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Dietmar Kuegler

Sucht mein Herz in der Prärie...

Jim Bridger - Mountain Man

Verlag für Amerikanistik

Wyk auf Foehr

Germany

Vorbemerkung

„Das Gedenken an Bridger benötigt keinen falschen Glamour: Der Mann war größer als seine Legende... Nur wenige Männer der amerikanischen Geschichte verdienen mehr Vertrauen und Respekt. Wo immer er auftauchte, verbreitete Bridger Zuversicht, und ihm gelangen Dinge, die andere als völlig unmöglich ansahen...

Er lebte in aufregenden Zeiten, verlor zweimal seinen gesamten Besitz und sogar seinen ursprünglichen Broterwerb. Er hing an seinen geliebten Bergen und lebte lange genug, um zu sehen, wie sie gezähmt und von Männern besiedelt wurden, die seinen Spuren folgten. Seine Fähigkeiten und Kenntnisse öffneten den Weg für Trapper, Missionare, Soldaten, Eisenbahnbauer, Cowboys und Siedler. Wenn jemals ein Mann die Bezeichnung „Pionier“ verdient hatte, dann Jim Bridger“ (Stanley Vestal, 1970: ix-x).

Es war im Sommer 1997 im Westen Wyomings auf Highway 189. Ich war von Jackson Hole aus nach Pinedale gefahren, wo in dem kleinen „Museum of the Mountain Men“ ein Gewehr Jim Bridgers aufbewahrt wird. Von da aus hatte ich das Green-River-Gebiet durchquert und die Plätze der Rendezvous der Pelzhändler und Trapper aufgesucht, die zwischen 1824 und 1840 dort stattgefunden hatten - eine wildromantische, einsame Gegend, in der sich seit den Tagen der Mountain Men vielerorts nicht viel verändert hat.

Auf der Straßenkarte hatte ich die Markierung „Names Hill“ entdeckt und mit einer Seitenlinie des Oregon Trail in Verbindung gebracht - nicht falsch, wie ich später erfuhr. Im gesamten amerikanischen Westen findet man Felsen, auf denen Planwagenpioniere und Mountaineers ihre Namen und Daten, gelegentlich auch kurze Texte, für nachfolgende Menschen hinterlassen haben.

Plötzlich, vor einer glatten Felsformation, die sich bis an den einsamen Highway heranschob, eine unauffällige Hinweistafel, ein Stück dahinter ein paar Meter Maschendraht - fast wäre ich vorbeigefahren. Ich stieg aus und sah zunächst ein kleines Schild, das darauf hinwies, daß der Felsen mit den historischen Inschriften mehrfach von Vandalen beschmiert worden war und daher eingezäunt werden mußte. Und dann sah ich in der flirrenden Hitze die steilen, etwas ungelenken Buchstaben: „James Bridger, Trapper, 1844“

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„James Bridger, Trapper, 1844“

Kurz, sachlich, eindeutig - wie es seine Art war. Mehr als das hätte er auch nicht schreiben können - falls es nicht ohnehin jemand für ihn getan hatte -; denn Schreiben hatte er nie gelernt.

Ich spürte die stechende Sonne nicht mehr: Hier, an diesem Felsen, war er gewesen. Auf diesem Boden, vor dieser Sandsteinwand hatte er sein Lager bereitet, hier hatte sein Campfeuer gebrannt. Nur ein kurzes Stück entfernt, auf der anderen Seite des Highway, strömte der Green River dahin, wo die Trapper einst ihre Biberfallen gesetzt hatten. Rechts und links von seinem Namen hatten andere - unbekannte, längst vergessene Pioniere - ihre Zeichen hinterlassen. Vielleicht hatte Bridger sie geführt - in jedem Fall aber waren sie Wegen gefolgt, die er als erster betreten und erforscht hatte.

Ich war auf dieser Reise an vielen Plätzen gewesen, zu denen Bridger als erster weißer Mann vorgedrungen war, wo er gelebt und gejagt hatte. Ich hatte mehr als 8.000 km zurückgelegt, um seinen Spuren zu folgen - und dabei doch nur einen Bruchteil der Gebiete gesehen, die er einst zu Fuß und im Sattel durchstreift hatte. Überall hatte ich eine erstaunlich lebendige Erinnerung an seine Person festgestellt: Entlang des Oregon Trail in Nebraska, in Fort Laramie, Fort Phil Kearny und Fort Bridger in Wyoming, in Montana, in Fort Union, North Dakota, am Großen Salzsee in Utah, in Salt Lake City - wo er - wohl als Entschädigung für die schlechte Behandlung, die ihm von den Mormonen zuteil wurde, obwohl er ihnen den Weg gewiesen hatte - auf dem großen Brigham Young-Denkmal unweit des Temple Square als Statue verewigt ist. Nirgends jedoch war mir seine Gegenwart so direkt, so unmittelbar erschienen wie hier, an diesem weltvergessenen Fleck im Westen Wyomings. Aber gerade dieses Land hatte er besonders geliebt, seine rauhe Ehrlichkeit, seine zerklüftete, großartige Einsamkeit. Nur wenige Meilen weiter nördlich hatte er mit anderen Trappern wilde Feste gefeiert. Hier war er kreuz und quer durch die Wildnis gestreift, immer auf der Suche nach einem neuen Horizont, nach dem Ende des Regenbogens, nach dem Unbekannten.

Plötzlich wurde er mehr als nur eine historische Figur, eine Legende: Er wurde greifbar, seine Spur war nicht nur theoretisch, sie war unübersehbar: James Bridger, Trapper, 1844. Er war in der Blüte seiner Jahre, als er diese Inschrift in den Sandstein kratzte, und er wußte nicht, daß ihm zu dieser Zeit die schwerste Phase seines Lebens noch bevorstand; denn die große Zeit der Mountain Men war zu Ende. Jim Bridger sollte sie überleben. Aber so glücklich, wie er in jenen Jahren war, ist er wohl nie wieder gewesen.

*

Ich schulde einer Reihe von Menschen Dank für Hilfe und Ratschläge, die ich beim Schreiben dieses Buches erhalten habe. Dazu gehören viele amerikanische Lokalhistoriker, die ich auf meinen Touren, Tausende von Meilen durch den alten Westen, getroffen habe. Viele dieser Menschen haben sich nur mit Vornamen vorgestellt. Die Hingabe, mit der sie die Geschichte ihrer Region pflegen, bewahren und weitergeben hat mich immer beeindruckt. Manche leben in Gegenden, die selbst Amerikaner als „out of civilization“ bezeichnen. Sie schützen historische Plätze, die oft nur über „dirt roads“ zu erreichen sind, auf denen mir um die Reifen meines Wagens bange wurde. Sie akzeptieren ein Leben in völliger Einsamkeit, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Einige arbeiten noch immer als Trapper und führen ein Leben, das sich nur unwesentlich von Jim Bridger und seinen Zeitgenossen unterscheidet.

Wertvolle Gespräche über die Geschichte des amerikanischen Pelzhandels und die Person Jim Bridgers durfte ich mit Dr. Jim Hanson (The Museum of the Fur Trade) in Chadron, Nebraska, führen, dem wohl besten amerikanischen Kenner der Pelzhandelsära, ferner mit Andrew Masich, Präsident and Chief Executive Officer der Historical Society of Western Pennsylvania, Pittsburgh, mit Dr. David Halaas, ehemals Chief Historian der Colorado Historical Society in Denver, und mit Dr. Albert Winkler (Brigham Young University, Utah).

Michael Casler, ehemals Nationalpark-Ranger in Fort Union am Oberen Missouri und dort lange als Post Trader im alten Pelzhandelsraum aktiv, wurde ein guter Freund. Die stundenlangen Gespräche mit ihm über die Praktiken des Pelzhandels – auch über den Umgang zwischen Indianern, Trappern und Händlern – und das Alltagsleben in solchen Handelsposten haben mir unendlich viel gegeben. Was die Ansichten der Indianer anging, waren die Gespräche mit Loren Yellowbird, Hidadatsa, ebenfalls Ranger in Fort Union, ungemein aufschlussreich.

Mit Ranger Cochrane erörterte ich in Bent’s Old Fort, Colorado, die Frage, ob Bridger jemals dort war (vermutlich nicht). Dort begegnete mir ein weiterer „namenloser“ Mountain Man-Darsteller, der in äußerst lebendiger Weise über Sitten und Bräuche der Trapper berichtete, mir Voyageur-Lieder auf einer Metallflöte vorspielte und die verschiedenen Ausrüstungsgegenstände der Mountaineers praktisch demonstrierte.

Ferner sprach ich mit Randy Kane, Chief-Ranger von Fort Union, und mit Ken Woody, ehemals leitender Ranger in den Mandan Knife River Indian Villages in North Dakota und heute Chief Ranger am Little Big Horn Battlefield (Montana).

Die Leiterin des Museum of the Mountain Men in Pindale, Wyoming, wies mir den Weg zu den Rendezvousplätzen am Green River (nur auf „rough roads“ erreichbar), zum Ort des einstigen Fort Bonneville am Horse Creek und zu dem Platz, an dem Father De Smet die erste Messe in Wyoming las.

Besonders erwähnen möchte ich meinen guten, inzwischen leider verstorbenen Freund Dr. Colin Taylor, Hastings (England), von dem ich unendlich viel über die indianische Kultur gelernt habe und der lebhaften Anteil am Entstehen dieses Buches nahm.

Dank verdient auch meine Mutter, die nach wie vor unermüdlich in meinem Verlag mitarbeitet und mir damit ermöglicht, Zeit zu erübrigen, um selbst Texte zu schreiben, die viel Vorarbeit benötigen. Sie alle haben Anteil an diesem Buch.

Dietmar Kuegler

Impressum

Autor: Dietmar Kuegler
Titel: Sucht mein Herz in der Prärie
Jim Bridger - Mountain Man

Erschienen im:
Semitarius Verlag - Inh. Andreas Schumann
Rudolf-Dietz-Straße 38
65232 Taunusstein
© 2014 - Alle Rechte vorbehalten

ISBN: 978-3-945248-12-6

Weitere Print und eBook-Varianten finden Sie unter www.semitarius.com

Dieses Buch ist die eBook-Version des gleichnamigen Buchs aus dem Jahr 1998,
erschienen im:
VERLAG FÜR AMERIKANISTIK D. Kuegler
P. O. Box 1332
D-25931 Wyk auf Foehr

Herstellung:

Andreas Schumann
Rudolf-Dietz-Straße 38
65232 Taunusstein

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

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James Bridger. Das Foto wurde vermutlich am 1. April 1857 im Kontor von Robert Campbell in St. Louis aufgenommen. (siehe: Der Scout)

Einleitung

Die amerikanische Westwanderung verbreitet die Aura einer grandiosen gemeinschaftlichen Kraftanstrengung einer jungen, unverbrauchten, ihre geistigen und physischen Grenzen ausschöpfenden Gesellschaft. Das entspricht zu einem Gutteil auch den Tatsachen. Sie war aber andererseits in ganz außerordentlicher Weise auch ein höchst individualistischer Prozeß, in der die Persönlichkeit und die Leistungen Einzelner nachhaltig hervorragen und so der Mythos gestützt wird, daß der entschlossene und tatkräftige Pionier ebenso eine neue Welt zu schaffen vermag wie die verschworene Gruppe. Es handelt sich hier um charakteristische Elemente des amerikanischen Geschichtsverständnisses.

Es sind Männer wie Daniel Boone und Zebulon Pike, Meriwether Lewis, William Clark und Johann Jacob Astor, aber auch eher dubiose Gestalten wie Wyatt Earp und Jesse James, die diesem Mythos die Grundlage gegeben haben. Und es ist ein Mann wie Jim Bridger, der unermüdlich das weite, unbekannte Land durchstreifte, getrieben von der tiefen Neugier, was es hinter den gewaltigen Bergen und den tiefen Wäldern zu entdecken gab. Er wollte wissen, wo der Horizont endet, und er wollte das Leben in allen seinen Faszetten mit jeder Faser bis zum letzten Atemzug spüren und ausloten. Es war dieses brennende Verlangen, immer neue Ziele anzustreben, das die amerikanische Pionierzeit charakterisiert, die nie zu stillende Hoffnung, es könnte dort, wo die Sonne untergeht, eine noch bessere Welt mit noch mehr Chancen geben. Ganz unprosaisch nannten die Amerikaner diesen Drang zum ständigen Weiterziehen und Weitersuchen den „itching foot“ (juckenden Fuß) - eine Eigenschaft, die noch heute in dieser Nation anzutreffen ist, die sich ständig in Bewegung befindet, die nach wie vor bereit zu sein scheint, leichthin alles Erreichte aufzugeben und zu neuen Ufern aufzubrechen, wenn sich neue Möglichkeiten bieten. So entstehen bis zum heutigen Tag „Geisterstädte“, deren Bewohner einfach weitergezogen sind, wenn sich ihre Erwartungen nicht erfüllten, und immer wieder passiert man verlassene Häuser, deren einstige Erbauer ihre Habe auf einen Wagen geladen haben und in einen anderen Teil des riesigen Landes gefahren sind, um einen neuen, besseren Anfang zu suchen; das Erbe der Pionierzeit ist lebendig.

Jim Bridger repräsentierte wie kaum ein anderer Mann seiner Zeit die Charakterzüge der „moving frontier“: Rastlos, optimistisch, unternehmend, vertrauend auf seine Kraft und seine Inspiration, mit einer unbändigen Lust auf Leben und einem festen Glauben an seine Bestimmung. Es gab mehr Männer dieser Art - aber Bridger hatte das Glück zu überleben und ein relativ hohes Alter zu erreichen, während andere namenlos in der Wildnis untergingen.

Ihn zeichnete jedoch mehr aus als nur die Fähigkeit, Abenteuer und Gefahren glücklich zu bestehen. Er mochte Romantiker gewesen sein, wie fast alle Mountain Men, mit einem übermächtigen Hang zum Leben in der unberührten Natur, zur Einsamkeit, die der Preis für ihre Freiheit war; aber sein Pragmatismus überwog. Er besaß Standfestigkeit und hatte Ehrgefühl und Verantwortung. Er war trotz aller unvermeidlichen Härte, die zum Überleben in der Wildnis nötig war, großzügig und hilfsbereit. Er konnte weder Lesen noch Schreiben, aber seine Intelligenz war hoch ausgebildet, seine Kenntnisse über den amerikanischen Kontinent waren weit größer als die aller gelehrten Reisenden, die dicke Bücher darüber schrieben und sich als „Entdecker“ feiern ließen. Seine Entschlußkraft und sein Mut standen außer Zweifel. Seine Fähigkeit, sich auf die schwierigsten Situationen einzustellen, war phänomenal. Zwar liebte er das Leben in der Wildnis und ihre Herausforderung, aber er verstand es, sich in der „Zivilisation“ ebenso zu behaupten wie in den Indianerdörfern des Fernen Westens. Und er verfügte über Humor, wie unzählige Anekdoten und die Geschichten belegen, die er am Lagerfeuer spann und mit denen er unbedarfte Westwanderer in Bestürzung oder Euphorie zu versetzen vermochte - je nach Bedarf. Ohne es je gelernt zu haben, zeichnete er Landkarten vom amerikanischen Westen, die an Genauigkeit kaum zu wünschen übrig ließen, und auf Wege, die er vorgab, vertrauten Zehntausende von Menschen.

Da er nie Aufhebens um sich und seine Person machte, seine Eitelkeit sich in Grenzen hielt und er kein Interesse daran hatte, sich selbst Denkmäler zu setzen, hielten viele ihn später für einen versponnenen alten Mann, der sich mit münchhausenhaften Geschichten interessant machen wollte, wenn er beiläufig erzählte, wo er überall gewesen war, wen er gekannt und was er als erster gesehen hatte. Er hielt es für unter seiner Würde, sich einen „Ghostwriter“ zu suchen, der seine Abenteuer publizistisch ausschlachten konnte, wie andere das taten. Lange Zeit galt er als einer der vielen Hinterwäldler, die von der Expansion nach Westen überrollt worden waren. Erst nach seinem Tod wurde für jene, die die Geschichte der Westbesiedelung aufschrieben, deutlich, wer er wirklich gewesen war.

Es gibt kaum einen Platz im amerikanischen Westen, an dem er nicht der erste weiße Mann, zumindest aber einer der ersten gewesen war. Es gibt keinen einzigen der großen und wichtigen Trails, den er nicht gezogen ist - und viele davon hat er selbst erforscht oder durch Verlegung der Routen besser gangbar gemacht. Er war an zahlreichen Expeditionen beteiligt, legte Raststationen für Siedlertrecks an, die seinen Spuren folgten, wies der großen Eisenbahn durch den Kontinent den Weg, und er half, die bedeutendsten Friedensverhandlungen mit den westlichen Indianervölkern vorzubereiten - und hätte man häufiger auf ihn gehört, hätte es manche blutige Auseinandersetzung nie gegeben.

Staunend und zum Teil fassungslos steht der heutige Chronist vor dem Leben eines Mannes, der nach den Maßstäben des 20. Jahrhunderts schon mit einigen wenigen seiner Abenteuer unsterblichen Ruhm und Reichtum geerntet hätte, der aber ganz unprätentiös seinen Weg ging. Seine Leistungen kamen zu einem Gutteil nicht mit Blick auf das Verlangen anderer zustande, sondern waren von der Suche nach sich selbst und schlicht vom Ringen um seine materielle Existenz bestimmt, aber das ändert nichts an ihrer enormen Breitenwirkung und ihrer Bedeutung für die große Wanderung der Pioniere nach Westen. Es war ein Leben, so reich, so erfüllt, so turbulent, daß sich die philosophische Frage nach dem Sinn erübrigt.

Daß Jim Bridger inzwischen zum legendären Helden der Pionierzeit verklärt ist, ist vermutlich unvermeidlich. Doch diese Einstufung in die „Folklore“ wird ihm im Grunde nicht gerecht. Dieser Mann war weit mehr als eine bizarre, pittoreske Gestalt, ein rauhbeiniger Trapper, ein „Indianerkämpfer“, der Jungenträumen vom Abenteuer Nahrung gibt. Jim Bridger hat Geschichte geschrieben. Er hat Amerika vielleicht mehr beeinflußt als mancher mächtige Politiker in Washington. Kein Zweifel: Daran lag ihm nichts. Aber Menschen sind nicht immer imstande, die Wirkung ihrer Taten zu übersehen oder zu steuern. „Tatsächlich war er einer der größten Erforscher Amerikas, was zu oft vergessen wird“, wie Stanley Vestal richtig schrieb. Jim Bridgers Leben spricht für sich.

Kindheit und Jugend

Es war ein symbolhaftes Jahr, als in Richmond, Virginia, dem Gastwirt und Landvermesser James Bridger und seiner Frau Chloe ein Sohn geboren wurde: James Bridger kam am 17. März 1804 zur Welt. In jenem Jahr begann im Auftrag von Präsident Thomas Jefferson die Reise der beiden Captains Meriwether Lewis und William Clark zur Erforschung des amerikanischen Westens. Er sollte es ihnen eines Tages nachtun.

Es war eine Zeit des Aufbruchs: Die jungen Vereinigten Staaten hatten das Gebiet von Louisiana von Frankreich erworben - ein Territorium, das in jener Zeit vom Golf von Mexico im Süden bis zur heutigen kanadischen Grenze reichte - und ihr Staatsgebiet damit verdoppelt. Freies, fruchtbares, verlockendes Land, in das zahllose Familie aufbrachen, die den Spuren von Daniel Boone - einem der Väter der „westwärts wandernden Grenze“ - folgten. Auch Jim Bridgers Eltern wurden von diesem Fieber erfaßt. 1812 luden sie ihre Habe und ihre Kinder - außer Jim hatten sie einen weiteren Sohn und eine Tochter - auf einen Planwagen und kreuzten die Blue Ridge Mountains nach Westen. Der achtjährige Jim sollte diese anstrengende Reise, die ihm die ersten unmittelbaren Erfahrungen mit der Wildnis vermittelte, nie vergessen. Unter der Canvas-Plane hervor lugend, sah er das weite, verheißungsvolle Land. Gelegentlich ritt er auch neben dem Wagen her durch die dichten, fast unwegsamen Waldgebiete. Oft wurde ihm aufgetragen, vorauszureiten und nach einem Lagerplatz für den Abend zu suchen.

Die Bridgers steckten eine Farm bei Six Mile Prairie ab, einer Kleinstadt unweit von St. Louis. Daß hier einst eine Metropole entstehen sollte, das geschäftliche Zentrum der westlichen Territorien und das „Tor zum Westen“ für Hunderttausende von Pionieren, war zu dieser Zeit noch nicht absehbar; immerhin wies die Stadt am Mississippi zu dieser Zeit bereits 2.000 Einwohner auf.

Über das Familienleben der Bridgers und Jims Kindheit ist so gut wie nichts übermittelt. Man kann davon ausgehen, daß das Leben auf einer Pionierfarm relativ gleichförmig verlief und mit harter Arbeit angefüllt war, in die auch die Kinder mit einbezogen wurden, sowie sie zu laufen imstande waren. Beim Roden von Bäumen, Pflügen von Feldern, beim Ausbringen der Saat und später bei der Ernte wurde jede Hand gebraucht, auch wenn sie noch so klein war. Das Vieh mußte versorgt werden, zwischendurch wurde der tägliche Speisezettel durch Jagd und Fischen aufgebessert. Es war wohl so, daß Jim auf der väterlichen Farm die Grundlagen für sein späteres Leben in der Wildnis erlernte und früh Verantwortung übernehmen mußte; denn der Vater nahm zusätzlich eine Stellung als Landvermesser an und war daher oft von daheim abwesend.

Im Sommer 1816, als Jim 12 Jahre alt war, starb unvermittelt seine Mutter. Der Vater war nicht zu Hause, und Jim mußte allein mit allen Schwierigkeiten fertig werden und sich um seine Geschwister kümmern.

Eine unverheiratete Schwester des Vaters kam aus Virginia und übernahm die Haushaltsführung, doch schon im Winter 1816 starb auch Jims jüngerer Bruder. Vom Schicksal schwer geprüft, litt schließlich die physische Gesundheit des Vaters. Im Sommer 1817 kehrte er krank von einer Vermessungsreise zurück und starb im Dezember. Zurück blieben der gerade 13jährige Jim Bridger und seine jüngere Schwester.

Jim war gezwungen, die Rolle des Ernährers zu übernehmen. Das Leben an der Wildnisgrenze kannte kein Erbarmen und ließ ihm keine Zeit, sich seinem Schmerz hinzugeben. Er ging auf die Jagd und kümmerte sich um die Felder. Eines Nebenverdienstes wegen stellte er Fallen und verkaufte gelegentlich die Felle von Wiesel und Bisam an die Pelzhandelsfirma Chouteau in St. Louis. Pierre Chouteau - der später der mächtigste Mann im Pelzhandel am Missouri werden sollte - war zu dieser Zeit noch in den Zwanzigern. Angeblich half er dem jungen Bridger, sein erstes Gewehr zu erwerben (Alter, 1986: 5). Fest steht, daß beide sich ihr Leben lang respektierten und gut verstanden, „obwohl James Bridger sein eigenes Kanu paddelte“ (Alter, 1986: 6).

Der kräftige, fleißige Junge nahm bei Antoine Dangens Fährstation einen Job auf einem Flachboot an, das Passagiere und Fahrzeuge von Six Mile Prairie nach St. Louis über den Mississippi setzte. Es war eine harte, schlecht bezahlte Arbeit. Die Fährstation befand sich nur wenige Meilen von der Mündung des Mississippi in den Missouri entfernt, und Jim Bridger hatte mit der unberechenbaren, starken Strömung zu kämpfen, um das Boot sicher über den Strom zu bringen. Jim traf hier am Fluß auf eine ihm bis dahin fremde Klasse von Menschen: Rauhbeinige, hartgesottene, rücksichtslose Burschen, die in Dugouts - halb in die Hügel über dem Fluß gegrabene Behausungen - lebten und auf den Kielbooten und Transportschiffen auf Mississippi und Missouri arbeiteten. Sie tranken den scharfgebrannten, billigen Whisky galonenweise, prügelten sich aus nichtigen Anlässen und hatten das Messer stets locker sitzen. Sie respektierten nichts und niemanden, und man tat gut daran, ihnen aus dem Weg zu gehen. Da waren jedoch auch die frühen Pelzhändler und Jäger, die in ihren Kanus den Fluß herunterpaddelten und stapelweise Pelze aus dem Fernen Westen nach St. Louis brachten, wo sie sich ausruhen und neu ausrüsten konnten. Diese Männer waren in ihrem Benehmen kaum besser. Sie fürchteten weder Tod noch Teufel und interessierten sich nicht im geringsten für die Regeln und Gesetze der ehrbaren Bürger in den Siedlungen am Strom. Sie hatten ihre eigenen Normen. Aber ihre Geschichten konnten einen jungen Mann, der nach Leben hungerte, zum Träumen bringen.

Jim arbeitete nach kurzer Zeit für die neueingerichtete Wiggins-Fähre, die bereits eine Drahtseilwinde aufwies, aber er war bald sicher, als Fährmann keine Zukunft zu haben. Mit 14 Jahren begab er sich nach St. Louis und nahm eine Lehrstelle bei dem Hufschmied Phil Creamer an. (J. Cecil Alter schrieb, daß Creamer nicht als selbständiger Schmied in St. Louis registriert war und vermutet, daß er einer der Meister von James Baird war, der ab 1811 mehrere große Schmiedewerkstätten in St. Louis einrichtete und vom Hufbeschlag bis zur Fertigung von Messern und Werkzeugen alle Eisenarbeiten ausführte.) Die Arbeit war nicht leichter, aber sie bot Jim die Chance, ein richtiges Handwerk zu lernen und geschäftliche Erfahrungen zu sammeln.

St. Louis war eine aufstrebende Stadt, die einem jungen Mann viel zu bieten hatte. Die bunt gemischte Bevölkerung, die in jenen Jahren noch mindestens zur Hälfte aus Franzosen bestand, war ein temperamentvoller, vitaler Schmelztigel. Die Zahl der Einwohner wuchs rapide, die Geschäfte prosperierten, und die Entwicklungsmöglichkeiten waren nahezu grenzenlos.

Jim Bridger lernte schnell. Er wuchs zu einem großen, hageren, starkknochigen, muskulösen jungen Mann heran, der mit Geschick Hufeisen schmiedete und Pferde beschlug, aber auch Biberfallen, Bootshaken und Eisenteile für Planwagen fertigte und gelegentlich Gewehre reparierte.

Schmiedewerkstätten waren in jenen Tagen geschäftige Treffpunkte für Pelzjäger und Indianer, Frachtwagenkutscher und Maultiertreiber, Stallknechte und Farmer. Es gab unzählige Reittiere zu beschlagen, Wagen zu reparieren, Gerätschaften in Ordnung zu bringen. Der Handel mit Transportfahrzeugen und Reit- und Zugtieren war ein ständig wachsendes Geschäft, und Jim Bridger lernte dieses Geschäft gut. „Er vergaß diese Lektionen nie, und so lange er lebte, konnte ihn niemand im Pferdehandel übertreffen“ (Vestal 1970: 5).

Es gab tausend Geschichten vom Land jenseits des großen Stroms in St. Louis, die die franco-kanadischen Voyageurs und Trapper in die Stadt trugen. Der bedeutendste Pelzhändler in St. Louis war in dieser Zeit Manuel Lisa mit seiner „Missouri Fur Company“, ein gebürtiger Spanier, der in etwas düsterem Ruf stand, gleichwohl legendären Ruhm genoß; denn er hatte ein 1.200-Meilen-Rennen mit Kielbooten auf dem Missouri gewonnen, und ihm wurde das Verdienst zugeschrieben, die Sioux davon abgehalten zu haben, sich im Krieg von 1812 auf die Seite der Engländer zu schlagen. Neben ihm aber wurde der Einfluß der Familie Chouteau größer, und die „American Fur Company“ des größten Pelzhändlers der USA, Johann Jacob Astor, drängte von den östlichen Staaten nach St. Louis; denn der Westen bot neue Perspektiven.

Noch waren es vergleichsweise wenige kühne Männer, die sich den Missouri aufwärts wagten oder in die großen Ebenen hinauszogen und den Beschreibungen von Lewis und Clark folgten. Aber die Expansion nach Westen war absehbar. Jim hätte sich ihnen gern angeschlossen, doch er wußte nicht wie: Er hatte kein Geld, ein eigenes Geschäft anzufangen. Er hatte kein Geld für eine Ausrüstung, um in den Pelzhandel einzusteigen. Jeden Cent, den er verdiente, benötigte er, sich und seine Schwester durchzubringen. Zudem hatte er nach dem Tod der Eltern keine Zeit gehabt, eine Schule zu besuchen und Lesen und Schreiben zu lernen - die Voraussetzung für ein eigenes Geschäft. Während er mit seinem Lohn den Schulbesuch seiner Schwester bezahlte, konnte er zu dieser Zeit noch nicht einmal seinen Namen schreiben. Dabei war er äußerst lernbegierig, ließ sich bei jeder Gelegenheit Bücher und die täglichen Meldungen aus der Zeitung vorlesen. Und seine Unruhe, seinem Leben neue Perspektiven zu geben, wuchs. Zweifellos wurde der Wunsch, nach Westen zu ziehen, relativ früh in ihm geboren. Er wartete auf seine Chance, und er sollte sie bekommen: Am 20. März 1822 - drei Tage nach seinem achtzehnten Geburtstag und nach Beendigung seiner vierjährigen Lehrzeit - nahm sein Leben die entscheidende Wendung. An diesem Tag las ihm jemand aus der örtlichen Zeitung „Missouri Republican“ die folgende Anzeige vor:

„Unternehmungslustige junge Männer! Der Unterzeichner sucht einhundert junge Männer, um mit ihnen bis zur Quelle des Missouri River zu ziehen und sie dort für ein, zwei oder drei Jahre in Dienst zu nehmen. Interessenten wenden sich an Major Andrew Henry in der Nähe der Bleiminen im Washington County, der die Gesellschaft begleiten und kommandieren wird, oder an den Unterzeichner in der Nähe von St. Louis.

William H. Ashley“

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Mit derartigen Anzeigen suchten Ashley & Henry in St. Louis und anderen Orten am Missouri nach jungen Männern, die sich ihren Trapperbrigaden anschließen wollten. Auf eine dieser Annoncen meldete sich Jim Bridger.

Die Arikara-Kampagne der „Missouri Legion“

Im Mai 1823 schickte Andrew Henry Jedediah Smith und einen weiteren Mann mit einer Ladung Pelze den Missouri hinunter, um William Ashley zu benachrichtigen, daß die Jägerbrigade dringend Pferde benötigte und die Gefahr durch die Blackfeet ständig wuchs. Aber Mitte Juni waren Smith und sein Begleiter bereits wieder in Fort Henry und brachten die alarmierende Nachricht, daß William Ashley auf dem Weg zum Oberen Missouri von Arikara angegriffen worden sei und seinerseits dringend Hilfe benötigte.

Andrew Henry zögerte nicht, sofort mit allen verfügbaren Männer flußabwärts zu fahren. Nur eine Notbesatzung - vermutlich unter dem Kommando von John H. Weber - blieb in Fort Henry zurück, darunter die Verletzten des Kampfes mit den Blackfeet, wie D. T. Potts, aber auch Mike Fink und dessen Freunde Carpenter und Talbot.

William Ashley hatte im vergangenen Herbst die erste Pelzausbeute seiner Trapper mit großem Gewinn in St. Louis verkauft und zwei neue Kielboote in Pittsburgh bestellt. Für das Frühjahr veröffentlichte er wieder eine Anzeige in verschiedenen Zeitungen und suchte weitere junge Männer für die Biberjagd in den Rocky Mountains. Diesmal versprach er jedem Mann einen Lohn von 200 $ im Jahr. Er ließ sogar Werber durch die kleinen Ortschaften am Missouri ziehen, die nach geeigneten Männern für ihn Ausschau hielten.

Am 10. März 1823 legten die beiden Kielboote Ashleys mit etwa 70 Männern ab. Die Reise stand unter keinem guten Stern. Bereits vor dem Aufbruch waren drei Ashley-Männer bei einer Pulverexplosion während der Beladung der Boote umgekommen.

Am 29. Mai trafen die beiden Kielboote in der Nähe mehrerer Arikara-Dörfer auf Jedediah Smith. Ashley wollte die gute Gelegenheit nutzen, die benötigten Pferde für Henry bei den Indianern zu kaufen. Mit 40 Männern suchte er eines der Zeltdörfer auf. Der Handel wurde geschlossen. Die Jäger schlugen am 1. Juni ein Lager am Flußufer auf und wurden unvermittelt in der Nacht durch Lärm geweckt. Mehrere Männer Ashleys hatten sich nach Einbruch der Dunkelheit weggeschlichen und waren zurück zu den Arikara gegangen, wo einige indianische Frauen offensichtlich einen unwiderstehlichen Eindruck bei ihnen hinterlassen hatten. Darunter befand sich auch Ashleys Dolmetscher, Edward Rose, der lange bei den Indianern gelebt hatte und dem von einigen befreundeten Kriegern bedeutet worden war, sich in Sicherheit zu bringen. Er wurde gegen Mitternacht Zeuge, wie einer seiner Begleiter von den Indianern erschlagen wurde. Er konnte Ashley noch warnen, dann griffen die Indianer an. Ein Pfeil- und Kugelhagel ging auf das Lager und die Boote nieder. Entgegen Ashleys Befehl, die Boote als Schutzwälle zu verwenden und von dort aus den Kampf anzunehmen, stießen die Männer die Boote ins Wasser und ergriffen in Panik die Flucht. Die neu erworbenen Pferde wurden zum Teil getötet oder weggetrieben.

Ashley gelang es schließlich, die Boote wieder unter seine Kontrolle zu bringen. Jedoch meldeten sich nur 30 Männer freiwillig, um mit ihm zurückzugehen. Aber: „Mein Verlust waren 14 Tote und 10 Verwundete, so daß mir nicht mehr als 23 einsatzfähige Männer blieben“ (Ashley in Alter, 1986: 26).

Die Kielboote legten schließlich etwa 25 Meilen unterhalb des Kampfplatzes an. Die Überlebenden hoben ein Massengrab für die Gefallenen aus. Jedediah Smith gelang es, das Arikara-Dorf flußaufwärts zu passieren und nach Fort Henry zu gelangen. Einen Monat später stieß Henry mit seinen Männern - darunter Jim Bridger - auf Ashley, der inzwischen auch eine Nachricht nach Fort Atkinson geschickt hatte, wo der Kommandant, Colonel Leavenworth, kurz zuvor durch Joshua Pilcher von der „Missouri Fur Company“ Informationen über das Massaker an der „Immel-Jones Party“ erhalten hatte.

Am 22. Juni brach der Colonel mit 220 Mann und einer Kanone auf, um den bedrängten Jägern zu Hilfe zu eilen. Ihm folgte Joshua Pilcher mit 40 Männern und etwa 700 Sioux-Indianern, die sich im Krieg mit den Arikara befanden.

Eines der Armee-Kielboote sank auf dem Weg; 7 von Colonel Leavenworth Soldaten ertranken. Am 30. Juli 1823 trafen Ashley und seine Männer an der Mündung des Teton River mit Colonel Leavenworth zusammen. Der Colonel ernannte die Ashley-Männer Hiram Scott und Jedediah Smith vorübergehend zu Captains, Thomas Fitzpatrick zum Quartiermeister und William Sublette zum Sergeant-Major. Die anderen jungen Männer, darunter Jim Bridger, sahen mit wachsender Erregung ihrem ersten Feldzug im Indianergebiet entgegen.

Als Pilcher mit seinen Leuten und den Sioux eintraf, wurde auch er mit dem Rang eines „Majors“ versehen. Die Truppe Colonel Leavenworths ging als „Missouri Legion“ in die Geschichte ein. Am 8. August sammelte sie sich einige Meilen unterhalb des Arikara-Dorfes. Am nächsten Tag sichteten die Soldaten die Zelte. Da hatten die Sioux Pilchers bereits die Vorhut übernommen und die Arikara in ein Scharmützel verwickelt. Die Sioux wurden zurückgeschlagen, doch die Soldaten rückten nach und brachten die Kanone in Stellung. Nach den ersten Schüssen auf das Zeltdorf, zogen sich die Arikara hinter einfache Verschanzungen aus Treibholz und Buschwerk zurück, während die anrückende Truppe sich der Erntevorräte des Dorfes bemächtigte.

Der erste Kanonenschuß brachte im Grunde bereits die Entscheidung. Ihm fiel der Kriegsführer Grey Eyes zum Opfer. Der weitere Artilleriebeschuß tötete mehr als 50 Arikara und zahlreiche Pferde und hinterließ eine größere Zahl Verwundete.

Die Arikara gaben den Kampf auf und baten um Frieden. In jenen Jahren gab es noch keine Politik der Vernichtung in Auseinandersetzungen mit Indianern, und die offiziellen Berichte Colonel Leavenworths hinterlassen den Eindruck, daß er sehr froh war, nicht weiter kämpfen zu müssen. Tatsächlich unterstrich er in seinem Report: „Ich vermute, daß der Regierung weit besser gedient ist, wenn die Indianer belehrt, nicht aber vernichtet werden... Ich ging davon aus, daß es am besten sei, den Vorschlägen der Arikara für einen Friedensschluß zuzuhören“ (Leavenworth in Alter, 1986: 29). Die Lage entspannte sich schnell, trotz der vorausgegangenen Kampfhandlungen. Die Soldaten und Trapper betraten das Dorf und trieben Handel mit den Indianern, während Leavenworth mit dem führenden Häuptling, Little Soldier, verhandelte.

In der Nacht zum 13. Juni verließen die Arikara im Schutz der Dunkelheit ihr Dorf und zogen davon - sie trauten den Weißen und ihren Sioux-Verbündeten offenbar nicht recht. Sie ließen nur die Witwe von Grey Eyes zurück. Leavenworth ordnete am 14. Juni an, sie - mit ausreichend Nahrung versehen - im Dorf zu belassen und sammelte seine Truppe für den Rückweg, doch als die „Missouri Legion“ am nächsten Tag ihre Boote zu Wasser ließ, stiegen hinter ihr plötzlich Rauchsäulen auf. Leavenworth war außer sich: Während der Friedensverhandlungen mit den Arikara war deutlich geworden, daß Joshua Pilcher vom Ausgang der Kampagne enttäuscht war. Er hatte seinen Sioux-Verbündeten offenbar versprochen, die Arikara zu vernichten. Pilchers Männer waren zurückgeblieben und hatten das Dorf in Brand gesteckt. Zugleich hatten sich die Sioux für die entgangene Kriegsbeute mit dem Diebstahl von 6 Armeemaultieren schadlos gehalten.

Leavenworth schrieb erbost in einem Brief vom 15. August 1823:

„Auf Kielboot No. 1, unterhalb der Arikara-Dörfer, Hauptquartier des 6. Regiments. Der kommandierende Colonel wird nicht mehr mit irgendjemandem der Missouri Fur Company kooperieren oder deren Dienste in Anspruch nehmen... Der kommandierende Colonel ist außerordentlich erzürnt sagen zu müssen, daß er gute Gründe für die Annahme hat, daß die Arikara-Dörfer, entgegen den eindeutigen Befehlen, von dieser Company in Brand gesetzt wurden. Mit derartigen Männern gibt es keine Zusammenarbeit mehr.“

Am selben Tag schrieb er in reserviertem Ton an Joshua Pilcher: „Die Sioux-Indianer, deren Unteragent Sie sind, haben sich sechs Maultiere angeeignet, die den Vereinigten Staaten gehören. Ich habe Sie zu bitten, so freundlich zu sein, Maßnahmen zur Rückgabe zu ergreifen“ (Leavenworth in Alter, 1986: 30).

Die Folge war ein an Schärfe und Arroganz kaum noch zu überbietender Brief Pilchers an den Offizier, in dem sich der Pelzhändler verachtungsvoll über den friedlichen Abschluß der Kampagne äußerte und Leavenworth beschuldigte, durch seine Nachlässigkeit den Arikaras die Flucht ermöglicht zu haben. Der Frieden in der Region und die Arbeit der Pelzjäger und -Händler seien jetzt erst recht nachhaltig gefährdet.

Das war das Ende eines der ernstesten Zusammenstöße zwischen Weißen und Indianern im Fernen Westen zu Beginn des amerikanischen Pelzhandels. Tatsächlich wurde die Lage für die Trapper am Oberen Missouri immer kritischer.

William Ashley schrieb in einem Brief vom 7. Juni 1823: „Wenn unsere Regierung keine Truppen bis mindestens zur Mündung des Yellowstone oder darüber hinaus hinaufschickt, müssen die Amerikaner den Handel in diesem Gebiet aufgeben. Die Indianer werden jedes Jahr furchteinflößender“ (Frost 1945: 77).

Der Verlust von zwei Kielbooten mit wertvoller Fracht, die Konkurrenz der „Missouri Fur Company“ und die Zusammenstöße mit den Arikara und Blackfeet trugen zu Ashleys Entscheidung bei, sein Zielgebiet zu verlegen und Handel und Transport anders zu organisieren. Den Ausschlag gaben Nachrichten, die Henry von Überlebenden des Immel-Jones-Massakers erhielt, wonach das Three Forks-Gebiet längst überjagt war und die Risiken nicht mehr lohnte. Bei einer Lagebesprechung in Fort Kiowa fiel die Entscheidung, sich nach neuen Jagdgründen umzusehen. Dabei brachte Henry seine Erfahrungen von 1810/11 am Snake River im Einzugsgebiet von Jackson Hole und dem Big Horn River ins Spiel. Im späten August verließ Henry mit einer kleinen Gruppe von zwölf bis fünfzehn Jägern Fort Kiowa, um zurück zum Posten am Yellowstone zu ziehen - eine Distanz von etwa 350 Meilen. Zu seinen Leuten gehörten Jim Bridger, Johnson Gardner, Daniel Moore, Moses Harris, Milton Sublette und Hugh Glass. Jedediah Smith, William Sublette, Thomas Fitzpatrick und andere, sollten - geführt von Edward Rose - frische Pferde beschaffen.

Der Weg nach Westen

Am 3. April 1822, einem kühlen Morgen, war das erste der zwei Kielboote startbereit. Es wurde von Major Andrew Henry kommandiert. Zu der 21köpfigen Besatzung gehörte Jim Bridger. Sein neues Leben hatte begonnen.

Das zweite Boot unter William Ashley brach einen knappen Monat später auf. Eine dritte Gruppe folgte an Land mit den Pferden, die als Reit- und Tragtiere eingesetzt werden sollten, wenn die Great Falls erreicht wurden.

Ashley und Henry hatten einige erfahrene Bootsleute engagiert, die das Kommando führten. Auf Henrys Boot fuhr Mike Fink, der zu den besten Kielbootmännern am Missouri und Mississippi gehörte. Hinzu kamen einige französische Voyageure, die den Fluß und seine Geheimnisse kannten.

Jedes Kielboot verfügte zwar über ein Segel, aber dessen Wirkung war gering. Es war die Besatzung, die das Boot mit vereinten Kräften ruderte, im flachen Wasser stakte, und bei starker Strömung mit Seilen vom Ufer aus vorwärtszog. „Normalerweise schafften zwölf oder fünfzehn Männer an einem Schleppseil acht bis zwölf Meilen am Tag, wenn das Flußufer sich in schlechtem oder durchschnittlichem Zustand befand“ (Alter 1986: 15). Man rechnete damit, daß diese beschwerliche Reise den Fluß hinauf etwa 4 Monate in Anspruch nehmen würde. Da während der Fahrt für die Jagd wenig Zeit blieb, war es meist Kleinwild - Eichhörnchen oder Truthähne -, das den Speisezettel der Männer auffrischte, der ansonsten aus geräuchertem Speck, Trockenfleisch, Reis, Bohnen und Brot bestand.

Eine gespannte, euphorische Erregung erfaßte die jungen Männer, als St. Louis hinter ihnen zurückblieb. Aber schon nach wenigen Tagen wurden sie von der Routine der langen Reise gefangen. Das Rudern und Steuern der schweren Kielboote auf dem an Sandbänken und Treibholz reichen Fluß mit seiner tückischen Strömung kostete Kraft und Illusionen. Die letzten kleinen Ansiedlungen am Missouri, bevor die Grenze der Zivilisation zurückblieb, wurden passiert. Bei dem von Gouverneur William Clark errichteten Fort Osage, eine dreieckig angelegte Befestigung auf einer schroffen Anhöhe 40 Meilen unterhalb der Mündung des Kaw River - seit 1808 eine „Factorei“, ein regierungsamtlicher Pelzhandelsposten -, traf Henrys Gruppe erstmals auf Indianer; doch die wenigen Osage, die sich neugierig dem Ufer näherten, beeindruckten die Männer nicht.

An der Mündung des Platte-Flusses - dem „Äquator“ für Missouri-Reisende - kam es zu einer turbulenten Szene: altgediente Missouri-Männer fielen unvermittelt über die jungen Abenteurer her, warfen sie über Bord in das flache, schlammige Wasser und tauchten sie immer wieder unter, um ihnen - wie die erfahrenen Bootsmänner sagten - das „Grün hinter den Ohren wegzuwaschen“. Danach mußten sie den Oldtimers einen Whisky spendieren - eine Pflicht, die keiner erfüllen konnte, da bislang noch niemand auch nur einen Cent Lohn erhalten hatte. Also wurden sie „zur Strafe“ kahlgeschoren. „Das war der letzte Haarschnitt, den Jim Bridger für mindestens ein Jahr erhalten sollte“ (Vestal 1970: 19).

Am 1. Mai 1822 steuerte das Kielboot Fort Atkinson an, etwa 10 Meilen nördlich der heutigen Stadt Omaha. Der Kommandeur der etwa 500 Mann starken Garnison hieß Henrys Party willkommen. Hier trennten sich 5 oder 6 der jungen Männer von der Gruppe und suchten sich ein Boot, das sie zurück nach St. Louis brachte - Heimweh und Entbehrungen auf dem ersten Teil der Reise hatten ihre Unternehmungslust gebrochen. Dafür heuerten einige Soldaten bei Henry an, deren Dienstzeit gerade abgelaufen war und die nach einer neuen Beschäftigung suchten.

Einen Monat später legte das Boot bei Cedar Fort (auch bezeichnenderweise „Fort Recovery“ (Erholung) genannt) im heutigen South Dakota an. Hitze und Trockenheit machten den Reisenden zu schaffen. Die mitgeführten Lebensmittel waren nahezu aufgebraucht, und jagdbares Wild gab es so gut wie gar nicht. Die anfängliche Begeisterung der jungen Männer war fast gänzlich verflogen. Ein Mann namens D. T. Potts und acht andere, die schon seit Wochen aus ihrer Enttäuschung kein Hehl gemacht hatten, traten kurzerhand den Rückweg an. Andrew Henry schien nicht sonderlich traurig darüber zu sein; denn die ständigen Klagen der Davonziehenden hatten die Moral der gesamten Gruppe gefährdet. Tatsächlich aber wartete auch er sehnsüchtig auf das zweite Boot, das weitere Lebensmittel und Ausrüstungen bringen sollte. Es sollte jedoch nicht kommen.

William Ashley war ein Unglück zugestoßen: In der Nähe der heutigen Stadt Lexington hatte der Mast des Bootes einen in den Strom hineinragenden Ast eines mächtigen Baumstamms getroffen. Das Boot hatte sich quer zur Strömung gestellt - tödlich für dieses schwerfällige Wasserfahrzeug - und war binnen Sekunden umgeschlagen. In weniger als drei Minuten war es mit seiner gesamten Ladung versunken. Die Besatzung rettete sich verzweifelt schwimmend ans Ufer. Kaltblütig stieg William Ashley an Land und bemerkte ohne jedes Selbstmitleid, daß soeben nicht nur ein Kielboot für 3.500 $, sondern auch Tauschhandelswaren im Wert von 10.000 $ versunken waren - in jener Zeit ein gewaltiges Vermögen.

Durch diesen Unfall hatte die „Rocky Mountain Fur Company“ die Hälfte ihrer Handelswaren, die Hälfte ihres Vermögens verloren. (Einige Chronisten sagen, daß nicht Ashley selbst das Boot geführt habe, sondern ein gewisser Daniel Moore (Gowans 1985: 13). Übereinstimmung besteht aber darin, daß er unverzüglich daranging, ein neues Boot zu beschaffen und auszurüsten. Dieser Zwischenfall kostete zusätzlich Monate wertvoller Zeit.)

Derweil erreichte Henrys Party die Dörfer der Mandan, deren Gastfreundschaft schon von Lewis und Clark gerühmt worden war. Die Jäger wurden mit Mais und Bohnen, Melonen und Kürbis bewirtet und zogen gestärkt und mit neuem Mut weiter. Doch nur wenige Tage später wurde der an Land marschierende Trupp, der die Pferde führte, die Major Henry von den Mandan, Sioux und Arikara erworben hatte, von Assiniboin überfallen - die als freundlich galten. Ihnen wurden 35 Pferde geraubt, was Henrys Pläne, das Quellgebiet des Missouri zu erreichen, endgültig zunichte machte. Er entschloß sich, nur noch bis zur Mündung des Yellowstone River zu ziehen. Hier langte die Gruppe im August an und errichtete eine einfache Befestigung - Fort Henry -, in der sie überwintern konnte. Nach dem Bau von vier schlichten Blockhütten, zwischen denen Palisadenzäune angelegt wurden, schickte Henry Jagdgruppen in das Three-Forks-Gebiet aus, das als reiches Biberland galt.

Hier aber drohten nicht nur Gefahren durch Indianer, insbesondere durch die Blackfeet, die den Amerikanern schon seit einem Zusammenstoß mit der Lewis-&-Clark-Expedition äußerst feindselig gesinnt waren, sondern auch durch Konkurrenten; denn an der Mündung des Big Horn River befand sich ein Außenposten von Manuel Lisas „Missouri Fur Company“, der ersten amerikanischen Pelzhandelsfirma in dieser Region. Mit Joshua Pilcher war hier ein erfahrener Mountain Man stationiert - er fungierte auch als „Indianeragent“ für Armee und Regierung in dieser Region -, der nicht daran dachte, sich den Eindringlingen kampflos geschlagen zu geben. Er forderte aus St. Louis eine Gruppe erfahrener Jäger an, die noch vor Einbruch des Winters bei ihm eintraf und noch vor dem Ende der Schneeschmelze Anfang 1823 ins Three-Forks-Land vorstoßen sollte. Diese Rivalität war weit mehr als ein Spiel darum, wer sich die meisten Pelze sichern konnte, sie konnte lebensgefährlich werden.

Im Juni aber war es William Ashley gelungen, ein neues Boot, eine Pirogge, auszurüsten. Damit und mit einer Besatzung von 46 Mann brach er erneut zum Oberen Missouri auf. Diesmal erreichte er ohne Verzug Fort Atkinson. Ashley war ein Mann mit Visionen und Ausstrahlung. Es gelang ihm, andere von seinen Plänen zu begeistern, und seine Autorität blieb nie ohne Wirkung. So schaffte er es, die Männer um D. T. Potts, die Major Henry aus Unzufriedenheit fortgelaufen waren und die Ashley in Fort Atkinson antraf, wieder vom Erfolg des Unternehmens zu überzeugen und zu überreden, sich ihm erneut anzuschließen. Er erwarb mit bewundernswürdigem Verhandlungsgeschick gute Pferde von den Arikara und langte am 1. Oktober 1822 an der Yellowstone-Mündung in dem von Henry errichteten Handelsposten an. Erfreut konnte er feststellen, daß Henrys Männer bereits erfolgreich gejagt hatten und die Fellbündel sich hoch türmten. Ashley hielt sich nicht lange auf. Er ließ die dringend benötigten Versorgungsgüter abladen, beließ den größten Teil der Mannschaft bei Henry und fuhr mit der ersten Ladung wertvollen Pelzwerks zurück nach St. Louis.

Derweil hatte Henry durch einzelne Mountain Men erfahren, daß der Handelsposten Manuel Lisas am Big Horn Bemühungen unternahm, seiner Brigade die Jagd im frühen Frühjahr zu verderben. Er entschloß sich deshalb, ein weiteres Winterlager in unmittelbarer Nähe des Three Forks-Gebiet anzulegen. Zu der Gruppe, mit der er in einem Boot und einem Kanu den Yellowstone aufwärts aufbrach, um mindestens die Mündung des Milk River zu erreichen, gehörte auch Jim Bridger. Einige frühe Chronisten spekulieren, daß das Kanu möglicherweise Bridger gehört habe, da die Legende erzählt, er hätte in St. Louis sein eigenes Kanu mit an Bord genommen, als er bei Henry und Ashley anheuerte, doch das ist eher unwahrscheinlich. Keiner der jungen Männer, die sich in St. Louis für das Unternehmen meldeten, verfügte über nennenswerte Eigentümer, und an Bord der Kielboote war nicht viel Platz für persönliche Dinge.

Eine zweite Gruppe, vermutlich unter John H. Weber, folgte mit einigen Tagen Abstand. Zu ihr gehörte Jedediah Smith, der später darüber berichtete. Die Gruppen erreichten die Mündung des Musselshell Creek, der ebenso nahe am Three River-Gebiet lag wie die Mündung des Big Horn. Die Ausgangsbasis hatte sich damit für Henrys Leute erheblich verbessert. Eilig errichteten die Männer einfache Hütten. Sie befanden sich bereits im Herzen des Pelztiergebiets, auf das die Blackfeet Anspruch erhoben und in das bis dahin nur die Jäger der Hudson’s Bay Company und der Northwest Company eingedrungen waren. Sie bewegten sich auf gefährlichem Boden.

„Der Winter war hart. Die Wetterbeobachter am Musselshell berichteten, daß der Fluß so fest zufror, daß die Bisonherden das Eis überqueren konnten. Potts schrieb, daß das Eis vier Fuß (1,2 m) dick war und nicht vor dem 4. April 1823 schmolz.

James Bridger begann von diesem Winter an mit Major Henrys Förderung eine größere Rolle zu spielen. Anpassungsfähig, gewöhnt, erst zu denken und dann zu reden, Autorität stets anerkennend, hielt er sich dicht an den Major und die anderen Führer, um aus deren Erfahrungen zu lernen. Sie lehrten ihn die elementaren Dinge im Handel mit Indianern, wie man das Vertrauen von Indianern gewann, die ins Lager kamen, und wie man lästige Gäste wieder loswurde und dennoch ihren Respekt erwerben konnte, indem man sie daran hinderte, Pferde für ihren Heimritt zu stehlen“ (Alter, 1986: 23).

Indianergruppen näherten sich den Lagern und boten Felle zum Tausch gegen Metallkessel, Messer, Perlen, Tabak, Kaffee, Zucker, Schmuck, einfache Stoffe und Gewehre an. Jim Bridger und seine Kameraden gingen zum erstenmal auf Bisonjagd.