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Vorwort des Herausgebers

»Thomas Wolfe war der überragende Autor seiner Generation.«

William Faulkner

 

»Schau heimwärts, Engel!«, ist ein – aus heutiger Sicht betrachtet – zutiefst amerikanischer Roman. Zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung wurde das Meisterwerk, pendelnd zwischen drängender, überquellender Sprachlust und Schwermut, in den USA jedoch zunächst weniger enthusiastisch aufgenommen als in Europa, insbesondere in Deutschland. Viel trug dazu der expressionistische Dichter Hans Schiebelhuth (1895–1944) bei, der Wolfes erste Romane kongenial ins Deutsche übersetzte. (Es ist die in diesem eBook verwendete Übersetzung).

Für viele wurde es zum Kultbuch, sozusagen der natürliche Vorgänger des »Fänger im Roggen« – das mit seinem schlanken, spartanischen Stil machmal wie ein Gegenentwurf gegen den mächtigen Vorläufer klingt.

Die Handlung: Es ist alles andere als eine heile Welt, in die der Romanheld Eugene Gant hineingeboren wird. Sein Vater ein unberechenbarer Alkoholiker, die Mutter eine oft lieblose, kleinmütige Krämerseele. Das Elternhaus ist kein behütender Ort, sondern zeitweilen eine psychologische Folterstätte, in der sich zwischenmenschliche Dramen abspielen. Trotz oder gerade deswegen bringt der junge Gant, der Schriftsteller werden möchte, einen unbändigen Tatendrang mit, und startet voller Elan den Querfeldeinlauf durch Leben.

»Schau heimwärts, Engel!« ist gleichzeitig ein Entwicklungsroman wie eine Sinnsuche. Eine Suche nach Orientierung im »ewigen Strom des Lebens«, wie der Autor es nannte. Im Zentrum steht weniger das pure Handlungsgeschehen, als die Interaktion des Protagonisten damit. Seine Reaktion, Reflexion mit der Welt, seine Deformation durch die Welt. Mächtige Nachfolger wie ›Ulysses‹ oder ›Auf der Suche nach der verloreneren Zeit‹, haben dieses Muster adaptiert.

»Schau heimwärts, Engel« liest sich zeitweise wie eine Abrechnung mit dem scheinheiligen ›American Way of Life‹ seiner Familie. Aus einer drei Generationen überspannenden Chronik erwächst ein faszinierendes Sittenbild der Vereinigten Staaten, eine Art Psycho-Analyse des Landes. Aber nicht zuletzt auch ein Loblied auf dessen ungebrochene Vitalität.

Der 1929 erstmals veröffentlichte Roman des damals 29-jährigen Thomas Wolfe war ein Fanal, ein »Urknall«, wie der Rezensent Stefan Zweifel in der ZEIT schreibt. Wolfe schrieb sich die Wut von der Seele, in einer »sich aufwölbenden, lavaartigen Sprache«, wie man sie bis dahin wohl noch nicht gehört hatte. Das Buch, so Zweifel, wurde zur »Bibel aller Pubertierenden«[1], die sich der Welt bemächtigen wollen.

© Redaktion eClassica

 

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Über den Autor:

Thomas Wolfe (1900–1983) wurde als letztes von acht Kindern in Asheville, North Carolina, als Sohn einer irisch-schottischen Mutter und eines pennsylvaniadeutschen Steinmetzes geboren. Er studierte an der University of North Carolina, und später an der Harvard University. Von 1924 bis 1929 war er Dozent für amerikanische Literatur an der Universität New York, was er jedoch aufgab, um sich ganz dem Schreiben zu widmen.

Anfangs heftig umstritten, fand Wolfe erst kurz vor seinem Tod in den USA Anerkennung, während die Rezeption in Deutschland schon zu Anfang der 30er Jahre enthusiastisch war. Nur seine ersten beiden Romane erschienen zu seinen Lebzeiten (›Look Homeward, Angel!‹ I929, und ›Of Time and the River‹ 1935). Aus dem Nachlass wurden später weitere Werke veröffentlicht.

Wolfes unersättlichem Hunger nach Neuem, gepaart mit einem ekstatischem Arbeitstrieb, wurde ein vorschnelles Ende gesetzt. Er starb 1938 an Tuberkulose und wurde in seiner Heimatstadt Asheville im Familiengrab beigesetzt. Literatur-Nobelpreisträger Sinclair Lewis sagte über ihn: (Sein) Roman ›Look Homeward, Angel!‹ (kann) an die Seite unserer besten Literaturwerke gestellt werden ..., eine kolossalische Schöpfung von tiefer Lebenslust.

© Redaktion eClassica, 2015

 

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Anmerkungen:

[1] zitiert nach Zweifel, siehe unten

 

Verwendete Quellen:

• Stefan Zweifel, Rezension in: DIE ZEIT, 26. November 2009

• Der große Brockhaus Literatur, Wiesbaden 2002

 


Widmung

 

»Einst war die Erde wahrscheinlich ein weißglühender Ball wie die Sonne«

Tarr & McMurry*

 

 

Für A. B.**

»Then, as all my souls be

Emparadised in you – in whom alone

    I understand, and grow, and see –

    The rafters of my body, bone,

Being still with you, the muscle, sinew, and vein

          Which tile this house, will come again ...«

(Strophe fünf von John Donnes

›A Valediction: Of My Name in the Window‹)

 

* Frank Morton McMurry & Ralph Stockman Tarr in einem gemeinsamen Werk

** Aline Bernstein (1881–1955), Wolfes Geliebte und Vertraute

 


An den Leser

Dies ist ein Erstlingsbuch, und der Verfasser beschreibt darin ein Geschehen, das, fremd und fern nun, einst seines eignen Lebens Anteil war. Sollte aus diesem Grund ein Leser behaupten, dies Buch sei autobiographisch, dann hat der Verfasser nichts zu entgegnen: – ihm scheint, daß alle ernsthafte Romanliteratur autobiographisch ist, daß man sich zum Beispiel schwerlich ein autobiographischeres Buch als »Gullivers Reisen« vorstellen kann.

Diese kleine Vorrede jedoch richtet sich hauptsächlich an die Personen, die der Verfasser in der hier abgehandelten Zeit gekannt hat. Ihnen möchte er etwas bestätigen, was sie, wie er glaubt, bereits erkannt haben: Dieses Buch wurde in Unschuld und in der Nacktheit des Geistes geschrieben, und des Verfassers Hauptbestreben galt einer fülligen, lebendigen, intensiven Darstellung. Nun, da die Arbeit veröffentlicht wird, besteht der Verfasser darauf, daß dies Buch ein schöpferisches Werk ist, und daß es ihm fernlag, irgend jemanden zu porträtieren.

Aber wir sind die Summe aller Augenblicke unsrer Leben; alles, was unser ist, ist in ihnen; wir können dies nicht verbergen oder verhehlen. Wenn der Verfasser den Rohstoff des Lebens zu seinem Buch benutzte, so benutzte er nur, was niemand zu benutzen umhin kann. Die Romanschriftstellerei befaßt sich nicht mit Tatsachen schlechthin, sondern mit deren Auswahl, ihrer geistigen Verarbeitung und ihrer zweckvollen Einordnung. Dr. Johnson bemerkte, daß jemand eine halbe Bibliothek umblättern könne, um ein einziges Buch zu schreiben: so mag ein Schriftsteller die Hälfte aller Leute in einer Stadt »umblättern«, um eine Person für seinen Roman zu gestalten. Dies freilich ist nicht die ganze Methode, aber der Verfasser glaubt, daß es die ganze Methode veranschaulicht – in einem Buch, das aus einer mittleren Distanz zu den Dingen geschrieben wurde und ohne Groll oder bittre Absicht ist.