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Inhaltsverzeichnis

1. Reineke Fuchs
2. Der Kluge und der Narr
3. Wie der Königssohn sein entflohenes Weib zurückgewinnt
4. Der kluge und tapfere Königssohn
5. Der dankbare Tote
6. Der getreue Kahlkopf
7. Das schwierige Rätsel
8. Der Tschordilendschis
9. Die Geschichte von Batim
10. Die Stiefmutter
11. Die gefährliche Katze
12. Der liebe Gott und die verstoßene Stieftochter
13. Der Vampir
14. Das Patenkind des lieben Gottes
15. Die böse Mutter
16. Die drei Kaisertöchter und der Teufel
17. Die zwei Diebe
18. Der gestohlene Ochse
19. Der Uhrmacher
20. Der rote Kaiser und der Vampir
21. Der Kaisersohn, der Menschen fraß
22. Der Kaisersohn und der Unhold
23. Der Apfel, der guter Hoffnung macht
24. Die beiden neidischen Schwestern
25. Der Eisenmann
26. Die Erschaffung der Geige
27. Die Blume des Glücks
28. Der arme Zigeuner
29. Die vier Brüder
30. Die Reise ins Totenreich
31. Der Tod als Geliebter
32. Die Quelle, die Diamanten sprudelt
33. Der rote und der weiße Kaiser
34. Der Bartlose
35. Die drei Brüder und die wilden Pferde
36. Der junge Held und die Drachenmutter
37. Die frierende alte Zauberin
38. Die zwei Brüder
39. Der Teufel und der arme Zigeuner
40. Der Wahnsinnige
41. Die Katze
42. Der Kaiser der Blumen
43. Der liebe Gott und der arme Zigeuner
44. Es kommt doch an den Tag
45. Der Säugling der Stute
46. Der betrogene Drache
47. Die Henne, die Diamanten legte
48. Der Kaisersohn mit der Sehergabe
49. Der Eifersüchtige
50. Der geflügelte Prinz
51. Die bestrafte Mutter
52. Der schöne Petrus
53. Der dem Teufel Verschriebene
54. Tropsen
55. Der Teufel freit ein Zigeunermädchen
56. Der Drachentöter
57. Der Teufel und die drei Töchter des Grafen
58. »Kamerad«
59. Der junge Graf und die Tochter der Hexe
60. Der schlaue Alte
61. Der Zigeuner als König
62. Der Dumme, der König wird
63. Der Bescheidene
64. Der arme Maler
65. Der schöne Hügel
66. Der grüne Mann
67. Der alte Schmied
68. Die drei Brüder und der Zwerg
69. Die achtzehn Hasen
70. Der Narr und die Schafe
71. Die kleine Henne
72. Der Frostbringer
73. Das Märchen vom Teufel
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1. Reineke Fuchs

Ein Fellache besaß zwei Ochsen. Eines Tages, als er mit ihnen pflügte, riß sich der eine los und lief davon. Der Fellache ließ ihn laufen und begab sich nach Hause. Dabei drohte er: »Seh’ ich dich morgen hier, du Ochse, dann mach’ ich dir mit diesem Messer den Garaus.« Der Ochse kümmerte sich freilich nicht darum, sondern lief weiter. Als er zu einer Wiese gelangte, die mit Gras hoch bewachsen war, machte er halt und fing an zu weiden. Auf einmal stand Abu Hasan,1 der Fuchs, vor ihm und begann also zu ihm zu sprechen: »Warum weidest du hier, du Ochse, dieser Platz gehört doch dem Panther. Wenn er dir hier begegnet, wird er dich anfallen und dir die Rippen zerbrechen.« Hierauf ging der Fuchs zum Panther und erzählte ihm: »Höre nur, dieser Ochse hat in deinem Gras geweidet.« Dann verbarg sich der Fuchs, der Panther aber ging zum Ochsen und fragte ihn: »Warum, du Ochse, weidest du auf dieser frischen Wiese?« Der erwiderte: »Mein Herr pflügte mit mir. Ich war vor Hunger erschöpft und sah diesen Platz. Ich wollte hier weiden und befinde mich also jetzt in deiner Hand.« Da ließ ihn der Panther auf jener Wiese. Nach zehn Tagen war er aber von dem guten Futter so groß geworden wie ein Kamel. Da kam wieder der Fuchs zu ihm. Der Ochse fragte: »Was ist los?« Der Fuchs gab zur Antwort: »Der Panther wird dich nur so lange hier lassen, bis du fett genug bist. Dann wird er dich mit seiner Tatze erschlagen und dich auffressen. Darum also«, fuhr er fort, »wenn der Panther zu dir kommt, dann stoße deine Hörner in die Erde und richte deine Augen zornig auf ihn. Alsdann durchbohre und töte ihn.«

Abu Hasan, der Fuchs, machte sich darnach auf und ging zum Panther. »Du hast den Ochsen auf der frischen Weide gelassen«, redete er ihn an, »geh nur einmal hin, ich will doch sehen, wie du mit dem fertig wirst.« – »Was ist denn geschehen?« fragte der Panther. Abu Hasan gab zur Antwort: »Der Ochse steht jetzt so gut im Futter, daß er imstande ist, dich unfehlbar niederzumachen, sobald du ihm in den Weg läufst.« Da machte sich der Panther auf den Weg zum Ochsen. Der aber stieß sogleich seine Hörner in die Erde und richtete wutentbrannt seine Augen auf den Panther, fiel ihn an, stieß ihn mit seinem Horn und zerriß ihn. Jedoch auch der Panther griff den Ochsen an und zerfleischte ihn. Da starben sie beide, der Ochse und der Panther. Jetzt kam auch Abu Hasan herbei, der schnell noch sein Weib und seine Kinder hinzurief, um die beiden zu verzehren. Als nur noch die Knochen übrig waren, lud er auch die Angehörigen seiner Sippe zum Schmaus ein. Die verspeisten die Knochen und gingen wieder von dannen.

Einige Zeit später fand Abu Hasan in einer Beduinenniederlassung einen Schafspelz. Da steckte er seinen Kopf hindurch und zog sich den Pelz über die Schultern. So betrat er eine Höhle und fand drinnen den Bruder des Panthers. Dieser hielt ihn fest und fragte: »Abu Hasan, warum hast du meinen Bruder erschlagen?« Der erwiderte: »Ich bin nicht der Ochse.« – »Aber du warst es jedenfalls, der die beiden gegeneinander aufgehetzt hat.« Da fällt der Blick des Panthers auf den Schafspelz, den der Fuchs über seiner Schulter trug, und er fragte: »Kannst du mir nicht auch einen solchen anfertigen?« – »Gewiß«, gab Abu Hasan zur Antwort, »nur mußt du mir vier gesunde Schafe besorgen und sie töten, dann will ich dir so ein Gewand machen.« Der Panther ging und kam bald mit vier Schafen wieder. Der Fuchs fraß ihr Fleisch und warf ihre Felle in einen Brunnen. Als der Panther zurückkehrte und fragte: »Wo hast du den Pelz, Abu Hasan?«, da erhielt er den Bescheid, es fehle noch ein Schaf. Also brachte ihm der Panther noch ein weiteres Schaf. Abu Hasan tötete es und fraß es gemeinsam mit seinen Kindern auf. Das Fell warf er wieder in den Brunnen. Der Panther kam und fragte: »Wo hast du das Pelzkleid, Abu Hasan?« Mit den Worten: »Warte, bis ich es bringe«, eilte dieser davon, verfolgt vom Panther. Gerade wollte der Fuchs in einer Höhle verschwinden, da erwischte ihn der Panther am Schwanze. Abu Hasan zerrte und zog, bis sein Schwanz in der Tatze des Panthers blieb. Dann machte er sich schwanzlos davon. Der Panther rief ihm noch nach: »Du bist jetzt schwanzlos, Abu Hasan, daran werde ich dich kennen, wenn ich dir wieder begegne.« Damit trennten sie sich. Der Fuchs begab sich in einen Weingarten und aß Trauben. Dann rief er seine ganze Sippe herbei. »Hierher!« rief er. Sie fragten: »Wohin?« Er erwiderte: »Wir wollen Trauben essen.« So ließ er sie in den Weingarten hinuntersteigen. Jedoch meinte er: »Ich kann euch nicht essen lassen, bevor ich eure Schwänze zusammengebunden habe.« Da ließen sie es geschehen. Abu Hasan aber eilte zum Weinbergbesitzer und sagte ihm etwas ins Ohr. Darauf begab sich dieser hin und schoß auf die zusammengebundenen Füchse, so daß ihre Schwänze alle ausgerissen wurden. Abu Hasan machte sich nun auf und ging wieder zum Panther. Der sagte: »Ich werde dich greifen.« Jener fragte: »Mann, was hast du mit mir vor?« Der Panther antwortete: »Du hast die Schafe genommen und aufgefressen, ohne mir das versprochene Pelzkleid zu machen.« – »Das war ich nicht«, gab der Fuchs zurück. »Und doch warst du es!« rief der andere. »Wie kommst du auf den Gedanken, ich sei es gewesen?« – »Ich habe dir doch den Schwanz ausgerissen«, entgegnete der Panther. »Meine Verwandten sind alle ohne Schwanz«, belehrte ihn nun der Fuchs. »Das möchte ich sehen, rufe sie einmal herbei! « Da rief ihnen Abu Hasan. Alle kamen, und der Panther sah, daß sie alle schwanzlos waren. So konnte er nicht feststellen, wer die Schafe verzehrt hatte. Bald darauf lud der Fuchs den Panther zu sich ein. Auf eine Brunnenöffnung hatte er eine Matte gelegt, darauf ließ er den Panther Platz nehmen. Aber alsbald fiel dieser in den Brunnen. Wie er gegen den Brunnenrand empor sprang, erfaßte er den Fuchs und riß so auch ihn in den Brunnen hinab. Nun waren sie beide unten. Aber nach zwei Tagen starb der Panther vor Hunger, und Abu Hasan verspeiste ihn im Brunnen.

Da kamen zwei Bäuerinnen des Weges, die junge Hühner in Körben zum Markt trugen. Die sahen den Brunnen. Da die Sonne unterging, legten sie sich beim Brunnen zum Schlafe nieder. Zuvor jedoch hatten sie den Korb mit den Küken in den Brunnen hinabgelassen, um sie während der Nacht im Brunnen schlafen zu lassen. Aber Abu Hasan ließ von den jungen Hühnern nicht ein einziges am Leben. Als die Frauen am andern Morgen den Korb aus dem Brunnen emporzogen, lag der Fuchs schlafend im Korbe. Wie er aber oben war, entfloh er schleunig. Und die Frauen kehrten weinend in ihre Häuser zurück.

Abu Hasan ging nun in sich und sprach: »Ich will die Pilgerfahrt nach Mekka antreten, um Buße zu tun für meine Sünden.« Da traf er einen Beduinen, der zu Kamel gerade die Pilgerreise ausführen wollte. Abu Hasan hängte sich also an den Schwanz des Kamels. Als der Beduine sich umblickte, sah er ihn, wie er den Schwanz des Kamels ergriffen hatte. Der Beduine nahm sein Schwert und schlug nach Abu Hasan, dabei aber schnitt er seinem Kamel den Schwanz ab. Da machte Abu Hasan sich davon und kehrte wieder um. Unterwegs sah er einen Sperling, der auf seinen Jungen saß. Sogleich ging er hin, um die jungen Vögel zu verschlingen. Der Sperling bat: »Ich verlasse mich auf deine Großmut, Abu Hasan, friß nicht meine Kinder.« Der Fuchs entgegnete: »Ja, wenn du mich zum Lachen bringst!« Der Vogel fragte: »Womit denn?« Der Fuchs antwortete: »Mit jenen Schnittern dort.« Der Sperling sprach: »Bleib stehen!« Dann ging er hin und setzte sich auf den Kopf eines der Leute. Schnell lief ein anderer hinzu, um den Sperling mit der Sichel zu töten, schlug aber dabei den Kopf des Mannes ab. Da lachte Abu Hasan und war zufrieden. Als er sich nun wieder an die Sperlingsjungen heranmachen wollte, um sie aufzufressen, fragte die Sperlingsmutter: »Was für einen Wunsch hast du noch?« Der Fuchs erwiderte: »Ich bin durstig, ich möchte das Wasser trinken, das jene Frau in ihrem Kruge hat.« Da hüpfte der Sperling vor der Frau her.

Diese stellte nun ihren Krug hin und wandte sich nach dem Sperling, um ihn einzufangen. Währenddessen schlich Abu Hasan herbei und trank alles Wasser aus.

2. Der Kluge und der Narr

Es waren einmal zwei Brüder, einer war klug, und einer war ein Narr. Sie besaßen nichts und suchten einen Lebensunterhalt. Da kamen sie in ein kleines Dorf. Darin lebte eine Ghule2 in der Gestalt einer Frau. Als sie die Brüder sah, sagte sie zu ihnen: »Seid willkommen, Söhne meiner Schwester!« Zu dem Klugen sprach sie: »Hüte die Ziegen und laß deinen Bruder im Hause bleiben.« Er gehorchte, nahm die Ziegen und trieb sie auf die Weide. Nachdem er gegangen war, sagte sie zu dem närrischen Bruder: »Bringe deinem Bruder Essen, bringe ihm dreißig Brote und Eier.« Er nahm sie und wanderte los. Unterwegs gewahrte er seinen Schatten. »Was willst du von mir?« fragte er, »bist du hungrig? Hier, nimm das Brot und das Ei!« Und schon warf er sie ihm zu. Beim Weiterwandern blickte er wieder um sich. »Was willst du noch haben, willst du noch ein Brot und noch ein Ei haben?« fragte er den Schatten und warf sie ihm wieder zu. Dann ging er weiter. Die ganze Landstraße entlang warf er seinem Schatten Brot und Eier zu, bis er seinen Bruder fand. Und als er bei dem Bruder anlangte, besaß er weder ein Brot noch ein Ei. Der Kluge fragte ihn: »Wo ist das Brot, das du bringen solltest?« Da entgegnete der Narr seinem Bruder: »Sieh jenen Mann« – und er zeigte mit der Hand auf den Schatten –, »er folgte mir; von dem Augenblick an, wo ich das Haus verließ, ist er mit mir gegangen. Er war hungrig. Die ganze Zeit über, die ich zu gehen hatte, warf ich ihm ein Brot und ein Ei zu, bis nichts mehr übrigblieb.« Der kluge Bruder sagte: »Bleibe hier, Bruder« – er wußte nämlich, daß sein Bruder ein Narr war –, »bleibe hier, gib acht auf die Ziegen, während ich gehe, um das Essen zu holen.« Er ließ also seinen Bruder zurück und ging, um die Brote und Eier zu holen, die jener auf den Weg geworfen hatte. Als er gegangen war, kletterte sein Bruder, der Narr, auf einen Akazienbaum, unter dem die Ziegen weideten. Er sagte zu den Ziegen: »Ich werde euch Akazienschoten zuwerfen, laßt einige Schoten meinem Bruder übrig, daß er auch essen kann, wenn er zurückkommt. Wenn ihr ihm keine laßt, werde ich euch töten.« Und er pflückte die Schoten und warf sie den Ziegen hinab. Die Ziegen fraßen, denn sie waren hungrig. Als der Narr vom Baum heruntergestiegen war, sah er nach, ob sie für seinen Bruder etwas übriggelassen hatten, wie er es ihnen anbefohlen hatte. Aber er sah nichts. Bei einer großen Ziege waren zwei Schoten an der Spitze ihrer Hörner hängengeblieben. Da sagte er: »Ich töte euch alle, nur die große lasse ich am Leben, denn sie hörte auf mein Wort.« Da tötete er sie alle bis auf die große Ziege. Sein kluger Bruder kehrte zurück. Als er sah, daß die Ziegen getötet waren, fragte er den Narren: »Wer hat das getan?« Der erzählte ihm, wie es sich zugetragen hatte. Sein Bruder wurde wütend und bekam Angst vor der Ghule. Er sprach zu dem Narren: »Warum hast du das getan? Was wird die Ghule mit uns anfangen, wenn wir ihr unter die Augen kommen? Komm, wir wollen fliehen, bevor sie uns erblickt!« Aber der Narr wollte nicht, da floh der kluge Bruder allein.

Der Narr kehrte mit der großen Ziege nach dem Hause der Ghule zurück. Diese fragte: »Wo sind die Ziegen?« Er antwortete ihr: »Das und das geschah mit ihnen, Tante. Mein Bruder floh, denn er hatte Angst.« Sie sagte: »Schön, dann wollen wir beide gehen und die Ziegen holen, damit wir sie essen.« Beide gingen und holten sie. Als sie sie nach Hause gebracht hatten, nahm die Ghule den Narren, steckte ihn in einen Sack, band die Öffnung des Sackes zu und warf ihn auf den Boden. Dann ging sie und rief ihre Verwandten zusammen, um mit ihnen den Narren zu verspeisen. Ihre Tochter aber blieb im Hause und zündete unterdessen schon das Feuer an. Da rief ihr der Narr zu: »Laß mich heraus, ich will dir das Feuer anblasen.« Sie löste also den Strick, mit dem der Sack verschnürt war, und er blies ihr das Feuer an. Als das Wasser zum Sieden kam, ergriff er die Tochter der Ghule, warf sie ins Wasser und entfloh. Er durchschritt ein Flußbett, durch das die Ghule ihm nicht folgen konnte. Dann traf er seinen klugen Bruder und erzählte ihm, wie es ihm ergangen war. Inzwischen kam die Ghule mit ihren Verwandten nach Hause. Sie sah niemanden, suchte nach dem Narren, fand aber weder ihn noch das Mädchen. Als sie aber in den Kessel, der auf dem Feuer stand, blickte, sah sie ihre Tochter darin und schrie: »Das ist das Werk des Narren!« Sie rannte hinter ihm her, um ihn zu töten. Als sie ihn jenseits des Flusses gewahrte, lockte sie ihn mit den Worten: »Komm, meiner Schwester Sohn, komm, wir wollen das Fleisch essen.« Er aber erwiderte: »Ihr wollt mich umbringen, ich komme nicht!« Da ging sie ärgerlich nach Hause. Am Abend aber, als die Sonne unterging, verließ der Narr seinen Bruder und kehrte zu der Ghule zurück. Dort schlich er sich bei den Küken ein und tötete diese alle. Da krähte der Hahn: »Der Narr tötet die Küken, die in dem Hühnerstall sind!« Die Ghule fuhr aus dem Schlafe, um den Narren zu suchen und zu ergreifen. Aber sie fand ihn nicht. Der nahm die toten Küken und ging zu seinem Bruder, auch die Handmühle3 nahm er noch mit sich. Als er bei seinem Bruder angelangt war, zündete er ein Feuer an und kochte die Küken, und sie aßen. Bis zum Morgen blieben sie auf diesem Platz. Die Ghule aber vermißte, als der Tag anbrach, ihre Küken und die Mühle. »Kein anderer als der Narr hat das getan!« rief sie und verfolgte ihn, um ihn zu töten. Sie sah ihn aber erst, als er schon wieder jenseits des Flußtales war, und sie schrie: »Du hast mir all dieses angetan, ohne Gnade werde ich dich umbringen.« Der Narr entgegnete: »Oder ich dich!« Da kehrte sie in ihr Haus zurück.

Der Narr aber und sein Bruder gingen in ein Dorf; sie sahen niemand darin, denn seine Bewohner befanden sich auswärts auf Arbeit. Die Brüder setzten sich also unter einen Baum, um sich auszuruhen. Nichts war zu sehen, bis auf einmal vier Soldaten angeritten kamen. Sowie diese das Tal erreichten, kamen auch die Dorfleute herbei. Aber der Narr erhob sich, als er die Leute und die Soldaten erblickte. Als sie herankamen, nahm er die Mühle und kletterte auf den Baum, der Kluge aber entfloh. Die Reitersleute hielten unter dem Baum, auf dem der Narr sich befand, und setzten sich darunter. Die Dorfbewohner brachten Essen herbei und stellten es vor sie hin. Da begann der Narr an seinen Stirnknochen zu klopfen und ließ dabei Urin und Kot auf die Köpfe der Soldaten hinab. Die Soldaten sagten: »Es regnet und donnert auf der Erde. Laßt uns fliehen.« Und sie ließen das Essen im Stiche und flohen. Nun rief der Narr seinen Bruder und sagte zu ihm: »Komm, sieh dieses Essen, komm, laß uns essen!« Der Kluge kam herbei und begann zu essen. Er fragte den Narren: »Warum ißt du nicht mit mir von diesem Essen?« Der Narr, der begonnen hatte, den Pferdemist aufzuessen, antwortete ihm: »Ich esse Weinlaub.«

Als sie satt waren, erhoben sie sich und gingen zur Stadt. Sie vertauschten ihre Sachen, nahmen einen Esel, beluden ihn mit zwei Kasten voll Halawi4 und zogen nach dem Dorfe, um das Halawi zu verkaufen. Unterwegs trafen sie die Ghule. Als die sie sah, sprach sie zu ihnen: »Seid ihr’s nicht, seid ihr denn nicht die beiden Brüder, der Narr und der Kluge?« – »Wie kommst du darauf? Wir kennen sie nicht, wir sind Halawi-Händler. Wenn du etwas haben willst, kaufe von uns und lasse uns gehen.« Sie sagte: »Laßt mich kosten!« – »Steig in den Kasten und laß es dir schmecken!« Da stieg sie hinein. Als sie aber darin war, schlossen sie den Deckel, nahmen sie und gingen zu dem Tale. Dort machten sie ein großes Feuer und warfen sie samt dem Kasten hinein, so daß sie verkohlte und starb. Am andern Tage kehrten sie zu dem Hause der Ghule zurück, nahmen ihre Sachen und zogen danach in ihre Heimat. Sie waren nun reich, zufrieden und glücklich.

3. Wie der Königssohn sein entflohenes Weib zurückgewinnt

Es war einmal ein König, der hatte einen Sohn. Da kam ein Maghrebiner5 zu ihm und sagte: »Ich biete dir zwei königliche Juwelen, wenn du deinen Sohn zwei Stunden mit mir übers Meer fahren läßt.« Am nächsten Tage nahm der Maghrebiner den Jüngling und ging mit ihm fort. Sie fuhren einen Monat auf dem Meere und gelangten an den Fuß eines Hügels. Da kam ein Maulesel auf sie zu. Der Maghrebiner öffnete dessen Bauch und tat den Jüngling hinein. Dann begann er zu zaubern und legte Weihrauch auf das Feuer. Da entfloh der Maulesel und kletterte auf die Spitze des Hügels. Der Jüngling aber öffnete den Bauch des Maulesels und stieg heraus. Da rief der Maghrebiner: »Wirf doch Holz nach mir!« Aber der Jüngling blickte um sich, und da er überall Leichen sah, entgegnete er dem Maghrebiner: »Ich will nicht nach dir werfen.« Da ging der Maghrebiner von dannen, der Jüngling aber blieb zurück. Als er sich dann in der Nacht ebenfalls auf den Weg machte, sah er ein Licht und ging darauf zu. Beim Näherkommen gewahrte er ein Schloß, darin lebte nur ein Geier. Der Geier machte für den Jüngling Essen zurecht, Fleisch und Reis und einen Fladen Brot. Und der Jüngling aß und trank. Am Morgen sah er ein paar Mädchen und verliebte sich in eine von ihnen. »Laß sie mit mir ziehen!« bat er den Geier, und der gab sie ihm. Auf dem Rücken des Geiers flog er nun mit seinem jungen Weib von dannen. Der brachte sie zu der Vaterstadt des Jünglings und flog dann wieder davon.

Der Jüngling lud nun seinen Vater nach dem Gasthaus ein. Sein Weib, das unterdessen in dem Zelt zurückgeblieben war, kleidete sich in ein Gewand aus Federn und flog davon mit den Worten: »Wenn mein Mann nach mir fragt, so soll er mir nach meines Vaters Zelt folgen.« Als der Jüngling zurückkam, fand er sie nicht mehr. Da kam der Maghrebiner wieder und ging mit ihm hinweg. Wie er ihn das erstemal behandelt hatte, so behandelte er ihn auch das zweitemal. In der Nacht aber machte sich der Knabe auf und stieg wieder zum Schlosse hinab. Am Morgen brachte ihn der Geier zu seinem Bruder. Der war von ihm eine Jahresreise entfernt. Jener endlich brachte ihn zum Vater seines Weibes. Als er dort ankam, sagte sein Weib zu ihrem Vater: »Mein Mann ist angekommen, rufe ihn!« Der Vater fragt den Jüngling: »Was willst du?« Und der Jüngling antwortet: »Ich will mein Weib haben.« Da sagte der Alte: »Sieh her, ich fülle dir diesen Teich mit Linsen und Hirse und Korn und Sesam und Wikken. Morgen früh, wenn ich jede Körnerart für sich geordnet sehe, will ich dir dein Weib geben, wenn ich es aber nicht so antreffe, werde ich dir den Kopf abschlagen.« In der Nacht aber rief der Jüngling die Ameisen zu Hilfe, und sie legten jede Sorte für sich hin. Als der König am Morgen kam und die Körner alle säuberlich getrennt vorfand, da sagte er: »Siehe, ich fülle dir den Teich mit toten Eseln und toten Pferden und toten Kühen und toten Ziegen. Wenn du sie ißt, erhältst du dein Weib, wenn du sie aber nicht ißt, werde ich dir den Kopf abschlagen.« So tat er. In der Nacht aber rief der Jüngling die Dschinnen6 herbei. Die aßen alles auf, und sie sagten: »Er hat uns nicht belohnt, ihm soll nichts Gutes widerfahren.« Am andern Morgen hatten sie nicht ein bißchen übriggelassen und waren wieder verschwunden. Als der König kam und sah, daß nichts übriggeblieben war, da sagte er: »Paß auf, befestige in der Nacht diese Fahne über jener Höhle und komme zurück; wenn es dir gelingen wird, will ich dir dein Weib geben, wenn nicht, werde ich dir den Kopf abschlagen.« Der Jüngling ging in der Nacht hin und steckte die Fahne auf. Dann betrat er die Höhle und sah drei Ghulen darin. Nachdem er sie getötet hatte, kam er zurück. Am Morgen sah der König die Flagge über der Höhle wehen; alsbald bestieg er sein Pferd, ritt hin und fand die Leichen der Ghulen. Da ritt er wieder zurück. Er gab nun dem Jüngling 3000 Soldaten, die mit ihm zogen, und gab ihm zwei Neger und zwei Negerinnen und vier Kästen mit Gold. Auch gab er ihm das Geleite, als er ihn wieder in seine Vaterstadt zurückkehren ließ. Ein Bote eilte zu seinem Vater voraus und meldete: »Hallo, dein Sohn ist angekommen.« Und der Vater ließ ihm Soldaten entgegenziehen und empfing ihn in seinem Hause. Dann befahl er den Soldaten: »Geht nun zu euren Standorten!« Da zogen sie wieder zu ihren Standplätzen und blieben dort.

4. Der kluge und tapfere Königssohn

Ein König hatte achtzehn Söhne. Eines Tages sprach der Jüngste zu seinen Brüdern: »Kommt, wir wollen uns Frauen suchen!« Sie bestiegen also ihre Pferde und machten sich auf den Weg. Sie kamen vor das Schloß eines Ghul,7 der achtzehn Töchter hatte. Der Ghul sprach: »Ich möchte meine Töchter mit diesen Jünglingen verheiraten.« Und sogleich auch führte er diesen Plan aus. Zu seinen Töchtern aber sagte er: »Heute nacht will ich die Jünglinge umbringen und sie verzehren.« Der Jüngste aber hatte diese Worte gehört und gab seinen Brüdern nun den Rat: »Setzt eure Kopfbedeckung den Frauen auf!« Da setzten sie ihre Tarbusche8 den Frauen auf. In der Nacht kam der Ghul herunter und tötete die, deren Köpfe mit Tarbuschen bedeckt waren, tötete also alle seine Töchter. Am Morgen machten sich die Jünglinge davon. Der Ghul sah, daß es alle seine Töchter waren, die tot dalagen. Die Jünglinge waren schon sehr weit weg, da kehrte der Jüngste nochmals um, holte das Pferd des Ghul und entfloh mit ihm.

Da ersannen seine älteren Brüder einen Plan: »Kommt, wir wollen den Jungen töten. Morgen wird er sonst unserm Vater berichten: ›Ich war es, der sie vor dem Ghul gerettet hat.‹« Wie nun der Junge in einen Brunnen hinabstieg, um seinen Brüdern Wasser zu holen, durchschnitten diese das Seil und ließen ihn unten im Brunnen. Er suchte sich unten einen Weg, seine Brüder aber gingen nach Hause. Als sie zu ihrem Vater kamen, sprachen sie: »Unser kleiner Bruder ist gestorben.« Dieser aber hatte unterdessen im Brunnen einen Mann und zwei Widder erblickt, der eine von ihnen war schwarz und der andere weiß. Jener Mann, den er gesehen hatte, trat auf ihn zu und sprach: »Sage, o Jüngling: ›Der weiße Widder besiegte den schwarzen‹, dann wirst du zu der Öffnung des Brunnens emporgehoben werden. Wenn du aber anders urteilst und sagst: ›Der schwarze hat den weißen überwunden‹, dann wirst du noch tiefer in die Erde hinuntergesenkt.« Da sprach der Jüngling: »Der schwarze besiegte den weißen«, und alsbald sank er noch tiefer in die Erde hinab. Er gelangte erst zu Beduinen und fand dann eine alte Frau, bei der er blieb. Ihr Zelt lag weitab von den Beduinenzelten. Am andern Morgen führte er ihre Ziegen auf die Weide, und die Alte ermahnte ihn: »Gehe nicht hierhin und gehe nicht dahin, sondern gehe so und so!« Beim Weitergehen traf er einen Dämon und tötete ihn. Und was sah er noch weiter? Ein lahmes Schwein. Wenn man dieses tötete und seinen Fuß öffnete, so fand man darin eine Büchse. Die Büchse enthielt einen Wurm, der war die Seele eines Juden. Der Jüngling ergriff das Schwein, tötete es und nahm die Büchse aus seinem Fuße heraus. Da kam der Jude und bat: »Gib mir meine Seele!« Der Jüngling aber antwortete: »Ich gebe sie dir nur, wenn du mich wieder auf die Oberfläche der Erde hinaufbringst!« Da hob ihn der Jude wieder zur Welt empor. Sowie der Jüngling sah, daß er wieder oben war, schnitt er dem Wurm den Kopf ab; da war auch dem Juden der Kopf vom Leibe getrennt. Als nun der junge Königssohn auf dem Heimweg zu seinem Vater war, sah er vierzig Ghule, die gekommen waren, um des Königs Schätze zu rauben. Er trat ihnen in den Weg und fragte sie: »Wohin geht ihr?« Sie erwiderten: »Wir wollen die Schätze des Königs stehlen.« Der Jüngling sagte: »Ich schließe mich euch an.«

Nachdem er sich dann zu ihnen gesellt hatte, sprach er: »Ihr seid groß und ich bin klein, ich will drum hineinsteigen und euch die Schätze herausgeben. Jeder soll mir einen kleinen Stein geben. Sooft ich dann einen Stein herauswerfe, soll immer einer zu mir kommen.« Er stieg also zuerst ein und warf den ersten Stein. Einer von den Ghulen stieg ein, und er schnitt ihm den Kopf ab. Ein zweiter folgte, auch diesem schnitt der Jüngling den Kopf ab. Nachdem er alle so umgebracht hatte, ging er in seines Vaters Haus hinab und fand seine Schwester im Schlafe. Als sie in der Nacht einmal aufsaß, trat er zu ihr und fragte: »Wo sind deine Brüder?« – »Da schlafen sie.« Da ging er zu ihnen, zog sie hoch und schnitt ihnen die Köpfe ab. Sein Vater kam und sprach: »Warum, mein Sohn, hast du deinen Brüdern die Köpfe abgeschlagen?« Er erwiderte: »Sie haben mich in einen Brunnen geworfen und sind fortgegangen. Sie hätten mich sterben lassen, wenn nicht Gott mich aus dem Brunnen gerettet hätte. In der Nacht machte ich mich auf den Weg zu dir und traf vierzig Ghulen, die waren ausgezogen, um deinen Schatz zu rauben und – siehe! – ich tötete sie, ihre Leichen liegen hier auf dem Dach des Hauses.« Als der König nun die toten Ghulen sah, ergrimmte er und gab Befehl, daß die Dorfleute ein Feuer anzündeten und sie verbrannten. Ihre Asche warf man in Gruben. Der König aber ließ seinen jüngsten Sohn fortan bei sich wohnen, und dieser wurde Mitregent.

5. Der dankbare Tote

Ein König hatte drei Söhne. Eines Tages schenkte er dem Jüngsten zehntausend Piaster und gab auch dem Ältesten und dem Mittleren die gleiche Summe. Der jüngste Sohn brach auf und schritt auf der Landstraße dahin. Überall, wo er Arme fand, beschenkte er sie mit seinem Gelde. So hatte er bald alles Geld ausgegeben.

Sein ältester Bruder ging gleich ihm auf die Wanderschaft. Er ließ Schiffe bauen, um Reichtum zu erwerben.

Auch der mittlere Bruder wanderte fort und ließ von dem Gelde Kaufhäuser errichten.

Dann kehrten die Söhne zu ihrem Vater zurück. Der König fragte den ältesten Sohn: »Was hast du mit dem Gelde begonnen?« – »Ich habe Schiffe gebaut, mein Vater.« – Auch den Jüngsten fragte der König: »Und du, was hast du getan?« – »Ich habe jeden Armen, der meinen Weg kreuzte, mit meinem Gelde beschenkt, und den armen Mädchen habe ich ihren Hochzeitsschmaus bezahlt.« Hierauf sprach der König: »Mein jüngster Sohn, du wirst gut für die Armen sorgen, so nimm dir nochmals zehntausend Piaster, mein Sohn.«

Der Königssohn wanderte alsdann fort. Er verschenkte bald hier, bald dort sein Geld. Es blieben ihm schließlich nur noch zwölf Piaster übrig.

Da sah er, daß Juden einen Toten aus der Erde gegraben hatten und auf diesen einschlugen. »Was wollt ihr von ihm und warum schlagt ihr ihn?« fragte der Jüngling. »Er schuldet uns zwölf Piaster«, sprachen die Juden. »Ich gebe euch die zwölf Piaster, doch laßt von dem Toten ab«, sagte der Königssohn. Er gab ihnen das Geld, und sie ließen von der Leiche. Bald darauf erhob sich der Jüngling und wanderte weiter. Doch der Tote folgte ihm. »Wohin führt dein Weg?« fragte er den Jüngling. »Ich wandere in die Welt hinaus.« – »Nun, ich auch. Komm, wir wollen gemeinsam wandern und Kameraden werden.« – »Wohlan, es sei!« – »Folge mir!« sprach der Tote, »ich werde dich schon führen.« Er nahm den Jüngling mit und brachte ihn in ein Dorf. Hier lebte ein Mädchen. So mancher Mann hatte es schon genommen, aber ein jeder war schon in der Brautnacht gestorben. Der Tote sprach zum Jüngling: »Ich werde dich irgendwo verbergen und dir ein Weib nehmen. Allein wir werden trotzdem stets Kameraden bleiben.«

Der Tote aber nahm jenes Mädchen für den Jüngling. Aus ihrem Munde kam jedoch ein Drache. Der Tote aber sprach zu seinem Kameraden: »In der Nacht, wenn du dich mit dem Mädchen auf das Lager niederlegst, werde ich mich zu euch legen.« Er nahm also sein Schwert und trat am Abend zu den beiden ins Schlafgemach. Der Jüngling aber meinte: »Das geht nicht; doch wenn du willst, so sei das Mädchen dein.« Aber der Tote entgegnete: »Sind wir nicht Kameraden? Du legst dich zu ihr und ich schlafe hier.«

Um Mitternacht sah der Tote, daß das Mädchen seinen Mund öffnete und der Drache herauskam. Sogleich aber zog er sein Schwert und schnitt die drei Drachenköpfe ab. Er verbarg sie in den Falten seines Gewandes, legte sich nieder und schlief ein. Am nächsten Morgen erhob sich das Mädchen und sah, daß ihr Geliebter noch lebend bei ihr lag.

Dem Vater des Mädchens aber wurde berichtet: »Der Mann deiner Tochter ist heute nacht am Leben geblieben.« – »So soll er mein Schwiegersohn werden!« sagte der Vater. Der Jüngling aber ging mit dem Mädchen zu ihrem Vater. »Komm«, sagte nun der Tote, »wir wollen das Vermögen des Mädchens untereinander teilen.« Da machten sie sich ans Teilen. »Ihr Vermögen haben wir nun geteilt«, meinte nun der Tote, »so laß uns nun auch dein Weib teilen!« Der Königssohn aber entgegnete: »Wie können wir sie teilen, wenn du sie haben willst, so nimm sie ganz.« Doch der Tote blieb dabei. »Ich will sie nicht ganz, wir wollen sie teilen.«

»Wie wollen wir sie denn teilen?« fragte der Königssohn. »Laß mich sie nur teilen!« Da ergriff sie der Tote, band ihre Knie und sprach: »Halte du das eine Bein fest, ich halte das andere.« Er hob nun das Schwert, um das Mädchen zu treffen. In ihrem Schrecken öffnete sie den Mund und schrie auf. Da fiel der Drache heraus. Der Tote sagte hierauf zu dem Kameraden: »Ich brauche weder eine Frau noch Geld. Diese Drachenköpfe waren es, die die Freier zerfleischten. Nimm das Mädchen, sie und ihr Geld sei dein. Du hast mir eine Wohltat erwiesen, ich konnte sie dir jetzt vergelten.« – »Was für eine Wohltat habe ich dir erwiesen?« – »Du hast mich aus den Händen der Juden befreit.« Der Tote zog nun seines Weges, und der Jüngling ging mit seinem Weibe zu seinem Vater.

6. Der getreue Kahlkopf

Es lebte einmal ein Mann, der baute einen Dreimaster, nahm sich Schiffsmannschaft und fuhr alsdann vom weißen Meer zum schwarzen Meer. Eines Tages ging er an Land, um Trinkwasser zu schöpfen, da sah er vier oder fünf spielende Knaben. Unter ihnen befand sich ein kahlköpfiger Junge. Er rief den Kahlkopf zu sich und fragte ihn: »Wo ist hier der Brunnen?« Der Knabe zeigte ihn, und der Mann schöpfte Wasser. »Kommst du mit mir?« fragte er dann den Knaben. Der gab zur Antwort: »Ich möchte schon, aber ich habe noch eine Mutter.« – »Nun, so wollen wir zu deiner Mutter gehen.« Da gingen sie miteinander zu des Knaben Mutter. »Willst du mir deinen Jungen mitgeben?« fragte der Schiffsherr die Frau. »Ja, ich gebe ihn dir.« Der Mann zahlte ihr den Lohn für einige Monate und nahm den Knaben mit. Dann gingen sie in See und fuhren bis zu einem großen Dorfe. Hier rasteten sie, um Trinkwasser einzunehmen.

In dem Dorfe aber wohnte ein König. In jenen Tagen nun war der Sohn des Königs auf seinem Spaziergang einem Derwisch begegnet, der ein Gemälde feilbot. Es war das Bild seiner Tochter. Der Königssohn kaufte es, denn dieses Mädchenbild war über die Maßen schön. Der Derwisch, ihr Vater, hatte an dem Bilde seiner Tochter sieben Jahre gemalt. Der Königssohn aber ließ das Bild am Brunnen aufstellen. Vielleicht könnte von denen, die dahin kämen, um Wasser zu trinken, einmal jemand sagen: »Ich habe dieses Mädchen schon gesehen!« Auch der Schiffsherr schöpfte dort Wasser. Und als er aufblickte, sah er die Schöne und staunte: »Welch eine Schönheit!« Als er wieder auf seinem Schiff war, erzählte er seinen Leuten: »Im Dorfe dort ist ein wunderschönes Mädchenbild, ich habe noch nie ein gleiches gesehen.« Der Kahlkopf sprach: »Ich werde sie mir ansehen.« Er ging hin, doch als er das Bild sah, begann er zu lachen und rief: »Das ist ja die Tochter des Derwischs! Woher habt ihr nur ihr Bild?« Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, da wurde er ergriffen und zum Schlosse geführt. Der Kahlkopf aber hielt sich schon für verloren, als man ihn ergriff. Nach zwei Tagen fragten ihn andere Leute nochmals: »Kennst du jenes Mädchen?« – »Ich kenne sie; wir sind in einem Dorfe aufgewachsen. Ihre Mutter ist jetzt tot. Als wir klein waren, legte sie uns beide an ihre Brust.« Da sprachen die Leute: »Wenn du nun vor den König gebracht wirst, so fürchte nichts!« Und bald darauf führte man ihn zum König. Der fragte ihn: »Du kennst jenes Mädchen, mein Sohn?« – »Ja, ich kenne sie, wir sind zusammen aufgewachsen.« – »Kannst du sie hierher bringen?« Der Kahlkopf entgegnete: »Ich werde sie herführen, allein du mußt mich mit einem Dreimaster, gefüllt mit Goldstücken, ausrüsten. Dann gib mir dazu noch zwanzig Sänger mit Spielleuten. Auch deinen Sohn werde ich mit mir nehmen. Es wird aber sieben Jahre währen, bis ich wiederkomme.«

Sie versorgten sich also für sieben Jahre mit Brot und Wein. Dann gingen sie in See und gelangten zur Heimat des Mädchens. Bei Tagesanbruch ließ der Kahlkopf das Schiff dicht am Hause des Mädchens vorüberfahren, denn ihr Haus lag dicht am Meer. Der Kahlkopf sprach: »Ich werde jetzt an Deck steigen und oben auf und ab gehen. Doch von euch darf sich keiner blicken lassen.« Er stieg also nach oben und ging auf dem Schiff auf und ab. – Als die Tochter des Derwischs sich vom Schlummer erhob, da beschien die Sonne das Schiff und zugleich aber auch ihr Wohnhaus. Sie trat heraus und rieb sich die Augen. Sie sah dort einen Mann auf und ab gehen; sie neigte sich vor und erkannte unseren Kahlkopf. Was mochte er hier suchen? »Was willst du hier?« rief sie ihm zu. »Ich bin deinethalben gekommen. Es sind so viele Jahre vergangen, seit ich dich zuletzt sah. Ich bin hierher gekommen, um dich wiederzusehen. Willst du nicht ein wenig aufs Schiff kommen? Wo ist denn dein Vater?« – »Weißt du nicht, daß mein Vater mein Bild gemalt hat? Er will es jetzt verkaufen. Ich erwarte seine Rückkehr.« – »Komme herüber, wir wollen ein Weilchen miteinander plaudern.« Das Mädchen kleidete sich an. Der Jüngling ging alsdann zu den Schiffsleuten und sprach: »Verbergt euch, so daß keiner gesehen wird. Doch sobald ich sie in die Koje nehme und mit ihr plaudere, müßt ihr die Schiffstaue durchschneiden.« Das Mädchen kam in die Koje. Sie setzten sich nieder und plauderten. Währenddessen aber fuhr das Schiff ab.

Da ließ der Jüngling den Königssohn aus seinem Versteck hervorkommen. »Wer ist dieser?« fragte erstaunt das Mädchen und setzte hinzu: »Ich möchte jetzt wieder gehen!« – »Bist du närrisch, meine Schwester? Komm, wir wollen noch ein wenig von diesen Süßigkeiten kosten!« Er gab dem Mädchen davon, und sie ließ sich betören. Nun meinte der Kahlkopf: »Jetzt sollen dir die Musikanten etwas spielen.« Er ging und holte die Musikanten, und sie begannen zu spielen. Das Mädchen sprach nochmals: »Ich muß fort, denn mein Vater kommt.« – »Bleibe noch ein wenig hier, damit dir die Jungen noch etwas spielen.« Während aber jene Musik machten, hörte sie nicht, daß das Schiff schon wieder in Fahrt war. »Nun aber muß ich gehen!« sagte sie schließlich und ging an Deck und sah, wo ihr Haus lag. »Mein Bruder«, rief sie, »was hast du mir getan?« – »Was soll weiter werden? Schau, jener Mann, der neben dir sitzt, ist der Sohn des Königs, und ich bin gekommen, um dich für ihn zu holen!« Das Mädchen aber weinte. »Was soll ich tun?« rief sie aus. »Soll ich mich ins Meer stürzen?« So klagend ging sie zum Königssohn und setzte sich zu ihm. Die Musik spielte, und Speise und Trank gab’s im Überfluß. Der Kahlkopf aber war allein oben, als Kapitän stand er regungslos auf seinem Posten, während die anderen sich’s wohl sein ließen. Sie waren wohl zwei oder drei Tage schon unterwegs. Da kamen eines Tages beim Morgengrauen drei Vögel auf das Schiff geflogen. Außer dem Kahlkopf war niemand an Deck. Zwei der Vögel begannen zu fragen: »Vogel, Vogel, was gibt es denn, Vogel?« Der dritte erwiderte: »Die Tochter des Derwischs ißt und trinkt mit dem Sohn des Königs und ahnt nicht, was für ein Verhängnis ihr bevorsteht.« – »So erzähle es uns«, baten die anderen Vögel. »Sobald sie ankommen werden, wird ein kleines Schiff herzufahren, um sie an Land zu bringen. Dies Boot wird aber kentern, und die Tochter des Derwischs und der Königssohn werden ertrinken. Doch jeder, der dies hört und sie vorher warnt, wird bis zum Knie in Stein verwandelt werden.« Der Kahlkopf hörte alles, doch außer ihm hörte es keiner. – Am folgenden Tage kamen die Vögel abermals in der Frühe zusammen und begannen sich zu unterhalten. Zwei von ihnen fragten den dritten: »Vogel, Vogel! Was gibt es, Vogel?« – »Hört nur: Die Tochter des Derwischs und der Königssohn, die jetzt noch essen und trinken, wissen nichts von dem Schrecklichen, das ihnen droht. Sobald sie landen und unter das Tor des Schlosses treten, wird das Tor einstürzen und wird sie zerschmettern und töten. Doch wer es hört und es ihnen ausplaudert, wird bis zum Rücken in Stein verwandelt werden.« – Auch am folgenden Tage kamen die drei Vögel wieder. Und wieder hörte der Kahlkopf ihr Gespräch: »Vogel, Vogel, was gibt es Neues, Vogel?« Der gab den beiden andern zur Antwort: »Wehe, die Tochter des Derwischs ißt und trinkt und weiß nicht, was ihr zustoßen wird. Am Abend ihrer Hochzeit wird ein Drache mit sieben Köpfen kommen und den Königssohn und das Mädchen verschlingen. Doch wer es hört und verrät, wird bis zum Kopf in Stein verwandelt werden.« Da sprach der Kahlkopf zu sich selbst: »Ich werde verhindern, daß Landungsboote kommen.« Doch als er dem Schlosse zusteuerte, kamen auch schon die Landungsboote heran, um das Mädchen aufzunehmen. »Zurück! Ich wünsche die Boote nicht«, rief er. Da drehten die Boote, und er fuhr mit vollen Segeln an Land. Die es sahen, sprachen: »Warum will er denn das Schiff mit Gewalt zerstören?« Auch der König sprach: »Beim Landen geht es in Trümmer.« Und wirklich, das Schiff zerschellte. Doch der Jüngling sprach: »Habe ich dir nicht damals, als du mir den Auftrag gabst, das Mädchen zu holen, erklärt, daß ich immer nach eigenem Gutdünken handeln wolle? Ich lasse mir also von niemand dreinreden.« Nun schritt er mit dem Königssohn und dem Mädchen bis zum Tore. »Reißt es nieder!« befahl er. »Warum sollen wir es zerstören?« sprachen die Hofleute. »Habe ich euch nicht gesagt, daß ihr euch nicht in meine Angelegenheiten zu mischen habt?« Da rissen sie das Tor nieder. Dann gingen alle in den Palast, aßen und tranken, lachten und plauderten. Den Kahlkopf aber quälte die Sorge. Es wurde Nacht. Die Beiden wurden getraut. Nun erklärte der Kahlkopf dem jungen Paar: »Da, wo ihr schlafen werdet, werde auch ich schlafen.« Der König aber wollte es nicht zulassen und sprach: »Hier, wo die Neugetrauten ruhen werden, kannst du doch die Nacht nicht verbringen!« – »Wie lautete denn unsere Vereinbarung?« fragte der Jüngling. »Tu, wie du willst!« erwiderte der König. Da gingen sie alle drei ins Schlafgemach und legten sich nieder. Der Kahlkopf aber legte sich mit dem Schwerte in der Hand zur Ruhe und zog sich die Decke über den Kopf. Um Mitternacht hörte er, daß ein Drache kam. Er zog sein Schwert, schnitt ihm die Köpfe ab und legte sie unter das Kopfkissen. Der Sohn des Königs aber erwachte und sah das Schwert in seinen Händen und schrie: »Der Kahlkopf wird uns töten!« Da kam sein Vater und fragte ihn: »Warum schreist du so, mein Sohn?« – »Dieser Jüngling will uns töten!« erwiderte er. Da fesselten sie dem Kahlkopf die Arme.

Als es Tag wurde, ließ ihn der König vor sich bringen und sprach: »Was für ein Spiel hast du getrieben? Sieben Jahre bist du umhergezogen, um das Mädchen hierher zu führen, und jetzt wolltest du sie und ihren Gatten töten.« – »Was sollte ich tun? Ich konnte nicht anders handeln!«

»Du wolltest meinen Sohn töten, jetzt werde ich dich töten!« – »Das steht bei dir!« war die Antwort des Jünglings. Da fesselten sie ihn und führten ihn ab, um ihn hinzurichten. Während er dahinschritt, sprach der Kahlkopf zu sich: »Nun werden sie mich enthaupten, da kann ich ebensogut mein Geheimnis jetzt offenbaren, wenn ich dann auch in Stein verwandelt werde.« Da wandte er sich an die, die ihn abführten: »Vorwärts, führt mich nochmals zum König, ich habe ihm noch zwei Worte zu sagen!« Da führten sie ihn zum König. »Warum habt ihr ihn hierhergeführt?« – »Er hat dir noch etwas zu sagen.« – »So sprich, mein Sohn!« – »Als ich die Tochter des Derwischs hierher brachte, war ich ganz allein auf dem Schiff. Dein Sohn aß und trank mit dem Mädchen. Eines Morgens kamen drei Vögel. Die sprachen untereinander: ›Was gibt es Neues?‹ – ›Die Tochter des Derwischs ißt und trinkt mit dem Königssohn; doch sie weiß nicht, daß ihr ein Unglück droht. Doch wer es hört und dann erzählt, wird bis zum Knie in Stein verwandelt werden!‹ Doch außer mir hörte es niemand.« Kaum hatte der Kahlkopf das gesagt, als er bis zum Knie in Stein verwandelt war. Als der König das sah, rief er: »Halt ein, mein Sohn, sprich nicht weiter!« – »Ich rede doch weiter«, sagte der Jüngling. Als er auch von dem Tore erzählte, da wurde er bis zum Rücken in Stein verwandelt. Und doch berichtete er weiter: »Die Vögel kamen zum dritten Male, und ich belauschte wieder ihr Gespräch. Das war der Grund, daß ich mit dem jungen Paar im gleichen Zimmer schlafen wollte, denn ein siebenköpfiger Drache erschien in der Nacht, um sie beide zu verschlingen. Wenn du es aber nicht glaubst, so sieh unter das Kopfkissen!« Da gingen sie hin und fanden die Köpfe. Der Kahlkopf aber schloß mit den Worten: »Ich habe ihn getötet. Dein Sohn aber sah das Schwert in meinen Händen und glaubte, daß ich ihn töten wolle. Ich aber konnte ihm mein Geheimnis nicht sagen.« Da wurde der Kahlkopf bis zum Kopf in Stein verwandelt, und man legte ihn ins Grab. Der Königssohn aber zog in die Welt. Er sagte: »Sieben Jahre hat er für mich die Mühen der Reise erduldet. Ich werde auch sieben Jahre um seinetwillen wandern.« Eines Tages kam er an einen Ort, wo Wasser war. Er trank davon, legte sich nieder und schlief ein. Da erschien ihm der Kahlkopf im Traum und sprach zu ihm: »Nimm von hier ein wenig Erde und wirf sie auf mein Grab. Dann wird der Stein von mir abfallen.« – Der Königssohn schlief lange, dann erhob er sich, nahm Erde und warf sie auf das Grab. Da stand der Kahlkopf auf und fragte: »Wie lange habe ich geschlafen?« – »Du bist sieben Jahre lang für mich umhergezogen, sieben Jahre bin auch ich für dich gewandert«, sagte der Königssohn und führte ihn in sein Schloß und erhob ihn zu einem hohen Amte.

7. Das schwierige Rätsel

Es war einmal ein reicher Mann, der hatte einen Sohn. Mutter und Vater liebten ihn gar sehr. Dieser Knabe ging in die Schule und erlernte alles, was es auf der Welt zu wissen gibt. Eines Tages bekam er vier oder fünf Beutel Geld und verbrachte es in Saus und Braus. Am folgenden Tage trat er in der Frühe vor seinen Vater und sprach: »Gib mir wieder Geld!« Und er bekam abermals Geld, ging damit aus und vertat alles in einer Nacht. So verjubelte er das ganze Vermögen seines Vaters. Eines Tages trat er wiederum vor seine Eltern mit der Bitte um Geld. Da sprachen die Eltern zu ihm: »Mein Sohn, wir besitzen jetzt kein Geld mehr; doch wenn du willst, so nimm diese Pfannen, verkaufe sie und nimm dir den Erlös, um dir einen guten Tag zu machen.« Der Sohn verkaufte sie und verbrauchte das Geld in zwei Tagen. Dann kam er wieder zu seinen Eltern und verlangte Geld. Sie aber sprachen: »Wir haben kein Geld, mein Sohn, aber nimm doch unsere Kleider und verkaufe sie.« Den Erlös dafür verschwendete der Junge wieder in wenigen Tagen. Dann verkaufte er das Haus seiner Eltern und verpraßte das Geld in einem Monat. Da trat er abermals vor seine Eltern hin und forderte Geld von ihnen. Die Eltern aber klagten: »O mein Sohn, weder Geld noch Haus ist uns geblieben, doch wenn du willst, so führe uns zum Sklavenmarkt und verkaufe uns!« Da verkaufte der Sohn seine Eltern. Vater und Mutter aber baten ihn: »Komme doch bald einmal her und besuche uns, damit wir dich wenigstens sehen können.« Beide Eltern wurden von dem König des Landes gekauft. Der Sohn aber erstand sich von dem Gelde, das er für seine Mutter erhalten hatte, neue Kleider und mit dem Geld, das man ihm für seinen Vater gegeben hatte, ein Pferd. Als nach ein, zwei Tagen der Sohn nicht kam, begannen seine Eltern zu weinen. Als die Bedienten des Königs das sahen, liefen sie zum König und sprachen: »Die Sklaven, die du dir gekauft hast, weinen sehr.« – »So ruft sie zu mir!« Als sie kamen, fragte sie der König: »Warum weint ihr?« – »Wir haben einen Sohn, um den weinen wir.« Da forschte der König weiter: »Was für Leute seid ihr denn eigentlich?« – »Wir haben auch schon bessere Tage gesehen, o König. Doch wir haben einen Sohn, der hat unseren Reichtum verpraßt und uns verkauft; um ihn weinen wir. Ach, daß er doch hierher käme, damit wir ihn wiedersehen könnten!« Während die Eltern mit dem König sprachen, kam der Sohn zurück. Der König aber schrieb einen Brief und händigte ihn dem Jüngling ein mit den Worten: »Bringe diesen Brief zu dem und dem Orte hin.« In dem Brief aber hatte der König geschrieben: »Schneidet dem Jüngling, der euch diesen Brief bringt, sogleich den Hals ab.« Der Sohn machte sich reisefertig, bestieg sein Pferd, verbarg den Brief an seiner Brust und machte sich auf den Weg. Er war eine weite Strecke geritten, da verspürte er einen brennenden Durst und erblickte auch einen Brunnen. »Wie soll ich trinken?« dachte er. »Doch halt, ich werde den Brief an eine Schnur binden, ihn in den Brunnen hinabsenken und mir damit ein wenig den Mund benetzen.« Er ließ also den Brief in den Brunnen hinab, zog ihn wieder empor und preßte sich die Feuchtigkeit, die daran haftete, in den Mund. »O«, dachte er, »wenn ich doch sehen könnte, was in dem Briefe steht.« Doch was las er? »Schneidet dem Jüngling, der euch diesen Brief bringt, sogleich den Hals ab.« Als er das gelesen hatte, stand der Jüngling vor Schrecken erstarrt.