George Plimpton

TRUMAN CAPOTEs

turbulentes Leben kolportiert von Freunden, Feinden,
Bewunderern und Konkurrenten

Aus dem Amerikanischen von
Yamin von Rauch

1. Auflage, Juli 2014

Copyright © George Plimpton 1997

Die Originalausgabe erschien 1997 unter dem Titel Truman Capote: In Which Various Friends, Enemies, Acquaintances, and Detractors Recall His Turbulent Career bei

Nan A. Talese, einem Imprint von Doubleday, USA.

© der deutschen Ausgabe 2014

by Rogner & Bernhard GmbH & Co. Verlags KG, Berlin

ISBN 978-3-954030-67-5

www.rogner-bernhard.de

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Internet, auch einzelner Text- und Bildteile.

Lektorat: Evelin Schultheiß, Ahrensburg

Umschlaggestaltung: Wednesday Design Works/Chrish Klose

Layout und Herstellung: Leslie Driesener, Berlin

Gesetzt aus der Stempel Garamond

durch omnisatz GmbH, Berlin

E-Book Konvertierung von Calidad Software Services, Puducherry, Indien

Für Sarah D. und Sarah P.

Inhaltsverzeichnis

Anmerkung für den Leser

KAPITEL EINS

In dem der Leser Monroeville und Harper Lee kennenlernt und auf TCs erste große Party geht

KAPITEL ZWEI

In dem TC nach New York kommt, verschiedene Schulen besucht, in Mathematik durchfällt und einige neue Freunde findet

KAPITEL DREI

In dem TC vom New Yorker eingestellt wird, Robert Frost beleidigt, seine ersten Kurzgeschichten schreibt und Teil der New Yorker Künstlerszene

wird

KAPITEL VIER

In dem TC in eine Schriftstellerkolonie im Staat New York aufgenommen wird, einen neuen Freundeskreis gewinnt und Newton Arvin kennenlernt

KAPITEL FÜNF

In dem TC einen Zug nimmt, den Trillings begegnet und ganz Nantucket in Aufregung versetzt

KAPITEL SECHS

In dem Andere Stimmen, andere Räume erscheint und von der Kritik begutachtet wird

KAPITEL SIEBEN

In dem TC sich auf Kavalierstour begibt und die Pariser Salons besucht

KAPITEL ACHT

In dem TC aus der Wohnung seiner Mutter auszieht und seinem lebenslangen Freund Jack Dunphy begegnet

KAPITEL NEUN

In dem TC und Jack Dunphy sich in Europa niederlassen

KAPITEL ZEHN

In dem TC eine traurige Nachricht erhält

KAPITEL ELF

In dem TC sich am Theater versucht

KAPITEL ZWÖLF

In dem TC nach Europa zurückkehrt, einem großen Vogel Schimpfwörter beibringt, unter chaotischen Umständen Schach dem Teufel schreibt und mit Humphrey Bogart Armdrücken macht

KAPITEL DREIZEHN

In dem sich TC auf der anderen Seite des Flusses niederlässt

KAPITEL VIERZEHN

In dem TC über seine Arbeitsgewohnheiten und seine Mentoren sowie über seine Abneigung spricht, mit Nonnen im selben Flugzeug zu sitzen

KAPITEL FÜNFZEHN

In dem TC die Stadt Stonington in Connecticut in Aufruhr versetzt

KAPITEL SECHZEHN

In dem der Leser den Schwänen vorgestellt wird und TC als Ratgeber und Vertrauter auftritt

KAPITEL SIEBZEHN

In dem sich Mr. Deems über Frühstück bei Tiffany ärgert

KAPITEL ACHTZEHN

In dem TC beschließt, nach Kansas zu fahren

KAPITEL NEUNZEHN

In dem TC Zeuge der Vorgänge in der Gefängnis-Lagerhalle wird

KAPITEL ZWANZIG

In dem Kaplan Post ein Porträt beschreibt, das in seinem Wohnzimmer hängt

KAPITEL EINUNDZWANZIG

In dem TC in einem Interview mit der New York Times über Kaltblütig spricht und behauptet, er habe eine neue literarische Form erfunden – den Tatsachenroman

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG

In dem Kaltblütig die Kritiker auf den Plan ruft

KAPITEL DREIUNDZWANZIG

In dem einige Leute aus Kansas nach New York kommen und die Lichter des Broadways genießen dürfen

KAPITEL VIERUNDZWANZIG

In dem TC sich in Sagaponack in den Hamptons niederlässt

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG

In dem TC und seine Zeitgenossen einiges übereinander zu sagen

haben

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG

In dem TC beschließt, den Black-and-White-Ball zu veranstalten

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG

In dem die Band aufspielt

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG

In dem die Tänzer in Erinnerungen schwelgen

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG

In dem TC in Stierkampfarenen und auf Jachten unterwegs ist

KAPITEL DREISSIG

In dem TC als Hofnarr der Reichen und als Berühmtheit auftritt

KAPITEL EINUNDDREISSIG

In dem der Leser angehalten ist, eine kurze Abhandlung über das Flunkern zu lesen

KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG

In dem TC ein Haus in Palm Springs kauft und einen Klimaanlagen-Monteur kennenlernt

KAPITEL DREIUNDDREISSIG

In dem TC in seiner Wohnung im UN Plaza Besuch bekommt

KAPITEL VIERUNDDREISSIG

In dem Kate Harrington, John O’Sheas Tochter, ihre Geschichte erzählt

KAPITEL FÜNFUNDDREISSIG

In dem TC seine Bombe zündet und die High Society verschreckt

KAPITEL SECHSUNDDREISSIG

In dem der Leser zwei Seelenverwandten von TC begegnet

KAPITEL SIEBENUNDDREISSIG

In dem TC wiederholt mit der Filmwelt zu tun hat

KAPITEL ACHTUNDDREISSIG

In dem TC einem seiner Idole begegnet

KAPITEL NEUNUNDDREISSIG

In dem der Leser von TCs Fehde mit Gore Vidal erfährt

KAPITEL VIERZIG

In dem TC das Nachtleben unsicher macht

KAPITEL EINUNDVIERZIG

In dem TC für einen langjährigen Bewunderer tätig wird

KAPITEL ZWEIUNDVIERZIG

In dem TC schwere Zeiten durchlebt

KAPITEL DREIUNDVIERZIG

In dem TC einen einfachen Flug nach Los Angeles bucht

KAPITEL VIERUNDVIERZIG

In dem sich die Trauernden, darunter einige von zweifelhaftem Ruf, zu TCs Begräbnis auf dem Westwood-Memorial-Friedhof einfinden

KAPITEL FÜNFUNDVIERZIG

In dem das Rätsel um Erhörte Gebete erforscht wird

KAPITEL SECHSUNDVIERZIG

In dem der Leser von TCs Geheimnis erfährt

KAPITEL SIEBENUNDVIERZIG

In dem TC und Jack Dunphy am Crooked Pond wieder vereint werden

KAPITEL ACHTUNDVIERZIG

Schlussakt

Dank

Zeittafel

Die Mitwirkenden

Quellen

Register

Anmerkung für den Leser

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um eine »oral biography«, also um eine Biografie, die auf mündlichen Aussagen beruht. Es ist das dritte Mal, dass ich mich mit dieser Form beschäftigt habe, nach An American Journey. The Life and Times of Robert F. Kennedy und Edie (Sedgwick). Diese Textform hat aus mehreren Gründen einen besonderen Reiz – nicht zuletzt deshalb, weil der Leser alle Informationen aus erster Hand erhält, ganz so, als würde er bei einer Cocktailparty zufällig auf Truman Capotes Freunde und Bekannte treffen. Mit einem Glas in der Hand (vermutlich Wodka) geht er von Gruppe zu Gruppe und bekommt dabei persönliche Erinnerungen, Meinungen, giftige Bemerkungen und Anekdoten zu hören. In diesem Fall hat der Leser das unverschämte Glück, dass er dem chronologischen Verlauf von Trumans Leben entsprechend zuerst auf eine Gruppe von Leuten aus Monroeville, Alabama, trifft und anschließend Trumans turbulente Karriere Schritt für Schritt verfolgen kann – bis zu den letzten gemurmelten Gesprächen der Trauernden am Crooked Point.

Diejenigen, die dieser Erzählform zum ersten Mal begegnen, werden vielleicht von ihren Eigenheiten abgeschreckt sein – dem Stakkato-Rhythmus des Textes, den widersprüchlichen Aussagen über eine bestimmte Episode, vor allem aber darüber, dass der Herausgeber einer »oral biography« sich nicht den Luxus erlauben kann, den Leser durch das Leben der betreffenden Person zu leiten und es zu interpretieren: Er muss sich mehr oder weniger auf die Aussagen anderer verlassen. Traditionalisten oder denjenigen, die sich ein vollständigeres Porträt von Truman wünschen, sei die autorisierte Capote-Biografie von Gerald Clarke ans Herz gelegt, ein Werk, das mir bei der Suche nach Trumans Zeitgenossen, die im Folgenden zu Wort kommen, eine unschätzbare Hilfe gewesen ist.

 

Monroeville 1924–1931

KAPITEL EINS

In dem der Leser Monroeville und Harper Lee
kennenlernt und auf TCs erste große Party geht

MATTHEW RHODES (Einwohner) Wenn man Monroeville von Süden her erreicht, nachdem man meilenweit durch Baumwollfelder gefahren ist, kommt man als Erstes an der Vanity-Fair-Fabrik vorbei, dem größten Arbeitgeber der Stadt. Dort wurde früher hauptsächlich Damenunterwäsche angefertigt, heute stellen sie Lee-Jeans und Poloshirts her. Dann fährt man am Community College vorbei. Früher hieß es Patrick Henry Community College, heute ist es das Alabama Southern – keine Ahnung, was sie auf einmal gegen Patrick Henry haben. Dann kommt eine Reihe von Restaurants – McDonald’s, Hardees und ein kleines Diner namens Radley’s, benannt nach Boo Radley aus Harper Lees Roman Wer die Nachtigall stört.

Schließlich erreicht man den großen Stadtplatz. Die Geschäfte haben sich mit den Jahren ziemlich verändert. Jennie Faulk, Trumans Tante, hatte hier einen Hutladen, aber den finden Sie heute nicht mehr. Inzwischen haben sich hier mehrere Büros und Läden angesiedelt: zwei Anwälte, ein Reisebüro, ein Videoverleih, ein christlicher Buchladen, ein Möbelgeschäft und natürlich Dickie Williams’ Drugstore. Wenn Sie irgendwelchen Tratsch hören wollen, dann gehen Sie zu Dickie und reden mit ihm. Er ist so etwas wie ein selbst ernannter Stadthistoriker, aber über Truman hat er nur ein paar Geschichten parat. Eine davon geht so: Einmal kam dieser kleine Mann hinein und sagte mit schriller Stimme: »Ich will nur einen kleinen schwarzen Kamm, etwa so lang – sonst nichts.« Dann gibt es die andere Geschichte, in der Dickie Truman fragt: »Wie kannst du so sicher sein, dass du mit deinem Schreiben Erfolg haben wirst?« Und Truman antwortet: »Es ist wie beim Baseball. Der erste Treffer ist schwierig, aber der Rest ist einfach.« Das ist so ungefähr alles. Aber Dickie gibt sich alle Mühe, um den Touristen, die in die Stadt kommen, gefällig zu sein. Er achtet die Faulk-Familie, die Truman aufgezogen hat, sehr – und Harper Lees Familie ebenfalls.

In der Mitte des Platzes steht das alte Gerichtsgebäude, das um die Jahrhundertwende erbaut wurde, und gleich daneben der Neubau, der aus den 1960er Jahren stammt. Harper Lee – jeder hier nennt sie Nelle – beschreibt das alte Gerichtsgebäude in Wer die Nachtigall stört als baufällig, doch in den letzten Jahren wurde viel Geld investiert, um das Gebäude zu erhalten. Wenn man hinauf in den Gerichtssaal im ersten Stock geht, entdeckt man als Erstes eine Tafel über der Tür, auf der steht: »Dieser Raum diente als Modell für die Gerichtsszene in Wer die Nachtigall stört.« Hier finden sich verschiedene Ausstellungsstücke – zu den Indianerstämmen aus der Gegend, zum Krieg von 1812 und zum Krieg mit den Creek-Indianern –, die von Zeit zu Zeit ausgetauscht werden. Weiter hinten in einer Ecke befinden sich die Exponate zu Truman Capote und Harper Lee. Es sind nicht viele: sechs signierte Fotos von Gregory Peck, der in der Verfilmung von Wer die Nachtigall stört den Atticus gespielt hat; vier Exemplare von Trumans Büchern, alle signiert, sowie eine Vitrine mit Fotokopien von Briefen aus der New York Library, die er in Monroeville geschrieben hat oder in denen Monroeville erwähnt wird; das Life-Magazin mit Truman und den beiden Schauspielern, die die Mörder in Kaltblütig spielen, auf dem Cover und das Originaldrehbuch des Films. Von Harper Lee haben wir überhaupt nichts, obwohl sie noch hier lebt.

Das Grundstück direkt am Platz, auf dem das Faulk-Haus stand, ist heute unbebaut. Das erste Haus brannte 1940 ab, und Jenny Faulk und ihre Familie zogen, während es wieder aufgebaut wurde, in ein kleines Haus außerhalb der Stadt. Vom zweiten Haus, das 1988 abgerissen wurde, sind nur noch Reste von der Steinmauer vorhanden, die um das Grundstück herum verlief. An der hinteren Ecke ist ein kleiner Softeis-Stand, der mittags ein paar Stunden lang geöffnet ist, wenn die Kinder von der Schule kommen. Sie haben natürlich keine Ahnung, wer hier einst gelebt hat.

Harper Lee wohnte gleich nebenan. Erstaunlich, dass gleich zwei berühmte Schriftsteller aus einer so kleinen Stadt in Alabama stammen. Es sollte eigentlich eine Tafel angebracht werden mit dem Hinweis, dass unsere Stadt die Heimat von Harper Lee und Truman Capote ist. Nelle wehrte sich immer dagegen – auch den Vorschlag, einen Harper-Lee-Tag einzuführen, hat sie rundweg abgelehnt.

Nelle, die heute kaum mehr Beachtung findet, lebt in einem kleinen, einstöckigen Backsteinbau mit einer Garage und einem Maschendrahtzaun drum herum. Weil so viel darüber geredet wird, wie zurückgezogen sie lebt und wie sehr sie öffentliche Aufmerksamkeit verabscheut, stellt man sich vor, sie würde in einer Festung leben, so ähnlich wie J. D. Salinger, mit einem Tunnel, Hunden und einem Wachturm. Wenn man ihr Haus dann sieht, ist man enttäuscht, weil man es sich so anders vorgestellt hat. In einer Stadt wie Monroeville kann ich mir absolut sicher sein, dass Harper Lee genau weiß, wer ich bin und was ich tue. Als ich vor drei Jahren hierherzog, wollte ich ein Buch darüber schreiben, wie ihr Roman und Capotes Werk die Sicht auf den amerikanischen Süden verändert haben, auf die Rassenbeziehungen und das Leben in einer Kleinstadt in Alabama. Ich schrieb ihr einen Brief darüber, was ich vorhatte. Sie antwortete mir und dankte mir für mein freundliches Schreiben, sie würde mir allerdings niemals gestatten, ein solches Vorhaben weiterzuverfolgen. Die Leute aus der Stadt, die Interviews gäben, nur um Kapital daraus zu schlagen, wüssten tatsächlich gar nichts über sie. Ich solle dem, was sie zu sagen hätten, keinen Glauben schenken, denn die Menschen, die sie am besten kannten, würden nicht über sie reden. Abschließend machte sie noch den eigenartigen Vorschlag, ich solle stattdessen über William Barrett Travis schreiben, der bei Monroeville eine Anwaltskanzlei hatte, oder auch über Rube Burrough, einen Bankräuber, der um die Jahrhundertwende im Süden von Alabama lebte.

EUGENE WALTER (Dichter) Alle regen sich immer auf, weil sie finden, man hätte kein Recht, so tief in das Leben anderer einzudringen. Es ist zwar eine typische Tradition des Südens, sich in die Leben anderer einzumischen, aber nur hinter verschlossenen Türen. Fensterläden zu und her mit dem Apfelwein, dann geht es los. Aber niemals in der Öffentlichkeit!

MATTHEW RHODES An einem meiner ersten Tage in der Stadt unterhielt ich mich mit einem alteingesessenen Einwohner von Monroeville. Nach einigen Minuten fiel mir auf, dass er mich komisch ansah. Schließlich sagte er: »Sie sind nicht von hier, oder?«

»Nein, ich stamme eigentlich aus Virginia.«

»Zum Teufel, Sie sind ein Yankee!«, sagte er.

Als ich darauf hinwies, dass Virginia sich südlich der Mason-Dixon-Linie befindet, sagte er todernst: »Sohn, eines wirst du hier ganz schnell lernen. Jeder, der von irgendwo nördlich von Birmingham kommt, ist ein Yankee!«

Wie lange man hier auch wohnt und wie sehr man es auch versuchen mag, es ist unmöglich, aus dem Schatten von Harper Lee und Truman Capote herauszutreten. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ihre Namen nicht erwähnt werden.

Truman ist für Monroeville immer ein Rätsel geblieben. Einige Familienangehörige leben noch immer in der Gegend, und jeder von ihnen bemüht sich mehr oder weniger, das Mysterium aufrechtzuerhalten. Abgesehen von den wenigen Museumsstücken im Gerichtsgebäude und einer knappen Erwähnung auf einer Tafel außerhalb der Stadt erinnert so gut wie gar nichts mehr an sein Leben hier. Auf dem Grundstück, auf dem früher das Haus der Faulk-Familie stand, wurde kürzlich ein Gedenkstein aufgestellt, und es gibt natürlich noch einige alte Leute, die sich an Truman und an die Stadt, wie sie damals war, erinnern und gerne darüber Auskunft geben.

JENNINGS FAULK CARTER (Cousin) Damals war alles ganz anders. Die Straßen waren unbefestigt, außer um den Stadtplatz herum, der von riesigen Eichen umgeben war – und es gab Pfosten, an denen man die Pferdefuhrwerke anbinden konnte. Jeden Sonnabendnachmittag kamen die Farmer zum Einkaufen in die Stadt. Heute ist Monroeville am Sonnabend wie leer gefegt.

DR. CLAIRE BAYLES (Professorin) In der heißen, trockenen Jahreszeit sammelte sich so viel Staub an, dass man alle Fenster offen lassen musste. Wir wischten ständig Staub, aber dennoch konnte man seinen Namen auf jeden Spiegel im Haus schreiben. Ich kann mich noch an den Viehtrieb auf dem Camden Highway erinnern. Als ich drei oder vier Jahre alt war, trug mein Vater mich auf die Veranda, damit ich sehen konnte, wie eine Herde Ochsen auf den Markt getrieben wurde, nicht etwa von Cowboys, sondern von Männern in Latzhosen, die sie mit langen Stöcken in die Stadt hineintrieben. Er sagte: »Schätzchen, ich wette, es ist das letzte Mal, dass sie diesen Weg nehmen.« Er hatte beinahe recht. Ich kann mich erinnern, dass es danach nur noch einmal vorkam.

MARIE RUDISILL (Tante): Truman stammt aus der Familie der Faulks, deren Geschichte weit zurückreicht und die sich während des Bürgerkriegs und auch danach immer durchschlagen musste. Sie waren ein zäher Menschenschlag. Keiner von ihnen setzte sich nachmittags zum Tee hin. Ida Faulk hielt die Familie nach dem Bürgerkrieg zusammen. Sie arbeitete auf den Baumwollfeldern. So wurden wir erzogen; wir waren stark. Wenn ich vom College nach Monroeville zurückkam, arbeitete ich in unserem Laden in der Stadt, wo ich morgens den Bürgersteig und den Laden fegte. Ich durfte nicht den ganzen Sommer lang spielen, mir wurde beigebracht, wie man arbeitet.

ANDREAS BROWN (Literaturarchivar) Capotes Mutter, Lillie Mae Faulk, soll eine typische Südstaatenschönheit gewesen sein. Sie galt als eine sehr attraktive und charmante Frau. Allen Berichten nach war sie das hübscheste Mädchen der Stadt, nur etwas über 1,50 Meter groß, dunkelblond, gerade erst 17 Jahre alt, heute würden wir sie als naives Dummerchen bezeichnen. Sie war verantwortungslos wie ein Kind, und in ihrer Entwicklung zurückgeblieben, denn sie verhielt sich wie ein Teenager, bis sie weit über 30 war. Sie heiratete den ersten Kerl, der vorbeikam und etwas Geld hatte, er hieß Arch Persons, ließ Truman bei ihren Verwandten zurück, als er zwei Jahre alt war, eigentlich noch ein Baby, und ging mit ihrem Mann davon, in der Hoffnung auf ein Leben auf großem Fuß. Sie gewann einen Schönheitswettbewerb, der von der Seifenfirma Lux veranstaltet wurde, war aber nur eine von sehr vielen Gewinnerinnen aus der Region. In Capotes Version der Geschichte war sie innerhalb des Miss- America-Wettbewerbs zu Miss Alabama gekürt worden. Eine typische Capote-Übertreibung. Schließlich reichte sie die Scheidung ein, ließ ihr Kind bei den Faulks in Monroeville zurück und ging nach New York, um reich und berühmt zu werden. Gelegentlich besuchte sie ihren Sohn, doch sie blieb immer nur kurz, manchmal für einen Tag. Monroeville war nicht glamourös genug für sie.

JENNINGS FAULK CARTER Lillie Mae ließ Truman bei Jennie, Callie und Sook, als sie nach New York ging. Sie waren an Kinder gewöhnt. Also nahmen sie Truman ganz selbstverständlich auf. Sie dachten gar nicht darüber nach. Sie hatten ein altes, weitläufiges Haus, unten war eine große Eingangshalle, und jeder hatte ein eigenes Zimmer. Truman schlief immer allein. Normalerweise hätte man zwei Jungen in ein Bett im selben Zimmer gesteckt, doch Sook und Jennie wussten, dass er sein Bett mit niemandem teilen wollte, also legten sie für mich einen Lattenrost auf den Boden. Sie gaben seinen Launen nach, obwohl er noch ein Kind war.

Jennie war eine nüchterne Geschäftsfrau, doch sie mochte Truman und die Art, wie er redete. Sie ermunterte ihn dazu, Geschichten zu erzählen. Aber wenn er es übertrieb, sagte sie sofort: »Du lügst doch, Truman, hör auf damit.«

TRUMAN CAPOTE Als Kind lebte ich für längere Zeit auf der Farm der Carters, sie war für damalige Begriffe klein, heute würde sie einen ansehnlichen Besitz darstellen. Damals gab es zur Beleuchtung nur Öllampen, das Wasser wurde aus einem Brunnen gepumpt und ins Haus getragen, Kamine und Öfen stellten die einzigen Wärmequellen dar, und zum Spielen hatten wir nur das, was wir selber bastelten. Abends nach dem Essen setzte sich mein Onkel Jennings, ein gut aussehender und kräftiger Mann, oft ans Klavier und spielte. Begleitet wurde er dabei von seiner hübschen Frau, der jüngeren Schwester meiner Mutter.

MARIANNE MOATES (Einwohnerin) Mary Ida Faulk erinnerte mich an ein lebhaftes kleines Huhn. Sie war eine zierliche Frau, und wenn etwas nicht glattlief, konnte sie einen ordentlich herunterputzen. Aber sie war auch überaus großzügig. Ihr Haus stand Freunden und Verwandten immer offen. Sie engagierte sich in der Gemeinde, sie gärtnerte, sie unternahm viel mit ihren Freunden. Als sie im Ruhestand waren, legten sie und Jennings sich ein Motorrad zu und fuhren quer durch Carolina. Auf einem Motorrad! Man konnte es ihr oft nicht recht machen, und sie konnte sehr stur sein. Jennings besaß zwei Esel, der eine hieß Mary und der andere Ida, daran lässt sich wohl ablesen, wie er über sie dachte.

MARIE RUDISILL Truman hatte nie einen Fixpunkt in seinem Leben. Er erlebte nie die Zuneigung von Mutter oder Vater. Nachdem seine Mutter ihn verlassen hatte, um zu arbeiten, bestand die einzige Stabilität in seinem Leben aus Monroeville und einem Haufen alter Jungfern – Mary Ida, Callie, Jennie und Sook. Er fühlte sich geliebt, doch es war nicht die richtige Art Liebe. Sook ließ Truman beispielsweise Frauenkleider anziehen, erlaubte ihm aber nicht, Fahrrad zu fahren, weil sie fürchtete, er würde sich verletzen. Er wurde ständig nur verhätschelt. Damit tat sie ihm keinen Gefallen.

JENNINGS FAULK CARTER Wir alle nannten sie nur Sook. Als junges Mädchen war sie an einem Fieber erkrankt, vermutlich war es Typhus, und obwohl sie davon keine größeren geistigen Schäden zurückbehielt, blieb sie in ihrem Verhalten immer etwas infantil. Mit Kindern kam sie sehr viel besser aus als mit Erwachsenen. Sie kümmerte sich um den Haushalt, das war ihre Aufgabe in der Familie Faulk – dafür zu sorgen, dass das Essen auf dem Tisch stand, die Kleider gebügelt waren und die Betten gemacht wurden.

Jeden Abend brachte Jennie Faulk aus ihrem Hutladen den sogenannten Geldsack mit nach Hause – einen kleinen Leinenbeutel mit dem Wechselgeld und einigen Scheinen aus der Registrierkasse. Sie legte ihn auf einen Tisch. Sook griff hinein und nahm sich eine Handvoll Kleingeld. Jennie ahnte wohl, was Sook tat, und ließ ihr auf diese Weise etwas Geld zukommen. Sook nahm nur wenig Geld – ob das an ihrer Ehrlichkeit lag oder daran, dass sie eine Absprache hatten, weiß ich nicht. Dann verteilte sie das Geld an Truman und mich und behielt auch etwas für sich selbst.

Sook war nicht besonders schüchtern – sie unterhielt sich mit Gästen, die ins Haus kamen, und beim sonntäglichen Abendessen reichte sie die Speisen herum und beteiligte sich an den Gesprächen. Aber sie ging nicht zum Einkaufen in die Stadt; sie bestellte alles per Telefon. Sie ging nicht in die Kirche, und der einzige Film, den sie meines Wissens jemals gesehen hat, war Vom Winde verweht. Wenn überhaupt, hatte sie nur ein Laster: Sie kaute Tabak. Sie schickte Truman, mich oder unsere Freundin Harper Lee in die Stadt, um ihr eine Stange ihrer Lieblingssorte Brown Mule zu kaufen. Wir dachten uns nichts dabei; es war einfach ein Teil unseres Lebens – genauso wie Miss Jennies Angewohnheit, abends, wenn sie aus dem Laden nach Hause kam, an ein Schränkchen zu gehen und sich einen Schluck von ihrer Medizin einzuschenken. Sie kippte die Medizin in einem Zug hinunter, und dann setzte sie sich zum Abendessen hin. Das wurde ebenfalls toleriert, Jennie nahm eben ihre Medizin. Als wir älter waren, fanden wir natürlich heraus, dass es sich dabei um Ezra-Brooks-Bourbon handelte.

MARIE RUDISILL Sook hat ihr Leben lang im Hintergrund gestanden. Sie war nicht etwa geistig zurückgeblieben, aber sie lebte in ihrer eigenen Traumwelt. Und das gab sie an Truman weiter. Die Realität spielte in ihrem Leben keine Rolle. Sie war eine unbeschwerte Seele, frei wie ein Vogel. Sie lagen im Gras, gingen zusammen in den Wald oder ließen Drachen steigen. Sie schnitten hübsche Bilder aus allen möglichen Zeitschriften aus und klebten sie auf ihre Drachen.

TRUMAN CAPOTE Einmal mehr der Bach. Der Geschmack von rohem Kohlrabi auf meiner Zunge, das rauschende Wasser, das meinen nackten Körper umarmt. Und da, genau da, tangoschlängelnd auf der sonnenbetupften Wasseroberfläche, diese höchst geschmeidige, tödliche Mokassinschlange. Aber davor habe ich keine Angst, oder doch?

NANCIE B. ROBINSON (Einwohnerin) Er war von Kopf bis Fuß in Weiß gekleidet – weißes Leinenhemd und Leinenhose, weiße Socken und weiße Schuhe, sogar ein weißer Schlips. Wir waren auf dem Weg zum Tennisplatz. Nach einer Weile wurde es Truman zu heiß, und er setzte sich auf eine Bank. Er saß da mit gespreizten Beinen, die Arme hatte er auf der Rückenlehne der Bank ausgestreckt. Das Haar fiel ihm ins Gesicht. Er blies es weg, und es fiel wieder zurück. Truman war ein so bildschönes Kind, absolut hinreißend. Er hatte einen wundervollen Teint.

DR. CLAIRE BAYLES Ich erinnere mich nur an Capote, wie ich ihn einmal am Badeteich gesehen habe, als er etwa elf Jahre alt war. Die anderen Kinder, die dort badeten, standen mit offenem Mund da und starrten ihn an, denn er trug einen maßgeschneiderten Badeanzug, der aus einem Oberteil und kurzen Hosen bestand – mit einem wilden Hawaii-Muster. Der Rest von uns trug langweilige, labbrige Baumwollbadeanzüge. Er fiel auf wie ein Paradiesvogel in einer Schar dürrer Truthähne. Wir waren unglaublich beeindruckt von seinem Badeanzug. Ich hörte zufällig, wie ein paar Kinder sich unterhielten, und eines von ihnen sagte, er würde bei den Faulks wohnen und seine Mutter hätte ihm den schönen Badeanzug aus New Orleans mitgebracht. Die Faulks zogen ihn immer wie den kleinen Lord Fauntleroy an. Ich glaube, das war ganz schön schwierig für ihn. Er hätte vermutlich lieber Latzhosen und Khakishorts getragen wie all die anderen Jungen.

JENNINGS FAULK CARTER Wir fanden nichts dabei, unsere Hemden auszuziehen und sie über einen Busch zu hängen, aber Truman war anders. Man durfte seine Kleidung nicht anrühren. Er zog fast jeden Tag frische Sachen an, was Kinder normalerweise nicht tun, vor allem nicht auf dem Land, weil dort noch von Hand gewaschen wurde. Doch Sook und Jennie nahmen es einfach hin: Sie tolerierten seinen Wunsch, immer sauber und adrett auszusehen. Wir versuchten manchmal, ihn dreckig zu machen – wie Kinder eben sind. Sie würden nicht glauben, wie sportlich er als Kind war. Er war sehr muskulös. Er schaffte mehr Klimmzüge als ich oder seine Freundin Nelle. Er kletterte ein Seil mit bloßen Händen hoch, und er konnte Dinge, die keines von uns Landkindern fertigbrachte. Er kletterte beispielsweise auf die steinerne Mauer, die das Faulk-Haus umgab, sie war etwa 1,20 Meter hoch, und schlug ein Rad. Keiner von uns konnte solche Sachen. Aber gleichzeitig wollte er mit niemandem kämpfen. Damals dachten die Kinder, man müsse stark sein, ringen und kämpfen können, zurückschlagen und sich von niemandem etwas gefallen lassen. Es wurde nicht viel geredet, zuerst gab es eine Prügelei, einer schlug den anderen, und erst dann gab es eine Diskussion. Meistens wurde erst geprügelt und dann geredet. Doch Truman tat das nicht, er schlug nie irgendjemanden.

Er war wirklich ausgesprochen clever und hatte eine schnelle Auffassungsgabe. Als er in die Schule kam, konnte er bereits lesen und schreiben; er nahm an, die Lehrer und die anderen Schüler würden besonders stolz auf ihn sein. Aber das waren sie nicht, sie grenzten ihn aus. Die Lehrerin begriff nicht, dass er ein Wunderkind war, und sie behandelte ihn wie alle anderen Schüler auch. Deshalb hatte er es schwer in der Schule. Miss Jennies Haus lag nicht weit entfernt, also konnte er mittags nach Hause gehen und etwas Warmes essen. Manchmal wartete einer der Schlägertypen schon auf ihn, wenn er den Schulhof verließ. Truman sagte dann: »Wusstest du eigentlich, dass mein Vater mich hat Stunden bei Jack Dempsey nehmen lassen? Ich könnte dich k. o. schlagen, aber ich tue es nicht. Ich zeige dir stattdessen etwas anderes.« Der Schlägertyp stand nur da und sah ihn an, und plötzlich schlug Truman ein Rad. Das beherrschte er unglaublich gut. Der Schlägertyp war derart verblüfft, dass er ganz vergaß, Truman zu drangsalieren. Sofort versuchte er selbst, ein Rad zu schlagen, was ihm natürlich nicht gelang. Gleichzeitig war Truman ziemlich faul. Er ließ Nelle und mich immer den körperlich anstrengenden Teil bei unseren Spielen übernehmen, während er den strategischen wählte. Er spielte gerne Schule im Hinterhof, wo ein großer Stapel Feuerholz lag. Nelle und ich mussten die Holzscheite zu einem Tisch und einem Stuhl aufstapeln, und er beaufsichtigte uns dabei. Danach spielte er den Lehrer, und wir mussten auf den unbequemen Holzstapeln sitzen. Sie werden vielleicht sagen, dass Truman reifer war als wir. Jedenfalls schien er uns bei solchen Spielen immer überlegen zu sein, und es ging häufig um etwas, von dem wir keine Ahnung hatten.

Er und Mr. Lee, Harpers Vater, diskutierten über ein Kreuzworträtsel, und ehe man sich’s versah, machten sie Wortspiele, erfanden Anagramme und Ähnliches.

Er dachte sich einen Zirkus aus, für den man Eintritt zahlen musste. Nelle und ich sahen natürlich niemals etwas von dem Geld. Jennie las uns aus der Zeitung vor (die Zeitung und die Bibel waren ihre einzige Lektüre), dass ein Huhn mit zwei Köpfen geboren worden war, was uns alle faszinierte. Für seine nächste Zirkusvorstellung wollte Truman ein solches Huhn haben. Er war nicht sehr geschickt mit seinen Händen, deshalb ließ er Nelle und mich ein zweiköpfiges Huhn für ihn basteln. Es sah ziemlich echt aus.

TRUMAN CAPOTE Ich begann zu schreiben, als ich etwa acht Jahre alt war. Das Schreiben war für mich immer eine Obsession, etwas, das ich unbedingt tun musste, und ich weiß nicht genau, warum es so war. Es war, als wäre ich eine Auster, in die jemand ein Sandkorn gesteckt hatte – ein Sandkorn, von dem ich nicht wusste, dass es da war, und das mir nicht unbedingt willkommen war. Dann begann eine Perle um das Sandkorn herum zu entstehen, und das irritierte mich, machte mich wütend und quälte mich gelegentlich. Aber die Auster kann nicht anders, als von ihrer Perle besessen zu sein.

MARIE RUDISILL Ich wusste, dass aus Truman ein Schriftsteller werden würde. Die alte Farbige, die bei uns lebte, sagte immer: »Der Junge wird mal ein Schriftsteller, denn er schreibt ständig irgendwelches unanständige Zeugs auf die Bürgersteige in der ganzen Stadt.« Truman war ein ganz besonderes Kind. Er konnte sich aus heiterem Himmel die fantastischsten Geschichten ausdenken. Ich dachte, er würde Schauspieler werden. Er konnte auch tanzen. Sein Vater arbeitete auf einem Flussdampfer der Streckfus Steamboat Line, die den Mississippi befährt. Truman verbrachte das Wochenende mit seinem Vater an Bord, und dann steppte er – eigentlich ja nichts Besonderes. Aber Truman war ein wirklich guter Tänzer, obwohl er nie eine einzige Tanzstunde hatte, er war einfach talentiert.

JENNINGS FAULK CARTER Er gehörte zu den wenigen Menschen, die wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen wollen. Er wollte unbedingt schreiben. Er hatte ein kleines Notizbuch, in das er seine Beobachtungen schrieb. Wenn wir durch den Wald gingen und er bemerkte ein besonders hübsches Motiv, wie einen Ast, der sich über den Fluss neigte, dann machte er sich eine Notiz dazu. Er bewahrte solche Dinge auf. Er hatte einen alten Koffer, der unter Sooks Bett stand, in den legte er seine Notizen und schloss ihn mit einem kleinen Schlüssel ab. Wir durften ihn nicht anrühren.

NANCIE B. ROBINSON Einmal ging ich mit Truman nach nebenan, um Harper Lee zu besuchen. Wir spielten lange im Garten, kletterten auf die Paternosterbäume, bis uns zu heiß wurde und wir genug hatten. Also gingen wir in eines der hinteren Zimmer, in dem Nelles Vater sein Büro hatte. Auf dem Tisch stand eine alte Schreibmaschine, und Nelle nahm einen Bogen Papier und spannte ihn ein. Truman begann eine Geschichte zu erzählen, und Nelle tippte sie in die Schreibmaschine. Weil sie mich nicht mitmachen ließen, sammelte ich meine Papierpuppen ein und ging nach Hause!

JENNINGS FAULK CARTER Nelle wiederum zeigte nie Interesse am Schreiben. Sie las viel. Es kann aber kein Zweifel darüber bestehen, dass Wer die Nachtigall stört Nelles Buch ist. Truman hat ihr wahrscheinlich nur geholfen, einen Verleger zu finden, und er hat es teilweise Korrektur gelesen. Aber es ist ihre Geschichte. Das Einzige, was er je über Nelles Buch geäußert hat, war die Bemerkung: »Sie hat den Pulitzerpreis bekommen, und das ist mir nie gelungen.« Ich weiß nicht mehr, wie er es formulierte, aber es war offensichtlich, dass er zutiefst gekränkt war. Dass er so viel geschrieben hat und ihn trotzdem nie bekommen hat, aber Nelle schon.

Er schrieb, weil er ein Schriftsteller sein wollte. Ich glaube, er schrieb, weil er die Wörter dazu benutzen wollte, mich oder Sie zu unterhalten. Darum ging es ihm.

TRUMAN CAPOTE Harper Lee wollte Anwältin werden, wie ihr Vater und ihre Schwester, und im Gerichtsgebäude herumhängen und Golf spielen. Sie war ungemein redegewandt und wusste alles über Verfassungsrecht, was man nur wissen kann, und sie studierte tatsächlich Jura, bis sie eine Woche vor der Abschlussprüfung beschloss, dass sie lieber Schriftstellerin werden wollte. Als Kind besaß ich eine Schreibmaschine und arbeitete jeden Tag in dem kleinen Zimmer, das mir als Büro diente. Ich überzeugte sie davon, dass sie ebenfalls schreiben sollte, also arbeiteten wir dort gemeinsam, jeden Tag für zwei oder drei Stunden. Sie hatte eigentlich keine Lust, aber ich hielt sie bei der Stange. So ging es eine ganze Weile.

JENNINGS FAULK CARTER Er blieb nachts gern auf und las. Wir standen alle im Morgengrauen auf. Gegen acht Uhr war ich bereits auf dem Feld gewesen, und er lag immer noch oben im Bett – in seinem Pyjama! Das unterschied sich sehr von unserer Lebensweise. Jennie und Sook nahmen es hin und brachten ihm den Kaffee ans Bett. Er saß da und genoss es – so offen, vergnügt und freundlich, dass es einfach eine Freude war. Dann, gegen drei oder vier Uhr nachmittags, begann er müde zu werden. Er kauerte sich im Wohnzimmer in einer Ecke, in der es genug Licht zum Lesen gab, auf den Boden, das Kinn auf die Knie gestützt. Er sprach kein Wort, sah nicht auf und bemerkte nicht einmal, dass wir im Zimmer waren. Er war so ganz anders als die anderen.

Am meisten Spaß hatten wir, wenn wir mit Truman und Nelle ein Fantasiespiel spielten und Truman unser Anführer war. Das machte mir immer viel Freude, weil er alles so wirklich erscheinen lassen konnte, als wäre man tatsächlich dort. Er versetzte uns in ein Schloss in Arabien oder Ähnliches, und das war so anders als all das, was wir uns hätten ausdenken können, was wir kannten oder wovon wir gelesen hatten.

EUGENE WALTER Ich kannte ihn unter dem Namen »Bulldog« Persons. Er kam zum Zahnarzt nach Mobile, weil er eine Spange bekommen sollte. Wir gehörten beide dem Sunshine Club an. Die Mobile Press-Register hatte eine Kinderseite, die Sunshine Page hieß. Sie war für Kinder gedacht, die schreiben wollten, es wurden kleine Gedichte oder Geschichten veröffentlicht, und man konnte Preise gewinnen, beispielsweise ein Pony oder einen Hund. Ich mochte aber Katzen lieber, und weil man keine Katzen gewinnen konnte, schickte ich nie einen Text ein. Jeden Sonnabend gab es für die Mitglieder des Sunshine Club Freikarten für die Matineen im Lyric Theater, einem wunderbaren Kino, das heute nicht mehr existiert. Dort begegnete ich Truman – er war ein Pummelchen, nicht wirklich übergewichtig, aber er sah seltsam aus, wie ein Bullterrier. Ich fand, er ähnelte einem Kobold. Ich stand in dem eleganten alten Foyer des Lyric, das mit schwarz-weißen Marmorkacheln ausgelegt war, und sagte zu mir selbst: »Da drüben ist ein Kobold, ein Kobold.« Ich war fasziniert. Im Sunshine Club gab es einen Jungen, J. L. B., er war sehr groß und ein Raufbold. Er war gemein zu Truman, richtig fies, und nannte ihn »Du Wicht!« und Ähnliches. Nun, bei dieser Matinee nahm Truman Anlauf, rannte quer durchs Foyer und rammte seinen kleinen Kopf gezielt in J. L.s Weichteile. Der krümmte sich vor Schmerzen, keuchte – und belästigte Truman nie wieder. Seither nannte ich ihn nur noch »Bulldogge«. J. L. kam im Krieg um. Vielleicht hat Truman ihn mit einem Fluch belegt.

Als Mitglied des Sunshine Club gewann Truman einen Preis für eine Geschichte mit dem Titel »Old Mr. Busybody«. Sie sollte in zwei Teilen auf der Sunshine-Seite erscheinen. Doch seine Tante bemerkte, dass sie von ihrem Nachbarn handelte, und verhinderte die Veröffentlichung. Truman hatte einen exzentrischen Einsiedler aus ihm gemacht. Diese Figur diente als Vorbild für eine Figur aus Andere Stimmen, andere Räume und auch für den Einsiedler in Nelle Harper Lees Roman Wer die Nachtigall stört. Keiner weiß, was mit der Geschichte passiert ist, nachdem seine Tante sie an sich genommen hat. Aber weil Truman in verschiedenen Interviews behauptet hat, »Old Mr. Busybody« sei seine erste veröffentlichte Geschichte gewesen, kommt es heute noch vor, dass Studenten das Archiv des Mobile Press-Register danach durchsuchen.

VIRGINIA TAYLOR (Einwohnerin) Wenn Truman sich bei seinen Cousins im Laden langweilte, ging er in den Drugstore nebenan, setzte sich auf einen der Barhocker und drehte sich darauf herum. Einmal kam sein Vater Archie in die Stadt, um Besuche zu machen. Er fuhr in einem blauen Kabriolett vor, auf dessen Rücksitz zwei Damen saßen. Weil sie niemanden in der Stadt kannten, blieben sie die ganze Zeit dort sitzen. Archie fragte Truman, ob er Lust hätte, mit ihnen eine Ausfahrt zu machen. Truman hatte keinen Führerschein. Doch er nahm die Schlüssel und fragte mich, ob ich mitkommen wollte. Ich war nicht besonders angetan von Truman. Ich stieg trotzdem mit ein, vielleicht weil mir das Auto so gefiel! Es war eine beängstigende Fahrt, sowohl für mich als auch für die beiden Damen auf dem Rücksitz. Truman konnte kaum über das Steuerrad schauen, aber er fuhr so schnell, dass es einem zeitweise so vorkam, als würde der Wagen nur auf zwei Rädern fahren. Wir fuhren den Peterman Highway hinunter und wieder zurück. Als wir wieder in der Stadt ankamen, gab Truman die Schlüssel zurück, als sei nichts geschehen. Archie konnte froh sein, dass er seinen Wagen heil zurückbekam! Ich wette, die beiden Damen haben ihm gründlich den Kopf gewaschen!

JENNINGS FAULK CARTER Arch Persons war ein umgänglicher, sehr ruhiger Mann. Er sprach, als ob er das Evangelium verkünden wollte, doch meistens ging es ihm nur darum, dir Geld abzuluchsen. Er brachte mich einmal sogar dazu, ihn mit dem Flugzeug mitzunehmen. Er bezahlte nie seine Benzinrechnungen, seine Hotelrechnungen oder sonst etwas. Das musste ich übernehmen. Dennoch flog ich ihn von einer Stadt in die nächste, was einen Haufen Geld gekostet hat.

Einmal begrub Arch einen Mann bei lebendigem Leibe auf dem Schulhof. Das war in den dreißiger Jahren eine beliebte Nummer, man wollte sehen, wie lange man so überleben konnte. Sie ließen ihn zwei oder drei Tage unter der Erde und verlangten von den Schaulustigen Geld. Als sie ihn wieder ausgruben, war er zwar reichlich mitgenommen, aber immer noch am Leben.

ARCH PERSONS (Vater, in einem Brief an Marie Rudisill) Wie du weißt, verbrachte Truman zwei Drittel seiner Kindheit in Monroeville, weil ich wegen meiner Arbeit gezwungen war, zwischen New Orleans und St. Louis zu pendeln, wo ich zumeist in erstklassigen Hotels abstieg. Doch davon abgesehen gab es keine Schwierigkeiten, denn ich hatte eine anständige, interessante Arbeit. Es wurde behauptet, ich hätte während unserer achtjährigen Ehe 35 000 Dollar aus Lillie Maes Vermögen ausgegeben, aber Tatsache ist, dass Lillie Mae damals nie mehr als 150 Dollar besaß, und das auch nur bei ein oder zwei Gelegenheiten. Ich verdiente damals gut, war fest angestellt und hatte eine Jahreskarte für die Eisenbahn für uns beide, und es fehlte ihr an gar nichts.

Lillie Mae nahm Truman mit nach New York, obgleich sie bei unserer Scheidung zugestimmt hatte, dass er bei Sook in Monroeville bleiben sollte, wo wir beide ihn sehen konnten. Doch es stellte sich heraus, dass es gut für ihn war, und darüber bin ich froh, auch wenn ich dadurch beinahe seine ganze Kindheit verpasst habe.

JENNINGS FAULK CARTER Als Truman in der zweiten Klasse war, erfuhr er, dass er Monroeville verlassen und mit seiner Mutter in den Norden gehen sollte. Er sagte, er wolle eine grandiose Party schmeißen, damit sich alle an ihn erinnern würden. Er entschied sich für eine Halloween-Kostüm- Party. Zusammen mit Nelle und mir begann er bereits Wochen vorher mit der Planung – die Party sollte an einem Freitagabend stattfinden. Das war unerhört, denn Kinder veranstalteten keine Abendgesellschaften; die Eltern, die auf dem Land wohnten, mussten ihre Kinder in die Stadt bringen und entweder über Nacht bleiben oder auf dunklen, staubigen Straßen zurückfahren. Doch Truman bekam seinen Willen. Er stürzte sich in die Vorbereitungen. Er dachte sich Dutzende Spiele für die Kinder aus. Bei einem Spiel mussten die Kinder in eine Reihe von Schachteln hineinfassen, die auf der Oberseite ein Loch hatten, und dann erraten, was sich darin befand. In einer der Schachteln war eine riesige Sumpfschildkröte, die wir gefunden hatten. Truman legte sie auf den Rücken, und sie kratzte und zappelte in der Schachtel herum. Er tat so, als wäre es eine Wildkatze, ein Stinktier oder eine Schlange, und einige der Kinder bekamen Angst. Niemand erriet, dass es eine Sumpfschildkröte war. In eine zweite Schachtel legte Truman einen Klumpen aus zerquetschten Orangen und Bananen. Die anderen dachten, es seien Innereien. In der dritten befand sich ein Staubwedel aus Truthahnfedern. Das errieten alle. Im Garten fand ein weiteres Spiel statt, bei dem Trumans dreizylindriges Ford-Pedalflugzeug zum Einsatz kam. Auf der Treppe zur hinteren Veranda war eine Rampe aufgebaut worden, und wir kletterten abwechselnd in das Flugzeug hinein, rasten die Rampe hinunter und kamen in der Nähe des Pekannussbaums zum Stehen. Dann gab es noch das Apfeltauchen. Wir stellten einen Waschtisch mit vier großen Wasserkübeln unter den Pekannussbaum. Jennie hatte für Sook Äpfel aus dem Nordwesten bestellt, die so groß waren, dass ein Kind sie kaum mit den Zähnen packen konnte.

Ein kohlrabenschwarzer Mann namens John White, der für Trumans Großvater auf der Plantage arbeitete, sollte das Apfeltauchen beaufsichtigen. Er mochte Jennie nicht und wollte nicht für sie arbeiten, aber an diesem Abend erklärte er sich einverstanden, sich um die Äpfel zu kümmern. Truman wollte, dass er einen weißen Anzug, ein weißes Hemd und weiße Schuhe anzog. Jennie gab ihm auch einen weißen Hut.

John White war so stolz auf seine Aufgabe bei Trumans Party, dass er jedermann davon erzählte. Die ganze Stadt wusste davon. Am Tag zuvor kam Sheriff Farish in seinem Streifenwagen bei Jennie vorbei. Das bedeutete, dass es sich um etwas Offizielles handelte. Er trug eine Khakiuniform mit einem schwarzen Schlips und einer Militärmütze, derbe Stiefel und einen Pistolengürtel mit einem großen Revolver – sehr respekteinflößend. Angeblich hatte er mit seinem Revolver schon einen Indianer, einen Weißen und ein paar Farbige erschossen. Die Windschutzscheibe des Streifenwagens konnte heruntergelassen werden. Auf dem Dach befand sich ein rot-blaues Licht. Die Sirene war an der Fensterstrebe angebracht, um sie zu betätigen, musste der Sheriff die Hand aus dem Auto strecken. Die Kurbel war mit Draht fixiert, aus gutem Grund, denn nachdem er geparkt hatte, stürzten sich die Kinder sofort darauf. Jennie kam ans Tor, und um ihn zu begrüßen. Er nahm Haltung an, als wäre es ihm unangenehm, was er zu sagen hatte. Er nannte Truman »Mr. Truman«, also wussten wir, dass es etwas Wichtiges war. Er sagte, er hätte gehört, dass »Mr. Truman« Farbige zu seiner Party eingeladen habe. »Ich glaube zwar nicht, dass das stimmt«, sagte er, »aber eine Menge Leute schon. Sie sagen, er wolle den Leuten hier etwas beweisen, bevor er in den Norden geht. Und es stecken ein paar Farbige in den Kostümen, die keiner erkennen kann, bis die Party vorbei ist. Und dann haben wir den Ärger. Der Klan ist darüber sehr aufgebracht, und sie werden sich morgen auf dem Schulgelände versammeln, um sich das Ganze mal anzusehen.«

Der Sheriff sagte, der Klan würde erst eine Versammlung abhalten und dann über die Alabama Avenue an Jennies Haus vorbei zum Stadtplatz marschieren. Der Sheriff sagte, er hätte den Klan gewarnt, dass nichts geworfen oder gerufen und die Party nicht gestört werden dürfe. Und er fügte hinzu: »Sie wissen, wie der Klan ist – er hatte schon lange keine Gelegenheit mehr, sich aufzuspielen. Und wenn er keine Unruhe stiften kann, zahlen die Leute ihre Beiträge nicht, und der Große Drache ist verärgert.«

Miss Jennie war nicht besonders gebildet, aber sie besaß eine Würde, die den Leuten Respekt einflößte. »Sheriff, ein derartiger Unsinn wird unter meinem Dach nicht stattfinden. Und ich brauche Sie wohl kaum an Ihre Pflichten zu erinnern. Guten Tag, Sir.«

Vielleicht lag es daran, dass Jennie auf einmal in Partylaune kam, jedenfalls lud sie ein paar Nachbarn und einige ihrer besten Kunden aus dem Hutladen ein, zu denen Gutsbesitzer, Ladeninhaber und Politiker zählten. Sie beauftragte Tante Lizzie, die Köchin, Baisers, Kandisbonbons, Kekse und Kuchen vorzubereiten. Sie stellte Kartentische auf, damit die Erwachsenen Missionarspoker spielen konnten. Sook, die in heller Aufregung war, setzte in der Bowleschüssel aus Kristallglas den Punsch an. Jennie sagte, für die Kinder sollten die gerade erst in Mode gekommenen Pappbecher besorgt werden, egal wie teuer sie seien, und für die Erwachsenen sollten die Kristallgläser bereitgestellt werden.

Als wir überlegten, wen wir einladen sollten, schlug Nelle die Boular- Kinder, Sonny und Sally, vor. Sonny, schon beinahe ein junger Mann, war ein Einsiedler und Vorbild für Boo Radley in Nelles Roman Wer die Nachtigall stört. Das Haus der Familie Boular war von einer dichten Hecke aus Obstbäumen und Muskatellerweinstöcken sowie einem Maschendrahtzaun umgeben. Die Kinder hatten sich Geschichten über Sonny ausgedacht – er sei gefährlich, und wenn man über den Zaun kletterte, würde er einen mit einem Schlachtermesser erstechen. Er war nicht etwa verrückt. Sie behielten ihn nur zu Hause, und er war sehr schüchtern. Wir hatten ihn niemals außerhalb seines Grundstücks gesehen.

Der Abend der Party schien uns in endloser Ferne zu liegen. Als es dann so weit war, malten Nelle und ich uns die Gesichter an. Truman hatte sich wie Fu Manchu geschminkt – gelbes Gesicht mit geschwungenen Augenbrauen – und trug einen chinesisch wirkenden Mantel mit hochgeknöpftem Kragen und einem weiten Hemd, das bis über die Hose reichte. Auf dem Kopf trug er eine Kappe, und irgendjemand hatte ihm einen Zopf aus Pferdehaar geflochten, der ihm über den Rücken fiel. Als die Party begann, nahm er Stift und Papier, um die verschiedenen Kostüme zu bewerten. Die Kinder stellten sich an, um mit dem Flugzeug über die Rampe zu fahren, oder drängelten sich beim Apfeltauchen. In seinem weißen Anzug sah John White aus wie ein körperloser Geist, man konnte ihn hinter dem Waschtisch kaum noch ausmachen.

Jennie besaß ein aufziehbares Grammofon, was damals, als kaum jemand ein Radio hatte, etwas ganz Besonderes war. Sie hatte einen kleinen farbigen Jungen dazu angestellt, die Platten zu wechseln, so dass wir die ganze Zeit Musik hatten. Die Erwachsenen kamen an die Haustür, um der Musik zuzuhören und nach ihren Kindern zu sehen.

Die Party war in vollem Gange. Sally und Sonny waren nicht aufgetaucht, aber Nelle und ich waren so mit dem kleinen Flugzeug beschäftigt, dass wir es gar nicht bemerkt hatten. Sooft es ging, sprangen wir hinein und rasten die Rampe hinunter. Plötzlich gab es einen Tumult im Haus. Wir hörten, wie Sally schrie: »Sie halten Sonny drüben bei Mr. Lee fest! Sie werden ihn hängen!«

Alles rannte durcheinander, und jemand brüllte: »Holt den Sheriff!« Truman sagte: »Schnell, gehen wir durch die Hecke.« Also rannten wir hintenherum, während die Leute sich zur Vordertür hinausdrängelten. Wir kletterten durch die Lücke in unserem Zaun und rannten nach nebenan zur Veranda der Lees. Auf der Straße sahen wir Nelles Vater, der nur mit einem Unterhemd bekleidet den Klanmännern in ihren Kapuzen entgegentrat. Er war ein großer, würdevoller Mann, und er stieß jeden beiseite, der ihm in den Weg kam. Die Klanmänner leisteten keinen Widerstand. Sie ließen ihn durch. Er war Mitglied des Bundessenats, Herausgeber des Monroe Journal und ein aufrechter Bürger. Niemand wollte es sich mit ihm verderben. Neben einem Mann mit einem grünen Saum an seiner Kapuze, dem Großen Drachen, stand eine seltsam kostümierte Gestalt. Sie konnte sich kaum bewegen, denn sie steckte in mehreren silbern angemalten Pappschachteln, die mit Klebeband befestigt waren, und trug eine eckige Schachtel auf dem Kopf, in die Löcher für die Augen geschnitten worden waren – ein mechanischer Mensch, ein Roboter.