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Vorspann

Band 85 – Das Licht von Terrania

Vorspann

Teil I – Wege im Wald

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Teil II – Große Rochade

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Teil III – Terranisches Lichterfest

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Teil IV – Ich wollte noch schreien, aber da war es zu spät

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Band 86 – Sternenkinder

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Band 87 – Rückkehr der Fantan

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Band 88 – Schläfer der Ewigkeit

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Band 89 – Tschato, der Panther

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Band 90 – Flucht ins Verderben

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Band 91 – Wächter der Verborgenen Welt

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Teil I

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Teil II

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Teil III

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Band 92 – Auroras Vermächtnis

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Band 93 – WELTENSAAT

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... T minus 22 ...

... T minus 21 ...

... T minus 20 ...

... T minus 19 ...

... T minus 18 ...

... T minus 17 ...

... T minus 16 ...

... T minus 15 ...

... T minus 14 ...

... T minus 13 ...

... T minus 12 ...

... T minus 11 ...

... T minus 10 ...

... T minus 9 ...

... T minus 8 ...

... T minus 7 ...

... T minus 6 ...

... T minus 5 ...

... T minus 4 ...

... T minus 3 ...

... T minus 2 ...

... T minus 1 ...

... T minus Null: Jetzt ...

Band 94 – Schergen der Allianz

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Band 95 – Im Fluss der Flammen

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Band 96 – Kampf um Derogwanien

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Seelensplitter

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Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Ende des Jahres 2037 halten die Arkoniden immer noch die Erde besetzt. Ein Ende der Herrschaft des Großen Imperiums ist nicht abzusehen, obwohl der Widerstand dagegen langsam wächst. Doch die Menschen sind technisch zu rückständig, als dass sie einen entscheidenden Schlag landen könnten.

Dann aber stoßen die Arkoniden auf die Spur einer Zivilisation, die am Rand des Sonnensystems existiert. Neben den Menschen gibt es weiteres intelligentes Leben – es fristet sein Dasein unter Bedingungen, die eigentlich lebensfeindlich sind.

Die neuen Erkenntnisse stellen den Konflikt zwischen Menschen und Arkoniden in einen neuen Zusammenhang: Die Erde scheint seit vielen tausend Jahren ein Spielball uralter Mächte zu sein, und der aktuelle Konflikt ist nur ein kleiner Teil einer großen kosmischen Ringens ...

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Band 85

 

Das Licht von Terrania

 

von Oliver Plaschka

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Im Juni 2036 stößt der Astronaut Perry Rhodan bei seinem Flug zum Mond auf ein havariertes Raumschiff der Arkoniden. Die Erkenntnis, dass die Menschheit nur eine von unzähligen intelligenten Spezies ist, schafft ein neues Bewusstsein. Die Gründung der Terranischen Union beendet die Spaltung in Nationen, ferne Welten rücken in greifbare Nähe. Eine beispiellose Ära des Friedens und Wohlstands scheint bevorzustehen.

Doch sie kommt zu einem jähen Ende, als das Große Imperium das irdische Sonnensystem besetzt. Die Erde wird zu einem Protektorat Arkons. Die Terranische Union beugt sich zum Schein den neuen Herrschern, während die Untergrundorganisation Free Earth den Kampf gegen die Besatzer aufnimmt.

Doch Ende Dezember des Jahres 2037 gelingt Fürsorger Satrak ein beispielloser Schlag gegen den irdischen Widerstand. Er nimmt Perry Rhodan gefangen. Und damit muss Administrator Adams zu einem ungewöhnlichen Mittel greifen, um Rhodan und seine Gefährten zu befreien: Er lädt die Besatzer zu einer Weihnachtsfeier ...

Teil I

Wege im Wald

 

 

1.

Satrak

 

Manchmal, dachte Satrak, spielte das Leben einem Streiche. Es versprach einem das eine und servierte einem das andere. Manchmal aber bekam man genau das, was man wollte. Fast war es so, wie mit verbundenen Augen ein Überraschungsmahl zu kosten, wie es auf Istrahir, seiner Heimat, zu bestimmten Anlässen Tradition war: Hatte man Glück, erwischte man eine köstliche Corobaknospe, dann wieder biss man in ein bitteres Kashirblatt.

Es war bezeichnend für sein Amt, überlegte der Fürsorger, dass er bis heute nicht recht wusste, was für ein Mahl die Imperatrice ihm bereitet hatte, als sie ihn nach Larsaf III beordert hatte. An manchen Tagen war ihm diese Welt zuwider: zu viel Unruhe, zu viel Schmutz, zu viel Ignoranz seitens der lärmenden, unberechenbaren Bewohner, der Menschen. Dann wieder liebte er die Aufgabe, sich um einen ganzen Planeten zu kümmern, ihn zu hegen und zu pflegen wie einen Illursetzling, in der Hoffnung, dass der junge Baum ihm eines Tages ein bisschen seiner Liebe zurückgeben würde. Ein guter Gärtner brauchte Geduld. Und vielleicht war Satrak auch einfach zu stolz, aufzugeben. Otia hatte ihm das manchmal vorgeworfen ...

Es ist ein schlechter Zeitpunkt, um an alte Niederlagen zu denken, ermahnte er sich. Das kam in letzter Zeit zu oft vor. Und wieso gerade jetzt?

Heute war ein ganz besonderer Tag – vielleicht der wichtigste in der Geschichte des Protektorats.

Liebevoll strich Satrak über eine junge Wergese. Die Blätter zogen sich zusammen und formten eine Art Hand, als wollten sie die Geste erwidern. Fast im selben Atemzug spürte er, wie sich sein Herzschlag beruhigte, seine Muskeln entspannten. Locker ringelte er seinen Greifschwanz um eine Wurzel. Manchmal meinte er, die Blätter wispern zu hören, doch nicht nur als Rauschen im Hauch der Ventilation, sondern in vernehmbaren Worten, leisen Liedern, die die Flechten und Ranken und Blüten ihm sangen, eine vielfarbige Symphonie.

Tatsächlich existierte eine subtile, biochemische Interaktion zwischen den pflanzlichen und nichtpflanzlichen Bewohnern von Istrahir, gesteuert von Botenstoffen in Sporen und Harzen, die direkt auf den Organismus einwirkten und ihren Widerhall in neuronalen Mustern und der Ausschüttung spezieller Hormone fanden. Es war beinahe eine Symbiose, die sich im Laufe der Jahrmillionen auf Istrahir entwickelt hatte. Jeder Istrahir war ein Teil davon, genau wie die Keskeren, die Panjier oder die anderen einheimischen Spezies. Die Aras, denen Satraks Vorfahren ihre Existenz verdankten, hatten dafür gesorgt, dass sie sich nahtlos in das Ökosystem des Großen Waldes einfügten.

Der Wald spendete ihm Ruhe und Zuversicht. Er schenkte ihm Kraft. Deshalb hatte er ihn pflanzen lassen, hier, in seinem Palast in Terrania. Natürlich war es nur eine Ahnung des Großen Waldes, ein von architektonischen und holografischen Tricks unterstütztes Abbild in den Hallen des Khasurn, der seinerseits dem arkonidischen Riesenlotos nachempfunden war. Die oberste Etage des Stiels, auf der der Blütenkelch thronte, durchmaß hundertfünfzig Meter und war großzügige fünfzehn Meter hoch, was den Bäumen zumindest für die ersten Monate genug Raum bot, ehe man sie umsiedeln musste. Und sie wuchsen stetig. Nicht mehr lange, und die ersten Wergesen und Aranash würden sich aus eigener Kraft auf die Suche nach einem weniger beengten Habitat machen. Besser, das geschah in geregelten Bahnen, denn so eine Baumwanderung konnte sonst leicht für ziemlich viel Unordnung sorgen.

»Fürsorger«, meldete sich Aito. Das semitransparente Abbild seiner persönlichen Assistentin erschien vor ihm im Wald. Es wurde ihm von seinem Komplantat direkt auf die Netzhaut projiziert. Für Satrak sah Aito aus wie eine Istrahir, großäugig, langschwänzig und braun bepelzt. In Wahrheit aber war sie eine Künstliche Intelligenz und ebenso wie der Wald nur ein Abbild des Originals, das in seiner Erinnerung fortlebte.

»Ja, Aito?« Das Komplantat hätte seine Befehle auch stumm interpretiert, aber solange niemand in der Nähe war, gestattete er sich manchmal zu vergessen, dass Aito nur ein Geist in der Positronik war. Aito seinerseits gestattete sich zu Gelegenheiten wie diesen den Luxus, ihre Projektion mit den Bewegungen seines Kopfs und seiner Augen abzugleichen. Der Effekt war, dass sie nicht bloß statisch sein Gesichtsfeld überlagerte, sondern tatsächlich an Ort und Stelle zu stehen schien und sogar hinter einem Baum verschwand, wenn der sie verdeckte. Das Einzige, was sie verriet, war ihre eigene leichte Lichtdurchlässigkeit. Satrak schätzte es nicht, wenn seine Assistentin zu echt wurde.

»Die Gefangenen sind nun bereit für das Verhör.«

»Ausgezeichnet.« Satraks Herz klopfte wieder schneller. Endlich war es so weit – der Augenblick, dem er so lange entgegengefiebert hatte, war da.

»Bring mir Perry Rhodan!«

»Sehr wohl, Fürsorger.«

Erwartungsvoll positionierte er sich auf dem zentralen Pfad, der durch seinen Wald führte. Automatisch zog er seinen Greifschwanz wieder an sich und nahm Haltung an. Dann hörte er unter dem Trommeln der Gushmantur und dem Quaken der Flugfrösche, wie sich in der Ferne eine Tür öffnete. Die positronisch gesteuerten Geräusche des Waldes verebbten, als ob seine Bewohner misstrauisch den Eindringling beäugten.

Aito breitete lächelnd die Arme aus.

Zwei junge Wergesen wichen ein paar Zentimeter beiseite, und eine mattgraue Medoeinheit, wie sie für den Transport von Schwerverletzten verwendet wurde, kam den Pfad entlanggeglitten. Darauf, von unsichtbaren Energiefeldern gefesselt, lag der Mann, der Satrak seit Wochen keine Ruhe mehr ließ. Den er erst für einen Mythos gehalten hatte, ehe er ihm in Vesogh, dem großen Aufforstungsprojekt des nordamerikanischen Kontinents, persönlich begegnet war ... und Rhodan ihm dort das Leben gerettet hatte. Rhodan hätte die Chance gehabt, den Fürsorger gefangen zu nehmen oder gar zu töten, doch er hatte ihn unversehrt ziehen lassen.

Spätestens seit dieser Begegnung war Satrak fasziniert von dem Mann, über den sich die Menschen so viele unglaubliche Geschichten erzählten. Der Fürsorger hatte sich an Rhodans Fersen geheftet, war seiner Spur über halb Larsaf III gefolgt, bis es ihm schließlich gelungen war, seiner habhaft zu werden. In der Eiswüste der sibirischen Tunguska-Region hatte er ihn gestellt – und nicht nur ihn, sondern auch seinen Vertrauten Reginald Bull und die tot geglaubte Kommandantin des arkonidischen Forschungskreuzers AETRON, die das Imperium verraten und sich auf ihre Seite geschlagen hatte: Thora da Zoltral. Sie alle waren nun in seiner Gewalt.

Der Hilfskreuzer NAS'TUR VII hatte die Gefangenen nach Terrania und in den Palast gebracht – selbstverständlich in aller Heimlichkeit. Seitdem waren vier Tage vergangen, während derer Satrak sich in Geduld geübt und die Gefangenen im künstlichen Koma in den Tiefen des Palasts versteckt hatte. Niemand durfte ahnen, was für eine wertvolle Fracht die NAS'TUR VII transportiert hatte, schon gar nicht Reekha Chetzkel und Koordinator Jemmico, seine beiden mächtigsten Rivalen auf Larsaf III.

Satrak war klar, dass er ein großes Risiko damit einging, die Imperatrice nicht umgehend von seinem Fang zu unterrichten, doch seine Neugierde war einfach zu groß. Zu häufig war er die letzten Wochen mit den immer gleichen Fragen konfrontiert worden: Was stand hinter der Eroberung des Systems durch das Große Imperium? Wollte die Imperatrice wirklich bloß eine weitere, unbedeutende Welt die Vorzüge der arkonidischen Kultur lehren? War es wirklich ein Zufall, dass das Imperium die letzten zehntausend Jahre immer wieder über dieses System gestolpert war? Und welche Rolle spielte Perry Rhodan dabei, der vor anderthalb Jahren als Erster den Kontakt zur Besatzung der AETRON hergestellt hatte und seitdem in den Geschichten, die die Menschen erzählten, vom Verräter zu ihrem Beschützer und Befreier avanciert war?

Der Zeitpunkt war da, Antwort auf diese Fragen zu erhalten. Wenn es nach ihm ging, dann gerne im Rahmen eines höflichen Gesprächs. Satrak fand keinen Gefallen an Gewalt, so wie Chetzkel das tat. Er wusste aber, wie man sie einsetzen musste, um wenn nötig seine Ziele zu erreichen – sonst hätte er es nicht so weit gebracht. Und wenn Rhodan ihm keine andere Wahl ließ ... würde er sie auch gegen ihn einsetzen.

Doch es gab vielfältige Wege, an Antworten zu kommen. Wege, von denen selbst Chetzkel, Jemmico oder Rhodan nichts ahnten.

»Weck ihn auf!«, befahl er Aito.

Die Medoeinheit injizierte Rhodan ein anregendes Mittel, das ihn aus seiner Betäubung weckte. Binnen weniger Sekunden flatterten die Lider des Gefangenen, dann zuckten seine Mundwinkel. Die Selbstbeherrschung des Menschen beeindruckte Satrak. Weder geriet er in Panik, noch versuchte er, um sich zu schlagen. Stattdessen spannte er nur kurz die Muskeln und spreizte überrascht die Finger, als er feststellte, dass er gefesselt war und nur einen leichten Overall trug. Dann runzelte er die Stirn, suchte nach der passenden Erinnerung, der Erklärung für seine Lage. Schließlich schlug er die graublauen Augen auf und schaute ihn unverwandt an. Den Wald um sie herum beachtete er gar nicht weiter.

»Satrak«, presste er über die noch tauben Lippen. In seiner Stimme lag keinerlei Überraschung.

»Ich bedaure, dass wir uns unter solchen Umständen wieder begegnen«, entschuldigte sich der Fürsorger. »Doch ich habe lange darauf gewartet, dass Sie mir einige Fragen beantworten – und darum sind Sie nun hier.«

»Was ist mit Reginald und Thora?«

»Ihre Gefährten befinden sich in derselben Situation wie Sie. Je nach Verlauf unseres Gesprächs werde ich sie entweder gleichfalls herholen lassen, oder sie werden unversehrt erwachen und ihren regulären Gang durch die Institutionen der imperialen Justiz antreten.«

Rhodan verzog missliebig den Mund. »Das ist kein gutes Angebot, Fürsorger. Wir wissen beide, zu welchem Urteil das Imperium kommen wird. Man wird uns hinrichten.«

»Sie unterschätzen die Flexibilität und den Gerechtigkeitssinn des Imperiums. Unsere Gewalten sind anders organisiert als die Ihren. Ich kann eine Menge für Sie tun, wenn Sie auch etwas für mich tun.«

»Ich fürchte, es wird schwer, einen brauchbaren Kompromiss zwischen unseren Positionen zu finden, Satrak. Sie kennen meine Meinung zur Präsenz des Imperiums auf unserer Welt. Lassen Sie uns in Frieden und kehren Sie auf Ihre Heimatwelt zurück! Wir brauchen Ihre sogenannte Hilfe nicht. Und was immer es ist, das Sie hier suchen, wir können Ihnen nicht dabei helfen.«

Da war sie wieder, die lästige Frage: Was immer Sie hier suchen ...

»Was ist es, das Sie suchen?«, drehte der Fürsorger den Spieß um.

»Wer sagt, dass ich etwas suche?«, entgegnete Rhodan.

»Ich bitte Sie.« Satrak klopfte mit seinem Schwanz tadelnd den Boden. Falls Rhodan die Geste irritierte, ließ er sich nichts anmerken. »Sie sind kreuz und quer durch Ihre Heimat gereist, offensichtlich auf den Spuren Ihrer eigenen Vergangenheit. Was wollten Sie in der Tunguska-Region?«

Rhodan deutete ein Schulterzucken an, insoweit ihm die Fesselfelder das gestatteten. »Dasselbe könnte ich Sie fragen. Immerhin habe ich Sie gehen lassen, als wir uns das letzte Mal trafen. Ehrlich gesagt bin ich von Ihrer Beharrlichkeit etwas enttäuscht – ich dachte, wir hätten uns alles gesagt.«

Satrak schaute Hilfe suchend zu Aito, die nach wie vor mit unbewegtem Gesicht neben der Medoeinheit stand. Rhodan folgte seinem Blick, konnte die Projektion der KI aber natürlich nicht sehen.

»Sie irritieren mich, Rhodan. Und ich schätze es nicht, irritiert zu werden.« Täuschte er sich, oder verkniff sich der Mensch bei diesen Worten ein Lächeln? »Glauben Sie, ich habe Ihnen nur zum Selbstzweck nachgestellt, oder um meine persönliche Neugierde zu befriedigen?« Unwillkürlich war er lauter geworden, als müsste er sich selbst von seinen Worten überzeugen. »Ich hätte deutlich weniger Probleme mit Ihrer Geheimniskrämerei, wenn mir Ihre Motive klarer wären. Ihre Leute halten Sie für einen Freiheitskämpfer, Rhodan. Sie selbst haben mir in Vesogh gesagt, Sie wollten Freiheit für die Menschen.«

»Die will ich nach wie vor.«

»Wieso unternehmen Sie dann nichts? Die Menschen würden Ihnen sofort folgen, gäben Sie Ihnen den Befehl.«

»Wer sagt, dass ich nichts unternehme?«, fragte Rhodan unschuldig. Diesmal gab es keinen Zweifel daran, dass ein spöttisches Lächeln seine Züge umspielte. »Ich fürchte aber, Sie überschätzen meine Autorität. Ich bin nur ein einfacher Astronaut, der zur richtigen Zeit am richtigen Ort war.« Er verdrehte vielsagend die Augen und versuchte, mit dem Kinn die Richtung anzudeuten. »Der Administrator wohnt einen Turm weiter.«

Satrak prustete entrüstet. Der Gefangene hatte also erraten, dass er sich in Terrania befand, trotz des künstlich angelegten Walds.

»Lassen Sie sich das nicht zu Kopf steigen«, warnte er Rhodan. »Ich habe in meiner Zeit im Imperium selten eine lästigere Legende kennengelernt als Sie. Niemand von Ihrer Welt ist weiter gereist und hat mehr gesehen und gelernt als Sie in so kurzer Zeit. Sie haben das komplette Bild, das Ihre Artgenossen von ihrer Heimat und ihrem Platz im Universum hatten, auf den Kopf gestellt. Wenn Sie ihnen sagen würden, dass es Zeit ist, sich gegen uns zu erheben, würden sie das tun. Und das macht Sie zu einem Sicherheitsrisiko für das Protektorat, Perry Rhodan. Mein Protektorat. Deshalb sind Sie hier.«

»Ein gewaltsamer Aufstand wäre sinnlos, Fürsorger. Das wissen Sie ebenso gut wie ich. Ihr Kettenhund Chetzkel wartet doch nur darauf, über uns herzufallen. Meinen Sie wirklich, dass ich so dumm oder geltungsbedürftig bin, ihm den passenden Vorwand zu liefern?«

»Dieser Einschätzung kann ich leider nicht widersprechen«, bedauerte Satrak. »Doch sie erklärt nach wie vor nicht Ihre Handlungsweise der letzten Wochen. Wenn Sie keinen Aufstand planen – was haben Sie dann vor?«

»Sie würden es nicht verstehen, Fürsorger.«

»Ach nein?«, schnappte Satrak. »Richtig, ich erinnere mich: Das Imperium und wir sind Ihrer Meinung nach ja nur eine vorübergehende Erscheinung.« Er hatte Mühe, seine Wut im Zaum zu halten. Rhodan hatte offensichtlich keine Angst vor ihm, ja er behandelte ihn sogar von oben herab. Das war unerhört. Dennoch widerstand er dem Impuls, ihm körperliche Gewalt anzutun. Das wäre eine Handlung, die Chetzkel würdig wäre. Diese Befriedigung wollte er Rhodan nicht geben.

Er hatte andere Wege. Bessere Wege.

Er bedeutete Aito, die Medoeinheit näher zu einem der Aranashbäume zu fahren. Lautlos gehorchte die schwebende Trage. Rhodan spannte reflexartig die Muskeln, doch die Fesselfelder hielten ihn an Ort und Stelle.

Satrak trat vor den Stamm. Strich über die von weichem Flaum bedeckte Rinde und versenkte sich einen Moment in sich selbst, bis die sanften Vibrationen ihm verrieten, dass der Aranash bereit war.

Die Aranash oder Schlafbäume gehörten zu den ältesten Partnern der Istrahir auf ihrer Heimatwelt. Ihre besonderen Eigenschaften machten sie zu wertvollen Zufluchtsorten, Heilstätten, Lebensspeichern. Die Erfahrung hatte gelehrt, dass sie nicht für alle Spezies gleich wirkten. Manche Wesen empfanden es als beängstigend, andere als verstörend, was sie im Inneren eines Schlafbaums erlebten. Und selbst Istrahir redeten nicht häufig davon – es war eine sehr private Erfahrung.

Der Einzige, der in allen Fällen die Antwort kannte, war der Baum selbst.

Und manchmal, wenn man dem Baum zuhörte und ihn verstand, teilte er einem mit, was er gelernt hatte.

»Rhodan«, knurrte Satrak und stellte sicher, dass der Gefangene seinen Zorn deutlich spürte. »Sie wirken mir nicht bei der Sache. Vielleicht sind Sie noch müde?« Sein Greifschwanz schnellte vor und wickelte sich um Rhodans Hüfte. Dann gab er Aito den Befehl, das Fesselfeld zu desaktivieren. Mit einem kräftigen Ruck zog er den Mensch von der Medoeinheit und stellte ihn vor den Aranash, ohne ihn loszulassen. Mit einer gewissen Befriedigung registrierte er das überraschte Keuchen des Gefangenen.

»Ruhen Sie noch eine Weile aus!« Er fuhr entschieden über die Rinde, damit sie sich öffnete. Augenblicklich tat sich ein dunkler Schlund darin auf, und ehe der große Perry Rhodan einen Laut des Protests ausstoßen konnte, hatte der Aranash ihn schon verschlungen. Satraks Schwanz schnellte zurück, nur Sekundenbruchteile, ehe die Rinde sich wieder schloss.

»Wir reden morgen weiter«, brummte der Fürsorger. Vielleicht würde der Baum Rhodan seine Geheimnisse bis dahin schon entrissen haben. Dann wandte er sich ab und schlenderte zu Aito zurück, die nach wie vor am selben Ort stand und auf ihn wartete. Im Gegensatz zu ihm zeigte sie sich nicht sehr zuversichtlich.

»Warum so verdrossen?«, fragte er, auch wenn er wusste, dass Sorge oder Zuversicht außerhalb der eigens für ihn konzipierten Interaktionsalgorithmen keine relevanten Kategorien für die KI darstellten.

»Reekha Chetzkel«, sagte sie nur.

Satrak seufzte schwer. Sein mühsam erkämpfter Optimismus war mit einem Schlag dahin. Allein beim Gedanken an den Kommandeur der Streitkräfte mit seiner Schlangenhaut und seiner gespaltenen Zunge, den brennenden Augen und dem spitzen Gebiss, stellten sich ihm die Nackenhaare auf. So viel Unvernunft. So viel Hass. »Was ist mit ihm?«

»Er ist Ihnen auf der Spur, Fürsorger.«

»Das ist nichts Neues. Die alte Schlange klebt mir immer an den Fersen. Was treibt er jetzt wieder?«

»Er hat die NAS'TUR VII an der Peripherie des Systems, wohin Sie sie beordert hatten, inspiziert.«

Satrak schüttelte verärgert den Kopf. »Und hat der Kommandant geschwiegen?«

»Soweit das nachvollziehbar war, ja. Er hatte wenig zu verraten, und um die Datenspeicher des Schiffes hatte ich mich während des Zwischenstopps in Terrania wie von Ihnen gewünscht gekümmert.«

»Chetzkel weiß also nichts von den Gefangenen? Das ist gut.«

»Nichts Konkretes ...« Aitos Augen weiteten sich unterwürfig. »Aber kurz nach seiner Inspektion hat er Kontakt zu Koordinator Jemmico aufgenommen.«

»Jemmico?«, fragte Satrak alarmiert. »Was haben sie besprochen?« Jemmico war ein Celista. Ein Spitzel. Das machte ihn zwar nicht zwangsläufig zu einem Gegner, aber der Koordinator für Sicherheit war der dritte machtvolle Spieler in diesem System. Im Bunde mit Chetzkel konnte er Satrak sehr gefährlich werden. Und mit großer Wahrscheinlichkeit arbeitete er direkt für die Imperatrice. Satrak argwöhnte, dass sie ihm den älteren Arkoniden als Aufpasser geschickt hatte.

»Leider ließ sich die Verschlüsselung trotz größter Mühen nicht brechen«, entschuldigte sich Aito. »Aber Chetzkel und Jemmico konferieren nicht häufig. Allein dass sie es zu diesem Zeitpunkt taten, legt nahe ...«

»... dass die Echse irgendetwas ahnt«, beendete Satrak den Satz. »Er muss einen Verdacht haben. Behalte die beiden auf jeden Fall weiter im Auge, Aito!«

»Selbstverständlich, Fürsorger.«

»Und nun bereite Thora da Zoltral und Reginald Bull vor. Wir werden auch ihnen zwei schöne Bäume suchen ...«

Sie senkte den Kopf und löste sich in Luft auf.

Manchmal, dachte Satrak, nachdem sie verschwunden war, spielte das Leben einem Streiche. Es zeigte einem einen Weg auf und verbaute einem dafür einen anderen. Es gab und es nahm. Ihn versuchte es gerade in die Ecke zu treiben, noch aber blieb ihm Luft zum Atmen. Er fragte sich, was Rhodan wohl dazu einfiele.

Mit einem letzten Blick zurück zu dem Aranash, der keinesfalls vermuten ließ, wer sich in diesem Moment in ihm befand oder was sich in seinem Inneren abspielte, wandte der Fürsorger sich ab und wanderte tiefer in seinen Wald. Noch ahnte niemand, was für ein Geheimnis dieser Wald verbarg. Dieser letzte Weg war ihm unverstellt. Doch dass man ihm so rasch auf die Spur kommen würde ...

Die Luft wurde dünner – auch für ihn.

2.

Perry Rhodan

 

Dunkelheit umfing Rhodan. Es war nicht, wie gefressen zu werden, soweit man davon eine Vorstellung hatte: keine Zähne, keine Zunge oder Tentakel, die ihn hineinzogen, kein übler Geruch nach Verwesung oder Verdauungssäften.

Eher war es, wie von einem besonders geschickten Spediteur oder Krankenpfleger verpackt und fixiert zu werden. Kaum, dass der Fürsorger ihn durch den gerade entstandenen Spalt gereicht hatte, schloss sich der Spalt auch schon wieder; das Dämmerlicht des Waldes hinter ihm verlosch, und im nächsten Moment umfing ihn der schwere Humusgeruch des Baums wie eine Moorpackung, die sich von allen Seiten um ihn wickelte. Tatsächlich war der Baum in seinem Innersten weich und fast körperwarm und passte sich ihm so perfekt an, dass er ihm fast keinen Widerstand bot.

Er glaubte, er müsse darin versinken. Ertrinken wie in dickem Treibsand. Er schlug um sich, doch es war hoffnungslos. Der enge Hohlraum, in dem er gefangen war, zog sich immer weiter zusammen. Seine Glieder wurden schwer und schwerer. Schon bekam er kaum noch Luft ...

Im selben Maße, in dem der Sauerstoff aus seinem Hirn wich, drängten die Bilder in Rhodans Kopf, Blitzlichter des Lebens, wie sie angeblich kurz vor dem Tod vor dem inneren Auge vorbeizogen. Dennoch hatte er keine Angst. Die Zeit floss zäh wie träger Honig, und die Bilder wurden immer heller und lebensechter. Sie fingen ihn ein.

 

Er sah ...

Der Hügel am Rande Terranias bei Sonnenaufgang. Derselbe Hügel, auf den Rhodan nach der Landung der STARDUST vor anderthalb Jahren gestiegen war, um sein Werk des Verrats und der Hoffnung zu betrachten: die Botschaft, dass die Menschheit nicht mehr allein war, die Zeit des Hochmuts und der Selbstzerfleischung vorbei. Nun stand er abermals hier, vor den Trümmern seines Traums: die Stadt nur noch schwarze, ausgebrannte Ruinen, und in ihrer Mitte der Stardust Tower, der jetzt unter der Besatzung wie auf so vielen Welten des Imperiums, die sie gesehen hatten, nur noch ein Herrschaftszeichen war – eine stolze Standarte, die bis in den Himmel ragte, tief in den verheerten Boden gerammt.

»Ihnen gehört die Zukunft« – das hatte Crest ihm einst versprochen, als Rhodan auf Trebola zum ersten Mal einen solchen Turm gesehen hatte. Doch die Zukunft war ihnen gestohlen worden, der Hoffnungsschimmer erloschen. Und ganz wie auf Trebola war auch dieser Turm Teil eines Paares: Seine andere Hälfte war jener im Bau befindliche, massive Kelch am Rande des Goshun-Sees, der dem sogenannten Fürsorger als Palast dienen würde. Es war wie ein Zerrbild jener Welt, die Rhodan sich erträumt und der Menschheit versprochen hatte: Die Menschen waren in ein Gefängnis gesperrt, das die Fremden ihnen gebaut hatten, und am Rande des wieder aufgefüllten Sees sprossen außerirdische Bäume.

Die Bäume wuchsen höher ...

Rhodans Gedanken eilten weiter, einmal um die ganze Welt, zu jenem nordirischen Städtchen, in dem er letzten Monat sich selbst ins Gesicht geblickt hatte. Er erinnerte sich noch gut, wie er in das Wohnzimmer des Hauses getreten war, in dem sie Zuflucht gesucht hatten. So wie damals sah er nun sein Spiegelbild, bloß älter, rücklings auf dem Sofa. Ein Flüchtling in der gestohlenen Kleidung eines Gefängniswärters, ein Eremit mit einem Gehstock aus Haselnussholz.

»Wir sind ich«, sagte der alte Mann, der er selbst war, während er wie ein Verhungernder einen Konzentratriegel verschlang. Und er eröffnete ihm viele Wunder: Rhodanos erzählte ihm von dem Enteron, jenem wandelbaren, fantastischen Werkzeug, das zugleich Teil seines Körpers und eine tödliche Waffe war. Später würde Rhodan lernen, ihm kraft seiner Gedanken Befehle zu erteilen, damals aber kam es ihm noch so fremd und gefährlich wie eine Schlange vor. Auch von den Meistern der Insel erzählte er ihm, von Regnal-Orton, der sich mit List und Tücke die Regentschaft über das Große Imperium erschlichen hatte. Von ES, das mittels seines wahnsinnigen Dieners Separei auf der Elysischen Welt Schablonen der arkonidischen Imperatoren angefertigt hatte – genau wie von Rhodan: in jenem eiförmigen Raum, in dem Rhodan sich von seinem Spiegelbild beobachtet gefühlt hatte ...

Er dachte an das beklemmende Gefühl, das sich seiner damals bemächtigt hatte ... Seine schlimmsten Befürchtungen hatten ihn eingeholt. »ES spielt sein eigenes Spiel«, bekräftigte Rhodanos. »Und du, wir, die gesamte Menschheit sind darin nur Figuren.«

Dann redete sein älteres Ich von Callibso, der über geheime Wege zur Erde verfügte. Der Herr der Puppen gab Rhodan Rätsel auf: Obwohl er mit skrupellosen Mitteln versucht hatte, Rhodans Weg zu den Sternen zu blockieren, schien er daran interessiert, sich persönlich mit ihm zu treffen. »Folge den Puppen«, sagte Rhodanos – und Rhodan tat, wie Rhodanos ihm geheißen ...

Er folgte dem Traum. Der Traum führte ihn zu Thora, die zitternd von ihrer Zeit auf Callibsos Heimatwelt Derogwanien berichtete. Die ihn vor den unheimlichen Kräften Callibsos und seiner Puppen warnte: »Ich war wie eine Zuschauerin im Gefängnis meines eigenen Körpers.« Heute wusste Rhodan nur zu gut, was sie meinte. Die Last auf seiner Brust wurde immer schwerer, presste ihn zusammen wie ein Schraubstock.

Um die Qual zu vergessen, dachte er weiter an Thora.

Er sah sie, lächelnd im Türrahmen eines alten irischen Cottage. Owey Island, eine Landschaft, wie sie urtümlicher kaum sein konnte, zerklüftet und wettergegerbt im Schoß des Atlantiks. Strohgedeckte Fischerhütten, von den Elementen gemeißelt. Und inmitten dieser rauen Wildnis: Thora, nicht von dieser Welt, rote, stolze Augen unter einem Schleier weißen Haars, in dem der irische Wind spielte, wie zuvor der Wind Arkons und der hundert anderer Welten.

»Willkommen.« Sie lächelte ihm entgegen, und er trat auf sie zu.

Doch er war nur wenige Schritte weit gegangen, als er ins Taumeln geriet. Der letzte Sauerstoff war aus seinen Lungen gewichen. Das Brennen in der Brust wurde unerträglich. Er wollte die Hände nach Thora ausstrecken, um Hilfe rufen: »Ich kriege keine Luft mehr!« Ihre Augen weiteten sich vor Schreck.

Rhodan stolperte. Fasste sich an den Hals, rang nach Atem. Sterne tanzten vor seinen Augen, und die Welt wurde so hell, als wollte sie explodieren. Doch dann, von einem Moment auf den anderen, war es plötzlich vorbei – das Brennen erlosch, das Gleißen ließ nach, und das Gefühl der Enge wich dem von Geborgenheit. Rhodan bekam wieder Luft – und doch hatte er nicht das Gefühl, dass er atmete ...

Irgendetwas war anders.

Er schaute sich um. Erst dachte er, er sähe sich wieder der außerirdischen Pflanzung am Rand des Goshun-Sees gegenüber, doch dieser Wald war viel größer. Mächtig und majestätisch, in schillernden Farben aus Grün, Blau und Violett. Urwaldriesen, manche über hundert Meter hoch, mit Lianen wie die Takelage alter Galeonen. Eine warme Sonne, flankiert von zwei bleichen Monden, strahlte vom Himmel. Und vor ihm, wo eben noch Thora gestanden hatte, blickte ihn ein fremdartiges Wesen vom Fuß des Hügels aus an, braun bepelzt und langschwänzig, die Augen kugelrund und dunkel wie die eines Koboldmakis. Eine Istrahir.

»Willkommen«, sagte sie, ein Echo Thoras.

»Wo bin ich hier?«, fragte Rhodan.

»In Sicherheit. Hab keine Angst. Ich bin Otia.«

In diesem Moment zerriss ein furchtbarer Schmerz Rhodans Seite.

3.

Leyle

 

Als die Ara Leyle in den frühen Morgenstunden des 22. Dezembers nach Nergüi sah, war ihr klar, dass dies der letzte Tag des alten Mannes werden würde. Seine Haut, die ohnehin an altes Pergament erinnerte, war noch durchscheinender geworden, seine gelblichen Augäpfel verschwanden fast in dem faltigen Gesicht. Dennoch wirkte er nicht ängstlich, und war, wie sie sich überzeugte, auch schmerzfrei. Er lächelte sein typisch ruhiges Lächeln, das Leyle von der ersten Minute an fasziniert hatte, denn Nergüi hatte nach ihrem Dafürhalten nur sehr wenig Grund zu lächeln.

»Guten Morgen!«, sagte sie. »Wie fühlen Sie sich?«

»Gut«, sagte der alte Mann, dieselbe Antwort wie jeden Morgen. »Ich fühle mich gut. Und wie geht es Ihnen?«

Sie erwiderte sein Lächeln. Nergüi glaubte ihr nicht, dass sie genug aß und ihre hagere Erscheinung kein Zeichen von Krankheit war. Sie kontrollierte seine Monitoren und die Logs der vergangenen Nacht.

»Offen gesagt frage ich mich, ob Sie mich nicht wieder anschwindeln.« Auch das gehörte zu ihrem Spiel – vor ihrer Zeit auf Larsaf III waren ihr die feinen Abstufungen von Wahrheit, wie die Menschen sie kannten, noch fremd gewesen.

»Keineswegs«, verwahrte sich Nergüi.

»Sie fühlen sich wirklich gut?«

»Mehr als gut.«

»Dann will ich Ihnen glauben. Es freut mich, dass es Ihnen besser geht.«

»Wundert Sie das denn? Ehe das Licht erlischt, flammt es noch einmal auf ...«

Eines seiner ungezählten Sprichwörter, die der Translator getreu für sie übersetzte. Nergüi beherrschte nur Mongolisch und eine Handvoll englischer Begriffe, doch in seiner Denkweise war er ihr weit weniger fern, als die Ara erwartet hätte. Die meisten mongolischen Sprichwörter schienen sich um Pferde und Schwiegereltern zu drehen, und zumindest bei Letzteren hatte Leyle festgestellt, dass sie lediglich gedanklich »Geshur« dafür einsetzen musste, um ihren Sinn zu erfassen. Bei den Pferden war sie sich noch nicht ganz sicher.

»Vielleicht hätte es etwas länger gebrannt, wenn Sie dem Feuer nicht so viel Nahrung gegeben hätten«, gab sie zu bedenken und begann mit ihrer Untersuchung. Natürlich war es für solche Ratschläge bereits zu spät gewesen, ehe Nergüi vor zwei Wochen komatös, unterkühlt und mit einer ernsten Alkoholvergiftung ins Terrania Central, der von Menschen gegründeten und betriebenen Klinik im Fuß des Stardust Towers, eingeliefert worden war. Doch sie hatte den Eindruck, dass er ein Mindestmaß ärztlicher Rüge von ihr erwartete.

»Wenn du trinkst, stirbst du«, murmelte Nergüi und wandte den Blick zur Decke. »Wenn du nicht trinkst, stirbst du auch.«

Nergüi war einer der wenigen Menschen, die während der Kämpfe um die Stadt Anfang September nicht geflohen waren. Beinahe hatte Leyle den Eindruck, dass sich für ihn durch den Umsturz nicht einmal viel geändert hatte. Leute wie er waren der Beweis, dass selbst an diesem Ort, wo nach den Worten Perry Rhodans der Grundstein einer goldenen Zukunft gelegt worden war, längst nicht alles Gold war, was glänzte. Danach befragt, ob er Rhodan je persönlich getroffen habe, hatte Nergüi nur höflich gelacht, und Leyle war sich nicht sicher gewesen, ob er überhaupt wusste, von wem sie sprach.

Dabei musste der alte Mongole zu der ersten Welle von Siedlern gehört haben, die nach der Gründung Terranias vor anderthalb Jahren in die junge Stadt gespült worden war. Was er vorher getrieben hatte, war nicht aus ihm herauszukriegen – selbst sein Name bedeutete lediglich so viel wie »kein Name«, was ihren Translator anfangs in eine gehörige Krise gestürzt hatte. Nergüi aber hatte ihr versichert, dass es sich in seiner Kultur um einen sehr geläufigen Namen handelte, der einem alten Brauch zufolge das Interesse böser Geister von seinem Träger (oder Nicht-Träger) ablenken sollte. Leyle hatte den Kopf geschüttelt, sich aber eingestanden, dass es zu einem Mann von der Bescheidenheit Nergüis passte, nicht einmal einen richtigen Namen zu besitzen. Wie auch immer – aus Sicht eines Mannes, der nichts besaß und nie viel besessen hatte, musste die Siedlung an den Ufern des Salzsees, die mit ihrer arkonidischen Technik vom Nahrungskonzentrat bis zum Hochhaus Güter aus dem Nichts erschuf, ein Leben im Überfluss verheißen haben.

Derzeit holten er und seine Leidensgefährten sich aus den Trümmern, was sie zum Überleben brauchten. Manche schufteten erbärmlich, um ihre bescheidenen Behausungen wieder aufzubauen, andere kapitulierten oder suchten ihr Heil in der Wüste. Das Protektorat kümmerte sich nicht weiter um sie; da die Stadt als solche nicht mehr existierte und man nur mit Sondergenehmigung in das Sperrgebiet reisen durfte, gab es offiziell bis auf Weiteres auch keine Bürger Terranias. Solange sie sich friedlich verhielten, ging man zwar nicht gegen die Menschen vor, man half ihnen aber auch nicht aus ihrer verzweifelten Lage.

Leyle und die wenigen Beschäftigten des Krankenhauses, die weiter ihren Dienst versahen, bildeten die Ausnahme. Zwar durfte sie nicht ihre Forschung vernachlässigen, und mit dem Mehr an Vertrauen, das der Fürsorger ihr neuerdings schenkte, war auch ein Plus an teils unkonventionellen Pflichten einhergegangen. Dennoch gehörte es zu Leyles Ethos, Kranken und Verwundeten zu helfen, und so verbrachte sie einen Großteil ihrer freien Zeit in der unterbesetzten Klinik. Gerade in diesen Tagen kurz vor dem für die Menschen wichtigen Weihnachtsfest hatten sie mit ernstem Personalmangel zu kämpfen, denn zu viele Kollegen hatten – rücksichtslos, wie sie fand – Urlaub genommen. Auch brachte sie wenig Verständnis dafür auf, dass die komplette ehemalige Führungsschicht der Klinik, darunter sogar ein Ara mit Namen Fulkar, schon zu Beginn der Besatzung vor ihrer Verantwortung geflohen war.

Und schließlich erschreckte es sie, wie begrenzt die medizinischen Möglichkeiten der Menschen waren. Sie war überzeugt, dass das Protektorat sich für die Menschen langfristig als Segen erweisen würde, selbst wenn sie es im Moment noch nicht erkannten. Nichts beschleunigte den Fortschritt mehr als neue Impulse, auch und besonders solche von außen.

Umso mehr schmerzte es sie, zu sehen, dass sie in diesem Fall zu spät gekommen war.

»Ihre Leberwerte haben sich weiter verschlechtert«, stellte sie fest. Viele ihrer menschlichen Kollegen hielten sich mit solchen Nachrichten eher zurück; Leyle dagegen war wie die meisten Aras der Ansicht, dass Offenheit zwischen Arzt und Patient zu den wichtigsten Grundlagen jeder Behandlung gehörte. »Ich bitte Sie, sich meinen Vorschlag noch einmal zu überlegen.«

»Sie geben nicht auf, Doktor.«

»Und Sie sollten ebenfalls nicht aufgeben! Ich habe eine frische Leber bereit, keine Zelle älter als vier Tage, die nur darauf wartet, Ihnen eingepflanzt zu werden.« Das Nachzüchten von Organen gehörte zu einer der leichteren Übungen der Aramedizin. Dennoch war es gar nicht so einfach gewesen, ihre Vorgesetzten von der Notwendigkeit solcher Hilfen zu überzeugen: Zum einen bedachte man die Menschheit, die trotz bescheidener Fortschritte in den letzten Jahrzehnten noch immer auf die krude Transplantation von Spenderorganen angewiesen war, lieber andernorts und medienwirksam mit den Segnungen des Imperiums; zum anderen war Nergüi natürlich auch eher ein hoffnungsloser Fall.

»Heute wollen Sie mir die Leber auswechseln, morgen ist es dann der Magen und nächste Woche mein Rücken oder meine Augen. Wo soll es enden? Irgendwann kann man einfach nicht mehr wegrennen. Auch das schnellste Pferd hat nur vier Beine, und ich bin nur ein alter Mann.«

Damit, das wusste sie, hatte er leider nicht unrecht. Und lange bevor sie zum ersten Mal ein Schiff bestiegen hatte, das sie hinaus zur Öden Insel bringen sollte, hatte man ihr schon beigebracht, keine persönliche Bindung zu ihren Patienten zuzulassen. Dennoch ärgerte sie Nergüis Starrsinn.

»Wenn Sie mit ›wegrennen‹ meinen, Ihr Leben zu verlängern ...«

»Wie lange, Doktor? Noch einen Tag? Zwei?«

»Wenn Sie weiter so stur bleiben, nicht einmal das.«

Nergüi nickte, drehte sich auf den Rücken und befeuchtete die trockenen Lippen. »Ich habe Durst.«

Leyle legte ihr Tablet beiseite und gab dem alten Mann etwas zu trinken. Er schluckte angestrengt, dann ließ er sich zurücksinken. Sie dachte schon, er wäre eingeschlafen, als er auf einmal zusammenzuckte. »Wo ist mein Stock?«

Unwillkürlich musste Leyle lächeln. Sie kannte die irrationale Gebundenheit des alten Mannes an seinen Stock, den er schon bei der Einlieferung fest umklammert gehabt hatte. Er war sein einziger Besitz.

Sie stand auf, nahm den Stock aus seiner Ecke und legte ihn neben Nergüi aufs Bett. Sofort schlossen sich die knotigen Finger um das helle Holz. Dann begann Nergüi leise zu schnarchen.

In diesem Moment streckte Dr. Chen den Kopf ins Zimmer. Sie war eine der dienstältesten Ärztinnen im Terrania Central. »Da sind Sie ja. Bitte kommen Sie – wir brauchen Ihre Hilfe in der Notaufnahme.«

Alarmiert hob Leyle den Kopf. »Was gibt es denn?«

»Unruhen im Transitgefängnis«, erklärte die Chinesin knapp. »Eine Menge Verwundete.«

Mit einem letzten besorgten Blick auf den schlafenden Nergüi eilte Leyle nach draußen und folgte ihrer Kollegin durch die verwaisten, weihnachtlich geschmückten Flure in die Notaufnahme.

Insgesamt sechs Arkoniden und vier Menschen wurden dort gerade notdürftig von Pflegern versorgt. Viele wiesen schwere Stich- und Brandverletzungen auf – und fast alle, stellte Leyle rasch fest, gehörten zum Wachpersonal des Gefängnisses.

Alle bis auf einen jungen Mann in Gefangenenkleidung. Sie war nicht gut darin, das Alter von Menschen zu schätzen, doch er konnte kaum älter als achtzehn sein. Er blutete aus einer Platzwunde am Hinterkopf und aus der Nase und hatte sich dem sauren Geruch seiner Kleidung nach schon mehrmals übergeben.

»Was genau ist passiert?«, fragte sie, während sie ihm vorsichtig die roten Locken um die Wunde rasierte. Menschenhaar war fast noch unpraktischer als arkonidisches.

»Die Gefangenen haben sich Zutritt zur Küche verschafft. Es gab viele Verletzte ...«

»Das sehe ich. Sie gehörten zu den Aufrührern?«

Der Junge schüttelte den Kopf. »Ich arbeite nur dort. Mich hat es als Ersten erwischt. Es ging alles so schnell. Ich wollte noch schreien, aber da war es zu spät. Die Wachen ...«

»Bitte halten Sie still!«, unterbrach sie und machte sich daran, die freigelegte Wunde zu desinfizieren. »Das muss geklebt werden. Sie sagten?«

»Die Wachen haben hart zurückgeschlagen. Sie machen sich keine Vorstellung ...«

»Wenn es noch mehr Verwundete gibt, wieso sind sie nicht hier?«

»Man hat ihre Verlegung nicht gestattet.«

»Das Transitgefängnis verfügt meines Wissens nur über ein notdürftiges Lazarett.«

Der junge Koch wollte ein Nicken andeuten, zuckte aber vor Schmerz zusammen, als sie an die offene Wunde kam. »Bitte helfen Sie uns! Sie müssen veranlassen, dass man den Verletzten medizinische Versorgung zukommen lässt.«

Das war leichter gesagt als getan. Zwar hatte alles, was sie bislang von Larsaf III gesehen hatte, Leyle in ihrem Glauben an die Nützlichkeit des arkonidischen Protektorats bestätigt. Was sie dagegen weniger schätzte, waren die unklaren Zuständigkeiten, die sich durch seine vielleicht überhastete Gründung ergeben hatten. Als zivile Einrichtung unterstand das Transitgefängnis theoretisch dem Fürsorger. Möglicherweise hatte aber auch die Terra Police ein Wörtchen mitzureden – oder die speziellen Schnellgerichte. Die Trennung zwischen den Gewalten war nicht ganz so sauber, wie sie vielleicht sein könnte.

Die Unterscheidung zwischen Verletzten, die in den Genuss einer richtigen Klinik kamen, und solchen, die mit der dürftigen Versorgung eines Lagerlazaretts vorlieb nehmen mussten, war jedoch ein Akt der Willkür, der sie an ihrer beruflichen Ehre packte. Sie hatte sich noch nie verbieten lassen, jemandem zu helfen, wenn er ihre Hilfe brauchte.

»Ich werde sehen, was ich tun kann«, versprach sie dem Jungen, während sie seine Kopfwunde klebte. »Richard!«, trug sie einem der Pfleger auf. »Rufen Sie drüben beim Gefängnis an. Bestellen Sie ihnen, dass wir genug Kapazitäten haben, medizinische Versorgung für alle bereitzustellen. Sie sollen uns die restlichen Verwundeten schicken – und wenn jemand Fragen stellt, sagen Sie, dass ich das autorisiere!«

Richard bestätigte und eilte davon. Der Junge atmete erleichtert auf.

»Doktor!«, unterbrach Dr. Chen, die die Szene genau verfolgt hatte. Leyle fragte sich, wieso ihre Kollegen nicht längst mit dem Gefängnis in Kontakt getreten waren. Wahrscheinlich scheuten sich die Menschen, sich in die Angelegenheiten der Arkoniden zu mischen. Sie aber war eine Ara. »Dieser Arkonide hier muss operiert werden ...«

»Ich komme.« Zum Abschied legte sie dem Jungen die Hand auf die Schulter. »Um Ihre Nase kümmere ich mich später, in Ordnung?« Dann überließ sie ihn in der Obhut eines Pflegers, der sich daran machte, ihm das blutige Gesicht zu waschen.

»Ein Messerstich unterhalb der Brustplatte«, erklärte Dr. Chen, als sie den nächsten Patienten erreichte. »Die Klinge wurde von unten nach oben geführt. Wir fürchten, sie hat die inneren Organe verletzt.« Die Ärztin wirkte verunsichert. »Doktor, ich habe noch nie an einem Arkoniden operiert.«

»Ich übernehme das«, beruhigte Leyle ihre Kollegin. »Bringen wir ihn in OP 6!«

4.

Satrak

 

Thora da Zoltral ruhte mit geschlossenen Augen an der rückwärtigen Wand des Markud. Sie trug einen frischen Erste-Hilfe-Overall aus dem Krankenhaus, der ihre wichtigsten Vitalfunktionen überwachte und in bescheidenem Rahmen über transdermale Kontakte auch steuern konnte. Ihre Haare waren trotz mehrmaliger Wäsche noch schwarz – der hiesige Farbton, den sie zuletzt getragen hatte. Ihre farbigen Kontaktlinsen hatte man ihr entfernt. Etwas betreten betrachtete Satrak ihre bloßen Füße mit den für sein Empfinden verkümmerten Zehen. Obwohl er die helle, nackte Haut von Arkoniden und Menschen nicht sonderlich anziehend fand, fühlte er sich auf unpassende Weise an sein erstes romantisches Stelldichein mit einer Istrahir erinnert, das sich in einem Markud wie eben diesem vollzogen hatte.

Die Wahrheit war, Satrak wusste nicht, was er von Thora da Zoltral halten und wie er mit ihr umgehen sollte. Eine Machtdemonstration wie am Vorabend mit dem auf dem Rücken gefesselten Rhodan war ihm unpassend erschienen, denn sie war immer noch Arkonidin und bekleidete keine Führungsposition im terranischen Widerstand. Gleichwohl war sie zweifelsohne eine Verräterin am Imperium und eine Sympathisantin, die mit den Menschen fraternisierte und ihnen in der Vergangenheit aus Absicht oder Nachlässigkeit arkonidische Technik und Geheimnisse zugespielt hatte. Deshalb hatte er sie zunächst in einen Aranash gesperrt, ohne sie zuvor überhaupt aufzuwecken.

Als ihm die Idee mit dem Markud gekommen war, hatte er gedacht, dass die Holzhöhle eine adäquate, informelle Umgebung für ihr erstes Gespräch bieten würde. Nun musste er sich eingestehen, dass er sich getäuscht hatte, noch ehe das Gespräch überhaupt begonnnen hatte. Die Anwesenheit der ehemaligen arkonidischen Kommandantin in dem traditionellen Istrahir-Unterschlupf irritierte ihn wahrscheinlich mehr als sie.

»Wo bin ich?«, krächzte sie und sah sich blinzelnd um. Tastete mit schwachen Händen über den verholzten Boden, der sich in ihrem Rücken emporwölbte und über ihren Köpfen die typische Kuppelform bildete.

»In meinem Wald«, begrüßte er sie. »Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen. Haben Sie geträumt?«

Sie fasste sich schwach an die Stirn. »Das habe ich – aber nicht gut. Erst dachte ich, ich muss ersticken ...«

»Die erste Nacht in einem Aranash kann etwas beklemmend wirken«, erläuterte Satrak. »Der Baum übernimmt die Versorgung des Schläfers mit Sauerstoff und Nahrung. Mit der Zeit werden Sie die stärkende Wirkung aber zu schätzen lernen. Ich selbst habe in meinen ersten Wochen auf Larsaf III häufig in einem dieser Bäume geschlafen, ehe ich mich an mein frisches Quartier gewöhnte.«

Thora ging nicht auf die persönliche Bemerkung ein. »Ich fühle mich alles andere als gestärkt.«

»Das könnte daran liegen, dass Sie Arkonidin sind. Vereinzelt kommt es zu Fällen von Unverträglichkeit. Wahrscheinlich sind es aber noch Nachwirkungen der Medikamente, die Sie die letzten Tage erhalten haben ...«

Eine wütende Falte bildete sich auf ihrer Stirn. »Sie haben mich unter Drogen gesetzt? Und wieso kann ich meine Beine nicht bewegen?«

»Reine Vorsicht«, beruhigte sie Satrak. »Nur ein simples Anästhetikum – nichts, was sich nicht problemlos wieder neutralisieren ließe.«

Ihre roten Augen zuckten suchend umher, dann richteten sie sich auf ihn. Schienen ihn zum ersten Mal richtig wahrzunehmen. »Sie sind der Fürsorger.«

»Wenn sich die letzten Wochen kein weiterer Istrahir auf Larsaf III eingefunden hat, bin ich das wohl.« Er hatte es als Scherz gemeint, doch Thora da Zoltral wirkte nicht amüsiert.

»Die Erde«, korrigierte sie ihn. »Vielleicht sollten Sie lernen, sich an die lokalen Bezeichnungen zu gewöhnen, wenn Sie es mit Ihren Pflichten ernst nehmen.«

»Ausgerechnet Sie belehren mich über meine Pflichten?«

»Offensichtlich haben Sie es nötig.« Die Arkonidin legte den Kopf schief. »Oder ist das hier Ihre Vorstellung von einem ordentlichen Verfahren? Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein.«

Diese Arroganz! »Ich bedaure, wenn Sie unzufrieden mit Ihrer Situation sind.«

»Unzufrieden?«, höhnte sie. »Sie haben mich mit Gewalt festgenommen. Also stellen Sie mich auch vor ein ordentliches Gericht, statt mich in ein Loch wie dieses zu sperren!« Sie klopfte auf den Boden und betrachtete angewidert das dunkle Harz, das auf ihre Knöchel abfärbte. »Geht man so auf Istrahir mit Arkoniden um? Das ist ja schlimmer als bei den Naats! Ich bin immer noch eine da Zoltral, vergessen Sie das nicht!«

Vielleicht, dachte Satrak, hatte er zu lange nicht mehr mit Angehörigen des alten Adels zu tun gehabt. Ihm fiel gerade wieder ein, was sie so anstrengend machte.