Vorwort

Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht (Lk 21,28) 1

Es hat tatsächlich auch etwas von einer Erlösung, wenn ein so umfangreiches Vorhaben wie eine theologische Promotion abgeschlossen ist. Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2012/2013 vom Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Marburg als Dissertation angenommen. Für den Druck habe ich sie leicht überarbeitet und gekürzt.

Über dem Titel steht nur ein einziger Name und doch sind es viele Menschen, die es möglich gemacht haben, dass das Buch in dieser Weise fertiggestellt werden konnte. Ihnen sei an dieser Stelle von Herzen Dank gesagt, auch wenn sie im Folgenden nicht alle namentlich genannt werden können.

Zuerst danke ich dem Betreuer des Promotionsprojektes Prof. Dr. Jochen-Christoph Kaiser. Er entdeckte und förderte mein Interesse an Kirchlicher Zeitgeschichte und bestärkte mich darin, nach dem Vikariat und parallel zu den ersten Amtsjahren an meinem Thema zu arbeiten. Er stand mir an den neuralgischen Punkten des Arbeitsprozesses mit Rat und Tat zur Seite und gab mir mit seiner umfassenden Kenntnis des deutschen Verbandsprotestantismus immer wieder wichtige Impulse zur Weiterarbeit. Professor Dr. Wolf-Friedrich Schäufele danke ich für das Zweitgutachten.

Es gäbe keine Arbeit über die Gemeindehelferinnenausbildung im Burckhardthaus ohne den Geschichtsverein des Seminars für kirchlichen Frauendienst. Er ist im Jahr 2006 an verschiedene Hochschullehrer und Hochschullehrerinnen in Deutschland herangetreten, um für eine wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas zu werben. An dieser Stelle sei insbesondere Pfarrerin Helga Rosemann erwähnt. Als gute Seele und manchmal auch schlechtes Gewissen erinnerte sie mich in regelmäßigen Anrufen daran, dass viele ihrer Kolleginnen die Fertigstellung der Arbeit neugierig erwarteten. Sie vermittelte mir auch die Kontakte zu einigen Interviewpartnerinnen, die das, was in den Akten zu lesen ist, mit Leben und Erinnerungen füllten.

Ich danke den Mitarbeitenden der Archive, die ich für meine Recherche besuchte: das Evangelische Zentralarchiv in Berlin, das Archiv des Diakonischen Werkes in Berlin und das Evangelische Landeskirchliche Archiv in Berlin. Vor allem aber danke ich Marianne Ott, die mir die Türen im Burckhardthaus in Gelnhausen zu einer Zeit öffnete, in der sich für den Gesamtverband viele andere Türen schlossen. Sie half mir stets freundlich und zuvorkommend, den unübersichtlichen und umfangreichen Aktenbestand dort zu systematisieren.

Der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau danke ich für die institutionelle Unterstützung der Arbeit. Sie ermöglichte mir die Zweigleisigkeit zwischen Promotion und Pfarramt. Mit einem Zuschuss meiner Heimatkirche konnte ein Teil der Druckkosten gedeckt werden. Die Hessische Lutherstiftung griff mir eineinhalb Jahre mit ihrem Promotionsstipendium unter die Arme, was für die Niederschrift der Arbeit unerlässlich war.

Das Lektorat und den Satz des Buches verdanke ich der sorgfältigen Arbeit von Dietlind Grüne und Dr. Katrin Ott.

Meinem Oberseminar in Marburg sei gedankt für sechs Jahre lebhaften Austausch über zentrale Themen der Kirchlichen Zeitgeschichte. Es war für mich die stetige Verbindung zur Universität und brachte Anregungen zum Quer- und Weiterdenken.

Schließlich danke ich meinem Mann Christoph Gerdes, meinen Eltern Gudrun und Siegfried Müller, meinen Kindern Jette und Justus und meinen Freundinnen und Freunden. Ohne ihre beharrliche Ermutigung und ihre Geduld wäre die Arbeit Fragment geblieben. Vielen Dank für alle Liebe und Unterstützung!

Bad Homburg, im Advent 2013

Rebecca Müller

1 Wochenspruch zum 2. Advent.

1 Einführung

1.1 Forschungsgegenstand und -ziele

1.1.1 Forschungsgegenstand

Die folgende Untersuchung trägt den Titel ‚Ausbildung zur Gemeindehelferin – Das Seminar für kirchlichen Frauendienst im Burckhardthaus e.V. (1926–1971)‘. Den maßgeblichen Forschungsgegenstand stellt das Seminar für kirchlichen Frauendienst im Rahmen des Burckhardthaus-Verbandes dar. Der Burckhardthaus-Verband war bis zum Jahr 2012 ein evangelisches Fort- und Weiterbildungsinstitut für Jugend-, Kultur- und Sozialarbeit, das sich zum Teil in freier Trägerschaft und zum Teil in Trägerschaft der EKD mit Sitz in Gelnhausen befand.2 Gegründet wurde das Institut im Jahr 1893 in Berlin als ‚Vorstände-Verband der evangelischen Jungfrauenvereine Deutschlands‘3 durch Pfarrer Johannes Burckhardt (1853–1914) mit der Absicht, das heterogene Spektrum der bereits existierenden protestantischen Jungfrauenvereine zu vernetzen, ihre Arbeit zu verfachlichen und damit einen Beitrag zu einer präventiven weiblichen Jugendpflege/-fürsorge zu leisten. Ziel war einerseits die Bildung ‚christlicher Persönlichkeiten‘, die man befähigen wollte, den ‚sittlichen Gefährdungen‘ des hoch industrialisierten Kaiserreiches zu widerstehen. Andererseits wies Burckhardt vor allem den jungen Frauen des Bürgertums eine wichtige Funktion für den Gemeindeaufbau in den explodierenden Kirchengemeinden der Großstädte zu und stellte den Verband damit von Anfang an in die Nähe der verfassten Kirche.4 Diese doppelte Zielsetzung spiegelte sich auch in den Verbandsgremien wider: Getragen von Persönlichkeiten aus Kirche und Innerer Mission und beeinflusst von der Jugendbewegung, entwickelte sich der Verband in den folgenden Jahrzehnten zum einflussreichsten evangelischen Jugendverband für junge Mädchen und Frauen in Deutschland. Im Jahr 1932 zählte er ca. 304.000 Mitglieder.

Im Zusammenhang mit den Bemühungen um eine Verfachlichung der Vereinsarbeit stellte die Ausbildung von ehrenamtlichen Kräften zur Leitung der Jungfrauenvereine, aber auch von sogenannten ‚Berufsarbeiterinnen‘, die ihre Arbeit sowohl in den unterschiedlichen Arbeitszweigen des Verbandes als auch im gesamten Bereich der Inneren Mission verrichteten, von Anfang an einen wichtigen Schwerpunkt des Verbandes dar. Im Jahr 1908 beteiligte man sich an der Gründung der Sozialen Frauenschule der Inneren Mission in Berlin, um den Ausbildungswegen für die Soziale Arbeit in den nicht konfessionellen Frauenschulen eine explizit protestantische Institution entgegenzustellen.5 Im Oktober 1926 wurde schließlich im Obergeschoss des 1914 bezogenen Bundeshauses (Burckhardthaus) die ‚Bibel- und Jugendführerschule‘ eröffnet. Die Schule sollte junge Frauen speziell für die Arbeit in Jugendvereinen bzw. deren Dachverbänden, aber auch für den Bereich der Gemeindepflege zur Entlastung des Pfarramtes (Gemeindehelferinnen) ausbilden. Die Leitung der Schule teilten sich der Pfarrer und ehemalige Verbandsvorsitzende Wilhelm Thiele (1863–1930) und die Theologin Anna Paulsen (1893–1981).6 Die Ausbildung dauerte zunächst ein Jahr und war offen für Frauen, die mindestens das Lyzeum abgeschlossen hatten. Das Curriculum trug anfangs sehr akademische Züge und orientierte sich am theologischen Studium. Entsprechend der „Erneuerung des Bibellesens“7, die sich nach dem Ersten Weltkrieg in den meisten protestantischen Jugendverbänden vollzog, bildete die Qualifizierung zur Bibelarbeit mit Mädchen und Frauen den Schwerpunkt der Ausbildung.8 Ein Charakteristikum der Bibelschule des Burckhardthauses stellte dabei von Anfang an – im Gegensatz beispielsweise zur 1924 eröffneten Ausbildungsstätte des ‚Bundes deutscher Mädchenbibelkreise‘ (MBK) – die Offenheit für die historisch-kritische Methode im Bereich der Bibelauslegung dar. Die ersten Jahre der Schule waren zudem geprägt von Bemühungen um eine kirchliche Anerkennung der Ausbildung, die mit dem Entwurf einer ‚Prüfungsordnung für berufsmäßige kirchliche Gemeindehelferinnen‘ des EOK der APU im Jahr 1932 einen vorläufigen Abschluss fanden. Bereits im Jahr 1929 wurde die Schule umbenannt in ‚Seminar für kirchlichen Frauendienst – Bibelschule des Burckhardthauses‘ und legte somit formal und inhaltlich einen etwas stärkeren Akzent auf die Ausbildung für die Gemeindearbeit.

Diese Ausrichtung verstärkte sich noch in der Zeit des Nationalsozialismus. Wie die gesamte evangelische Jugendarbeit fiel auch der ‚Evangelische Reichsverband weiblicher Jugend‘ unter den Eingliederungsvertrag vom 19. Dezember 1933 und musste sein Mitgliedschaftsprinzip aufgeben. Dem damaligen Vorsitzenden Otto Riethmüller (1889–1938)9 und seinem wegweisenden Konzept von evangelischer Jugendarbeit auf Basis der Kirchengemeinde ist es zu verdanken, dass sich der Verband nach dem Prinzip ‚Einordnung‘ und ‚Eigenständigkeit‘ an die Bekennende Kirche anschloss und bald die Funktion einer Arbeitszentrale für die evangelische weibliche Jugendarbeit übernahm.10 Der Bibelschule, die über die gesamte Zeit des Dritten Reiches hinweg weiter existierte, fiel dabei die Aufgabe zu, für die katechetische Arbeit, aber auch die Verkündigung an Mädchen und Frauen in den Kirchengemeinden auszubilden. Die Ausbildung wurde wie der gesamte Jugendverband verkirchlicht. Im Bereich der inhaltlichen Konzeption kann man für die Dreißigerjahre sogar von einer Blüte der theologischen Arbeit im Seminar sprechen. Prominente Theologen, denen wegen ihres kirchenpolitischen Engagements der Weg in die Wissenschaft und in manche Pfarrstelle versperrt blieb, wie Claus Westermann (1909–2000), Helmut Gollwitzer (1908–1993), aber auch der Direktor des Verbandes und spätere Hamburger Landesbischof Volkmar Herntrich (1908–1958) beteiligten sich am Unterricht und verpflichteten das Seminar auf die Wort-Gottes-Theologie eines Karl Barth, die auch in der Nachkriegszeit prägend bleiben sollte.11 Für die im Burckhardthaus ausgebildeten Gemeindehelferinnen bedeutete die ‚Verkirchlichung‘ von Verband und Seminar eine Aufwertung des Berufes, obwohl es zur Zeit des Nationalsozialismus zu keiner weiteren Professionalisierung zumindest in Form von Berufs- oder Ausbildungsordnungen kam. Vor allem in der Zeit des Zweiten Weltkrieges entwickelten sie sich zu Trägerinnen der gesamten Gemeindearbeit, inklusive der öffentlichen Wortverkündigung.

Auch nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur behielt der Verband das bekenntniskirchliche Konzept von Eigenständigkeit und Einordnung in Bezug auf die verfasste Kirche aufrecht – in der SBZ bzw. der DDR gezwungenermaßen, in der BRD freiwillig. Ein Mitgliedschaftsprinzip wurde nicht mehr eingeführt, und der inhaltliche Schwerpunkt der konzeptionellen und personellen Unterstützung der kirchengemeindlichen Jugendarbeit blieb im Großen und Ganzen bestehen. Die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen in den verschiedenen Besatzungszonen – im Westen nahm man beispielsweise die Jugendsozialarbeit in Form von Flüchtlings- und Gildenarbeit ein Stück weit wieder auf – führten in der unmittelbaren Nachkriegszeit dazu, dass sich die Verbandszentrale institutionell, personell und geografisch einem Trennungsprozess unterzog, der 1951/52 in der Eröffnung von zwei neuen Standorten in Ost-Berlin (Bernauer Straße) und Gelnhausen/Hessen gipfelte. Gerade durch die endgültige Aufgabe des Vereinsprinzips kam den Bibelschulen nun allerdings eine noch wichtigere, identitätsstiftende Funktion für den Jugendverband zu. Die im Burckhardthaus ausgebildeten Gemeindehelferinnen wirkten als Multiplikatorinnen für den Verband und trugen die Tradition des Hauses in die Kirchengemeinden. Bereits am 9. Juli 1945 nahm man – nach einer kriegsbedingten Auslagerung der Schule nach Lobetal/Brandenburg (1943–1945) – den Seminarbetrieb im Burckhardthaus in Dahlem wieder auf. Im Oktober 1945 fand man daneben eine Lösung für die Schülerinnen aus den westlichen Besatzungsgebieten, denen es nicht möglich war, den Unterricht im geteilten Berlin zu besuchen. Das Gemeindehelferinnenseminar wurde in Hanerau-Hademarschen/Schleswig-Holstein wiedereröffnet. Die Leitung übernahm nun bis 1971 Vikarin Ilse Ultsch (1906–2013). Sowohl die Zeit in Lobetal als auch jene in Hanerau waren einerseits von einer starken inhaltlichen Einschränkung des Lehrplans und großer materieller Not, andererseits von einem intensiven geistlichen, fast kommunitären Zusammenleben der Schülerinnen geprägt, welches die Berufsmentalität der Absolventinnen nachhaltig prägte. 1952 zog das Seminar-West in die neue Zentrale nach Gelnhausen, und auch die Bibelschule in Dahlem, die nun hauptsächlich Frauen aus der SBZ ausbildete, verlagerte ihren Sitz in die Bernauer Straße in den Berliner Osten.

Institutionsgeschichtlich erreichten sowohl die Arbeit des Burckhardthaus-Verbandes als auch die Ausbildung zur ‚Evangelischen Gemeindehelferin‘ in den Fünfzigerjahren einen letzten Höhepunkt. Dies spiegelt sich u.a. in der großen Zahl der Schulneugründungen und einer weitgehenden Professionalisierung des Berufes auch auf gesamtkirchlicher Ebene wider. Mit den ‚Richtlinien zur Ordnung des Dienstes der Gemeindehelferin‘ der EKD vom 24. Juni 1954 wurde der Dienst der Gemeindehelferinnen erstmals rechtsverbindlich geregelt.12 Ein Rahmenlehrplan trug zur Vereinheitlichung der Ausbildung in den Seminaren unterschiedlicher theologischer Prägung bei, beraubte sie aber nicht ihrer Eigenständigkeit. Die Ausbildung in Gelnhausen wurde 1958 aufgrund des Rahmenlehrplans, aber auch, weil man den neuen Arbeitsfeldern des Gesamtverbandes Rechnung trug und das Curriculum um sozial- und humanwissenschaftliche Fächer erweiterte, auf zwei Jahre und drei Monate verlängert (1963 auf zweieinhalb Jahre). Die Ausbildung in den biblischen Fächern blieb dennoch weiterhin der Mittelpunkt. Trotz aller Professionalisierungsbemühungen offenbarten sich aber schon in den Fünfzigerjahren Probleme im Berufsbild der Gemeindehelferin, die auch die Richtlinien nicht zu lösen vermochten. Die starke Verklammerung des Berufes mit dem Pfarramt, die überkomplexen Arbeitsfelder, die Festlegung auf den kirchlichen Arbeitsmarkt aufgrund der fehlenden staatlichen Anerkennung der Ausbildung sowie die Frage, ob man den Beruf tatsächlich als Lebensberuf auch über das junge Erwachsenenalter hinaus ausübten könne, machten ihn vor allem für Frauen mit Hochschulreife, für die zum Ende des Jahrzehnts in immer zahlreicheren Landeskirchen die Möglichkeit bestand, nach einem Theologiestudium in ein ‚ordentliches‘ Gemeindepfarramt berufen zu werden, zunehmend unattraktiv.

Die gesellschaftlichen Umbrüche der Sechzigerjahre beeinflussten die Entwicklung von Gesamtverband und Seminar schließlich enorm. Schon in den Fünfzigerjahren hatten die Entscheidung des Hauses, auf das Vereinsprinzip zu verzichten, und sein Einsatz für Strukturreformen innerhalb der evangelischen Jugendarbeit, sprich: die Auflösung der ‚Zweigleisigkeit‘ von landeskirchlichen und vereinsmäßigen Strukturen, zumindest implizit die Frage nach der Existenzberechtigung des Burckhardthauses als Jugendverband aufgeworfen. Die Sechzigerjahre brachten nun Diskussionen um weitere Grundpfeiler der Verbandsarbeit: die Schlüsselfunktion der Bibelarbeit für die evangelische Jugendarbeit im Verhältnis zu den Sozialwissenschaften, die nicht koedukative Arbeit, die Frage nach verbindlichen Sozialformen und nicht zuletzt die Frage, ob die klassische, auf generalistisches Wissen angelegte und an den theologischen Disziplinen orientierte Gemeindehelferinnenausbildung für eine gesellschaftsbezogene Jugend- und Gemeindearbeit noch ausreiche oder ob eine reformierte „Kirche für andere“ auch „andere Mitarbeiter“ brauche.13 Hinzu kam, dass sich spätestens bis Mitte der Sechzigerjahre die Schülerinnenzahl in allen Gemeindehelferinnenseminaren, so auch im Burckhardthaus, rapide verringert hatte. Die Nachfrage nach dem Berufsbild ‚Evangelische Gemeindehelferin‘ ließ radikal nach. Die Diskussionen um eine Neuordnung der Grundausbildung, die das Burckhardthaus unter der Federführung der Direktorin Eva-Renate Schmidt (geb. 1929) in den Jahren 1966–1971 mit den anderen Seminaren für den Gemeindedienst, aber auch auf EKD-Ebene und im Rahmen seiner ökumenischen Verbindungen führte, wurden durch die Bildungsreform im Jahr 1968 und die Einführung von Evangelischen Fachhochschulen im Jahr 1968 konterkariert. Die staatliche Anerkennung einer sozialwissenschaftlich-theologischen Ausbildung auf dem Niveau einer ‚Höheren Fachschule‘ war nun nicht mehr zu erreichen. Im Jahr 1969 entschied man sich deshalb für die Schließung des ‚Seminars für kirchlichen Frauendienst‘ zum Frühjahr 1971. Der Burckhardthaus-Verband gab überdies seine Funktion als ‚Zentrale für die evangelische weibliche Jugendarbeit Deutschlands‘ auf. Man konstituierte sich neu als Fort- und Weiterbildungsinstitut für Jugend-, Kultur- und Sozialarbeit.

1.1.2 Fragestellungen

Das primäre Ziel dieser Arbeit ist die historische Aufarbeitung des ‚Seminars für kirchlichen Frauendienst‘ im Rahmen des Burckhardthaus-Verbandes von seiner Gründung 1926 bis zu seiner Schließung im Jahr 1971. Hauptlinien und Knotenpunkte der Verbands- und Seminargeschichte werden nachgezeichnet und in den gesellschaftlichen und kirchenpolitischen Kontext der jeweiligen Epoche eingeordnet. Aus diesem leitenden Interesse heraus ergeben sich weitere Fragestellungen und Zielsetzungen, die in der Arbeit Berücksichtigung finden.

Zum einen will die Untersuchung die Gemeindehelferinnenausbildung in die Theologiegeschichte des 20. Jahrhunderts einordnen (u.a. repräsentiert durch lehrende Persönlichkeiten wie Wilhelm Thiele, Anna Paulsen, Otto Riethmüller, Claus Westermann, Helmut Gollwitzer, Volkmar Herntrich) und damit einen Beitrag zur Geschichte theologischer Ausbildung leisten. In Bezug auf dieses erste Ziel wurde die These einer ‚theologischen Blüte‘ in der Seminarausbildung der Dreißigerjahre oben schon erwähnt. Das Burckhardthaus hat zum anderen seit den Zwanzigerjahren eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der theologischen und pädagogischen Konzeption der ‚Bibelarbeit‘ in den evangelischen Jugendverbänden gespielt. In dieser Hinsicht gilt es zu überprüfen, ob der Verband aufgrund seiner Verwurzelung in der Inneren Mission und seiner Offenheit für die historisch-kritische Methode den Schritt zu einer im weitesten Sinne gesellschaftsbezogenen Bibelarbeit schon früher als andere, aus evangelistischerer Tradition stammende Jugendverbände vollzog.

Eine weitere Fragestellung betrifft das Verhältnis des Burckhardthaus-Verbandes zur verfassten Kirche. Schon der Verbandsgründer Johannes Burckhardt hatte den Jungfrauenvereinen des ausgehenden 19. Jahrhunderts eine wichtige Funktion für den Gemeindeaufbau zugestanden. Otto Riethmüller verortete den Verband während des Nationalsozialismus im Spannungsfeld von ‚Eigenständigkeit‘ und ‚Einordnung‘ in Bezug auf die Bekennende Kirche. Dieses Prinzip wurde auch nach dem Ende des Dritten Reichs beibehalten. An dieser Stelle ist der These nachzugehen, dass der Verband schon seit seiner Gründung die ideelle Nähe zur verfassten Kirche suchte. Dies begründet zum einen das Engagement für die Gründung einer Ausbildungsstätte für Gemeindehelferinnen, zum anderen führte diese Verbindung in letzter Konsequenz aber dazu, dass das Burckhardthaus seine Funktion als Arbeitszentrale für die evangelische weibliche Jugend im Jahr 1971 aufgab.

Die dritte Zielsetzung ergibt sich aus der Ansiedlung des Projekts innerhalb der kirchlichen Zeitgeschichte mit dem Schwerpunkt der historischen Genderforschung. Anhand der Geschichte des Seminars für kirchlichen Frauendienst soll untersucht werden, inwiefern der Beruf der Gemeindehelferin evangelischen Frauen Räume eröffnete, in denen sie den Dienst an der Verkündigung erproben konnten, und damit letztendlich Türen geöffnet wurden für den Weg von Frauen in das ‚ordentliche‘ Pfarramt. Andieser Stelle scheint die These Ute Gauses von der „Existentialisierung der Frömmigkeit im 19. Jahrhundert“ auch für das 20. Jahrhundert weiterführend zu sein. Diese besagt, dass ein „existentieller Zugang zur Religion“ Frauen „eine Sicherheit ermöglichte, die es erlaubt, von den für Frauen traditionell vorgesehenen Bahnen abzuweichen“.14 Die Ausbildung vor allem zur Zeit des Nationalsozialismus, aber auch in der unmittelbaren Nachkriegszeit war gekennzeichnet durch ein gründliches theologisches Arbeiten und ein intensives geistliches Zusammenleben. Dies trug zu einem beruflichen Selbstbewusstsein der Absolventinnen bei, welches es ihnen ermöglichte, vor allem zwischen 1939 und 1945 Aufgaben der öffentlichen Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung zu übernehmen. Mitte der Fünzigerjahre kam es schließlich zu einem rapiden Absinken des Vorbildungsniveaus. Hatte bis dahin noch die Majorität der Bibelschülerinnen das Abitur, drängten nun junge Frauen mit Mittelschul- oder Volksschulabschluss an die Seminare. Dies ist nicht zuletzt mit der Entwicklung zu erklären, dass Abiturientinnen, die eine geistige Profession mit hoher beruflicher Autonomie suchten, nun das Theologiestudium vorzogen, ermöglichten doch ab 1958 einige Landeskirchen die Berufung von Theologinnen in das reguläre Gemeindepfarramt.

Schließlich will die Arbeit auch einen Beitrag zur Sozialgeschichte eines bisher kaum berücksichtigten Frauenberufs in der evangelischen Kirche leisten. Im Kontext des klassischen männlichen Karrieremusters ‚Diakon‘ – ‚Missionar‘ – ‚Pfarrer‘ spielt auch der Aufstieg gemeindebezogener kirchlicher Frauenberufe vom Ehrenamt zur Professionalisierung (‚Gemeindehelferin‘ – ‚Religionspädagogin [FH]‘ – ‚Pfarrerin‘) eine wichtige Rolle innerhalb des Berufsfelds Kirche. Allein im ‚Seminar für kirchlichen Frauendienst‘ (vor 1945 und in der BRD) wurden zwischen 1926 und 1971 über 1500 junge Frauen ausgebildet. Insgesamt beläuft sich die Zahl der Gemeindehelferinnen, die im Raum der Evangelischen Kirche in Deutschland tätig waren, auf ca. 11.000. Sie haben das Gesicht des Protestantismus in Kirchengemeinden, auf übergemeindlicher Ebene und im konfessionellen Verbandswesen geprägt. Dem Burckhardthaus kann man bei der Professionalisierung des Gemeindehelferinnenberufs ohne Zweifel eine paradigmatische Bedeutung zugestehen. Zum einen bemühte man sich Mitte bis Ende der Zwanzigerjahre als erste Ausbildungsstätte um eine kirchliche Anerkennung, d.h. um die Verabschiedung erster überregionaler Berufs- und Prüfungsordnungen für den Beruf. Wichtiger ist aber noch zum anderen, dass Anna Paulsen als Leiterin des Frauenreferates der Kirchenkanzlei der EKD die Konsolidierung des Amtes im Sinne der ‚Richtlinien zur Ordnung des Dienstes der Gemeindehelferin‘ maßgeblich vorantrieb und dabei auch immer wieder auf ihre Erfahrungen aus dem Burckhardthaus zurückgriff.15

Der Begriff ‚Professionalisierung‘ im Zusammenhang mit der berufssoziologischen Entwicklung des Gemeindehelferinnenberufes ist bewusst gewählt im Wissen darum, dass sowohl die Klassifizierung von Professionen als auch die Verlaufsmodelle von Professionalisierung seit Jahrzehnten Gegenstand von Debatten innerhalb der Professionalisierungsforschung sind – ohne Perspektive auf eine Harmonisierung der verschiedenen Konzepte.16 Es ist evident, dass der Beruf der Gemeindehelferin nicht zu den sog. ‚klassischen‘ Professionen (Pfarrer, Juristen, Ärzte, Lehrer etc.) zu zählen ist. So enthält der Beruf zwar die charakteristische ‚Überkomplexität‘ der Arbeitsgebiete und ein hohes Maß an Verhaltenszumutungen in Bezug auf Privatsphäre und Freizeitgestaltung; durch die inhaltliche und formale Verklammerung mit dem Pfarramt fehlt es ihm zudem an beruflicher Autonomie oder auch einem Monopolanspruch in Bezug auf das angeeignete Wissen.17 Von ‚Professionalisierung‘ zu sprechen ist allerdings in der bildungs- und berufsgeschichtlichen Forschung stärker etabliert als von ‚Verberuflichung‘18, sodass der Begriff mit gutem Gewissen auf die Gemeindehelferinnen angewandt werden kann. Für die Einordnung der Entwicklung des Gemeindehelferinnenberufes beziehe ich mich im Wesentlichen, wenn auch nicht ausschließlich, auf die klassische Darstellung von Harold Wilensky. Anhand seines Verlaufsmodells können exemplarisch Analogien und Diskontinuitäten zu anderen Berufen gezeigt und interpretiert werden.19

Schließlich ist noch anzumerken, dass sich die Studie ab 1945 hauptsächlich auf die Entwicklung des Burckhardthaus-Verbandes in der BRD bezieht. Dies ist zum einen der ungenügenden Quellenlage für die Zentrale des Burckhardthauses-Ost geschuldet, zum anderen hätte das Hinzuziehen eines weiteren politischen Bezugsystems (SBZ/DDR) den Rahmen der ohnehin schon umfangreichen Darstellung komplett gesprengt.

1.2 Forschungsstand und Quellenlage

1.2.1 Stand der Forschung

Sowohl die Geschichte des Burckhardthaus-Verbandes nach 1918 als auch die Ausbildung zur Gemeindehelferin in den von Verbänden unterschiedlichster theologischer Couleur bzw. landeskirchlich getragenen Seminaren für den Gemeindedienst oder Bibelschulen sind so gut wie nicht untersucht und stellen schon deswegen ein wissenschaftliches Desiderat dar. Gleiches gilt für die Entwicklung des Berufes der Evangelischen Gemeindehelferin.

Die Veröffentlichungen zur Geschichte der evangelischen Jugendarbeit im Allgemeinen zeigen sich überwiegend populärwissenschaftlich und stammen größtenteils aus dem Umfeld der landeskirchlichen Jugendarbeit bzw. der AGEJD/AEJ selbst.20 Ausnahmen bilden längere oder kürzere Abschnitte in kirchenhistorischen Überblicksdarstellungen21, die Untersuchung zur Jugendarbeit in SBZ und DDR von Ellen Ueberschär22 und m.E. der Artikel ‚Jugend‘ in der Theologischen Realenzyklopädie von Martin Affolderbach sowie die Dissertation von Ingo Holzapfel über die Entwicklung der AGEJD zwischen 1949 und 1969.23 In allen Veröffentlichungen wird das Burckhardthaus lediglich am Rande erwähnt. Ein ähnliches Bild ergibt sich in Bezug auf die evangelischen Jugendverbände. Hier stößt man mit Ausnahme der Darstellung von Sozial- und Politikwissenschaftlerin Silvia Lange, die sich mit dem Weg des nationalistischen Neulandbundes (Guida Diehl) in den Jahren 1916–1935 beschäftigt hat,24 hauptsächlich auf Festschriftenliteratur.25

Zur Geschichte des Burckhardthauses, d.h. des ‚Vorstände-Verbandes der Evangelischen Jungfrauenvereine Deutschlands‘, bis 1918 existiert eine historische Dissertation von Petra Brinkmeier aus dem Jahr 2003. Brinkmeier stellt die Entwicklung des Verbandes dar und spitzt sie auf die inhaltliche Arbeit der Jungfrauenvereine zwischen „Geselligkeit und Sittlichkeit“ zu.26 Des Weiteren gab der Verband selbst zahlreiche Jubiläumsschriften heraus, in denen er sich seiner Geschichte vergewisserte.27 Herauszuheben ist der Sammelband von Barbara Thiele aus dem Jahr 1968, in dem sie anhand von Quellen wichtige Stationen bzw. Knotenpunkte der Verbandsgeschichte aufzeigt.28 Auf diese Veröffentlichung beruft sich die Majorität der oben genannten Überblicksdarstellungen zur evangelischen Jugendarbeit.

Zu den meisten Bibelschulen bzw. Evangelischen Seminaren für den Gemeindedienst finden sich lediglich Notizen in den Darstellungen zur Geschichte der tragenden Verbände.29 Allein zu den Sozialen Frauenschulen/Höheren Fachschulen für Sozialarbeit in Berlin (Innere Mission) und Freiburg, welche zeitweise auch Ausbil dungszweige für die Gemeindearbeit anboten, sind eigene Darstellungen vorhanden, die allerdings ebenfalls keinen wissenschaftlichen Charakter haben.30

Für den Bereich der neuzeitlichen Entwicklung kirchlicher Berufe im Allgemeinen ist hauptsächlich auf den ausführlichen TRE-Artikel ‚Kirchliche Berufe‘ von Gottfried Buttler zu verweisen,31 daneben existiert für die kirchlichen Frauenberufe eine Übersicht von Almut Witt im Sammelband zur Geschichte der Theologinnen ‚Darum wagt es, Schwestern ... ‘ des Göttinger Frauenforschungsprojektes.32 Witt berücksichtigt in ihrem Überblick jedoch nicht die sogenannten ‚Berufsarbeiterinnen der Inneren Mission‘, die vor allem für die Ausbildungsentwicklung des Burckhardthauses wichtig sind. Hierzu findet sich wiederum ein Aufsatz von Petra Brinkmeier in dem von Frank-Michael Kuhlemann und Hans-Walter Schmuhl herausgegebenen Sammelband ‚Beruf und Religion im 19. und 20. Jahrhundert‘.33 Dieser enthält auch den einzigen zeitgeschichtlichen Beitrag zur Geschichte des Gemeindehelferinnenberufs von Silvia Lange.34 Lange stützt ihre Darstellung allerdings hauptsächlich auf die Untersuchung des Gemeindehelferinnenseminars des Neulandbundes, welches sich im Gegensatz zum Burckhardthaus im Jahr 1933 fest an die Deutschen Christen band und bereits im Jahr 1938 geschlossen wurde.35 Ihre verallgemeinernde Einschätzung, dass in den Ausbildungsstätten für Gemeindehelferinnen schon zur Zeit der Weimarer Republik ein „antidemokratisch politisches Selbstverständnis“ vorherrschte, ist für das Burckhardthaus in dieser Konsequenz nicht zu teilen. Andere berufsgeschichtliche Darstellungen zur ‚Evangelischen Gemeindehelferin‘ gehen bisher häufig aus dem direkten beruflichen Umfeld hervor: Sie stehen in einem berufskundlichen bzw. berufspolitischen Zusammenhang, wie der Sammelband ‚Gemeindehelferin heute‘ von Anna Paulsen36, der im Kontext mit der Erarbeitung der ‚Richtlinien zur Ordnung des Dienstes der Gemeindehelferin‘ zu sehen ist, oder in Beziehung mit dem sich in den Sechzigerjahren vollziehenden Berufswandel (z.B. Ilse Ultsch aus dem Jahr 1968)37. Hierzu ist auch die berufssoziologische Untersuchung von Brigitte Neumann zu zählen.38

1.2.2 Quellenlage

Die Mehrzahl der für die Untersuchung ausgewerteten Quellen befand sich im Archiv des Burckhardthaus-Verbandes in Gelnhausen/Hessen (ABG).39 Hier wurden die nur zum Teil geordneten Bestände gesichtet, bis die Verbandsleitung sie im Jahr 2009 in das Evangelische Zentralarchiv nach Berlin transferierte. Dort warten sie zurzeit auf ihre Inventarisierung. Eine detaillierte Übersicht befindet sich im Quellenverzeichnis im Anhang der Arbeit. Die Quellenlage bezüglich des Gesamtverbandes ist für die dargestellten Epochen unterschiedlich ergiebig. Für alle Phasen der Verbandsgeschichte existieren – wenn auch teilweise lückenhaft – die Hauptakten der Geschäftsführung, Satzungen, Protokolle der Vorstandssitzungen, der Sitzungen der Vertretertagungen, des geschäftsführenden Verwaltungsausschusses und des Finanzausschusses. Daneben beziehen sich verschieden Bestände auf einzelne Arbeitsgebiete (Jungschararbeit, Schülerinnenarbeit, Pfadfinderarbeit, Freizeiten, Tagungen und Kurse u.a.) und Außenkontakte des Verbandes (YWCA, Innere Mission, EKD, MBK, Jungmännerwerk u.a.). Für die Zeit des Nationalsozialismus ist zusätzlich auf die umfangreiche Korrespondenz der Verbandszentrale und die Rundschreiben an die Provinzial- und Landesstellen, die sogenannten ‚Führerbriefe‘, zu verweisen. Ab 1946 existieren lückenlos die Weihnachtsbriefe des Burckhardthauses, die an Mitarbeitende und ‚Freunde‘ verschickt wurden. Leider war die Korrespondenz der jeweiligen männlichen Direktoren (vor allem Riethmüller, Herntrich, Pfeiffer, Zink, Brunotte, Rohrbach), die für die Vertretung des Verbandes nach außen zuständig waren, zum größten Teil nicht auffindbar. Sie hätten eventuell noch Wichtiges für die kirchenpolitische Ausrichtung des Burckhardthauses beitragen können. Die Akten des Seminars für kirchlichen Frauendienst befanden sich in einem einzigen Schrank außerhalb des Archivraums. Hier zeigt sich die Quellenlage zumindest quantitativ ertragreicher, je weiter sich die Seminargeschichte der Gegenwart näherte. Epochenübergreifend von 1926 bis 1971 existieren die sogenannten ‚Seminarrundbriefe‘ an die ehemaligen Schülerinnen und die Examensunterlagen mit Examenskandidatinnen, -inhalten und Notenübersichten. Aus der Seminarzeit in Hanerau ist die Korrespondenz zwischen dem Seminar und der Zentrale in Dahlem erhalten. Für die Fünfziger- und Sechzigerjahre schließlich existieren einzelne Ordner mit Kurslisten, Unterrichtsmaterialien, Prüfungsordnungen, Praktikumsunterlagen sowie unterschiedlich umfangreiche Korrespondenzen mit Landeskirchen um Beihilfen und Stipendien, mit ehemaligen Schülerinnen über Stellenvermittlungen und mit den anderen Seminaren für den Gemeindedienst. Vor allem für das Ende der Sechzigerjahre sind die teils handgeschriebenen Protokolle der Seminarbesprechungen aufschlussreich, die sich wie vieles andere auch in großen Stapeln am Boden des Aktenschrankes befanden. Sie spiegeln die Diskussionen wider, die sich besonders im Jahr 1968 um die Mitbestimmung der Studierenden in Bezug auf das Zusammenleben im Internat, die Notengebung etc. drehten.

Neben der Aufarbeitung des Archivs des Burckhardthauses wurden zusätzlich Recherchen in den für die Verbandszentrale relevanten landeskirchlichen Archiven (Berlin-Brandenburg, Kurhessen-Waldeck), dem Archiv des Diakonischen Werkes Berlin (ADW) und dem Evangelischen Zentralarchiv (EZA) in Berlin durchgeführt. Vor allem die Bestände 2 (Kirchenkanzlei der EKD) und 7 (Evangelischer Oberkirchenrat Generalia) des EZA geben Aufschluss über die Verhandlungen zur kirchlichen Anerkennung der Bibelschulausbildung durch den EOK der APU in den Zwanzigerjahren – hier befindet sich auch der von Anna Paulsen ausgearbeitete erste Lehrplan des Seminars – und die auf vielen Ebenen (Landeskirchen, Seminare, EKD) geführten Diskussionen über eine einheitliche Regelung des Berufs der Evangelischen Gemeindehelferin, die 1954 im Erlass der ‚Richtlinien zur Ordnung des Gemeindehelferinnenamtes‘ ihren Endpunkt fanden. Im Landeskirchlichen Archiv der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg-Schlesische-Oberlausitz (LABB) befinden sich u.a. die ungeordneten Bestände der Landesstelle des Burckhardthauses für Groß-Berlin. Sie waren als Ergänzung für in Gelnhausen fehlende Protokolle etc. interessant.40 Der Geschichtsverein des Seminars für kirchlichen Frauendienst, der aus ehemaligen Schülerinnen besteht und von dem die Initiative für diese Untersuchung mit ausgegangen ist, hat zudem eine Reihe von Materialien, Bildern und vor allem Berichte von Absolventinnen über ihre Zeit in der Bibelschule während der unterschiedlichen zeitlichen Epochen gesammelt.

Schließlich ist noch auf die umfangreiche Zeitschriften- und Traktatliteratur des Verbands zu verweisen, welche sich immer wieder mit der Ausbildung zur Gemeindehelferin und mit dem Thema der kirchlichen Frauenberufe im Allgemeinen beschäftigte, aber auch Einblicke in die theologische und (kirchen-)politische Ausrichtung des Verbandes gewährt.41 Allein für die Zeit zwischen 1934 und 1941 war die Auswertung der Zeitschriften aufgrund der staatlichen Zensur nicht ergiebig.

1.3 Methodische Voraussetzungen

Grundlage der methodischen Arbeit ist die historisch-kritische Erschließung der Quellen zur Geschichte des Burckhardthaus-Verbandes und des Seminars für kirchlichen Frauendienst. Die Untersuchung folgt dabei dem Konzept eines integrativen Verständnisses von allgemeiner und kirchlicher Zeitgeschichte. Gemäß den theoretischen Darlegungen von Kurt Nowak im Band ‚Kirchliche Zeitgeschichte: Urteilsbildungen und Methoden‘ der Reihe ‚Konfession und Gesellschaft‘42 begreift sie sich als Beitrag zum Prozess der „Zurückgewinnung von Konfession-Kirche-Religion für die allgemeine Zeitgeschichte“43. Dabei wird die kirchliche Zeitgeschichte als historiografisches Teilmilieu der allgemeinen Zeitgeschichtsschreibung verstanden. Weil es sich bei dem zu bearbeitenden Forschungsgegenstand nicht um ein Arbeitsgebiet der verfassten Kirche, sondern um einen Teil des deutschen Verbandsprotestantismus handelt – wenn auch die Einordung in manche Strukturen der verfassten Kirche nach 1945 nicht mehr rückgängig gemacht wurde –, kann die Arbeit zudem einer „Reduktion des methodischen und sachlichen Gegenstandsbereiches der Zeitgeschichtsschreibung“ entgegentreten. Als freies Werk hat sich das Burckhardthaus nie vollständig in die Organisation Kirche eingefügt und stellt deswegen ein Beispiel für einen Teil konfessioneller Wirklichkeit dar, der allein mit „kirchen- und theologiehistorischer Forschung nicht erfasst werden kann“44.

Auch für den Bereich der historischen Genderforschung verfolgt das Projekt einen integrativen Ansatz.45 Die Frage nach der „Bedeutung des Geschlechts für Kultur, Gesellschaft und Wissenschaften“46, in diesem Fall für die Ausbildung zum Gemeindehelferinnenamt, wird nicht aus dem „forschungsleitenden Interesse der Frauenbefreiung“ gestellt.47 Im Folgenden wird es vielmehr darum gehen, Gesichtspunkte der Geschlechterforschung ebenso wie andere Methoden der Geschichtsschreibung (z.B. Institutionen- oder Organisationsgeschichte) in die Untersuchung zu integrieren.

Eine Methode ‚kulturwissenschaftlicher Genderforschung‘ ist beispielsweise die sogenannte ‚Oral History‘. Der Geschichtsverein des Seminars für kirchlichen Frauendienst hat zahlreiche Berichte von ehemaligen Schülerinnen gesammelt, und im Laufe des Bearbeitungszeitraums konnten einige biografische Interviews mit Absolventinnen und Dozentinnen des Seminars geführt werden. Die Interviews folgten keiner standardisierten Methode, und es ist evident, dass sie keine objektivierbaren Tatsachen zutage förderten. Trotzdem waren sie hilfreich, um „sich den Alltagsund Erfahrungsgeschichten“48 der ehemaligen Schülerinnen zu nähern, und trugen gerade für die Frage nach der beruflichen Identität und Mentalität der Gemeindehelferinnen Wichtiges bei.

1.4 Gliederung der Arbeit

Durch den exakt abgegrenzten Untersuchungszeitraum von der Gründung bis zur Schließung des Seminars (1926–1971) wird der Forschungsgegenstand im Wesentlichen chronologisch aufgearbeitet. Dieses Vorgehen entspricht dem leitenden Interesse der Aufarbeitung von Seminar- und Verbandsgeschichte und ihrer Einordnung in den konfessionellen und gesellschaftlichen Zusammenhang der jeweiligen historischen Epoche. Die Gliederung orientiert sich dementsprechend an den verschiedenen politischen Systemen des späten 19. und 20. Jahrhunderts (Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus, frühe Bundesrepublik), zusätzlich erfolgt eine Abgrenzung der Kapitel durch wichtige Einschnitte in der Seminargeschichte (z.B. der Neubeginn in Hanerau-Hademarschen von 1945 bis 1952), die sich allerdings oft mit gesellschaftlichen Umbrüchen überschneiden (z.B. die Diskussionen um das Ende der Ausbildung in den Sechzigerjahren). Innerhalb der einzelnen Abschnitte ist auf die oben formulierten Fragestellungen einzugehen.

Nach der Hinführung, welche sowohl die Verbandsgeschichte bis 1918 als auch die Entwicklung neuzeitlicher protestantischer Frauenberufe grob skizziert, fokussiert sich das dritte Kapitel auf die unmittelbare Vorgeschichte der Gründung der ‚Bibel- und Jugendführerschule‘ im Jahr 1926, die Darstellung der ersten Ausbildungskonzeption und die Diskussion um die kirchliche Anerkennung der Ausbildung, d.h. erste Professionalisierungsversuche für das Amt der Gemeindehelferin. Des Weiteren richtet sich der Blick auf die theologischen Grundlagen der Ausbildung: die durch den Burckhardthaus-Verband, respektive den damaligen Leiter des Seminars Wilhelm Thiele, geprägte Form der Bibelarbeit und das von lutherischer Zwei-Reiche-Lehre, biblischer Theologie (Adolf Schlatter) und Existenzphilosophie (Sören Kierkegaard) beeinflusste theologische System von Anna Paulsen.

In der Zeit des Nationalsozialismus (Kapitel 4) hat sich die Untersuchung vor allem mit der Frage der Verkirchlichung der evangelischen Jugendarbeit und den Konsequenzen für Ausbildung und Konzeption des Gemeindehelferinnenamtes auseinanderzusetzen. Das macht eine relativ ausführliche Einordnung der Verbands- und Seminargeschichte sowohl in die Geschichte der evangelischen Jugendarbeit während des Dritten Reiches als auch in die kirchenpolitischen Zusammenhänge des sogenannten Kirchenkampfes notwendig. Daneben werden die Arbeitshypothesen in Bezug auf die ‚theologische Blüte‘ der Ausbildung und auf das durch eine ‚Existenzialisierung der Frömmigkeit‘ generierte berufliche Selbstbewusstsein der Absolventinnen überprüft.

Im Mittelpunkt des weniger detaillierten fünften Kapitels stehen die Frage nach Kontinuität und Diskontinuität in der Verbandskonzeption der unmittelbaren Nachkriegszeit und die Darstellungen des Trennungsprozesses der Verbandszentrale im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Arbeitsmöglichkeiten in den sich konstituierenden politischen Systemen von SBZ/DDR und BRD. Aus der Darstellung der Seminargeschichte sind die durch die Abgeschiedenheit in Hanerau-Hademarschen begründete starke inhaltliche Einschränkung des Lehrplans und das zunehmend gespannte Verhältnis zur Verbandsleitung herauszuheben, die eine Rückführung der Schule unter das Dach der neuen Zentrale in Gelnhausen dringend nötig machten.

Im Bereich der Fünfzigerjahre (Kapitel 6) nehmen die Darstellung der Professionalisierung des Gemeindehelferinnenberufes und die Konsequenzen für die Seminarausbildung einen relativ breiten Raum ein. Obwohl das Jahrzehnt von weitgehender institutioneller Expansion geprägt war – sowohl was den Gesamtverband als auch was das Seminar für kirchlichen Frauendienst angeht –, können hier schon einige Entwicklungslinien aufgezeigt werden, die zu den Umstrukturierungen der Sechzigerjahre geführt haben.

Die letzte Phase der Seminargeschichte (Kapitel 7) bedarf schließlich wieder einer detaillierteren Einordnung sowohl in den Makrohorizont der gesellschaftlichen Umbrüche der Sechzigerjahre und ihren Auswirkungen auf Kirche (Bildungsreform, Kirchenreform) und evangelische Jugendarbeit (gesellschaftsbezogenes Arbeiten, Krise der Bibelarbeit, u.a.) als auch in die direkte Verbandsgeschichte (Politisierung, Diskussionen um das Verhältnis von Sozialwissenschaften und Theologie, Aufgabe der Funktion einer Zentrale für die evangelische weibliche Jugendarbeit). Nur vor diesem Hintergrund sind die Diskussionen um eine Neuordnung der Grundausbildung bzw. die Entscheidung für deren Aufgabe und die Etablierung eines Fort- und Weiterbildungsprogramms für kirchliche Mitarbeiter zu sehen.