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Cover

Vorwort

Stellaris 1

Vorwort

»Ausgerutscht« von Michael Marcus Thurner

Stellaris 2

Vorwort

»Wolfsnächte« von Christian Montillon

Stellaris 3

Vorwort

»Die Planetenerfinderin« von Wim Vandemaan

Stellaris 4

Vorwort

»Samenflug« von Andreas Findig

Stellaris 5

Vorwort

»Blau in Blau« von Hermann Ritter

Stellaris 6

Vorwort

»Mörder« von Wim Vandemaan

Stellaris 7

Vorwort

»Schatten der Vergangenheit« von Roman Schleifer

Stellaris 8

Vorwort

»Subterranean Homesick Blues« von Dieter Bohn

Stellaris 9

Vorwort

»Der ewige Sieger« von Wim Vandemaan

Stellaris 10

Vorwort

»Der ganz normale Bordwahnsinn« von Dieter Bohn

Impressum

 

Das Raumschiff STELLARIS lädt ein zu einer besonderen Reise in das Perryversum

 

Die STELLARIS ist ein besonderes Raumschiff: Seit vielen Jahren reist sie durch das Universum der PERRY RHODAN-Serie, bemannt von einer wechselnden Besatzung, unter wechselnder Leitung und mit wechselnden Zielen. Die Abenteuer, die ihre Besatzung und Passagiere erleben, sind Thema zahlreicher Geschichten ...

Unterschiedliche Autoren verfassten die Kurzgeschichten rings um das Raumschiff STELLARIS. Sie werden seit Jahren regelmäßig im Mittelteil der PERRY RHODAN-Hefte veröffentlicht – hier präsentieren wir die ersten zehn Geschichten in einer Sammlung.

Mit dabei sind die PERRY RHODAN-Autoren Michael M. Thurner, Christian Montillon und Wim Vandemaan, der ehemalige PERRY RHODAN-Autor Andreas Findig sowie Hermann Ritter, Roman Schleifer und Dieter Bohn. Zu lesen gibt es humoristische Geschichten, Krimis und phantasievolle Reisen durch die unbekannten Gebiete der heimatlichen Milchstraße.

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Folge 1: »Ausgerutscht« von Michael Marcus Thurner.

 

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Liebe PERRY RHODAN-Freunde,

 

das Perryversum ist unermesslich. Es erstreckt sich buchstäblich Milliarden Jahre in die Vergangenheit, Jahrtausende in die Zukunft, bis an die Grenzen unseres Universums – und darüber hinaus.

Doch trotz dieser Weite, trotz der wöchentlichen Hefte, der Taschenbücher, der vielen anderen Publikationen bleiben noch weiße Flecken auf der Landkarte des Perryversums, unerforschte Weiten.

Die mit Abstand größte dieser Weiten ist der Alltag. Das gewöhnliche Leben von Terranern und anderer galaktischer Intelligenzen, das immer wieder zur Seite treten muss, um die Bühne für die großen kosmischen Ereignisse frei zu machen, die das Perryversum bestimmen.

Doch das wird ab sofort anders, wenigstens in kleinem Maßstab. Mit diesem Heft beginnen die Abenteuer der STELLARIS! Die STELLARIS ist einer von unzähligen Frachtern, die dafür sorgen, dass die gigantischen Warenströme zwischen den besiedelten Welten der Milchstraße nicht versiegen, bemannt von gewöhnlichen Terranern und anderen Galaktikern. Alle acht Hefte wird eine neue STELLARIS-Kurzgeschichte erscheinen und damit teilweise die Stelle des PERRY RHODAN-Journals einnehmen.

Wohin die Reise der STELLARIS führt? Ehrlich gesagt: Wir wissen es noch nicht. Und das ist gut so. Denn die STELLARIS soll ihren Steuermännern (und -Frauen!) die Möglichkeit geben, sich auszutoben, das Perryversum frei von Vorgaben zu erforschen.

Den zugleich souveränen wie humorvollen Anfang macht auf den folgenden Seiten Michael Marcus Thurner. Ihm werden andere feste Autoren der Serie folgen sowie mit Sicherheit der eine oder andere Neuling und Gast – jeder von ihnen gut für eine angenehme und spannende Überraschung!

 

Zu den Sternen!

Frank Borsch

PERRY RHODAN-Redaktion

Folge 1

»Ausgerutscht«

von Michael Marcus Thurner

 

»Wird's heute noch was, Mann?« Der Geruch nach Knoblauch und epsalischem Zitterlottenkraut wehte mir entgegen.

»Jasper Fink meldet sich zum Dienst«, sagte ich gequält. Vor mir schälte sich ein aufgedunsenes und rotes Gesicht aus dem Halbschatten der Hauptschleuse.

Der Mann war fett und triefte vor Schweiß. Seine bratpfannengroßen Hände zeigten breite Schwielen. Um den Bauch hatte er einen meterlangen Gürtel geschnallt, der mit diversen Ausrüstungsgegenständen, wie einem Multi-Schraubendreher und einem Ölkännchen, bestückt war. In mehreren Schlaufen hingen zusätzlich Hefegetränke.

Primo Janitor. Der gefürchtetste Verwaltungssteward, der in der zivilen terranischen Flotte Dienst tat. Ich hatte Schreckliches über ihn gehört. Er war ein bösartiges Monster, angeblich gezeugt von des Teufels Großvater und Ascari da Vivo. Ich würde ihm auf der STELLARIS während der nächsten sechs Monate unterstellt sein.

»Jasper Fink ist kein Name«, krächzte er, »den ich mir merken kann. Oder will.« Er taxierte mich von oben bis unten, ließ mich ein paar Sekunden lang schwitzen. »Du heißt ab jetzt Kohlröschen. Schnapp dir deine Dienstkleidung – und dann ab ins Quartier. Hier ist dein Legitimations-Chip. Du wohnst auf C-Fünf, Kabine einundzwanzig. In zehn Minuten erwarte ich dich wieder hier, zum Dienstantritt. Abmarsch!«

Ich ließ den Koffer mit meinen persönlichen Gütern neben mir herschweben und trottete auf einen der Antigravs zu. Ich wusste, dass ich's niemals rechtzeitig zurückschaffen würde, und Janitor wusste, dass ich es wusste. Ich nahm es mit der Gelassenheit zwanzigjähriger Raumerfahrung hin. Ein Leben auf mehr als einem Dutzend Schiffe hatten mich manche Dinge gelehrt. Als »Neuer« würde ich mein Fett abbekommen. So lauteten nun mal die ungeschriebenen Regeln.

Ich blickte mich um, wollte mir, ungeachtet der düsteren Aussicht auf unangenehme Stunden, einen ersten Eindruck machen. Ich fuhr mit den Fingernägeln die Wände des breiten Ganges entlang, beobachtete die vorbeiwuselnden Reinigungsroboter, studierte die überall affichierten Lagepläne, verinnerlichte das bunte Leitliniensystem und machte mir all die anderen Kleinigkeiten bewusst, die ich neu erlernen musste.

Jeder Raumer terranischer Fertigung war anders. Minimale Fertigungsunterschiede waren die eine Seite; zusätzlich brachten sich die systemerhaltenden Mannschaftsmitglieder ein, indem sie ihr jeweiliges Schiff an ihre Bedürfnisse anpassten. Wenn man lange genug im interstellaren Raum unterwegs war und sich ein Auge fürs Detail bewahrte, konnte man ein Schiff richtiggehend lesen. Mit ein wenig Fingerspitzengefühl würde es mir gelingen, die Herstellerwerft der STELLARIS – und möglicherweise sogar den verantwortlichen Schiffsarchitekten – zu bestimmen.

Es ging aufwärts. Meine Kabine befand sich in einem inneren Sektor, vielleicht 30 Meter von der Zentrale entfernt. Die Wände des Standardraums würden hier, nahe des Schiffszentrums, deutlich nach innen gekrümmt sein.

Ich öffnete die Türe mit dem Kodegeber, trat ein, ließ meinen Schwebekoffer auf das Bett zugleiten – und sah mich einem Arkoniden gegenüber.

 

*

 

»Du bist der Neue?«, fragte der Weißhaarige und drehte mir gleich darauf wieder den Rücken zu.

»Ja.« Ich blieb stehen, betrachtete den mageren, fast zwei Meter großen Mann voll Misstrauen.

»Schiffsverwaltung. Unter der Fuchtel von Janitor. Stimmt's?«

»Richtig.«

»Mach's dir bequem. Habe jetzt Dienst, komme in acht Stunden wieder.«

Er marschierte an mir vorbei, widmete mich keines Blicks. Es haftete ihm jene Überheblichkeit an, die die Weißhaarigen unerträglich erscheinen ließen.

»Du bist ein Arkonide«, sagte ich, bevor er die Kabine verließ.

»Ausgezeichnet beobachtet.« Er lächelte arrogant.

Schwarze Pupillen trieben in blutroten Augen. Dies war ein Anblick, der mich jedes Mal aufs Neue erschreckte.

»Ach ja«, sagte der Mann. »Ich heiße Locust da Adnan. Bin Funker.«

Ich wartete, bis die Kabinentür hinter ihm ins Schloss fiel. Dann atmete ich tief durch. Bemühte mich, das Zittern meiner Hände unter Kontrolle zu bekommen.

Wusste Janitor von meiner Arkonophobie? Von meinen Ängsten den Weißhaarigen gegenüber, die ich seit jeher mit mir herumtrug? Dass ich trotz mehrmaliger psychologischer Betreuung unter immer wiederkehrenden Hassattacken gegen die Arkoniden litt.

Ruhig bleiben, Jasper!, sagte ich mir. Janitor hat sicherlich keinen Zugriff zu den heiklen Daten deiner Personalmappe. Das ist Zufall – nichts weiter.

Ich setzte mich aufs Bett und verstaute meine Siebensachen in den Senkregalen. Janitors unbestimmte Drohung, mich im Fall meines Zuspätkommens ordentlich herzunehmen, geriet endgültig in den Hintergrund. Der alte Eisenbeißer konnte mich gern haben. Ich musste mit einem weitaus größeren Problem als einem fettleibigen Menschenschinder fertig werden.

Ein Arkonide – an Bord der STELLARIS?!

Seit Jahrzehnten nahm die Zahl der Rotaugen, die es in die Dienste der Liga Freier Terraner verschlagen hatte, beständig ab. Das Misstrauen zwischen Terranern und Arkoniden war groß. Imperator Bostich, der sich auch gerne mal als »millionenäugige, alles sehende, alles wissende Erhabenheit« titulieren ließ, hatte ein Klima des Misstrauens zwischen den Angehörigen unserer beiden Völker geschaffen.

Ich mochte die Arkoniden nicht – und fürchtete sie zugleich. Sie rochen nach Hochmut und Ärger.

All meine Hochgefühle, die ich beim Betreten der STELLARIS empfunden hatte, waren dahin.

 

*

 

In meinem Job war ich gut. Verdammt gut. Ich hätte es sicherlich auf einen der großen Pötte geschafft, vielleicht sogar auf die LEIF ERIKSSON. Doch immer wieder war ich mir selbst im Weg gestanden. So meinten es zumindest jene Bordpsychologen, denen ich zum Fraß vorgeworfen worden war. Arkonophobie und eine latente Gewaltbereitschaft vertrugen sich nun mal nicht mit höheren Aufgaben.

Nur wenige Stunden nach meiner Ankunft startete die STELLARIS vom Terrania Space Port. Ihr Ziel war irgendeine Kolonie der LFT im Herzen der Plejaden. Die Fracht bestand aus landwirtschaftlichem Gerät.

Angeblich.

Was auch immer es war – ich hatte es längst aufgegeben, mich für derlei Dinge zu interessieren. Ich wollte meine Arbeit erledigen – und ansonsten in Ruhe gelassen werden. Sollten die Großkopfeten dem Geld nachhetzen; ich würde außen vor bleiben.

»Träumst du schon wieder?«, brüllte mir Janitor ins Ohr. »Du bist mir als Stellvertreter zugeteilt. Das bedeutet: Ich gebe Anweisungen, und du arbeitest. Verstanden?«

Ich nickte dienstbeflissen und wandte mich wieder meiner Aufgabe zu. Ich musste einen zusätzlichen Arbeitsplatz mitsamt der notwendigen Infrastruktur in eine der Nebenzentralen einpassen. Die Service-Roboter versagten bei derartigen Aufträgen kläglich. Meist nahmen sie auf menschliche Ergonomie keine Rücksicht. Ein Mensch jedoch musste sich wohl fühlen, um Leistungen erbringen zu können. Er benötigte Blickkontakt zu seinen Kollegen, durfte nicht in einen toten Winkel zwischen zwei Schaltkästen gepackt werden, wollte schon aus rein psychologischen Gründen nicht unmittelbar neben den Toilettenanlagen sitzen. Dies alles beachteten die Blechtrottel nicht. Selbst Posbis mit hochgezüchteter Bio-Komponente vermochten sich kaum in die menschliche Psyche hineinzuversetzen.

Ich schraubte also vor mich hin und ignorierte tunlichst Janitors heißen Atem in meinem Nacken. Schließlich entfernte sich der Leuteschinder, um einen anderen seiner gut zwei Dutzend Sklaven zu malträtieren.

»Unglaublich, dass ein derartiges Geschöpf so viel Macht und Einfluss besitzt«, flüsterte mir Zhu Eisenstein zu. Er hatte zeitgleich mit mir auf der STELLARIS angeheuert. »Manchmal glaube ich, dass Janitor über alles bestimmt, was an Bord der STELLARIS geschieht.«

Er reichte mir eine Tube Kombi-Molekularkleber. Ich fixierte das Arbeitspult am dafür vorgesehenen Platz und betrachtete es zufrieden.

»Ist wohl eine deiner ersten größeren Fahrten?«, fragte ich.

»Die dritte.« Er grinste mich mit seinem unverschämt fröhlichen Sommersprossengesicht an. »Ich hab bis jetzt in den Service-Werften am Space Port gejobbt. Vier Jahre lang, bis ich's satt hatte. Immer die gleichen Gebäude, immer derselbe Trott, immer dieselben alten Gesichter.«

»Dann hast du den Fehler deines Lebens gemacht, Kumpel«, beschied ich ihm. »An Bord eines Raumschiffs geht's viel eintöniger zu als in der schäbigsten Werft. Und wenn du dann noch einen Typen wie Janitor vor die Nase gesetzt bekommst, ist der Tiefpunkt erreicht. Hast du wenigstens eine Waffe, um dir selbst die Birne wegzublasen, wenn's dir zu viel wird?«

Die Sommersprossen schienen ihm aus dem Gesicht zu fallen. Eisenstein ging mir tatsächlich auf den Leim, wich erschrocken einen Schritt zurück.

»Schon gut, Kleiner. War nur ein Scherz. Ich wollte dich nicht erschrecken.« Ich seufzte. »Aber um auf deine Theorie zurückzukommen: Die Antwort lautet ja. Janitor ist der eigentliche Kommandant des Schiffs. Wenn er schlecht verdaut hat, rührt sich nichts mehr. Wenn ihn miese Laune überkommt, müssen wir alle dafür büßen. Wenn ihm die Kommandantur auf die Finger klopft, lässt er seine Muskeln spielen, legt die Schiffsaggregate lahm und droht mit der Gewerkschaft.«

»Aber er ist doch bloß ein Steward! Ein Schiffsverwalter, ein Systemerhalter ...«

»Er erledigt jene Aufgaben, die in früheren Tagen von Hausmeistern erledigt wurden.«

»Und?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Wenn du nicht weißt, über welche Macht Hausmeister verfügen ...« Ich ließ ihn stehen und kümmerte mich um die Endinstallation der Mikropositronik.

Schlimm genug, dass ich ein Monstrum als Vorgesetzten vor der Nase sitzen hatte. Aber dieser ahnungslose, äußerst ungeschickte Milchbubi, mit dem ich zusammenarbeiten musste, setzte dem Fass die Krone auf.

 

*

 

Nach den Plejaden ging's in den Orion-Nebel. Dann stand Lepso an. Weiter über Swoofon. Schließlich Ertrus.

Kreuz und quer reisten wir im Schlingerkurs, ohne auf irgendwelche Gesetze der Rentabilität zu achten.

Lewis Silberling, der Kapitän, gab selten direkte Anweisungen an uns aus. Er scherte sich nicht um die Mannschaft, ließ alles von seinen direkt Untergebenen erledigen. Und das war in meinem Fall Janitor, der im Hochgefühl seiner Macht immer unleidlicher und bösartiger wurde.

»Zehn Prozent dessen, was auf dem Tisch liegt, gehört mir!«, brüllte er quer durch den Mannschaftsraum, als er uns beim Diggen erwischte. Ist ein uraltes Spiel, das angeblich seit mehr als 500 Jahren den Schiffsreisenden die Langeweile vertreibt.

Janitor stellte sich breitbeinig hinter mich, sah mir beim dreidimensionalen Auffächern des Geberblatts zu.

Natürlich wussten wir um das Verbot des Schwebekartenspiels während der Dienstzeit. Auf den meisten Schiffen galten strenge Vorschriften. Schließlich konnte man binnen weniger Minuten den gesamten Sold verlieren. Doch Eisenstein, der unsägliche da Adnan, ein plophosischer Triebwerkstechniker namens Folton Grutz und ich spielten lediglich um geringste Einsätze, um die Zeit während des gemeinsamen Bereitschaftsdienstes totzuschlagen.

»Zehn Prozent von zehn Galax?«, wagte ich zu fragen. »Kommst du dir nicht lächerlich vor?«

»Kleinvieh macht auch Mist, Kohlröschen. Wenn dir aber lieber ist, dass ich dem Kapitän von euren Glücksspielchen erzähle ... Ihr seid keinesfalls unersetzlich, Freunde. Halbseidene Gestalten wie euch finde ich in der miesesten Raumhafenspelunke.« Er blickte auf sein verschmutztes Multikom-Band, das sich über den rechten Unterarm zog. »Ihr sitzt jetzt seit mindestens zwei Stunden hier, habt also gut und gerne zwanzig Spielchen bei einem geschätzten Einsatz von dreihundert Galax hinter euch. Macht dreißig Eier, zahlbar sofort.«

»Dich soll Monos holen, du Leuteschinder!«, sagte ich, stand auf, drehte mich um, ballte die Rechte zur Faust, war bereit, zuzuschlagen. »Bildest du dir ein, du kannst dir alles erlauben?«

»Ruhig, Freund!«, sagte da Adnan, der sich neben mich geschoben hatte. Er legte mir begütigend die Hand auf die Schulter, zog mich ein Stückchen zurück.

Ich schüttelte ihn unwirsch ab. Das Rotauge hatte mir gerade noch gefehlt! Schlimm genug, dass ich mit ihm die Kabine und den Dienstplan teilen musste – jetzt wollte er mir auch noch Vorschriften machen.

»Überleg dir ganz genau, was du tust«, sagte Janitor. Er hielt die Arme vor der Brust verschränkt und beobachtete mich wie eine lästige Fliege, die er jederzeit zerquetschen konnte. »Eine falsche Bewegung, und ich hänge dir ein Disziplinarverfahren an. Und zu Boden schicke ich dich sowieso. In Notwehr, selbstverständlich. Also, Kohlröschen? Was wirst du tun?«

Da gab's kein Nachdenken mehr. Ich stürzte mich auf den Fetten, holte zu einem mächtigen Schlag aus ... Eine Bratpfannenhand traf mich mit der Wucht eines Drillhammers, schleuderte mich beiseite. Dann war nichts mehr.

 

*

 

»Du bist ein Unruhestifter, Jasper Fink«, sagte der Kapitän. Er stand vor meinem Krankenbett, Beine überkreuzt, und sah zu, wie mir eine Robotdrohne mit nerviger Weibsstimme den Kopfverband wechselte. »Ich hatte gehofft, mit dir einen guten Fang gemacht zu haben, als ich dich aus der Personalkartei auf Terrania fischte. Eine ausgezeichnete TLD-Ausbildung, dann das Kleine Schiffspatent, Spezialisierung auf Logistik und Materialverwaltung. Da waren ausgezeichnete Referenzen in deiner Mappe. Sowohl von militärischer als auch von privatwirtschaftlicher Seite. Ich habe mich davon blenden lassen.«

Ich schwieg. Mit ausgerenktem Kiefer redet sich's schwer.

Lewis Silberling strich sich fahrig durch die dunklen Haare. »Die negativen Eintragungen, deine vielen Raufhändel und diese generelle Unbeherrschtheit wollte ich nicht zur Kenntnis nehmen. Ich dachte mir, dass Janitor mit dir fertig werden würde.«

»Dasch ischt er ja wohl auch.« Ich betapste die riesige Beule an meinem Vorderkopf, bevor ich mich wieder auf den Kapitän konzentrierte. »Darf ich wasch datschu sagen ...«

»Darfst du nicht, Jasper«, unterbrach mich der Kapitän. »Janitor mag ein ungehobelter Bursche sein. Aber ich verlasse mich voll und ganz auf seine Menschenkenntnisse. Wenn er meint, er hätte keine andere Möglichkeit zur Notwehr gehabt, dann vertraue ich ihm.«

»Aber ...«

»Kein Wort mehr.« Silberling drehte sich beiseite, wollte die Krankenstation verlassen. »Wir haben noch eine Zwischenlandung vor uns, bevor wir zurückkehren. Du wirst uns auf Terra verlassen. Dein Vertrag wird aufgekündigt, die Heuer abzüglich eines Strafgelds für ungebührliches Benehmen ausbezahlt. Haben wir uns verstanden?«

»J...ja.«

Die Tür fiel hinter dem Kapitän ins Schloss. Ich ließ mich zurückfallen, wehrte weitere Bemutterungsversuche der Ärztedrohne ab.

Ich hatte es wieder mal geschafft, ohne Arbeit dazustehen. Nach rekordverdächtigen zwei Monaten.

 

*

 

Überraschenderweise entdeckte ich so etwas wie Ehrgefühl in mir. Unter keinen Umständen wollte ich meine letzten Tage an Bord dieses prächtigen, fast neuen Raumers in der Krankenstation verbringen. Also stürzte ich mich in die Arbeit. Um zu vergessen.

Janitor ließ mich fortan in Ruhe. Fast schien es mir, als hätte er ein schlechtes Gewissen und ginge mir aus dem Weg.

Nein – das konnte nicht sein.

Denn wenn dem so gewesen wäre, hätte mein Chef so etwas wie positive Charaktereigenschaften besessen – und das war ausgeschlossen.

Eisenstein war mir nach wie vor zugeteilt. Ich gab mir Mühe, unser Verhältnis so unbelastet wie möglich zu gestalten, und wies ihn intensiv in jene Arbeitsbereiche ein, die er bald alleine übernehmen musste. Ich konnte bloß hoffen, dass er seine Ungeschicklichkeiten bald ablegen würde.

Die STELLARIS war irgendwann zwischen 1330 und 1333 in Dienst gestellt worden. Immer noch roch alles wie neu, war alles wie neu. Auf Schritt und Tritt begegnete ich verblüffenden Detaillösungen, die das Arbeiten auf meinen früheren Raumern wie einen schlechten Traum erscheinen ließ. Seit Jahren schon hatte ich nicht mehr auf einem derart modernen Schiff Dienst getan. Der Raumer der MINERVA-Klasse war das Nonplusultra der kleineren Schiffskategorien – wenn man angesichts eines Durchmessers von 200 Metern überhaupt noch von »klein« reden durfte.

»Was wirst du machen?«, fragte mich Eisenstein. Mit entschuldigendem Blick hob er den Multischrauber auf, der ihm aus der Hand gerutscht war. Wir fügten soeben die Verschalungshälften eines Positronikknotens zusammen und würden sie anschließend versiegeln. Es handelte sich um ein neumodisches 913er-Biomodulat, einfach und unkompliziert aufgebaut, wie es für redundante Notschaltungen zum Einsatz kam. Ich hatte das Rechnerteil schon vor Tagen einmal in der Hand gehabt. Wider Erwarten zeigte er nach wie vor Fehlfunktionen.

»Mich in eine der großen Arbeitskarteien setzen lassen«, sagte ich schließlich. »Irgendwann wird sich wieder ein Kapitän meiner erbarmen, der auf saubere Lebensläufe keinen gesteigerten Wert legt. Bis dahin halte ich mich mit Gelegenheitsarbeiten in den Docks über Wasser. Hab ich alles schon Dutzend Mal durchgemacht.«

Ich verschwieg, dass diese Perioden meines Lebens die Hölle gewesen waren.

Die Unsicherheit. Das stetig wachsende Minderwertigkeitsgefühl. Die Angst, zu alt für den Job geworden zu sein. Die Eifersucht auf die Jungen, die keinerlei Belastung spürten und bloß nach vorne blickten ...

»Und wenn du noch einmal mit dem Kapitän redest? Vielleicht gibt er dir eine Chance ...«

»Nein.«

Die Verschalungshälften klemmten. Kratzspuren wiesen auf eine frühere, wenig sachgemäße Behandlung des Gehäuses hin.

»Silberling scheint nett zu sein. Sicherlich kannst du erklären, was am Kartentisch passiert ist ...«

Ich ließ den Jungen reden, hörte bloß noch mit einem Ohr zu. Denn ich hatte etwas viel Interessanteres entdeckt: Irgendjemand hatte den Denkknoten manipuliert – und ein Störmodul zwischengeschaltet.

 

*

 

Die Schicht ging zu Ende. Ich kehrte in meine Kabine zurück. Da Adnan war nicht anwesend, also konnte ich in Ruhe nachdenken.

Ich hatte meine Gedanken tunlichst bei mir behalten und niemandem etwas über meine Entdeckung verraten. Janitor würde ich unter keinen Umständen irgendetwas anvertrauen. Auch im Kapitän sah ich keinen möglichen Gesprächspartner. Es lag an mir, nach weiteren Spuren einer möglichen Sabotage zu suchen – und Antworten auf die Frage nach dem »Warum« zu finden.

Wer mochte Interesse daran haben, den nachgeordneten Positronikknoten eines Frachtraumers derart zu manipulieren, dass er angesichts bestimmter Notfall-Szenarien Fehlleistungen bringen würde? Was machte die STELLARIS interessant? Sahen wir uns einem Vorbereitungsmanöver moderner Raumpiraterie gegenüber – oder gab es andere Gesichtspunkte, über die ich nicht Bescheid wusste?

Ich verfluchte meine eigene Dämlichkeit. Ich hatte keinen blassen Schimmer, was die STELLARIS eigentlich transportierte oder welche Dienstleistungen sie erbrachte. Wahrscheinlich hätte ich in diesem Wissen meine Antworten gefunden.

Die Manipulation war erst vor kurzem erfolgt, wie sich anhand der frischen Kratzspuren beweisen ließ. Der Saboteur war nicht gerade geschickt vorgegangen. Die Gehäusehälften konnten mit zwei Handgriffen aneinandergefügt werden, ohne dass man spezielles Werkzeug verwenden musste. Mein Unbekannter hatte jedoch eine Presszwinge verwendet und dabei die verräterischen Spuren hinterlassen. Konnte es sein, dass er nicht allzu viel von terranischer Technologie verstand?

 

*

 

214 Besatzungsmitglieder, vier mehr als die vorgeschriebene Mindestnorm, bevölkerten derzeit die STELLARIS, um in drei Schichten die Funktionalität des Schiffs jederzeit zu gewährleisten. Davon waren 154 terranischstämmig. 56 stammten von Kolonien der LFT. Ein Ara war – wie auf Raumern dieser Klasse oft üblich – in der Krankenstation tätig. Ein dreiästiger Zarguhner pflegte die Hydropon-Tanks, die Plybbs-Frau mit dem Aussehen eines Seesterns war Ortungstechnikerin in der Zentrale und galt als eine der engsten Vertrauten des Kapitäns.

Blieb noch Freund Rotauge, mit dem ich meine Kabine teilen musste: da Adnan.

Den einsehbaren Unterlagen nach war er vor sechs Monaten zur Mannschaft gestoßen. Zuvor hatte er im arkonidischen Einflussbereich Flottendienst geschoben.

Ja, Himmelherrgottnocheinmal – meine Karteikarte hatte der Kapitän auswendig herunterbeten können. Und beim Arkoniden hatte er sich etwa nicht darum gekümmert, dass er noch vor einem halben Jahr zu Bostichs Stiefelleckern gezählt hatte?!

Ich beschloss, da Adnan ein wenig intensiver auf den Zahn zu fühlen.

 

*

 

Locust da Adnan wanderte in seiner dienstfreien Zeit gerne durchs Schiff. Er gab sich nicht einmal große Mühe, seine Spuren zu verschleiern. Das Misstrauen, das ihm die meisten Besatzungsmitglieder entgegenbrachten, scherte ihn wenig. Er strotzte vor Selbstbewusstsein – oder vor Arroganz.

An seiner Arbeit als Funker gab es nichts auszusetzen. Er saß in einer nebengeordneten Abteilung und hielt dort das Schichtkommando inne. Ich fand weitere Hinweise darauf, die meinen Verdacht bestärkten. Er verfolgte meine Arbeit, wo auch immer ich mich gerade aufhielt, hatte seinen Dienstplan an den meinen anpassen lassen, blieb trotz der Abneigung, die ich ihm gegenüber offen zeigte, stets in meiner Nähe.

Die eigentliche Beweislage blieb allerdings dürftig; sie beschränkte sich auf die Manipulation dieses einen Positronikknotens.

Tage vergingen. Die STELLARIS landete auf Epsal und nahm mehrere Passagiere an Bord. Die Wesen unbekannter Herkunft zogen sich augenblicklich in ihre Kabinen zurück und ließen sich nicht mehr blicken. Angeblich handelte es sich um Delegierte einer kleinen Blues-Kolonie, die über inoffizielle Kanäle mit Terra ins Geschäft kommen wollten.

Mehrere der multifunktionellen Kühlhangars wurden mit auf Terra sehr beliebten Riesenpampelotten beladen; dazu kamen ynkonitumkapselte Leiterbauteile, die mit Steuerungsprozessoren gekoppelt werden sollten, und mehrere tausend Raummeter epsalisches Hartholz, das in nordamerikanischen Sägewerken zu Ertruser-Zahnstochern verarbeitet werden würde.

»Du wirkst abwesend«, sagte Eisenstein, während er ein von ihm verursachtes Mikroleck in der äußeren Ummantelung der NUGAS-Speicherkugel 35 verschweißte.

Ich markierte ihm den Weg der Schweißnaht und achtete darauf, dass er sauber arbeitete. »In vier Tagen sind wir zurück auf der Erde.«

Er schwieg, gab sich mit meiner unbestimmten Antwort zufrieden. Ich hatte den Jungen nicht einmal angelogen. Und dennoch ahnte er nicht, warum ich derart besorgt war.

 

*

 

Am nächsten Tag trat ein, was ich befürchtet hatte. Ich war soeben mit der Instandsetzung eines Hydropon-Tanks beschäftigt, als die Sirenen des Generalalarms ertönten – und gleich darauf wieder erstarben. Lewis Silberling meldete sich über Bordkom: »Die STELLARIS ist manövrierunfähig. Die Ursachen sind derzeit unbekannt; es handelt sich um Sabotage. Alle Mannschaftsmitglieder werden gebeten, die Ruhe zu bewahren und die Schiffsleitung zu unterstützen ...«

Eisenstein warf mir einen verwunderten, ängstlichen Blick zu, schob sich augenblicklich aus dem modrig riechenden Tank.

Die Stimme brach ab, wurde von einer anderen, künstlich modulierten ersetzt.

»Ich habe die Kontrolle über die STELLARIS übernommen«, sagte ein Unbekannter. »Die Schäden am Schiff sind nicht lebensbedrohlich. Ich weise darauf hin, dass jeglicher Widerstand gegen meine Anweisungen Konsequenzen gegen die gesamte Mannschaft nach sich zieht. Der Funk ist gestört, kein Hilferuf wird das Schiff verlassen.«

Die Nachricht war aufgezeichnet. Sie wiederholte sich.

Ich kam hoch und ließ mein Werkzeug achtlos zurück. Es versank im Sumpf vermodernder Pflanzen. Funktionierte mein Armbandkom noch? Konnte es mir sagen, wo sich da Adnan befand?

»Die STELLARIS wird samt ihrer Fracht in zwei Stunden von einem Enterkommando übernommen«, folgte plötzlich ein neuer Text. »Die Besatzungsmitglieder haben sich als politische Gefangene zu betrachten ...«

Arkoniden!, hallte es in meinem Kopf wider, sie wollen uns entführen – warum auch immer.

Ich hatte die Peilung! Locust da Adnan war ganz in der Nähe, in eben jener Nebenzentrale, deren Positronik manipuliert worden war.

»Komm mit!«, rief ich Eisenstein zu und sprintete los. »Den Kerl schnappen wir uns!«

Quer durch den kleinen Erholungsgarten, an den Rekreationshallen vorbei. Mit dem Antigrav zwei Stockwerke hinab, durch den Kontrollgang am Zyklotraf-Ringspeicher ...

»Nicht mit mir, Kerl!« Ich griff auf das von mir entdeckte Störmodul in der Positronik zu, desaktivierte es. Die Durchsage endete, das Schott öffnete sich, die Alarmsirene ging wieder los.

Da Adnan stand vor mir. Er blickte mich über die Hauptsteuerung hinweg verdutzt an.

Und neben ihm hockte Primus Janitor.

»Das war's dann wohl, meine Freunde«, sagte ich befriedigt und zog die Waffe, die ich seit Tagen mit mir herumtrug, aus der Brusttasche. Das Leben konnte äußerst gerecht sein.

 

*

 

Da Adnan schüttelte den Kopf, blickte von Janitor zu mir und wieder zurück. »Das ist ein schreckliches Missverständnis«, sagte er.

»Halt's Maul, Rotauge!«, fuhr ich ihn an. »Ihr beiden lasst die Hände dort, wo ich sie sehen kann. Und tretet gefälligst ein paar Schritte zurück.«

Janitor gehorchte meinen Befehlen, kam hoch, blickte mich hasserfüllt an, ohne ein Wort zu sagen.

Zhu Eisenstein kam endlich herein, blickte sich verwirrt um. »Was soll das, Jasper? Ich verstehe nicht ...«

»Die beiden wollten die STELLARIS kapern und uns an die Arkoniden ausliefern. Sie haben die Nebenpositronik manipuliert und auch die wichtigsten Steuermodule des Schiffs unter ihre Kontrolle gebracht.« Ich zog den kleinen Befehlsgeber, mit dem ich den Zauber beendet hatte, aus meiner Hosentasche. »Mit Hilfe dieses kleinen Gimmicks hab ich wieder die Kontrolle über diese Nebenzentrale übernommen.«

»Bleib ganz ruhig, Jasper«, sagte da Adnan, »und denk nach: Wie hätte ich an den Positronikknoten herankommen sollen?«

»Du bist mir nachgeschlichen. Warst über alle meine Schritte informiert. Janitor hat mir Aufträge zur Reparatur zugeschoben, die er wohl selbst nicht in der Lage war, durchzuführen. Wäre das Komplott aufgeflogen, wäre wohl jeglicher Verdacht auf mich gefallen. So aber hast du die Manipulationen vollzogen, Rotauge. Hätte ich das fehlerhafte Positronikmodul dieser Nebenzentrale nicht ein zweites Mal untersucht, wäre mir niemals im Leben etwas aufgefallen.« Ich grinste. »Pech, mein Großer.«

»Und wir hatten dich im Verdacht«, sagte Janitor mürrisch. Er blickte kurz zur Seite, fixierte mich gleich darauf wieder.

Ein Gedanke schoss durch meinen Kopf. Unsicherheiten, die ich bislang ignoriert hatte, fielen beiseite. Eine bessere und gefälligere Assoziationskette schloss sich, formte ein rundes Bild. Es gab noch jemand anderen, der mich auf Schritt und Tritt verfolgt hatte!

Lange nicht mehr abgerufene Reflexe übernahmen zu meiner eigenen Überraschung plötzlich das Kommando. Ich ließ mich fallen, wich dem Handkantenschlag Zhu Eisensteins aus, rollte ab und kam wieder auf die Beine.

Der Junge stürmte vorwärts, trat da Adnan gegen die Schläfe, schickte ihn bewusstlos zu Boden. In einer weiteren, scheinbar spielerischen Fußbewegung zertrat er Janitor die rechte Kniescheibe und hieb mir mit der Rechten den Unterbrecher aus der Hand. Er sammelte sich, begab sich mir gegenüber in eine Dagor-Grundstellung. Sein Gesicht war ausdruckslos, all seine Aufmerksamkeit auf mich konzentriert.

Sein Schlag, gegen meinen Hals gezielt, kam ansatzlos. Ächzend wich ich aus, verfluchte meine körperlichen Defizite. Vielleicht hätte ich doch ab und an eine Übungseinheit in der Mehrgravitationskammer einschieben sollen.

Ein Tritt. Kurz, präzise gezielt, gegen meinen rechten Oberschenkel. Ich ignorierte den Schmerz, schob den Gedanken an einen Bruch in den Hintergrund meines Bewusstseins. Der Kerl war eine Kampfmaschine, der ich nichts entgegenzusetzen hatte – außer meinen Zorn und meine Verzweiflung.

»Lass ihn kommen!«, rief Janitor zwischen zwei entsetzlichen Ächzern.

Warum auch immer – ich befolgte seinen Rat. Wich einen Schritt zurück, wartete auf die nächste Attacke.

Ein leises Zischen, kaum zu hören.

Dann der Angriff.

Eisenstein rutschte mit beiden Beinen weg, schlug schwer auf seinen Hinterkopf. Ich überlegte nicht lange, stürzte mich mit meinem ganzen Gewicht auf ihn, schlug auf sein Gesicht ein, prügelte ihn mit schweren Treffern in die Bewusstlosigkeit.

Keuchend, stöhnend, vor Schmerz weinend, rollte ich mich von ihm ab.

Ich fühlte Feuchte unter mir.

Janitor hatte mir auf typische Hausmeisterweise geholfen. Indem er Eisenstein mit seinem Kännchen Schmieröl vor die Beine gespritzt hatte.

 

*

 

»Je weniger du weißt, Jasper, desto besser ist es für dich«, sagte Lewis Silberling. »Schließlich verlässt du uns in den nächsten Tagen.«

»Ich dachte ... vielleicht ... du würdest dir das nochmals überlegen«, druckste ich herum.

»Sollte ich denn?« Der Kapitän zog eine Augenbraue hoch. »Du hast uns zwar aus der Bredouille geholfen und die mögliche Kaperung der STELLARIS verhindert. Das überdeckt aber keinesfalls deine sonstigen Fehler. Unbeherrschtheit. Fremdenhass. Abneigung gegenüber deinem Vorgesetzten. Und so weiter.«

Er stützte sein Kinn auf eine Hand. »Andererseits – der Heilprozess deines Oberschenkels und die Reha werden sicherlich sechs bis sieben Tage in Anspruch nehmen. Vielleicht kann dich der Bordpsychologe währenddessen einigermaßen auf Kurs bringen.« Er sah sich im Konferenzraum um. »Gibt es hier einen Fürsprecher für Jasper Fink?«

Schweigen.

Dann:

»Eigentlich ist er ganz brauchbar«, murmelte Primo Janitor.

»Bin ebenfalls dafür«, sagte Locust da Adnan, der Arkonide, der während der letzten Jahre als Doppelagent in Bostichs Reich tätig gewesen war, wie ich mittlerweile wusste.

Der Mann im Hintergrund räusperte sich. »Jasper verfügt über eine selten rasche Auffassungsgabe«, sagte er. »Sein technisches Geschick ist auch nicht zu verachten. Einfach so, aus dem Kopf heraus, die Manipulationen des arkonidischen Agenten mit Hilfe eines selbst gebastelten Unterbrechers unschädlich zu machen, ist keine leichte Übung.« Der Mann, einer jener Passagiere, die auf Epsal an Bord gegangen waren, erhob sich langsam. »Behalt ihn dir, Lewis«, sagte er. »Ich bin davon überzeugt, dass du Verwendung für ihn findest.«

Der Kapitän fixierte mich mit einem Blick, der Angst machte – und mich dennoch Hoffnung auf eine wunderbare Zukunft schöpfen ließ.

»Ihr könnt gehen«, sagte Silberling schließlich. »Da Adnan – du weihst den Mann ein.«

Ich humpelte aus dem Raum, völlig baff darüber, wie sehr sich das Blatt zu meinen Gunsten gewendet hatte.

»Ich bin froh, dass nicht du der Täter warst«, sagte der Arkonide schließlich. Sein Kinn schillerte blau und rot und grün. Dort, wo ihn Eisenstein getroffen hatte. »Ich hatte vage Informationen über einen Kaperversuch und war deshalb seit Monaten hierher abkommandiert. Du warst aufgrund deines Lebenslaufs unser Verdächtiger Nummer eins. War ein großer Fehler, dass wir Eisenstein nicht in Betracht zogen. Wir müssen unsere Sicherheitsvorkehrungen weiter verbessern ...«

»Und ich werde wohl aufhören müssen, ein jedes Rotauge zu den Bösen zu zählen. Ich war auf dich fixiert, hatte keinen anderen Gedanken mehr im Kopf. Die Kratzspuren am Positronikkern-Gehäuse hätte ich sofort mit ›Ungeschicklichkeit‹ assoziieren müssen.«

Wir erreichten die gemeinsame Kabine. Janitor, der uns in einem Schwebeboot gefolgt war, sagte: »In vier Tagen bist du wieder auf dem Damm, Kleiner. Sonst mache ich dir Feuer unterm Hintern. Schließlich musst du meine Arbeit mit erledigen, solange ich außer Gefecht bin.« Er rülpste. »Und ich bekomme noch immer dreißig Galax von dir. Inklusive Zinsen.« Er schob sein Schwebegefährt rücksichtslos an mir vorbei, grüßte und fuhr davon.

»Ich weiß nicht, ob ich ihn lieben oder hassen soll.«

»Er hat uns allen das Leben gerettet. Mit einem Ölkännchen.«

Ich schwieg, dachte lange nach.

»Und der Mann hinter dem Kommandanten war tatsächlich Reginald Bull?«, fragte ich den Arkoniden schließlich.

»Ja. In Maske. Hatte ein paar Dinge auf Epsal zu erledigen.«

»Und wer ist wir?«

»Das ist eine lange Geschichte ...«

 

ENDE

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Folge 2: »Wolfsnächte« von Christian Montillon.

 

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Willkommen an Bord der img2.jpg

 

 

Liebe Leser,