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Thomas Kastura

 

Drei Morde zu wenig

 

 

Kriminalgeschichten

 

 

 

 

 

 

ars vivendi

 

Originalausgabe

 

Zweite Auflage November 2013

Erste Auflage August 2012

© 2012 by ars vivendi verlag

GmbH & Co. KG, Cadolzburg

Alle Rechte vorbehalten

www.arsvivendi.com

 

Lektorat: Dr. Felicitas Igel

Umschlaggestaltung: ars vivendi verlag

unter Verwendung einer Fotografie von

© Val Thoermer/fotolia.com

 

Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag

 

eISBN 978-3-86913-398-0

 

Inhalt

Vorwort

Textnachweis

Brückenmord

Fest der Liebe

Es lebe der König

Der Wörcher von Weipelsdorf

Eine Leiche im Gärkeller

Weltkulturerbelauf

Der Mann mit dem schwarzen Kajak

Vollmond über Schloss Fahlenstein

Händel, letzter Akt

Mafia Bamberga

Der Kongress

Das große Rennen

Draußen vom Walde kam er her

Schellinski war eine Polin

Das Schäuferla des Grauens

Blutbad auf dem Domplatz

A ächder Bambercher

Der Autor

 

 

Vorwort

Die Geburt von Brandeisen & Küps liegt buchstäblich im Dunkeln. Im Frühjahr 2005 erhielt ich einen Anruf von einem Veranstalter: Ob ich mir vorstellen könne, eine Lesung im Fränkischen Brauereimuseum zu halten und für diesen Anlass einen Krimi zu verfassen?

Damals plante ich gerade eine Großstadtkrimireihe, aus der dann die in Köln angesiedelten Raupach-Romane wurden. Zwei Italien-Thriller waren bereits erschienen. Doch Inspiration holt sich ein Autor immer gern, und Bamberg war damals noch ein weißer Fleck auf der Krimilandkarte. Ich nahm also eine Besichtigung des Museums vor, um den Schauplatz auf Storytauglichkeit zu prüfen.

Sofort wurde mir klar: In den Gewölben der ehemaligen Klosterbrauerei St. Michaelsberg wimmelte es von potenziellen Tatorten – und auch Tatwaffen. Besonders hatte es mir der Eiskeller angetan, dessen Wände so schwarz wirkten »wie die Seele eines korrupten Abts«. Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute lag so nah?

Ein Fall war rasch entworfen – toter Richter, verlockende Erbschaft. Doch wer sollte ermitteln? Einen Krimi, der in meiner Heimatstadt spielt, konnte ich mir nur humorvoll und parodistisch vorstellen. Ein Duo musste her, denn Witz entfaltet sich am besten im Dialog.

Die Konturen zweier Figuren schälten sich aus der Finsternis des Eiskellers: ein steifer Staatsanwalt und ein gemütlicher Kommissar. Es begann eine wunderbare, wenn auch selten konfliktfreie Freundschaft.

Im Juni 2005 setzte ich mich an den Schreibtisch, und am 4. November fand die Lesung Eine Leiche im Gärkeller im Fränkischen Brauereimuseum statt. Die Erzählung war gerade lang genug, um daraus ein dünnes Büchlein zu machen. Es erschien im Verlag Fränkischer Tag, und zwar im März 2006.

Doch das Frühjahr 2006 erwies sich generell als bedeutsam für die Bamberger Krimiszene. Denn fast zeitgleich kamen damals auch der Theologenkrimi Bärenzwinger von Stefan Fröhling und Andreas Reuß sowie der Detektiv(innen)-Roman Fratzenmond von Friederike Schmöe heraus. Mit Unterstützung der Buchhandlung Collibri veranstalteten wir am 1. April 2006 in der Gaststätte Klosterbräu die 1. Bamberger Kriminacht. Der Leseabend wurde von Arnd Rühlmann moderiert und war ein voller Erfolg: Startschuss für einen kriminalliterarischen Aufbruch, dem sich seither zahlreiche Kolleginnen und Kollegen anschlossen.

Danach ließ ich Brandeisen & Küps ruhen und sammelte anderweitig Erfahrungen im Krimigenre, bis der ars vivendi verlag 2009 einen literarischen Krimi-Kalender zusammenstellte. Darin hatte das Ermittlerduo einen erneuten Auftritt. Viele weitere folgten in diversen Krimianthologien. Musikkrimi, Mafiakrimi, Gruselkrimi, Vampirkrimi – kaum eine Spielart war vor Brandeisen & Küps sicher. Und mit jeder Geschichte entwickelten sich die beiden ein Stück weiter.

So wurde die Zeit reif für einen eigenen Sammelband. Er enthält neben verstreut erschienenen Texten auch mehrere neue, bislang unveröffentlichte Geschichten. Die Reihenfolge ist dabei nicht ganz chronologisch gewählt. Wer will, kann jedoch mit Eine Leiche im Gärkeller beginnen. Ich habe die Erzählung stark überarbeitet, sodass sie neuen Lesegenuss bieten mag.

Kurz vor Drucklegung bekam ich unangemeldeten Besuch, der das Manuskript in Augenschein nahm.

»Endlich kann man unsere Fälle in cumulo bewundern«, freute sich Brandeisen.

»Himmel, hilf!«, sagte Küps.

 

Thomas Kastura

Bamberg, im Juli 2012

 

Textnachweis

Brückenmord, erstmals erschienen in: Tatort Franken No. 2. 18 neue Kriminalgeschichten, hrsg. v. Felicitas Igel, ars vivendi verlag, Cadolzburg 2011, S. 113–127.

 

Fest der Liebe, erstmals erschienen in: Der Pelzmärtelmörder. Krimis aus Franken zur Weihnachtszeit, ars vivendi verlag, Cadolzburg 2010, S. 114–126.

 

Es lebe der König, erstmals erschienen in: Literarischer Krimi-Kalender 2012, hrsg. v. Norbert Treuheit, ars vivendi verlag, Cadolzburg 2011.

 

Der Wörcher von Weipelsdorf, erstmals erschienen in: Kältestarre. 13 Krimis aus Franken zum Frösteln, hrsg. v. Tessa Korber, ars vivendi verlag, Cadolzburg 2011, S. 44–62.

 

Eine Leiche im Gärkeller, erstmals als eigenständige Publikation erschienen bei Verlag Fränkischer Tag, Bamberg 2006.

 

Weltkulturerbelauf, erstmals erschienen in: Literarischer Krimi-Kalender 2011, hrsg. v. Norbert Treuheit, ars vivendi verlag, Cadolzburg 2010.

 

Der Mann mit dem schwarzen Kajak, erstmals erschienen in: Aufgebockt und abgemurkst. Kurzkrimis für Campingfreunde, hrsg. v. Regine Kölpin, KBV, Hillesheim 2012, S. 109–125.

 

Vollmond über Schloss Fahlenstein, erstmals erschienen in: Tatort Garten. 14 packende Kriminalgeschichten, hrsg. v. Thomas Kastura, ars vivendi verlag, Cadolzburg 2012, S. 32–50.

 

Händel, letzter Akt, erstmals erschienen in: Niedertracht in Niedersachsen. Kurzkrimis zwischen Ems und Elbe, hrsg. von Cornelia Kuhnert und Richard Birkefeld, KBV, Hillesheim 2012, S. 79–93.

 

Mafia Bamberga, erstmals erschienen in: Tatort Franken No. 3. 20 neue Kriminalgeschichten, ars vivendi verlag, Cadolzburg 2012, S. 168–187.

 

Der Kongress, erstmals erschienen in: Literarischer Krimi-Kalender 2010, hrsg. v. Norbert Treuheit, ars vivendi verlag, Cadolzburg 2009.

 

Schellinski war eine Polin, erstmals erschienen in: Literarischer Krimi-Kalender 2013, hrsg. v. Norbert Treuheit, ars vivendi verlag, Cadolzburg 2012.

 

 

Brückenmord

Der Schnulzensänger legte los. Über sieben Brücken musst du gehn in einer scheußlichen Musikantenstadl-Version.

Staatsanwalt Brandeisen starb einen kleinen Tod. Seine empfindlichen Ohren waren nur an Bachkantaten gewöhnt.

Es war der Beginn eines Festakts, den ganz Bamberg seit Monaten herbeisehnte: die Eröffnung der neuen Markusbrücke. Alle waren gekommen, Oberbürgermeister, Erzbischof, Stadträte, Honoratioren und wer sich dafür hielt, jede Menge gemeines Volk und natürlich die Mitglieder der Jury, die im Zuge eines Architektenwettbewerbs den Siegerentwurf ausgewählt hatten.

Nur einer der Experten fehlte, Hippolyt Strohbichler. Schon vor Baubeginn war der hochbetagte Ingenieur einem Herzversagen erlegen. Brandeisen indes hegte einen düsteren Verdacht.

»Halten Sie die Augen offen, Küps. Der Mörder ist mitten unter uns.«

»Was Sie nicht sagen«, brummte der Kommissar.

»Er wird sich verraten, das spüre ich.«

Küps seufzte und stand sich weiter die Füße platt. Wenn sich der Staatsanwalt auf seine Intuition verließ, war mit allem zu rechnen.

»Aber einmal auch der he-elle Schei-ein!«, troff es aus den Lautsprechern. Halbherziger Applaus, endlich verließ der Schänder gesamtdeutschen Liedguts die Bühne.

Mit Schwung erklomm der OB das Rednerpult und leitete seine Ansprache mit einem Witz ein, wie es seine Art war. Brandeisen hörte kaum hin, seine Gedanken drifteten ab …

Bamberg, Weltkulturerbestadt, Heimat der berühmten Symphoniker, im Mittelalter Nabel des Okzidents, barockes Schatzkästlein, Biermetropole, Basketballhochburg und jetzt auch – Brückenparadies! Ja, Infobroschüren und Werbeflyer mussten umgeschrieben werden. Denn in kurzer Folge waren im Fränkischen Rom mehrere bahnbrechende Konstruktionen errichtet worden, Zeugnisse menschlicher Gestaltungskraft: Gleich drei neue Brücken spannten einen Bogen von der glorreichen Vergangenheit in die nicht minder goldene Gegenwart.

»Golden« war dabei durchaus wörtlich zu nehmen: Der Neubau von Luitpold-, Löwen- und Kettenbrücke hatte Summen verschlungen, bei denen sogar der Märchenkönig Ludwig II. erblasst wäre. Doch handelte es sich bei den Brücken nicht um Steckenpferde eines Geisteskranken, sondern um städtische Projekte zum Wohle der Allgemeinheit. Dass sich der Kostenrahmen dabei nicht immer auf die Million genau einhalten ließ, lag in der Natur der Sache. Nur kleinliche Spötter rümpften darüber die Nase.

Mit der Markusbrücke hatte man sich nun selbst übertroffen, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Passend zur ehemaligen Fischersiedlung Klein-Venedig stellte sie nichts Geringeres dar als eine Neuinterpretation der weltbekannten Rialtobrücke. Und nicht nur das. Das Bauwerk ließ sich dank eines aufwendigen hydraulischen Systems in der Mitte hochklappen, damit die bei Jung und Alt beliebten Fahrgastschiffe Christl und Stadt Bamberg darunter hindurchpassten – um nur eine von vielen spektakulären technischen Finessen zu nennen.

Natürlich hatte kaum jemand einem solch kühnen Vorhaben ernsthaft widersprochen. Bamberg sollte ein neues Wahrzeichen bekommen, es würde die Stadt in eine Reihe mit London, Paris und der Serenissima stellen. Was machte es da schon aus, dass der Entwurf – rein ästhetisch betrachtet – der Legofantasie eines Halbwüchsigen glich?

Leider sah die Markusbrücke auch realiter so aus. Brandeisen stellte dies zum wiederholten Mal fest, während die launige Rede des OBs an ihm vorüberrauschte. Von wegen Rialto. Das Ding würde höchstens auf der Nürnberger Spielwarenmesse einen gewissen »Zugeschaut-und-mitgebaut«-Reiz entfalten, der Rest war Wunschdenken. Doch dazu schien die anwesende Festgesellschaft wild entschlossen. Augen zu und durch.

Der OB übergab an den Erzbischof, der sich selten einen öffentlichkeitswirksamen Auftritt entgehen ließ. Eigentlich sollte der Kirchenmann die Brücke nur weihen und segnen. Er wurde aber schnell noch ein paar Worte los über den verbindenden, grenzüberschreitenden und nachgerade christlichen Charakter –

»Aufwachen, Küps!«, zischte Brandeisen. An seiner Schulter lehnte schwer der Kommissar und schnorchelte leise vor sich hin.

»Herrgottsack!«, entfuhr es Küps.

Der Erzbischof stutzte. Er probierte es mit einem gütigen Lächeln für die Pressefotografen und fuhr fort. Wie sein Vorredner ging auch er nicht auf die Kosten der Brücke ein. Die waren an einem solchen Tag tabu.

Obwohl sie es in sich hatten. Bereits bei der Kettenbrücke, einem ähnlich ambitionierten architektonischen Experiment, war der Betrag von der Planung bis zur Fertigstellung auf das Dreifache gestiegen. Aus sechs waren wie durch Zauberei achtzehn Millionen geworden. Jeder kannte den alten Bauernfängertrick: erst mal einen Schnäppchenpreis ansetzen, um Konkurrenten zu unterbieten, und dann eine Schippe nach der anderen drauflegen. Steigende Baustoffpreise, schwierige Bodenbeschaffenheit, Erdstrahlen, der Einfluss von Jupiter und Merkur, das launische fränkische Wetter … Gründe ließen sich viele finden. »Höhere Gewalt« war ein dehnbarer Begriff.

Und was einmal klappte, konnte immer wieder funktionieren – eine unumstößliche Regel der Baubranche. Vorausgesetzt, notorisch vergessliche Stadträte winkten die Mogelpackung durch den Haushalt. Die Markusbrücke hatte ursprünglich zehn Millionen kosten sollen und war schließlich bei runden hundert gelandet. Ein Sieg der Frechheit. Und ein wahres Meisterstück in Bescheißerles-Arithmetik, vor dem sogar ein FIFA-Funktionär den Hut ziehen würde.

Nur ein einziges Mitglied der Brückenjury hatte im Vorfeld Bedenken angemeldet: der im Alter von 93 Jahren unglücklich verstorbene Hippolyt Strohbichler. Er hatte ausdrücklich vor einer Kostenexplosion und der eingeschränkten Realisierbarkeit des ausgewählten Entwurfs gewarnt und dafür plädiert, die alte Brücke – eine schlichte Balkenkonstruktion – einfach zu reparieren. Dass Strohbichler der einzige wirkliche Brückenbauspezialist in der Jury gewesen war, nur seinem Gewissen verantwortlich und mit dem Sachverstand eines langen, erfüllten Berufslebens, hatte nach seinem Tod niemanden mehr interessiert.

Für Brandeisen war klar: Da hatte jemand nachgeholfen und Strohbichlers Einwände im Keim erstickt. Jemand, der von dem Brückenbau in der einen oder anderen Form profitierte.

»Amen!« Der Erzbischof war mit seinem Segen fertig, woraufhin ein Vertreter des Bürgervereins Sand ans Mikrofon trat. Seine Ausführungen kreisten um den Bierumsatz bei der nächsten Sandkerwa. Der Bamberger »Rialdo« würde den Pro-Kopf-Verbrauch in nie dagewesene Höhen treiben – was zahlreiche Anwohner schon jetzt mit einer spontanen Trampelmaß begossen. Im Laufe des Festakts waren immer mehr Schaulustige ans Regnitzufer gekommen. Mit dem Krug in der Hand warteten sie auf das feierliche Durchschneiden des Bandes. Es war ein strahlender Mainachmittag, das Wasser glitzerte im Schein der Frühlingssonne, die Stimmung stieg.

»Gehen wir die Verdächtigen noch einmal durch«, raunte Brandeisen dem müden Kommissar zu.

Die beiden verließen ihre Ehrenplätze und erklommen die Trittbretter eines Polizeibusses, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen.

»Da wäre Graudenz, der Architekt dieser Geschmacksverirrung. Der hat den größten Nutzen von Strohbichlers Tod gehabt.«

»Das weiß doch jeder!«, erwiderte Küps. »Zu offensichtlich, so blöd ist der nicht.«

»Ich habe gehört, er will sich in Dubai niederlassen und für die Scheichs das Mühlenviertel samt Altem Rathaus nachbauen. Dafür braucht man ein bisschen Startkapital.«

»Jeder, wie er kann.« Der Kommissar gönnte Graudenz den Erfolg. Im Gegensatz zu Brandeisen hielt er Cleverness nicht für ein Verbrechen. Und wenn sie über Franken hinausstrahlte, zum Ruhme der Region – umso besser. »Müssen Sie immer alles mies machen?«

»Dann der Zweitplatzierte des Wettbewerbs, Pross. Der war total frustriert wegen seiner Niederlage und wollte den Verdacht auf Graudenz lenken.«

»Zu weit hergeholt!«

»Aber Neid ist ein starkes Motiv.«

»Wenn Neid für einen Mord ausreichen würde, gäbe es nach jedem Schafkopfrennen Tote.«

»Am Schlachthof sind die sich früher schon nach einem verlorenen Solo an die Gurgel gegangen. Und erst neulich auf einer Kirchweih in den Haßbergen –«

»Nein, Pross ist kein schlechter Verlierer«, widersprach der Kommissar und brachte einen neuen Kandidaten ins Spiel. »Wie wär’s mit dem OB? Der hat die Markusbrücke doch zur Chefsache erklärt. Seine Umfragewerte sind im Keller, bald haben wir wieder Wahlen.«

»Meinen Sie, er wollte dieses Prestigeprojekt auf Biegen und Brechen durchdrücken, um an der Macht zu bleiben?«

»Der nimmt jede Stimme mit Kusshand.«

Brandeisen hatte Zweifel. »Ich weiß nicht, mein lieber Küps. Das Ganze hat sich ja als Geldvernichtungsmaschine herausgestellt. Der Bund der Steuerzahler möchte die Markusbrücke sogar in die Top Ten der Fälle schwerer Verschwendung aufnehmen.«

»Was vorher nicht abzusehen war.«

»Solche Baugeschichten sind politisch immer heikel, und das weiß der OB. Wie ich ihn kenne, hat er die Kostensteigerung vorausgeahnt und nur aus Gewohnheit eine dicke Lippe riskiert. Für den ist doch praktisch alles Chefsache. Wenn Strohbichlers Einwände berücksichtigt worden wären, hätte er sich eben zum Sparfuchs stilisiert. Der nimmt’s, wie’s kommt, einen Mord hat der gar nicht nötig.«

»Leuchtet mir ein«, stimmte der Kommissar zu und spekulierte weiter. »Und sein Vorgänger? Der Alt-OB sitzt immer noch im Stadtrat und bildet sich ein, die Bürger wünschten sich ihn zurück. Kann einfach nicht loslassen.«

»Der Alt-OB ist bekannt dafür, was er in seiner Amtszeit alles nicht angepackt hat. Wieso sollte der plötzlich einen Mord hinkriegen, von dem wir noch nicht einmal wissen, wie er überhaupt vonstattenging? Herzversagen kann ja viele Ursachen haben.«

Was Küps daran erinnerte, dass Brandeisens Verdacht nur eine Vermutung war und auf einem vagen Gefühl beruhte. Es gab keinen konkreten Hinweis auf ein Kapitalverbrechen, deshalb war Strohbichlers Leiche auch nicht obduziert worden. Vor seinem Dahinscheiden hatte der Ingenieur ein vegetarisches Restaurant besucht. Das war die einzige Spur, die möglicherweise auf Fremdeinwirkung hindeutete. Küps hatte das Lokal auf Giftstoffe untersuchen lassen und den Wirt sowie mehrere Gäste vernommen, ohne Ergebnis.

»Und die anderen Jurymitglieder?«, schlug er vor. »Wenn die bestochen worden sind, damit sie den Rialtoentwurf favorisieren, war ihnen Strohbichler im Weg. Ihr Schmiergeld bekamen sie bestimmt nur dann, wenn auch gebaut wurde.«

»Wer saß denn im Preisgericht?«, überlegte Brandeisen. »Zwei unparteiische Architekten, der Baureferent und die Vertreter der Stadtratsfraktionen.«

»Die Stadträte scheiden aus. Denen fehlt es an krimineller Energie.«

»Die sind generell etwas antriebslos«, meinte der Staatsanwalt. »Jedenfalls die meisten von ihnen.« Schon nach so manchem Stadtratsbeschluss hatte sich ihm der Eindruck aufgedrängt, dass die Herren und Damen Bürgervertreter die Abstimmung nur möglichst reibungslos hinter sich bringen wollten, damit sie umso mehr Zeit an ihren Stammtischen oder in einschlägigen Etablissements verbringen konnten. Gemütlichkeit wurde in Bamberg großgeschrieben. Daran war im Grunde nichts auszusetzen, verhinderte sie doch viele Verbrechen schon im Frühstadium.

»Dann der Baureferent.« Küps suchte den betreffenden Mann unter den Anwesenden und entdeckte dessen wallendes Haar, das ihn um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte jünger wirken ließ. Die unter städtischen Amtsleitern weit verbreitete Eitelkeit trieb seltsame Blüten, fand der Kommissar und strich bedauernd über seine Halbglatze.

»Der soll Strohbichler umgebracht haben?« Brandeisen mochte es nicht glauben. »Wenn es um undurchsichtige Baufeststellungsverfahren geht, um Schiebereien auf dem kleinen Dienstweg oder um Genehmigungen von Vierfachgaragen in verdichtetem Wohngebiet, dann würde ich den Mann mal unter die Lupe nehmen. Aber Mord und Korruption in großem Stil? Nicht unser Baureferent.«

»Bleiben die Architekten aus der Jury«, resümierte Küps.

»Was sagen Sie dazu, als Freund dieser … Zunft?«

»Na ja, eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Architekten wollen ihre Projekte verkaufen, und je ausgefallener und teurer diese Projekte sind, desto besser, schließlich ist ihr Honorar von den Baukosten abhängig. Und sie denken voraus. Vielleicht ist die nächste Jury andersherum besetzt: Die Architekten, die den Bambergern die Rialtobrücke empfohlen haben, reichen bei künftigen Wettbewerben, sagen wir in Würzburg oder Regensburg, selber Entwürfe ein. Und dort sitzt dann zufällig Graudenz im Auswahlgremium. ›Networking‹ nennt man das.«

»Und was folgt daraus?«

»Architekten stimmen im Zweifelsfall immer für den kostspieligsten Entwurf, das ist quasi genetisch bedingt. Strohbichlers Vorschlag, die Markusbrücke nur zu sanieren, muss ihnen wie Ketzerei vorgekommen sein.«

»Aber begeht man deshalb einen Mord?«

»So weit geht die Solidarität unter Kollegen nun auch wieder nicht.«

»Jetzt sind wir wieder keinen Schritt weitergekommen.« Brandeisen stieg von dem Polizeibus herunter. »Dabei hätte ich schwören können, dass wir heute auf einen entscheidenden Hinweis stoßen. Der Täter wiegt sich in Sicherheit, alles hat sich wie am Schnürchen entwickelt …«

»Oder wir jagen nur einer fixen Idee nach«, sagte Küps. »Ihrer fixen Idee, wenn ich das anmerken darf.«

Inzwischen war der Mann vom Bürgerverein am Ende seiner Bierumsatzvisionen angelangt und verließ unter tosendem Beifall das Pult. Der Festakt steuerte seinem Höhepunkt entgegen.

Gemessenen Schritts näherte sich der OB dem roten Band, das quer über die Brücke gespannt war. Eine hübsche junge Dame gesellte sich zu ihm. Sie trug ein Dirndl, das zwar rein gar nichts mit fränkischer Tracht zu tun hatte, dafür aber Platz ließ für ein beeindruckendes Dekolleté vom Umfang zweier Hallstadter Weißkohlköpfe. Die diesjährige Miss Rauchbier musste keine Rede halten, das fehlte noch. Ihre einzige Aufgabe bestand darin, die Schere entgegenzunehmen, die ihr der Stadtkämmerer auf einem Samtkissen präsentierte, und fünf Zentimeter Seide durchzuschneiden.

Beim dritten Anlauf gelang es ihr trotz Dauerkicherns, worauf die Böllerschützen vom Zwiebeltreter-Fähnlein Bamberg ihre Vorderlader abfeuerten und die Festgemeinde vollends außer Rand und Band geriet. Jeder wollte als Erster die neue Brücke überqueren, ohne dabei sein Bier zu verschütten. Die Honoratioren wichen vor dem Ansturm des Pöbels zurück, und das Volk nahm seinen »Rialdo« bzw. den »Ponte Prozzo«, wie manche Italienkenner liebevoll sagten, mit viel Gejohle und Geschrei in Besitz. Miss Rauchbier posierte in einem Bogengang für die Kamera von TV Oberfranken. Der Citymanager verteilte Freikarten für das nächste Public-Drinking-Event auf dem Maxplatz. Ein Fotograf des Fränkischen Tags flog in einem Doppeldecker über Klein-Venedig und hielt das Geschehen in Luftbildern fest. Der Peter-Maffay-Verschnitt sang Bridge Over Troubled Water von Simon & Garfunkel. Doch keiner hörte etwas, der Verstärker gab zu wenig her.

Ein besonders übermütiger Zecher balancierte auf dem Geländer, verlor das Gleichgewicht und stürzte in die Regnitz. Dort war Hilfe zur Stelle. Neben einem Streckenboot der Wasserschutzpolizei verkehrten zwei venezianische Original-Gondeln auf dem zwanzig Meter breiten Strom. Einer der beiden Gondolieri fischte den Schwimmer aus dem trüben Nass. Daraufhin sprang eine Reihe weiterer Verrückter in die Fluten. »Freak City« machte ihrem Spitznamen wieder mal alle Ehre.

Küps und Brandeisen sahen dem Treiben teils belustigt, teils angewidert zu.

»Den Leuten gfällt’s«, freute sich der Kommissar und sehnte sich nach einer frisch gezapften Halben. Der Anblick der Miss Rauchbier hatte seine Urbedürfnisse geweckt.

»Ja, und demnächst wird die Neue Residenz zum Dogenpalast umgemodelt. Muss man denn alles abkupfern?«

»Wenn’s dem Tourismus dient.«

»Schon mal was von Stilreinheit gehört, Küps?«

»Ach, in Bamberg gibt es so viele Stile, da fällt einer mehr oder weniger gar nicht auf.«

»Seien Sie nicht so eklektizistisch.«

»Wenn das eine Beleidigung war, Sie ewig nörgelnder Besserwisser …«

Brandeisen versetzte dem Kommissar einen unsanften Stoß in die Rippen. »Sehen Sie das?«

»Suchen Sie Streit?«

»Da drüben, wo die Brücke in die Markusstraße übergeht.« Er deutete in die entsprechende Richtung. »Kennen Sie diese Menschen?«

Küps stellte sich auf die Zehenspitzen, um den Längenunterschied zu dem hoch aufgeschossenen Staatsanwalt auszugleichen.

Eine Gruppe ernst dreinblickender Bürger hatte sich vor einem viereckigen Loch versammelt. Es befand sich neben der ersten Säule des rechten Bogengangs, etwas unterhalb der Fahrbahn, und sah so aus, als gehöre es zum Entwässerungssystem.

»Das werden die Krötenfreunde sein.« Der Kommissar lachte. »Die machen da ihre eigene Einweihungsfeier.«

»Ich hätte es wissen müssen …«, murmelte Brandeisen.

Das Loch war nichts anderes als der Eingang – oder Ausgang – eines kleinen Tunnels. Nun erfüllte die Markusbrücke ja viele Zwecke: Verbindung des Sandgebiets mit der Inselstadt, kommunalpolitisches Vorzeigeobjekt und nicht zuletzt Mahnmal neobambergialen Größenwahns. Doch es gab noch einen – in zähen Verhandlungen erstrittenen – Zusatznutzen. Der Staatsanwalt hatte ihn in seinem Übereifer vergessen: einen in den Brückenkörper integrierten Krötentunnel. Das »Loch« hieß im Beamtenkauderwelsch »Amphibien-Durchlass-Portalelement«.

»Helfen Sie mir, Küps. Was hat es mit diesem Ding auf sich?«

»Die Krötenfreunde, das ist der Verein Bewahrt die westoberfränkische Sumpfzackenkröte.« Der Kommissar, selbst passionierter Gärtner und Teichanleger, kannte sich in ökologischen Belangen bestens aus und verfiel in Fachsprache. »Wie jedermann weiß, hat die Sumpfkröte ihr natürliches Habitat am Ottobrunnen und in den Terrassengärten am Kloster Michaelsberg. Dort fühlt sie sich wohl und kann ihren Krötengeschäften nachgehen.«

»Warum auch nicht? Das ist ein freies Land.«

»Aber einmal im Jahr geht die Sumpfzackenkröte auf Wanderschaft, und zwar zu ihrem Laichgrund am Weidendamm.«

»Auf der anderen Seite des Flusses.«

»Um lauter kleine Sumpfzackenkröten in die Welt zu setzen.«

»Süß.« Der Staatsanwalt lächelte sein Ich-fordere-gleich-die-Höchststrafe-Lächeln.

Küps ließ sich nicht beirren. »Die Frage ist: Wie kommt sie unbeschadet ans andere Ufer? Theoretisch könnte sie den Heinrich-Bosch-Steg nehmen …«

»Die Fußgängerbrücke an der Kongress- und Konzerthalle«, ergänzte Brandeisen.

»Da läuft sie jedoch Gefahr, von Radfahrern und Passanten plattgemacht zu werden.«

»Igitt. Das mag ich mir gar nicht vorstellen.«

»Ich mir auch nicht.«

»Kann die Kröte nicht schwimmen?«

»Dafür ist sie zu schwer.« Küps war jetzt ganz in seinem Element. Zoologie! Schon als Kind hatte er Experimente mit der regionalen Fauna angestellt und so manchem Frosch das Rauchen beigebracht, bis sein Vater ihn mit einer Mordsdrümmaschelln bzw. einer saftigen Ohrfeige eines Besseren belehrt hatte. Seine Leidenschaft für Lurche aller Art war jedoch ungebrochen. »In Gestalt und Verhalten ist die Sumpfzackenkröte dem durchschnittlichen fränkischen Bierkellerbesucher nach dem fünften Seidla nicht unähnlich.«

»Sie neigt zur Lethargie.«

»Genau. Und aus diesem Grund braucht sie ein wenig … Führung.«

»Aha.«

»Deswegen haben sich die Krötenfreunde dafür eingesetzt, dass die neue Markusbrücke einen separaten Übergang für Amphibien und Kleintiere erhält. Und weil sich die teure Brücke mit einem umweltfreundlichen Anliegen besser rechtfertigen ließ, hat Graudenz, der Architekt, den Tunnel in seinen Entwurf aufgenommen.«

»Strohbichler war bestimmt dagegen«, überlegte Brandeisen. »So ein zusätzlicher Tunnel kostet … eine Million?«

»Mindestens. Das Ding ist vierspurig und beleuchtet. Über Lautsprecher wird Mozart eingespielt.«

»Das Klarinettenkonzert?«

»Hauptsache, die Tiere bleiben nicht stehen oder kehren um. Klassische Musik wirkt sich erwiesenermaßen anregend auf die Psyche aus.«

»Jetzt wird mir einiges klar«, sagte Brandeisen, der sich auch ein wenig mit Kröten auskannte. »Wie heißt der Vorsitzende dieses Vereins?«

»Gückelhirn.«

»Kein Scherz?«

»Nein, das ist der mit dem komischen Poncho.« Küps zeigte auf einen Mann, der gerade die erste, glücklich am Weidendamm eintreffende Sumpfzackenkröte mit einem Willkommensregenwurm begrüßte.

Die Krötenfreunde stimmten ihr Motto an: »Aga-Aga!« Sie hoben ihre Bionadeflaschen, prosteten einander zu und freuten sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten.

»Haben die nicht ursprünglich eine Totalsperrung des Maienbrunnens und der Unteren Sandstraße gefordert?«, fragte Brandeisen.

»Sie sind ein bisschen … radikal. Strohbichler bezeichnete sie als ›Krötentaliban‹.«

»Man weiß ja, wozu Fanatiker fähig sind. Wenn dieser Krötentunnel nicht gebaut worden wäre und Strohbichler sich mit seinen Sparplänen durchgesetzt hätte …«

»Wollen Sie damit sagen …«

»Das Rätsel ist gelöst. Wir haben den Täter.«

Für den Staatsanwalt lag der Fall auf der Hand. Er setzte ihn dem verdutzten Kommissar auseinander.

Gückelhirn hatte sich verraten. Zur Feier des Tages trug er einen Poncho mit einem Zackenmuster, typisch für eine bestimmte Region in Mexiko: Oaxaca. Dort war eine Kröte heimisch, die bei Berührung ein bestimmtes Hautgift absonderte. Dieses Gift enthielt Adrenalin und andere Stresshormone, je nach aufgenommener Sekretmenge war es für Säugetiere tödlich. Gückelhirn musste es irgendwie nach Deutschland geschmuggelt haben. Er oder einer seiner Gefolgsleute hatte es dann Strohbichler unters Essen gemischt, in dem Restaurant, das der Ingenieur am Tag vor seinem Ableben nichtsahnend besucht hatte.

»Woher wollen Sie das wissen?«, fragte Küps.

»Ich war letztes Jahr in Mexiko im Urlaub. Aus Versehen habe ich so ein Vieh angefasst. Das war kein Vergnügen, hat gebrannt wie Feuer. Wenn ich in Strohbichlers Alter gewesen wäre und den Giftstoff oral aufgenommen hätte …«

»Und was jetzt? Nehmen wir Gückelhirn fest? Mit einer an den Haaren herbeigezogenen Begründung, ohne einen stichhaltigen Beweis?«

»Bei der Vernehmung wird er schon weich werden. Vielleicht finden wir bei ihm zu Hause Reste des Gifts. Dann müsste ich nur noch eine Exhumierung des Leichnams zum Zweck einer gerichtlichen Obduktion erwirken. Paragraf 87 Strafprozessordnung.«

Der Kommissar stöhnte auf. Er hörte schon die Häme der Kollegen, wenn dieses Kartenhaus an Mutmaßungen und Hypothesen in sich zusammenfiel. Dann würde er als »Krötenküps« in die Annalen der Polizeidirektion eingehen, ganz zu schweigen von den gefürchteten Leserbriefseiten im FT. Und jedes Mal, wenn er sich zu einem Feierabendbier auf seinem gelieb-
ten Spezial-Keller niederließ, würden die jungen Burschen an den Nebentischen despektierliche Quakgeräusche von sich geben, und die schönen, umweltbewegten Studentinnen würden ihm den Rücken zukehren und nach der Rechnung verlangen. Das Wort »Unkenruf« bekäme für ihn eine ganz eigene Bedeutung.

»Wissen Sie was, Brandeisen? Sie kommen mir vor wie diese Krimiautoren, die erst auf den allerletzten Seiten den Hauptverdächtigen aus dem Hut ziehen und einen Haufen fadenscheiniger Indizien nachliefern. Besonders glaubwürdig ist das nicht.«

»Hat auch niemand behauptet«, sagte der Staatsanwalt. »Aber wenn Sie diese Brücke betrachten, müssen Sie zugeben, dass in Bamberg nichts unmöglich ist.«

Es war kurz vor sechs, ein Zug Bereitschaftspolizei war gerade dabei, den Ponte Prozzo zu räumen. Zur vollen Stunde sollte eine Demonstration des Klappmechanismus erfolgen. Der Brückenwärter wartete in seinem Steuerhäuschen bereits auf das Startsignal.

Endloses Geschiebe, Gedränge, Protest. Gummiknüppel kamen in der alkoholisierten Menge zum Einsatz. Ein echter Franke ließ sich, auch gegen jede Vernunft, ungern von seinem Platz vertreiben. Schließlich kratzte man selbst die widerspenstigsten Dickschädel vom Asphalt. Der Krötentunnel wurde vom städtischen Tierpflegerteam kontrolliert und für den Übergang kurzzeitig gesperrt.

Aus gestalterischen Gründen hatte der Architekt auf unschöne Schranken verzichtet. Stattdessen fuhren blinkende Poller aus dem Boden, eine in Bamberg überaus populäre Methode zur Verkehrsregelung, konnte man doch sein Bierseidla auf den eleganten Stahlzylindern abstellen.

Dann war es so weit. Die große Arkade auf dem Scheitelpunkt der Brücke teilte sich. In der Mitte. Gravitätisch hoben sich die beiden Hälften des technischen Wunderwerks in die Lüfte. Brandeisen schien es, als habe ihnen der Geist des Fortschritts, jene unstete, oft gescholtene Triebfeder zivilisatorischen Schaffensdrangs, höchstpersönlich Flügel verliehen.

Plötzlich fühlte er sich ganz klein. Wer war er, engherziger Gesetzesknecht, dass er sich anmaßte, solch ein geniales Gebilde geringzuschätzen und als eitel Tand zu missachten? Nein, jetzt wehte auch ihn die Größe dieses sternstundenhaften Unterfangens an! Wären die Pyramiden je gebaut worden, hätte der Pharao beim Kostenvoranschlag den Rotstift angesetzt? Stünde die Freiheitsstatue am New Yorker Hafen, wenn die Franzosen den Amis zum Revolutionsjubiläum nur einen Karton Landwein geschenkt hätten?

Brandeisen begriff. Alles.

Das Leben war ein Fluss. Über den sich eine Brücke immerwährender Weisheit spannte. Würde er einst als Sumpfzackenkröte reinkarniert werden? Oder als Küps? Der Dalai Lama hatte schon recht, als er bei einem Bamberg-Besuch kundtat: »Hmmm. I don’t know.«

Der Kommissar holte sich ein Paar Bratwürste. Hinter einem Dixi-Klo nahm er einen Schluck selbst gebrannten Zwetschger aus seinem Flachmann. Gestärkt kehrte er zurück – und traute seinen Augen nicht. »Sehen Sie, was ich sehe?«

Brandeisen schreckte hoch. Was war geschehen?

Die Brückenhälften hielten inne in ihrem prometheischen Hub. Sie klemmten. Und das zur Premiere!

Nichts ging mehr, wie sich der Wärter vernehmen ließ, weder nach oben noch nach unten. Eine bedauerliche Fehlfunktion …

 

… die auch nach Wochen und Monaten nicht zu beheben war. Irgendeine Verwindung in den Klappenachsen – irreversibel – Haftungslage unklar – Abriss undenkbar – Reparatur nur unter Aufwendung erheblicher finanzieller Mittel möglich.

Mittlerweile war die Stadt aber so arm wie eine Kirchenmaus. Also blieb die Markusbrücke auf Dauer halb hochgeklappt. Keiner konnte sie mehr überqueren, weder Mensch noch Kröte. Und die Ermittlung gegen Gückelhirn wurde aus Mangel an Beweisen eingestellt. Aga-Aga!

Immerhin: Bamberg besaß eine neue Sehenswürdigkeit.

Die Poller, die zur Absperrung dienten, funktionierten einwandfrei.