Cover

Jaromir Konecny

Haarscharf

Höhepunkt mit Hindernissen

Deutscher Taschenbuch Verlag

Über Jaromir Konecny

Jaromir Konecny ist als gefeierter Slam Poet ein Meister der unterhaltsamen Kurzform. Auch seine Jugendromane wurden begeistert aufgenommen und standen auf der Liste der ›Besten 7‹. Sein Jugendroman ›Doktorspiele‹ wurde verfilmt und kam Ende August 2014 als ›die geilste Komödie des Jahres‹ ins Kino.

Über das Buch

Alle ihre Freundinnen haben ES bereits getan. Nur Marie nicht. Aber jetzt gibt es endlich den Richtigen – und auch noch die passende Gelegenheit. Auf der Valentinstagsparty ihrer Freundin soll es so weit sein. Das hat Marie – besser gesagt ihre Freundinnen – minutiös geplant. Da kann eigentlich nichts mehr schiefgehen, oder? Oh doch: Dazu braucht es nur einen widerspenstigen Rasierer, einen kleinen Bruder und ein eigentlich unschuldiges Partyspiel …

Impressum

Originalausgabe

© 2015 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH und Co. KG, München

Umschlagkonzept: Balk & Brumshagen

Umschlaggestaltung: Susanne Böhme

 

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

eBook-Herstellung im Verlag (01)

 

eBook ISBN 978-3-423-42616-9 (epub)

 

Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website

www.dtv.de/ebooks

ISBN (epub) 9783423426169

Der rosa Freund der Venus

»Na, wie sitzt der BH?«, brüllt die Verkäuferin und reißt den Vorhang meiner Umkleidekabine auf. Ich habe den BH schon wieder geöffnet, zum Glück aber die Riemchen bei ihrem Schlachtruf sofort an meinem Rücken festgezurrt. Sie glotzt mich an, wie ich so blöd vor ihr stehe, die Hände hinter dem Rücken, hoch an meinen Schulterblättern. Also glotze ich sie auch an:

Frau Schnabelwiese steht auf ihrem Brustschildchen, das eigentlich Bauchschildchen heißen müsste. Wo bei ihr der Bauch anfängt, ist aber schwer zu sagen: Der Umfang ihrer Hüfte und ihres Busens ist gleich. Trotzdem zeigt sie aus ihrem tiefen Ausschnitt stolz ihre Brüste. So groß und so gleich! Beneidenswert! Die Verkäuferinnen in den Unterwäscheabteilungen der Kaufhäuser sehen mütterlicher und breiter aus als Lebensmittelverkäuferinnen. Lebensmittelverkäuferinnen sind schlank, sie dürfen dich beim Füllen des Einkaufswagens mit Schokokuchen, Pudding und Chips nicht abschrecken. Eine Unterwäscheverkäuferin muss breit sein: Damit jede Kundin sich in der Unterwäscheabteilung sofort gut aufgehoben fühlt und sich fragt: »Wo kauft diese Tonne ihre Fallschirm-Unterwäsche ein? Meine Höschen- und BH-Größen werden hier sogar offen ausgestellt, nicht unter der Theke gehandelt, damit sie kein normaler Mensch sieht.« Beim Anblick dieser Verkäuferin ist jede Kundin glücklich und mit sich selbst zufrieden. Nur ich nicht!

Ich will den Verschluss wieder einhaken und dann mit befreiten Händen mit Frau Schnabelwiese reden, doch wieso geht der BH plötzlich nicht zu? Einmal hat Nadine mir erzählt, Janis habe stundenlang versucht, den BH-Verschluss am Rücken aufzukriegen, bis sie geseufzt und den Verschluss vorne an ihrer Brust geöffnet hat. Aber ich bin geübt, verdammt: Ich trage BHs schon seit Jahren. Wieso will sich der blöde Verschluss jetzt nicht einhaken lassen? Ich fummele mit den Händen an meinem Rücken. Mama hat also recht, wenn sie meint, die Unterwäscheverkäuferinnen seien oft sehr aufdringlich. Warum lässt Frau Schnabelwiese mich nicht in Ruhe? Doch ihr Gesicht wird plötzlich weich und schön wie das einer Märchenoma. Weil ich ein Mädchen bin? »Entschuldigung«, sagt sie. »Ich will dir nur helfen.«

»Gibt es … ähäh … gibt es BHs in unterschiedlichen Größen?«, frage ich. Wenn blöde Fragen, dann richtig.

»Sicher gibt es BHs in unterschiedlichen Größen! Welche Größe brauchst du denn?«

»Nein!«, flüstere ich. »Ich meine BHs mit unterschiedlich großen Körbchen?« Frau Schnabelwiese hebt staunend ihre Augenbrauen wie eine japanische Manga-Heldin. Am Mund wächst ihr eine Sprechblase: »Waaas?« Bei ihrer Übergröße muss sie sich wegen ein paar Zentimetern Unterschied keinen Kopf zerbrechen. Doch sie fängt auch an zu flüstern.

»Ist bei dir eine Brust größer als die andere?«

Ich mache auf Nscho-Tschi, Winnetous kleine Schwester, und werde rot. »Ja!«

»Du kannst dir eine BH-Einlage kaufen«, sagt sie und fügt beruhigend hinzu: »Die Brust wächst schon nach. Keine Sorge!«

»Aber ich bin siebzehn!«

»Du siehst jünger aus«, sagt die Verkäuferin. »Bei manchen Mädchen wachsen die Brüste ein bissl länger. Das kann sich ziehen, bis du achtzehn bist.«

»Echt?«

»Ja«, sagt sie und drückt mich an ihre große Brust. Ich lasse die BH-Riemchen fallen und umarme sie. Sie duftet nach Veilchen.

»Ich muss los«, brumme ich in ihre warme Haut. »Meine Freundin wartet auf mich.«

*

Im Spielwarengeschäft am Stachus zieht Nadine eine Packung mit einem Lego-Star-Wars-Bausatz aus dem Regal: Clone Trooper vs. Droidekas. »Super!«, sagt sie. »Jetzt habe ich ein Geschenk für meinen Bruder.«

Das verschlägt mir kurz die Sprache, auch wenn ich bei Nadine schon einiges gewohnt bin: »Du willst deinem Bruder Lego zum Geburtstag schenken? Der ist doch achtzehn!«

»Warum nicht?«, sagt Nadine. »Blöd genug ist er dafür.« Sie marschiert mit der Lego-Packung zur Kasse. »Komm, Marie! Steh hier nicht rum. Du wolltest doch noch in den Drogeriemarkt.«

*

In der Drogerieabteilung des Kaufhofs gucke ich mich ein paarmal um. Die Luft scheint rein zu sein. Keiner beobachtet uns. Beruhigt steuere ich die Hygiene-Abteilung an. In einem Fach glitzern einige Geräte rosa. Nassrasierer der besonderen Art. »Welche nimmt man … ähäh … dafür?«

»Du hast dich noch nie rasiert?«, fragt Nadine.

»Neee!«

Nadine guckt mich mit weit aufgerissenen Augen an: »Marie! Machst du auf Dschungelcamp, oder was?«

»Ich hab’s bis jetzt nicht nötig gehabt«, sage ich.

»Auch wenn du einen Bikini anziehst?«

»Im Sommer war’s bei mir noch ganz okay. Jetzt muss ich aber. Wenn wir am Abend ins Schwimmbad gehen.«

»Du Glückliche«, seufzt Nadine. »Wenn ich unten nicht abholze, schaue ich wie eine Griechin aus. Mit zwanzig bekomme ich sicher einen Schnurrbart.«

»Untenrum?« Nadine gibt mir mit der Hüfte einen Bodycheck. Ich muss kichern. »Rasierst du dich … ähäh … im Schritt ganz?«, frage ich.

»Nee! Mach mir den Landing Strip, ’nen schmalen Streifen.«

»Ich rasiere heute nur die Ränder«, sage ich. »Damit im Schwimmbad nichts aus dem Bikini blitzt.«

Nadine runzelt die Stirn: »Mann, Marie! Du hast jetzt doch einen Freund! Hast du’s vergessen? Keiner läuft da unten mit ’nem Teppich rum. Luca … Mensch! Ich kann’s immer noch nicht fassen, dass du dir den knackigsten Arsch in München geangelt hast.«

»Ich hab mir Luca nicht geangelt. Er ist von ganz allein zu mir gekommen. Das weißt du doch: Vor einem Monat …«

»Und jetzt seid ihr seit viereinhalb Wochen zusammen.« Da hat Nadine recht. Auch wenn ich’s selbst immer noch nicht glauben kann: Luca! Der coolste Typ der ganzen Schule! Der Gott aus unserer Parallelklasse 11b! Der Preisschwimmer! Wie oft haben wir Mädels Luca schon zugeschaut, wenn er bei Schwimmwettkämpfen Pokale für unsere Schule geholt hat.«

»Luca hat dich voll angekrault, was?«, sagt Nadine. Nadine spielt gern mit Worten, manchmal übertreibt sie aber. Meine beste Freundin halt. Luca gilt in der Schule als der Volltreffer – das Sahnehäubchen auf der Hochzeitstorte. Seit Luca und ich zusammen sind, guckt mich die Hälfte der Mädchen in der Schule schief an. Luca ist für Normalsterbliche unerreichbar: blondlockig, um einen Kopf größer als die anderen Jungs …

Nadine grinst dreckig und ich ahne, was gleich von ihr kommt. »Ist Lucas Lurch auch so bombig wie seine Schultern?«, fragt sie.

»Lurch? Spinnst du?« Nachdem wir ausgelacht haben, seufzt Nadine: »Die Typen machen so viel Theater um ihr Ding, dass sie uns damit voll anstecken.« Nadine hat recht: Mir ist es wurscht, wie gut bestückt Luca ist. Wenn Luca mich nur anschaut – jagen mir Gremlins über den Rücken.

»Verstehe nicht, warum die Jungs so penisfixiert sind«, sagt Nadine. »Mein Bruder war mit 16 ständig am Messen.«

»Woher weißt du das denn?«

»Hin und wieder hat er im Badezimmer sein Lineal vergessen.«

»Aha!«, sage ich. »Deswegen liegt jetzt bei uns auf der Waschmaschine ein Maßband. Oskar ist aber erst zwölf.«

»Da geht’s mit dem Messen los«, sagt Nadine. »Von wegen groß! Welches Mädchen will sich schon einen Eisbrecher holen, um den Weg ins Paradies frei zu machen? Das tut nur weh!«

»Ich hab Luca sowieso noch nicht nackt gesehen!«, sage ich. »Das hat Zeit.«

Nadine wirft mit ihren Augen nach mir, dass es weh tut: »Wie bitte? Marie! Du bist doch schon seit einem Monat mit Luca zusammen. Habt ihr noch nicht …«

»Schon! Ich möchte aber …«

»Bis zur Hochzeit Jungfrau bleiben?«

»Nee! Ich brauche aber noch etwas Zeit. Ich mag mich nicht stressen. Romantisch ist …«

»Romantisch? Marie! Hör auf, so viel zu lesen! Die meiste Zeit vertrödelst du sowieso mit deinem Bücher-Blog. Lesen ist gut, leben ist besser! Bücher sind … äh … irgendwie Flucht vor der Welt, oder? Gönn dir was!«

»Hey! Nadine! Mit einem Buch kannst du die halbe Welt bequatschen. Und die ganze Welt ändern.«