7Horse 111
Adams, John 14
Ahmad Jamal Trio 103, 104, 106
Altman, Robert 115
American Bandstand 91
Anders, Allison 24
Anderson, Wes 7
Bach, Johann Sebastian 14, 31, 35
Beach Boys, The 110
Beatles, The 24
Belfort, Jordan 11, 67, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 110, 111, 112, 114, 116
Berlioz, Hector 61
Bernstein, Elmer 15, 19, 20
Blues, The (TV-Serie) 19
Brecht, Bertolt 56
Bremer, Arthur Herman 76
Brooks, Xan 11
Browne, Jackson 90, 92
Burnett, Charles 43, 45
Cage, John 39, 115
Can’t Help Falling In Love 105
Carmichael, Hoagy 35
Carré, Michel 61
Casucci, Leonello
Charles, Ray 34, 46
Clapton, Eric 13
Conti, Bill 97
Cooke, Mervyn 15, 17
Coppola, Francis Ford
Cream 13, 22
Crowe, Cameron 16, 115
Cypress Hill 100
Day-Lewis, Daniel 52
Delerue, George 14, 35
De Nerval, Gérard 61
De Niro, Robert 36, 49, 70
Devo 104
DiCaprio, Leonardo 95
Diddley, Bo 104, 106
Donizetti, Gaetano 67
Dylan, Bob 9
Ellington, Duke 39
Evans, Gil 33, 46
FAMILY MATTERS 106
Feldman, Morton 14, 22
Foley, James 103
Foo Fighters 105
Ford, John 76
Forster, Marc
Foster, Jodie 78
Foundas, Scott 12
Friedkin, William
Godard, Jean-Luc 7, 23, 35
Goethe, Johann Wolfgang 61
Goldfinger 105
Goodman, Benny 24
Gounod, Charles 52, 59
Hackford, Taylor 46
HAIL HAIL ROCK’N’ROLL 46
Harris, Leonard 78
Harrison, George 8, 9
Herrmann, Bernard 7, 19, 20, 70, 73, 74, 84, 86, 93
Hill, Jonah 101
Hitchcock, Alfred 7, 20, 86
Hooker, John Lee 103, 106
Howlin’ Wolf 13, 98, 104, 106
Inspecter 7
James, Elmore 13, 98, 106
Jeff Beck Group, The 23
Johnson, Robert 97
Karlin, Fred 21
Karp, Michael 97
Kaylor, Robert 31
Keitel, Harvey 78
Kelly, Gene
King, B. B. 13
Kristofferson, Kris 90, 91
Krupa, Gene 86
Kubrick, Stanley 7, 12, 57, 115
Ladder 49 47
Lamberts, Hendricks & Ross 113
La Motta, Jake 49, 62, 63, 64, 65, 66
Leoncavallo, Ruggero 62
Leone, Sergio 30
LIFESTYLES OF THE RICH AND FAMOUS 97
Lopate, Philip 23
Lumley, Joanna 113
Madden, Steve 100, 101, 113
Marshall, Ingram 14
Mascagni, Pietro 14, 25, 32, 50, 62, 63, 64, 65, 66
Masini, Alfred M. 97
McConaughey, Matthew 116
Me First and the Gimme Gimmes 110
Mingus, Charles 113
Minnelli, Vincente 30, 32
Morricone, Ennio 7
Morrison, Van 46
Musique 104
Naughty by Nature 112
Novak, Kim 86
Ophüls, Max 57
Outhere Brothers 111
Palma, Gene 86
Pasolini, Pier Paolo 7
Penderecki, Krzysztof 39
Pfeiffer, Michelle 52
Plastic Bertrand 114
POPEYE 106
Poster, Randall 16
Powell, Michael 30
Präexistente Musik 12, 13, 14, 15, 16, 17, 19, 21, 22, 23, 24, 26
Puccini, Giacomo 62
Purcell, Henry 14, 67, 101
Ray, Johnnie 43
Reed, Carol
Richter, Max 40
Rickie Lee Jones 34, 46
Rimskij-Korsakow, Nikolai 34
Risorgimento 57
Robbie, Margot 97
Robertson, Robbie 7, 18, 20, 99, 106, 115
Rolling Stones, The 13, 16, 17, 18, 22
Romeo Void 102
Ronettes, The 24
Rota, Nino 39
Ryder, Winona 54
Schoonmaker, Thelma 20
Schrader, Paul 76
Scorsese, Martin
Shapiro, Theodore 15, 95, 106
Shaw, Artie 39
Shepherd, Cybill 76
Shore, Howard 14, 15
Sirk, Douglas 57
Sir Mix-A-Lot 105
Soderbergh, Steven 43
Spector, Phil 22
Spielberg, Steven 7
Stars and Stripes Forever 104
Stone, Sharon 36
Strauss, Richard 34
Talking Heads 34, 46
Tarantino, Quentin 12, 115
The Band 29, 30, 34, 44, 46, 67
The Hawks 46
The Pretenders 34, 46
Toussaint, Allen 99
Tozzi, Umberto 114
Turteltaub, Jon 47
U2 15
Verdi, Giuseppe 58, 62
Verismo 50, 62, 63
Visconti, Luchino 30, 57, 58, 59, 62
Wallace, George 76
Washington, Dinah 36, 40, 41, 43
Waters, Muddy 13
Webb, Chick 86
Welles, Orson 57
Wharton, Edith 52, 61
Williams, John 7
Williams, Spencer
Wilson, Michael Henry 15
Winter, Terence 11
Wright, Rayburn 21
Zawinul, Joe 99
Martin Scorsese
FilmMusik
Herausgegeben von Guido Heldt, Tarek Krohn, Peter Moormann und Willem Strank
Martin Scorsese
Die Musikalität der Bilder
FilmMusik
Herausgegeben von Guido Heldt, Tarek Krohn,
Peter Moormann und Willem Strank
Martin Scorsese
Die Musikalität der Bilder
Print-ISBN 978-3-86916-359-8
E-ISBN 978-3-86916-420-5
Umschlaggestaltung: Thomas Scheer
Umschlagabbildung: Still aus TAXI DRIVER (USA 1976, Regie: Martin Scorsese),
Quelle: Blu-ray, Sony Pictures Home Entertainment 2011
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Vorwort
Jonathan Godsall
Präexistente Musik als Autorensignatur in den Filmen
Martin Scorseses
Robert Rabenalt
»This is addictive«
Robbie Robertson als Scorseses music supervisor
Ingo Lehmann
Vexierspiele durchs Opernglas
Die Spur der Oper und ihre Relevanz
in Martin Scorseses Spielfilmen
Eckhard Pabst
Alles in der Schwebe: TAXI DRIVER
Willem Strank
Sex, Drugs & Miscellaneous Styles
Musik in THE WOLF OF WALL STREET
Auswahlbibliografie
Autoren
Herausgeber
Register
Der Großteil der Literatur zum Thema Filmmusik widmet sich dem Korpus populärer Filmkomponisten, während nur selten der Einfluss von Produzenten oder Regisseuren auf die Musikauswahl thematisiert wird. Gelegentlich kristallisieren sich in der populären Wahrnehmung kongeniale Partnerschaften heraus – Hitchcock und Herrmann, Spielberg und Williams, Pasolini und Morricone –, welche signalisieren, dass auch im Sektor Filmmusik (wie überall beim Film) Teamwork, gemeinsame Entscheidungen und ein kreativer Prozess der Diskussion und Selektion die Produktion ermöglichen, aus dem oft willkürlich einzelne stilbildende Figuren herausgegriffen und als autonome Autoren gezeichnet werden. Diese Reduktionen sind wahrscheinlich notwendig, bilden sie doch erst die handhabbaren Korpora aus, die sich in stilistischen Gemeinsamkeiten und vergleichbaren Produktionsbedingungen niederschlagen und unterscheidbare Formen des Umgangs mit Filmmusik ausbilden. Auch unter den Regisseuren können einige Namen genannt werden, die aufgrund ihrer besonderen Beziehung zur Musik in ihren Filmen eine Sonderrolle einnehmen und sich den Ruf nicht nur filmischer, sondern auch filmmusikalischer Autoren erworben haben – etwa Jean-Luc Godard, Stanley Kubrick, Wes Anderson oder, vielleicht mehr als alle anderen, Martin Scorsese.
Scorsese ist ein Einzelfall selbst unter diesen Sonderfällen wegen der Breite und Reichweite seines Werks: ein cineastischer Polystilist, der Genres vom Horrorfilm über den Sportfilm bis hin zu Mafia-Epos, Biopic und Dokumentarfilm bedient hat und Musik sowohl vor die Kamera gerückt hat als auch in vielfältiger Form extradiegetisch erklingen ließ. Ein Altmeister wie Bernard Herrmann komponierte seinen letzten Score für Scorsese (TAXI DRIVER, USA 1976), The Band ließ ihren letzten Auftritt von ihm filmisch verewigen (THE LAST WALTZ, USA 1978), und deren Gitarrist und Beinahe-Bandleader Robbie Robertson bewährte sich für ihn als musikalische Allzweckwaffe, welche die Kubrick-artige Kompilation präexistenter Konzertmusik (SHUTTER ISLAND, USA 2010) ebenso beherrschte wie die originale Komposition (THE COLOR OF MONEY, USA 1986) und das Songscoring (THE WOLF OF WALL STREET, USA 2013). Scorseses Musikdokumentationen reichen von den experimentellen und stilbildenden Montagen des Woodstock-Materials (1970) über die Begleitung mit Bedeutung aufgeladener Konzert-Events (SHINE A LIGHT, USA 2008) bis hin zu historisierenden Lehrfilmen (die THE BLUES -Serie, USA 2003; NO DIRECTION HOME, USA 2005; GEORGE HARRISON : LIVING IN THE MATERIAL WORLD, USA 2011) und weisen ebenjenen Pluralismus der filmischen Ausdrucksformen auf, der Scorsese auch in visueller Hinsicht zu einer Ikone werden ließ.
Dass die visuelle Seite der Filme jedoch von der Musik zu trennen ist, bezweifelt nicht nur der Titel unseres Bandes, der sich vielmehr das Ziel setzt, der »Musikalität der Bilder« in Filmen Martin Scorseses ebenso nachzuspüren wie den Gepflogenheiten seiner Komponisten und musical directors bzw. music supervisors. Die Diskussion eröffnet Jonathan Godsalls Artikel, welcher die spezifische Art der Nutzung präexistenter Musik des Regisseurs als dessen auktoriale Signatur ansieht. Robert Rabenalt beschäftigt sich mit der langjährigen Kollaboration zwischen Robbie Robertson und Martin Scorsese, während Ingo Lehmann der Affinitäten zur Oper im Werk Martin Scorseses nachspürt. Mit Eckhard Pabsts Beitrag zu Herrmanns TAXI DRIVER-Soundtrack und Willem Stranks Artikel zum Songscoring in THE WOLF OF WALL STREET finden sich überdies zwei Close Readings, welche den Umgang mit Musik und ihren vielfältigen Bedeutungen und Implikationen in zwei nicht nur filmmusikalisch sehr verschiedenen Scorsese-Filmen genau in den Blick nehmen.
»When I was young, popular music formed the soundtrack of my life«1, hat Martin Scorsese einmal geschrieben, und durch sein Œuvre zieht sich eben jene Faszination für die biografische Funktionalisierung von Musik, die Etablierung von Parallelen zwischen Kunst oder Popkultur und Menschenleben, welche sich in opulenten Songscoring-Experimenten von MEAN STREETS (USA 1973) bis THE WOLF OF WALL STREET (USA 2013) ebenso niederschlägt wie in den Grenzerkundungen von onstage und backstage in seinen Konzertfilmen. Die historische Aufarbeitung und zeitgenössische Inszenierung persönlicher musikalischer Favoriten von Bob Dylan über George Harrison und The Band bis hin zu den Rolling Stones ist Scorsese stets ein Anliegen gewesen – dem »soundtrack of [his] life« nachzuspüren und ihn Zeitzeugen gleichwie neuen Generationen zu vermitteln. Der Soundtrack von Scorseses Leben ist auch der Soundtrack des Lebens seiner Filmfiguren – realer wie fiktionaler – geworden, und dieser Band will einige der Fäden zwischen Musik und Leben, Fiktion und Wirklichkeit in Augen- und Ohrenschein nehmen.
Die Herausgeber, im Herbst 2014
1 Scorsese, Martin: »Preface«, in: Celluloid Jukebox. Popular Music and the Movies since the 50s, hrsg. von Jonathan Romney und Adrian Wooton, London 1995, S. 1.
Jonathan Godsall
In seiner Kritik von Martin Scorseses THE WOLF OF WALL STREET (USA 2013) beschreibt Xan Brooks den jüngsten Film des Regisseurs im Guardian als »eine stilistische Hommage, eine Kompilation wiederaufgelegter Greatest Hits, ein liebenswertes Stück Selbstplagiat«.1 Brooks und andere Kritiker haben auf Parallelen zu älteren Scorsese-Filmen hingewiesen, sowohl in Sachen der Geschichte – Jordan Belfort und sein »rasanter Ritt durch eine Abwärtsspirale von Hedonismus und Laster ohne Schuldgefühl« erinnert etwa an Henry Hill in GOODFELLAS (GOODFELLAS – DREI JAHRZEHNTE IN DER MAFIA, USA 1990)2 – als auch in stilistischer Hinsicht, indem z. B. auf die Verwendung von »Zeitlupe und Standbildern«3 oder eines »Voice-Over nach GOODFELLAS-Art«4 hingewiesen wird.
Aber in diesem Zusammenhang ist wenig über die Musik des Films gesagt worden, auch wenn Scott Foundas in Variety schreibt, dass ein »Vierfachalbum von klassischem Rock und Blues« auf dem Soundtrack dazu beiträgt, THE WOLF OF WALL STREET »in seinem Stil beinahe gezielt Scorsesisch« erscheinen zu lassen.5 Ich denke ebenfalls, dass die Verwendung von Musik in THE WOLF OF WALL STREET den Film so klar in Scorseses Werk verortet wie irgendein anderes seiner Attribute. In diesem Text versuche ich, das zu zeigen, indem ich Scorseses Umgang mit Musik durch sein Werk hindurch verfolge. Aber auch wenn die Verwendung von »klassischem Rock und Blues« ein Element darin ist (wie noch zu zeigen sein wird), betrachte ich es nicht als das zentrale. Ausschlaggebend ist vielmehr die Präsenz von präexistenter Musik an sich. Meine Kernbehauptung lautet daher, dass präexistente Musik und die besondere Art und Weise, wie sie eingesetzt wird, durchgängige und daher charakteristische Merkmale des Werkes von Scorsese sind und so einen Aspekt seiner ›auktorialen Signatur‹ bilden – und das gilt für ihn vielleicht mehr als für irgendeinen anderen Mainstream-Filmemacher.
Scorsese hat jedoch zwei Rivalen: Quentin Tarantino und Stanley Kubrick. Beide Regisseure sind in der akademischen Literatur weit mehr als Scorsese im Hinblick auf ihre Verwendung von – in erster Linie – präexistenter Musik hervorgehoben worden.6 Scorsese hat allerdings bis heute doppelt so viele Filme gemacht wie diese beiden Regisseure zusammen, und während Tarantinos ›akustischer Stil‹ sich noch zu ändern scheint (seine Verwendung originaler Songs in DJANGO UNCHAINED, USA 2012, ist für ihn neu) und der 1999 verstorbene Kubrick Zeit zur Entfaltung brauchte (seine Vorliebe für den auffälligen Einsatz präexistenter Musik tritt erst in seinem siebten Film DR. STRANGELOVE OR: HOW I LEARNED TO STOP WORRYING AND LOVE THE BOMB [DR. SELTSAM, ODER WIE ICH LERNTE, DIE BOMBE ZU LIEBEN, GB 1964] auf und wird erst ab 2001: A SPACE ODYSSEY [2001: ODYSSEE IM WELTRAUM, GB/USA 1968] ein fester Bestandteil seines Stils), ist der Stil Scorseses von Anfang an bemerkenswert konsistent gewesen.
In der Tat ist Eklektizismus die Autorensignatur der beiden anderen Regisseure, selbst wenn man sich nur auf die Verwendung von präexistenter Musik bezieht. Aber Scorseses stilistische Konsistenz bedeutet, dass man auch andere ›musikalische Signaturen‹ finden kann. Die Vorliebe für populäre Musik ist eine davon; nur eine Handvoll von Scorseses Filmen kommt ganz ohne diese aus, während die originale Musik in THE COLOR OF MONEY (DIE FARBE DES GELDES, USA 1986) ebenfalls Popularmusik selbst und nicht präexistente Musik als auktoriales Merkmal ins Spiel bringt. Noch genauer sind es bestimmte populäre Stile und Musiker, die von Film zu Film wiederkehren, insbesondere der »klassische Rock und Blues« von THE WOLF OF WALL STREET. In Sachen Blues (und bluesbasierter Musik) ist CASINO (USA 1995) der herausstechende Film: Während THE WOLF OF WALL STREET in seinen ersten Minuten Stücke von Elmore James und Howlin’ Wolf einsetzt und sein musikalisches Programm von dort aus erweitert,7 verwendet CASINO Musik u. a. von B. B. King, Muddy Waters, Eric Clapton, Cream und den Rolling Stones, die alle auch in anderen Scorsese-Filmen zu hören sind. Die Stones sind das vornehmlichste Objekt von Scorseses musikalischem Interesse, und mehrere ihrer Songs kommen in MEAN STREETS (HEXENKESSEL, USA 1973), GOODFELLAS, CASINO und THE DEPARTED (DEPARTED – UNTER FEINDEN, USA 2006) vor. Gimme Shelter erscheint in allen vier Filmen, und die Verwendung des Songs am Anfang von THE DEPARTED, zusammen mit einer homodiegetischen Voice-Over-Narration, bietet einen Moment offensichtlichen Selbstplagiats, das noch viel spezifischer ist als das in THE WOLF OF WALL STREET .
Natürlich ist nicht zu ignorieren, dass auch Eklektizismus ein Aspekt von Scorseses musikalischem Katalog ist. In den erwähnten Filmen kommt auch andere Musik vor: J. S. Bachs Matthäus-Passion und George Delerues orchestrales Thème de Camille (aus seiner Musik für Jean-Luc Godards LE MÉPRIS [DIE VERACHTUNG, F 1963]) sind Teil der musikalischen Palette von CASINO, während THE WOLF OF WALL STREET einen Ausschnitt aus Henry Purcells Arie »What power art thou« aus der Musik zu King Arthur für einen komischen Schlüsselmoment verwendet.8 Andere Scorsese-Filme werden entweder quantitativ oder qualitativ dominiert von nicht-populärer Musik: RAGING BULL (WIE EIN WILDER STIER, USA 1980) zum Beispiel stellt das »Intermezzo« aus Pietro Mascagnis Cavalleria Rusticana in den Vordergrund (und benutzt auch Stücke aus zwei anderen Mascagni -Opern9), während SHUTTER ISLAND (USA 2010) wegen seiner Verwendung von Musik des 20. und 21. Jahrhunderts, von Komponisten wie Ingram Marshall, John Adams und Morton Feldman, zu Recht als »Oase neuer Musik« bezeichnet worden ist.10
Die Verwendung präexistener Musik scheint also das allumfassende Merkmal zu sein, eher als die Vorliebe für eine bestimmte Art von Musik. Natürlich gibt es auch originale Musik bei Scorsese, nicht nur in THE COLOR OF MONEY. Der Komponist Howard Shore ist in der Tat in den letzten Jahren zu einem regelmäßigen Mitarbeiter an Scorseses Filmen geworden, mit Musik für GANGS OF NEW YORK (USA/D/I 2002), THE AVIATOR (AVIATOR, USA 2004), THE DEPARTED (DEPARTED – UNTER FEINDEN, USA 2006) und HUGO (HUGO CABRET, USA 2011), nachdem er bereits für AFTER HOURS (DIE ZEIT NACH MITTERNACHT, USA 1985) und BRINGING OUT THE DEAD (BRINGING OUT THE DEAD – NÄCHTE DER ERINNERUNG, USA 1999) geschrieben hatte, bevor Scorsese seine Musik für GANGS OF NEW YORK ablehnte. Dennoch, selbst die Filme Scorseses, die nicht ausschließlich präexistente Musik bringen, verwenden diese doch in auffälliger Weise (wenn auch in wechselnden Anteilen), während die wenigen Filme, die gar keine präexistente Musik nutzen – BOXCAR BERTHA (DIE FAUST DER REBELLEN, USA 1972), THE LAST TEMPTATION OF CHRIST (DIE LETZTE VERSUCHUNG CHRISTI, USA/KA 1988) und KUNDUN (USA 1997) – die Ausnahme sind. Darin, dass THE WOLF OF WALL STREET ausschließlich präexistente Musik verwendet (abgesehen von einigen kurzen Cues von Theodore Shapiro, die als Musik zu Pseudo-Werbeclips im Film zu hören sind), schreibt sich der Film in eine Liste ein, auf der bereits MEAN STREETS, RAGING BULL, GOODFELLAS und CASINO stehen. Elmer Bernsteins originale Musik für GANGS OF NEW YORK wurde durch das ersetzt, was der Komponist selbst eine »Scorsese-Musik« nannte11, nämlich eine Kompilation aus in erster Linie präexistenten Elementen (einige neu arrangiert und aufgenommen), in der selbst Howard Shores Beitrag nicht speziell für den Film geschrieben wurde, sondern aus einem bis dahin nicht aufgeführten Stück Konzertmusik namens Brooklyn Heights stammte.12
Auch mag signifikant sein, dass die Verwendung von originaler Musik – also von Musik, die nicht der hier vorgeschlagenen Autorensignatur entspricht – in einigen Filmen Scorseses offenbar auf externen Druck geschah. Der Regisseur deutet jedenfalls an, dass der Status von THE COLOR OF MONEY als ein kommerzieller Film die Produktion eines »angeschlossenen Albums«13 nach sich zog. Und es ist verführerisch, die Verwendung von U2s originalem Song The Hands That Built America im Abspann von GANGS OF NEW YORK – von Mervyn Cooke beschrieben als »ein gutes Beispiel für das stilistische und emotionale Schlingern, das resultiert, wenn ein moderner Popsong plötzlich den Abschluss eines Dramas bildet, das bemerkenswert ist für seinen achtsamen Umgang mit historischen Details«14 – ebenfalls als Wunsch des Filmstudios zu hören, gerade angesichts der gut dokumentierten Überziehung von Budget und Zeitplan des Films.15
Natürlich kann auch die Entscheidung für präexistente Musik in einem Film kommerziell motiviert sein. Angesichts von Scorseses musikalischem Eklektizismus im Allgemeinen und auch innerhalb einzelner Filme und angesichts seiner Vorliebe für ›alte‹ und obskure Musik scheint Kommerz jedoch keine vornehmliche Überlegung zu sein. Zwar zieht seine Musikauswahl Zuschauer (oder -hörer) an – das wird offenkundig in den Interviews, die MTV und der Hollywood Reporter mit Randall Poster, dem music supervisor von THE WOLF OF WALL STREET, geführt haben und die sich der Musikauswahl der Filme widmen (und damit zugleich Werbung für die Soundtrack-Alben machen) und zeigen, dass die musikalische Seite von Scorseses Filmen schon vor ihrem Kinostart Interesse erregen kann.16MEAN STREETS17MEAN STREETS18