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Bisher erschienen im Himmelstürmer Verlag:

Pink Christmas

ISBN print 978-3-86361-076-0 Herbst 2011

Pink Christmas 2

ISBN print 978-3-86361-184-2 Herbst 2012

Pink Christmas 3

ISBN print 978-3-86361-343-3 Herbst 2013

 

Alle Bücher auch als E-book

 

 

Himmelstürmer Verlag, Kirchenweg 12, 20099 Hamburg,

Himmelstürmer is part of Production House GmbH

 

www.himmelstuermer.de

E-mail: info@himmelstuermer.de

Originalausgabe, Oktober 2014

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages

Rechtschreibung nach Duden, 24. Auflage.

 

Coverfoto: shutterstock.de

 

Das Model auf dem Coverfoto steht in keinen Zusammenhang mit dem Inhalt des Buches und der Inhalt des Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Models aus. 

 

Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafik-Designer AGD, Hamburg. www.olafwelling.de

E-Book-Konvertierung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH

 

ISBN print 978-3-86361-421-8

ISBN epub 978-3-86361-422-5

ISBN pdf: 978-3-86361-423-2

 

Die Handlung und alle Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit realen Personen wären rein zufällig.

Kai Steiner   Weihnachtliche Überraschungen …

KAI STEINER
 
WEIHNACHTLICHE ÜBERRASCHUNGEN …

Das Spiel der Spiele.

Die Heimmannschaft gegen den Ersten der Liga. Am 23. 12. um einundzwanzig Uhr.

Palermo gegen Roma im schönsten Stadion von Sizilien, direkt am Mittelmeer. Einmalig.

Roma – Fans feiern bereits den Sieg über die kommenden Absteiger.

„Unser Weihnachtsgeschenk für die Weicheier“, skandieren Tausende von Anhängern, die mit der römischen Mannschaft angereist waren.

Eine einzige Provokation für die Einheimischen. Fünfundzwanzigtausend werden ihr Stadion zu verteidigen wissen …

 

AS Roma gilt als eine der bedeutendsten Mannschaften Europas. Siebzehn Ballakrobaten, drei, nämlich Vincenzo Fini, Paulo Fernando, Marco Macini ihre Helden, Nationalspieler und Weltmeister, Fini ihr unangefochtener Champion. Der sizilianische Club, das Aschenputtel der Tabelle. In seinen Reihen Luigi Salce, der einzige Stern im Rund seiner Spieler. Idol aller heimischen Soccerfans, mehr noch, Stolz der Inselbewohner. Zweiundzwanzig Jahre, von den Eltern im achtzehnten Lebensjahr gegen seinen Willen verheiratet mit seiner frommen Cousine Anna. Er lächelte zwar über ihr ständiges Beten und über die unendlichen Kirchengänge, aber, wenn er ehrlich wäre, waren ihm diese zuwider. Er hatte wenig mit der Religion im Sinn.

Die Hochzeit hatte Wirkungen hinterlassen. Nicht nur, dass er reifer geworden war, nein, er hatte sich zu einem fanatischen Stürmer mit unstillbarem Hunger gemausert, dem Fußball über alles ging, der trotz seiner Schnelligkeit oder gerade deshalb die hohe Kunst der Ballbehandlung erlernte. Niemand wusste eine Erklärung hierfür. Nur Luigi selbst, und diese gab er nicht preis. Sein Rechtsschuss war inzwischen gefürchtet, sein linker Fuß blieb unberechenbar.

Man bewunderte ein ums andere Mal die Leichtigkeit seiner Schlenzer von rechts und links und seinen Instinkt für Lupfer, wenn sich der Torwart zu weit aus seinem Kasten wagte.

Er war vom Nationaltrainer zum nächsten Länderspiel berufen, was ihm noch mehr Bewunderung eingebracht hatte.

„Dein Antritt, dein Tempo, die Ballführung. Und was hast du für eine Körpersprache, mein Gott, deine Entschlossenheit und schließlich deine unbändige Lust am Fußball, du bist im nächsten Länderspiel meine Hoffnung!“, ließ er den jungen Mann wissen. Sein Vereinstrainer sieht ihn auch als Dribbelkönig, der aus der Tiefe passende Flanken schlägt, nur leider wissen seine Mitspieler nicht viel mit ihnen anzufangen, ja, einige meiden ihn. Einige machen sogar aus ihrem Hass keinen Hehl.

Luigi redet kaum, wird als in sich gekehrt beschrieben, manche nennen ihn sogar hochnäsig.

Es ist schrecklich, keinen Partner zu haben, mit dem man über Fußball reden kann, denkt Luigi. Man muss doch gemeinsam ein Spiel analysieren, hören, was man gut oder schlecht oder falsch gemacht hat, wie man den Gegner narrte und narren kann. Und man muss doch mit einem Freund mal über die Stränge hauen, mit einem Fußballfreund, einem Besessenen, der so, wie man selbst, fühlt.

Er gehört seit seinem fünften Lebensjahr dem Verein an, ist fest in ihm verankert und hat nie über einen Wechsel nachgedacht. Er teilt mit fast allen Sizilianern deren besondere Eigenschaft, die der Bodenständigkeit und Treue.

Seine Eltern, seine Frau und er bewohnen eine Villa in Taormina in der Nähe des Volksgartens - Giardino publico - mit unverbaubarem Blick auf den Ätna, ein Platz, den Luigi liebt. Er wurde hier geboren.

Der junge Mann ist viel unterwegs. Was ihm entgegenkommt. Die Hälfte der Spiele findet in Arenen auf dem Festland - bis hoch nach Florenz, Udine, Mailand und Turin – statt, nur Cagliari auf Sardinien bildet eine Ausnahme.

Er trainiert mit seinen Sportfreunden im Stadion von Palermo, kehrt abends in seinem Alfa Romeo heim, wenn nicht ein Punktspiel spät angesetzt ist. Er hat den Leitsatz seines Vaters übernommen, den Ätna mindestens einmal am Tag zu sehen und zu bestaunen. Was durch seinen Beruf nicht immer klappt.

Er erfüllt der Familie gegenüber seine Pflicht. Das große Glück, von dem seine Mutter träumt, blieb ihm bisher versagt, nur auf den Fußballplätzen – und wenn ihm Tore gelingen – übermannen ihn Gefühle, die er sonst nicht kennt, erschüttern seine Seele, bringen ihn in Hochstimmung. Dann überzieht sein sonst ernstes Gesicht ein Lächeln, das Berge versetzen könnte, nur fehlt ihm dazu der Partner, ein Pendant. Seine Frau schimpft manchmal, wenn er von einem Heimspiel spät zurückkommt oder erst nächsten Morgen auf der Matte steht. Das belastet die Ehe mächtig.

 

Seit zwei Monaten hat der Trainer die siebzehnjährigen Zwillinge Roberto und Franco Falaci aus dem vereinseigenen Internat in die Mannschaft berufen. Seit sechzig Tagen trainieren sie mit den Profis. Leitung und Vorstand hoffen, sich aus der Abstiegszone zu befreien, einen sicheren Tabellenplatz zu ergattern. Beide Jungen sind begnadete Fußballspieler, impulsiv, draufgängerisch, wie Jugendliche sind, und schnell.

Robertos Vorbild ist Luigi.

Seit Jahren himmelt der junge Mann den Besten der Mannschaft an.

Nun trainiert er mit ihm, sein Glück ist fast vollkommen.

Während des Trainings, bei freiwilliger Gymnastik, im Fitnesscenter und bei Mannschaftsbesprechungen versucht Roberto, in der Nähe seines Idols zu sein. Wenn sich die Spieler den Dreck nach dem Fight vom Körper schrubben, Roberto steht neben ihm, sein Bruder in dessen Nähe. So überdeckt er seine Zuneigung zu seinem großen Vorbild. Aber dieser ist sensibler, als es die Mitspieler ahnen. Er hat längst bemerkt, dass der junge Mann seine Augen kaum von ihm lässt. Zuerst dachte Luigi, dass es einfach nur Anhänglichkeit ist, Akzeptanz und Anerkennung, seit letztem Training, als die beiden für eine Minute allein unter der Dusche standen, ist ihm bewusst geworden, dass es mehr ist, viel mehr, und das hat ihn sehr berührt.

 

Heute oder morgen erwartet Luigis Frau ein Baby, wird behauptet. Ganz Sizilien nimmt daran teil. Wenn es heute das Licht der Welt erblickt, wird ein Hubschrauber über der Arena kreisen und den Namen des Kindes verkünden. Eine Buchstabenschleife im Schlepptau.

Luigi ist überzeugt: es wird ein Junge und der kommende Kicker der sizilianischen Sportfreunde.

Der Kardinal höchst persönlich hat Luigi angehalten, auf eine Untersuchung mit Ultraschall der Mutter zu verzichten. Man muss nicht vorher wissen, was Gott mit uns Menschen vorhat, meinte er. Es ist früh genug, das Geschlecht zu erfahren, wenn das Baby zum ersten Mal kräht, denn Gott liebe alle Kinder, ob Mädchen oder Jungen. Luigi ergab sich seinem christlichen Schicksal. Mit einem Mal hatte er doch ein bisschen mehr Achtung vor der christlichen Moral. Anna dagegen war beim Arzt. Sie verschweigt das Geschlecht.

Ob das Kind heute zur Welt kommt oder während der abendlichen Messe nach dem Fight, vielleicht sogar erst am 25ten Dezember, ist gleichgültig, denkt Luigi, es ist auf alle Fälle ein Geschenk Gottes. Nicht umsonst hat auch Maria ihren Sohn Jesus zu diesem Zeitpunkt zur Welt gebracht. Sicher werden alle jetzt geborenen Kinder unter dem besonderen Schutz des Heilands stehen.

Man wird sehen. Und deshalb müssen wir gewinnen!

 

Die Arena ist zum Bersten gefüllt. Der Favorit wird gewinnen; die sizilianische Elf muss gewinnen.

Niemand gibt einen Pfifferling auf sie. Was daran liegt, dass man am Tabellenende steht und den drohenden Abstieg kaum noch entrinnen kann, trotz Luigi und trotz der beiden jungen Kicker. Den Gästen wird vorausgesagt, Meister zu werden, nur verlieren dürfen sie heute nicht.

 

Man läuft auf den Platz.

Blau die Farbe von Finis. Luigi ist Spielführer. Seine rote Binde leuchtet bis in die hintersten Plätze. Jubel, als er in die Tribünen hineinwinkt. Jeder fühlt sich mit ihm, dem besten Nationalspieler, solidarisch, nur ein Tor wollen ihm die Fans des Abstiegskandidaten nicht gönnen. Das gehe zu weit. Aber feiern solle er sich lassen. Und er tut es mit seinen Leuten. Stolz ihre Häupter, arrogant in den Bewegungen, lässig schieben sie den Ball hin und her. Einspielen ist alles, denken sie, und man müsse zeigen, was eine Harke ist. Furcht einjagen ist die einzige Methode für Angsthasen, und das sind die Heimischen. Wird’s klappen?

Diese bilden in ihren gelben Hemden und roten Hosen einen Kreis, legen die Arme auf die Schultern des Mitspielers zur Rechten und zur Linken und beugen sich tief nach unten.

Eine Gelegenheit für Roberto, der sich neben Luigi gemogelt hat. Er drückt seinen Schädel sanft gegen Luigis Kopf. Ihm ist klar, dass sich der Star nicht wehren darf. Sähen das die Mitspieler, ließen sie ihn und Luigi auf dem Feld verhungern. Roberto löst den linken Arm vom Mitspieler, greift in seine Hosentasche, holt ein kleines Herz heraus, öffnet nur Sekunden seine Hand, so dass Luigi es sehen muss.

Dieser schaltet sofort. Er blinzelt den Jungen unverhohlen von unten an und lächelt. Es ist ein echtes Lächeln, eins, das Sehnsucht verheißt. In diesem Augenblick wird dem Jungen klar, dass er einen neuen Freund gewonnen hat.

Sie alle murmeln.

Eine Art Beschwörung, eine Bitte an Gott, ihnen zu helfen. Sie drücken außerdem alle den Daumen für das Baby, das sicher den Namen Luigi Juniore haben wird … aber kräftiger für sich und die Mannschaft. Man hat den Ruf um Hilfe nötig, denn die letzten zehn Spiele gingen verloren, zwei ihrer Kicker sahen rot und sind nicht dabei, die Jüngsten müssen einspringen, Franco und Roberto Santos, die Zwillinge. Die alten Fußballer meckern über diese Trainerentscheidung, denn die Jungen sind erst siebzehn Jahre, und was wissen die schon vom Spielen und dem Leben überhaupt? Nichts.

 

Der Mannschaftsführer des Gastes hat den Münzenwurf des Schiedsrichters richtig eingeschätzt. Die Zahl liegt oben.

Will Gott uns nicht erhören, fragt man sich verzweifelt auf den Rängen? Ausgerechnet die Schwächsten verlieren die Seitenwahl und damit ihre Torseite, auf der ständig geübt wird. Man ist verzweifelt. Alle wissen, mit diesem Ergebnis müssen die Männer aus Palermo die Stärke des Gegners besonders fürchten. Man erinnert sich an viele Spiele, in denen die Heimmannschaft gleich in den ersten Minuten ins Hintertreffen geriet, und immer stand ihr Keeper im nicht gewünschten Kasten.

Tatsächlich, die Katastrophe bahnt sich nach wenigen Minuten an.

Marco Macini schießt das frühe Tor für die Römer. Eine Bombe, eine Rakete, die über das Grün flitzt und oben links im Tor einschlägt. Der Schütze tanzt auf dem Rasen, hebt seine Hände zum Himmel, das Tor für seine zehnjährige Tochter Luciana.

Gelaufen! Ein innerer Verzweiflungsschrei der Sizilianer!

Gelaufen?

Roberto lässt sich nicht beirren.

Er wieselt links und rechts, schiebt, drückt, rennt, schießt. Ein Allerweltskerl, der keine Scheu vorm Gegner hat, schon gar nicht vor Fini.

Luigi ist seinem Bewacher unvorbereitet entwichen, läuft mit dem Ball an der linken Außenlinie entlang, schlägt einen Haken, der den Gegner verwirrt, und ehe ihn dieser erreicht, hebt Luigi das Leder über Fernandos Kopf zu Roberto. Dieser hat unwillkürlich die Mittelstürmerposition eingenommen.

Der Junge denkt nicht mehr.

Er handelt.

Als er den Ball ankommen sieht, steht er mit dem Körper zum Tor gewandt. Blitzschnell dreht er ihn herum, er schnellt förmlich in die neue Position, kommt sekundenlang zum Stand mit dem Rücken zum Torwart. Drückt sich dann mit seinem linken Fuß vom Gras ab, liegt mit seiner etwas gekrümmten Wirbelsäule in der Luft, parallel zum Boden, zieht gleichzeitig sein rechtes Schienbein senkrecht nach oben und presst die Zehen nach hinten. Er trifft das in Brusthöhe heran fliegende Leder mit dem Spann. Die Kugel schlägt unhaltbar im Tor des Gegners ein. Ein klassischer Fallrückzieher. Wo hatte der Junge diesen bloß gelernt?, denkt der Trainer, und springt grölend von der Bank.

„Tor!“

Luigis Vater behauptete einen Tag später, man habe den Schrei der Sizilianer aus dem Stadion in Taormina gehört. Natürlich Unsinn, der Alte hatte wohl geträumt …

Eins zu eins!

Das Stadion kocht! Ola-Wellen bewegen die Massen. Die Fans spielen verrückt. Sie johlen, kreischen, klatschen. Ein Taumel erfasst alle.

Roberto streckt seine Arme in die Luft, macht einen Salto, landet auf dem Bauch, rutscht über den Rasen zur Außenlinie, schließt vor Freude die Augen. Was ist das? Ein Kuss. Auf den Mund. Er reißt seine Augen auf. Über ihm Luigi, grinsend.

„Cool!“, zischt dieser ihm zu und rollt sich zur Seite.

Schon liegen neun weitere Spieler über ihm, der Torwart eingeschlossen.

Luigi ist jetzt total auf Roberto fixiert.

Ein Top-Typ, sinniert er im Laufen.

Die beiden verstehen sich aus heiterem Himmel wie im Schlaf.

Der Jüngere bietet sich an, drischt die Kugel in die Mitte, wenn Luigi am Strafraum herumwuselt, schlägt Haken, läuft Kurven, setzt den Ball mit der Hacke zurück zu seinem Bruder, alles gelingt!

Er narrt seine Gegenspieler.

Ist immer ansprechbar. Das hat es seit langem nicht mehr bei den Sizilianern gegeben.

Die Menschen glauben ihren Augen nicht zu trauen. Was steckt alles in ihrer Mannschaft drin? Sie haben es immer gewusst!

Anfeuerungsrufe!

Luigi hat seine Augen nur auf den Jungen gerichtet. Er fühlt, dass diesem heute das Glück zur Seite steht.

Er schaut auf die Uhr. In zwei Minuten ist Halbzeit. Ein weiteres Tor wäre das Größte und vielleicht die Rettung! Er beobachtet, dass Franco seinem Bruder den Ball zuspielt, den dieser mit der Brust annimmt, auf seinen rechten Fuß abtropfen lässt und ihn mit Gefühl nach innen schlenzt, genau, wie er selbst es gemacht haben würde. Das Leder segelt in die Mitte, Luigi wirft seinen Kopf zurück, dann stößt er ihn mit kaum zu überbietender Kraft nach vorn, trifft die Kugel mit der Stirn und jagt sie statt oben in die Ecke, wie der Torwart vermutet, auf den Boden, neben dem Pfosten springt der Ball ins Gehäuse.

Zwei zu eins!

Im Stadion ist der Teufel los. Alles wippt, hopst, springt, umarmt sich und niemand bekommt mit, was sich vor dem Tor abspielt.

Luigi läuft auf Roberto zu, wirft seinen Arm um den Jungen, schmettert ihn zu Boden, küsst ihm die Schläfe, nimmt dessen rechte Hand, krault die Innenfläche, bis Franco auf ihnen liegt. Alle fallen über die drei her.

 

Pause.

 

Die Mannschaft ist wie ausgewechselt. Sie tanzt in der Umkleide, einige fahren Luigi durch die Haare, boxen Roberto auf die Brust, geben Franco einen Klaps.

Man muss das Ergebnis halten, sagt der Trainer. Verteidigung ist jetzt die einzige Waffe, an die ihr euch ständig erinnern müsst.

Die Atmosphäre im Stadion, die Stimmung unter den Spielern, geht’s dem Boss durch das Hirn, könnte unsere Rettung sein. Die Euphorie ist unser Jesus, der über den See Genezareth gegangen ist. Wir machen es ihm nach.

Seine Crew genießt sein Lächeln. Sie nimmt die Gewissheit mit nach draußen, dass man zu einer Einheit geworden ist.

„Wir schaffen es“, ruft der Boss hinterher!

 

Die zweite Halbzeit neigt sich dem Ende zu. Bis jetzt haben die Einheimischen ihr Tor dicht gehalten. Super! Man kämpft bis zur totalen Erschöpfung.

Noch zehn Sekunden.

Plötzlich hört man einen Hubschrauber. Die Menschen im Stadion schauen nach oben. Endlich ist das Baby da. Da taucht es in der offenen Lücke der Arena auf. Jetzt ist die Schleife sichtbar. Nicht mehr das Fußballspiel zählt, nein die Geburt rückt in den Vordergrund. Selbst die Spieler verfolgen fassungslos das Geschehen in der Luft.

Was heißt denn das? Luigia wird oben angezeigt. Mein Gott, ein Irrtum, es heißt doch Luigi. Nein, die Schleife wird länger: Luigia, Maria, Giovanna!

Drei Mädchen.

Der Schiedsrichter zeigt Größe. Auf zwei Spielsekunden muss man angesichts solcher Nachrichten verzichten.

Abpfiff.

Stille im Stadion.

Luigi liegt am Boden. Sein Gesicht fast in den Rasen gebohrt. Warum? Was ist passiert? Roberto beugt sich über ihn, Luigi sieht den Jungen an, strahlt.

„Verzweifelt?“, fragt Roberto leise.

„Warum? Drei Mädchen sind wunderbar. Du musst weiter denken, an die Zukunft.“ Roberto versteht vor Aufregung kein Wort. Dann hört er Luigi sagen: „Einen Jungen habe ich doch schon!“

Dann springt er auf, seine Mitspieler rennen hinterher, man läuft um die Aschenbahn, Luigi gestikuliert mit den Händen, wirft Handküsse in die Menge, bekreuzigt sich, ruft den Zuschauern zu, die das Stadion nicht verlassen:

„Luigia, Maria, Giovanna, gracie, gracie!“, und die Menge fällt in sein Geschrei ein.

Welch ein Glück!

Luigi lässt sich das Mikrofon geben. Was er wohl sagen wird, denkt die Menge. Seine Fans wissen: Mädchen sind für einen Verein das Größte, sie werden einmal viele Jungen zur Welt bringen, begnadete Fußballer für Sizilien, Soccer für die Zukunft.

„Lasst uns Gott danken!“, tönt es aus den Lautsprechern. „Feiert mit mir und der Mannschaft. In einer halben Stunde beten wir in unserer schönen Kathedrale, in der unser Kardinal das Dankeschön zelebrieren und uns ins Weihnachtsfest einführen wird.“

Bevor man den Innenraum der Arena verlässt, lässt sich Luigi sein Handy vom Trainer zurückgeben, das dieser vor dem Spiel einkassiert hat. Er tritt ein wenig zur Seite, um mit seiner Frau Anna zu sprechen. Roberto hat sich unauffällig zu ihm geschlichen, und Luigi hat es zugelassen.

„Anna, tausend Glückwünsche, alles Gute! Ich bin morgen früh im Krankenhaus. Wir haben für unsere Töchter gewonnen und werden Gott heute in einer Messe mit dem Kardinal danken.“

„Natürlich, Liebling!“, hört Roberto mit. Dann schaltet Luigi das Handy aus.

 

„Morgen früh?“, fragt Roberto fast tonlos, ja, ein bisschen zittert sogar seine Stimme.

„Etwa Angst?“

„Ja, dass du mich hoch nimmst!“, antwortet Roberto resignierend.

„Genau am Südstrand, ich kenne einen Pfad dahin, oder gibt es für dich keinen Grund mit mir allein zu feiern?“

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Kai Steiner   Fin im Glück

 

186 Seiten

ISBN 978-3-86361-376-1

Auch als E-book

 

Philipp, ein Hetero in den besten Jahren, trifft auf Fin, einen dreiundzwanzigjährigen Physiotherapeut.

Die Welt steht für beide Kopf: Philipp verlässt seine hetero Welt, weiß nicht recht wie ihm geschieht. Fin erlebt sein schwules coming-out. Überschäumendes Glück  bei beiden. Anfeindungen aus ihrem Umfeld und schließlich die bange Frage nach Treue und Akzeptanz bestimmen diesen einfühlsamen Roman bis zum überraschenden Ende.