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Krankheiten

Wir sind nicht krank. Nicht wirklich. Dafür leiden wir aber. Unter uns sowieso. Aber wir leiden auch körperlich. Leider immer ein bisschen zu wenig, als dass wir uns mit einer Wärmeflasche ins Bett legen könnten. Aber doch ein bisschen zu viel, als dass wir völlig beschwerdefrei wären. Natürlich ist es peinlich, doch unsere Kaffeeklatschrunden werden schon jetzt vom Thema »Zipperlein« beherrscht. Noch vor wenigen Jahren hätten wir unsere Gespräche als Satire abgetan. Ich habe allein in meinem Kolleginnenkreis mehrere chronische Pilzerkrankungen (zurzeit ist der Darm sehr anfällig), Allergien gegen Aspirin, Paprika und natürlich Milben, latente Nasennebenhöhlenverstopfungen, Meniskusschäden, diverse Magenreizungen und natürlich Blasenentzündungen in den verschiedensten Verlaufsformen. Tag für Tag werden die verschiedenen Symptome beim Mittagstisch geschildert und verglichen. Denn natürlich gehen wir trotz aller Beschwerden zur Arbeit.

Wenn ich früher eine dicke Erkältung hatte, wurde ich ins Bett gesteckt. Dort blieb ich drei ewig lange Tage – früher gab es ja noch kein Frühstücksfernsehen – und dann durfte ich wieder raus. Nachts kriegte ich heiße Wickel um den Brustkorb gelegt. Fieber wurde noch im Po gemessen, und Mama war gleichzeitig Nacht- und Oberschwester, Arzt und Vorleserin. Direkt nach Schulschluss musste mir meine beste Freundin alles erzählen, was passiert war – natürlich per Telefon. Nach der rund einstündigen Schilderung übernahm Mama den Hörer, um sich zu erkundigen, was wir denn an Hausaufgaben aufhätten und was ich dann prompt erledigen sollte.

Heute sind wir nicht mehr erkältet, sondern haben einen grippalen Effekt. Wir diagnostizieren Halsweh, Kopfschmerzen oder auch bronchiale Krämpfe. Und immer, wenn wir gerade denken: Jetzt ist mir alles egal, jetzt lege ich mich ins Bett, bessert sich unser Zustand ganz leicht. Es geht uns noch nicht gut. Aber besser. Also schleppen wir uns zur Arbeit und niesen dort so, dass wir nicht zu genießen sind.

Der Unterschied zu unseren Altersgenossinnen mit Kind besteht darin: Die können einfach nicht krank werden. Also können natürlich schon. Wer soll den Nachwuchs vom Kindergarten, von der Schule oder vom Geigenunterricht abholen, wenn Mama im Bett liegt? Wer kümmert sich dann um die Nahrungsaufnahme? Ich habe Sabine geraten, jetzt während der Schwangerschaft noch mal so richtig zu leiden. Sie soll sich im Bett wälzen und tonnenweise Zeitschriften, Vitaminsäfte und Mitleid einfordern. Später wird sie dazu eh keine Zeit mehr haben.

Wir anderen Frauen, diese obskure 30er-Zonen-Mischung, hätten ja eigentlich Zeit für eine ordentliche Krankheit. Wir sind nur oft zu pflichtbewusst dafür. Stattdessen konzentrieren wir uns mit aller Kraft darauf, anfliegende Symptome nicht zu verpassen. Sehr beliebt neben Erkältungen ist auch die Blasenentzündung. Nicht die richtige fette Entzündung. Nein, eher dieses Gefühl, diese Panikaufwallung: Ich kriege eine Blasenentzündung. Dieses leichte Brennen, nach dem jede Frau erst mal anderthalb Liter Flüssigkeit herunterkippt.

Verdächtig sind auch gerne die Knochen. Die Hüfte, die so komisch knackt, wenn der Stepper seitlich bestiegen wird, um die äußere Oberschenkelmuskulatur zu straffen. Natürlich ist das eine gänzlich körperfremde Bewegung. Aber trotzdem horchen wir bei dem Geräusch genau hin.

Hinhorchen müssen wir sowieso immer öfter. Nuscheln die Menschen heutzutage mehr oder sind all die Bässe unserer Disconächte doch nicht so ganz schadlos an unserem Trommelfell vorbeigehämmert? »Schlecht hören kann sie gut«, hat Papa früher schon gerne behauptet. So langsam bewahrheitet sich der Satz. Wir brauchen noch kein Granufink, keine neue Hüfte und auch kein Hörgerät. Aber wir haben eine ganz dunkle Ahnung, dass es eines Tages so sein könnte. Und das fühlt sich nicht gut an.

Was uns aber richtige Sorgen bereitet, sind die kleinen Aussetzer ohne Erklärung. Diese ganzen Malessen, die einfach psychosomatisch sind. Ist es besser, Hitzewellen und Schweißausbrüche zu bekommen, weil man in den Wechseljahren ist, einen Gen-Defekt hat oder weil man psychisch ein bis zwei Schritte neben sich steht? Das Ergebnis – fieser kalter Schweißgeruch – ist ja doch das gleiche. Natürlich ist es beruhigend zu hören, dass kein böser Tumor der Grund für die heftigen Nacken- und Kopfschmerzen ist. Aber wirklich beruhigend ist die Diagnose: »Das ist psychosomatisch«, auch nicht. Vor allem ist es nicht schmerzlindernd.

Ich habe keine Depressionen mit dem Vorwort »Wochenbett«. Ich habe sie einfach so. Pur und ohne Schnörkel. Einfach abgrundtief und tieftraurig. Und manchmal stehe ich dann am Fenster, hauche die Scheibe an und male ein Herz in den Nebel. Das Herz verschwindet sofort wieder, das Gefühl bleibt. Dagegen hilft nur eines: Reden.

Frauen zwischen Stimmungshoch und Cellulitetief...

Wir sind jetzt 30 und kein bisschen weise. Alt genug und doch nicht alt. Und noch immer sind wir uns nicht schlüssig: Sind wir es, die unser Leben aufrollen, oder sind es die Ereignisse, die uns überrollen? Vielleicht sind wir ja auch völlig von der Rolle, kurz: Wir sind in der 30er Zone und wollen alles – nicht sofort, aber für immer. Es sind nicht die großen Probleme, die uns bewegen. Die sind schnell gelöst. Es sind die täglichen Momente, die bewältigt werden wollen – diese Sonntage, diese Samstage und die Zeit dazwischen. 

Dieses Buch ist kein Ratgeber! Auch keine Bedienungsanleitung, und erst recht keine Gesellschaftsstudie. Für Frauen ist es dieses »Ach ja!«. Für Männer dieses »Ach so!«... 

Sabine drückt die Zigarette schwungvoll aus. Vier Züge wären noch dran gewesen. Mindestens. »Das hat doch so keinen Sinn. Ich rauche einfach gar nicht mehr. Ich höre ganz auf. Das kann auch nicht schwieriger sein, als sich auf drei Kippen pro Tag zu beschränken.«

Ich nicke und inhaliere tief. Fast berühren sich die Innenseiten meiner Wangen. Ich hab’s geahnt. Sabine ist nicht nur plötzlich Ehefrau und noch plötzlicher schwanger. Sie ist jetzt auch anders als ich. Sie führt ein neues Leben. Damals, als sie Martin kennen lernte, haben wir uns geschworen, dass das – also er – an unserer Freundschaft nichts ändern würde. Wir haben dieses Versprechen beteuert, immer wieder. Als sie mit Martin zusammenzog, vor dem Standesamt, nach dem Standesamt und auch angesichts des rosa Punktes auf dem Teststreifen. Die Freundschaft hat sich vielleicht auch gar nicht geändert. Sabine hat sich geändert. Und ich bin gleichzeitig gönnerhaft, neidisch, mitleidig und misstrauisch. Ich drücke meine Kippe auch aus. Ich habe eh schon einen Zug zu viel genommen.

Mir ist so vieles fremd an dieser neuen Sabine. Sie hat eine feste Seite im Ehebett, muss einen Kreditantrag nicht mehr alleine unterschreiben. Sie wird sich bald über Angebote für »Mini-Gruppen« freuen und im TUI-Katalog unter »k« wie »kinderfreundlich« gucken. Bald wird sie wissen, wie es sich anfühlt, wenn sich sonntags früh um sieben zwei Fingerchen in ihre Augen bohren und eine Stimme wissen will »bistduschonwach?« Und wenn sie dann auf dem Weg in die Küche ist, werde ich wahrscheinlich auf dem Heimweg sein. Wir werden beide sehen, wie der Morgen langsam graut – und mir graut Fürchterliches. Sabine wird eine von den Dreier-Frauen sein. Sie ist erstens Ehefrau, wird zweitens Mutter und drittens irgendwann wieder berufstätig sein. Und wenn nicht, wird sie sich als Klassenpflegschaftsvorsitzende verdingen.

Und ich? Ich werde weiterhin nur mitten in der 30er-Zone stehen. Mitte 30, ohne Mann (ohne festen zumindest), ohne Kind, ohne Kombi. Weder als Auto noch als Kostüm.

Ich stecke mir schnell wieder eine Zigarette an, als könne Sabines Entschluss ansteckend sein. Ich sehe mich neben ihr auf einer Bank am Rande eines Spielplatzes sitzen. Ich werde genau wie die kleinen Mädchen im Sandkasten eine rosa Spange im Haar haben, werde ein bauchfreies Shirt tragen, weil da keine Dehnungsstreifen sind, und ich werde unter der Jeans schon Krampfadern haben. Ich werde eine bunte Mischung sein. Vielleicht auch eine lustige.

Sabine verabschiedet sich. Sie muss noch zu Prenatal oder zur Post. Ich hab’s vergessen. »Rauch nicht so viel, Frederieke«, mahnt sie noch und schiebt ihren Bauchansatz zur Tür. Ich sinke wieder auf den Küchenstuhl, trinke den Rest des koffeinfreien Kaffees, den ich extra für sie gebraut habe, und fühle mich wie ein Mädchen in der Menopause. Zwischen Pubertät und PMS.

Aber ich weiß, dass ich kein Unikat bin. Es gibt viele von uns. Frauen, die mitten in der 30er-Zone stehen. In unseren Regalen steht das alte Poesiealbum direkt neben der Pflegeversicherungspolice. In unserem Schrank stehen noch alte Märchenplatten aus Vinyl, auf dem Schreibtisch ein Laptop mit DVD-Laufwerk. Wir tragen abwechselnd Bauch-weg-Slips und Schlüpfer mit Mickey-Mouse-Aufdruck. Wir fühlen uns noch feucht hinter den Ohren und neigen schon zu Wasser im Knie. Ich sehe überall welche von uns. Beim Aerobic, im Büro, beim Einkaufen und auf der Straße. Dort sind wir besonders leicht zu erkennen.

Autos

Wir sind die, die einen klassischen Zweitwagen als Erstwagen fahren. Wir fahren Pandas oder Marbellas, Puntos oder Twingos. Natürlich könnten wir uns größere, schnellere, teurere Autos leisten. Eins, das sogar hinten Aschenbecher hat, vielleicht sogar Kopfstützen. Sabine ist gerade mit so einem weggefahren. Seit sie schwanger ist, bekommt sie Martins Auto. Das hat mehr Knautschzone. Sabine hat locker hinten die Tür geöffnet. Jacke und Tasche auf die Rückbank geschleudert und ist fröhlich vorne eingestiegen. Mein Auto hat hinten noch nicht mal Sicherheitsgurte, geschweige denn Türen. Natürlich könnten auch wir kind- und mannlosen Frauen ein Auto fahren, das nicht nur einen Shopping-Bag im Kofferraum, sondern auch einen Airbag im Fahrerraum hat. Wir haben aber keine Lust, so viel Geld für ein Fortbewegungsmittel auszugeben, das uns schließlich nur von A nach B, manchmal auch via C, bringen soll.

Natürlich haben wir die Kaufsumme auch nicht unter dem Kopfkissen liegen. Wir haben unser Geld auf einem Girokonto oder gar Sparbuch. Ein neues Auto müssten wir leasen oder per Kredit abzahlen. Was aber ist günstiger? Wo ist Geld billiger? Was ist genau effektiver Jahreszins? Unsere Gegenspieler, die kind- und ehelosen Männer um die 30, kennen die Antworten darauf. Oder sie tun so. Sie fahren nicht mit einem alten Fiat oder einem riesigen Taunus durch die Gegend. Sie haben Autos, die wirklich als Wagen gelten. Ich hingegen stehe am Fenster und sehe meinen Clio im Halteverbot oder gar absoluten Halteverbot – was genau war noch mal der Unterschied? – vor der Tür warten. Ich mag ihn richtig. Das würde kein Mann über sein Auto sagen. Dafür haben Männer Angst. Panik vor einer Beule. Die kennen wir Frauen nicht. Wenn es beim Zurücksetzen so ein fieses, knirschendes Geräusch gibt und uns der Poller einfällt, der da zumindest vorhin noch stand, steigen wir im Zweifelsfall noch nicht mal aus. Warum auch? Wie so eine Beule aussieht, können wir uns auch so hervorragend vorstellen. Wird die Beule hübscher, wenn ich transpirierend und mit hektischen roten Flecken am Hals davor stehe und bekümmert gucke? Nein.

Irgendwann gucken zwar auch wir Frauen uns diese Beule mal an. Und natürlich ärgern wir uns auch ein bisschen. Aber wir ändern nichts. Wenn der Poller wenigstens auf uns zugekommen wäre! Dann würden wir natürlich stehenden Fußes die Versicherung benachrichtigen, den Poller anzeigen, 400 Euro einsacken, für 10,95 Euro eine Farbspraydose kaufen und den Rest anderweitig ausgeben. So aber nicken wir nur, wenn uns wieder jemand droht: Das fängt an zu rosten. Natürlich fängt das an zu rosten. Das wissen wir auch. Aber: Ändert das an der Fahrtüchtigkeit eines dreizehn Jahre alten Clios irgendetwas?

Diese Nachlässigkeit setzt sich auch im Inneren des Fortbewegungsmittels fort. Zweifelsohne wäre es schön, ein Radio zu haben, das länger als eine Stunde den Sender halten kann. Klar würde es uns freuen, wenn das Kassettenteil schneller spulen als abspielen könnte. Natürlich erschrecke ich mich jedes Mal, wenn plötzlich die Verkehrsnachrichten in ohrenbetäubender Lautstärke ertönen, weil der senile Clio-Vorbesitzer das so eingestellt hat. Aber wir arrangieren uns. Die Alternative wäre, irgendjemanden zu fragen, der sich damit auskennt. Mir fallen viele ein. Alles Männer. Ich könnte Stefan fragen, der wohnt in der Wohnung unter mir und grüßt im Treppenhaus immer so nett. Dann müsste ich nutzlos daneben stehen, während Stefan bis zur Schulter mit seinem Arm in der Mittelkonsole verschwindet. Wahrscheinlich müsste ich erleben, wie Stefan es schafft, eine Sicherung durchbrennen zu lassen, die sich die vergangenen acht Jahre nicht gerührt hat. Dann wird nichts mehr gehen. Nicht mal der Verkehrsfunk. Und weil ich mich mit einem gänzlich stummen Radio gar nicht arrangieren kann, müsste ich zum Autofachhandel fahren und dort wieder dumm rumstehen. Und während ich Stefan wahrscheinlich noch mit einer Tasse Kaffee und geheucheltem Interesse für seine obskuren Hobbys bezahlen könnte, will der Autofachhändler Bares sehen. Nein danke.

Ich mag mein Auto, auch wenn mir die Staus entgegengebrüllt werden. Mein Wägelchen hat nämlich auch süße Eigenschaften. In ihm finde ich noch Hustenbonbons von 1988, Autokarten, auf denen es die DDR noch gibt, schöne glatte Steine vom letzten Elba-Urlaub (als Sabine noch unverheiratet und unschwanger war), und unter den Fußmatten findet sich im Zweifelsfall genug Tabak, um noch eine Zigarette zu drehen. Und wenn ich wirklich mal dringend Bares brauche, könnte ich einfach den leeren Kasten Sprudel wegbringen, der seit Monaten im Kofferraum scheppert. Doch das Schönste an meinem Auto sind die Kassetten. Sie sind fast ein akustisches Tagebuch vom »Sommer 2001« bis zu den »Sad Songs« aus dem vergangenen Jahr. So klingt das Leben!

Musik

Vor ein paar Tagen habe ich Sabine beim Musik hören überrascht. Ich dachte erst, ihre Waschmaschine sei kaputt, doch die Geräusche kamen eindeutig aus den Musikboxen. Sie wolle nur noch eben ihre Schwangerschafts-Entspannungs-CD zu Ende hören, hatte sie gesagt. Ich glaube, wenn ihr Embryo bei der Musik entspannt, braucht es später zum Einschlafen eine laufende Bohrmaschine. Sabine lauschte entzückt der Kombination aus Walfischbalzrufen und Alphornklängen. Und dabei hat Sabine Musik mal geliebt. Wir haben uns gemeinsam durch alles getanzt und gesungen. Halt gemacht haben wir nur vor Songs, die bei der Vorauswahl zum Grand-Prix-d’Eurovision laufen. Sabine ist eindeutig auf der musikalischen Strecke geblieben, aber ich werde weiter mitsingen bei »I will survive« oder »Im Wagen vor mir fährt ein junges Mädchen«. Ich fühle mich alt genug, um in der »Moldau« zu schwelgen, und jung genug, um mich mit »Sexbomb« angesprochen zu fühlen.

Allerdings – ein bisschen neidisch bin ich. Sabines Walfischgegröhle kam nämlich über Eins-a-Boxen ins Wohnzimmer.

Ihr Ehemann hat eine super Anlage mit in die Ehe eingebracht. Frauen wie ich haben immer nur eine klitzekleine Kompaktanlage von Tchibo oder ein raumgreifendes compositum mixtum. Mein Mixtum setzt sich zusammen aus einem alten Verstärker von Papa, einem Secondhand-Plattenspieler und einem CD-Spieler vom Geiz-Markt. Die Verbindung dieser Geräte gleicht einem gordischen Knoten und endet in einem überforderten Dreifachstecker. Krönender Abschluss meiner Stereoanlage (sagt man das überhaupt noch?) sind Lautsprecher, die leistungsschwächer sind als das, was Männer gemeinhin in ihren Autotüren oder Radioweckern haben.

Meinen Musikgenuss hindert das allerdings nicht im Geringsten. Und wenn ich aus Lust oder Frust mal wieder in die Badewanne flüchte, drehe ich die Lautsprecher einfach so laut, dass auch im Bad der Text noch zu verstehen ist. Text ist nun mal wichtig. Schließlich geht es uns bei Musik nicht so sehr um Klang, sondern um Stimme und Stimmung. Und wenn es sein muss, wird noch mal die Single »Seasons in the sun« rausgekramt. Die hört sich mittlerweile zwar definitiv so an, als würde Terry Jacks nicht nur am, sondern auch im Lagerfeuer sitzen, aber das ist unwichtig. Dieses Kribbeln im Bauch gibt es nur mit Kratzern auf Vinyl.

Neben meinen alten Platten mag ich auch die ganzen Kassetten. Die sind Fingerabdruck und DNA-Analyse in einem. Sie verraten mehr als Augen, Zeugnisse oder Schwangerschaftstests. Das fängt mit Titeln wie »Puschelrock« an und ist bei »Depress yourself« noch nicht zu Ende. Folgen Songs wie »Wish you were here« und »Against all odds« oder gar »Missing you« aufeinander, denke ich sofort wieder an diesen blonden Typen; dessen Name mir jetzt nicht einfällt oder den ich vielleicht auch noch nie wusste. Ganz, ganz alte Kassetten zeichnen sich dadurch aus, dass entweder mal Sandock dazwischenquatscht oder eine Stauschau à la »Achtung, auf der A 45 kommt Ihnen zwischen Siegen und Siegen-Eisern« mitten in »Urgent« erklingt. Wann immer »Urgent« irgendwo in der Disco oder Kneipe läuft, warte ich richtig auf die Warnung.

Natürlich ist die Tonqualität der Bänder nicht berauschend, eher nur rauschend. Aber ich könnte mich niemals von ihnen trennen. Schließlich sind sie auch der Soundtrack zu den letzten 17 Urlauben.

Urlaub

Es ist erst ein paar Monate her, da lag ich noch mit einer gänzlich unbefruchteten Sabine und Mona, einer weiteren Uralt-Freundin, am Strand. Und neben uns lagen diese anderen Frauen. Die, mit denen wir vielleicht das Geburtsjahr, aber sonst so gar nichts gemein haben. Sie hatten wirklich alles dabei: den Sonnenschirm, die Kühlbox, eine Luftmatratze (samt Einhakband, mit dem die Matratze zum Sitz umgebaut werden kann), das Strandspiel, den Zweitbikini. Meist auch einen Mann, manchmal auch ein Kind.

Wir 30er-Zone-Frauen haben ein Handtuch und Sonnencreme dabei. Und eben eine Freundin. Manchmal ist auch ein Mann im Gepäck, aber den kennen wir höchstens seit zwölf Stunden und/oder fünf Bier. Natürlich waren Sabine, Mona und ich irgendwann neidisch auf unsere Nachbarinnen. Nach einer Stunde in der prallen Sonne hätten wir auch gerne einen Schatten spendenden Schirm gehabt, nach einer weiteren Stunde sehnten wir uns nach einer Sitzgelegenheit.

Unsereins geht dann eben an die Bar, wo wir im Schatten sitzen und es Bier Nummer sechs bis sieben gibt. Die Familien-Frauen machen so etwas nicht. Die trinken Fruchtsaftgetränke aus der mitgeschleppten Kühlbox und suchen die Strandbar höchstens auf, um einige heiße Blicke mit Petro oder auch Stavros und auf der Toilette den Bikini zu wechseln.

Stopp. Es gibt doch noch eine Gemeinsamkeit zwischen denen und uns: die Cellulitis. Nur auf unsere hat niemand so geschaut. Wir lagen nämlich oben ohne im Sand. Natürlich sind wir nicht ohne Bikini-Oberteil schwimmen gegangen. Das macht keine Frau. Bräunen ohne den Stofffetzen ist okay, schwimmen definitiv nicht.