur der Neuzeit Aufnahme gefunden hätte, wenn …

Ja. Wenn.

Log-Aer-M’in schob die Kratzdecke zurück und erhob sich. Beide Beine schmerzten. Manche ihrer Wunden waren trotz des Einsatzes modernster Medizin und Hilfsmittel niemals richtig verheilt. Sie wusste, dass sie als Kämpferin an vorderster Front versagt hatte. Als Strategin jedoch …

Sie winkte mit zwei Krallenfingern. »Augen voller Tränen N’jalas«, ein Untergrund-Roman, der vor mehreren hundert Jahren großes Aufsehen erregt und die damaligen Hohen Frauen ins Zentrum einer wohl fundierten Kritik gestellt hatte, glitt aus dem Regal.

Ein elektrostatisches Feld umgab die vergilbten Blätter. Es filterte Luftfeuchtigkeit und störendes Licht aus und verhinderte Pilzbefall. Log-Aer-M’in spürte die schützende Energie. Ihre Hautballen prickelten leicht. Keine Hand, kein Tropfen Schweiß würde jemals wieder mit dieser unbezahlbaren Schrift in direkte Berührung kommen.

Das Restlignin wurde von winzigen, unsichtbaren Robotmilben begutachtet und gegebenenfalls nachgebleicht. Die Tierchen, speziell für Log-Aer-M’ins Bedürfnisse gezüchtet, begegneten mit ihrer vielfältigen körpereigenen Chemieküche auch dem Papierfraß und etwaigen Schmarotzern.

Sie nickte zufrieden. Die Finessen, die ihre Bibliothek zu bieten hatte, wurden selbst in führenden Büchereien und Museen als beispielhaft angesehen.

Log-Aer-M’in las ein paar Zeilen, verinnerlichte die Kritik und erkannte die Wahrheit. Die Hohen Frauen unter Kar-Zul-P’en hatten den Kontakt zu den Bürgern verloren gehabt und nicht die notwendige Demut aufgebracht, die von den Kartanin zu Recht eingefordert worden war.

Diese Schrift, schnörkellos und mit ruhiger Hand verfasst, spiegelte in klaren Worten einen der größten Fehler, die Machthabende begehen konnten. Sie hatten sich einer selbstzerstörerischen Wirkung hingegeben, gemäß dem Grundsatz: »Macht geht vor Recht!«

Log-Aer-M’in atmete durch. Sie kannte den Geschmack der Macht. Sie hatte lernen müssen, mit ihren Verlockungen umzugehen – und die Grenzen zu erkennen.

Sie ließ das Buch zurückschweben. Noch hatte sie ausreichend Zeit. Mit einem Klackern der Mittel- und Zeigekralle aktivierte sie das Musik-Set. Der Flottensender brachte Botschaften, die von Glanz und Glorie kündeten.

Angewidert schaltete sie weg und kramte stattdessen aus ihrem umfangreichen Depot ein auf altem Kunstglas gespeichertes Stück hervor, das in diesen Zeiten kaum noch gespielt wurde.

Ihre Adjutanten hätten überrascht die Nasen gerümpft, hätten sie die Musik ihrer Wahl gehört. Ein sentimentales Lied, getragen von Streichern, Kratzern und Bläsern, bildete die Ouvertüre zum »Liebeleien«-Zyklus des Ram-Zar-L’ra. Dem sanften Auftakt folgte der wuchtige Anklang des Hauptthemas, eingepackt in melancholischen Schmerzgesang, begleitet von der Spitzharfe, deren Töne tief drin in Log-Aer-M’ins empfindlichen Ohren ein Jucken verursachten.

Sie hockte sich nieder und versank in der Musik. Versuchte sich vorzustellen, wie der Komponist vor mehr als 390 Jahren die endlosen Felder seiner Heimat durchwandert hatte, um Rhythmus und Melancholie des Planeten zu spüren und zu verarbeiten. Das Ergebnis war ein Werk von monumentaler Tiefe geworden, das dennoch leicht und beschwingt wirkte und ihr Leben ein wenig erhellte.

Log-Aer-M’in glitt unter das Gebläse, während der zweite Satz des Stücks begann. Sie rieb den Quarzsand mit einer weichen Bürste in den Körperflaum, trug Zykkalor-Duft auf, schärfte Bein- und Handkrallen am Bimsstein. Die heiße Luft dampfte; die hohe Luftfeuchtigkeit war nicht jedermanns Sache. Doch sie brachte das Körperhaar zum Glänzen und ließ sie in besserer Stimmung zurück.

Als Log-Aer-M’in das Gebläse verließ, schaltete sie die kongeniale Bildaufbereitung der »Liebeleien« zu. Die Bibliothekswand verschwand hinter einem Feld im Takt wogender Gerste. Am Horizont trieben Ballatisten in den Luftströmungen dahin. Sie glänzten und glitzerten wie Seifenblasen im Sonnenschein. Auch ihre Bewegungen waren mit dem Gleichmaß der Musik abgestimmt.

Ganz in der Nähe des Betrachters streifte der »unerreichbare Liebhaber« durch die Ähren. Man konnte ihn niemals sehen, sondern immer nur für ein paar Augenblicke erahnen. Seine Körperhaltung, einem archaischen Lockmuster entsprechend, regte Log-Aer-M’in an.

Auch an diesem Tag konnte sie sich der kombinierten Wirkung von Bild und Ton nicht entziehen. Sie fühlte und begriff die innere Einsamkeit, die Verzweiflung, die Trauer. Der Liebhaber würde für immer ein Schatten bleiben. Nicht nur in der Musik, sondern auch in Log-Aer-M’ins realem Leben.

Sie bürstete den Sand ab, trug einen Körperhaarbalsam auf und glitt in die Unterwäsche. Log-Aer-M’in bedachte die Trainingsgeräte in der Nebenkammer mit einem bedauernden Blick. Weder an diesem Tag noch an den Tagen davor war Zeit dafür gewesen. Sie musste sich mit ein paar Dehnungsübungen zufriedengeben.

Sie glitt in die Grundposition, schob den Kopf so weit nach unten, bis sie zwischen den gespreizten Beinen hindurch nach hinten auf ihre Liegestatt sehen konnte. Der Narbenschmerz ließ allmählich nach. Und dennoch … in ihren Jugendjahren hatte es ihr keinerlei Probleme bereitet, den Kopf so weit zwischen die Beine zu schieben, dass sie ihren Hintern kritisch betrachten konnte.

Log-Aer-M’in richtete sich auf, ließ sich mit ausgestreckten Armen nach hinten fallen, ging in die Waage, schob die Hände immer näher hin zu den Beinen, bis sie ihre Fesseln umfassen konnte. Der Balanceakt fiel ihr leicht, die Atmung weniger. Sie verharrte eine Weile, gab sich der ganz eigenen Melodie des Mittelstücks des zweiten Satzes hin. In ihren Gedanken herrschte Ruhe. Frieden. Ausgeglichenheit. Alle Sorgen waren weit, weit weg.

Nach den Handstand- und Spreizübungen ließ sie es für den Moment gut sein. Das Crescendo des letzten Satzes kündete den Höhepunkt des Stücks an. Tan-Tan-M’yas Stimme erklang. Anfangs zögerlich, dann immer heftiger und intensiver werdend, intonierte sie die abschließende Litarge. Kataklysmische Klänge, tiefe Bässe, der Einsatz des Trommler-Sextetts und der Kukurica-Orgel brachten Log-Aer-M’ins Blut zum Wallen.

Sie atmete schneller, immer schneller, ergründete gemeinsam mit der längst verstorbenen Sängerin die Tiefen der »Liebeleien«. Wieder umgaben sie Niedergeschlagenheit, Sehnsüchte und der Kummer, als die besungene Kartanin gezwungen war, loszulassen und die Suche nach dem unerreichbaren Liebhaber aufzugeben.

Die Bildkomposition dunkelte ab. Die Ballatisten legten sich zur Ruhe, der Wind ließ nach. Der Mann glitt davon, nur noch den Schatten eines Schattens darstellend.

Tan-Tan-M’yas Fabelstimme erreichte nie zuvor erklommene Höhen, verblieb dort, bis das letzte Trommelgewirbel endete und die Kukurica-Orgel schwieg. Sie presste einen finalen Ton hervor. Ein verzweifeltes Ächzen. Dann war Stille.

Die Bildübertragung endete, die gespeicherte Tonaufnahme ebenfalls. Plötzlich wirkten Log-Aer-M’ins Räumlichkeiten öde und leer. Auch die Bücher, eines schöner und wertvoller als das andere, konnten ihr keinen Trost schenken.

Log-Aer-M’in fauchte, machte ihrem Ärger Luft. Sie wollte nicht, dass das Stück endete, nicht so …

Hätte sie diesen Bordtag anders beginnen sollen? Mit einem Stück, das mehr Aussicht auf Hoffnung bot?

Nein. Das abrupte Ende half ihr, sich schnell wieder in der Wirklichkeit zurechtzufinden.

Log-Aer-M’in blickte auf die Uhr. Es blieb noch Zeit für das Frühstück. Körniges Brot, gebackene Sülze. Dazu ein gedämpfter Salzstein, der die Zähne zum Glänzen brachte, und ein Glas Milch.

Das Signal läutete ihrem Empfinden nach zu früh. Wie immer. Sie wollte nicht an die Arbeit. Sie hatte sich vorgenommen, jeden Tag zumindest eine Stunde für sich selbst zu reservieren. Um in kontemplativer Versunkenheit Erleichterung zu finden. Um den Druck, dem sie für die restliche Zeit des Tages ausgesetzt war, zumindest ein wenig abzumildern.

»Wir brauchen dich!«, tönte es aus dem Kom-Gerät. Rot-Gre-N’at, ihr Betreuer, meldete sich mit der üblichen Forschheit.

Log-Aer-M’in fragte sich, warum sie den unhöflichen Kerl nicht schon längst aus ihren Diensten entlassen hatte.

»Ich komme!«, fauchte sie zurück, unwirscher, als sie es beabsichtigt hatte. »Sieh zu, dass alles bereitliegt.«

»Selbstverständlich.« Rot-Gre-N’at, der als Einziger eine Direktverbindung zu ihr wählen durfte, verstummte.

Sie aß die letzten Bissen, zog die Uniform über, überprüfte den Sitz der Datenknöpfe, straffte den Körper. Sie durfte sich keinen Fehler erlauben. Nicht hier, nicht jetzt. Sie repräsentierte nicht nur das große Volk der Kartanin, sondern die gesamte Noquaa-Kansahariyya.

An diesem Tag lag es an ihr, die notwendigen Befehle zu geben. Sie würde mehrere Millionen Wesen anführen – und in den Tod schicken.

 

*

 

Mehr als 16.000 Schiffe, von mehreren Dutzend Hangay-Völkern zur Verfügung gestellt und den hiesigen Verhältnissen so gut wie möglich angepasst, warteten auf ihr Kommando. Die Einheiten waren rings um den Grenzwall verteilt.

Sie manövrierten in Pulks von 50 bis 1.500 Einheiten. Verbindungsschiffe, die nur einen Teil des unsichtbaren Netzwerks kannten, reisten von einem Pulk zum nächsten. Die Besatzungen der Botenschiffe bestanden ausschließlich aus Kartanin. Die flinken Erkunder lieferten Koordinaten, und sie hatten strikte Anweisungen. Sie würden sich mit den rituellen Messern richten, bevor sie die Schmach einer Gefangenschaft auf sich nahmen. Nur so war gewährleistet, dass der Feind keine Kenntnis von ihren weiteren Plänen erhielt.

Log-Aer-M’in betrachtete die holografische Darstellung der Kernzone Hangays. Die Positionen der dezentralisierten Flottenteile waren selbst ihr nicht mit hundertprozentiger Genauigkeit bekannt. Sie umschwirrten den Kernwall, der das Zentrum der heimatlichen Galaxis umschloss, in einem Auf und Ab wie bissige Insekten.

»Es geht los!«, sagte Log-Aer-M’in leise. »Ihr wisst, was zu tun ist.«

Sie konnte und wollte nicht mehr sagen. Es wurde von ihr auch nicht erwartet. Sie befleißigte sich einer knappen und prägnanten Sprache. Umständliche Formulierungen waren ihr zuwider, und sie duldete niemanden in ihrem unmittelbaren Umfeld, der zu schwafeln wagte. Niemanden – außer Rot-Gre-N’at.

Das Faktotum sorgte dafür, dass ihr Befehl weitergegeben wurde. Eigentlich hätte sie auf diesen buckligen Kartanin, der von einer unbedeutenden Grenzwelt stammte, verzichten können. Die Schiffs-KI war ihr ein wesentlich vernünftigerer Gesprächspartner; doch ab und zu überraschte sie der Krüppel mit Einsichten, die das Schiffsgehirn nicht zu liefern imstande war.

»Du hast dir zu viel Zeit gelassen«, nörgelte Rot-Gre-N’at. »Diese dumme Morgengymnastik raubt dir außerdem notwendige Energie. Iss mehr! Schluck Tabletten! Das ist gesünder.«

Er klopfte sich auf den nackten, schwabbeligen Bauch, der von struppigem Haar bewachsen war.

Log-Aer-M’in würdigte ihn keiner Antwort. Seine klaren Momente wurden immer wieder von längeren Episoden unglaublicher Trotteligkeit überlagert.

Die UMAKO beschleunigte mit Höchstwerten, mehr als hundert Einheiten folgten ihr. Sie alle wurden von Angehörigen der Vibra-Staffel durch die Wirrnisse dieser fremd gewordenen Umgebung pilotiert.

Hangay war ihnen nicht mehr Heimat. Die Einheiten der Terminalen Kolonne hatten sich breitgemacht, hatten ihnen die Herrschaft über diese prächtige Sterneninsel entrissen, mit der Kabinettisierung begonnen – und darüber hinaus ihren Stolz zutiefst verletzt.

Drei Hauri-Raumer schleppten sich den Trimaranen hinterher. Auch die Schiffe ihrer ehemaligen Feinde wurden von Angehörigen der Vibra-Staffel pilotiert; die Frauen dieser Spezialeinheit waren im Eilverfahren ausgebildet worden. Sie konnten dank der durch das Vibra-Psi gewonnenen Para-Begabungen die Schiffe der NK Hangay einigermaßen sicher durch den pervertierten Hyperraum lotsen.

Log-Aer-M’in betrachtete ihre Pilotin. Die Frau, überschlank, mit zerzauster Haarpracht, lag in einer Ruheschüssel und blickte ins Leere. Ihre Hände öffneten und schlossen sich, immer wieder. Öfter mal fuhr sie die Krallen unmotiviert aus und durchstach damit das Leder des Sitzes.

Roboter säuberten jene oberflächlichen Wunden, die sie sich durch unbedachte Bewegungen selbst beibrachte. Sie hieß Rar-Rar-N’oda, einerseits ein dümmliches Geschöpf, andererseits in diesen Tagen und Stunden unersetzlich.

Log-Aer-M’in besaß selbstverständlich die Pilotenausbildung. Die Manöver, die Rar-Rar-N’oda ausführte, erschienen ihr widersinnig und gefährlich. Dennoch sagte sie nichts. Bis jetzt hatte alles genau so geklappt, wie sie es sich vorgestellt hatten.

Die Götter hatten helfend eingegriffen; wie sonst war es zu erklären, dass ein seltsamer Oszillationseffekt den Kernwall aufweichte? Erste Versuche, diese bislang als undurchdringlich geltende Zone zu durchdringen, waren positiv verlaufen. Nun also folgte die Probe aufs Exempel. Sie würden es wagen. Trotz des nach wie vor hohen Risikos.

»Sollen wir?«, fragte Rot-Gre-N’at.

»Ja.« Log-Aer-M’ins Gesichtsfell sträubte sich ohne ihr Dazutun. Sie fühlte die Angst.

Nicht der Tod schreckte sie, nein. Es war die Furcht vor dem Unbekannten. Vor einem Terrain, das nicht das ihre war, vor Völkern und Wesen mit Fähigkeiten, von denen sie keine Ahnung hatten.

Der Kernwall war erreicht, und mit einem lauten Rumpeln, das die Statik der sonst so robusten UMAKO erschütterte, drangen sie ins Reich protochaotischer Physik vor.

2.

Ejdu Melia

 

Sie hasste diese Transformation. Alles schmerzte, und am liebsten hätte sie den Prozess rückgängig gemacht. Doch manchmal war es zu stark, und sie musste sich dem Drang hingeben.

Ein oder zwei Monate noch würde es dauern, bis der Gestaltwechsel abgeschlossen war und sie endgültig Aussehen und Charakter eines Sepulchthiden angenommen hatte.

Warum tat ihr Sar-Soar das an? Sie hatte ihm mehr als einmal zu verstehen gegeben, dass sie ihn nicht ausstehen konnte. Doch der lüsterne Schlangenähnliche verstand sich vorzüglich darauf, körpereigene Duftstoffe einzusetzen. Entweder als Waffe – oder um ein Gelegeweibchen anzulocken.

Ejdu Melia biss zornig in das Melkbrett. Diese Wandlung hatte etwas Beunruhigendes, Unheimliches an sich.

Wie hatte es Sar-Soar jemals in die Reihen der Friedensfahrer geschafft? Er benahm sich ekelhaft, und er zimmerte sich seine eigenen Moralanschauungen zurecht, mit denen Ejdu Melia nichts, aber rein gar nichts anzufangen wusste.

Bisher.

Denn langsam und schleichend veränderte sich auch ihr Denken. Sar-Soar hatte sie kalt erwischt, und er formte sie zu seinem Geschöpf.

Sie löste sich vom Melkbrett. Die fast schon perfekt ausgebildeten Hinterhorndrüsen waren prall und rot, und sie schmerzten. Während der nächsten Wochen würden sie weitere Transformationen durchlaufen, bis sie wie jene eines Sepulchthiden aussahen – und auch dieselben Funktionen ausübten.

Sie beließ die N’DRANGA im Zentrum des Friedensfahrer-Pulks und sorgte dafür, dass sie mit der Steuerung nichts zu tun haben musste. Zu sehr war sie mit sich selbst und dieser unglücklichen Veränderung beschäftigt.

Ein Funksignal erreichte sie.

»Was willst du, Sar-Soar?«