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Jason Starr

Phantasien

Roman

Aus dem Amerikanischen von
Hans M. Herzog

 

 

 

 

 

 

 

 

Titel der 2015

bei Polis Books, New York,

erschienenen Originalausgabe: ›Savage Lane‹

Copyright © 2015

Published by Arrangement with Jason Starr

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische

Agentur Thomas Schlück GmbH, 30 827 Garbsen

Das Motto von Raymond Carver aus der Erzählung

Das Zaumzeug, in: Raymond Carver, Kathedrale. Erzählungen

Aus dem Amerikanischen von Helmut Frielinghaus

Berlin Verlag, Berlin 2001

Umschlagfoto von Craig Brown (Ausschnitt)

Copyright © Craig Brown/

Gallery Stock

 

 

Für Daniel

und Anna Keel

 

 

Alle deutschen Rechte vorbehalten

Copyright © 2015

Diogenes Verlag AG Zürich

www.diogenes.ch

ISBN Buchausgabe 978 3 257 30032 1 (1. Auflage)

ISBN E-Book 978 3 257 60466 5

Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.

Träume, wissen Sie, sind das, woraus man erwacht.

Raymond Carver, Das Zaumzeug

[7] 1

Nach der Dinnerparty im neuen, 2,6 Millionen Dollar teuren Haus der Lerners in Bedford Hills war Mark Berman klar, dass seine Frau Deb sauer auf ihn war. Er wusste zwar nicht, was er verbrochen hatte, doch nach zweiundzwanzig gemeinsamen Jahren – siebzehn davon als Ehepaar – musste er sie nicht erst fragen, ob es ein Problem gab. Er wusste es einfach.

Auf der Heimfahrt nach South Salem verhielt sich Deb nach wie vor seltsam, doch sie darauf anzusprechen würde garantiert zu einer Diskussion, wenn nicht zu einem Streit führen, also ließ Mark es sein. Stattdessen plapperte er weiter über das Lernersche Haus – »Hast du den riesigen Garten gesehen? Da könnten die New York Jets ein Footballspiel veranstalten, verdammt. Und der Pool ist unglaublich.« – und ging dann die morgigen Termine durch: Deb würde Justin um neun zum Schwimmtraining bringen, er würde Riley um zehn, vor seiner Runde Golf im Country Club, zum Tanzunterricht fahren, und Deb würde Riley dann mittags auf dem Rückweg vom Schwimmen abholen. Während er sprach, nickte Deb und sagte ein paar Mal »Okay«, mehr aber auch nicht. Ein paar Minuten später, auf dem dunklen, kurvenreichen Saw Mill River Parkway, schaute sie nur noch stumm aus dem [8] Fenster. Mark war die Stille leid und schaltete auf dem Satellitenradio den Kanal Classic Rewind ein, es lief gerade der Refrain von Dream On.

Etwa dreißig Sekunden später sagte Deb, immer noch zum Fenster gewandt: »Ich hab dich gesehen.«

»Was?« Mark hatte sie verstanden; sie sollte es nur noch einmal sagen.

»Ich hab dich gesehen«, wiederholte sie.

»Du hast mich gesehen«, sagte er, eine Feststellung. »Wo hast du mich gesehen?«

Sie schaute zum Fenster, in die Dunkelheit, oder vielleicht zu ihrem Spiegelbild, und gab keine Antwort.

»Ich weiß echt nicht, was du meinst.« In Wahrheit wusste es Mark, wollte es aber nicht selbst aussprechen. Wenn sie es thematisieren, es aufbauschen wollte, dann nur zu.

»Du weißt genau, was ich meine.« Deb drehte sich zu ihm um.

Auch wenn er nicht zu ihr, sondern auf die Straße schaute, kannte er ihren Gesichtsausdruck – sie kniff die Augen zusammen, blähte die Nasenlöcher und hatte einen Blick, als wolle sie ihm gleich den Kopf abreißen. Ja, den Ausdruck hatte er ein paar hunderttausend Mal gesehen.

»Nein«, widersprach Mark. »Ich habe keine Ahnung, klar?«

Sie wandte sich wieder ab.

Steven Tyler kreischte den Refrain. Mark drehte die Musik leiser und sagte: »Ich versteh das echt nicht. Alles ist prima, wir verbringen einen netten Abend zusammen bei Freunden, und urplötzlich gehst du auf mich los.«

[9] »Wie gehe ich denn bitte auf dich los

Ihm gefiel nicht, wie sie das sagte – als mache sie sich über ihn lustig. »Es ist einfach seltsam, okay?« Er kniff die Augen zusammen, weil der entgegenkommende Fahrer sein Scheiß-Fernlicht anhatte. »Du bist seltsam, so als ob du Stress suchst, als ob du auf Stress aus bist.«

»Ich bin auf Stress aus!«

»So wie jetzt. Wie du alles wiederholst, was ich sage. Du weißt, dass mich das tierisch nervt, machst es aber trotzdem. Als würdest du drauf abfahren oder so was.«

»Ich finde, du bist derjenige, der in dieser Ehe Stress macht.«

»Was?«

»Ich hab dich gesehen, klar? Ich hab dich gesehen.«

»Mich gesehen?« Er tat, als müsse er überlegen. »Mich wo gesehen?«

»Draußen… im Garten hinterm Haus.«

Damit war leugnen zwecklos. »Nun mach mal ’n Punkt. Darum geht’s also?«

»Ich bin gerade dermaßen wütend auf dich«, sagte Deb.

»Mit Karen war nichts, klar?«, sagte Mark. »Ich fasse es nicht, dass du mir da was unterstellst. Das ist so was von albern.«

Karen war eine Nachbarin, eine Freundin von ihnen, die auch auf der Dinnerparty der Lerners gewesen war.

»Du hast ihre Hand gehalten«, sagte Deb.

»Ich habe nicht ihre Hand gehalten«, sagte Mark.

»Du hast ihre Hand gehalten«, wiederholte Deb.

Mark stieß verärgert Luft aus und schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht ihre Hand gehalten, klar? Vielleicht [10] haben wir uns eine Sekunde lang an den Händen gehalten, aber –«

»Es war länger als eine Sekunde.«

»Ein paar Sekunden, von mir aus, aber es war total unschuldig, ja? Wir haben geredet, nur geredet, und sie war durcheinander, verstehst du, sie hat Geldprobleme, ihr Finanzberater hat sie über den Tisch gezogen, und ich wollte sie an meinen, an unseren Berater vermitteln, an Dave Anderson. Darüber haben wir geredet – über Dave, Dave Anderson. Jedenfalls war sie ganz durcheinander, und ich hab mit ihr darüber geredet, ihr ein paar Tipps gegeben, okay? Und schon möglich, vielleicht hab ich irgendwann mal ihre Hand gehalten, eine rein freundschaftliche, unterstützende Geste, aber –«

»Eine freundschaftliche, unterstützende Geste«, sagte Deb.

»Gibt’s hier irgendwo ein Echo?«, fragte Mark.

»Hör zu, ich weiß, was ich gesehen habe, ja? Also hör auf zu leugnen. Du hast es genossen.«

»Was?«

»So war’s nun mal.«

»Es war ein Gespräch über Investmentfonds.« Mark fuhr zu schnell in eine scharfe Kurve. Er musste aufpassen, war hier in der Gegend nicht irgendwo ein Wildwechsel? Er drosselte ein wenig das Tempo und sagte: »Ich glaub’s nicht, dass ich über so was überhaupt reden muss. Karen ist eine Freundin, mehr nicht.«

»Freunde flirten nicht so, wie ihr zwei immer flirtet.«

»Was?«

»Behältst du bitte die Straße im Auge?«

[11] »Ich fasse es ni… Ich war ihr bei einem Problem behilflich, klar? Ich habe nicht mit ihr geflirtet. Wenn du schon von Flirten reden willst, was ist mit dir und Tom?«

So war’s richtig – zum Gegenangriff übergehen.

»Was soll mit mir und –«

»Du flirtest andauernd mit ihm.«

»Wann hab ich jemals –«

»Ich hab heute Abend sogar gesehen, wie du ihn umarmt hast.«

Nach kurzer Pause sagte Deb: »Du meinst, als ich mich verabschiedet habe?«

»Es war eine innige Umarmung«, sagte Mark, froh, dass sie nicht mehr über ihn und Karen sprachen.

»Also wirklich, das ist –«

»Ja, lächerlich, ich weiß. Aber was, wenn ich deswegen so einen Aufstand machen würde? Wenn ich sagen würde: Wie konntest du nur mit Tom flirten? Du hast es genossen.«

»Versuch nicht zu leugnen, was du getan hast.«

»Ich denke nicht –«

Um ihn zu übertönen, erhob Deb die Stimme: »Ich hab mich nicht mit ihm in eine Ecke im Garten verzogen, klar? Was würdest du davon halten, wenn ich das täte? Würdest du das für normal halten? Würdest du denken: Oh, Tom und Deb sind nur gute Freunde, darum haben sie sich aus dem Staub gemacht, um ein bisschen allein zu sein?«

»Bist du betrunken?«, fragte Mark.

»Was?« Deb klang schockiert, vielleicht tat sie aber auch nur so. »Nein, ich bin nicht betrunken.«

[12] »Bestimmt nicht? Weil du dich gerade so aufführst.«

»Ich hatte ein paar Drinks.«

»Du hattest mehr als ein paar Drinks.«

»Hör zu, ich hab dir gesagt, wie ich das empfinde, mit dir und dieser Frau, aber dir scheint das egal zu sein. Du wirst einfach nur aggressiv.«

»Wir sind mit Karen befreundet. Seit wann ist sie diese Frau

»Seit sie versucht, mir meinen Mann auszuspannen.«

»Oh, Gott im Himmel, Deb, hörst du auf damit? Es war doch nur Händchenhalten.«

»Du gibst es also zu.«

»Ein paar Sekunden lang, vielleicht zwei Sekunden, Herrgott noch mal.«

»Es geht um mehr als Händchenhalten, klar? Es geht um alles zwischen euch beiden. Wie ihr einander anseht – das war beim Essen so eindeutig. Und als du diesen Witz erzählt hast und Karen aufstand und in die Küche ging, hast du gewartet, du hast gewartet, bis sie zurückkam, und dann erst die Pointe erzählt.«

»Das nennt man Höflichkeit«, sagte Mark.

»Du hättest nicht gewartet, wenn ich oder sonst wer in die Küche gegangen wär. Es war wegen ihr. Du hast wegen ihr gewartet.«

»Nein, ich habe gewartet, weil sie den Witz noch nicht kannte, du aber schon, und er interessierte sie, darum habe ich… du solltest dich mal hören, hör dich doch mal reden. Greifst mich an, gehst auf mich los, nur weil ich einen Witz erzählt habe und höflich war, als hätte ich ein Verbrechen begangen oder so.«

[13] »Du weißt ganz genau, wovon ich rede, ja?«, sagte Deb. »Du hörst nicht auf damit, du machst einfach immer weiter, weil du das willst, weil du… Weiß auch nicht, weil du irgendeine Reaktion von mir willst oder was, und du machst es so offensichtlich. Wahrscheinlich begreifst du gar nicht, wie peinlich das für mich ist.«

»Was meinst du damit?« Mark wandte den Blick kurz von der Straße und sah Deb an. »Hat jemand was gesagt?«

»Nein, niemand hat was gesagt, niemand brauchte etwas zu sagen«, antwortete Deb. »Aber alle haben es gesehen, alle merken es, und bestimmt denken sie sich ihren Teil.«

»Denken was?« Mark wurde lauter. »Scheiße, das ist lächerlich. Zwischen mir und Karen läuft nichts. Rein gar nichts!«

»Ich will, dass du dich von ihr fernhältst«, sagte Deb. »Sonst rede ich mit ihr.«

»Was?« Marks Hände umklammerten das Lenkrad, als wolle er es erwürgen. »Mach mal halblang, ja? Das läuft allmählich aus dem Ruder.«

»Was regst du dich so auf?«, sagte Deb. »Wenn wirklich nichts läuft, wenn sich alles nur in meiner Phantasie abspielt, warum sollte es dir etwas ausmachen?«

»Weil sie eine Freundin ist, unsere Nachbarin«, sagte Mark. »Unsere Kinder sind mit ihren Kindern befreundet, und… sag lieber nichts zu ihr, bitte nicht. Das führt nur zu Stress. Du willst doch keinen Stress, oder?«

»Ich will nicht mehr drüber reden.«

»Sag ihr nichts, Deb. Bitte.«

»Ich hab gesagt, mir reicht’s.«

[14] Deb sagte das mit Nachdruck, als hätte sie nicht nur genug von diesem Gespräch, sondern von ihrer ganzen Ehe. Natürlich wusste Mark, dass es bloß eine leere Drohung war. Wenn sie sich stritten, wurde sie immer melodramatisch, am nächsten Tag hatte sie es wieder vergessen. Auch dieser Ärger würde abflauen – na, hoffentlich würde er abflauen. Falls sie etwas zu Karen sagte, sie irgendwie zur Rede stellte, würde Karen ausflippen, sich unbehaglich fühlen, womöglich den Kontakt zu ihm abbrechen. Das konnte Mark nicht zulassen. Karen war eine gute Freundin, vielleicht seine beste; er wusste nicht, was er ohne sie anfangen sollte.

Rush spielten gerade Tom Sawyer, doch Mark war die Lust auf Musik vergangen, und er machte das Radio aus. Ah, endlich herrschte Ruhe im Auto. Ein paar Minuten später bogen sie in die Savage Lane, eine schmale Straße, eine Sackgasse, an der sieben Häuser standen, im letzten, ganz hinten, wohnten Mark und Deb mit ihren Kindern. Karen und ihre Kids wohnten im zweiten Haus links, und im Vorbeifahren registrierte Mark – ohne den Kopf zu drehen –, dass in Karens Schlafzimmer im ersten Stock Licht brannte. Karen hatte die Party etwa zehn Minuten vor Mark und Deb verlassen, war also natürlich schon zu Hause. Mark fragte sich, was sie in ihrem Schlafzimmer machte, ob sie sich auszog, fernsah oder vielleicht mit dem Typen telefonierte, mit dem sie sich seit kurzem traf. Wie hieß er noch gleich? Steven? Genau, Steven. Mark hasste den Namen Steven; er erinnerte ihn an Steven Litsky, einen vorlauten Jungen, der mit ihm in Dix Hills, Long Island, in der sechsten Klasse [15] gewesen war, ihn gemobbt und ihm das Leben zur Hölle gemacht hatte. Als er an Karen und Steven dachte, an diesen Steven, wie sie telefonierten, wurde Mark kurz flau im Magen vor Eifersucht, was absurd war, denn weswegen sollte er eifersüchtig sein? Mark war verheiratet – vielleicht nicht hundertprozentig glücklich, aber durchaus stabil verheiratet –, und tatsächlich waren er und Karen lediglich Freunde, mehr nicht. Sie hatten zwar einen guten Draht zueinander, einen besonderen Draht, aber das war auch alles. Dennoch, wenn er an sie und Steven oder irgendeinen anderen Typen dachte, verspürte er jedes Mal diese Übelkeit.

Mit der Fernbedienung öffnete Mark die Garagentür, fuhr dann hinein und stellte den Motor ab. Ohne ein Wort stieg Deb aus, knallte die Tür zu und ging ins Haus. Als Mark aus dem Wagen stieg, wurde er von Casey, ihrem Golden Retriever, begrüßt, er sprang Mark aufgeregt hechelnd an und wischte ihm mit den Pfoten über die Brust.

Mark dachte: ›Tja, wenigstens einer, der nicht sauer auf mich ist‹, und sagte: »Wie geht’s denn so, Casey? Wie geht’s, Jungchen? Wie geht’s dir?«

Immer noch schnaufend, folgte Casey Mark ins Haus.

Karens Kinder, Elana und Matthew, waren gerade zu Besuch. Elana war sechzehn, genau wie Marks Tochter Riley, und die beiden saßen im Wohnzimmer und sahen sich einen Film mit dieser Teenager-Schauspielerin an, die Mark schon im Fernsehen und auf den Titelseiten von Zeitschriften gesehen hatte, deren Namen er sich aber nie merken konnte. Matthew war zehn, zwei Jahre jünger als Justin, doch sie spielten immer gut zusammen. Jetzt [16] waren sie oben in Justins Zimmer und spielten auf der Xbox Call of Duty, wie Mark an den Maschinengewehr- und Explosionsgeräuschen erkannte, die gelegentlich zu hören waren.

»Hallo Mädels«, sagte Mark.

»Hallo«, sagten Elana und Riley, ohne den Blick vom Fernseher zu wenden.

Dann fragte Elana: »Ist meine Mom schon zu Hause?«

Mark sah, wie Deb, die einen Stapel Post auf dem Tisch im Flur durchschaute, ihm einen Blick zuwarf, ehe sie in der Küche verschwand.

»Äh, vermutlich schon«, antwortete Mark.

»Ich geh besser mal.« Elana stand vom Sofa auf.

»Meld mich später auf FaceTime«, sagte Riley, den Blick immer noch auf den Fernseher gerichtet.

»Cool«, sagte Elana und rief nach oben: »Matthew, wir müssen los!«

»Das wird nicht reichen, um ihn von diesem Spiel wegzulocken«, sagte Mark.

»Ja, da hast du wohl recht«, erwiderte Elana auf dem Weg nach oben.

Mark ging auch hinauf, betrat sein Schlafzimmer und schloss die Tür. Dann schickte er Karen eine SMS: War toll dich heute Abend zu sehen! Hoffe du bist gut nach Hause gekommen, Süße.

Mark tauschte mit Karen ständig SMS aus, vor allem seit ihre Ehe in die Brüche gegangen war. Das tat er auch mit vielen seiner Freunde, doch mit Karen machte es irgendwie mehr Spaß. Vielleicht lag es daran, dass sie denselben Humor hatten, dieselbe Wellenlänge. Wenn er im [17] Internet einen interessanten Artikel gelesen hatte oder bei der Arbeit irgendetwas Lustiges passierte, war Karen stets die Erste, der er es mitteilen wollte. Er achtete gewöhnlich darauf, seine SMS zu löschen, besonders die, in denen sie einander »Süßer« und »Süße« oder manchmal »Babe« nannten, denn wenn Deb darauf stieße, würde sie garantiert misstrauisch werden.

Mark zog sich bis auf die Boxershorts aus, dann wusch er sich und machte sich bettfertig. Er wusste, für seine 44 Jahre sah er toll aus. Oben und an den Seiten hatte er ein paar Haare verloren, und er müsste vielleicht zehn – na gut, fünfzehn – Pfund abnehmen, doch er hielt sich auf jeden Fall prima und kam gerade erst ins beste Alter. Wäre er jetzt Single und würde sich wie Karen auf diesen Internet-Partnerschaftsbörsen herumtreiben, o Mann, was würde er abräumen. Wie viele Typen in seinem Alter hatten überhaupt noch Haare auf dem Kopf? Falten hatte er kaum, und Arbeitskolleginnen hatten ihm schon Komplimente zu seinen Augen gemacht. Was hatte Erica McCarthy aus der Personalabteilung gesagt? Er sei »der dunkle, grüblerische Javier-Bardem-Typ«. Diese Bemerkung war runtergegangen wie Öl, auch wenn Mark Javier Bardem erst googeln musste, um ganz sicher zu sein, wer das war.

Mark schaute aus dem Badezimmerfenster; schade, dass es Juni war und so viele Blätter an den Bäumen hingen. Karen wohnte zwar einige Häuser weiter, aber im Winter konnte Mark einen Teil ihres Hauses sehen, sogar ihr Schlafzimmerfenster – einmal hatte er sie nackt gesehen, was phantastisch gewesen war –, doch jetzt sah er gar nichts.

[18] Sein Handy piepte – eine SMS von Karen: Jaa danke gutnacht!!

Er freute sich immer über SMS von ihr, mochten sie auch noch so kurz sein. Er antwortete: Toll babe xoxox, und löschte dann den ganzen SMS-Wechsel.

Im Bett sah er fern – ein wenig Sports Center, einen Teil einer Wiederholung von The Office, und dann einen Standup-Comedian auf Comedy Central. Mark riss sich die ganze Woche als Systemanalytiker für die CitiBank den Arsch auf, manchmal arbeitete er noch bis in den Abend hinein in seinem Büro in Manhattan und kam nicht vor neun oder zehn Uhr nach Hause, und danach saß er am liebsten auf dem Sofa oder lag im Bett und glotzte. Was, war eigentlich egal – Sport, Talkshows, Sitcoms, Reality-TV –, solange es nicht zu viel Gehirnschmalz beanspruchte. Sein Hirn war den ganzen Tag auf Hochtouren, er betreute Handelssysteme auf drei Erdteilen, und wenn er dann zu Hause war, abends und besonders am Wochenende, hatte er auf eines gar keine Lust: zu intensiv nachdenken. Er wollte nur glotzen, sich ausklinken, verschwinden. Er mochte Filme, es mussten aber lustige oder Actionfilme sein, keine Historienfilme. Deb hatte ihn einmal in einen Jane-Austen-Film geschleppt, er hatte regelrecht gelitten und anschließend zu ihr gesagt: »Nie wieder – Historienschinken sind für mich Geschichte.« Und Lesen, das war überhaupt das Schlimmste. Mark begriff nicht, warum Leute gern lasen, warum sie ihre Freizeit damit verbrachten, sich zu konzentrieren und auf Wörter in einem Buch zu starren. Meine Güte, warum sich nicht gleich auf ein Nagelbett legen oder, wenn [19] man schon mal dabei war, zu einem Haufen Klapperschlangen in die Badewanne steigen. Klar, wenn man Lehrer war oder noch zur Schule ging, wenn man musste, aber in der Freizeit, zum Vergnügen? Neben Debs Bett lag immer ein Stapel Bücher, sie hatte eine Lesegruppe, mit der sie sich regelmäßig traf – Gott weiß warum. Über Bücher reden, und das auch noch mit diesen Klatschtanten? Mark las nur Bücher über die Börse oder über Sport, doch selbst die waren manchmal eine qualvolle Lektüre. Aber da Mark sich nicht wie ein Trottel vorkommen wollte, hatte er vor vielleicht fünfzehn Jahren einen Roman gelesen, Die Firma von John Grisham, weil ihm der Film mit Tom Cruise gefallen hatte. Das Buch war zwar schlechter als der Film, doch wenn ihn jetzt auf Partys oder bei Geschäftsanlässen jemand fragte, ob er in letzter Zeit irgendein gutes Buch gelesen habe, sagte er: »Kennen Sie Die Firma? Das war ziemlich gut«, und damit kam er durch.

Mark hatte die Klospülung aus dem Bad der Kinder gehört und Musik aus Rileys Zimmer, also gingen Riley und Justin vermutlich gerade ins Bett. Deb war noch nicht nach oben gekommen, was aber nicht zwangsläufig daran lag, dass sie wütend war. Meist trieb sie sich noch bis spät unten herum, sah fern oder las und trank den einen oder anderen Absacker.

Der Comedian redete über seine Scheidung, machte sich über seine Ex lustig, Mark musste ein paarmal laut lachen. Und dann fiel ihm ein, wie Deb im Auto »Mir reicht’s« gesagt hatte. Eindeutig eine leere Drohung. Erst letzten Monat hatte sie zu ihm gesagt: »Seien wir ehrlich, [20] wir beide sind aufeinander angewiesen«, und das sah er ganz ähnlich. Selbst wenn sie sich stritten oder auf die Nerven gingen, war die Lage doch nicht so schlimm. Es gab weder Gewalt noch größere Probleme. Sie führten ein gutes, bequemes Leben – ein großes Haus, Mitgliedschaft im Country Club, etwas Geld auf der hohen Kante, keine Schulden. Welche Wünsche waren da noch offen? Zugegeben, der Sex war vielleicht nicht so gut wie früher, aber er war auch nicht schlecht. Immerhin machten sie es noch oft – ein paarmal im Monat jedenfalls, öfter als etliche Paare, die Mark kannte. Und das Wichtigste: Sie waren gute Eltern. Riley und Justin waren tolle, glückliche Kinder, und die Beziehung zu Deb müsste erst unerträglich werden, ehe Mark überhaupt erwägen würde, seinen Kindern die Qual einer Scheidung zuzumuten.

Doch aus Jux und Dollerei stellte Mark sich vor, wie es wäre, wenn Deb es ernst meinte – und ihn wirklich verließe. Er hatte diese »Was-wäre-wenn«-Spielchen schon öfter gespielt; harmlose Phantasien, weiter nichts. Mark wusste, wenn seine Ehe zerbrach, würde er früher oder später mit Karen zusammenkommen. Er würde bei ihr einziehen, und die Kinder wären mal da, mal da, gleich in derselben Straße, wie praktisch wär das denn? Es wäre eine umkomplizierte Scheidung, ganz ohne Bitterkeit und Dramen, alle würden gut miteinander auskommen. Für die Kids wäre es sogar besser, denn sie könnten Stiefbruder und -schwester ihrer besten Freunde werden. Und Mark würde nicht nur ständig mit seiner besten Freundin zusammen sein, er könnte auch mit seiner besten Freundin schlafen. Karen hatte im letzten Sommer im Club so [21] umwerfend ausgesehen am Pool, in ihren Bikinis. Wie viele Frauen ihres Alters – 42 – mit zwei Kindern konnten sich im Bikini sehen lassen? Sie hatte perfekte natürliche Brüste, und ihre Arme und ihr Rücken waren wahnsinnig sexy. Oh, und ihre Lippen. Wie es sich wohl anfühlte, sie zu küssen? Im Bett war sie sicher unglaublich, jede Wette. Als er heute Abend ihre Hand hielt, hatte sich ihre Haut so warm und glatt angefühlt, bestimmt fühlte sich ihr ganzer Körper so an. Was, wenn sie in diesem Moment bei ihm im Bett wäre – in diesem blauen Kleidchen, das sie heute Abend getragen hatte; nein, in dem Bikini, genau, im Bikini. Sie beide wären gerade aus dem Pool gekommen und noch nass. Er würde sie küssen – Gott, diese Lippen, die untere fülliger als die obere, so dass es aussah, als würde sie permanent schmollen –, er würde sie küssen und ihre glatten, straffen Arme spüren, ihren glatten, schlanken Rücken, und dann würde er ihr Bikinoberteil lösen und es fallen lassen und dann seine gewölbten Hände auf ihre Brüste legen, an seinen Handflächen spüren, wie ihre Brustwarzen hart wurden. Dann würden sie im Bett liegen, er auf ihr, er würde ihr Bikinihöschen aufschnüren und die Innenseiten ihrer Oberschenkel lecken, sie stöhnen hören – Mark, Mark, o Mark…

»Mark.«

Er hatte unter der Bettdecke masturbiert, doch es war dunkel im Zimmer, bis auf das Licht vom Fernseher. Für alle Fälle drehte er sich auf die Seite.

»Ja?«, sagte er.

»Hast du geschlafen?«, fragte Deb.

»Äh, ja, war kurz davor.«

[22] »Können wir mal kurz reden?«

Er änderte seine Position noch ein wenig und sagte: »Ja, klar.«

Immer noch in dem Kleid, das sie auf der Party getragen hatte, setzte sich Deb ans Fußende des Bettes. »Ich wollte mich nur dafür entschuldigen, wie ich mich vorhin im Wagen aufgeführt hab. Ich hatte kein Recht, dir so an die Kehle zu gehen.«

Mark roch Rum. »Vergiss es«, sagte er. »Ist keine große Sache.«

»Klar isses ’ne große Sache.« Sie lallte ein wenig. »Ich weiß doch, dass wir in letzter Zeit ein paar Probleme hatten, aber ich glaub nicht wirklich, dass zwischen dir und Karen was läuft, und ich werd nicht mit ihr reden, keine Sorge. Ich will… ich will nur nicht mehr so sein. Echt, so will ich nicht sein. Willst du so sein?«

Mark stellte sich wieder vor, wie er die Innenseiten von Karens Schenkel leckte. »Können wir morgen darüber reden?«

Mit der Fernbedienung machte er den Fernseher aus. Im Zimmer war es jetzt stockdunkel.

»Lass uns irgendwohin fahren«, sagte Deb. »Eine Reise, nur wir zwei. Die Kinder sind im Juli im Sommerlager, lass uns etwas planen. Wir waren nie in Italien. Wir wollten immer mal an die Amalfiküste, lass es uns einfach machen, zwei Wochen verreisen, zusammen ein richtiges Abenteuer erleben.«

Er stellte sich vor, wie frustrierend es wäre, zwei Wochen so weit weg von Karen zu sein, und sagte: »Lass uns darüber nachdenken.«

[23] »Das sagen wir immer, aber wir fahren nie. Warum tun wir’s nicht einfach?«

»Wir haben für den Sommer schon den Country Club bezahlt.«

»Wir zahlen immer für den Country Club«, sagte Deb. »Ich rede von zwei Wochen, nur zwei Wochen. Echt, die Kinder sind jetzt älter – es ist so weit, jetzt ist eines Tages.«

»Nächste Woche habe ich ein Riesenprojekt«, sagte Mark, »da kommen Leute aus Hongkong.«

»Das ist nächste Woche. Ich rede von Juli. Guckst du morgen mit mir im Internet? Wollen wir gemeinsam gucken?«

Nur um die Diskussion zu beenden, sagte Mark: »Na gut, in Ordnung, wir gucken.«

»Danke dir.« Deb beugte sich über Mark und küsste ihn, dabei befühlte sie ihn durch die Decke. »Ooh, anscheinend bist du wegen Italien wirklich aufgeregt.« Sie setzte sich wieder auf, drehte Mark den Rücken zu und sagte: »Zieh mich aus.«

Eher enttäuscht als aufgeregt öffnete Mark Debs Reißverschluss. Dann stand sie auf, trat ihre Highheels in die Ecke und wand sich aus dem Kleid. Wenig später lag sie nackt neben ihm im Bett.

»Küss mich«, sagte sie.

Mark küsste sie, er schmeckte Rum. Er musste pausenlos an Karen in ihrem nassen Badeanzug denken. Er stellte sich vor, wie er den Knoten löste, wie das Bikinihöschen sofort abfiel.

»Küss mich so, wie du mich küssen willst«, sagte Deb.

[24] Mark küsste sie weiter, steckte die Zunge tiefer in ihren Mund, schmeckte noch mehr Rum. Er schloss die Augen und stellte sich vor, er würde Karen küssen. Seine Hände auf ihrem Arsch – ihrem strammen, festen Arsch.

Dann stieg Deb auf ihn, doch es war Karen. Wie würde es sich anfühlen, wenn Karen auf ihm sitzen, ihn reiten würde? Er sah sie vor sich, wie sie den Rücken wölbte, das Bikinioberteil war weg, seine Hände umfassten ihre Brüste.

»Vergiss es«, sagte Deb und stieg von ihm runter.

Mark hatte keine Ahnung, was los war. »Was ist denn?«, fragte er.

Deb lag neben ihm, drehte sich weg und zog die Decke bis über ihren Kopf.

Jetzt wurde Mark wirklich paranoid. Hatte er Karens Namen laut gesagt?

Sein Puls raste. »Sag schon, was ist los? Was hab ich gemacht?«

Deb schwieg eine Weile, dann hörte er sie schniefen. Mist, sie weinte. Bestimmt hatte er den falschen Namen gesagt. Warum sollte sie sich sonst so aufführen?

»Komm schon, sag’s mir«, drängte er. »Ich hab keine Ahnung, was hier abgeht.«

»Vergiss es«, sagte sie. »Alles ist so… egal.«

»Alles ist so was? Was ist denn los?«

»Nichts«, sagte sie. »Vergiss es, okay? Vergiss es einfach.«

Frustriert wandte sich Mark ab. Wieder versuchte er, sich die nackte Karen vorzustellen, doch diesmal blieb das Bild diffus. Er sah noch nicht einmal ihr Gesicht vor [25] sich. Ihre Augen, ihre Lippen, ihre Haare, ja, aber nicht sie.

Er probierte es immer wieder, bis er endlich einschlief.

[26] 2

Als Deb aufwachte, dicht an der Bettkante, von Mark abgewandt, verkatert, erschöpft, weil sie die ganze Nacht nur am Rand des Schlafs geschwebt hatte, dachte sie: ›Ich halt das nicht mehr aus.‹ Sie hatte keine Ahnung, warum oder wie sie in diese Lage gekommen war, doch es zermürbte sie, geistig und körperlich. Die ganze Zeit war sie gestresst – verbittert, gereizt, paranoid. Sie hatte Glück, dass es so lange gutgegangen war, doch wenn sie der Sache nicht bald ein Ende setzte, einen glatten Schnitt machte, würde sich ihr Leben in einen veritablen Alptraum verwandeln.

Sie blieb im Bett liegen und grübelte, bis um sieben Uhr der Wecker schrillte. Mark, das Gesicht in die andere Richtung gedreht, rührte sich kurz, schlief dann wieder ein. Als sie aufstand, traf die Benommenheit sie mit voller Wucht. Scheiße – Wodka und Rum durcheinanderzutrinken war eindeutig eine blöde Idee gewesen. Sie konnte Wodka und Whiskey durcheinandertrinken, und nichts passierte, doch der Rum gab ihr immer den Rest.

Sie schwankte ins Bad. Ein paar Minuten später, auf dem Weg nach unten, verlor sie fast das Gleichgewicht und musste sich am Geländer festhalten. Sie hätte sich gestern Nacht vor dem Schlafengehen den Finger in den [27] Hals stecken oder wenigstens etwas Wasser trinken sollen. Immer vergaß sie das Wasser.

In der Küche füllte sie eine von Justins SpongeBob-Tassen mit Wasser aus dem Poland-Spring-Container, aber ihr war zu übel, um mehr als ein paar Schlückchen zu trinken.

›Advil‹, dachte sie aufgeregt, als wäre ihr soeben eine geniale Idee gekommen, und fand ein paar Kapseln in dem Medizinschränkchen. Sie schluckte zwei davon und dann gleich noch eine, weil sie sich schneller besser fühlen wollte. Sie machte sich mit der Keurig-Maschine eine Tasse Kaffee und trank ihn dann am Küchentisch. Ihr war immer noch elend zumute, doch das lag nicht nur am Alkohol in ihrem Körper, sondern an der ganzen Situation. Manchmal kam ihr das Leben so aufreibend und überwältigend vor, und, noch schlimmer, sie wusste, dass sie selbst dafür verantwortlich war. Im Ernst, wie viele 44-jährige Frauen würden nicht Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um das zu bekommen, was sie hatte? Ein Haus mit vier Schlafzimmern in Westchester County, einen erfolgreichen, tüchtigen Mann, zwei phantastische Kinder. Vielleicht langweilte sie sich, vielleicht war das ihr ganzes Problem. Früher hatte sie für eine Marktforschungsfirma gearbeitet, nach Rileys Geburt aber damit aufgehört. In ihren alten Job wollte sie nicht zurückkehren, doch sie hatte immer vom Malen geträumt. Sie war durchaus begabt gewesen, hatte auf dem College ein paar Kunstkurse belegt und war davon begeistert gewesen. Sie könnte ein paar Tage pro Woche in der Stadt die Kunstschule besuchen – im Internet hatte sie sich schon über [28] die Art Students League of New York erkundigt –, und im Keller war jede Menge Platz, um sich ein Atelier einzurichten. Es wäre toll, sich kreativ zu betätigen, in der Stadt neue, interessante, kreative Leute kennenzulernen. Sie musste nur den ersten Schritt machen und sich für einen Kurs einschreiben, aber sie hatte vergessen, wie man die Initiative ergriff, wie man etwas anpackte.

Sie hörte einen Vibrierton und erblickte ihr zweites Handy, das Prepaid-Telefon, auf dem Küchentisch. Mist, sie musste es letzte Nacht aus ihrer Handtasche genommen haben, als sie das Advil gesucht hatte. Meist achtete sie darauf, das Handy nicht offen herumliegen zu lassen, aber was war mit ihm? Wie oft hatte sie ihm eingeschärft, keine SMS zu schicken, wenn er nicht ganz genau wusste, dass sie allein zu Hause war. Was sollte das, wollte er erwischt werden?

Sie sah nach, und tatsächlich war da eine Nachricht von Owen Harrison, gleich vorne auf dem Display: Kann’s nicht erwarten dich heute ordentlich durchzuficken!!!

»Meine Güte«, murmelte sie und löschte die SMS. Ein zweites Handy zu haben war eine gute Vorsichtsmaßnahme, aber kein Rundum-Sorglos-Schutz. Selbst wenn sie sorgfältig jeden Anruf und jede SMS löschte – wie sollte sie die Existenz des Handys erklären, falls Mark es fand? Sie könnte behaupten, eine Freundin habe es ihr gegeben, oder sie habe es gefunden, doch jede Erklärung wäre dürftig. Sie hielt diesen Stress nicht mehr aus. Dieses Leben am Rande der Katastrophe, in ständiger Angst, dass Mark oder, Gott bewahre, die Kinder das Handy [29] fanden oder eine SMS lasen, die ihr restliches Leben zerstören konnte, war einfach zu aufreibend.

Sie hasste sich dafür, aber sie antwortete: Oooh, du bist so ungezogen!

So lief es immer zwischen ihr und Owen – nie hielt sie sich an das, was sie sich vorgenommen hatte. Manchmal wollte sie Schluss machen, doch sie war schwach, impulsiv und traf ein ums andere Mal dieselbe dumme Entscheidung. Die schlimmste Entscheidung war gewesen, sich überhaupt mit ihm einzulassen, ihre ganze Ehe, vielleicht ihr ganzes Leben, in die Hände eines achtzehnjährigen Jungen zu legen.

Eines achtzehnjährigen Jungen.

Manchmal kam ihr die ganze Situation surreal vor. Owen war sechzehn gewesen, als die Affäre begann, was sie zu einer Ehebrecherin und Kinderschänderin machte. Jawohl, Deb Berman war eine Kinderschänderin. Nicht irgendeine Andere, keine Fremde aus den Nachrichten – sie. In den letzten zwei Jahren hatte es immer wieder solche Momente gegeben, an einem ganz normalen Abend zu Hause saß sie mit ihrer Familie am Esstisch oder half den Kids bei den Hausaufgaben, und plötzlich der Gedanke: ›Ich bin eine Kinderschänderin.‹ Und dann erschauerte sie, fühlte sich schwindlig und schwerelos; das konnte unmöglich wahr sein. Es schien, als wäre sie in eine andere Realität versetzt, wo sie zwar immer noch Deb Berman war, aber eine andere Deb Berman, die in den Nachrichten auftauchte, eine Frau, auf die sie herabsah: ›Wie konnte sie so etwas machen? Wie konnte sie nur so krank, so abartig sein?‹ Sie wünschte, sie könnte [30] zurückgehen und wieder die herablassende Deb Berman sein, die richtete und nicht gerichtet wurde.

Noch eine SMS von Owen: Ich bin gerade so geil, ich will dich so sehr

Eigentlich sollte sie angewidert sein, abgestoßen – sie war nicht komplett neben der Spur, sie wusste immer noch, wie sie sich fühlen sollte. Und dass es falsch war, dass sie aufhören musste, so egoistisch zu sein. Es ging hier nicht um sie, nicht darum, eine wie auch immer geartete Leere zu füllen; es ging um ihre Familie und um seine Familie. Herrgott noch mal, Owen war nur zwei Jahre älter als Riley, und Riley und Owen kannten sich seit Jahren, hatten gemeinsame Freunde. Deb war mit Owens Mutter, Linda Harrison, zwar nicht befreundet, aber sie hatten einen freundlichen Umgang miteinander. Seit Jahren liefen sie einander im Ort über den Weg – bei Schulanlässen, im Einkaufszentrum, bei Fußballspielen. Was, wenn Linda dahinterkam? Wie wütend, schockiert und rachsüchtig würde sie sein?

Deb musste das Owen klarmachen, und zwar nicht irgendwann mal, sondern heute. Sie musste ihm erklären, dass sie nicht weiter den Menschen weh tun konnten, die sie liebten. Sie würde ihn daran erinnern, dass es schon ein paarmal richtig brenzlig geworden war, in seinem Wagen auf dem Schulparkplatz zum Beispiel, als diese Kids vorbeigekommen waren und sie fast gesehen hätten. Oder als sie eines Nachmittags in Owens Zimmer Sex hatten, da sollten Linda und ihr Mann Raymond – Owens Stiefvater – eigentlich weg sein, aber Raymond kam unerwartet nach Hause, so dass sich Deb in Owens [31] Kleiderschrank verstecken musste, wie eine Figur in einem Film, einer Slapstickkomödie, doch das war kein Film und schon gar keine Komödie. Es war die reale Welt, wo ernste Konsequenzen drohten, deshalb mussten sie vernünftig sein, das Richtige tun und einander vergessen, jeder mit seinem Leben weitermachen.

Dann schrieb Deb: Ich bin auch so geil auf dich!

Sie hasste sich, weil sie so schwach, so jämmerlich war. Am besten schickte sie ihm noch eine SMS hinterher, teilte ihm mit, dass sie ihn doch nicht treffen konnte und dass sie das Ganze beenden mussten, heute noch.

Sie tippte: Wir sollten uns wirklich nicht, löschte die Worte wieder, sagte sich, dass es schrecklich war, per SMS mit jemandem Schluss zu machen. Für einen Achtzehnjährigen war Owen besonnen und reif – sonst hätte sie sich gar nicht erst zu ihm hingezogen gefühlt –, doch sie musste sichergehen, dass er verstand, wirklich verstand, dass es aus war, dass sie nicht mehr wollte.

Ihr war immer noch übel, und das Kopfweh machte sie fertig. Nachdem sie sorgfältig sämtliche SMS gelöscht hatte, schaltete sie das Handy auf stumm und steckte es in ihre Handtasche. Dann hörte sie Casey die Treppe hinuntertappen, bald darauf kam er hechelnd in die Küche und ging direkt zu den vergitterten Schiebetüren. Sie ließ ihn raus, und als sie dem Hund zusah, wie er fröhlich Richtung Garten lief, um sein Geschäft zu erledigen, dachte sie: ›Mit dem anfangen, womit man am Vortag aufgehört hat‹, holte ein Glas, ging zur Hausbar im Wohnzimmer und goss sich etwas Wodka ein – nicht viel, nur ein halbes Glas, genug, um wieder in die Spur zu kommen.

[32] Als sie den Wodka wieder wegstellte, hörte sie: »Hi, Mom.«

Justins Stimme erschreckte sie so, dass sie fast die Flasche fallengelassen hätte.

»Ich wusste gar nicht, dass du schon auf bist«, sagte Deb. »Du hast mir einen Schreck eingejagt.«

»Mir geht’s nicht so gut«, sagte er und hielt sich den Bauch.

›Willkommen im Club‹, dachte sie. »Bestimmt bist du nur hungrig. Warum gehst du nicht in die Küche, siehst ein wenig fern, und ich mach dir Frühstück?«

Als er weg war, trank sie den Wodka in einem Schluck aus. Zuerst wurde ihr noch schlechter, und sie dachte, sie müsse sich übergeben, doch wenig später fühlte sie sich besser. Na ja, jedenfalls weniger elend.

Justin saß am Küchentisch vor dem Fernseher, bereits von Pokémon gefesselt, und Deb fragte: »Wie wär’s mit ein paar Pfannkuchen für deinen knurrenden Magen?«

»Okay«, sagte Justin, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden.

Als Deb loslegte, den Pfannkuchenteig zubereitete und Fett in die Pfanne gab, fühle sie sich großartig – nicht nur, weil der Konter-Alkohol seine volle Wirkung entfaltete, sondern weil sie wieder in ihrer Mutterrolle war. Zu denken, dass sie das wegen eines Techtelmechtels mit einem Teenager aufs Spiel setzte. Sie war wirklich froh, dass sie jetzt endlich Schluss machen würde, dass sie aus diesem Alptraum erwacht war.

Sie brachte Justin seine Pfannkuchen, und nach ein paar Bissen sagte er, es gehe ihm schon besser.

[33] Später, als sie gerade den Tisch abräumte, kam Mark in Boxershorts und einem alten T-Shirt runter in die Küche, grunzte »Morgen« und ging direkt zur Kaffeemaschine.

»Guten Morgen«, sagte Deb.

Er drehte ihr weiter den Rücken zu, wartete auf den Kaffee. Auch wenn Marks Schweigen nicht ganz ungewöhnlich war – morgens redeten sie nie viel miteinander –, so hatte es heute offenbar mit dem Streit im Auto und den nächtlichen Spannungen zu tun. Deb wusste, dass es ein Fehler gewesen war, wegen ihm und Karen so ein Fass aufzumachen. Es ließ sich zwar nicht übersehen, dass die beiden mit dem Gedanken an eine Affäre zumindest spielten, doch es war keine gute Idee gewesen, ihm das auf den Kopf zuzusagen und ein Gespräch mit Karen anzudrohen, solange Deb noch ein Verhältnis mit Owen hatte. Mark hatte das mit Owen bis jetzt nur deshalb nicht herausgefunden, weil er so auf Karen fixiert war, und außerdem, welches Recht hatte Deb, sich wegen irgendwas aufzuregen, das Mark tat?

»Können wir über letzte Nacht reden?«, fragte Deb.

Der Kaffee spritzte in die Tasse.

»Was gibt’s da zu reden?«

Typisch Mark, der die Dinge lieber köcheln ließ, statt sie direkt anzugehen.

»Über gestern im Auto.« Sie senkte die Stimme, damit Justin nichts mitbekam. »Ich fühl mich immer noch schlecht, weil ich dich so angegriffen habe. Das war falsch von mir.«

»Egal«, sagte Mark, ohne den Blick von der Kaffeemaschine zu wenden. »Ist nicht so wichtig.«

[34] Deb fiel auf, dass Mark sein iPhone in der Hand hielt. Auch das war normal – nun, seit kurzem normal. Er schien sein Handy ständig mit sich herumzutragen, und manchmal sagte er, er müsse »frische Luft schnappen«, oder er ging tanken oder Milch holen oder was ihm sonst noch an Vorwänden einfiel.

»Und auch gestern Nacht im Bett«, sagte Deb. »Ich weiß wirklich nicht, warum ich so ausgeflippt bin. Es ist wohl einfach eine Weile her, dass wir –«

»Muss ich da hin?« Justin war in die Küche getreten, immer noch im Schlafanzug.

»Ja«, antwortete Deb, »der Trainer sagte, es ist ein Pflichttraining.«

»Nein, muss ich heute Abend zu Andrews Pyjamaparty?«

»Ja, und zieh dich bitte an.«

»Na schön.« Justin ging.

»Wo war ich gerade?«, fragte Deb Mark.

Der goss Milch in seinen Kaffee und sagte: »Keine Ahnung.«

»Ach ja, letzte Nacht. Ich war angetrunken und bin mir nicht sicher, was passiert ist, aber es war mir Ernst mit der Reise. Es würde uns bestimmt guttun, von allem mal wegzukommen, eine Flucht. Ich glaube, das haben wir wirklich nötig.«

Mark ging an ihr vorbei, Kaffee in einer, iPhone in der anderen Hand: »Können wir später darüber reden? Ich bin gerade aufgewacht, ich kann mich jetzt nicht konzentrieren.«

»Ich will das nicht wieder aufschieben«, sagte Deb.

[35] Mark ging in das Arbeitszimmer gegenüber der Küche, und Deb hörte, wie die Tür zufiel. Jetzt würde er bestimmt Karen eine SMS schreiben, sich vielleicht beklagen, wie zickig Deb im Auto gewesen war, und dass sie jetzt auch noch eine Italienreise unternehmen wollte. Deb war wütend, gekränkt – welches Recht hatte diese Frau, irgendwas zu wissen? Am liebsten wäre sie in das Büro gestürmt, hätte von Mark verlangt, dass er Karen keine SMS mehr schrieb und den Kontakt zu ihr abbrach – was jede Ehefrau getan hätte, die keine Affäre hatte –, doch wegen ihrer eigenen Situation fühlte sie sich machtlos.

Deb ging zur Hausbar. Sie streckte die Hand aus, um sie zu öffnen, hielt dann inne, sagte sich, dass sie ohne einen zweiten Drink morgens um neun wahrscheinlich besser dran wäre, und kehrte in die Küche zurück. Beim Beladen des Geschirrspülers war sie stolz auf sich, weil sie auf den Drink verzichtet hatte – der Beweis, dass sie kein totales Opfer war, sondern die Kontrolle übernehmen konnte, wenn sie nur wollte. So wie sie der Hausbar den Rücken gekehrt hatte, konnte sie Owen einfach den Rücken kehren. Sie musste nur stark sein, sich auf die Dinge konzentrieren, die sie auf gar keinen Fall verlieren durfte, dann würde sie es schaffen.

Als sie zur Treppe ging, sah sie, dass die Tür zu Marks Büro offen stand, er aber nicht drin war. Sie fand ihn oben im Schlafzimmer vor, wo er in kurzer Sporthose und T-Shirt am Fußende des Bettes saß und sich die Socken anzog. Auch das waren ganz neue Sitten. Jahrelang war Golf seine einzige sportliche Betätigung gewesen, doch in letzter Zeit joggte er fast jeden Morgen, und er hatte [36] sogar die Geräte im Keller abgestaubt und Bankdrücken gemacht.

»Gehst du laufen?«, fragte Deb, als sie ihre Kommode öffnete, um sich Klamotten für den Tag auszusuchen.

»Ja«, sagte Mark, ohne sie anzusehen.

Sie nahm eine Jeans heraus und ein graues T-Shirt mit rundem Ausschnitt. Ihm den Rücken zuwendend, sagte sie: »Sei vorsichtig, wenn du neben der Straße läufst.«

»Klar«, sagte er.

In letzter Zeit hatte sie sich vor dem Duschen meist im Bad ausgezogen, wenn Mark im Schlafzimmer war, doch jetzt entschied sie sich dagegen. Warum sollte sie sich nicht vor ihrem Mann ausziehen?

Sie streifte ihr T-Shirt und ihre Jogginghose ab und trug jetzt nur noch einen Slip. Mark, der gerade seine Laufschuhe schnürte, saß abgewandt auf der Bettkante, doch vor ihm, über der anderen Kommode, hing ein Spiegel, und wenn er aufblickte, würde er sie halb nackt sehen.

»Wie weit willst du denn laufen?«, fragte Deb.

Mark sollte sie ansehen und bemerken, wie sexy sie war. Denn sie war sexy. Viermal pro Woche ging sie ins Fitnessstudio – also gut, zweimal –, außerdem schwamm sie Längen im Country Club. Zugegeben, sie war vielleicht nicht so gut in Form wie die fitnessbesessene Karen, doch für vierundvierzig sah sie verdammt gut aus. Sie wog knapp achtundfünfzig Kilo, nur drei Kilogramm mehr als bei ihrer Hochzeit.

Mark schnürte seine Sportschuhe fertig, dann stand er auf und schrieb eine SMS, wahrscheinlich an Karen. Deb [37] kam sich erbärmlich vor, wie sie oben ohne dastand und wartete, dass ihr ungerührter Ehemann mit seiner SMS an seine Freundin fertig war und sie bemerkte, ihr vielleicht ein Kompliment machte.

Deb wollte gerade aufgeben, einfach ins Bad gehen, als Mark, ohne sein Handy aus den Augen zu lassen, sagte: »Och, nicht so weit. Nur ein paar Kilometer.«

»Toll«, sagte Deb. »Vielleicht sollten wir mal zusammen Tennis spielen.«

»Tennis?«

Deb wusste nicht, ob er ihr richtig zuhörte. »Ja, Tennis. Haben wir früher dauernd gemacht. Ich würd gerne wieder damit anfangen.«

»Mal sehn, vielleicht.« Er steckte das Handy in die Tasche seiner Shorts. »Hast du meine Schlüssel irgendwo gesehen?«

Er blickte sich im Zimmer um, blickte direkt an ihr vorbei, fixierte dann die Kommode links von ihr.

»Da sind sie ja«, sagte er und schnappte sich gleich neben ihr die Schlüssel, ohne auch nur zu registrieren, dass sie nackt war. Auf dem Weg zur Tür sagte er dann: »Kannst du Riley wecken, ehe du gehst? Sonst schläft sie bis in die Puppen. Ich setz sie beim Tanzen ab und schicke dir später vom Golf aus ’ne SMS. Schreib mir, wenn du irgendwas von Trader Joe’s brauchst. Bis später.«

Deb sah ihm nach, als er das Schlafzimmer verließ.

Unter der Dusche hatte Deb das Gefühl, dass die Zeit ablief. Klar, sie und Mark gingen schon seit längerem distanziert miteinander um, doch so gleichgültig hatte sie ihn noch nie erlebt. Hatte sie ihn zu weit von sich [38] gestoßen? War es nun bereits unmöglich, ihn zurückzugewinnen?

Deb zog sich rasch an, sie wollte so schnell wie möglich in die Schule und mit Owen sprechen. Wenn sie mit Owen verabredet war, zog sie normalerweise ihre schönsten Spitzen-BHs und -höschen an, doch heute entschied sie sich für ihre schäbigste Unterwäsche, damit sie gar nicht erst in Versuchung kam.

Als sie Justin holen ging, war er immer noch im Pyjama und spielte ein Videospiel.

»Was zum Teufel machst du da? Du solltest dich doch anziehen.«

Sie wusste, ihre Wut galt nicht nur Justin, sondern allem und jedem, doch sie konnte sich nicht beherrschen.

»Tut mir leid«, sagte Justin.

Sie nahm den Joystick.

»He, gib ihn wieder her«, sagte er.

»Du hast fünf Minuten, um dich anzuziehen, sonst schmeiß ich ihn weg.«

Deb ging über den Flur in Rileys Zimmer. Sie lag zusammengerollt in ihrem Bett, schlief tief und fest und sah eher wie zwölf aus als wie sechzehn.

»Na los, Zeit aufzustehen«, sagte Deb.

Riley schlug die Augen auf. »Was?« Sie wirkte desorientiert.

»Dad fährt dich nachher zum Tanzunterricht«, sagte Deb. »Ich versteh nicht, warum du nicht allein aufstehen kannst, warum ich dein Wecker sein muss.«

Mit heftig pochendem Puls ging Deb nach unten und legte Justins Nintendo DS auf ein oberes Regalbrett im [39] Flurschrank. Sie verscheuchte das Bild von Karen und Mark, wie sie im Garten der Lerners gestern Abend Händchen hielten, rief: »Achtung, vier Minuten!«, ging dann ins Esszimmer, direkt zur Hausbar, und nahm die Flasche Stoli heraus. Sie wusste, das war keine gute Idee, sie war schwach, doch sie brauchte einen Drink, einen kleinen Drink, für die Nerven. Sie goss ein Glas halb voll, gab dann noch ein wenig mehr hinzu, bloß für einen winzigen Extrakick, und kippte es rasch hinunter.

Schön, so war es schon besser, jetzt fühlte sie sich entspannter, und das war doch das Wichtigste. Mit so einer inneren Unruhe konnte sie unmöglich einen Schlussstrich unter ihre Fehler ziehen und diesen Tag durchstehen.

»Drei Minuten!«, schrie sie, dann ging sie zu ihrer Handtasche und warf einen Blick auf ihr Handy. Eine neue SMS von Owen: Heute werd ich’s dir so was von besorgen, Baby!!!!

Es machte sie an, und das ärgerte sie, also löschte sie die SMS und suchte im Internet nach »ferien amalfiküste«. Sie überflog die Suchresultate und klickte eine Webseite an, die sieben Übernachtungen in einer spektakulären Hotelanlage anbot, einschließlich geführter Ausflüge. Vielleicht konnten sie eine Woche in Italien verbringen und noch eine in Griechenland. Außerdem war es kein Luxus, mal gemeinsam wegzufahren, sondern eine Notwendigkeit. Hier in Westchester County würden sie ihre Ehe nie wieder auf Kurs bringen. Sie mussten den Alltag, die Ablenkungen hinter sich lassen. Sie liebte die Kinder, aber es war vor allem die Routine, das ewige Einerlei ihres Lebens, das ihre Beziehung ruiniert hatte.

[40] »Noch eine Minute!«, rief sie.

Sie räumte die Küche auf, vergewisserte sich, dass Casey im Haus war. Gerade wollte sie verkünden, dass die Zeit jetzt um sei, als Justin nach unten kam, komplett angezogen, aber mit den Sportschuhen in der Hand.

»Glück gehabt, gerade noch geschafft«, sagte Deb.

Sie stiegen in Debs Wagen, Justin setzte sich auf die Rückbank. Als Deb aus der Garage fuhr, spürte sie den Drink, doch es war in Ordnung – sie konnte fahren.

»Ich will wirklich, wirklich, wirklich nicht zu dieser Pyjamaparty«, sagte Justin.

Deb hörte ihr Handy in der Handtasche vibrieren, noch eine SMS von Owen.

»Du gehst da hin«, fuhr Deb Justin an, »und das ist mein letztes Wort.«

[41] und es würde gar nicht so schwierig werden, mit ihm Schluss zu machen, gar kein großes Drama geben. Vielleicht war ihm genauso klar wie ihr, dass es so nicht weitergehen konnte, dass die Zeit für einen Abschied gekommen war, und damit wäre die Sache erledigt.